Vorwort

In der Vorgeschichte zu diesem Buch – „Immer diese Klasse!“ – hat es schlimm angefangen: Von achtundzwanzig Schülern der Id, einer ersten Klasse der Handelsakademie, einer kaufmännischen Schule in Österreich, sind im Frühjahr nur noch dreiundzwanzig Schüler übrig geblieben. Diesem zerstrittenen Rest droht die Auflösung der Klasse: Im Herbst sollen jene Schüler, die durchkommen, auf die Nachbarklassen aufgeteilt werden, die alte Klassengemeinschaft wird zerrissen.

Aber was heißt schon „Klassengemeinschaft“? So etwas hat die Id offenbar nie gekannt – außer bei einem Schulturnier, wo ein paar Mädchen für Burschen als Fußballer eingesprungen sind. Ein Lichtblick war zuletzt auch der Wandertag mit Religionslehrer Bogner. Aber warum sollte gerade ein Religionslehrer eine Klassengemeinschaft retten können?

Inhalt

1

Falsche Hoffnungen?

Die erste Unterrichtsstunde nach dem Wandertag – Italienisch stand auf dem Stundenplan – begann mit einem Schock. Drei Minuten nach dem Läuten betrat eine alte Bekannte das Klassenzimmer: Professor Sintinger! Geradeso als wäre sie am Vortag das letzte Mal in der Id gewesen, forderte sie die Schüler ohne Umschweife auf, die Italienischhefte aufzuschlagen, und gleich darauf diktierte sie eine Unmenge von Grammatiksätzen. Alles ging so schnell, dass sich nicht einmal Erika zu fragen traute, warum Frau Professor Reichart nicht da sei. Ottl und ein paar andere Spätzünder fingen zu murren an, weil sie beim Schreiben nicht mitkamen, doch die Vertretungslehrerin bemerkte nur kühl: „Meckert nicht, reißt euch zusammen! Im zweiten Jahrgang müsst ihr euch ohnehin auf ein höheres Tempo umstellen.“ Das klang nicht viel anders, als hätte sie gesagt: „Diese Klasse wird sowieso aufgelöst – und wehe denen, die bei mir nicht spuren …“

Nach etwa einer Viertelstunde bekamen die Schüler den Auftrag, die Sätze ins Italienische zu übertragen. „Das wird ein Bombenfleck“, wisperte Walter zu Gustl. Er rechnete damit, dass Professor Sintinger die Hefte absammeln und benoten würde, doch sie sagte am Ende der Stunde nur: „Wer nicht fertig geworden ist, erledigt den Rest zu Hause.“

Kaum hatte sie nach dem Läuten hinter sich die Tür geschlossen, schimpfte die ganze Klasse wieder einmal über „die blöde Schindinger“. Die meisten hielten die Andeutungen der „Signora Cinque“ für den Beweis dafür, dass die Id im Herbst tatsächlich aufgelöst werden sollte. Herfried behauptete sogar, Magister Bogner hätte am Vortag mit seinen „Weisheiten“ alle zum Narren gehalten.

„Du bist selber ein Narr, wenn du das glaubst!“, rief Ede empört.

„Frag den Hobeck, ob er sagen kann, wie es mit unserer Klasse weitergehen wird“, schlug Hannes vor. Ede tat es.

Professor Hobeck, der in der folgenden Stunde Deutsch unterrichtete, wusste nichts Genaues. „Wahrscheinlich wird eure Klasse aufgelöst, weil ihr so schlecht seid“, meinte er trocken. Da blickten ihn einige in den vorderen Bänken so bekümmert an, dass sie ihm leid taten.

„Was im Herbst wirklich geschieht, werden wir ja sehen“, fügte er hinzu. „Professor Reiter, der Jahrgangsvorstand der Ib, ist mit seiner Klasse nicht mehr zufrieden. Vielleicht gibt er sie im nächsten Schuljahr ab.“

„Heißt das, dass dann die Ib aufglöst wird?“, platzte Erika heraus.

„Vielleicht – wenn Professor Sassmann weiterhin euer Jahrgangsvorstand bleiben will“, antwortete Herr Hobeck.

„Ist er noch immer krank?“, erkundigte sich Ede.

„Leider.“

„Und Professor Reichart?“

„Die ist nicht krank. Sie war heut’ nur wegen einer Nachuntersuchung noch einmal im Krankenhaus. Morgen kommt sie wieder in die Schule.“

Einige seufzten erleichtert auf, und Ottl wisperte zu Herfried: „Das ist gut! Lieber zehn Reicharts als eine Schindinger!“

In der Englischstunde gab’s für die Id zur Abwechslung eine angenehme Überraschung: Als Vertretung für Professor Reichart kam nicht – wie allgemein befürchtet – „die Schindinger“, sondern Magister Bogner.

„Herr Professor, dürfen wir unsere Hausaufgaben erledigen? Wir haben in Italienisch sooo viel aufbekommen!“, bettelte Erika, während sie den Kopf zur Seite neigte und den Religionslehrer treuherzig ansah.

Magister Bogner ließ sich nicht umgarnen. „Hausaufgaben sind für zu Hause“, erwiderte er. Dann machte er einen Vorschlag: Bruno, der Beste in Italienisch, sollte anstelle von Professor Reichart „eine Italienischstunde halten“ und seinen Mitschülern an der Tafel schwierige Grammatikkapitel erklären. Bruno war einverstanden.

„Aber dann müssen alle ‚Herr Professor‘ zu mir sagen!“, rief er. „Und wer stört, kriegt zehn Seiten Strafarbeit!“

„Komm schon, du Professor!“, ermunterte ihn Ede.

Bruno sprang auf, zog seinen Pullover straff, und während er zur Tafel marschierte, fingen seine Mitschüler zu klatschen an. Einige brüllten: „Bravo!“, nur Herfried und Ottl, die lieber Karten gespielt hätten, beschwerten sich mit Buhrufen. Herfried ließ sich sogar zu einem schrillen Pfiff hinreißen.

„Spinnst du?!“, fuhr Lydia ihn an, aber er lachte sie nur aus.

Bruno hatte sich inzwischen vor die Tafel gestellt. Er legte den Zeigefinger auf die Lippen, rollte keck mit den Augen und wartete, bis es leise wurde. Dann begann er, im gleichen Tonfall wie seine Italienischlehrerin zu sprechen: „Allora, ragazzi e ragazze, cominciamo!“

„Hahaaaa, ganz die Reichart, ich lach’ mich krumm!“, platzte Herfried heraus.

„Du schreibst gleich zehn Seiten, Herfried!“, drohte Bruno. „Übersetze, was ich gesagt habe!“

Herfried grinste vom einen Ohr zum anderen und antwortete: „Also … öh … liebe Bubis und Mädis, fangen wir an!“

„Blödsinn! Von ‚lieben‘ Bubis und Mädis beziehungsweise Burschen und Mädchen war keine Rede!“, schimpfte Bruno.

„Freilich nicht! ‚Lieben‘ heißt ja ‚amare ‘!“, rief Ottl. Gleich darauf erschallte ein solches Gelächter, dass Magister Bogner mit besorgter Miene einschritt: „Meine Herrschaften, etwas mehr Ernst, sonst hat das keinen Sinn! Ihr wollt doch in Italienisch durchkommen, oder?“

Die Klasse beruhigte sich, und Erika stellte artig die erste Frage an Bruno: „Herr Professor Lassetti, könnten Sie bitte noch einmal die Bildung der Vergangenheit im Italienischen erklären?“

Der „Herr Professor“ konnte es, sogar vorzüglich, und die „ragazzi“ und „ragazze“ aus der Id passten brav auf. Magister Bogner schlenderte zu den hinteren Bankreihen und schaute von dort aus belustigt zu. Zwar wusste er, dass für die Schüler das Ganze eher Spiel als Ernst war, denn zwischendurch wurde gekichert und gelacht wie sonst selten im Unterricht. Trotzdem war es mehr als nur Spaß. Als Bruno ein paar Sätze auf die Tafel schrieb, nahmen einige seiner Mitschüler unaufgefordert ihre Italienischhefte aus der Schultasche und notierten alles mit. Nur Ottl und Herfried verloren die Lust zum Aufpassen und versuchten heimlich, Karten zu spielen. Bruno merkte es gleich und wies die beiden genauso scharf zurecht, wie Professor Reichart es einmal getan hatte: „Ferditsch, Zeiber! Karten weg, oder ich schmeiß’ euch zur Tür hinaus!“

Das Gelächter der Mitschüler war für die Übeltäter so peinlich, dass sie die Spielkarten tatsächlich weglegten. Magister Bogner schmunzelte schadenfroh. Kurz darauf fragte ihn Roswitha leise, ob sie auf die Toilette gehen dürfe.

„Du musst dich an den Herrn Professor wenden“, antwortete er ebenso leise und deutete mit dem Kopf zu Bruno. Roswitha machte ein verwirrtes Gesicht. Sie überlegte eine Weile. Schließlich hob sie die Hand und rief: „Herr Professor … Herr Professor Lassetti!“

Bruno, der gerade etwas auf die Tafel geschrieben hatte, wandte sich schwungvoll nach ihr um.

„Herr Professor …“ Roswitha zögerte einen Augenblick. „Darf ich bitte auf die Toilette?“

Bruno zog verdutzt die Brauen hoch, dann befahl er – wieder einmal im selben Tonfall wie Frau Professor Reichart: „Vattene! Hau ab!“

Was darauf folgte, war mehr ein Gebrüll als ein Gelächter. Roswitha huschte verlegen aus dem Klassenzimmer. Als sie zurückkehrte, läutete es, die Stunde war zu Ende. Magister Bogner bedankte sich bei dem jungen „Herrn Professor“ mit einer leichten Verbeugung und ging ins Konferenzzimmer. Dort sagte er zu seinem Kollegen Schininger: „Mensch, Erhard, jetzt hab’ ich eine tolle Vertretungsstunde erlebt, das muss ich dir erzählen!“

Der Biologielehrer hörte vergnügt zu.

Professor Reichart kam am nächsten Morgen wieder in die Schule. Zu ihrer Überraschung meldeten sich in der Id einige Schüler freiwillig für eine Vokabelprüfung in Englisch: zuerst Josef Gruber, danach Waltraud Bellinich und Elisabeth Kleinbichler. Alle drei bekamen gute Noten. Die Englischlehrerin staunte und freute sich. Mehr spaßhalber als im Ernst fragte sie, ob noch jemand „Lust auf einen Einser“ habe. Da stieß Seppi seinem Sitznachbarn Ede mit dem Ellbogen in die Seite und wisperte: „Meld dich endlich, du Rindvieh! Wozu haben wir gemeinsam gelernt?“

Das „Rindvieh“ meldete sich. Zwar schaffte es die Prüfung nicht ganz so gut wie seine Vorgänger, aber das Ergebnis war eine neue persönliche Bestleistung in Englisch: ein Zweier!

„Ich glaub’, ich spinne“, flüsterte Ede begeistert zu Seppi. „Wenn das so weitergeht, bringe ich bei der Schularbeit vielleicht wirklich einen Vierer zusammen.“

„Na klar, du Rindvieh!“, wisperte Seppi.

Nach der letzten Unterrichtsstunde gingen Ede, Seppi, Liesl und Traudi zu Professor Sassmann, um ihm eine Packung Pralinen und eine Karte zu bringen, auf der ihm die ganze Klasse gute Besserung und schöne Pfingstferien wünschte. Wie erwartet, konnten sie nicht mit ihm persönlich sprechen, weil er noch immer krank im Bett lag. Sie vertrauten ihr Geschenk ohne Bedenken dem hochgewachsenen, blondhaarigen Burschen an, der ihnen die Haustür geöffnet hatte.

Am nächsten Tag, dem ersten Pfingstferientag, blieb Ede faul im Bett liegen. Für den Vormittag hatte er mit Seppi eine „Generalwiederholung der Rechtschreibung“ eingeplant, für den Nachmittag eine ebensolche Wiederholung der italienischen Grammatik. Aber im Augenblick wollte Ede überhaupt nichts tun. Die Mutter weckte ihn ein paarmal, doch er nickte immer wieder ein. Kurz vor zehn pumperte sie gegen die Zimmertür und schrie: „Edmund, du Schlafhaube, steh auf! Sonst komm’ ich mit einem Kübel Wasser!“

Auf eine kalte Dusche verzichtete Ede lieber. Er kroch aus dem Bett, öffnete das Fenster, um frische Luft hereinzulassen, und trottete ins Badezimmer. Fünf Minuten später schlurfte er gähnend in die Küche.

„Höchste Zeit!“, raunzte die Mutter, während sie ihm eine Tasse Kakao auf den Tisch stellte. „Dein Freund ist bestimmt gleich da!“

„Ach was, der hat bestimmt Verspätung“, brummte Ede.

Keine fünf Sekunden später – pünktlich um zehn Uhr – läutete Seppi an der Wohnungstür. Ede führte ihn in die Küche herein, zeigte auf die Kakaotasse und sagte: „Ich bin gleich so weit, ich muss nur schnell ein bisschen tanken.“

„‚Tanken‘ … was ist das für eine Ausdrucksweise? Kein Wunder, dass du in Deutsch eine Mahnung bekommen hast!“, schimpfte die Mutter. Seitdem sie am Elternsprechtag bei Professor Hobeck gewesen war, nörgelte sie auffallend oft an Edes „Ausdrucksweise“ herum. Ede grinste nur, und Seppi sagte: „Machen Sie sich nichts draus, Frau Seritsch! Ich werd’ schon dafür sorgen, dass es in Deutsch nicht danebengeht.“

Frau Seritsch seufzte zweifelnd.

Seppi übte mit Ede bis drei viertel zwölf Uhr. Am Nachmittag lernten sie miteinander weiter, diesmal bei Seppi. Er wohnte etwa eine halbe Stunde von Ede entfernt in einem Einfamilienhaus mit einem kleinen Obstgarten davor. Die Luft war angenehm warm, und so zogen sich die beiden Burschen mit zwei Stühlen und einem Klapptisch in den Schatten eines Apfelbaums zurück. Sie wiederholten die wichtigsten Grammatikkapitel, übertrugen deutsche Sätze ins Italienische und italienische Sätze ins Deutsche. Seppi unterstrich im Lehrbuch alle Stellen, mit denen sie nicht zurechtkamen, und nahm sich vor, sämtliche Unklarheiten gleich am ersten Schultag nach den Ferien mit Bruno zu besprechen.

Gegen vier Uhr kam Seppis Großmutter, eine liebenswürdige, grauhaarige kleine Frau, herbei. Sie brachte jedem ein Glas hausgemachten Apfelsaft und ein Stück Kuchen, den sie selbst gebacken hatte.

„Das ist schön, wenn junge Leute so brav miteinander lernen“, sagte sie freundlich.

Ede fühlte sich bei dem Wort „brav“ eigenartig berührt. Er hatte es bisher für ein altmodisches Wort gehalten, das höchstens noch in ein Lesebuch für Schulanfänger passt. Aber Seppis Großmutter meinte es anscheinend im Sinne von „tapfer“ oder „mutig“; und Mut brauchte Ede bei all seinem Lernen ja wirklich – denn es bestand die Gefahr, dass er zu spät begonnen hatte …

„Was denkst du, Seppi“, wandte sich Ede an seinen Freund, nachdem die Großmutter ins Haus zurückgekehrt war, „sind wir zwei wirklich so brav, wie deine Oma glaubt?“

„Wenn wir nicht lang herumtratschen, sondern gleich weitermachen, dann hat sie recht“, antwortete Seppi trocken.

„Du alte Lernmaschine!“ Ede grinste kopfschüttelnd.

2

Sassmann junior

Ede und Seppi waren nicht die Einzigen, die am ersten Tag der Pfingstferien so „brav“ lernten. Auch andere Schüler aus der Id hielten sich an ihre Lernpläne. An das, was einige für den Nachmittag des Pfingstsonntags vereinbart hatten – einen Ausflug mit den Fahrrädern –, hielten sich nicht alle. Nur Ede, Seppi, Bruno, Gustl, Traudi und Maria fanden sich, wie verabredet, gegen halb zwei Uhr auf dem Bahnhofsplatz ein. Walter ließ sich durch Gustl entschuldigen, und Maria berichtete, dass auch Liesl im letzten Augenblick etwas dazwischengekommen sei. Warum Hannes nicht daherkam, wusste keiner.

„Das ist blöd, da hab’ ich meinen Fußball umsonst mitgeschleppt“, meinte Gustl.

„Du immer mit deinem Fußball!“, hänselte ihn Maria.

„Na und? Fußball ist das einzig Sinnvolle“, brummte Gustl.

Kurze Zeit später radelten sie auf der Landstraße dahin, die in Richtung Weißbachsee führte. Nur selten kam ihnen ein Auto entgegen. Bruno, der an der Spitze fuhr, schrie dann jedes Mal: „Achtung! Blechkübel in Sicht!“ Wenn sich von hinten ein Fahrzeug näherte, warnte Traudi ihre Mitschüler. Das war nicht oft notwendig. Plötzlich rief sie: „Da verfolgt uns jemand!“

Die anderen schauten zurück. Richtig – in etwa fünfzig Metern Entfernung kam einer mit einem Rennrad nach. Sein rotes Sporthemd leuchtete auffällig im grellen Sonnenlicht. Niemand aus der Gruppe kannte ihn.

„Er fährt schon seit gut zehn Minuten hinter uns her“, sagte Traudi.

„Den Kerl hängen wir ab!“, rief Gustl unternehmungslustig. „Bruno, gib Vollgas!“

Sie beschleunigten die Geschwindigkeit, und schon bald war der Rote nicht mehr zu sehen. Nur auf einer langen Geraden tauchte er wieder auf, aber weit zurück.

„Wetten, dass dem schon die Zunge heraushängt?“, wandte sich Gustl an Seppi.

„Mir aber auch“, keuchte Seppi.

Ungefähr zwanzig Minuten später beschlossen Ede und seine Mitschüler, auf einer Wiese zu rasten. Sie stellten ihre Räder in den Schatten eines dichten Erlengestrüpps und setzten sich ins Gras. Neben den Erlen plätscherte ein Bach vorbei. Maria schlenderte hin, um einen Schluck Wasser zu trinken. Plötzlich kam sie zurückgesprungen und rief: „Der Rote ist wieder da!“

Tatsächlich – am Rand der Wiese stand der Fremde mit dem roten Sporthemd und dem Rennrad. Er war noch nicht abgestiegen und spähte zu den Büschen her.

„Er hat uns also doch verfolgt“, flüsterte Maria.

„Aber wieso?“, fragte Traudi.

Der Rote stieg vom Rad und schob es langsam näher. Jetzt konnte man sein Gesicht deutlicher sehen. Er trug eine Brille und hatte blonde, gescheitelte Haare.

„Das ist doch … der Sassmann junior – der Bursche, bei dem wir die Pralinen abgegeben haben!“, wisperte Ede.

„Stimmt!“, bestätigte Seppi.

Der Sohn des Professors blieb stehen, hob die rechte Hand zum Gruß und rief: „Ah, ich hab’ mich nicht getäuscht: Ein paar von euch kenn’ ich. Stört es euch, wenn ich auch ein bisschen hier raste?“

„Schleich dich lieber!“, wollte Bruno sagen, aber Gustl kam ihm zuvor: „Wenn du mit uns Fußball spielst, kannst du bleiben. Wir brauchen einen Goalmann.“

Der Rote war sofort einverstanden. „Ich heiße Peter“, sagte er. Ede und dessen Mitschüler stellten sich ebenfalls vor.

„Warum bist du uns nachgefahren?“, wollte Bruno wissen.

„Nur aus Jux“, entgegnete Peter. Er lehnte sein Rad an den Stamm einer Erle, nahm sich die Brille ab und legte sie auf den Sattel. Dann fragte er: „Wo habt ihr eure Lederwuchtel?“

„Hier!“ Gustl zog aus seinem Rucksack den Ball heraus und warf ihn zu Peter. Der fing ihn geschickt.

Bruno sprang auf, steckte zwei Erlenzweige als Torstangen in die Wiese und rief: „Los geht’s!“

Ein Fußballspiel mit dem Sohn des wichtigsten Lehrers der Id – das war etwas Außergewöhnliches! Da vergaßen alle, dass sie eigentlich rasten wollten. Sie spielten drei gegen drei auf ein Tor, Peter war „Goalmann“. Er hielt so gut, dass es zehn Minuten dauerte, bis das erste Tor fiel. Nach einer knappen halben Stunde hatte er nur fünf Schüsse durchgelassen.

„Spielst du in einem Verein mit?“, fragte Bruno, als sie eine Pause einlegten.

„Nein, wieso?“, erwiderte Peter verwundert.

„Weil du so ein toller Goalmann bist“, entgegnete Bruno.

„Pah, was heißt hier ‚toll‘?“ Peter lachte. „Bei uns im Gymnasium haben wir Torleute, gegen die ich ein erbärmlicher Hampelmann bin.“

„Hampelmann?“ Ede guckte ihn erstaunt an. „Mensch, ich wär’ froh, wenn ich im Tor wenigstens ein halb so guter Hampelmann wäre wie du.“

„Na ja, derzeit bin ich nicht schlecht in Form“, meinte Peter. „Aber wir trainieren immerhin seit ein paar Wochen regelmäßig. Wir möchten heuer beim Alternativunterricht nicht wieder Letzter werden.“

„Alter…naiv – äh – wie war das?“ Ede runzelte verwirrt die Stirn.

„Alternativunterricht. So nennen wir den Unterricht nach der Notenkonferenz am Schulschluss“, erklärte Peter. „Da haben wir nicht mehr gewöhnlichen Unterricht nach dem Stundenplan, sondern wir machen etwas ganz anderes. Ich melde mich heuer mit ein paar Klassenkameraden wieder für die Gruppe ‚Fußballturnier‘ an. Dann können wir drei Tage lang kicken!“

„Jö! Da möcht’ ich dabei sein!“, platzte Gustl heraus.

„Ja, ja, unser Alternativunterricht ist eine tolle Sache“, entgegnete Peter. „Wir haben nicht nur Neigungsgruppen für Sport. Man kann zum Beispiel auch an Zeichenwettbewerben oder Malkursen teilnehmen. Eine Gruppe übt für ein Jazzkonzert, und eine andere Gruppe wird ein witziges Theaterstück aufführen.“

„Das wär’ was für dich!“, wandte sich Gustl an Bruno. „Du könntest allein die ganze Schule unterhalten. Du brauchst nur die Reichart nachzuahmen.“

Gustls Mitschüler lachten. Bruno drohte mit dem Zeigefinger und rief mit verstellter Stimme – im gleichen Tonfall wie seine Italienischlehrerin: „Tieni la bocca! Halt den Mund!“

Alle lachten – auch Peter, obwohl er Professor Reichart nicht kannte und daher gar nicht wusste, wie gut Bruno sie soeben nachgeahmt hatte.

„Ich freu’ mich schon auf unseren Alternativunterricht“, sagte Peter. „Da sind die meisten Lehrer viel besser aufgelegt als sonst.“

Bei dem Wort „Lehrer“ musste Maria an Professor Sassmann denken. Zögernd fragte sie Peter, ob sein Vater noch immer krank sei.

„Heute Mittag hat er zum ersten Mal seit einer Woche wieder mit mir gemeckert – das bedeutet, er ist wieder ganz der Alte“, entgegnete Peter grinsend.

„Hast du ihm unsere Karte und die Pralinen gegeben?“, fragte Seppi.

„Na klar.“

„Und … was hat er gesagt?“

„Er hat den Kopf geschüttelt und gebrummt: ‚So eine Klasse!‘ “ Peter schmunzelte.

„Wie redet dein Vater zu Hause eigentlich über uns, die Id?“, wollte Ede wissen.

„Über euch?“ Peter zuckte mit den Schultern. „Gewöhnlich erzählt er daheim nicht viel von der Schule. In letzter Zeit hat er öfter über eine ‚katastrophale Klasse‘ herumgeraunzt.“

„Au weia! Damit kann er nur uns gemeint haben.“ Seppi zog eine säuerliche Grimasse.

„Hat er irgendwann einmal angedeutet, dass unsere Klasse im Herbst aufgelöst wird?“, fragte Ede.

„Hm …“ Peter schaute nachdenklich in die Luft. „Irgendetwas vom Auflösen hat er einmal gesagt. Aber das ist schon länger her.“

Ede und seine Mitschüler schwiegen verlegen. Maria fing an, mit einem Grashalm zu spielen. Nach einer Weile sagte sie betrübt zu Peter: „Wir möchten nicht, dass unsere Klasse aufgelöst wird. Aber die meisten Lehrer halten nicht viel von uns … und wenn sogar dein Vater als Jahrgangsvorstand uns aufgibt …“ Maria sprach nicht weiter und wandte ihre Blicke von Peter ab.