Die Autorin

Johanna Paul – Foto © privat

Johanna M. Paul, geboren 1998, ist in Bremen geboren und aufgewachsen. Nach ihrem Abschluss in Angewandter Physik zog sie für ein weiterführendes Studium nach Hannover. Familie und Freundschaften verbinden sie mit Ostfriesland und der Nordseeküste. Neben Naturwissenschaften sind seit ihrer Kindheit Lesen und Schreiben ihre Leidenschaft.

Das Buch

Ein Neuanfang am Deich

An einem Dienstag im Juni trifft Emma die Entscheidung, ihren Mann zu verlassen, und fährt Hals über Kopf nach Norddeich, in ihre Heimat. Zum Glück begegnet ihr in dem kleinen Ort an der Nordseeküste ein alter Bekannter, der ihr anbietet, im Haus seiner verstorbenen Eltern unterzukommen, wenn sie im Gegenzug bei dessen Renovierung hilft. Allerdings hat die Sache einen Haken: Zum Inventar gehören zwei Papageien, für die Emma ab sofort verantwortlich ist. Als plötzlich auch noch ihre Nichte Sina vor der Tür steht, wird es lebhaft in dem kleinen Häuschen. Und dann ist da auch noch der sympathische Mechaniker Jim, der Emma ein wenig den Kopf verdreht. Doch ist sie schon bereit für eine neue Liebe? Und was hat es mit den seltsamen Geräuschen auf sich, die nachts aus der Voliere der Vögel dringen?

Johanna Paul

Das kleine Friesenhaus am Meer

Ein Nordsee-Roman

Forever by Ullstein
forever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever
Forever ist ein Verlag
der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
April 2020(1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020
Umschlaggestaltung:
zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®
Autorenfoto: © privat
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ISBN 978-3-95818-562-3

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Widmung

Für alle, deren Leben regenbogenbunt ist

1 Emma


Der Tag, an dem sie ihre Entscheidung traf, begann dunkel. Dunkel, weil Emma schon so früh wach wurde, dass nur ein blasser Schimmer Mondlicht durch die großen Schlafzimmerfenster fiel, und dunkel, weil in ihrem Kopf finstere Gedanken wie Fledermäuse kreisten.

Sie drehte den Kopf zur Seite. Michi lag mit dem Rücken zu ihr, zwischen ihnen der im Bett größtmögliche Abstand. Er atmete ruhig, langsam ein, langsam aus. In diesem friedlichen Rhythmus, der ihr seit Jahren vertraut war. Nicht zu erahnen, dass er in der Lage war, zu sagen, was er gestern Abend gesagt hatte.

»Du bist so eine Idiotin, Emma!«

Der Satz hallte seltsam nach in ihrem Kopf. Während sie gestern Abend perplex, geschockt, am Boden zerstört gewesen war, stieg nun Wut in ihr auf. Wie konnte er so mit ihr reden? Niemand hatte sie zu beleidigen. Vor allem nicht ihr Ehemann.

»Du bist so eine Idiotin, Emma! Du kapierst es nicht, oder? Du bist einfach zu dumm, um es zu kapieren!«

Sie setzte sich auf, sodass sie Michis zum Fenster gedrehtes Gesicht sehen konnte. Eine Weile betrachtete sie ihren Mann in dem kalten, dämmrigen Schein, den der Mond ins Zimmer warf. So still lag er da. Scheinheilig. In ihr regte sich das verblüffende Verlangen, ihn zu ohrfeigen.

»Selber Idiot«, flüsterte sie, rutschte zur Bettkante und stand so geräuschlos wie möglich auf.

Mit Pantoffeln und Morgenmantel bekleidet schlich sie die Treppe hinunter und betrat die Küche. Die Funkuhren am Ofen, an der Mikrowelle und an der Kaffeemaschine verkündeten alle die gleiche Uhrzeit: 4:02 Uhr. Verflixt, war das früh.

Sie schüttete Milch und Kakaopulver in ihre Froschkönigtasse und beobachtete gegen die Kochinsel gelehnt, wie sie sich im sanften Licht der Mikrowelle um sich selbst drehte.

Immer im Kreis.

Vielleicht hätte sie das Thema am vergangenen Abend nicht schon wieder anschneiden sollen. Aber sie hatte keine Wahl, oder? Nicht, wenn ihr Wunsch noch in Erfüllung gehen sollte, bevor sie zu alt war.

Die Mikrowelle verkündete mit einem leisen Pling, dass sie fertig war. Emma umschloss die angenehm warme Tasse mit ihren Fingern und lief hinüber ins Wohnzimmer, wo sie sich auf dem großen Ecksofa niederließ. Die Plissees verdeckten die Panoramafenster, sodass fast völlige Dunkelheit herrschte. Doch je mehr Emmas Augen sich an die Umgebung gewöhnten, desto mehr schemenhafte Muster nahm sie wahr, die das Mondlicht auf den Boden und die Möbel malte.

Zwei Wochen noch und sie würden zehn Jahre verheiratet sein. Der Gedanke daran löste in ihr nichts als unbehagliches Schaudern aus.

Sie wies sich selbst zurecht. Sie hatte alles, was eine Frau sich wünschen konnte. Und sie hatte zum Teufel noch mal nicht das Recht, unglücklich zu sein.

Um Viertel vor fünf begannen die Vögel zu zwitschern. Sie nahm dies als Zeichen zur Kenntnis, das Frühstück vorzubereiten, und begab sich zurück in die Küche. Eine willkommene Ablenkung. Sie legte Aufbackbrötchen in den Backofen, kochte zwei Eier und backte kleine Pfannkuchen, deckte den Tisch mit allen Köstlichkeiten, die der Kühlschrank hergab, und machte Kaffee für Michi. Und am Ende, als sie noch immer Zeit hatte, briet sie sogar Speck in einer Pfanne an.

Um fünf nach halb sechs hörte sie die Dusche angehen und einige Zeit später kam Michi die Treppe herunter. Sie stand mit dem Rücken zu ihm an der Spüle, tat, als hätte sie ihn nicht bemerkt.

Er räusperte sich. »Guten Morgen, Emma.«

»Hey.«

»Das Frühstück sieht klasse aus.«

Sie zuckte mit den Schultern und fuhr fort, die Pfanne zu schrubben.

»Du warst früh wach.«

»Offensichtlich.«

Er schwieg. Schließich sagte er leise: »Du, wegen gestern Abend. Es tut mir leid.«

Emma drehte sich um, bemüht, ihren Gesichtsausdruck neutral zu halten. »Dann können wir ja frühstücken.«

Sie beschloss, sich nicht anmerken zu lassen, dass der Streit vom Vortag sie beschäftigte. Genüsslich lächelnd steckte sie sich ein Stück Pfannkuchen mit Sirup in den Mund, löffelte ihr Ei und bestrich sich ihr Brötchen dick mit Erdbeermarmelade, während Michi mit irritiertem Gesichtsausdruck langsam auf seinem Brötchen herumkaute. Der Anblick hob ihre Laune ein wenig.

Nach dem Abräumen, Waschen und Anziehen stiegen sie in ihre Autos. Obwohl sie das gleiche Ziel hatten, fuhren sie getrennt, und das hatte nicht nur den Grund, dass Emma schon einige Stunden vor Michi wieder zu Hause sein würde.

Nach einer Viertelstunde Fahrt durch die gerade erst erwachten Straßen des Münchener Stadtrands kam die gläserne Fassade von Baukönig in Sicht, einem Familienbauunternehmen, das in Süddeutschland in den letzten Jahren ein Begriff geworden war. Dafür hatte Michi hart gearbeitet. Emma fuhr auf den noch leeren Angestelltenparkplatz, parkte etwas schief zwischen zwei Markierungslinien und beobachtete, wie Michi auf dem Geschäftsführerparkplatz fünfzig Meter weiter aus seinem Auto kletterte und durch eine Drehtür in dem protzigen Gebäude verschwand.

Der zweite Grund war, dass es sich für den Eigentümer der Firma nicht schickte, mit einer Putzfrau zusammen zu kommen.

Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen, dann schwang sie entschlossen die Beine aus dem Fahrzeug.

Durch einen Seiteneingang abseits der gläsernen Front gelangte sie auf eine Kellertreppe und von dort in den dunklen Raum, in dem die Putzutensilien lagerten. Als sie sich gerade einen Rollwagen mit allen Sachen, die sie brauchte, zusammenstellte, kamen ihre Kolleginnen Fernanda und Cecile herein. Zu dritt füllten sie die freie Fläche des Raums vollständig aus.

»Guten Morgen«, begrüßte Fernanda sie mit ihrem südländischen Akzent und umarmte sie überschwänglich. Graue Locken streichelten Emmas Gesicht. Emma erwiderte die Begrüßung und gab der schmalen Cecile ebenfalls eine kurze Umarmung.

Während Fernanda die Kaffeemaschine einschaltete, warfen sie einen Blick auf den Wochenplan und sprachen sich ab. Die große Werkstatt war dran und die Geschäftsräume im fünften und sechsten Stock. Warum ausgerechnet die? Bevor Emma etwas sagen konnte, sicherte Fernanda sich die Werkstatt. Hastig schlug sie vor, das Foyer und die Toiletten im ersten bis vierten Stock zu übernehmen, aber Cecile murrte, dass sie den fünften und sechsten allein nicht schaffen würde.

»Kommst du dann hoch und hilfst mir, wenn du unten fertig bist, Emma?«

Emma schluckte. Verflixt. Vielleicht hatte sie ja Glück und würde Michi nicht begegnen.

Sie schob ihren Wagen aus dem Raum und fuhr mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss. Das Foyer war immer die erste Aufgabe des Tages. Um Viertel vor acht, wenn die Rezeptionistin den Haupteingang aufschloss und ihren Platz hinter dem Tresen einnahm, musste es blitzblank sein.

Emma steckte sich Kopfhörer in die Ohren, wählte ihre Lieblingsplaylist aus und summte leise mit, während sie mit dem Bodenwischer ihre Bahnen zog. Dann fuhr sie eine Etage weiter nach oben und putzte die Waschräume, die sich in der Mitte des langen Flurs befanden. Als sie sah, dass der Boden vor den Bürotüren durch den Regen der letzten Tage von braunen Schuhabdrücken bedeckt war, wischte sie einmal den gesamten Flur entlang – vor acht tauchte normalerweise keiner der Angestellten auf. Völlig vertieft begann sie, immer lauter und schiefer zur Musik zu trällern.

»Guten Morgen, Frau König!«, drang plötzlich eine Stimme an ihr Ohr.

Sie brach ab, nahm hastig einen Kopfhörer aus dem Ohr und blickte auf, während ihr die Röte ins Gesicht schoss. Stefan Sauer lief an ihr vorbei auf seine Bürotür zu.

»Sie sind ja früh dran heute.«

Er nickte. »Wir, der Betriebsrat, haben nachher ein Treffen mit dem Vorstand. Ich will vorher noch ein bisschen was schaffen«, sagte er, bevor er in seinem Büro verschwand.

Emma runzelte die Stirn. Michi hatte ihr gar nichts von dem Treffen erzählt. Vielleicht war es nichts Wichtiges. Sie steckte sich den Kopfhörer wieder ins Ohr und fuhr mit ihrer Arbeit fort.

Als sie ins nächste Stockwerk fuhr, waren schon einige weitere Mitarbeiter auf dem Weg in ihre Büros. Um niemandem im Weg zu sein, konzentrierte sie sich in den übrigen Stockwerken auf die Waschräume, wischte über Fliesen und Spiegel, tauschte Toilettenpapier, Handtücher und Seife. Sie summte wieder leise zur Musik und langsam beruhigten sich ihre aufgewühlten Gedanken. Sie schindete noch ein wenig Zeit, legte unten im Putzraum eine Pause ein und aß ihr mitgebrachtes Brötchen. Dann führte kein Weg mehr daran vorbei, nach oben zu fahren.

Der Fahrstuhl brachte sie mit einem leisen Schnurren in den sechsten Stock. Sie fand Cecile auf der Dachterrasse bei dem verzweifelten Versuch, den hartnäckigen Schmutz von den geriffelten Fliesen zu schrubben.

»Hallo, Emma. Fertig mit den Toiletten?«

»Ja. Was gibt es hier oben noch zu tun?«

»Die Seminarräume ganz hinten im Flur. Die sind heute nicht belegt.«

Emma nickte, wünschte Cecile viel Erfolg beim Reinigen der Dachterrasse, wofür sie ein ironisches Lachen erntete, und schob ihren Wagen den Flur entlang in Richtung der Seminarräume.

Laute, aufgebrachte Stimmen drangen plötzlich an ihr Ohr. Unwillkürlich blieb Emma stehen. Die Tür zu einem der großen Besprechungsräume war nur angelehnt.

»Wir sind gerade mal zwei Monate lang ins Minus abgerutscht. Das kann sich wieder ändern. Man muss doch nicht gleich anfangen, Stellen zu streichen.«

Was zum Teufel?

Zustimmung ertönte, empörte Kommentare. Ein Räuspern war zu hören und dann Michis Stimme. »Wenn es eine andere Möglichkeit gäbe, würden wir sie sicherlich in Erwägung ziehen. Aber …«

Jemand unterbrach ihn. »Das ist Unsinn, natürlich gibt es andere Möglichkeiten! Preiserhöhungen. Oder Fortbildungen für Angestellte. Das steigert die Produktivität. Im Gegensatz zu einem Stellenabbau.«

Oh Gott. Das konnte nicht wahr sein.

»Diese Maßnahmen wurden überprüft und als nicht effektiv eingeschätzt«, sagte Michi in diesem ätzenden Geschäftston.

Noch jemand meldete sich zu Wort. »Herr König, wir haben Sie richtig verstanden, dass Sie über sechzig Stellen einsparen wollen?«

Eine unbändige Wut stieg in Emma auf.

Michis Stimme war kalt und unnachgiebig. »Ja, Sie haben mich richtig verstanden.«

Stimmengewirr.

Etwas in Emma explodierte. Sie riss die Tür auf und rief: »Michael, das ist gelogen. Die Wahrheit ist, dass dir diese Menschen egal sind. Dir ist das Geld wichtiger. Und jeder in diesem Raum weiß das!«

Sie holte Luft. Totenstille hatte sich innerhalb von Sekundenbruchteilen über den Raum gelegt. Die Mitglieder des Betriebsrats schauten sie entgeistert an und dann verlegen weg, wenn Emmas Blick ihren traf.

Oh Gott, oh Gott, oh Gott, war alles, was Emma zu denken imstande war.

Michi versuchte, sein Entsetzen hinter seiner Geschäftsmiene zu verbergen. Es gelang ihm nicht. »Ich kläre das mal kurz«, sagte er und nickte in Richtung des Betriebsrats. Am Arm zog er Emma vor die Tür. Knallend fiel sie ins Schloss.

»Was fällt dir ein, so hereinzuplatzen?«, zischte er. »Merkst du nicht, wie du mich bloßstellst?«

Emma schaute ihn trotzig an. »Wie kannst du nur? Du hast mir nicht mal vorher davon erzählt.«

Michi wurde lauter. »Warum sollte ich dir davon erzählen? Das ist meine Geschäftsangelegenheit, nicht deine.«

»Ich bin nicht nur deine Angestellte. Ich bin deine Ehefrau. Ich habe ein Recht, davon zu erfahren.«

»Nein, hast du nicht!«

»Doch, Michi!«

»Emma, geh und mach weiter deine Arbeit.«

»Du kannst nicht über mich bestimmen!«, rief Emma empört.

Jetzt schrie er. »Du denkst, dass du zu allem ein Recht hast, Emma, aber weißt du, was du ohne mich wärst? Eine Versagerin. Du kannst nichts, du bist nichts. Und deshalb bestimme ich über dich!«

Der letzte Satz war so laut, dass Emma sich duckte und sich die Ohren zuhielt. Fassungslos starrte sie Michi an. Sie wusste, dass alle im Besprechungsraum es gehört hatten.

Michi schaute zu Boden, warf ihr dann noch einen schnellen Blick zu und verschwand einfach wieder im Raum. Das erneute Knallen der Tür ließ sie zusammenzucken.

Langsam sickerten die Worte ein. Ohnmacht, Demütigung, Erniedrigung. Als wäre sie sein Besitz. Sein hübscher, zur Unterhaltung dienender, aber ansonsten nutzloser Besitz.

Ein bitterer Geschmack erfüllte ihren Mund. Sie schnappte sich ihren Rollwagen und fuhr mit dem Fahrstuhl runter in den Keller, während sie versuchte, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken.

Dort rannte sie direkt in Fernanda hinein.

»Oh, Emma! Was ist passiert?«

»Nichts. Alles super.«

Fernanda nahm sie einfach in den Arm. Das brachte Emma an die Grenzen ihrer Beherrschung.

»Ich fahre nach Hause«, presste sie hervor. »Sag, ich wäre krank.«

Fernanda nickte. »Pass auf dich auf.«

»Danke.« Emma lächelte ihr zu, schnappte sich ihre Tasche und eilte zu ihrem Auto.

Dann gab sie auf. Alles, was sich seit dem Abend angestaut hatte, brach hervor. Die ganze Autofahrt lang wurde sie von heftigen Schluchzern geschüttelt, ihre Tränen erschwerten ihr die Sicht auf die Straße. Sie stellte das Auto in der Auffahrt ab, schloss die Haustür auf, ging geradewegs ins Wohnzimmer und warf sich aufs Sofa, um sich so richtig auszuheulen.

Doch nun wollten keine Tränen mehr kommen.

Sie setzte sich langsam auf, zog Jacke und Schuhe aus, nahm die Haarnadeln aus ihren hochgesteckten Haaren.

Was nun?

Ihr Blick fiel auf die Fotowand über der Vitrine, und sie verspürte den Drang, die Fotos von Michi und ihr von der Wand zu reißen und auf dem Boden zu zerschmettern. So, wie es Leute in Filmen kurz vor der Scheidung machten.

Ein Foto fing ihren Blick ein. Drei Gestalten, die ihre Kapuzen festhielten, damit der Wind sie ihnen nicht wegblies, strahlende Lächeln auf den Gesichtern, im Hintergrund ein in trübes Licht getauchter Strand. Emmas letzter Besuch bei ihren Eltern in Norddeich, bevor ihr Vater gestorben war. Vor fünf Jahren. Ein seltsames, gleichzeitig wohliges und trauriges Gefühl machte sich in ihr breit. Heimweh.

Und eine Frage, die sie sich nur selten zu denken traute, formte sich in ihrem Kopf.

Was zur Hölle hatte sie hier verloren?

Plötzlich war ihr sonnenklar, was sie zu tun hatte. Sie rannte nach oben, kletterte über die wackelige Leiter auf den Dachboden und grub aus den Tiefen des Gerümpels eine Kiste aus, in der sich die wenigen Gegenstände aus ihrer Kindheit befanden, die sie mit nach München genommen hatte. Sie hievte sie die Leiter hinunter und dann den großen roten Koffer. Und vorsichtshalber auch den kleinen blauen. Dann begann sie, Schränke, Schubladen und Regale nach Wichtigem zu durchforsten.

Kleidung natürlich. Nein, nicht die Arbeitsklamotten und auch nicht das hässliche blaue Kostüm, zu dem Michi sie für die Spendengala überredet hatte. Aber das quietschgelbe Sommerkleid musste mit. Und ihr gemütlicher grüner Lieblingspulli. Ihre Sommersandalen, Gummistiefel und Leinenschuhe. Die knallrote Regenjacke und die verwaschene Lieblingsjeans.

Sie durchforstete die Truhe im Schlafzimmer, in der sie Schmuck und einige persönliche Gegenstände aufbewahrte. Das Kästchen mit den Holzohrringen. Die Uhr von ihrem Großvater. Bis auf eine mit Edelsteinen besetzte Kette von Michi, die sie achtlos zur Seite warf, wollte sie sich von keinem der Stücke trennen, sodass sie beschloss, die gesamte Truhe mitzunehmen.

Sie hievte alles die Treppe runter. Im Wohnzimmer nahm sie das Foto von sich und ihren Eltern vom Sofa, wo sie es zurückgelassen hatte, und legte es sorgfältig zwischen die Kleidung im Koffer. Ein weiteres Bild nahm sie noch mit, außerdem eine Sammlung von an sie adressierten Briefen, ein paar Kugelschreiber und Papier.

Dann war die Küche dran: diverse Kochutensilien, ihre Lieblingstasse mit dem Froschkönig drauf, ihre besten Töpfe und Pfannen. Das Kochbuch ihrer Mutter. Müsliriegel, Wasserflaschen, Bananen, zwei Schokoladentafeln, Rosinenbrötchen für unterwegs. Und zu guter Letzt die Packung Kakaopulver von ganz oben aus dem Schrank.

Als Michis Wagen um halb fünf in die Einfahrt rollte, hatte Emma bereits all ihre Habseligkeiten im Auto verstaut, sich als Stärkung vor der Abreise eine Pizza in den Ofen geschoben und sie verzehrt. Mit Schuhen und Jacke bekleidet stand sie im Flur und wartete auf ihn.

Michi schloss die Haustür auf, blieb verwirrt stehen und starrte Emma mit großen Augen an.

»Ich habe dir eine Aufbackpizza rausgelegt«, sagte Emma. »Und übrigens: Ich kündige. Grüß Fernanda von mir.«

An Michi vorbei stiefelte sie durch die Haustür, ließ sich in den Vordersitz ihres Autos fallen und startete den Motor. Dann fuhr sie die Scheibe noch einmal herunter. Michi verfolgte sie mit den Augen, noch immer sprachlos.

»Auf Nimmerwiedersehen, Michi«, sagte Emma, drückte das Gaspedal durch und brauste davon.

»Emma!«, hörte sie Michi schreien, als er im Rückspiegel kleiner wurde.

2 Jonas


Der Tag, an dem er seine Entscheidung traf, begann mit dem ohrenbetäubenden Piepen seines Handyweckers. Jonas hatte ihn extra laut eingestellt, weil er schon um acht in der Uni sein musste. Entnervt wischte er auf dem Bildschirm nach links, um die Schlummerfunktion zu aktivieren, verkroch sich wieder unter der warmen Decke und versuchte, in seinen Traum zurückzukehren. Irgendwas mit seinem kleinen Bruder.

Der Wecker klingelte wieder und nach weiteren fünf Minuten noch einmal. Er überwand sich, nach rechts zu wischen, und setzte sich schlaftrunken auf.

Um wach zu werden, beschloss er, zu duschen. Er sammelte seine Kleidung vom Vortag auf und öffnete seine Zimmertür. Im Flur war es stockfinster. Seine Mitbewohner Matz und Daphne schliefen vermutlich noch tief und fest. Er knipste das Licht an und betrat das Badezimmer.

Schon wacher, aber nicht wesentlich besser gelaunt, schüttete er anschließend in der Küche eine große Portion Cornflakes in seine Lieblingsschüssel. Shit – keine Milch mehr im Kühlschrank. Mit finsterer Miene schaufelte er trockene Cornflakes in sich hinein und kippte ein Glas Leitungswasser hinterher. Dann schnappte er sich Schuhe und Rucksack, zog die Wohnungstür hinter sich zu und lief fünf Stockwerke runter in den Keller, wo er sein Fahrrad abgestellt hatte.

Nicht ernsthaft jetzt? Er durchsuchte Jacken- und Hosentaschen, aber der Schlüssel war nicht darin. Also lief er die fünf Stockwerke wieder nach oben, klingelte Matz aus dem Bett, durchwühlte erfolglos Kleiderschrank und Schreibtisch, griff dann noch einmal in seine linke hintere Hosentasche – da war er ja doch. Seine ohnehin schon schlechte Laune erreichte den Tiefpunkt. Wieder lief er fünf Stockwerke runter, schloss sein Fahrrad auf und radelte los zur Uni.

Durch das Treppenlaufen hatte der Effekt der Dusche sich wieder annähernd verflüchtigt, und weil er Zeit verloren hatte und sich beeilen musste, war er nach seiner Fahrradtour durch halb Hannover so verschwitzt, als hätte er einen Marathon hinter sich. Zu allem Überfluss begann es unterwegs auch noch zu regnen. Er stellte sein Fahrrad ab und nahm die Treppen zum großen Hörsaal der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Der Professor hatte gerade die erste PowerPoint-Folie an die Wand gebeamt. Er entdeckte seine Kommilitoninnen Janin und Nala in der vorletzten Reihe und ließ sich außer Atem neben sie fallen.

»Frühsport gemacht?«, begrüßte Janin ihn sarkastisch.

Jonas rollte mit den Augen und holte Collegeblock und Kugelschreiber aus seinem Rucksack.

Diese blieben für den Rest der Vorlesung unbenutzt vor ihm liegen. Wie meistens. Er bemühte sich, seine Augen offen zu halten, starrte auf die PowerPoint-Folien, dann auf den Boden, seinen Tisch, seine Kommilitonen, schließlich an die Decke und zählte die kleinen, kreisrunden Löcher, die in einem Linienmuster angeordnet waren.

»Hast du überhaupt etwas von der Vorlesung mitbekommen, Jonas?«, fragte Nala ihn eineinhalb Stunden später, als sie ihre Sachen zusammenpackten und für die folgende Vorlesung den Raum wechselten.

Jonas zuckte mit den Schultern. »War‘s denn wichtig?«

»Zumindest für die Klausur. Vielleicht nicht für dein Leben.«

»Dann hab ich ja nichts verpasst.«

Er bemerkte, dass er genervt klang, und bemühte sich, ein Lächeln aufzusetzen. Nala und Janin tauschten einen Blick.

In den kleineren Seminarraum passten nur mit Mühe alle Studenten hinein. Janin wollte gerade ihren Kumpel Marcel herüberwinken, weil neben Jonas noch ein Platz frei war, aber es war zu spät – Josh ließ sich auf den leeren Stuhl fallen, der unter dem massiven Gewicht ächzte. Sofort breitete sich um Jonas herum eine Duftwolke aus, die leider nicht von Parfum stammte. Unwillkürlich rückte er seinen Stuhl weg, so weit es auf dem engen Raum möglich war. War es denn zu viel verlangt, gelegentlich eine Dusche zu nehmen?

»Hey, Kumpel, ich beiße nicht«, sagte Josh mit gerunzelter Stirn zu Jonas. »Hast du ein Problem mit mir?«

Jonas unterdrückte ein Stöhnen. »Nein, nein. Ich sehe so nur besser die Tafel.«

Blöde Ausrede.

Jonas gab sich alle Mühe, in der folgenden Vorlesung besser aufzupassen, aber das machte es nur noch schlimmer. Als der Dozent, Chef bei irgendeinem Verpackungsunternehmen, zum dritten Mal seinen Lieblingssatz fallen ließ – »Ein echter Boss nimmt keine Rücksicht auf Verluste« –, kochte Jonas vor Wut. Hätte er den Mut dazu gehabt, hätte er dem arroganten Kerl seine Meinung gesagt.

Aber weil er den Mut nicht hatte, musste er seine Ansicht eben beim Mittagessen mit seinen Kommilitonen teilen. Der Tag hatte soeben eine positive Wendung genommen, denn es gab sein Lieblingsessen – Spaghetti bolognese. Nala, Janin, Marcel und einige andere aus Jonas‘ Studiengang saßen mit am Tisch und kauten andächtig.

»Bin ich der Einzige, den dieser Satz wahnsinnig aufregt?«, fragte Jonas in die Runde, als er fast fertig war. »Ein echter Boss nimmt keine Rücksicht auf Verluste.«

Nala zuckte mit den Schultern. »Was ist damit? Irgendwie ist das doch das Prinzip von Wirtschaft.«

»Ich finde das bescheuert. Die Art, wie er heute wieder geredet hat. Als wären seine Angestellten Tiere.«

»Übertreib nicht. Du bist heute wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden«, sagte Janin.

»Nein, im Ernst. Seid ihr alle auf seiner Seite?«

»Jonas, du studierst Wirtschaftswissenschaften. Was erwartest du?«, fragte Marcel.

»Im ersten Semester warst du vielleicht nicht der Einzige mit deiner Meinung«, warf Yu vom Tischende ein. »Aber wir sind jetzt im vierten. Wer anfangs so dachte, hat seine Meinung entweder geändert oder das Studium abgebrochen.«

Jonas schaute ungläubig in die Runde. Alle blickten ihn abwehrend an, als hätten sie sich, ohne es laut auszusprechen, zu einer gemeinsamen Front formiert.

»Leute, das ist doch Quatsch! Kein guter Boss nutzt seine Position aus, um seine Mitarbeiter zu schikanieren und hinters Licht zu führen!«

»Jonas, sorry, aber Wirtschaft funktioniert so.« Janin seufzte. »Jemand muss hart durchgreifen und auch mal Leute feuern, wenn das Unternehmen effizient sein soll.«

»Ich kann‘s nicht glauben. Ihr redet, als wärt ihr jetzt schon knallharte Chefs. Gehirnwäsche, oder wie?« Es brach lauter aus Jonas heraus, als er beabsichtigt hatte.

Es war kurz still am Tisch. Nala legte beschwichtigend ihre Hand auf seinen Unterarm und setzte an, etwas zu sagen, aber er zog ihn weg.

»Wenn du damit nicht umgehen kannst, solltest du dir überlegen, ob du hier richtig bist«, sagte Marcel.

Es reichte Jonas. Er stand abrupt auf und schwang sich den Rucksack auf den Rücken.

»Dann will ich euch zukünftige Bosse nicht länger stören«, sagte er, brachte sein Tablett weg und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, aus der Mensa und zu seinem Fahrrad.

Da er sich das Nachmittagstutorium sparen würde, konnte er ohne Stress nach Hause radeln und hatte endlich mal genügend Zeit, zu entspannen, bevor er zur Bandprobe musste. Seine Mitbewohner waren mittlerweile beide in der Uni, sodass er die Wohnung für sich hatte. Er nahm sich eine Coladose aus dem Kühlschrank, setzte sich damit aufs Sofa, blätterte durch die Werbeprospekte, die dort lagen, und zappte durch die TV-Kanäle, ohne den Inhalt wahrzunehmen. Tag für Tag saß er in diesem blöden Hörsaal. Tag für Tag, obwohl er wusste, dass er dort nicht hingehörte. Warum?

Weil er ein Feigling war.

Frustriert schlürfte er an seiner Cola. Und dann, als es Zeit war, schnallte er seine Gitarre auf den Rücken und machte sich mit dem Fahrrad auf den Weg zur Bandprobe.

Jonas war zum ersten Mal, seit er mitspielte, fünf Minuten zu früh. Jan-Timon, der meist nur mit seinem selbst gewählten Bandnamen Ty gerufen wurde, kam gerade aus dem Eingang des großen Einfamilienhauses, in dem er mit seinen Eltern wohnte. Er schloss einige Schritte weiter eine in die Hauswand eingelassene Tür auf, die von außen in den Keller führte.

»Hey, Johnny«, sagte er und hob zum Gruß die Hand.

»Hallo, Ty«, erwiderte Jonas.

Ty bückte sich unter dem Türrahmen hindurch, den er mit seinen 1,95 Meter ein Stück überragte, und Jonas folgte ihm die steile Treppe hinunter in den geräumigen Keller, den Ty über die Jahre in einen professionellen Proberaum verwandelt hatte. Durch die schmalen Fenster unterhalb der Decke fiel ein Streifen Tageslicht, in dem Staubkörner tanzten. Jonas half Ty, die Stühle zurechtzurücken und die Abdeckung vom Schlagzeug zu nehmen, dann packte er seine Gitarre aus.

Wenig später erschien Karl, »Kane«, mit seinem gigantischen Kontrabass, gefolgt von Martin, »Marty«, der das Klavier in Beschlag nahm.

»Letzte Probe vor dem Auftritt!«, rief Ty und rieb sich die Hände. »Felice ist schon wieder zu spät. Aber für den Anfang geht es auch ohne Gesang. Lasst uns beginnen!«

Die vier legten los. Jonas griff beherzt in die Saiten, nach unzähligen Proben wussten seine Finger von selbst, wo sie hingehörten. Er warf einen Blick zu Ty, der mit verbissener Miene das Schlagzeug bearbeitete, während seine schwarze Mähne im Rhythmus der Musik auf und ab wippte, und musste grinsen. Ty war wirklich der geborene Schlagzeuger.

Ty erteilte gerade Anweisungen an Martin, als draußen lautes Motorengeräusch zu hören war. Einen Moment später erschien Felice auf der Treppe. Sie nahm ihren Motorradhelm ab und schüttelte ihre roten Locken.

»Tag, Leute«, sagte sie leicht außer Atem. »Bitte entschuldigt mich.«

Ty bedachte sie mit einem missbilligenden Blick. »So wie die fünfhundert Male zuvor.«

Felice verdrehte die Augen und schaute in Jonas‘ Richtung. Er grinste ihr zu.

Die eineinhalb Stunden Probe vergingen wie im Flug und währenddessen vergaß Jonas fast, was ihm so Kopfzerbrechen bereitete. Er ließ sich von der Musik mitreißen, treiben, emporheben. Was gab es Schöneres? Nur Ty unterbrach die Harmonie ab und an, indem er mit einem wütenden Tusch die Instrumente zum Schweigen brachte, Anweisungen brüllte, Zurechtweisungen verteilte. Aber als Jonas bei »Hopeless«, dem Stück, das er vor einigen Monaten selbst geschrieben hatte, zu Felice ans Mikro trat und die zweite Stimme sang, bemerkte er mit Genugtuung, dass sogar Ty einen Moment lang die Augen schloss.

Als Jonas nach der Probe seine Gitarre wieder in die Tasche packte, gesellte sich Felice zu ihm.

»Hey«, sagte sie. »Das Duett mit dir hat Spaß gemacht.«

»Und wie.« Nach einer kurzen Pause ergänzte Jonas: »Wie war deine Woche?«

»Alles bestens, und bei dir?«

»Ach. Bei mir eigentlich auch.«

Sie musterte ihn. »Was ist los?«

Er zuckte mit den Schultern. »Das Übliche. Mein Studium nervt mich. Aber das gibt sich schon wieder.«

»Wenn du darüber reden willst, erzähl‘s mir gern.«

»Hm.« Als ob das etwas half.

»Wir könnten noch ein Eis essen gehen.«

Dagegen konnte er wohl kaum etwas einwenden. »Beim Iglu?«

»Auf jeden Fall.«

Sie sammelten ihre Sachen ein und verabschiedeten sich von den anderen Bandmitgliedern. Der Himmel war bedeckt und es war kühl für Mitte Juni, aber immerhin hatte der Regen sich verzogen. Jonas schwang sich auf sein Rad und Felice folgte ihm langsam auf ihrem Motorrad. Nur wenige Straßen weiter priesen bunte Buchstaben das beliebte Eiscafé an.

Sie stellten ihre Fahrzeuge in einer angrenzenden Straße ab, bestellten drinnen und ließen sich dann draußen vor dem Iglu auf einer Bank nieder. Sie diskutierten über den Vorzug der verschiedenen Eissorten, schleckten an ihrem Eis und beobachteten die vorbeischlendernden Passanten.

»Nun erzähl. Was ist passiert?«, forderte Felice ihn schließlich auf.

Jonas schilderte ihr die Unterhaltung mit seinen Kommilitonen beim Mittagessen.

Felice schaute auf die Straße und zog ihre mit Sommersprossen bedeckte Nase kraus. »Wenn du dein Studium durchziehst, wenn du fertig bist. Was willst du arbeiten? Gibt es irgendeine Berufsaussicht, die dich reizt?«

Er zuckte mit den Achseln.

»Keine?«

»Eigentlich nicht.«

»Und du willst lieber dein Leben lang einen Job machen, den du verabscheust, als mit zweiundzwanzig noch mal von vorn anzufangen?«

»Dann hätte ich zwei Jahre umsonst studiert.«

»Zwei Jahre. Was sind schon zwei Jahre?«

»Aber …« Er schluckte. Sie würde es nicht verstehen. Niemand verstand, worum es wirklich ging.

»Du könntest zur Berufsberatung gehen.«

Er lachte bitter auf. »Das letzte Mal sagten sie, ich sollte was mit Wirtschaft machen. Das würde super zu mir passen.«

Felice zog eine Augenbraue hoch, was die Sommersprossen in ihrem Gesicht neu anordnete. »Einen Versuch wäre es bestimmt wert.«

Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander und aßen ihr Eis auf, jeder hing seinen Gedanken nach.

»Ich muss langsam los«, sagte Jonas schließlich. »Einkaufen für unseren Spieleabend.«

»Spieleabend?«

»Ja, in der WG.« Eigentlich konnte es nicht schaden, sie einzuladen. »Hast du Lust zu kommen?«

»Heute Abend? Gern«, sagte Felice erfreut.

Er nannte ihr die Uhrzeit. Sie standen auf und liefen zurück zum Parkplatz. Felice umarmte ihn flüchtig zum Abschied, stieg auf ihr Motorrad, drehte sich noch einmal kurz zu ihm um und brauste dann davon.

An der Hauswand, vor der das Motorrad gestanden hatte, war in blutroter Schrift ein Graffiti angebracht. Jonas versuchte, es zu entziffern.

Don‘t make your job your life, your prison, your death.

Im Nachhinein konnte er nicht sagen, ob es das Graffiti war, das ihn zu seiner Entscheidung bewegte, oder ob er sie im Inneren schon längst getroffen und nur noch eine Bestätigung gebraucht hatte. Abrupt drehte er sich um, stieg auf sein Fahrrad und strampelte nach Hause, so schnell er konnte. Er schloss sein Fahrrad an einer Straßenlaterne an, sprintete die Treppen hinauf und fuhr völlig außer Atem seinen Laptop hoch.

»Antrag auf Exmatrikulation, Hannover«, murmelte er vor sich hin, während er die Worte bei Google eingab. Er fand das PDF, druckte es aus und unterschrieb es mit einem Kugelschreiber. Dann faltete er es zusammen und steckte es in den Rucksack.

Eine Viertelstunde später stand er mit dem frankierten Brief vor dem Postkasten neben dem Supermarkt. Er holte tief Luft. Jetzt, dachte er, und ließ das weiße Stück Papier durch den Schlitz in die Tiefen des Behälters segeln.

3 Sina


Der Tag, an dem sie ihre Entscheidung traf, begann wie ein ganz normaler Frühsommertag in Norddeutschland: Es goss wie aus Kübeln. Das Prasseln des Regens klang auf der Scheibe des Dachfensters, als würde ihr Zimmer einem Kanonenhagel zum Opfer fallen.

Sina zog die Bettdecke über ihre Ohren und versuchte, zurück in den Schlaf zu gleiten. Vergeblich. Nach einigen Minuten schaltete sie den Wecker vorzeitig aus, schälte sich aus dem Bett und verließ den unter Beschuss stehenden Raum.

Ihre Mutter begrüßte sie gut gelaunt über die Zeitung hinweg, als sie die Treppe runterkam. »Du bist ja schon wach!«

Sina gab ein Stöhnen zur Antwort und ließ sich am gedeckten Frühstückstisch nieder. Ihr Vater schien bereits aus dem Haus zu sein. Sie bestrich eine Scheibe Toast dick mit Nutella, wofür sie von ihrer Mutter einen missbilligenden Blick erntete, und kaute still vor sich hin.

Nach einigen Minuten erschien ihre Schwester Merle in der Küchentür, fertig geschminkt und frisiert. Sie griff sich einen Apfel aus der Obstschale und schnitt ihn auf, während sie den Blick von Sinas Mutter auf den Nutella-Toast eindrucksvoll nachahmte. Ihr kleiner Bruder Anton, der als Letzter zu ihnen stieß, hatte gerade noch Zeit für eine eilig verschlungene Toastscheibe.

Sina wusch ihren Teller ab, packte ihre Schulsachen und geriet dann irgendwie doch wieder unter Zeitdruck. Wie konnte es sein, dass Merle und Anton vor ihr das Haus verließen, obwohl sie eher aufgestanden war? Während sie sich hastig Schuhe und Jacke anzog, steckte ihre Mutter ihr einen Geldschein zu.

»Für den Friseurtermin nach der Schule. Nicht vergessen.«

Sina nickte, umarmte ihre Mutter flüchtig zum Abschied und zog die Tür hinter sich zu. Verdammt, war der Regen stark. Sie sprintete los, und obwohl sie sich höchstens zwei Minuten im Freien aufhielt, war sie völlig durchnässt, als sie gerade noch rechtzeitig in den wartenden Bus sprang und sich in eine freie Sitzreihe fallen ließ.

Während sich ihre Atmung langsam normalisierte, ließ sie ihren Blick über die Insassen wandern. Merle saß mit elegant übereinandergeschlagenen Beinen ein paar Plätze weiter, den Regenschirm zum Trocknen neben sich aufgespannt, und schaute unschuldig herüber. Anton hockte mit zwei Mitschülern in der hintersten Sitzreihe, alle drei starrten auf ihr Handy. Weiter vorn im Bus entdeckte sie Colin und Mirko aus ihrer Klasse und ein paar weitere Schüler, außerdem Erwachsene auf dem Weg zur Arbeit und ältere Damen mit Einkaufstaschen.

Eine Haltestelle später stieg Bella ein, schüttelte die Regentropfen aus ihren langen Haaren und ließ sich auf einem Platz am Fenster nieder, von wo aus sie Sina einen abschätzigen Blick zuwarf. Sie zückte aus ihrer Handtasche einen Spiegel und begutachtete den Zustand ihrer Schminke. Die, zu Sinas Genugtuung, reichlich mitgenommen aussah.

Als sie mit den anderen Schülern ausstieg, hatte der Sturzregen sich zu einem Nieseln verflüchtigt. An der Bushaltestelle wartete eine triefende Gestalt – Edward der Dritte. Seine superschicke Lederjacke hatte ihm als Regenschutz offenbar wenig genützt. Bella stolzierte auf ihn zu, schlang ihm die Arme um den Hals und gab ihm einen Kuss.

Sina tat, als würde sie sich nicht für die beiden interessieren, folgte dem Strom in die Eingangshalle der Schule und betrat über eine Treppe den langen Flur, in dem ihr Klassenraum lag. Ihre Freundinnen Faria und Elli lehnten bei den Schließfächern an einer Wand und winkten ihr zu. Sie umarmten sich zur Begrüßung.

»Hast du das Vampirpärchen gar nicht mitgebracht?«, fragte Faria und blickte den Flur hinab in die Richtung, aus der Sina gekommen war. »Da sind sie. Das muss wahre Liebe sein.«

Die drei verfolgten, wie Bella und ihr Begleiter an ihnen vorbei auf eine Gruppe kichernder Mädchen zusteuerten.

»Wie lange sind sie zusammen? Drei Wochen?«, fragte Elli spöttisch.

»Auf jeden Fall länger, als die ersten beiden Edwards die Ehre hatten.« Faria befestigte mit einer kleinen Nadel ihr Kopftuch neu, aus dem eine glänzende schwarze Haarsträhne herausgerutscht war.

Herr Cordes ging an ihnen vorüber und schloss die Tür zum Klassenraum auf. Die Schüler folgten ihm schwatzend und lachend hinein und verteilten sich auf ihre Plätze. Sina ließ sich an ihrem Tisch nieder und plauderte weiter leise mit Faria und Elli, während ein Arbeitsblatt über englische Zeitformen ausgeteilt wurde. Bis zur Mittagspause plagten die Biografie irgendeines französischen Malers und der Aufbau von Pflanzenzellen sie, anschließend folgte eine Stunde voller Dur- und Moll-Dreiklänge und die Rückgabe der Musikarbeit. Eine Drei plus. Für die Tochter einer Musiklehrerin nicht gerade eine Glanzleistung.

Endlich hallte der befreiende Gong durch die Schule. Sina warf ihren Collegeblock in den Rucksack und war eine der Ersten, die aufstand und den Raum verließ. Gemeinsam mit Faria und Elli schlenderte sie Richtung Bushaltestelle, fragte sie nach ihren Plänen für den restlichen Nachmittag und tauschte sich mit ihnen über ihre Erleichterung aus, dass beinahe Ferien waren.

Sie verabschiedeten sich, als Sinas Bus vorfuhr. Sina drehte sich im Laufen noch einmal um und sah, dass Faria ihr eine Kusshand zuwarf. Sie grinste zurück.

Weil es Nachmittag war, war der Bus weniger voll als auf dem Hinweg. Colin und Mirko stiegen vor ihr ein und Sina setzte sich in die Zweierreihe hinter ihnen. Sie stöpselte sich Kopfhörer in die Ohren und wollte sich gerade zurücklehnen, um Musik zu hören und aus dem Fenster zu schauen, als sie ihren Namen hörte. Sie nahm einen der Kopfhörer wieder raus. Aber Mirko, der gesprochen hatte, hatte sich nicht zu ihr umgedreht.

»Sina? Ganz nett«, erwiderte Colin auf Mirkos Frage. »Normal halt. Nichts Besonderes.«

Hitze schoss ihr ins Gesicht. Sie versuchte ein Räuspern, aber es war zu leise, um die beiden auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen.

»Ist so. Man kann gut mit ihr reden. Aber ich würde nie auf so eine stehen.«

Fassungslos starrte Sina auf Mirkos Hinterkopf. Was bildete er sich ein?

»Was hältst du von ihrer Freundin?«, fragte Colin. »Faria.«

»Ich weiß nicht. Warum?«

»Sie ist doch ganz cool, oder? Sie ist hübsch. Und witzig.«

Mirko begann zu lachen. »Stehst du auf sie, oder was?«

»Natürlich nicht. Na ja. Wenn sie kein Kopftuch tragen würde, vielleicht.«

»Wenn du mit ihr zusammen sein willst, musst du bestimmt bei ihrem Vater um ihre Hand anhalten«, sagte Mirko kichernd. »Ist das nicht so bei den Muslimen?«

Colin fiel in sein Lachen ein.

Sina konnte nicht mehr an sich halten. »Haha, sehr witzig«, fauchte sie.

Erschrocken fuhren die beiden Köpfe zu ihr herum.

»Faria würde wohl kaum mit jemandem zusammen sein, der nicht damit klarkommt, dass sie ein Kopftuch trägt. Also könnt ihr euch eure schwachsinnigen Überlegungen sparen.«

»Wir machen doch nur Spaß«, erwiderte Mirko, als er sich wieder gefasst hatte.

»Seltsamer Humor.« Sina funkelte ihn wütend an.

»Wir wussten ja nicht, dass du hinter uns sitzt.«

»Außerdem stehe ich gar nicht auf Faria«, sagte Colin. »Erzähl ihr das bloß nicht.«

»Warum nicht?«

»Bitte. Ich mein’s ernst.«

Sina rollte mit den Augen. »Meinetwegen.«

Sie drehte sich zum Fenster, um das seltsame Gespräch für beendet zu erklären. Ihr Herz hämmerte heftig gegen ihren Brustkorb. Es kann dir egal sein, was sie über dich denken, redete sie sich ein. Sie kennen dich doch gar nicht. Ignorier es.

Außerdem, was hatten sie schon Schlechtes gesagt? Normal zu sein war ja immerhin besser als dumm oder hässlich.

Nichts Besonderes.

Einige Haltestellen später stieg sie aus und ließ den Bus mit Colin und Mirko hinter sich. Statt nach rechts zu gehen, wo das Gewirr aus Nebenstraßen sie nach Hause führen würde, wandte sie sich nach links und lief einige hundert Meter die Straße hinab, bis sie den Friseur erreichte. Zwanzig Minuten noch bis zum Termin. Sie würde einfach vor dem Laden auf und ab gehen, bis es so weit war.

Als es wieder zu nieseln begann und die kleinen Regentropfen nach und nach immer größeren wichen, änderte sie ihren Plan und flüchtete in den nahe gelegenen Drogeriemarkt. Leichter Parfumgeruch schlug ihr entgegen. Sie schlenderte langsam durch die erste Regalreihe. Von den Shampoo-Flaschen und Haarfärbemitteln lächelten ihr Frauen mit makelloser Haut und glatten, glänzenden Haaren entgegen. Die waren vielleicht hübsch. Aber sahen alle gleich aus.

Obwohl Colin und Mirko sicher eine andere Meinung von ihr hätten, wenn sie so aussehen würde.

Auf den Zahnpastatuben und Mundspülungen in der nächsten Reihe begegneten ihr weitere Frauengesichter, die sich nur durch ihre unnatürlich weißen Zähne von den vorherigen unterschieden. Niemand entsprach diesem Ideal. Aber war das Interessante an jemandem nicht gerade das, was ihn anders machte? Faria hatte ihr Kopftuch, und auch wenn das nicht jedem gefiel, hob es sie von anderen ab. Bella war für ihre wechselnden Verehrer bekannt, Anton für sein Klaviertalent, Merle für ihre Begeisterung für Biologie, die ihr diesen dämlichen Jugend-forscht-Preis eingebracht hatte. Jeder stach durch irgendetwas heraus.

Und sie?

Sie schlängelte sich an einer Mutter mit gigantischem Einkaufswagen vorbei, die peinlich berührt versuchte, ihr quengelndes Kind zu beruhigen, und betrat den Gang mit dem Toilettenpapier. Wie konnte es ein, dass sie das zum ersten Mal bemerkte? Wenn sie ehrlich war, war sie doch schon immer die graue Maus gewesen, deren Namen sich niemand merken konnte. Die mittelgroße Brünette, die nie gute und nie schlechte Noten schrieb, ein älteres und ein jüngeres Geschwisterkind hatte, Jeans und T-Shirt trug. Sie spielte Handball, ja, aber leidenschaftlich war etwas anderes. Es gab einfach nichts, das sie besonders machte.

Frustriert über die Gedanken, die in ihrem Kopf herumschwirrten, griff sie im letzten Gang nach einer Packung Kinderriegel und bezahlte an der Kasse. Zeit, den Friseur aufzusuchen.

Draußen schüttete es. Sie legte einen kurzen Sprint zur anderen Straßenseite ein und hastete in den Friseurladen. Die Türglöckchen erklangen. Es war kaum etwas los, nur eine ältere Dame saß Zeitung lesend unter einer Trockenhaube. Hinten im Nebenraum regte sich etwas, dann erschien eine junge Frau mit pink gefärbten Haaren und einer Vielzahl von Piercings am Tresen. Sina hatte sie noch nie hier gesehen.

»Was kann ich für dich tun?«

»Sina Lambert, ich habe einen Termin bei Frau Strauss.«

Die Frau nickte und wies ihr einen Friseurstuhl zu, auf dem sie warten sollte. Sina streifte Schultasche und Jacke ab und nahm vor dem großen Spiegel Platz. Ein blasses Gesicht blickte ihr mit großen braunen Augen entgegen. Der Inbegriff von durchschnittlich. Es war, als würde sie ihr Spiegelbild zum ersten Mal richtig sehen.

Im Spiegel sah sie Frau Strauss auf sich zueilen. Seit Sinas letztem Besuch hatten ihre kurzen Haare den Braunton gewechselt.

»Entschuldige, ich habe noch meinen Kaffee ausgetrunken«, sagte sie leicht außer Atem.

»Kein Problem.« Sina blinzelte, um endlich den Blick von ihrem Spiegelbild abzuwenden. Es gelang ihr nicht.

»So wie immer? Die Spitzen nachschneiden?«

Sina schwieg einen Moment lang. Ihre Gedanken drehten sich noch immer im Kreis. »Hätten Sie auch noch einen anderen Vorschlag?«

»Wie wäre es mit ein paar Stufen? Die sind im Trend.«

»Nein.« Sie lachte auf. »Bloß nicht Standard. Standard habe ich satt.«

»Also was Ausgefallenes. Eine andere Farbe, oder vielleicht Strähnchen?«

»Dafür reicht mein Geld wohl nicht.«

»Zeit habe ich genug.«

Schritte waren zu hören und die Frau mit den pinken Haaren tauchte hinter ihnen auf. »Was gibt’s?«

Charly trat hinter Sina, kniff die Augen zusammen und fuhr ihr mit den Händen durch die Haare. »Ich hätte eine Idee«, sagte sie langsam. »Aber die kommt mir selbst ein wenig verrückt vor.«

Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. »Bunt.«

»Bunt! Rot, gelb, grün, vielleicht lila …«

»Natürlich können wir auch etwas anderes machen«, fuhr Charly hastig fort, als sie Sinas Gesichtsausdruck sah. »Ein paar hellere Strähnen oder einen Kurzhaarschnitt oder …«

»Also gut. Möchtest du meinen Vorschlag hören oder dich überraschen lassen?«

Charly nickte und tauschte einen Blick mit Frau Strauss aus.

Sina brachte das Lächeln, mit dem sie antwortete, nur mühsam zustande. In ihrem Bauch regte sich ein unbehagliches Kribbeln. Nun gab es kein Zurück mehr.

»Fertig!«, hörte sie schließlich Charly rufen.

Die Person, die zurückstarrte, hatte so wenig mit ihrem vertrauten Spiegelbild zu tun, dass Sina sich mit einer Handbewegung von ihrer Echtheit überzeugen musste. Das Mädchen im Spiegel tat dasselbe. Rote, grüne und gelbe Haarsträhnen fielen in sanften Wellen um ihr Gesicht und ihre Schultern, auch Blau und Lila entdeckte sie, dazwischen einige wenige Strähnen in ihrem ursprünglichen Braunton. Aber auch die Gesichtszüge erschienen ihr verändert. Ein Funkeln war in ihre Augen getreten, das sie zuvor noch nie wahrgenommen hatte.

»Und wie!«, hauchte Sina begeistert.

Wie in Trance erhob Sina sich, ließ sich von Charly den Friseurumhang abnehmen und folgte ihr zum Tresen. Ein anderer Kunde, der gerade hereinkam, ein Junge in ihrem Alter, nickte ihr anerkennend zu. Sina grinste.