Jeremias Gotthelf: Der Notar in der Falle / Die Frau Pfarrerin

 

 

Jeremias Gotthelf

Der Notar in der Falle

Die Frau Pfarrerin

Zwei Erzählungen

 

 

 

Jeremias Gotthelf: Der Notar in der Falle / Die Frau Pfarrerin. Zwei Erzählungen

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Gustave Courbet, Schweizer Landschaft, 1876

 

ISBN 978-3-8430-8862-6

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-9960-8 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-9961-5 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Der Notar in der Falle

Erstdruck in den »Elsässischen Neujahrsblättern«, August Stöber, Straßburg, 1848.

Die Frau Pfarrerin

Erstdruck 1854.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

Der Notar in der Falle

Kleine Städtchen sind in der Regel ganz allerliebst. Gewöhnlich liegen sie an einem Bache, dem es so wohl im Städtchen ist, daß man nicht weiß, läuft er nach Westen oder nach Osten; sie sind statt mit Wällen und Graben mit kleinen Scheuern und großen Düngerhaufen umgeben, wenn man es nicht vorzieht, dieselben mitten im eigenen Schoße, das heißt im Städtchen selbst zu behalten. Die Menschen darin sind allerliebst, nicht über eine Form geschliffen, sondern jeder trägt sein eigen Gepräge, allgemein ist bloß, daß die Mädchen zumeist zärtlich sind und guten Herzens, die jungen Herren aber etwas hölzern und nicht fein gehobelt, haben aber auch schrecklich viel Liebe im Leibe, heiraten daher gewöhnlich sehr jung; tun sie es nicht, so müssen sie von morgens früh bis abends spät schrecklich viel Flüssiges in den Leib gießen, um nicht zu verbrennen. Manchmal gießen sie als Ehemänner die doppelte Portion sich ein, wahrscheinlich damit die Frau an ihrer Liebe nicht verbrenne.

Das Städtchen, von welchem wir reden wollen, lag aber nicht an einem Bache, sondern an einem Flusse, aber die Mädchen waren deswegen nicht weniger zärtlich, die Herren nicht gehobelter und weniger durstig. Das Städtchen hatte eine wunderschöne Lage, mancher Düngerhaufen hatte einem schönen Hause Platz machen müssen, auf die schönen Häuser tat man sich viel zu gut, der Natur daneben frug man wenig nach, ausgenommen wenn sie sich essen und trinken ließ oder sonst was eintrug. Ganz herrliche Spaziergänge fanden sich ums Städtchen, waren allerdings auch sehr gesucht und geschätzt. Bekanntlich gehen zärtliche Mädchen gerne mit jungen Herren spazieren, da werden auch die hölzernsten warm, der Liebe Gold wird flüssig, und wie manches zärtliche Herz wurde glücklich im Freien an der Sonne, wo das Holz Feuer fing! Alte Leute gehn auch gerne spazieren in der Natur, wenn es nicht weit geht, ein gut Kaffee und delikate Fische oder sonst was Gutes in Aussicht steht.

In diesem Städtchen lebte ein Mädchen namens Luise. Nicht weniger zärtlich als die andern war die gute Luise, nicht weniger liebte sie die Natur zum Spazierengehn, aber wie hölzern einer auch war, Feuer fangen wollte keiner; flüssig ward nie die Liebe, wie heiß die Sonne auch schien, wie sehr der junge Herr auch schwitzte. Ach, dem schönen Herzen voll Liebe entsprach Luisens Äußere nicht. Sie war nicht klein, glich nicht auffallend weder einem Bohnenstecken noch einer Kegelkugel, ihr Gesicht war weder rot wie eine Klapperrose noch blaß wie geronnene Milch, vom Mond beleuchtet, aber sie war eben eigentlich gar nichts; sie war eben eines von den unglücklichen Wesen, deren Äußeres gar nichts Bemerkbares hat, weder was Häßliches noch was Liebliches, die man wieder vergißt, wie oft man sie sieht, die gar keinen Widerhaken haben, welchen sie einschlagen können in ein ander Herz und daran sich festhalten, wie Flößer ihre Haken in Bäume oder Ufer, an denen sie vorbeifahren. Nicht einmal die Stimme hatte etwas Angreifliches, sie floß akkurat wie ein Bächlein in einem kleinen Städtchen, welches verlegen ist, soll es zum obern oder untern Tor hinaus. Zudem redete Luise noch leise, daß, wer nicht haarscharf hörte, die Hände hinter die Ohren halten mußte, wenn er mit ihr konversieren wollte, eine Haltung, welche der Liebe nichts weniger als förderlich sein soll. Das gute Kind war schüchtern, hatte gar keine Ursache, zum Selbstbewußtsein zu kommen, wußte nicht, wenn sie was sagte, war es dumm oder wars gescheut, im ersten Fall war es also besser, man verstund es nicht; zudem war es ihr oft, als müßte sie weinen, wenn sie lauter rede und den Mund weiter aufmache.

Luise war keine Bürgerin des Städtchens, sondern eine sogenannte Hintersässin, hatte also keine Bürgernutzung, weder Holz aus dem Walde noch eine Pflanzstelle auf der Allmend (Gemeindetrift), was begreiflich ihr Ansehen auch nicht vermehrte. Sie lebte bei einer Tante, der Frau Spendvögtin (Armenvögtin); diese hatte Holz, Platz zu Kohl, ein eigen Gärtchen, sonst wenig Vermögen, aber viele, welche darauf warteten. Von Luisens Vermögen war nichts bekannt, man nahm also an, sie hätte keins; wenn sie welches hätte, würde sie es schon sagen. Der Schluß ist ziemlich bündig und wurde noch bestätigt durch Luisens sehr einfache Kleidung und das Versäumen, zu gehöriger Zeit ändern zu lassen, was nicht mehr in Mode war. So zum Beispiel trug sie noch wenigstens drei Monate lang weite Ärmel, als kein einziger im ganzen Städtchen zu finden war, so daß die Mägde bei den Brunnen aufmerksam wurden und die arme Luise zur Zielscheibe ihres Witzes machten.

Die Tante war eine rechte Bürgerin, kümmerte sich wenig um Luise, war aber sehr stolz auf ihren Mann selig, den Spendvogt. Wenn die andern Frauen, die Allmend-, Spital- und Seivögtinnen (Alpvögtinnen) ihre Kindbetten erzählten, so gab sie zum besten, wie ihr Mann Spendvogt geworden und sie Spendvögtin.

Luise hatte viele Freundinnen, sie war keiner im Wege, und wenn eine was anzuvertrauen hatte, so ward Luise die Vertraute. Sie mißbrauchte das Vertrauen nie, machte keinen Geliebten abspenstig entweder aus bloßer Bosheit oder weil sie ihn selbst fangen wollte. Eine solche Freundin ist unbezahlbar, sie sind aber auch selten. Daran gedachte aber keine, welch bittere Qualen die arme Luise erlitt, wenn wieder und wieder eine Freundin kam und ihr das Glück der Liebe verkündete, zu ihr sprach: »O Gute, ich habe gefunden!« Jedes Kind weiß, wie es der Eva ging, als sie die Schlange in den Apfel beißen sah, daß es sie nicht leben ließ, bis sie ebenfalls hineingebissen; jedes Kind erfährt, wie es ihm im Munde so wunderlich wird, wenn es andere was essen sieht, und es hat selbsten nichts, und wie es nicht ruht, bis es selbst auch zu etwas gekommen.

Ja, unsere humanen Juristen, welchen Diebe und Mörder weit lieber sind als ehrliche und vernünftige Leute, sintemalen sie von Dieben und Mördern leben und um so besser, je mehr deren sie pflanzen, beweisen ja, daß nichts ansteckender sei und Laster pflanzender, als wenn man jemand hänge oder köpfe. Da wandle männiglich, statt abgeschreckt zu werden, die Lust an, geköpft und gehängt zu werden, daher auch nie mehr Laster begangen würden als gerade an einem Hinrichtungstage. Die guten Juristen treiben es wohl gut; wenn sie es dahin bringen mit angeblicher Humanität, daß am Ende nichts überbleibt als Diebe, Mörder und – Juristen, so nimmt es uns wunder, was die für Augen machen und den Dieben und Mördern vordemonstrieren und plädieren werden.

Wird man nun nach den Juristen unter einem Galgen galgensüchtig, was meint man, was muß erst an einer Hochzeit die ledige Mannschaft werden? Faktum ist auch, daß bei einer Hochzeit andere Hochzeiten sich machen, blasierte Hagestolze zu schmachten anfangen, Spröde aufschauen, Unbefangene zu überlegen beginnen. Aber noch viel angreiflicher ist es, absonders für ein Mädchenherz, wenn eine Freundin kommt – gewöhnlich kömmt sie auf den Fußspitzen und schlägt die Augen nieder – und was erzählen will und nicht weiß, wo anfangen, und wenn sie angefangen, reuig wird und lieber nicht fortführe und am Ende doch erzählt, wie sie spazieren gegangen, und was er gesagt, und was sie gesagt, und wie es dann weitergegangen, und wie sie jetzt einen Geliebten hätte, einen, wie keiner noch gewesen, und wie sie jetzt glücklich sei wie im Himmel, und dazu sich die Augen wischt, vielleicht der Freundin noch um den Hals fällt und spricht: »Ach Gott! wie glücklich, wenn du nur wüßtest wie!« Ach Gott!, wie gerne wüßte ich es, denkt die um den Hals Gefallene und kann fast die Tränen nicht verdrücken, wenn sie herausstottert: »So so, he nun, es freut mich für dich, wenn du glücklich bist. Per se kennst du ihn besser, er wird nicht sein wie die andern. Ach ja! Aber was mich dauert, ist, daß ich wieder eine Freundin weniger habe, denn wer Mann und Kinder hat, denkt weiter an nichts mehr. Zuletzt bleibt man ganz isoliert, alleine in der Welt!« Dann weint sie ganz bitterlich, aller Trost ist umsonst, wie die Freundin auch zuspricht, sie solle sich doch nicht desolieren, sie bleibe da, und ihre Freundschaft solle die gleiche bleiben ewiglich, alle Tage wollten sie sich sehen; es wäre doch sonderbar, wenn man wegen dem Mann keine Freundin mehr haben sollte, ein so eng Herz hätte sie doch wahrlich nicht.

Begreiflich hatte die Freundin schon Erfahrungen über die Weite ihres Herzens gemacht und meinte nicht bloß a priori, sondern wußte a posteriori, daß mehr als eine Person darin Platz hätten. Es gibt ja Herzen, in denen die Menschen nicht bloß kompanien-, sondern regimenterweise Platz haben. Habe erst eine Anekdote der Art von einem alten Pferde gelesen. Ist ein Roßherz so weit, wie weit muß erst ein menschlich Herz sein und zwar ein junges, welches noch elastisch, nicht verknöchert ist!

Aber die Freundin tröstet umsonst, Luise weint immer bitterlicher, bis endlich die Freundin recht verlegen wird und sagt, sie müsse gehen, sie habe ein Rendezvous mit dem Geliebten. Ach, da weint Luise noch bitterlicher, ihr Lebtag hat sie noch nie ein Rendezvous gehabt als etwa mit ihrer Tante, der Frau Spendvögtin, wenn sie in verschiedener Gesellschaft waren im Winter und doch nur mit einem Laternchen heimgehen wollten. »Ach, das Luise ist doch herzgut«, sagt die Freundin, »ich wußte gar nicht, wie lieb ich ihm war. Du glaubst gar nicht, wie das arme Geschöpf weinte, als ich ihm sagte, ich sei versprochen, es hat mich recht können erbarmen. Es hätte dann niemand mehr auf der Welt, wenn ich ihns verlasse, hat es gejammert. Es ist wahr, verheiraten wird es sich per se nicht, Geschwister hat es keine, und wenn einmal die alte Spendvögtin weg ist, so wird es wirklich nicht wissen, wohin.«

Aber Luise dachte weder an die Freundin noch an die Spendvögtin, und darum weinte sie nicht, weil sie nicht in Ewigkeit ihr Haupt in ihren Schoß legen konnte, darnach fragte sie nichts; aber anderswohin hätte sie dasselbe für ihr Leben gerne gelegt, und weil sie dies nicht konnte, darum weinte sie so bitterlich. »Ach, will mich dann niemand lieben, und meinte ich es doch so gut, ach, und wie wollte ich einen glücklich machen, o anders als die andern alle, welche Egoistinnen sind! An mich denkt keiner! Eine nach der andern findet einen, ich keinen, ich muß allein bleiben, niemand hat mich lieb. Ai, ai!« So jammert Luise, hält die Hand aufs Herz, denn dort pocht es gewaltig, als ob es gesprungen sein müßte.

Und doch wurde Luise nicht neidisch, stellte sich nicht vor den Spiegel, verglich sich nicht mit der Glücklichen, fand sich nicht zehnmal hübscher als sie, und unbegreiflich, wo der Schlingel, der sie auserwählt, seine Augen gehabt, rupfte auch nicht der Freundin alle ihre Sünden auf, stellte die eigenen Tugenden daneben, sagte nicht; lief ebenfalls nicht bei den Freundinnen herum, zählte an den Fingern die Laster der Freundin her und schloß weinerlich, wie doch der arme Mensch sie daure, der meine, er kriege einen Tugendspiegel, und habe die schrecklichste Sündenbüchse auf Erden; wenn sie nur jemand wüßte, sie ließe ihn im Vertrauen warnen, es sei doch nicht recht, wenn man seinen Nächsten ins Unglück rennen sehe und gebe ihm keinen Wink. Von diesem allem sagte Luise nichts, sie dachte nur: Will mich denn keiner lieben? und wenn sie unter die Leute kam, so schien sie noch farbloser, redete noch leiser, und, wie gesagt, Worte, welche man mit den Händen hinter den Ohren auffangen muß, sind eben nicht förderlich, Liebe zu wecken und anzubrennen.

Endlich hatte sie nur noch eine Freundin, denn, wie gesagt, die Mädchen in dem Städtchen waren berühmt wegen der Zärtlichkeit, und eine herrlichere Aussicht auf Erden kannten sie nicht als die Aussicht, Spendvögtin, Seimeisterin, Seckelmeisterin oder gar Frau Ratsherrin zu werden. Für diese Aussichten schwärmten sie förmlich, während sie die Aussicht auf dem Niesen sehr fade fanden, dieweil kein Wirtshaus dort sich findet. Auf dem Faulhorn ist ein Wirtshaus, die Aussicht aber dumm; man sehe ja nur Berge, die könnten sie vom Haus aus auch sehen, und eigentlich wüßten sie nicht, was man an den Bergen sehe. Genau besehen sei ein Berg wie der andere. Da gefalle ihnen eine schöne Promenade, auf welcher Herren und Damen spazieren gingen, viel besser. Wegen den Herren wollten sie nun nichts sagen, aber wo viele Damen und Töchter spazierten, absonderlich wenn Fremde da seien, sehe man alleweil was Neues: neue Häubchen, neue Hüte, neuen Zeug (Kleider), kurz, immer was, das einem zu denken gebe, erstlich, wie man wohlfeil dazu kommen könnte, und zweitens, wie schön es einem stehen müßte. So kalkulierten sie.

Die letzte der Freundinnen hatte den Wahlspruch der alten Garde: die Garde stirbt, ergibt sich nicht, nicht zu dem ihren gemacht, sie hatte von je für die Aussicht, Vögtin oder gar Meisterin über irgend welchen Zweig der burgerlichen Verwaltung zu werden, stark geschwärmt, aber fruchtlos, war indessen nicht in Verzweiflung darüber geraten, denn Julie war ein zäh Ding, hielt sich am Vers: Wenn Hoffnung nicht wär, ich lebte nicht mehr! Diese Hoffnung ließ sie auch nicht zuschanden werden. Endlich auf einem Spaziergange im vergangenen Jahre, an einem schönen Sonntage nachmittags – in den Hundstagen war es – ging an ihrer Seite ein hölzernes Subjekt (Subalternbeamter) in Feuer auf. Es war ein Schreiber auf dem Amte mit großen Aussichten. Julie schrie begreiflich nicht Fürio, sie ließ brennen, was brennen wollte, ihr Herz und des Subjekts Herz, beide zusammen gaben eine artige Flamme. In diesen Flammen wurden beide eins, das heißt glücklich und rätig, Mann und Frau zu werden. Schon Montags in der Früh kam Julie zu Luise, ihr zu verkünden, wessen ihr Herz voll war. Wie da Luise weinte und trostlos war, kann man sich denken ...

Ihr Elend ging Julie zu Herzen, fast hätte sie mitgeweint, sie zeigte die herzlichste Teilnahme, las in den hintersten Winkeln die Trostgründe zusammen. Zwischendurch entrannen ihr Bruchstücke ihrer Aussichten und Gedanken, ob sie sich am Hochzeitstage schwarz oder weiß kleiden solle, mit einem Häubchen oder ohne Häubchen, den Blumenstrauß in der Hand oder angeheftet. Endlich schloß Julie, da alle Trostgründe bei Luise nicht anschlagen wollten: »Du mußt dabei sein, denn ich bin gekommen, dich zu bitten, meine Brautführerin zu sein. Mein Fritz hat mir gesagt, es müßte glänzend zugehn an unserer Hochzeit, drei oder gar vier Fuhrwerke müßten es sein. Näheres haben wir noch nichts abgeredet. Es hat gestern abend sich nicht alles ergeben mögen, und immer kam jemand dazwischen, hing sich an uns, wenn unsere Herzen im besten Zuge waren, und heute habe ich ihn noch nicht gesehen, meinen Fritz, den Spitzbuben – das hölzerne Subjekt.«

Luisens Tränen versiegten nicht auf der Stelle, aber doch schneller, als man hätte erwarten sollen. Wie nach einem Gewitterregen wächst und blüht, was noch wachsen und blühen kann, so wuchs aus Luisens Tränen eine Freude auf, die sie noch nie gehabt, die Freude, Brautjungfer sein zu können. Ganz wonniglich warm rieselte es in ihrem Herzen, wenn sie daran dachte, es war ihr halb und halb, als wäre sie selbsten Braut; Brautführerin war die gute Luise auch noch nie gewesen. Die einen ihrer Freundinnen dachten nicht an sie, andere wollten ihr die Kosten nicht verursachen, fürchteten, sie möchte gar zu armselig erscheinen und die Leute sagen, ob keine miserablere Brautführerin zu finden gewesen, das Hochzeitpaar müsse auch nichts Besonders sein. Endlich lagen wohl auch der Auswahl von Brautjungfern und Brautführern heimliche Pläne zugrunde, bald die Braut, bald der Bräutigam, bald beide zusammen wünschten die und jenen in Berührung zu bringen, Bekanntschaft zu vermitteln. Wo war dazu bessere Gelegenheit und wann die Herzen günstiger gestimmt als an einer Hochzeit und bei den Brautführern und Brautführerinnen, wenn sie, nachdem sie ihre Pflicht getan, Braut und Bräutigam zusammengeführt, diese vom Pfarrer eingesegnet, Arm in Arm die Kirche verlassen, sich nun gegenseitig die Arme geben, Paar und Paar hinter dem eigentlichen Paar herziehen: da wäre es doch wunderlich, wenn sie nicht auch Heiratsgedanken faßten und wenigstens als halbe Ehepaare sich vorkämen.

Luise hatte nie daran gedacht, daß sie auch Brautführerin sein könnte, nun jetzt einmal war sie erkoren, es war, als ob ihr ein Licht angezündet sei in der Seele. Gerne würden wir erzählen, wie dieses Licht, das da erschien in der Finsternis, leuchtete, den Funken folgen, welche aufstiegen von diesem Lichte, Raketen gleich, und wunderherrlich schwammen hoch oben als wie im Himmel, aber wir hätten nicht Papier genug. Lärm machte Luise dabei nicht, plagte auch Tante Spendvögtin wenig wegen der Toilette, aber fast kriegte sie Glanz auf die Wangen, und wer die Muße genommen hätte, sie zu beobachten, würde in ihren Augen ein süßes, seliges Träumen gelesen, gesehen haben, daß da hinten eine neue Welt aufgegangen sei, von welcher die eigentliche Welt keine Ahnung hatte. Vergeßlich ward Luise, und darüber führte die Spendvögtin bittere Klagen: »Aber Luise, was hast auch, keinen Kreuzer bist mehr wert, vergissest allesunter den Händen. Ich glaube bald, es fehle dir im Hirn und werdest ganz einfältig, das Gescheitest warest ohnehin nie«; so redete die Spendvögtin. Tante Spendvögtin hatte keine Ahnung der eigentlichen Ursache von Luisens Vergeßlichkeit, denn in ihrer Geschichte, wie sie den Spendvogt bekam, kam Vergeßlichkeit gar nicht vor.