Über das Buch:
FBI-Agent Declan Grey versucht mit allen Mitteln, den Mord an seinem Kollegen aufzuklären, der im Zusammenhang mit einer terroristischen Bedrohung zu stehen scheint. Für Declan ist klar, dass ein großer Anschlag unmittelbar bevorsteht, doch noch weiß er nicht, wann und wo. Bei der verzweifelten Jagd nach den Drahtziehern wird ihm ausgerechnet die attraktive Krisenberaterin Tanner Shaw zur Seite gestellt. Declan ist sich unsicher, was er davon halten soll, denn in Gegenwart dieser Frau scheint er einfach alles falsch zu machen. Doch dann entdecken Tanner und er schlagkräftige Beweise dafür, dass in Baltimore tatsächlich eine aktive Terrorgruppe existiert. Und ihnen nicht mehr viel Zeit bleibt, um eine Katastrophe zu verhindern …

Über die Autorin:
Dani Pettrey ist für ihre spannenden Romane mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Im deutschsprachigen Raum ist bisher ihre sehr erfolgreiche Alaska-Serie rund um die fünf McKena-Geschwister erschienen. Sie ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Maryland.

7

Auf dem Weg zu Kates Büro hatte Declan im Houstoner Büro des FBI angerufen, um mit Chuck Franco zu sprechen, Burkes ehemaligem Partner. Declan hatte nicht viel preisgegeben, aber von seinem Teil der Unterhaltung ausgehend hatte Tanner den Eindruck gewonnen, dass der Mann nicht besonders kooperativ gewesen war.

Die Abendluft war kühl, als Declan neben ihr zum Eingang der Detektei ging und ihr dann die Glastür aufhielt. Als sie eintrat, zog der Duft von Tomatensoße und Käse durch den Flur.

Als sie den zentralen Raum betraten, wurde Tanner beim Anblick all der anderen, die auf Sofa und Sesseln saßen, ein wenig mulmig zumute. Der Zeitpunkt war gekommen, an dem sie ihnen von ihrer Vergangenheit erzählen musste. Rückblickend war es nicht fair gewesen, Kate um Geheimhaltung zu bitten, und jetzt, wo Declan, Parker und Avery Bescheid wussten oder zumindest einen Verdacht hatten, schien es sinnlos, es vor den anderen zu verbergen.

Bevor sie noch ein Wort sagen konnte, kam Griffins Frau Finley auf sie zugestürmt und schloss sie in die Arme. »Das mit Mira tut mir furchtbar leid.« Ihr Gesicht war ganz besorgt. »Ich weiß, wie nahe ihr euch gestanden habt.«

»Danke.«

Alle verliehen ihrem Mitgefühl Ausdruck, und als Tanner kurz davor war, in Tränen auszubrechen, trat Declan neben sie. »Du musst völlig ausgehungert sein«, sagte er. Sie waren beide so beschäftigt gewesen und sie so traurig, dass sie das Essen ganz vergessen hatten.

»Wir haben Pizza«, sagte Parker und zeigte auf die Küche.

»Und Salat«, fügte Finley hinzu.

Avery lächelte. »Und Käsestangen.«

Das war Tanners Lieblingsessen, aber sie hatte trotzdem keinen Appetit – ob es an den Ereignissen des Tages lag oder an der bevorstehenden Diskussion, wusste sie nicht so genau.

Sie blinzelte, als ihr das Entsetzen in Miras Augen kurz vor ihrem Tod wieder in den Sinn kam. Sie bezweifelte, dass sie jemals diesen Anblick vergessen würde. Ihre Freundin Mira war tot.

»Ist dir kalt?«, fragte Declan.

»Hm?« Sie blickte zu ihm auf.

»Du hast gerade gefröstelt.«

»Oh.« Sie rieb sich die Oberarme und versuchte, die Gänsehaut darauf zu verbergen. »Mir geht es gut.« Das war ganz und gar nicht der Fall, und am liebsten hätte sie sich wieder in die Geborgenheit seiner starken Arme geschmiegt, aber stattdessen ging sie in die Küche. »Essen wir etwas«, sagte sie, obwohl sie keinen Appetit hatte.

Er folgte ihr in die kleine Küche, wo sie sich ein Stück Peperonipizza und eine Dose Cola nahm, bevor sie ins Wohnzimmer zurückging und sich aufs Sofa setzte.

Declan nahm neben ihr Platz und sie spürte seine tröstliche Gegenwart, aber auch seine Besorgnis. Er sorgte sich um sie. Das konnte sie in seinen Augen sehen. Und tatsächlich – dieser ganze Tag, die unglaubliche Bandbreite von Emotionen wie Traurigkeit, Trost, Entsetzen ... dazu der Einsatz von Fertigkeiten, die sie seit Jahren nicht mehr angewandt hatte –, das alles machte sie ganz schwindelig.

»Soll ich dich nach Hause fahren, damit du dich ausruhen kannst?«, fragte Declan, der ihr Unbehagen ganz offensichtlich spürte. Das konnte er gut – ihr Verhalten deuten. Obwohl er ihr zunächst als steif und immer völlig rational erschienen war, hatte er doch eine starke intuitive und mitfühlende Seite. Die hatte sie in letzter Zeit immer häufiger erlebt, und ihr gefiel, was sie sah.

Dann wurde ihr mit einem Mal klar, was er ihr tatsächlich angeboten hatte. Er gab ihr die Möglichkeit, nach Hause zu fahren, anstatt ihre Vergangenheit und die heutigen Ereignisse vor der ganzen Gruppe zu erläutern.

Sein mitfühlender Blick machte das ganz deutlich.

Auch wenn sie es sehr zu schätzen wusste, dass er den Druck von ihr nehmen wollte, war es jetzt an der Zeit. »Danke«, murmelte sie, »aber ich muss es tun.« Sie hätte es längst tun sollen.

Sie holte tief Luft und tat dann den Sprung ins kalte Wasser. »Es gibt etwas, das ich euch allen sagen muss.«

Bevor sie die Nerven verlor, sprach sie weiter – sie erklärte, dass sie in Israel aufgewachsen war und ihr Vater für den Mossad arbeitete; dass sie ihren Wehrdienst abgeleistet hatte und eine sehr gute Schützin gewesen war; und dass sie während ihrer Zeit bei der Armee zwölf Menschen getötet hatte – und heute war es der dreizehnte Todesschuss gewesen. Dann erklärte sie noch, warum sie diesen Teil ihrer Vergangenheit im Dunkeln hatte lassen wollen und dass Kate so freundlich gewesen war, ihre Vergangenheit geheim zu halten. Aber nun sei sie froh, dass alle Bescheid wüssten. Dann wartete Tanner nervös auf die Reaktionen der anderen.

»Danke, dass du uns genug vertraust, um uns das zu erzählen«, sagte Finley.

»Wir haben alle eine Vergangenheit«, sagte Avery. »Ich verstehe vollkommen, warum du sie genau dort lassen wolltest: in der Vergangenheit. Mir geht es ganz genauso.«

Die Männer stimmten zu, und ein gewisses Gefühl der Erleichterung, das Tanner nicht vorhergesehen hatte, erfüllte sie. Wie konnten diese Menschen so verständnisvoll, so verzeihend, so wertschätzend sein? Ja, sie hatte bei der Armee ihre Pflicht getan, und heute hatte sie Declan das Leben gerettet, aber sie erinnerte sich noch an jede einzelne Tötung – alle dreizehn, die heutige eingeschlossen.

Obwohl die anderen so reagierten, hatte sie ein Gefühl der Enge in der Brust, als würde ein bleischweres Gewicht darauf lasten und ihr die Luft abschnüren.

Bitte, Vater, hilf mir, diese Last dir zu überlassen. Sie ist zu schwer, als dass ich sie noch länger mit mir herumtragen könnte.

Die Schwere ihrer Taten zermalmte sie förmlich. Das sah sie jetzt – welchen Tribut diese Last von ihr forderte. Das Gewicht der Schuld, die sie auf sich selbst genommen hatte, anstatt sie ihrem Heiland zu überlassen, war zu schwer. Sie war eigentlich der Ansicht gewesen, dass es nicht fair sei, Jesus ihre Last aufzubürden und dass es nur recht und billig sei, wenn sie diese selbst trug. Aber sie wusste auch, dass er bereits das Kreuz für sie getragen hatte. Warum war es manchmal so schwer, Kummer und Schuld loszulassen? Vor allem, wo sie doch einen so liebenden Heiland hatte, der ihr die Qualen abnehmen wollte?

Danke, Jesus.

Sie schluckte die Tränen hinunter, die ihr in die Augen gestiegen waren, und verbarg sie mit einem Husten und einer schnellen Handbewegung über die Augen. Sie hoffte, dass Declan es nicht gesehen hatte, aber ihm entging nicht viel. »Parker sagt, ihr fahrt nach Houston?«, wechselte Griffin beiläufig das Thema der Unterhaltung und brachte sie damit zugleich auf andere Gedanken.

»Ja«, sagte Declan. »Die namenlose Leiche hatte Steven Burkes Adresse bei sich und eine Reisetasche im Wagen. Scheint so, als wäre Steven immer noch der Schlüssel zu dem Hiram-Fall und vielleicht auch zu der Terrorgefahr, die sich in Baltimore zusammenzubrauen scheint.«

»Wann fliegt ihr?«, wollte Finley wissen.

»Gleich morgen früh.« Er sah Tanner an. »Ich war so frei, unseren Flug zu buchen.«

Sie nickte, und Declan erklärte den anderen Tanners neue Rolle beim FBI – zu der sie von allen beglückwünscht wurde, auch wenn sie angesichts ihres ersten Arbeitstages ernsthaft daran zweifelte, dass sie tatsächlich an dem Ort war, an dem Gott sie haben wollte. Doch sie hatte einen inneren Frieden verspürt, als sie die Stelle angenommen hatte. Wahrscheinlich musste sie mit Gott darüber noch mal ins Gespräch kommen ...

»Wir brechen alle in« – Griffin sah auf seine Armbanduhr – »einer halben Stunde auf.«

Declan blickte in die Runde und runzelte die Stirn. »Wohin denn?«

»Haywoods Kundenwochenende. Geht mit der üblichen Cocktailparty los.«

»Ach ja. Da ich nicht mitfahren kann, hatte ich völlig vergessen, dass es heute losgeht. Sag ihm, dass ich echt gerne mit dabei gewesen wäre.«

»Mach ich, aber wie es aussieht, werden wir diesmal nicht einfach nur an der Veranstaltung teilnehmen.«

Declan zog eine Augenbraue hoch. »Nicht?«

Griffin seufzte. »Ich hatte heute ein merkwürdiges Treffen mit ihm. Er glaubt, dass sein Partner Lowell Geld von den Konten seiner Kunden abzweigt und ihm die Sache anhängen will.«

»Was?« Declan beugte sich vor. »Du machst Witze.«

Griffin schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, es wäre so.« Dann berichtete er von der gesamten Unterhaltung mit Haywood.

Declan atmete hörbar aus, so schockiert war er. Das hätte er nie und nimmer erwartet. »Halte mich auf dem Laufenden.«

»Mach ich«, sagte Griffin. »Und Katie kommt auch mit.«

Declan sah zu Kate hinüber. »Er hat dich für die Ermittlungen angeheuert?«

»Genau.« Sie nickte.

Declan runzelte die Stirn. »Ich weiß, dass ihr alle hervorragende Arbeit machen werdet, aber warum zeigt er es nicht einfach an – soll sich doch jemand im Betrugsdezernat damit befassen. Oder auch die entsprechende Abteilung beim FBI.«

Griffin schüttelte den Kopf. »Er ist als Freund zu mir gekommen und hat gesagt, wenn er jetzt zur Polizei geht, deutet alles auf ihn hin. Er will, dass wir Beweise für seine Unschuld finden und der Wahrheit auf den Grund gehen, was sein Partner so treibt, bevor er die Behörden offiziell einschaltet.«

»Klingt so, als hätten wir alle ein interessantes Wochenende vor uns«, sagte Parker.

»Was haltet ihr davon, wenn wir für uns alle um Sicherheit und Führung beten?«, schlug Finley vor.

Griffin nahm die Hand seiner Frau, und Tanner dachte daran, wie es sich angefühlt hatte, als Declan ihre Hand gehalten hatte, während sie vor Miras Wohnhaus standen. »Gute Idee, Liebling«, sagte Griffin. »Dann fang du doch an.«

Finley schloss die Augen und neigte den Kopf. »Lieber Vater, du schickst uns unter die Wölfe hinaus. Bitte bewahre uns. Bitte führe uns zur Wahrheit und hilf uns, dafür zu sorgen, dass Gerechtigkeit geschieht.«

Auch einige der anderen beteten noch, und dann erklang ein vielstimmiges »Amen«.

»Okay, sollen wir?«, fragte Declan zu Tanner gewandt.

Sie nickte, weil sie vom FBI aus mit ihm gefahren war. »Wir müssen meinen Wagen noch holen.«

»Ich bringe dich einfach nach Hause und hole dich dann morgen früh frisch und munter ab für unseren Flug. Der geht um sechs Uhr. Während wir weg sind, steht dein Auto bei uns in der Tiefgarage gut.«

»Sechs Uhr?« Sie war eine Nachteule, keine Frühaufsteherin.

»Dann haben wir vor Ort mehr Zeit.«

»Verstanden.« Aber trotzdem ... puh.

Declan hielt ihr die Tür auf, als sie die Detektei verließen, und ihr Herz flatterte. Sie konnte immer noch nicht fassen, dass sie sich geküsst hatten. Jetzt, wo die Lage sich ein wenig beruhigt hatte und sie allein waren, wurde ihr das erst richtig bewusst. Er öffnete ihr auch die Wagentür und sie stieg ein. Ihr Herz hämmerte wie wild, als sie zusah, wie er um das Fahrzeug herum zur Fahrerseite ging. In der Außenbeleuchtung des Backsteingebäudes war seine sportliche Gestalt gut zu erkennen. Er war einfach umwerfend, in jeder Hinsicht. Das hatte sie zwar gleich erkannt, aber heute hatte sich etwas verändert. Zu erleben, wie geschickt und sicher er das Motorrad gelenkt hatte, seine Lippen auf ihren zu spüren ... das alles hatte sie durcheinandergebracht. Sie hatte das Gefühl, als säße sie ganz oben in einem Riesenrad und ihre Füße baumelten hoch über der Erde, während sie gespannt darauf wartete, was als Nächstes passieren würde.

»Wie geht es dir?«, fragte er. »Ich weiß, dass du dir selbst die Schuld gibst, aber du kannst nichts dafür.«

Sie runzelte die Stirn. Das war zwar lieb gemeint von ihm, aber gänzlich falsch. »Wieso sollte es nicht meine Schuld sein?« Sie drehte sich ein wenig zur Seite, um ihn besser ansehen zu können, und schob den Sicherheitsgurt ein wenig tiefer. »Wenn ich darauf geachtet hätte, wer mir mit den Möbeln geholfen hat, wenn ich Mira nicht befragt hätte ...«

»Wenn wir sie nicht befragt hätten, wären sie vielleicht nicht heute gekommen, aber die Tatsache, dass ihre Wohnung verwanzt war, bedeutet, dass sie die ganze Zeit in Gefahr war. Du kannst dir selbst Vorwürfe machen oder dich darauf konzentrieren, ihren Mörder zu fangen und den Mann, der den Killer auf sie angesetzt hat.«

Es war nicht das, was sie hören wollte, aber ihre Ausbildung sagte ihr, dass er recht hatte. Sie war es Mira schuldig, ihren Mörder zu finden, und um das zu tun, musste sie sich gefühlsmäßig distanzieren und sich auf die Tatsachen konzentrieren. Aber ihr Herz war so schwer ...

An der Ampel warf er ihr einen Blick zu, sein Gesicht vom Schein der Ampel gerötet. Aus seinen Augen sprach Besorgnis. »Ich will nicht kaltherzig sein. Miras Tod tut mir unendlich leid, wirklich! Aber ich kann es einfach nicht mit ansehen, dass du dich selbst fertigmachst. Du hast versucht zu helfen. Hier geht es um einen viel größeren Fall, und wenn wir den nicht lösen, dann weiß niemand, mit wie vielen Opfern wir es in Zukunft noch zu tun haben werden.«

Sie schluckte. Wenn er es so formulierte ...

Den Rest des Weges legten sie schweigend zurück, während sie über Declans Worte nachdachte. Sie war so ausgebildet, dass sie immer das große Ganze im Blick behielt. Er hatte recht. Mit einem Mal hatte sie das überwältigende Bedürfnis zu beten und mit ihrem Herrn zu reden. Sie schloss die Augen und betete, dass Gott den tiefen Kummer in ihrer Seele über den Verlust ihrer Freundin heilen möge und dass er sie und Declan für den Fall ausrüstete, den es zu lösen galt.

Zwanzig Minuten später hielt Declan am Jachthafen. Tanner stieg aus und ging langsam neben ihm über den knarrenden Bootssteg zu Kates Hausboot, auf dem sie wohnte, bis sie eine eigene Wohnung gefunden hatte. Gerade wollte Tanner die Glasschiebetür öffnen, als sich Declans Hand auf ihren Arm legte. Sie erstarrte und drehte sich zu ihm. Ihr stockte der Atem, als sie die tiefen Gefühle in seinen dunkelbraunen Augen sah.

Er legte sanft eine Hand an ihre Wange. Trotz der Kühle des Abends waren seine Finger warm. Er trat noch näher. »Ich möchte dich so gerne noch einmal küssen«, sagte er mit heiserer Stimme, und sein Atem bildete dabei Wölkchen in der kalten Luft.

Gerade wollte sie sich an Declan lehnen, da weckte eine kleine Veränderung in der Beleuchtung des Steges ihre Aufmerksamkeit und sie sah aus dem Augenwinkel einen bewaffneten Mann in Schwarz.

»Runter!«, schrie sie und riss Declan mit sich zu Boden, als Schüsse ertönten und um sie herum das Boot durchlöcherten.

Declan erwiderte das Feuer, aber die Schüsse schienen aus allen Richtungen zu kommen.

Er griff nach ihrer Hand. »Ins Wasser!«

Bevor sie auch nur Luft holen konnte, tauchten sie in das kalte, dunkle Wasser des Hafenbeckens ein.

8

Declan fühlte, dass Tanner vor ihm war, als sie tiefer in das dunkle Wasser tauchten und sich von dem Boot entfernten, während Kugeln nur wenige Zentimeter an ihnen vorbeizischten.

Auf dem Boot waren sie die perfekten Zielscheiben gewesen. Wenigstens hatten sie im Wasser eine reelle Chance. Er betete, dass Tanner eine gute Schwimmerin war, denn sie mussten noch ein ganzes Stück weiter unter Wasser schwimmen, bevor sie vor den Schüssen in Sicherheit waren.

Die Kälte drang ihm bis in die Knochen. Er konnte sich kaum vorstellen, wie kalt es erst der schlanken Tanner sein musste.

Er zog an ihrem Bein, um ihr zu bedeuten, dass sie sich wieder der Oberfläche nähern sollten. Sie folgte seinem Rat, und langsam, vorsichtig durchbrachen sie die Barriere zwischen Wasser und Himmel. Eiskalte Luft drang in Declans brennende Lungen, als er tief einatmete, wobei er sich im Wasser so flach wie möglich machte.

Als er nach rechts blickte, sah er, dass die Männer am Ufer ausgeschwärmt waren, Taschenlampen in der Hand, und das Wasser absuchten.

»Sucht weiter. Früher oder später müssen sie auftauchen, um Luft zu holen«, brüllte einer der Männer. »Ich will, dass ihr sie findet!«

Declan sah zu Tanner hinüber, deren braune Haare ihr triefnass im Gesicht klebten. Im Licht des fast vollen Mondes sahen ihre Lippen blau aus, und ihre Zähne klapperten vor Kälte. Er sah sich im Hafen um, und sein Blick blieb an dem hohen Bürogebäude aus Backstein auf der anderen Seite der Bucht hängen. Außer dem Licht über der Tür lag der Bau im Dunkeln. Außerdem war er so weit entfernt, dass sie dort sicher an Land gehen könnten.

Die Lichter wanderten in ihre Richtung.

Bald würden die Männer sie sehen.

»Schwimm zu dem Gebäude da drüben. Tief Luft holen!«, sagte er, bevor er wieder tief unter die Wasseroberfläche tauchte. Er hoffte, dass Tanner verstand, wie wichtig es war, dass sie den Hafen möglichst schnell hinter sich ließen.

Tanners Schwimmzüge wurden kräftiger. Sie bewegte sich wie ein Delfin. Durch das trübe Wasser sah er, dass sie auf die Wasseroberfläche zustrebte. Er folgte ihr in der Hoffnung, dass sie weit genug draußen waren, als sie schließlich auftauchten.

Die Lichter huschten immer noch übers Wasser, aber Tanner und er waren jetzt eindeutig außerhalb ihrer Reichweite. Plötzlich liefen die Männer in Richtung Parkplatz, also musste es ihnen bewusst geworden sein, dass sie bald irgendwo an Land gehen würden.

»Sie laufen zu ihren Autos«, sagte Tanner mit zitternder Stimme.

Wenn er sie doch nur wärmen könnte!

»Dann werden sie gleich anfangen, die Gegend abzusuchen. Wir müssen unbedingt zu dem Gebäude da drüben.« Er zeigte auf die schmale Silhouette etwa einhundert Meter entfernt.

Sie nickte und schwamm um ihr Leben, während Declan das spärliche Licht des Gebäudes als Orientierungspunkt benutzte.

Als sie endlich das Ufer erreicht hatten, blieben sie weiterhin möglichst tief im Wasser, während er sich umsah.

Die Luft schien rein zu sein.

»Okay«, sagte er. »Lauf schnell. Direkt auf die Südseite des Gebäudes zu und warte dann.«

Sie nickte, aber ihr Kopf wankte etwas.

Er bedeutete ihr, hinter ihm zu bleiben, und zog seine Dienstwaffe. Dann rannten sie auf den Schatten des Gebäudes zu, von dem er hoffte, dass es ihnen Schutz bieten würde. Tanner stolperte ein paarmal, aber er hielt sie aufrecht.

Als sie mit dem Rücken an die raue Steinwand gedrückt standen, sah er sie besorgt an. Sie fröstelte, und zu ihren Füßen bildeten sich Pfützen. Er musste sie an einen sicheren, warmen Ort bringen. Das Büro.

Er zog seine Jacke aus. Sie hatte sich mit Wasser vollgesogen und war schwer, aber wenigstens würde sie Tanner etwas besser gegen den Wind schützen als die dünne Jacke, die sie trug. Er legte die Jacke über ihre Schultern und sie schob die Arme hinein.

»Danke.«

Scheinwerfer huschten an dem hinteren Parkplatz vorbei, aber als er gerade erleichtert aufatmen wollte, legte das Fahrzeug den Rückwärtsgang ein und fuhr auf den Parkplatz. Unmöglich konnte er Tanner wieder in das eisige Wasser bringen. Sie zeigte deutliche Anzeichen von Unterkühlung – Frösteln, Koordinationsprobleme, Benommenheit. Er fühlte ihren Puls – schwach, wie er erwartet hatte. Sie mussten einen anderen Fluchtweg finden, und zwar schnell. Hilf uns, Herr.

Er drückte sie an die Mauer, während das Fahrzeug mit quietschenden Reifen hielt, Türen zugeschlagen wurden und Schritte auf sie zukamen.

»Was machst du denn da?«, fragte ein Mann.

»Ich dachte, ich hätte etwas gesehen«, erwiderte eine zweite Männerstimme.

»Das hast du heute schon öfter gesagt.«

»Ehrlich, ich habe sie im Wasser gesehen.«

»Und jetzt? Willst du etwa behaupten, dass sie den ganzen Weg hierher geschwommen sind?«

»So weit ist das nicht, wenn dein Leben auf dem Spiel steht. Und jetzt halt den Mund und hilf mir suchen.«

»Das ist doch Zeitverschwendung.«

»Xavier hat gesagt, wir sollen das Ufer absuchen. Geh du nach links, ich sehe rechts nach.«

»Gut, aber ich sage trotzdem, dass es Zeitverschwendung ist.«

Tanner blickte zu Declan auf, und trotz der Erschöpfung in ihren Augen war ihr Blick entschlossen.

Er hob einen Finger an seine Lippen und trat vor sie.

Der Mann kam näher.

Declan wartete. Er musste genau den richtigen Zeitpunkt abpassen.

Noch zwei Schritte ...

Eins.

Zwei.

Declan stürzte sich auf den Mann und stieß ihn um. Dann brachte er ihn mit einem schnellen Schlag vor den Kehlkopf zum Schweigen.

Tanner bückte sich und griff nach der Waffe des Mannes, dann rannten sie zu dem Fahrzeug, das die Männer auf dem Parkplatz zurückgelassen hatten.

Sie sprangen hinein. Declan hatte gerade den Wagen angelassen und raste vom Parkplatz, als der andere Mann hinter ihnen hergerannt kam. Eine Kugel prallte am Wagendach ab.

»Ich würde ja zu mir nach Hause fahren«, sagte Declan, während er Vollgas gab, »aber ich will nicht riskieren, dass ich sie dorthin führe. Wenn mein Haus nicht sowieso schon von ihnen beobachtet wird. Stattdessen fahren wir ins Büro.«

Sie nickte, während er die Heizung aufdrehte und betete, dass sie schnell anspringen würde.

Er gab ihr sein Handy. »Sag im Büro Bescheid – sag ihnen, sie sollen Einheiten rausschicken, um die Männer zu suchen, wenn die Polizei nicht sowieso schon alarmiert wurde.«

Sie wischte das Wasser von der Handyhülle. »Meinst du im Ernst, das tut’s noch, nachdem es im Wasser war?«

»Die Hülle hält alles ab. Glaub mir, es funktioniert.«

Sie wählte und die Verbindung wurde hergestellt. »Beeindruckend.«

Er warf einen Blick in den Rückspiegel, während er die Boston Street in Richtung Autostraße hinunterjagte. Bis jetzt folgte ihnen niemand. Er wollte Tanner nach Hause bringen, damit sie ins Warme und Trockene kam, aber das Auto, das sie entwendet hatten, musste untersucht werden, und im Büro des FBI war es eindeutig sicherer.

Er bog in die Ponca Street ein und anschließend in die Eastern Avenue, während sie ihr Telefonat beendete. Er nahm den Schleichweg zum Büro, weil er hoffte, etwaige Verfolger dadurch abzuhängen. Und die ganze Zeit betete er, dass er Tanner in die Wärme und in Sicherheit bringen konnte. Dass er sie beschützen konnte. Dass Gott sie beide bewahrte.

9

Griffin und Finley schlenderten auf den Empfangsbereich des Gilmore Inn zu. Am nächsten Morgen würden sie das Farbenmeer der orangefarbenen, gelben und roten Blätter rund um den Ferienort bewundern können. Der sympathischen Meteorologin des Radiosenders zufolge, der sie auf der Fahrt gelauscht hatten, war Hunt Valley im »Zenit des herbstlichen Laubfarbenspiels«, aber heute Abend gab es zunächst einmal einen klaren Himmel zu bestaunen, der von Sternen übersät war. Die Temperaturen waren kühl und würden noch vor Tagesanbruch unter null Grad sinken, aber am nächsten Tag sollten die Temperaturen auf über zehn Grad ansteigen. Der Herbst war Griffins Lieblingsjahreszeit und der perfekte Zeitraum für den Ausflug – schönes Wetter für Wanderungen und kalte Nächte, in denen er mit seiner Frau am Lagerfeuer sitzen und Marshmallows rösten konnte.

Er fand es herrlich, verheiratet zu sein und jeden Morgen neben Finley aufzuwachen. Es war wunderbar, stille Augenblicke miteinander zu verbringen, aber auch miteinander herzlich lachen zu können. Sogar Kummer war erträglich, solange sie an seiner Seite war. Sie waren im besten Sinne des Wortes »eins« geworden, und jetzt verstand er erst, was Gott bei der Ehe im Sinn gehabt hatte. Der Herr hatte ihn über alle Maßen gesegnet, als er Finley in sein Leben geführt hatte.

Er staunte immer noch, dass das noch kein Jahr her war. Das erinnerte ihn wieder einmal daran, wie schnell das Leben sich zum Besseren wenden konnte. Er warf Finley einen Blick zu und lächelte. Dann sah er nachdenklich in die Richtung seines früheren Mentors Haywood. Mit ausgestreckter Hand trat er auf ihn zu. »Schön, dich zu sehen. Danke noch mal für die Einladung.«

Haywood umklammerte seine Hand. »Danke, dass du es diesmal einrichten konntest. Wir freuen uns immer auf diese Zeit mit unseren Kunden.« Sein Blick wanderte zu Finley. »Mrs McCray, Sie sehen so reizend aus wie immer.«

Finley lächelte. »Sie sind ein furchtbarer Charmeur, Haywood.«

»Wie sollte ich nicht, wenn Sie in der Nähe sind?« Er lachte leise, offenbar etwas entspannter als während ihrer Unterhaltung an diesem Mittag.

Haywood sah sich unter den Paaren um, die sich im Speisesaal des Familienhotels versammelt hatten. Die hintere Wand bestand fast ausschließlich aus Terrassentüren, die auf eine breite Steinterrasse hinausführten. Dort standen silberfarbene pyramidenförmige Heizöfen, deren Flammen Funken in den Nachthimmel spien.

Die Leute standen in kleinen Gruppen zusammen oder wanderten zwischen der Bar auf der Terrasse und den runden, mit Süßspeisen beladenen Tischen im Speisesaal hin und her.

Haywood fuhr sich über die Nase und lehnte sich ein wenig näher zu Griffin. »Das Ehepaar an dem hintersten Desserttisch sind die Markums.«

»Alles klar«, nickte Griffin. Dann sah er aus dem Augenwinkel eine Bewegung.

Blond. Groß. Sportlich. Kate war eingetroffen.

»Perfektes Timing«, sagte er und wandte sich ihr zur Begrüßung zu. Als er sah, dass sie doch tatsächlich ein Kleid trug, lächelte er. Schlicht, schwarz, knielang und mit angeschnittenem Ärmel. Es stand ihr – vor allem die roten Pumps dazu.

»Haywood, du erinnerst dich an unsere Freundin Kate Maxwell?«, sagte er. Da er sie an diesem Nachmittag bereits kennengelernt hatte, brauchte Haywood diese Vorstellung natürlich nicht. Sie war eher für Außenstehende gedacht, die ihre Unterhaltung vielleicht mit anhörten.

»Natürlich. Ich bin froh, dass Sie Zeit hatten.«

»Danke für die Einladung.« Sie drückte ihre schmale rote Clutch an sich, während Finley sich anerkennend über ihre auffälligen Ohrringe äußerte.

Lowell Brentwood hatte von der anderen Seite des Raumes aus das frische Blut erspäht und kam auch gleich auf sie zu. »Haywood, wen haben wir denn hier?«, fragte er und stürzte sich sofort auf Kate.

»Kate Maxwell«, sagte sie, bevor Haywood sie vorstellen konnte.

»Ms Maxwell, es ist mir ein Vergnügen«, erwiderte Lowell mit einer angedeuteten Verneigung.

»Ms Maxwell überlegt, bei uns Kundin zu werden«, erklärte Haywood. »Also habe ich vorgeschlagen, dass sie uns begleitet. Besser kann man ja gar nicht herausfinden, was uns ausmacht, als bei unserem Seminar am morgigen Abend.«

»Das sehe ich auch so.« Lowell hob sein Glas. »Ich bin froh, dass Sie uns die Ehre erweisen.« Er nickte Griffin und Finley zu und lächelte. »Griffin, Mrs McCray, wie schön, Sie wiederzusehen. Wo sind denn ihre anderen Freunde? Ich hoffe, sie können alle kommen. Es wäre nicht dasselbe ohne die ... wie war noch mal der Name eurer Mannschaft, Haywood?«

Haywood zog seine Hose ein Stück höher. »Die Piraten.«

»Ja, richtig«, sagte Lowell mit einem anbiedernden Lächeln, bevor er einen Schluck von seinem Sekt trank. »Die Piraten

»Sie haben ein gutes Gedächtnis«, sagt Griffin.

»Haywood hat in seinem Büro Bilder von den Teams, die er trainiert hat. Ihres ist das in der Mitte. Offenbar hat er Ihr Team am liebsten trainiert. Das ist zwar eine Ewigkeit her, aber er hat das Bild immer noch.«

»In den drei Jahren, in denen ich ihr Trainer war, haben wir immer die Meisterschaft geholt. Und ich kann dir sagen, diese Jungs waren was Besonderes«, sagte Haywood mit Blick auf Griffin. »Außerdem ist das Bild aus meinem letzten Jahr in Chesapeake Harbor. Gute Erinnerungen. Gute Zeiten.« Sein Blick wanderte über Griffins Schulter. »Und wo wir gerade von den Piraten sprechen ...«

Griffin drehte sich um und sah, wie Parker mit Avery an seiner Seite den Raum betrat.

»Parker.« Haywood trat vor und schüttelte die Hand seines ehemaligen Schülers. »Und Sie müssen Avery sein.« Er umschloss ihre Finger mit beiden Händen. »Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen, meine Liebe. Ich habe so viel Wundervolles über Sie gehört.«

»Herzlichen Dank dafür, dass Sie mich eingeladen haben«, erwiderte sie lächelnd.

»Noch ein neuer Gast«, sagte Lowell und wandte sich Avery zu, während Frank Sinatras Version von »The Way You Look Tonight« leise aus den Lautsprechern drang.

Egal, ob auf die Bitte eines Anwesenden hin gespielt oder vom DJ selbst ausgesucht – diese Art Musik mochte Griffin am liebsten, und sie war bestens für ein Tänzchen mit seiner Frau geeignet. Zum Glück gab es in dem Hotel eine schöne Tanzfläche mitten im Saal.

»Lowell, dies ist meine Freundin Avery Tate«, sagte Parker.

»Es ist mir ein Vergnügen. Ich hoffe, Ihr Zimmer ist zu Ihrer Zufriedenheit?«

»Das ist es. Avery teilt sich das Zimmer mit Kate.«

»Ach, Sie kennen sich also alle. Das hätte ich mir denken können. Wenn man einen Piraten kennt, kennt man sie alle«, sagte Lowell.

Parker zog eine Augenbraue hoch und warf Griffin einen fragenden Blick zu. War Lowell schon betrunken oder biederte er sich nur an? Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem, aber Ersteres war gut für Kates Ermittlungen. Je mehr Lowell trank, desto mehr würde er erzählen.

»Ms Maxwell« – Lowell hielt ihr seinen Arm hin – »darf ich Ihnen die Räumlichkeiten zeigen?«

Kate setzte ihr dienstliches Lächeln auf. »Das wäre wunderbar. Danke.«

Sie wedelte zum Abschied mit den Fingern und hakte sich bei Lowell unter, um dann mit ihm in Richtung Bibliothek zu verschwinden.

»Na, das ist ja gut gelaufen«, sagte Haywood.

»Und während Kate sich um Lowell kümmert, machen Finley und ich besser Bekanntschaft mit den Markums«, sagte Griffin.

Haywood nickte. »Hervorragend.«

»Hast du seit ihrer Ankunft hier schon mit ihnen gesprochen?«, wollte er wissen.

»Zum Glück nicht. Aber die Coveys habe ich begrüßt.« Eine andere Kundenfamilie von Haywood, denen Geld abhandengekommen war.

»Hattest du den Eindruck, dass sie Bescheid wissen?«

Haywood schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste.«

»Kannst du sie mir zeigen?«, fragte Griffin.

Haywood sah sich um. »Dort«, sagte er. »Das Pärchen auf der Tanzfläche.«

»Dann gesellen Avery und ich uns doch am besten zu ihnen«, schlug Parker vor.

»Klingt gut.« Obwohl er viel lieber mit seiner Frau getanzt hätte, nahm er Finleys Hand. »Treffen wir uns nach der Party?«

Parker nickte.

»Sehr gut«, sagte Haywood, und mit einem Mal war er wieder der nervöse Mann, der er schon einige Stunden zuvor gewesen war.

Konnte es sein, dass er sich Sorgen darüber machte, was sie von den Markums oder den Coveys erfahren könnten? War es möglich, dass Haywood – ein Mann, den er praktisch sein ganzes Leben lang kannte – ihn anlog?

Er schluckte und hoffte, dass es nicht so war, während sie auf die Markums zusteuerten, die Finley zufolge in teurer Garderobe erschienen waren.

Elizabeth trug offenbar ein Cocktailkleid von irgendeinem Designer, dessen von Finley aufgeregt geflüsterter Name ihm nichts sagte, und über ihren blassen Armen hing eine pflaumenfarbene Kaschmirstola. Johns Anzug war dem Schnitt und Stil nach zu urteilen von J. Crew und wurde ergänzt von einem gestreiften Hemd in Pflaume und Weiß mit passender pflaumenfarbener Krawatte. Den Anzug hatte er erkannt, weil Finley im Katalog der Marke Dinge markierte, die sie für ihn ausgesucht hatte.

»Was für ein herrlicher Ort«, sagte sie so laut, dass die Markums es hören mussten, als sie sich von der Seite näherten. »Ich kann es gar nicht erwarten, alle kennenzulernen und mich hier umzusehen. Oh, hallo«, sagte sie und blieb vor dem Ehepaar stehen.

Elizabeth Markum drehte sich zu ihnen um. Ihre blonden schulterlangen Haare waren zur Seite gekämmt, und ihre großen blauen Augen drückten Skepsis aus, ebenso wie ihre zusammengepressten Lippen.

»Hi, ich bin Finley McCray.« Sie streckte die Hand aus.

Elizabeth warf ihrem Mann einen entnervten Blick zu, bevor sie Finleys Rechte ergriff. »Elizabeth. Dies ist mein Mann John.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen. Dies ist mein Mann Griffin.« Sie berührte mit dem Handrücken seinen Brustkorb und drehte die Hand dann, um sie auf seine Brust zu legen, während sie sich an ihn schmiegte, so als wollte sie eine Weile bleiben. Ob die Markums ihre Absicht bemerkten, konnte Griffin nicht genau einschätzen, aber so oder so schienen sie nicht gerade erbaut davon, Gesellschaft zu haben.

Waren sie immer so? Oder machten die Sorgen, die sie sich verständlicherweise wegen des gestohlenen Geldes machten, sie allem und jedem gegenüber misstrauisch? Griffin vermutete, dass es eine Mischung aus beidem war.

»Was für ein schönes Hotel für ein solches Wochenende«, sagte Finley.

»Ja.« Elizabeth rührte mit dem Cocktailstäbchen in ihrem Getränk, dessen Farbe und Geruch auf Limette schließen ließen.

»Das sieht gut aus«, fuhr Finley fort. »Dürfte ich Sie wohl fragen, was das ist?«

»Ein Limetten-Brombeer-Mojito«, erwiderte Elizabeth trocken.

»Das klingt köstlich.«

»Ich hole dir einen«, sagte Griffin. »Bin gleich wieder da, Leute.« Er drehte sich um und ging in Richtung Terrassenbar, bevor die Markums sich verdrücken konnten. Finley wurde auch allein mit ihnen fertig. Sie machte ihre Sache blendend.

Er schob sich durch die Menschenmenge und schnappte hier und da Gesprächsfetzen auf. Als er die Bar erreichte, lächelte er. »Eddie.«

»Mr McCray«, nickte der Barkeeper.

Griffin mochte Eddie. Er arbeitete seit drei Jahren in diesem Ferienort und finanzierte damit sein Studium an der Stevenson University, die nicht weit entfernt lag. »Nenn mich Griffin, okay?«

»Also gut, Griffin. Was kann ich dir und deiner reizenden Gattin anbieten?«

»Zwei Brombeer-Limetten-Mojitos.«

»Kommt sofort.« Sein Blick wanderte zu Finley, die weiter mit den Markums plauderte. »Wie du sie dazu gebracht hast, dich zu heiraten, werde ich nie verstehen«, fügte er hinzu. Eddie und er zogen einander gerne auf.

»Da sind wir schon zu zweit«, erwiderte Griffin und warf einen Zwanzigdollarschein in den Krug für die Trinkgelder, während er die Getränke nahm.

»Du bist zu großzügig«, sagte Eddie, »wie immer.«

Griffin kannte Eddies Lebensumstände nicht genau, aber Gott hatte ihm diesen jungen Mann ans Herz gelegt, und das war Grund genug, großzügig zu sein. »Wir sehen uns später.«

»Ich bin den ganzen Abend hier«, sagte Eddie. »Die Bar ist bis Mitternacht geöffnet, falls ihr zu euren Crackern noch was trinken wollt.« Griffin war froh, dass an beiden Enden der Bar ein Heizelement stand, aber Eddie würde sich am Ende des Abends seinen Lohn und seine Trinkgelder verdient haben.

Griffin schob sich zwischen den Leuten hindurch und sah sich dabei um. Er fragte sich, wie Jenny und Jeremy Barrit wohl aussahen und ob sie schon angekommen waren. Sie waren das nächste Ehepaar auf Haywoods Liste mit Kunden, die Geld vermissten.

»Bitte schön, Liebling«, sagte er und reichte Finley ihr Glas.

»Danke, Schatz.« Sie wandte sich Griffin zu. »John hat mir gerade von den Besonderheiten hier erzählt.«

»Wir kommen schon seit zehn Jahren hierher«, nickte John.

Gut gemacht, Fin. Sie hatte sie zum Reden gebracht.

»Für mich ist es erst das dritte Mal«, sagte Griffin.

»Ich staune, dass wir uns noch nie begegnet sind.«

»Mit Finley bin ich zum ersten Mal hier.«

»Wir sind frisch verheiratet«, fügte sie hinzu.

»Ah, wie schön.« John lächelte. »Herzlichen Glückwunsch.«

Finley schmiegte sich an Griffin. »Danke.«

»Bei früheren Kundenwochenenden war ich tagsüber wandern und nachts habe ich gelesen«, erklärte Griffin.

»Vor der Hochzeit also eher ein Einzelgänger«, nickte John. »Verstehe.«

Elizabeth verdrehte die Augen. Offenbar genoss sie die Unterhaltung nicht annähernd so sehr wie ihr Mann, der inzwischen viel entspannter wirkte.

»Wie lange sind Sie beide denn schon verheiratet, wenn ich fragen darf?«, sagte Finley. »Sie sehen sehr glücklich aus!«

John und Elizabeth blickten einander an und Elizabeths finstere Miene wurde etwas weicher.

»Dreiundzwanzig Jahre«, antwortete sie.

»Das ist ja toll.«

Elizabeths verkrampfter Mund verzog sich zu einem Lächeln.

Unglaublich, Fin.

»Und was machen Sie beruflich, John?«, fragte Finley jetzt.

»Ich habe einen Jachthafen in Annapolis.«

»Ich bin beeindruckt. Das klingt nach einem wichtigen Job.«

John strahlte. »Ach, ich weiß nicht. Aber ich liebe meine Arbeit, weil ich mit Booten aufgewachsen bin.«

»Ich stamme aus Chesapeake Harbor«, sagte Griffin.

»Ach ja, den Ort kenne ich«, nickte John.

»Wirklich?« Die kleine Hafenstadt südwestlich von Baltimore an der Chesapeake Bay war nicht vielen Menschen vertraut.

»Wir kommen beim Segeln viel herum«, sagte Elizabeth.

»Und bei einer unserer vielen Küstenfahrten waren wir auch in Chesapeake Harbor«, fügte John hinzu.

»Wie lustig«, bemerkte Finley.

»Haywood ist auch ein großer Bootsfan«, sagte Griffin in der Hoffnung, die Unterhaltung auf unauffällige Weise zu ihrem Fall zurückzulenken.

Offenbar nicht unauffällig genug. Elizabeths Miene verfinsterte sich wieder.

»Er hat ein Motorboot«, sagte John mit einem scharfen Unterton. »Wir sind Segler.«

»Ah, ein wahrer Bootsmann«, sagte Griffin, um Johns Gunst wiederzugewinnen.

»Segeln Sie auch?«, fragte er.

»Bin damit aufgewachsen«, sagte Griffin. »Und Finley auch.«

»Vielleicht können wir ja mal zusammen eine Tour machen«, bot John an.

»Das wäre schön«, erwiderte Griffin.

»Jetzt gehen wir erst einmal unsere Sachen auspacken.« John warf seiner Frau einen vielsagenden Blick zu.

»Ja, ich würde gerne auch ein wenig die Füße hochlegen«, sagte sie wie auf Kommando.

»Es war mir ein Vergnügen, Sie beide kennenzulernen«, sagte Finley, als das Ehepaar davoneilte.

»Ebenso«, hörten sie Johns Stimme, bevor sie entschwunden waren.

»Das heißt, sie mögen Boote, aber Haywood mögen sie nicht«, sagte Finley.

Griffin seufzte. »Wärest du gut Freund mit jemandem, von dem du glaubst, dass er dich bestiehlt?«