Inhalt

Vorwort

Die Detlefsen-Gesellschaft Glückstadt, ein seit 1921 bestehender und mit Unterbrechungen (etwa in der Zeit des Zweiten Weltkrieges) tätiger Verein, hat es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, die Erinnerung an seinen Namensgeber, den Gymnasialprofessor Geheimrat Dr. Sönnich Detlef Friedrich Detlefsen, wach zu halten. Sein Todesjahr 1911 bot den Anlass, den Nestor der Regionalgeschichte der Holsteinischen Elbmarschen mit einem Colloquium zu ehren, bei dem verschiedene Aspekte seines Wirkens beleuchtet werden sollten. Mit der Vorlage des von Ruth Möller zusammengestellten Text-Buches zu Leben und Werk Detlefsens im Jahr 2010 war dazu ein wichtiger Anstoß gegeben worden. In einer Vorbereitungsrunde, zu der neben der Detlefsen-Gesellschaft auch das Detlefsen-Museum, das Detlefsen-Gymnasium und der Verein der Freunde und Förderer des Detlefsen-Museums zusammenkamen, wurde das Prozedere festgelegt. Glücklicherweise war es in der Vorbereitungsphase möglich, qualifizierte Vortragende zu gewinnen, die sich bereitfanden, bei der eintägigen Veranstaltung mitzuwirken. Die Durchführung selbst wurde vom Detlefsen-Museum, dem Verein der Freunde und Förderer des Detlefsen-Museums und von der Sparkasse Westholstein ermöglicht.

Die Veranstaltung wurde am 24. September 2011 im Detlefsen-Museum in Glückstadt durchgeführt. Nach Grußworten von Seiten der Stadt, des Museums und des Detlefsen-Gymnasiums konnten die Vorträge einem Publikum aus etwa 100 interessierten Menschen zu Gehör gebracht werden. Gespräche während der Veranstaltungspausen und in der Mittagspause brachten die Referenten untereinander und mit dem Publikum ins Gespräch. Das Colloquium wurde als besonderes geistiges Ereignis für Glückstadt auch in der Lokalpresse gewürdigt; auch die Teilnehmer haben es so empfunden.

Schon während des Colloquiums wurde das Interesse an einem Druck der Vorträge laut. Im Auftrage der Detlefsen-Gesellschaft übernahmen es Christian Boldt und Dr. Klaus-J. Lorenzen-Schmidt, die Beiträge zusammenzubringen und für den Druck fertigzumachen. Den Vortragenden ist für ihre Kooperation herzlich zu danken. Das Layout besorgte Claudia Boldt, wofür ihr unser Dank gilt.

Wir wünschen, dass auch mit der vorliegenden Publikation die Erinnerung an den großen Mitbürger Prof. Dr. Detlefsen wachgehalten wird – und dass sein Engagement für seine Stadt Glückstadt aber auch für die Erforschung der Geschichte der Holsteinischen Elbmarschen Nachfolger findet. Damit würde seinem Vermächtnis am ehesten entsprochen!

Glückstadt, im Sommer 2014

Christian Boldt

Klaus-J. Lorenzen-Schmidt

Von den Altertümern Roms zu den Altertümern der Elbmarschen. Der Altphilologe Sönnich Detlef Friedrich Detlefsen gründet ein Museum

Catharina Berents

Der Sammler der Altertümer der Elbmarschen

Die Geschichte des Detlefsen-Museums, ist – wie schon der Name andeutet – untrennbar verbunden mit der Person Sönnich Detlef Friedrich Detlefsens (Abb. Seite →, links). Diese Verbindung beginnt im am 5. April 1893, als Detlefsen einen „Aufruf zu einer culturgeschichtlichen Ausstellung für die holsteinischen Elbmarschen“ veröffentlicht (Abb. Seite →, rechts). Dort heißt es:

„Sehr viel an schönem alten Hausrat ist außer Landes verkauft, noch mehr verdorben und verkommen, manch alter Silberschmuck ist eingeschmolzen. Vieles jedoch ist noch in alten, ansässigen Familien erhalten, manches Stück steht in den Rumpelkammern oder in irgend einer verborgenen Ecke des Hauses, manches ist auch auf Auctionen von den Höfen in die Katen gewandert. Indes kann immer noch ein ernstlich durchgeführter Versuch, das Erhaltene zu sammeln und in passender Auswahl zu einer Ausstellung zu bringen, von Erfolg gekrönt sein und, wenn nicht nach allen, so doch nach vielen Seiten uns das alltägliche Leben sowohl, als auch den Festesglanz unserer Vorfahren wieder zur Von den Altertümern Roms zu den Altertümern der Elbmarschen.

Sönnich Detlef Friedrich Detlefsen, 25.9.1833 – 21.7.1911, Stadtarchiv im Detlefsen-Museum der Stadt Glückstadt.

„Aufruf zu einer culturgeschichtlichen Ausstellung für die holsteinischen Elbmarschen“, Glückstädter Fortuna, 5. April 1893, Stadtarchiv im Detlefsen-Museum der Stadt Glückstadt.

Anschauung bringen.… Es wird sich dabei um eine Sammlung von altem Hausgerät an Tischen, Stühlen, Schränken, Laden, Mangelbrettern u. dgl., von altem Porcellan und Steingut, von Zinn- und Messingsachen aus Stube und Küche, von Schmucksachen, besonders aus einheimischem Filigran, von alten Kleidungsstücken und Spitzen, von Stickereien, von alten Bildern, auf denen die früheren Trachten erkenntlich sind, von alten Bibeln, Hauspostillen, Gesangbüchern mit altem Beschlage, auch von den Kleinigkeiten des alltäglichen Gebrauchs, alten Leuchtern… und sonstigen Küchengeräten handeln.… und wir bitten schon jetzt die Hausherren und noch mehr die Hausfrauen, in ihren Wohnungen Umschau zu halten nach Gegenständen obiger Art.“1

Es zeichneten sechs weitere Bürger Glückstadts, deren Titel und Berufsbezeichnung eine Art Querschnitt durch das gehobene Bürgertum bilden, darunter der amtierende Bürgermeister Brandes, der Buchdrucker und Verleger Augustin und Sanitätsrath Dr. Halling. Der Aufruf, „die hier entstandenen und hier gebräuchlichen Sachen zu sammeln und aufzuarbeiten“, hat „in den Provinzen Anklang gefunden“, meldet Detlefsen: Bis zum Dezember 1893 kamen 1.200 „Nummern“ zusammen. Sie ergaben laut Detlefsen „ein recht gutes Bild des hiesigen Rokoko, des Hausfleißes und der Eigentümlichkeiten des hiesigen Lebens“2.

Detlefsen konnte seine erste Ausstellung der „Alterthümer der Elbmarschen“ vom 18. bis 24. Februar 1894 im Rahmen der Festversammlung der Landwirtschaftlichen Vereine des südwestlichen Holsteins in einem „Wirtshaus nahe bei Glückstadt“3 präsentieren. Es handelt sich dabei mit aller Wahrscheinlichkeit um das Wirtshaus Unter den Linden, denn das befand sich außerhalb der ehemaligen Stadtwälle.4 Innerhalb von sieben Tagen konnte er 3.100 Besucher begrüßen.

„Die Wirkung der Ausstellung ist eine tiefgreifende. Sehr erfreulich war die allgemeine Teilnahme, vom kleinen Manne bis zum reichsten brachte jeder, was er hatte, und unterwarf sich ruhig dem Urteil, ob es zur Ausstellung würdig sei oder nicht, es war ein wirklicher Wetteifer vorhanden, der die verschiedensten Stände und Leute einander näher brachte. Jeder freute sich des Glanzes, zu dem er sein Scherflein hatte beisteuern können,…“, so Detlefsen an seinen Freund Hermann Allmers am 20. März 1894.5 Uns ist glücklicherweise ein intensiver Briefwechsel zwischen Detlef Detlefsen und seinem Freund Hermann Allmers aus Rechtenfleth, den er während seiner Wanderjahre in Rom kennengelernt hatte, überliefert.

Die Glückstädter Fortuna berichtete fast täglich über den großen Zuspruch und die hohen Besucherzahlen der Ausstellung: „Am Mittwoch wurde die Alterthümer-Ausstellung von etwa 650 Personen und am Donnerstag von reichlich 400 besucht.“ triumphiert die Presse am 24. Februar. 6 Unter den Besuchern fanden sich auch einige prominente Fachkollegen, allen voran der befreundete Justus Brinckmann, der Gründer und Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg, Johanna Mestdorf, die Direktorin des Museums Vaterländischer Alterthümer in Kiel, sowie Heinrich Sauermann, der Gründer und Direktor des Kunstgewerbemuseums in Flensburg. Ich komme später auf die hinter diesen Personen stehenden Institutionen noch zurück.

Bereits am 22. Februar, also nach gerade mal vier Tagen Laufzeit der Ausstellung berichtet die Presse über einen Vortrag Detlefsens über die „Alterthümer-Ausstellung“, den er im Rahmen der Generalversammlung der Landwirtschaftlichen Vereine des südwestlichen Holsteins im Ausflugslokal Franscher Garten hielt: Es heißt dort: „In der wohlbekannten gemüthlichen Weise berichtete der Herr Professor [Detlefsen] über besonders bemerkenswerthe Einzelheiten der Ausstellung, zum Theil mit großem Humor, daß die Heiterkeit der Hörer vielfach die Worte des Redners übertönte. [Der] Referent schloß mit der Bitte an die Aussteller und etwaigen weiteren Besitzer von Alterthümern, dieselbe zur Gründung eines Museums am hiesigen Orte zu belassen.“7 Hier wird erstmals das Anliegen, ein Museum zu gründen, an die Öffentlichkeit herangetragen. Offenbar ein längst fälliges Desiderat: Denn bereits wenige Tage nach der überaus erfolgreichen „Alterthümer-Ausstellung“ liest man in der Glückstädter Fortuna vom 3. März 1894:

„Der bei Gelegenheit der Alterthümer-Ausstellung angeregte Gedanke, ein kleines, ausschließlich für die Denkwürdigkeiten unserer Elbmarschen bestimmtes Museum einzurichten, hat in weiten Kreisen der Stadt- und Landbevölkerung Anklang gefunden. Dasselbe wird hauptsächlich durch Geschenke zu begründen und zu vervollständigen sein, und um es hier am Orte einzurichten, sind bereits die ersten Schritte gethan. Von den Ausstellern haben sich zunächst schon 25 mit folgenden Geschenken an der Gründung betheiligt; (…)“8 Es folgt eine Auflistung der Gegenstände, die in den Besitz der Alterthümer-Sammlung übergehen mit Namen der Spender und der Ankündigung von Seiten der Glückstädter Fortuna über alle weiteren Geschenke Bericht zu erstatten. Detlefsen hatte aber schon sehr viel länger eine Museumsgründung im Sinn. Am 26. Dezember 1893 schreibt er an seinen Freund Hermann Allmers in Zusammenhang mit seinem Ausstellungsprojekt: „Der Schlußerfolg wird aber hoffentlich der sein, daß wir ein dauerndes Museum gründen wie das Meldorfer.“9

Die 90er Jahre des vorletzten Jahrhunderts waren die richtigen Jahre für eine Museumsgründung. Denn in dieser Zeit existierten gerade noch die Zeugen des sogenannten „Hausfleißes“ und der handwerklichen Produktion Norddeutschlands; und die galt es zu retten. Die alten Geschirre, die Trachten und die Möbel wurden zunehmend durch Fabrikware ersetzt. Der Aufruf von 1893 beginnt mit folgender Feststellung: „Die letzten 50 Jahre haben in unserem Lande nicht bloß in den staatlichen Zuständen, sondern auch in Sitten und Gebräuchen, Tracht und häuslicher Einrichtung, sowie in der ganzen Lebensführung eine so tiefgreifende Veränderung hervorgerufen, dass es schon schwer wird, sich ein klares Bild von den Zuständen am Beginn dieses Jahrhunderts zu machen. Das gilt besonders auch für unsere Elbmaschen.“10

Die Rekonstruktion der Glückstädter Tracht (Abb. Seite →, links) ist ein sehr schönes Beispiel: Detlefsen schreibt dazu an Allmers: „ Zunächst war es uns möglich noch ein vollständiges Exemplar der Frauentracht zu finden. Wir haben die Urenkelin der Frau, zu deren Hochzeit der Anzug im Jahre 1793 verfertigt wurde, darin photographieren lassen, und ich sende Dir davon hiermit ein Exemplar. Die Tracht gehört meines Erachtens zu den geschmackvollsten, am wenigsten auffallenden Volkstrachten.“ Diese Fotografie befindet sich glücklicherweise auch heute noch im Bestand des Detlefsen-Museums und ist in der 2008 vollendeten Neukonzeption der Dauerausstellung im Saal zu den „Bäuerlichen Lebenswelten“ thematisiert und abgebildet.

Glückstädter Hochzeitstracht, 1793, Fotografie, angefertigt 1893/94 von Detlef Detlefsen. Die Fotografie zeigt die Enkelin der Braut, für die die Tracht angefertigt wurde. Detlefsen-Museum Glückstadt.

Der junge Gymnasiallehrer Detlef Detlefsen, um 1865, Stadtarchiv im Detlefsen-Museum der Stadt Glückstadt.

Die Tracht selbst, die die junge Frau auf der Fotografie trägt, haben wir leider nicht, aber, wie Detlefsen weiter beschreibt: „Einzelne Teile derselben, Röcke aus eingewebtem Wollenzeuge, Rümpfe aus Damast und Brokat, seidene Tücher und Flortücher, Bänder, Spitzen, Taschentücher, fanden sich reichlich und schön erhalten. Die alten trockenen Holzkoffer und Truhen, in denen unsere Bauerfrauen sie aufbewahren, und von denen einzelne mit ihrem Schnitzwerk und der alten Bemalung mit ausgestellt waren, sind offenbar sehr geeignet, das Zeug vor dem Verspaken und Verschießen der Farbe zu schützen.“11 Anstelle der beschriebenen „geschmackvollen“ Trachten waren längst Textilien aus industrieller Produktion getreten.

Otto Lehmann, der erste Direktor des Altonaer Museums, der 1899 sein Amt antrat, und ein Freund Detlefsens war, hat in seinen 1939 niedergeschriebenen Lebenserinnerungen ein plastisches Bild von der Radikalität des Umsturzes auf dem Land und in den kleinen Städten Norddeutschlands gegeben.12 Um sich ein Bild von den Kulturgütern Schleswig-Holsteins zu machen und die einschlägigen Objekte für sein zu gründendes Museum zu sichten, unternahm er ausgedehnte Reisen ins Land. Er hatte mit dem Altonaer Fischdampfer Alster 1892 seine Reise „Zur See“ begonnen, um zunächst alles über den Fischfang an der Nordsee zu erfahren.13 Über die Landbevölkerung schreibt er: „Der Bauer legte… keinen Wert mehr auf den ehrwürdigen Hausrat seiner Vorfahren. Das Neue der Stadt reizte ihn, war er doch ein fortschrittlich gesinnter Mensch! Willig trennte er sich von den geschnitzten Truhen, von den prachtvollen Schränken und dem Metallgerät, das einst der Stolz der Großeltern und Urgroßeltern in Stube und Küche gewesen war. Er gab alles wohlfeil ab. So haben diese Ankäufer im Verein mit anderen geschäftstüchtigen Händlern und Museumsdirektoren Deutschlands und auch des Auslands unsere reichen Marschen gründlich ausgenommen. Die Wände der bäuerlichen Stuben wurden der Kacheln beraubt, von dem Erlös wurden sie mit billigen Tapeten beklebt. An die Stelle der handfesten, von Handwerkern gearbeiteten Stühle, der großen Tische mit Kugelfüßen und geschnitzter Zarge traten Polstermöbel, Fabrikware, die in den Möbelgeschäften der Stadt gekauft oder von reisenden Handelsjuden dem Bauern angepriesen wurden.“14

Lehmann bezog seinen eigenen Berufsstand in die Kritik mit ein, denn mit den „geschäftstüchtigen Museumsdirektoren“ könnten auch Detlefsen, Sauerman, Mesdorf, Brinckmann und letztlich er selbst gemeint sein, waren sie nicht alle nach diesem Verfahren vorgegangen? Aber sie hatten auch alle dieselbe Agenda, nämlich die Kulturgüter ihrer Heimat in Schleswig-Holstein für die Nachwelt zu bewahren. Und wie wir wissen, hat Detlefsen seine Sammlung zunächst nur auf Schenkungen aufgebaut und damit ein behutsames Vorgehen praktiziert. Zwischen Otto Lehmann und Detlef Detlefsen hatte seit 1895 eine freundschaftliche und kollegiale Verbindung bestanden. Das zeigte sich vor allem in der Rede Lehmanns anlässlich der Gedenkfeier zum 100. Geburtstag von Detlefsen am 25. September 1933. Die Glückstädter Fortuna berichtete über die Feier, die im gerade restaurierten Sitzungszimmer des früheren Obergerichts stattfand: „Das Leben dieses seltenen Mannes… verläuft in einem Rund, ausgehend von der Haseldorfer Marsch, nachdem er fast die ganze Welt umspannt hatte.… Eine seltsame Geschichte war es, die mich 1895 mit ihm verband. Es war… zu dem Thema, wie von der Schule aus Anregung gegeben werden könne, die Bildung des Heimatortes zu fördern. Ich gewann bald das Gefühl, in ihm einen Menschen und väterlichen Freund ansehen zu dürfen. Dieser Mann, der seiner Umgebung ungeheuer viel war, der sich in seinen späteren Arbeiten der Frage der Bildung der Menschen widmete. Er gab der Stadt Glückstadt ein geistiges Gepräge, er war es, der Heimatsinn und Forschung die Richtung gab.“15

Die persönlichen Motive Detlefsens

Um die persönlichen Motive und Intentionen Detlefsens für die Gründung eines Museums zu verstehen, muss man auch in seiner Geschichte zurückgehen. Sönnich Detlef Friedrich Detlefsen wurde am 25. September 1833 in Neuendeich im Kirchspiel Ütersen geboren. Durch die berufliche Veränderung seines Vaters, der Grundschullehrer war und an die Glückstädter Bürgerschule wechselte, kam der junge Detlefsen nach Glückstadt und besuchte von 1842 bis 1850 die Gelehrtenschule, das heutige Detlefsengymnasium. Das philologisch beeinflusste Lehrprogramm mag ihn schon zu Schulzeiten geprägt und seinen weiteren Ausbildungsweg vorbestimmt haben. Im Herbst 1850 schrieb er sich an der Universität Kiel für Philologie und Theologie ein, wo er am 24. April 1855 promoviert wurde, nachdem er Studienaufenthalte in Bonn und Berlin absolviert hatte.

Die Wissenschaft wurde erstmals aufmerksam auf ihn, als er während seiner anschließenden Tätigkeit als Hauslehrer in Wien ein Palimpsest mit Bruchstücken der Naturalis historia des älteren Plinius entdeckte und editierte. Ein Forschungsstipendium der dänischen Krone ermöglichte ihm einen mehrjährigen Aufenthalt von 1858–62 in Rom und Florenz für seine vergleichenden Plinius-Studien. Im Anschluss an einen Forschungsauftrag für die Pariser Akademie der Wissenschaften zu Caesars Handschriften in norditalienischen Bibliotheken kehrte er 1863 nach Deutschland zurück. Zunächst arbeitete er als Lehrer in Kiel und Flensburg, um schließlich 1865 an die Gelehrtenschule nach Glückstadt zu gehen, wo er 1879 die Position des Gymnasialdirektors übernahm (Abb. Seite →, rechts). 1875 erhielt er die Professorenwürde, 1890 den Adlerorden 4. Klasse und 1904 erfolgte die Ernennung zum Geheimrat.

In Glückstadt wirkte Detlefsen auch als Stadtvertreter, und er war es auch, der für die Rekonstruktion des baufälligen Rathauses Sorge trug. Aufgrund schlechter Fundamente war das Gebäude in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts baufällig geworden.16

Detlef Detlefsen war also von Haus aus Philologe, ein „Liebhaber des Wortes“ mit der nicht ganz kleinen Verengung auf „Wort der Antike“. In der Zeit vor 1900 versuchte man in Deutschland den Gegenstand des Faches der Altphilologen durch einen Ruf „zu den Sachen“, „zu den Realien“ auszuweiten. Wer in dieser Beziehung keiner Aufforderung bedurfte, war Detlefsen. Er hatte zu diesem Zeitpunkt sechs Bände Plinius-Studien vorgelegt. Plinius d. Ä. (23–79 n. Chr.) ist der Autor des „Sachbuches“ der Antike gewesen. Er verfasste in seiner Naturalis historia ein Kompendium des damaligen Wissens und behandelte Gebiete wie das Handwerk, die Bildenden Künste, die Geographie etc.

Detlefsen nun widmete sich in Glückstadt, also in großer Entfernung und auf Grundlagen von Büchern und Manuskripten den reichen und lebendigen Sachverhalten der antiken Quellenschriften. Spät, 1904, veröffentlichte er das Buch Die Entdeckung des germanischen Nordens im Altertum – das beschreibt genau den Weg, den Detlefsen ging, wenn man statt Altertum seine Gegenwart einsetzt. Es war ein kleiner, aber von den meisten Kollegen nicht getaner Schritt die „Altertümer“ in ihrer Materialität und nicht Papierform auch vor Ort zu suchen. Tatsächlich spricht Detlefsen gerne von „Alterthümern“, wenn er seine Sammlung beschreibt, genau wissend, dass sie nicht weiter zurückreicht als bis zum Rokoko. Der „Plinius der Elbmarschen“ war zu seinem Museumsprojekt aber klassisch durch die Geschichtsschreibung gelangt: sein Hauptwerk als Landeshistoriker sind die zwei Bände Geschichte der holsteinischen Elbmarschen von 1891/2. Die Sammlung wurde im Anschluss daran das sachliche Pendant, das große Gegenstück in den Objekten, das er als Plinius-Forscher bei der Arbeit an den Schriftquellen vermisst hatte. In seinen Selbstäußerungen ist der Sammler immer wieder überrascht über den Reichtum der durch die Modernisierung verdrängten Objekte: Man muss sich vorstellen, dass Detlefsen im Jahre 1894 die heimische Tracht nur durch ein museales Fundstück rekonstruieren konnte. „Nie hätte ich gedacht, diese Fülle schöner Sachen in den Bauernhöfen zu finden.“17 staunte er Allmers gegenüber.

Kulturpolitische Ziele – Wege zu einer regionalen Identitätsstiftung

Detlefsens Aktivitäten hatten in weiter Hinsicht kulturpolitische wie auch sozialpolitische Ziele. Es ging ihm letztlich darum, eine regionale Identitätsfindung zu initialisieren.

Bereits 1871 war er maßgeblich daran beteiligt, den Glückstädter Arbeiterverein ins Leben zu rufen, der „Lehrlingen, Gesellen und jungen Arbeitern Bildung vermitteln wollte und als Bollwerk gegen den wachsenden Einfluss der sozialistischen Arbeiterbewegung gedacht war“, so Lorenzen-Schmidt.18 Die volkspädagogische Intention verband sich im Verlauf der starken Modernisierung des Zeitalters mit einem Bestreben, die Komponente „Heimatschutz“ zu stärken. „Mir scheint es gerade jetzt, wo das Leben die Menschen weit mehr durcheinander wirft als früher, an der Zeit zu sein, auf die Besonderheit der einzelnen Stämme und Landschaften aufmerksam zu machen; denn gar manche der lebenskräftigen Wurzeln des Patriotischen ziehen ihre Nahrung aus dem Boden der eigentlichen Heimat.“19 So Detlefsen an Allmers in seinem Weihnachtsbrief 1895.

Direkt nach der „Althertümer-Ausstellung“ schreibt er an seinen Freund über die Wirkung der Objekte auf „Selbstgefühl und die Selbstachtung“ des Publikums, sowie auf die Stärkung eines Gemeinschaftsbewusstseins jenseits der Klassenschranken: „Insbesondere unsere Städter und Bauern haben dazu ihre alte Herrlichkeit einmal beieinander gesehen.“ Er betont das „besonders wichtige Gefühl, daß wir trotz unserer mannigfach verschiedenen Lebensstellung und Bildung doch nur Teile eines größeren Ganzen sind“.20 Die „Herrlichkeit“, die Detlefsen hier anspricht, war die alte „Herrlichkeit“ der dänischen Zeit, der Zeit vor der Industrialisierung und vor der Reichsgründung, deren Anhänger er auf der anderen Seite war. Seine Überlegungen gehören zu den ganz frühen Zeugnissen einer Ideologie der regionalen Identitätsfindung.

Landes- und Regionalmuseen im Vergleich

Sieht man die Glückstädter „Alterthümersammlung“ im Vergleich mit den Landes- und Regionalmuseen, so wird schnell klar, dass die Gründung des Detlefsen-Museums Teil einer Bewegung ist. „Ein Erfolg unserer Ausstellung ist auch der,“ schreibt Detlefsen stolz an seinen Freund, „daß bereits im Herbst eine gleichartige Ausstellung in Husum21 geschaffen werden soll, auf der die Altertümer von Eiderstedt, Nordfriesland und den friesischen Inseln zur Ansicht kommen sollen.“22

Ein Vorreiter war das Museum vaterländischer Alterthümer in Kiel, das bereits 1836 gegründet wurde.23 1873 trat Johanna Mestorf ihre Stelle als Kuratorin an und 1891 wurde sie zur Direktorin berufen.

Nach 1870 kam es an zahlreichen Orten zur Gründung von Heimatund Landesmuseen, die keine hohe Kunst mehr sammelten, sondern im regionalen Maßstab das Kunstgewerbe, die Volkskunst und die Objekte aus der religiösen Sphäre zusammentrugen. Mit dem Museum Dithmarscher Alterthümer in Meldorf, das 1872 gegründet wurde und 1896 seinen Bau erhielt – einer der ersten Museumsbauten in Schleswig-Holstein – waren die ländlichen Regionen sehr früh dabei. Die Innengliederung des Gebäudes gleicht einem niedersächsischen Bauernhaus (Abb. Seite →, oben links). Die Gründer, im Übrigen eine Gruppe von Lehrern, legten bewusst einen kunstgewerblichem Schwerpunkt fest.24 Es folgte die Stadt Flensburg, die im selben Jahr die Sammlung des Möbelschreiners Heinrich Sauermann aufkaufte und diesen zum ersten Direktor des Museums machte, welches 1903 seinen ersten Bau erhielt. Das Altonaer Museum mit Otto Lehmann als seinem Gründungsdirektor begann erst 1899 bzw. 1901 (Abb. Seite →, oben rechts). Es fällt in diesem Zusammenhang auf, dass die Gründungsgeschichte des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe nach exakt demselben Schema vorausging, mit dem in Glückstadt operiert wurde: 1866 gab es den ersten Aufruf zur Gründung, 1869 die erste Ausstellung, dann folgte ein zweiter Aufruf, und 1874 erhielt die bereits bestehende Sammlung ihr erstes Domizil. Der Gründer – der Jurist und Kulturkritiker Justus Brinckmann wurde Direktor (Abb. Seite →, unten). 1877 konnte das neue Gebäude am Steintorplatz als „Staatliches Technikum und Museum für Kunst und Gewerbe“ eröffnet werden.

Dithmarscher Landesmuseum, Meldorf, gegründet 1872, Halle, Dithmarscher Landesmuseum, Meldorf.

Altonaer Museum, 1901, Altonaer Museum/Norddeutsches Landesmuseum, Hamburg.

Justus Brinckmann (1843–1915) in seinem Arbeitszimmer, um 1895, Brinkmann gründete 1866 das Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg.

Brinckmann besuchte nicht nur Detlefsens Ausstellung 1894 in Glückstadt, er hatte auch an deren Gestaltung maßgeblich Einfluss genommen. In der hiesigen Tageszeitung Glückstädter Fortuna