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© 2016 Henry-Martin Klemt
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7392-8684-6
... Aber man sieht eben nicht nur mit dem Auge. Wenn die Seele, warum auch immer, sich nicht geöffnet hat, dringt nix ins Bewusstsein. Und das geht schnell, wenn alles verstellt ist von Sorgen und Problemen. Ich glaube, daß ich deshalb schon immer schreibe — sehen wollen, die Seele freimachen für das, was vor ihr, um sie herum ist, eine tiefe Art Entspannung, in der sogar Schmerz eine sanftere Form annimmt ...
... Mein frühestes Erleben von Pflanze und Tier war die Entdeckung, daß alles Lebendige seine eigene Innerlichkeit hat, der man über die Lebens- und Existenzform näherkommen kann. Ich begriff mich als menschliches Wesen tiefer, war aber fern davon, alles zu vermenschlichen. Es hat mich frühzeitig die tiefe Achtung vor dem anderen Sein gelehrt. So wurde mir bewußt, daß ich auch den Menschen nur durch mich, aber wiederum als ganz anderen sehen muß ...
... Wer denkt an den anderen? Wer sorgt sich nicht nur im Reden? Wer redet weniger, wenn er sieht? Wer kann sich freuen, aber nicht zu laut? Wer kann still sein, aber nicht zu lange? Wer fragt nach Gedanken, nicht nur: Wie geht´s? Wer erzählt mehr von sich als er vom anderen hören will? Wer will mit Neugier sich oder den anderen bewegen? Wichtig ist, dass man nicht vergißt. Andere Rezepte gegen den Tod gibt es noch nicht. Nicht die beste Religion vermag mir Besseres zu geben. Viele ihrer unterscheiden sich da in ihrer Eitelkeit gar nicht. Diese Wahrheit nimmt man von Toten und gibt sie Lebenden ...
... Klarheit und Geheimnis — der Mensch braucht beides ...
... Die stärksten Schuldgefühle kommen nicht von falschem Tun – sondern von Nichtgetanem, Unterlassenem ...
Eva Schönewerk
Eva Schönewerk war eine Dichterin von Rang. Wenn sie es wusste, nahm sie es nicht wichtig. Sie hat nie versucht, einen eigenen Gedichtband herauszugeben. Einige ihrer Arbeiten erschienen in Zeitschriften und Anthologien. Wenn sie sich einmal aufs Geratewohl an einem Lyrikwettbewerb beteiligte und einen Preis erhielt, war sie eher erstaunt.
Als Eva Camilla Obst am 5. November 1946 in Kranichfeld geboren, begann sie als Kind zu schreiben und besuchte später den Zirkel schreibender Arbeiter in Weimar. An der Erweiterten Oberschule Bad Berka legte sie das Abitur ab und studierte anschließend Germanistik und Geschichte an der Friedrich-Schiller- Universität in Jena. Dort lernte sie auch ihren späteren Ehemann Klaus-Dieter Schönewerk kennen. Zwei Jahre arbeitete sie als Lehrerin in Kölleda. Nach ihrer Hochzeit zog sie 1971 nach Berlin und unterrichtete an der Pestalozzi-Oberschule. 1974 brachte sie ihren Sohn Kai zur Welt, der nur wenige Tage lebte. Von 1979 bis 1982 war Eva Schönewerk im Zentralen Methodischen Kabinett des Ministeriums für Volksbildung tätig. Nach dem Direktstudium am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ 1982 bis 1986 arbeitete sie mit schreibenden Kindern und Jugendlichen am Pionierpalast Ernst Thälmann / FEZ Wuhlheide. Sie selbst nannte sich eine Poesiepädagogin. Neugier, Lebendigkeit, Lust an der eigenen schöpferischen Fähigkeit — damit steckte sie nicht nur Heranwachsende an, sondern ermutigte oft auch Erwachsene, sich auf sich selbst zu besinnen. Kunst und Literatur spielten die Hauptrolle dabei.
Henry-Martin Klemt, geboren 1960 in Berlin, betreut den literarischen Nachlass von Eva Schönewerk. Er selbst ist Lyriker, Liedtexter und Nachdichter, freiberuflicher Text- und Bild-Journalist, hat sieben Gedichtbände veröffentlicht sowie an zahlreichen CD-Produktionen mitgewirkt, und lebt mit seiner Familie in Frankfurt (Oder). 2016 erscheint mit „wurzelland. wo“, sein achter Lyrikband. Die Dichterin Eva Schönewerk spielte in seinem Leben eine bedeutsame Rolle. Er lernte sie als Zwölfjähriger kennen. Sie unterrichtete Deutsch, und er vertraute ihr seine ersten eigenen Texte an. Daraus erwuchs eine lebenslange Freundschaft. Eva Schönewerk nahm ihn mit in den von ihrem Mann und ihr gegründeten Zirkel schreibender Arbeiter des Neuen Deutschlands (heute Friedrichshainer Autorenkreis). Während des Studiums am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ waren Eva Schönewerk und Henry-Martin Klemt Kommilitonen. Zeitweise teilten sie sich auch die WG. Wenn andere Menschen sagen: Ich denke an dich, dann sagte Eva Schönewerk: Ich denke zu dir hin. Vielleicht beschreibt das ihr Wesen am besten. Sie hat sich immer auf den Weg zu Menschen gemacht, um bei ihnen zu sein, um mit ihnen die Kunst des Annehmenkönnens und des Angenommenseins zu genießen. Sie konnte geduldig sein, aber nur in der Natur und in ihren Gedichten wartete sie darauf, dass die Dinge von selber zu ihr kämen. Das machte sie nicht nur zu einer bemerkenswerten Dichterin, sondern auch zu einem besonderen Menschen.
Am Ast, am Baum im Garten
Hinter ihm sah ich Raum
Und dahinter
Weltraum
Und dahinter
Vielmal viele
Viele Weltenräume
Und dahinter
Das Unsichtbare
Wurde
Immer größer
Mit jeder Faser
mein Leben
Wie Harz in den Adern
so schreit Holz, wenn
ich nicht hör seine
und meine Stimme: ein Lied
der Schrei des Hähers
trifft mich ins Herz
1979
kratzdistels roter schmerz, sagt sie,
wie spucke auf dem reibstein, mein
nackter fuß ist warm, in der höhle
der schenkel schwitzt das vögelchen,
sagt sie, öffnet den schnabel, sagt sie
seht ihr, und spreizt die beine, daß wir die kleine
zunge sehn, o, sagen wir, und
bestaunen die feuerwanze, die
auf ihren zeh kriecht.
***
Jenzig
horniger Glatzkopf
mit märzlichtem Bart
Gebirge meiner Enge
Wenn das
Mondlicht noch
silbern auf deine Augen adert
schmückt die Spitze sich schon
mit den roten Schleiern des Morgens
Grelle Spiegellichter
zerschneiden das Gesicht
bohren schwarze Löcher
in die Augen
Tot das Gesicht
im weißen Wirbel des Lichts
ein bleiches Laken liegt auf
1967
Erde,
dein Bauer bin ich, der
in deinen Wettern wohnt, ganz
Klang deines Steins,
der schwer vom Berg
zur Sohle schlägt, sitz
gern in der Kehle der
Lerche, die du
mit Sehnsucht in den Himmel
treibst.
Wie Gras kann ich wachsen dir
aus der Brust, in den
Sonnenbogen prägen
deine Spur.
Hängst manchmal schwer
an den Füßen mir und
am Kleid. Wenn ich,
wie Mond über deinen Schlünden,
suchen geh
nach meinesgleichen,
dann trägt mich im
Sturm die Flugbahn
deiner Vögel.
Als die Distel noch
Herrscherin der Parzelle
war, brannte abends
ihr Hohn in der Haut,
stießen wir mit müdem Stahl
auf Stein, hämmerten
morgens die
Glieder.
Reicht ins Heute noch, Land,
dein Horizont, wenn die
Maschine die Ferne
bis vor die Tür bläst,
weicher schon
wurde die Hand, zaghafter
nicht.
Steine suchen
als Souvenir um den Hals.
Pfeifen ein Lied
dem Wind und
haben den Blick aufgerichtet.
***
Als aus den Zweigen
fiel
ein Blatt
auf
meinen Schoß
saß ich ganz still und
grub mich in
sein Flüstern.
Kennst du mich wieder, ich
bin jener Sproß
der sich im März in deinem
Haar verfing.
Ich hob es auf
sah nur das
Blatt, herbstbunt.
Das laute Herz, es wurde plötzlich schwer
als ob es eilt, weil es verstanden hat –
Der Wind trieb hinterher
1965
Meine Jugend war
Warten auf die Stunde, wo ich
mich umseh
mit Staunen
An einem Baum im Park, da
der Abend noch flammt, und
das Erinnern
umwebt
mich ganz: für etwas, sei es
das Blut, die Liebe oder
der Freund
aus einem früheren Leben
da das Begehren sich flüchtig
erhob und die Zukunft
gebar für eine Zeit
ohne größeren Wunsch
Und ich seh
das bis dahin Tiefste
in meinem Leben, was
andere „nicht viel“ nennen mögen
An einem Baum im Park, wohin
der wärmere Wind kam, seh ich
das Eis sich verlieren, so
wie es sich verschloß: still
nach all den kühleren Schatten. Wie
es sich auftut, als
wollts nie anderes
und nicht mehr
Unter ihren breiten Armen
Lernte ich erobern
Schrittweis
Die Welt mir so
Wie die Erde Kraft gab
Und Lust
Flog das Warum
Hoch zu den
Eilenden Wolken
Gab sie den Träumen
Füße den Wünschen
Vorauszueilen.
Da hatte jeder Baum
Noch Name und Stimme.
Feldblume und Käfer
Ihr buntes Lächeln.
Trugs in alle Stuben.
Ihr Herd Flamme und Licht
War jeden Mittag
Ein feierlicher Mai, wo
Sie gab mit vollen
Händen
Und an der Schwelle
Zum Morgen die Sorgen
Einschloss
Nicht zu beschweren
Den kühnen Schritt
Hinter die sieben Berge
Mit Tränen.
Trug doch die Stiefel
Sehnsucht selbst
Zum Windwunder
Klatschmohn. Mittag.
Zur Weide des Abends,
wo die Stunden
sich bäumen,
Wildpferde,
schwarzbraun
im Dämmer
und
Füllt den Rest des Lebens
Mit Worten noch immer,
nur die Stunden zählen,
wo sich auftut das Tor,
einer in Besitz nimmt
das gerichtete Bett und
die frischen Blumen,
heimlich gepflückt und schnell.
Bist du gebannt
Im falschen Kreis
Bleib stumm, du schadest nur
Weil man dich versteht
Und nichts weiß
der schnitt verrät ihn
nicht das holz
ist die wunde
sondern das herz
1980
ein grüngeschecktes krokodil
auf knochengrauem
muschelkalkfels
auf seinem rücken
schieferdach erker hungerturm
die letzte magd der letzten herrin
die alte nun
leicht vergesslich
klingelt
mit dem einlassgroschen
sie kennt noch alle
sechsundachtzig räume
und die launen der obrigen
Und vor dem Tor die Kinder.
Der Kinder Zeit: ein Schloß.
Die Linde wächst nicht mehr, nur Blätter
Fallen, solang sie steht.
Das Wort aus grüner Farbe
Schweigt tief. Im Holz.
Wie Liebe schweigt,
wenn sie nicht wachsen kann.
1983
Kehren die Kraniche wieder
zu dir und suchen
an deinen Ufern Raum
und schließen
das Schweigen der Weiden
dir auf, am Rande die Wälder
reden stumm.
Spannt uns die Lust, in
ihren Schatten zu wohnen, wo
das Gras in den Wurzeln
singt, treibts uns doch hin
zu den großen Wassern, wo
die Stürme sich streiten
auf den Wellen.
Die Schatten der Wälder
säuseln zeitweis zu üppig
uns an, aber die Unruh
treibt noch immer
zum Strom von der Quelle an.
Da, wo ich herkomm, tauschen
Auge und Ohr die Stimmen der
Erde aus. Da, wo du, Freund
der Riesen, dich öffnest,
kann ich erst atmen,
schlägt mein Puls in
den Adern des Waldes.
Wie begreift dein Ohr, daß
die Dämmerung rauscht,
Zwischen hoher Sonne und
Tür sagst du: Baum und Vogel.
Ich erkenn die Bäume
an ihren Takten, die sie
zeichnen in die Ebene.
Die Räder unter deinen
Füßen fressen die
Landschaftsplakate stumm.
Antäus verlor die Kraft,
hob er den Fuß von der Erde,
Du wunderst dich auf
dem bequemen Asphalt.
Du wunderst dich,
red ich vom Wind, vom Nebel,
von der Träne des Halms
zwischen Tag und Nacht.
Aber in mir hängt
Erinnern wie ein
verlassenes Nest.
Einsam der Wald im Frühlicht
Perle und Glas
Zerbrechliches Netz
auf allen Gräsern.
Brennessel, Distel und Wiesenstorchschnabel
ins enge, gebogene Tal
flach gedrängt, da
rötet ihr Widerstand
meine Lust.
Verwachsen krumiger Pfad drängt
mich näher zu
den alten Bäumen. Wie weise
sie schweigen im Holz.
Kann wieder hören das
Fallen der nachtfrischen Tropfen
von Blatt zu Blatte,
leichthin, ohne Zwang
des, ach so launigen Winds.
Auf meinem Weg folgen
die fernen Straßen mir
wie das Summen
der Bienen. Hier
kann ich, wenn nicht
vergessen, sie nehmen
mit Nachsicht. Und
komm ich zurück, dann
red ich mit anderer Stimme.
Still fällts herein.
Fensterflügelweit. Hände
Nehmt, was wie Seide
Reißt. Im Feld schliefs
Oder im Wald oder
Im Kirschbaum. Der steht noch
In weißem Atem davon.
Das zieht die Lerchen
Hinauf, wo der Mond
Hockt, fremd
Meinem Vogelbeermund.
Drauf zu, ruf ich, ehe
Die Amsel singt
Im Nest der Nacht, doch
Die Gräser stehn
Nach so vielen Tagfeuern
Frisch, endlich
Hör ich sie wieder
Geheimreden, und Abschied ist sanfter.
Da ist der Wald.
Sein düstres Schweigen deine Rede.
Der dumpfe Sinn
ein Wolkenüberhang.
Verzweigte Pfade der gedachten Wege.
Vereinzelt Vogelruf –
von deinem Wort ein Klang.
Wo ist die Lichtung,
Sonne in den Spuren?
Der Tag hat sich hier ängstlich
abgegrenzt.
Lichtes Gestrüpp –
nur feige Randfiguren:
fürs Vogelnest,
wo du dich suchst und
von dir selber trennst.
Verlaßner Wald und du. Und
tausend Tonnen Tollkirschblättertee.
Sucht ich den Wald
nach allen Giften ab,
fänd ich den Kalmus auch im Schnee?
Seh ich den Weg schon
zum bemoosten Grab?
I
vom kahlen wurzelstock
im wiesengrund
ein schritt zur mitte hin:
brücke zum ufer hier
zum ufer dort
und zwischendrin: metallband
silbergrau
wie die bewegung gern
nach einem punkte strebt:
im widerspruch zieht meinen blick
die sanfte unruh an
II
erinnern ist von dieser art:
ein bild holt oft
das andre nach und