Brehms Tierleben. Band 1: Altweltsaffen

Gutenberg-Verlag, Hamburg 1927

Nach der zweiten Originalausgabe bearbeitet von Dr. Adolf Meyer, Bibliotheksrat und Privatdozent

24 Bände mit 36 mehrfarbigen Bildern und etwa 300 einfarbigen Bildern

Titelblatt

Einleitung.

Siehe Bildunterschrift

Alfred Brehm

Die deutsche Literatur ist nicht nur reich an klassischen Werken der Dichtkunst, auch eine große Zahl von Werken wissenschaftlichen Charakters sind zu wesentlichen Bestandstücken der deutschen Bildung und damit zu Volksbüchern im edelsten Sinne dieses Wortes geworden. Alexander von Humboldts Kosmos, Rankes Weltgeschichte, Gustav Freytags Bilder aus der deutschen Vergangenheit sind typische Vertreter dieser Literaturgattung. Sie alle aber werden an Popularität und unverwüstlicher Lebendigkeit übertroffen von Brehms Tierleben, das mit seinem ersten Erscheinen im Jahre 1863 noch jede Generation belehrt und begeistert hat. Ein wenig vom Tierfreund und Jäger steckt in jedem Menschen; aber nicht nur diese Saiten unseres Innenlebens sind es, die Brehm zum Mitschwingen und Mitklingen bringt, nein, in seinen klassischen Tierschilderungen tritt uns die ganze große und weite Welt in neuer und eigenartiger Beleuchtung entgegen. Durch die Seele der Tiere und mit ihren Augen lernen wir ihre Umwelten kennen. Wer Brehm gelesen hat, hat ohne Zweifel ein viel lebendigeres Bild von den Landschaften der Erde erhalten, als Dutzende von Reisebeschreibungen und geographischen Handbüchern ihm vermitteln können. Die tropisch-heißen Urwälder Afrikas, die alpine Landschaft Abessiniens, die eigenartige Inselnatur Madagaskars, die Dschungel Indiens, die Pampas und die Kordilleren Amerikas, die sibirische Taiga und die arktische Tundra, wie immer aufs neue lebendig erstehen doch diese so charakteristisch verschiedenen Landschaften unserer Erde vor unsern Augen im Spiegel ihres Tierlebens! Eine und dieselbe Landschaft erscheint ganz verschieden, ob ich sie mit den Augen eines Affen, eines Raubtieres oder einer Schlange ansehe. Alle diese verschiedenen seelischen Perspektiven zusammen ergeben erst das vollständige Bild von der Welt. So ist auch die Welt des Menschen nur eine von den vielen Welten, die es gibt und die für jedes Lebewesen eine andere ist. Freilich können wir mit unsern Sinnen nicht aus unserer eigenen Umwelt heraus, unser Denken aber ist imstande, uns eine Vorstellung von den auf andern Sinnen beruhenden Welten der Tiere zu vermitteln und unsern ursprünglich engen Gesichtskreis bedeutend zu erweitern. Intuitive Phantasie und vor allem genaueste Kenntnis der Lebensbedingungen und Gewohnheiten der Tiere freilich sind unumgängliche Voraussetzungen für jede wirkliche Tierforschung. Sie fanden sich in reichem Maße bei Alfred Edmund Brehm, bei dem Neigung und Erziehung zusammengewirkt haben, um einen Naturforscher par excellence aus ihm zu machen. Freilich hat er die Tiere nicht selten mit allzu menschlichen Augen angesehen, die Seele des Menschen in sie hineingelegt und dann manches an ihrem Verhalten natürlich falsch gedeutet, zu viel auf das Konto vernünftiger Erwägung gesetzt, was, wie wir heute wissen, lediglich Instinktfunktionen sind. Allein diese Mißgriffe in der Deutung des Verhaltens der Tiere, die einem streng wissenschaftlichen Buche ohne Zweifel zum Nachteil dienen würden, gereichen einem wahren Volksbuche im Sinne Brehms geradezu zur Ehre. Denn nur wer die Tiere, soweit wie möglich, mit unsern Augen ansieht, kann sie unserm Gemüt wahrhaft nahebringen. Eine Schwalbe, die ihr Nest baut, weil sie auf Grund einer bestimmten, mehr oder weniger unbekannten psychischen Konstitution nun einmal nicht anders kann, ist ohne Zweifel für den gebildeten Laien nicht halb so interessant wie eine Schwalbe, die in der Weise eines geschickten Baukünstlers verfährt. Freuen wir uns daher unseres Brehm, wie er ist, und hüten wir uns vor jeder Ballhornisiernng. In vielen Punkten hat er übrigens ohne Frage unbefangener und richtiger gesehen als manche moderne Vertreter einer allzu extremen Instinktpsychologie.

Alfred Edmund Brehm 1 war, wie erwähnt, durch Neigung nicht nur, sondern auch durch Erziehung zum Zoologen und echten Naturforscher und Jäger geradezu prädestiniert. Er wurde am 2. Februar 1829 zu Renthendorf bei Neustadt a. d. Orla in Thüringen geboren. Sein Vater war der Pastor des Ortes und selbst ein ganz hervorragender Naturforscher, einer der bedeutendsten Ornithologen im damaligen Deutschland. Schon als Knabe begleitete Brehm den Vater auf seinen vogelkundlichen Streifzügen durch das ganze Thüringer Land, lernte von ihm die Zucht und Pflege der Vögel in der Gefangenschaft, sowie die Anlage und Erhaltung von Vogelsammlungen. So galt er schon als Gymnasiast für einen tüchtigen Ornithologen, der alle heimischen Vögel allein an ihren Stimmen erkannte. 1847 verließ er das Gymnasium und wollte sich nun natürlich dem Studium der Naturwissenschaften widmen. Ehe es aber dazu kam, erhielt er von dem Baron W. v. Müller in Renthendorf eine Einladung, ihn auf einer längeren, naturwissenschaftlichen Studien und der Jagdausübung gewidmeten Reise nach Afrika zu begleiten. Diese Reise wurde bestimmend für Brehms ganzes späteres Leben. Er sah fortan in dem reisenden Naturforscher so sehr das ihm gemäße Leben, daß er es in einer sogenannten festen Lebensstellung nie mehr lange ausgehalten hat. Zunächst durchforschte er nun fünf Jahre lang Ägypten, Nubien und den Sudan. 1852 kehrte er zurück und veröffentlichte die Ergebnisse seiner Reise in einem dreibändigen Werk, betitelt: »Reiseskizzen aus Nordafrika, Jena 1853.« Brehm hatte sich so als Naturforscher schon einen Namen gemacht, als er nun begann, systematisch in Jena und Wien Naturwissenschaften zu studieren. Nach seiner Promotion unternahm er dann gleich wieder eine neue Reise nach Spanien; und im Jahre 1860 kam er nach Norwegen, Schweden und Lappland. Auch diese Reisen waren, wie die erste afrikanische, vor allem dem Studium der Vögel gewidmet. Es fand seinen Niederschlag in dem Werke: »Das Leben der Vögel, Glogau 1861.« Schon hier zeigte er sich als der Meister in der Schilderung des Lebens der Tiere, als der er dann später so bahnbrechend gewirkt hat. Auch machte ihn dieses Buch in weiteren Kreisen bekannt. Insbesondere verdankte er ihm die Aufforderung des Herzogs Ernst von Sachsen-Coburg-Gotha, ihn auf einer Reise nach Abessinien zu begleiten, die im Jahre 1862 stattfand und deren Resultate Brehm in seinem Buche »Ergebnisse einer Reise nach Habesch, Hamburg 1863«, veröffentlichte. Nach seiner Rückkehr wurde er dann als Direktor des Zoologischen Gartens nach Hamburg berufen. Da er aber seiner ganzen Veranlagung nach zum Beamtenberuf nur geringe Neigung hatte, überdies inzwischen den Plan gefaßt hatte, das gesamte Tierleben zu beschreiben, eine Arbeit, deren Durchführung seine ganze Zeit in Anspruch nehmen mußte, so gab er seine Hamburger Stellung alsbald wieder auf und kehrte mit seiner Familie in seinen Heimatsort Renthendorf zurück, wo er sich schon vorher ein kleines Landhaus hatte bauen lassen. Schon 1864 erschien dann die erste Lieferung seines berühmten »Illustrierten Tierlebens«, dem die späteren rasch folgten. Der über alles Erwarten glänzende Erfolg dieses Werkes belehrte ihn, daß er den richtigen Ton getroffen hatte, um das Leben der Tiere, nicht nur ihre Knochen und Bälge, den Menschen nahezubringen. In der Tat ist die sogenannte »biologische Richtung«, die heute überall in den Schulen im Vordergrund des biologischen Unterrichts steht, zuerst von Brehm, und zwar gleich mit vollendeter Meisterschaft geübt worden. Obwohl es sich beim »Tierleben« um ein teures Werk handelte, war doch schon in kurzer Frist eine neue Auflage erforderlich, die letzte zugleich, die Brehm noch selbst bearbeitet hat. Von den zehn Bänden dieser Ausgabe hat Brehm selbst in acht Bänden die Wirbeltiere beschrieben, von denen drei den Säugetieren, drei den Brehm besonders ans Herz gewachsenen Vögeln und die beiden andern den Reptilien, Lurchen und Fischen gewidmet sind. Die Bearbeitung der wirbellosen Tiere hatte Brehm, da er sich mit diesen Gruppen weniger befaßt hatte, schon von Anfang an E. L. Taschenberg und Oskar Schmidt übertragen. Noch vor Vollendung des »Tierlebens« erhielt Brehm eine Berufung nach Berlin, um das neu gegründete Aquarium als erster Direktor einzurichten und zu leiten. Indessen erging es ihm in Berlin nicht besser als in Hamburg. Seinem unsteten Geiste behagte die Gebundenheit des Amtes nicht. So gab er auch diese ehrenvolle Stellung – das Berliner Aquarium ist heute wohl die interessanteste naturwissenschaftliche Sehenswürdigkeit Berlins – bald wieder auf, um sich abermals in sein heimatliches Tuskulum zurückzuziehen und als freier Schriftsteller und Forscher zu wirken. Seine so überaus reichen Erfahrungen über die Pflege der Vögel in der Gefangenschaft faßte er zusammen in seinem Buche »Gefangene Vögel«, das 1872 in Leipzig und Heidelberg erschien und ebenfalls eine vortreffliche Aufnahme fand. 1876 reiste er mit zwei Gefährten nach dem nördlichen Westsibirien und brachte besonders in völkerkundlicher Hinsicht wertvolle Sammlungen heim. Kaum zurückgekehrt, lud ihn der später so traurig ums Leben gekommene Kronprinz Rudolf von Österreich, der selbst ein sehr interessierter Ornitholog und Naturforscher war, zu einer Reise nach den Wäldern der mittleren Donau ein. Ebenso begleitete Brehm den Fürsten einige Jahre später (1879) nach Spanien. Den persönlichen Erlebnissen und Beobachtungen Brehms auf allen diesen Reisen verdankt das »Tierleben« nicht zuletzt die frische Lebendigkeit und Unmittelbarkeit seiner Schilderungen. Aber Brehm war nicht nur ein hervorragender Schriftsteller und Stilist, er besaß auch eine packende Vortragsgabe, und verstand es, seine Hörer in den zahlreichen Wandervorträgen, die er zwischen allen seinen Reisen in den größeren Städten hielt, mitzureißen. Eine solche Vortragsweise führte ihn im Jahre 1883 nach Nordamerika. Es sollte seine letzte größere Reise sein; denn hier erkrankte er und starb schon kurze Zeit nach seiner Rückkehr am 11. November 1884 in seinem Heimatsort. Brehm ist somit verhältnismäßig jung gestorben, ein Schicksal, das vielen unsteten Wanderern seines Schlages bereitet ist. Brehm verkörpert einen Gelehrtentypus, der gerade unter den Naturforschern nicht selten ist. Auch Darwin und Fritz Müller, um nur zwei der hervorragendsten unter seinen Zeit- und Berufsgenossen zu nennen, hatten kein offizielles Amt, lebten auf ihren Gütern in England und in Brasilien und betrieben in der Stille des Landlebens, fern von den lärmenden Geschäften der Stadt und dem Forschungs betrieb der Institute, die heute das gesamte wissenschaftliche Leben fast ausschließlich beherrschen, ihre Studien. Selbstsichere und eigenwillige Forscherpersönlichkeiten vom Charakter Brehms haben es in unsern Tagen ganz außerordentlich schwer, sich durchzusetzen. Die von Rathenau mit prophetischem Blick geschaute Mechanisierung unserer Zeit bedroht eben leider nicht nur das wirtschaftliche und politische Leben, sondern auch das kulturelle. Statt der großen führenden Persönlichkeiten stehen heute Richtungen und Modeprogramme im Vordergrund der Interessen. Hoffen wir, daß ein reiches persönliches, verantwortungsfrohes und unternehmungsbereites Geistesleben die Stagnation der Gegenwart bald überwinden helfen möge. Unsere Klassiker – und unter ihnen nicht zuletzt Brehm – können uns dabei Führer sein.

Bleibt noch einiges über die Gestaltung unserer Ausgabe zu sagen. Wie viele der in jüngster Zeit erschienenen Brehmausgaben ist auch die unsere eine Auswahl. Immerhin darf sie als die umfassendste und ausführlichste unter ihnen bezeichnet werden. Den ganzen Brehm so, wie er in der zweiten Auflage uns von seinem Autor hinterlassen ist, unredigiert und ungekürzt neu zum Abdruck zu bringen, würde unverantwortlich sein. Der Zahn der Zeit verlangt sein Opfer und hat so für uns das Gute gewirkt, den gewissermaßen zeitlosen Gehalt des Werkes um so klarer abzuheben. Dementsprechend haben wir uns bemüht, den Brehm als Ganzes zu erhalten. Fortgelassen haben wir nur das, was Brehm selbst mit einem Fragezeichen versehen hat, ferner ungebührlich lange Zitate, die nur in losem Zusammenhang mit dem eigentlichen Inhalt stehen und seine Geschlossenheit daher mehr stören als fördern, weiter in engster Weise zeitgeschichtlich bedingte Polemik – z.B. gegen die Kirchen und ihre Heiligen – und endlich die zahlreichen Wiederholungen, die Brehm in einem für seine Zeit berechtigten Streben nach Vollständigkeit sich geleistet hat. Heute jedoch kennen wir so unendlich viel mehr Tierformen, als damals bekannt waren, daß ein gleiches Bestreben uns ins Uferlose führen würde. So haben wir bei der Schilderung der weniger bekannten und häufigen Tiere alles das fortgelassen, was entweder schon in der jeder Tiergruppe vorausgeschickten »allgemeinen Übersicht« oder bei der Schilderung der typischen Vertreter der betreffenden Gruppe, die stets sachlich ungekürzt wiedergegeben ist, gesagt worden ist. Auf diese Weise glauben wir, durch unsere Auswahl der Einheit des Brehmschen Tierlebens und der geschlossenen Wirkung seiner Schilderungen nicht nur nicht geschadet, sie vielmehr kräftig gefördert zu haben.

Am Schlusse dieses Vorwortes habe ich noch, wie billigerweise üblich, zu danken. Zunächst dem Gutenberg-Verlag, der etwas buchtechnisch so Gediegenes wie diese Ausgabe zu einem so wohlfeilen Preise hergestellt hat; alsdann der Firma Carl Hagenbeck in Stellingen bei Hamburg, die in bekannter Liberalität aus ihrem reichen Bilderarchiv uns nach Belieben hat wählen lassen, und endlich den Verlagsbuchhandlungen von R. Voigtländer in Leipzig und M. Oldenbourg in Berlin, die uns aus ihren prächtigen Verlagswerken ebenfalls treffliches Bildermaterial zur Verfügung gestellt haben, das entweder von Kuhnerts Meisterhand stammt oder aber den hohen Wert photographisch getreuer Natururkunden besitzt. Die mit »Meerwarth-Soffel«gezeichneten Bilder stammen dementsprechend aus dem bekannten Werk: W. Meerwarth und K. Soffel: »Lebensbilder aus der Tierwelt Europas«, Bände 1-8, Leipzig: R. Voigtländers Verlag; die mit »Haacke-Kuhnert« signierten Bilder stammen aus dem wundervollen Werke meines mir unvergeßlichen Lehrers Wilhelm Haacke: »Das Tierleben der Erde«, in drei Bänden, dessen Bilder W. Kuhnert geschaffen hat. Das Werk ist im Verlage von M. Oldenbourg in Berlin erschienen. Die mit Hagenbeck, Stellingen, gezeichneten Bilder endlich entstammen dem reichen Bilderarchiv der genannten Firma. Last not least endlich danke ich auch Herrn Fritz Diehl vom hiesigen Naturhistorischen Museum, der sein Bestes gegeben hat, um unsre Brehm-Ausgabe mit neuen farbigen Bildern zu schmücken.

Hamburg, den 29. November 1926.
Der Herausgeber.

  1. Die folgende Darstellung von Brehms Leben beruht aus der von W. Heß in der »Allgemeinen Deutschen Biographie« Bd. 47, 1903, S. 214–216 gegebenen Schilderung.

Ein Blick auf das Leben in seiner Gesamtheit.

Der Altvater der Tierkunde, Linné, einer der größten Naturforscher aller Zeiten und »das Haupt aller früheren, gegenwärtigen und zukünftigen Jünger der Wissenschaft«, teilte in seinem unsterblichen Werke »System naturae« die Tiere in sechs Klassen ein: in Säugetiere, Vögel, Lurche, Fische, Kerbtiere und Würmer. Er vereinigte somit in den beiden letzten Klassen so viele verschieden gebaute und gebildete Geschöpfe, daß seine ausgezeichnete Arbeit doch nur für die Zeiten der Kindheit unserer Wissenschaft gültig sein konnte. Viele Forscher versuchten es nach ihm, diese Einteilung zu berichtigen, bis endlich Cuvier im Jahre 1829 die beiden durchgreifenden Gegensätze der Ausbildung des tierischen Leibes zur Geltung brachte und die wirbellosen den Wirbeltieren gegenüber stellte. Er vereinigte die ersten vier Klassen Linnés zu einer, die beiden letzten zu einer anderen Halbscheid, trennte dagegen die bunt zusammengeworfenen »Kerbtiere« und »Würmer«, ihrer natürlichen Beschaffenheit Rücksicht tragend, in drei größere Kreise ( Weich-, Glieder- und Pflanzentiere) und bildete aus ihnen fünfzehn Klassen. Hiermit legte er den Grund der heutigen Tierkunde: und alle Naturforscher nach ihm haben nur auf dieser Grundlage fortgebaut.

Es ist unerläßlich, daß wir, wenn auch nur flüchtig, einen Blick auf die Gesamtheit der Klassen werfen, deren erste uns zunächst beschäftigen soll. Alle Wirbeltiere haben so entschieden übereinstimmende Merkmale, daß sie niemals mit den wirbellosen Tieren verwechselt werden können. Sie kennzeichnen das innere Knochen- oder Knorpelgerüst, welches Höhlen für Gehirn und Rückenmark bildet und von Muskeln bewegt wird, die Gliedmaßen, deren Anzahl niemals vier überschreitet, das rote Blut, ein vollständiges Gefäßnetz, die seitliche Gleichmäßigkeit des Leibes und die Längsgliederung der Organe. Ihre hohe Entwicklung ist deutlich genug ausgesprochen. Das große Gehirn befähigt sie zu einer geistigen Tätigkeit, die die aller übrigen Tiere weit überwiegt; ihre Sinneswerkzeuge haben mehr oder minder einhellige, gleichmäßige Ausbildung erlangt. Augen und Ohren sind fast immer vorhanden und dann stets paarig: die Nase besteht ans zwei Höhlen und dient nur ausnahmsweise als Tastwerkzeug. Leber und Nieren finden sich immer; die Milz fehlt selten. Alle sind getrennten Geschlechts. Empfindung und Lebendigkeit sind ihnen gemein.

Die Säugetiere stehen in dieser Abteilung entschieden obenan: und eine solche Stellung verlangt der Walfisch ebenso gebieterisch wie der Mensch, der die höchste denkbare Entwicklung im Tierreiche darstellt. Eine ebenmäßige Ausbildung aller Leibesteile und die überwiegende Masse des Gehirns spricht sich beim Elefanten wie bei der Maus, beim Hunde wie beim Schnabeltiere aus. Die Säugetiere haben eine sehr vollkommene Lungenatmung und deshalb rotes, warmes Blut, und sie gebären lebendige Junge, die sie mit einer eigentümlichen Drüsenabsonderung, der Milch, an ihren Brüsten oder Zitzen eine Zeitlang säugen. Sie bilden die am schärfsten und bestimmtesten nach außen hin abgegrenzte Klasse; denn so groß auch ihre äußere Verschiedenheit sein mag, so groß erscheint die Übereinstimmung ihres inneren Baues.

Der Schädel ist bei ihnen, wie bei allen übrigen Säugetieren, von der Wirbelsäule getrennt und besteht überall aus den nämlichen, im wesentlichen gleichartig verbundenen Knochenstücken: sein Oberkiefer ist stets mit ihm verwachsen, und die in ihm und dem Unterkiefer stehenden Zähne haben, so verschiedenartig sie gebaut oder gestellt sein mögen, doch das eine gemein, daß sie immer in Zahnhöhlen oder Alveolen eingekeilt sind. Sieben Wirbel bilden den Hals, mag er nun kurz oder lang sein, den Hals der Giraffe ebensowohl wie den des Maulwurfs; und wenn es auch scheinen will, daß die Faultiere mehr und einige Wale weniger Wirbel des Halses zählen, zeigt die scharfe Beobachtung doch deutlich, daß dort die überzähligen Wirbel zur Brust gerechnet werden müssen, während hier die Verminderung der Anzahl auf Verschmelzung der Wirbel untereinander beruht. Schon den Vögeln gegenüber zeigt sich der Hals der Säugetiere als durchaus einhellig gebaut: denn dort nimmt mit der Länge des Halses auch die Zahl der Wirbel zu. Der Brustteil der Wirbelsäule wird von 10 bis 23, der Lendenteil von 2 bis 9, die Kreuzbeingegend von ebenso vielen und der Schwanz von 4 bis 46 Wirbeln gebildet. Rippen oder Rippenstummel kommen zwar an allen Wirbeln vor; doch versteht man gewöhnlich unter den Rippen bloß die an den Brustwirbeln sitzenden, platten und gebogenen Knochen, welche sich mit dem Brustbeine entweder fest oder durch Knorpelmasse verbinden und die Brusthöhle einschließen. Ihre Anzahl stimmt regelmäßig mit jener der Brustwirbel überein; die Anzahl der wahren oder fest mit dem Brustbeine verwachsenen im Verhältnis zu den sogenannten falschen oder durch Knorpelmasse mittelbar an das Brustbein gehefteten ist aber großen Schwankungen unterworfen. Die Gliedmaßen sind diejenigen Teile des Säugetierleibes, die schon im Gerippe die größten Verschiedenheiten bemerklich werden lassen: – fehlt doch das hintere Paar manchen Waltieren gänzlich oder verkümmert wenigstens bis auf unbedeutende Stummel! Auch am vorderen Gliederpaare weichen namentlich der Schultergürtel und die Hand wesentlich ab; das Schlüsselbein ist sehr stark oder fehlt gänzlich, je nachdem die betreffenden Tiere Gräber oder bloß Läufer sind; die Finger sind vorhanden oder verstummelt, je nachdem die Hand zur Pfote oder Tatze, zum Hufe oder zur Flosse geworden ist: es kann die gewöhnliche Fingerzahl fünf bis auf eins herabsinken. Die Ausbildung der Knochen des Beines ist nicht minder verschiedenartig. Doch können solche Schwankungen und scheinbaren Widersprüche niemals die klare Einhelligkeit des Knochenbaues aller Säugetiere verwischen oder auch nur unklar erscheinen lassen; sie ist vielmehr so groß, daß sich der Kundige aus wenigen Knochen das ganze Gerippe eines ihm noch gänzlich unbekannten Tieres wenigstens in Gedanken zusammenzusetzen vermag.

Dieses Knochengerüst, der Stamm des Säugetierkörpers, wird durch die Muskeln bewegt, durch dieselben Gebilde, die bei vielen Tieren für uns weitaus das Wichtigste des ganzen Leibes sind, weil sie uns zur Nahrung dienen. Sie, die wir im gewöhnlichen Leben einfach »Fleisch« zu nennen pflegen, sitzen überall an den Knochen fest und bewegen diese in der allergünstigsten Weise für die Bewegung – nicht immer hinsichtlich der aufzuwendenden Kraft – nach den verschiedensten Richtungen hin. Ich würde eine genaue Kenntnis des menschlichen Leibes voraussetzen müssen, wollte ich sie beschreiben, und ich will meinen Lesern nicht gern durch nicht streng hierher gehörige Auseinandersetzungen lästig werden. So mag es genügen, wenn ich bemerke, daß alle Muskeln im genauesten Einklange mit den Eigentümlichkeiten des Gerippes und mit der Lebensweise des Tieres stehen, die ja von der Gestalt desselben bedingt und bestimmt wird. Mannigfache Veränderungen der ganzen Anlage erschweren zudem eine übersichtliche Beschreibung. Dem einen Tiere fehlt dieser Muskel ganz, bei dem andern ist er besonders entwickelt: der Wal besitzt gar keine eigentlichen Halsmuskeln, bei dem Affen sind sie fast ebenso ausgebildet wie bei dem Menschen: die Säugetiere, die klettern, graben, flattern oder greifen, haben starke Brustmuskeln zur Beugung des Armes, diejenigen, die laufen, starke Hüft- und Schenkelmuskeln; die, die den Schwanz als fünftes Bein oder überhaupt statt der Hinteren Beine benutzen, besitzen an ihm kräftige Schwanzmuskeln: die Gesichtsmuskeln sind aber bei allen Raubtieren auffallend verstärkt usw. Kurz, jedes Tier ist eben für seine Lebensweise besonders ausgerüstet worden, oder aber, die Ausrüstung hat seine Lebensweise bestimmt. Nicht minder verschiedenartig gebaut sind die Weichteile des Säugetierleibes. Die Verdauungswerkzeuge lassen, so sehr sie einander im ganzen ähneln, viele Abweichungen in ihrem Baue erkennen. Der Mund ist bezeichnend für die ganze Klasse; denn er hat fleischige und feinfühlende Lippen. Die in beiden Kiefern eingekeilten und sie bewaffnenden Zähne kommen in solcher Ausbildung nur den Säugetieren zu und sind für Lebensweise und Fähigkeiten, sowie für die wissenschaftliche Einordnung und Bestimmung entscheidend. Ihre Einteilung in Schneide-, Eck-, Lücken- und Backenzähne ist bekannt, und ebenso weiß man wohl auch, daß wiederum der Mensch in seinem Gebiß die schönste Einhelligkeit der verschiedenen Zahnarten zeigt; denn jeder meiner Leser hat gesehen, wie sehr die Eckzähne im Maule des Hundes die Schneidezähne, oder wie sehr diese im Maule des Eichhorns die Backenzähne durch ihre Ausbildung überbieten. Die Zähne stehen immer im vollsten Einklänge mit der Ernährungsweise des Tieres:

Jeglicher Mund ist geschickt, die Speise zu fassen.
Welche dem Körper gebührt, es sei nun schwächlich und zahnlos
Oder mächtig der Kiefer gezahnt! in jeglichem Falle
Fördert ein schicklich Organ den Gliedern die Nahrung.

So mag nun also der Mund gar keine Zähne mehr haben, wie bei dem Ameisenfresser, oder über zweihundert Zähne zählen, wie bei einem Delphin: immer wird er aufs genaueste der Ernährungsweise des Tieres entsprechen.

An den Mund reiht sich die Speiseröhre an, die dadurch sich auszeichnet, daß sie sich niemals wie bei den Vögeln kropfartig erweitert. Der Magen, in den der Schlund übergeht, ist ebensowenig jemals ein Vogelmagen, wie ihn selbst die naturunkundigsten Hausfrauen vom Huhne kennen, sondern immer nur ein mehr oder weniger dünnhäutiger, einfacher oder bis dreifach eingeschnürter Sack. Ganz eigentümlich gebildet ist er bei denjenigen Tieren, die ihre Speise nach dem Hinabschlingen noch einmal behaglich durchkauen und dann erst in die Abteilung für Verdauung senden, an den ersten Speichern vorüber. Über die ausscheidenden Drüsen, wie Leber, Mund- und Bauchspeicheldrüsen und Nieren, läßt sich im allgemeinen ebensowenig sagen wie über den Darm: es genügt, wenn wir festhalten, daß der Harn nur bei den Säugetieren besonders entleert wird, daß in der Umgebung des Afters oft Drüsen vorkommen, die eigentümliche, gewöhnlich sehr stark riechende oder stinkende Stoffe absondern, und daß bei den männlichen Gabeltieren Harnblase, Harn- und Samenleiter in die Kloake münden, an der sich noch ein Glied ( penis) befindet, das den Inhalt der Kloake nach außen entleert, während bei den weiblichen Gabeltieren die Kloake zur Ausscheidung der Harn- und Geschlechtserzeugnisse dient.

Die Gefäße weichen wenig von dem allgemeinen Gepräge ab; Herz und Adern und Aufsauggefäße sind bei dem einen Säugetier so ziemlich wie bei dem andern gebildet, obgleich auch hier Schwankungen in der Gestalt und Anlage bemerklich werden. Das Herz besitzt immer zwei Kammern und zwei Vorkammern; die Schlagadern sind ausdehnbar, die Blutadern innen mit Klappen versehen; die Saugadern haben viele Vereinigungspunkte und münden durch einen Hauptgang in die große Hohlader.

Die Brusthöhle ist durch das Zwerchfell vollständig geschlossen; die Lunge hängt frei in ihr und steht nicht mit besonderen Luftsäcken in Verbindung; die Luftröhre teilt sich in gewöhnlich zwei, zuweilen (bei den Wiederkäuern, einigen Dickhäutern und vielen Walen) in drei Zweige und hat immer nur einen einzigen Kehlkopf, der im Anfange der Röhre liegt und aus einer bei den verschiedenen Arten schwankenden Anzahl (in der Regel sieben) von Knorpeln gebildet wird. Mit ihm stehen bei einigen Säugetieren eigentümliche Stimmsäcke in Verbindung.

Gehirn und Nerven sind sehr verschieden ausgebildet. Ersteres füllt zwar regelmäßig die Schädelhöhle aus; allein diese ist auch oft verhältnismäßig sehr klein und die Masse des Gehirns dann äußerst gering. Bei keinem einzigen anderen Säugetier überwiegt das Rückenmark in demselben Grade wie bei dem Menschen, und bei keinem ist das große Gehirn so entwickelt wie bei ihm. Hierin gibt sich schon leiblich die geistige Überlegenheit des Menschen über alle übrigen Tiere kund. Bei den geistesarmen Säugern ähnelt das Gehirn noch dem der Vögel; doch erhebt es sich von den am wenigsten begünstigten zu den vollkommeneren rasch und zu außerordentlicher Entwicklung und zeigt bald die eigentümlichen Windungen, deren Anzahl und Ausdehnung im Verhältnis zu der geistigen Befähigung stehen. Die Sinneswerkzeuge bekunden eine große Übereinstimmung in ihrer Anordnung; nur bei den Walen finden sich Abweichungen von der allgemeinen Regel. Diese besitzen wohl noch eine Nase, im günstigsten Falle aber nur einen sehr mangelhaften Geruchssinn, übrigens sind die Nasenlöcher bei allen Säugetieren paarig und von Knochen und Knorpeln umgeben, die ihre Gestalt bedingen. Auffallend verlängerte Nasen oder Rüssel, die zuweilen sehr umfassend bewegt werden können, sind regelmäßig Tastwerkzeuge geworden. Die Riechmuscheln stehen hinsichtlich ihrer Größe und Ausdehnung mit der Ausbildung des Sinnes im Einklänge; ihr sehr entwickelter unterer Teil hat jedoch mit der Geruchsempfindung nicht in dem Grade zu tun wie ihr oberer Teil und der obere Teil der Scheidewand, auf denen der Riechnerv sich verzweigt. Die Werkzeuge des Gehörs sind weit vollkommener als die aller andern Klassen; das Ohr besitzt stets die drei Ohrknöchelchen, Hammer, Amboß und Steigbügel, und bei allen höheren Ordnungen, namentlich aber bei den Landbewohnern eine oft sehr große Muschel. Das Gesicht überwiegt die übrigen Sinne nicht in dem Grade wie bei den Vögeln; die stets paarigen Augen sind immer verhältnismäßig klein und niemals im Innern willkürlich beweglich wie die der zweiten Tierklasse; die Nickhaut ist bereits verkümmert, die Lider aber sind vollkommen und auch die Wimpern schon hier und da vorhanden; der Stern ist rund oder senkrecht und seitlich verlängert. Bei einigen Säugetieren, wie bei dem Blindmoll, werden die Augen von der äußeren Haut überdeckt. Die Muskeln, die den Augapfel bewegen, sind oft zusammengesetzter und zahlreicher als bei den Menschen; denn zu den vier geraden und zwei schiefen, die hier wirken, treten noch andere hinzu. Der Geschmack ist weit vollkommener als der der Vögel, wie schon die fleischige, nervenreiche Zunge schließen läßt. Diese zeigt sich übrigens höchst verschieden hinsichtlich ihrer Gestalt, Beschaffenheit und Bewegungsfähigkeit: sie kann breit, platt, flach und unbeweglich oder schmal, lang, ja wurmförmig und vorstreckbar sein, ist zuweilen an den Seiten gefranst, zuweilen mit Hautstacheln besetzt, wie zum Beispiel die Zunge des Löwen oder aller Katzen überhaupt, kann unter der eigentlichen Zunge noch Anhängsel, die Unterzunge, haben usw. Das Gefühl endlich zeigt sich als Tastsinn in ziemlich hoher Ausbildung und kann durch die Nase oder durch die Hand oder auch durch Schnurrhaare vermittelt werden. Das Vermögen der Empfindung macht sich stets und fast an allen Leibesteilen bemerklich.

Man hat die Säugetiere oft » Haartiere« genannt, damit aber niemals die ganze Klasse scharf bezeichnet. Die Haare, die wir als Grannen- und Wollhaare, Wolle und Borsten unterscheiden, sind allerdings vorherrschend; doch kommen auch Schuppen und Stacheln, überhärtete Knochen, hornige Schilder und hornartige Hautschwielen oder die bloße Haut als äußere Leibesbedeckungen vor, wie ja überhaupt die Gebilde der Oberhaut höchst verschieden sein können, obgleich sie allesamt nur als mannigfaltige Ausprägungen ein und desselben Stoffes betrachtet werden müssen. Eine solche Verschiedenheit zeigt sich auch in den Nägeln, die bald glatt und dünn, bald rund und dick, gerade und gebogen, stumpf und scharf oder Nägel und Krallen, Klauen und Hufe sind.

Weit bezeichnender als alle diese betrachteten Eigentümlichkeiten des Säugetierleibes sind die Geschlechtsteile für unsere Klasse. Die äußere Gestalt derselben darf als bekannt vorausgesetzt werden; den inneren Bau derselben müssen wir jedoch etwas ausführlicher betrachten. Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, daß die Geschlechtswerkzeuge die allervollkommensten in der ganzen Tierreihe darstellen. Was in den unteren Klassen nur angedeutet oder wenigstens nicht ausgeführt ist, erscheint hier vollendet. Schon die äußeren Reiz- und Begattungswerkzeuge sind weit vollkommener als bei den Vögeln, die inneren erzeugenden und ernährenden Drüsen bei diesen ebensowenig vorhanden als die Milchdrüsen, die dem neugeborenen Jungen seine Nahrung liefern. Alle weiblichen Säugetiere besitzen einen paarigen (nur bei dem Schnabeltier und Ameisenigel verkümmerten) Eierstock und Eileiter sowie einen Fruchthälter, in dem das befruchtete Ei zur Reife gelangt. Der Eierstock ist rundlich, eiförmig oder traubig und enthält viele, aber sehr kleine Eierchen, so daß erst die Neuzeit Genaueres über sie berichten konnte. Von hier aus führen die Eileiter zum Fruchthälter hinab, der bei den obengenannten Tieren bloß eine Erweiterung des hier sehr einfachen Organs ist, bei den Beuteltieren und vielen Nagern als eine doppelte Ausweitung beider Eileiter angesehen werden kann, bei den höher stehenden Ordnungen aber zu einem einzigen Sacke zusammenschmilzt. Er mündet bei den Schnabeltieren in den unteren Mastdarm, bei allen übrigen mit dem Harnleiter in die Scheide. – Die äußeren Ernährungsdrüsen für das neugeborene Junge, die Brüste oder Zitzen, fehlen bei keinem Säugetier, sind aber bald an die Brust allein, bald zwischen die Leisten, bald endlich auf Brust, Bauch und Leistengegend zugleich gestellt und schwanken auch in ihrer Anzahl zwischen zwei und zwölf. Sie bestehen aus kauligen, mit Ausführungsgängen versehenen Gebilden, deren Absonderung, die Milch, durch eine mehrfach durchbohrte Warze ausfließen kann. Kurz vor und nach der Zeugung treten sie in Wirksamkeit; in der Kindheit sind sie nur angedeutet.

Diese allgemeinen Bemerkungen mögen für unsere oberflächliche Betrachtung des Säugetierleibes genügen. Unser Zweck ist, das Leben des Leibes und der Seele, das Leben des ganzen Tieres kennenzulernen, und diesen Zweck fassen wir daher vor allem ins Auge.

*

Das Leben aller Angehörigen der ersten Klasse bietet uns reichen Stoff zur Belehrung und Unterhaltung. Die Säugetiere leben nicht so viel wie die Vögel; denn ihr Leben ist bedächtiger und schwerfälliger als das jenes leichtsinnigen Volkes der Höhe. Ihnen mangelt die heitere Lebendigkeit und unerschöpfliche Lebensfröhlichkeit der Lieblinge des Lichtes; sie zeigen dafür eine gewisse Behäbigkeit und Lebensgenußsucht, die vielen sehr gut und vielen sehr schlecht ansteht. Hinsichtlich ihrer Beweglichkeit und ihrer Bewegungsfähigkeit kommen sie den Vögeln nicht im entferntesten gleich. Nur wenige kennen die unbeschreibliche Lust einer ungebundenen Bewegung, nur wenige jagen jauchzend zwecklos umher, wie die mit ihren herrlichen Gaben scherzenden und spielenden Kinder der Luft. Sie haben ein ernsthafteres Wesen als diese und verschmähen ein unnützes Anstrengen ihrer leiblichen Kräfte. Bloß in der Kindheit, und wenn die allmächtige Liebe sie kindisch oder kindlich macht, sind sie zu fröhlichem Spiele geneigt und geben sich ganz der Lust der Bewegung hin. Bei den Vögeln ist es anders. Hier heißt sich bewegen, leben, und leben, sich bewegen. Der Vogel ist in steter Unruhe und möchte am liebsten die ganze Nacht zum Tage machen, um seiner ewigen Regsamkeit volles Genüge zu leisten. Sein kleines Herz schlägt schneller, sein Blut jagt stürmischer durch seine Adern, seine Glieder scheinen gelenker, gestählter zu sein, als es bei den Säugetieren der Fall ist. Bewegung ist dem Vogel Bedürfnis, unbedingte Notwendigkeit, dem Säugetiere meist nur ein Mittel zum Zweck. Es scheint die wahre Lebensbehaglichkeit erst zu empfinden, wenn es sich möglichst bequem hingelagert hat und sich, wenn nicht dem Schlafe so doch wenigstens einem Halbschlummer hingeben kann. Ein in solchem Zustande verharrender, fauler Mensch, ein auf dem Rücken liegender Hund, eine auf weichem Polster ruhende Katze und vor allem der wiederkäuende Ochse mögen meine Behauptung bildlich erläutern: ersterer hat mit letzterem noch das gemein, daß er sich nach Kräften bemüht, während der Ruhe des Leibes auch dem Geiste die ausgiebigste Erholung zu gönnen. Ein solches »süßes Nichtstun« mit offenen Augen kommt unter den Vögeln höchstens bei einem toll- und vollgefressenen Geier vor. Sie sind eben Bewegungs-, jene Empfindungstiere.

Man kann allerdings nicht sagen, daß die Bewegungsfreiheit der ersten Klasse gering sei; denn die Säugetiere gehen, laufen, springen, klettern, »fliegen«, schwimmen und tauchen wie die Vögel. Aber die Masse beherrscht, die Scholle fesselt sie, und so wird ihre größte Schnelligkeit von den Seglern der Lüfte, von den erdfrei gewordenen, luftigen Vögeln durchschnittlich überboten. Ja selbst die Erdvögel, wie der Strauß oder der Kasuar, wetteifern im Laufen mit dem schnellfüßigen Roß oder der behenden Antilope. Und wenn die armen Säugetiere nun gar versuchen wollen, den gefiederten Scharen es gleichzutun, zeigen sie erst recht, wie weit sie hinter diesen zurückstehen: – die Fledermaus ist nur ein Zerrbild des Vogels!

Die Säugetiere gehen auf zwei oder auf vier Beinen. Einen aufrechten Gang hat bloß der Mensch, kein zweites Tier außer ihm. Kein Affe geht aufrecht; die Känguruhs oder Springbeuteltiere, die sich ausschließlich auf den Hinterbeinen fortbewegen, gehen nicht, sondern springen, d. h. fördern sich durch Aufschnellen ihrer Beine satzweise, und die Springmäuse, die eines ihrer Hinterbeine um das andere bewegen, gehen nicht aufrecht. Alle übrigen Landtiere laufen auf ihren vier Füßen, und zwar indem sie ein Vorderbein und das gegenseitige Hinterbein zugleich oder fast zugleich aufheben, vorstrecken und wieder niedersetzen. Eine Ausnahme hiervon machen Elefant, Nilpferd, Kamel, Giraffe und mehrere Antilopen: sie bewegen die beiden Beine einer Seite fast genau zu gleicher Zeit. Diese Gangart, der Paß, kann unsern gezähmten Einhufern ebenso gut anerzogen werden wie der natürliche Trab. Jede Beschleunigung des Gehens hebt beide Gangarten, den Paß oder den Wechselschritt, wenigstens scheinbar auf. Man glaubt nämlich, daß ein im schnellsten Laufe dahinjagendes Tier zuerst beide Vorderfüße und dann beide Hinterfüße auf den Boden setze und wieder erhöbe, obgleich es in Wirklichkeit seinen ursprünglichen Gang behält. Die Schnelligkeit dieser Bewegung ist so verschieden, daß eine allgemeine Schätzung derselben hier unausführbar erscheint; zudem hat man sie auch nur beim Pferde genau gemessen. Das Ergebnis dieser Messungen ist übrigens in hohem Grade überraschend. Einige englische Reitpferde haben sich durch ihre Leistungen einen geschichtlichen Namen erworben und mögen deshalb auch hier als Belege aufgeführt werden. Flying Childers durchlief die 20884 Fuß lange Bahn von Neumarket in sechs Minuten und 40 Sekunden; Eclipse legte in jeder Sekunde 58 Fuß zurück; Firetail durchmaß eine englische Meile in 64 Sekunden. Derartige Anstrengungen dieser herrlichen Tiere können natürlich nur kurze Zeit währen; gleichwohl ist auch die Ausdauer der englischen Vollblutpferde bewunderungswürdig. So machte sich ein Herr Wilde verbindlich, eine Strecke von 127 englischen Meilen mit untergelegten Pferden in neun Stunden zu durchreiten, und löste sein Wort durch einen Ritt von nur sechs Stunden und 24 Minuten. Er hatte dabei zehn Pferde benutzt, von denen einige in einer Stunde Zeit 20 englische Meilen oder 102 580 rheinländische Fuß durchliefen. Eine ähnliche Schnelligkeit dürfte im Freileben der Säugetiere übrigens selten vorkommen. Und was ist sie gegen die Schnelligkeit des Vogelflugs?! Schon die langsame Krähe würde mit dem Rennpferd wetteifern können; die Brieftaube überholt es bald: denn sie durchfliegt mehr als den doppelten Raum, nämlich 280 000 Fuß in derselben Zeit. Und wenn nun erst ein Edelfalke zu ernster Jagd oder ein Segler zum Liebesreigen seine kraftgestählten, unermüdlichen Schwingen in Bewegung setzt und, wie die geringste Schätzung ergibt, gegen 800 000 Fuß in einer Stunde durchmißt: wo bleibt da die Schnelle des edlen Rosses? Auch dieses klebt an der Scholle: – darum gewährt die Zeit und Raum überfliegende Dichtung ihrem Rosse die den Leib vergeistigende Schwinge!

Das Springen geschieht sehr verschiedenartig. Alle Säugetiere, die springend laufen, wie die vorhin genannten, schnellen sich durch plötzliches Ausstrecken ihrer zusammengebogenen Hinterbeine vorwärts und machen Sätze anstatt der Schritte. Diejenigen, die nur dann springen, wenn sie angreifen oder ein Hindernis übersetzen wollen, schnellen sich immer durch die Kraftanstrengung aller vier Beine empor, wenn auch die Hinterbeine das Hauptsächlichste dabei leisten müssen. Der Schwanz bestimmt oder regelt die Richtung des Sprunges: und deshalb ist auch bei fast allen Springern dieses notwendige Steuer besonders entwickelt, bei dem Affen ebensowohl wie bei der Springmaus, bei der Katze wie bei dem Känguruh. Ausnahmsweise, z. B. bei den Langarmaffen, verrichten die Hinterbeine anstatt des Schwanzes den Dienst des Steuerns, wie ja auch alle sehr kurzschwänzigen Vögel (Alken, Steißfüße, Seetaucher u. a.) bloß mit den Füßen steuern. Die Kraft des Sprunges ist sehr bedeutend. Ein Affe kann einen in wagrechter Richtung acht bis zehn Meter von ihm entfernten Zweig springend erreichen; ein Eichhorn springt ungefährdet aus einer Höhe von 20 und mehr Meter zur Tiefe nieder; ein Hirsch setzt über eine Wand von drei, ein Löwe über eine solche von vier Meter Höhe, eine Gemse über eine Kluft von gleicher Weite; ein Steinbock schnellt sich bis drei Meter senkrecht empor usw. Der hüpfende Gang der Springbeuteltiere fördert fast ebenso schnell wie der Lauf des Hundes; eine Springmaus wird niemals von einem laufenden Menschen eingeholt. Im Springen sind die Säugetiere Meister; selbst der behende, starke Lachs, der doch oft unter den scheinbar ungünstigsten Umständen bedeutende hohe Sprünge macht, kann mit ihnen nicht wetteifern.

Sehr merkwürdig und verschieden ist die Kletterbewegung der Säugetiere. Wir finden unter denjenigen, deren ganzes Leben auf dem Baume verfließt, ausgezeichnete Kletterer, Seil- oder Zweigkünstler und Gaukler. Nicht nur alle vier Beine, Hände und Pfoten, sondern auch der Schwanz werden in Tätigkeit gesetzt; der letztere übernimmt sogar eine eigentümliche Rolle, deren Wiederholung wir nur bei einigen Lurchen bemerken: er dient als Werkzeug zum Anheften, zum Festbinden des Leibes. Alle altweltlichen Affen klettern, indem sie das Gestein oder die Äste und Zweige mit ihren vier Händen packen und sich durch Anziehen der Vorderarme und Strecken der hinteren Glieder fortschieben. Daß bei solchen Künstlern auch das Umgekehrte stattfinden kann, versteht sich von selbst. Ganz anders klettern viele Affen Amerikas. Sie sind geistig wie leiblich träger, also vorsichtiger und langsamer als ihre übermütigen Verwandten in der alten Welt, auch ihre Bewegungen müssen daher andere sein. Allerdings werden die Hände noch benutzt; der Schwanz aber ist es, der zum Festhalten dient. Seine starken Muskeln rollen dessen Ende so fest um einen Ast oder Zweig, daß der ganze Leib hierdurch allein schon eine Stütze oder einen Henkel erhält, mit dem er sich so sicher befestigen kann, daß die Benutzung aller vier Beine möglich wird. Dieser Schwanz nun ist es, der vorausgeschickt wird, um Anhalt zu suchen; an ihm klettert unter Umständen der Affe wie an einem festgebundenen Seile empor. Von beiden Familien unterscheiden sich die Krallenkletterer, zu denen schon eine Familie der wirklichen Affen gehört. Sie häkeln sich mit ihren gebogenen, scharfen Krallen in die Baumrinde ein und gebrauchen den Schwanz höchstens noch zum Anstemmen gegen die Fläche, an der sie hinaufklettern, oder gar nicht mehr. Unser Eichhorn und die Katze, der Marder und der Bär, der Beutelbilch und das Löwenäffchen sind solche Krallenkletterer. Sie können sich mit großer Klettergeschwindigkeit auf wagrechten, schiefen und senkrechten Flächen bewegen, ja auf ihnen förmlich umherlaufen, und einzelne von ihnen, wie die Kusus und Beutelratten, besitzen dazu auch noch einen Wickelschwanz und geben dann kaum den Affen im Klettern etwas nach. Weit schwerfälliger ist das Klettern der Faultiere. Ihre Füße sind zwar mit starken Krallen versehen, sie benutzen diese aber weniger zum Einhäkeln in die Rinde als vielmehr zum Umklammern der Äste und Zweige der Bäume. An den Stämmen sollen sie wie ein Mensch emporklimmen. Noch einfacher, keineswegs aber ungefährlicher, ist das Ersteigen von Felswänden oder starken Steilungen der Gebirge. Die Paviane, auf den Bäumen tölpisch, müssen als die Meister in dieser Fertigkeit angesehen werden: gleich hinter ihnen aber kommen – die Wiederkäuer, die auf Gebirgen leben. Sie steigen zwar bloß, allein dieses Steigen ist ein Klettern in halsbrechender Weise und erfordert entschieden eine weit größere Sicherheit und eine kaum minder große Gewandtheit als das Klettern aller vorher genannten Tiere, übrigens habe ich in den Urwäldern Afrikas die Ziegen mit großer Geschicklichkeit an schiefen Stämmen hinauf- und in dem Gezweige der Bäume umherklettern sehen.

Man sollte nicht meinen, daß die Vögel auch in dieser Bewegung die Säugetiere wenigstens in einer Hinsicht überträfen. Ein Eichhörnchen »reitet« allerdings schneller an einem Stamme hinan als ein Specht, keineswegs aber auch so behend und zierlich kopfunterst an dem Stamme hinab wie die Spechtmeise (Sitta), mit der hierin nur die Eidechsen, namentlich die Geckos, wetteifern können. Die Affen, Katzen und Eichhörnchen und einige marderartige Tiere gehen zwar auch in der genannten Richtung nach unten: sie klettern aber nicht, sondern rutschen und können sich, wenn sie einmal in Bewegung gekommen sind, keineswegs so ohne alle Umstände auf derselben Stelle halten wie der erwähnte Vogel. Dagegen steht die Wiedergabe derselben Grundform in einer andern Klasse, ich meine den Vogelaffen Papagei, weit hinter seinem Vorbilde zurück. Er stümpert nur, wo jener vollkommen Künstler ist.

Das Flattern der Säugetiere, das oft schon mit Unrecht » Fliegen« genannt ward, lehrt uns eine andere Bewegungsart unserer Klasse kennen. Es läßt sich in ihr allerdings eine Steigerung wahrnehmen; doch bleibt diese Bewegung immer nur bei dem Anfange, bei dem Versuche stehen und gelangt nie zur Vollendung. An den Flugeichhörnchen und Flugbeutlern sehen wir die Anfänger in dieser Fertigkeit. Sie benutzen die zwischen ihren Beinen ausgespannte Haut eben nur als Fallschirm, wenn sie aus der Höhe in die Tiefe hinabspringen wollen, und sind nicht imstande, sich durch Bewegen dieser Haut in freier Luft zu erheben. Auch die Flattermakis, Übergangsglieder von den Äffern zu den Spitzmäusen, vermögen nicht, etwas anderes zu leisten. Einzig und allein die wahren Fledermäuse sind befähigt, mit Hilfe der Flughaut, die zwischen ihren Gliedmaßen und zumal zwischen ihren unmäßig verlängerten Fingern sich ausspannt, in der Luft sich zu bewegen. Das geschieht, indem sie mit der ausgespannten Flughaut schief auf die Luft schlagen und sich dadurch heben und zugleich fördern. Es scheint, als ob ihr sogenanntes Fliegen sehr leicht vonstatten ginge. Sie machen so schnelle und jähe Wendungen, daß sie bloß von einem recht tüchtigen Schützen im Fluge erlegt werden können, streichen flatternd rasch eine Strecke weit fort und heben und senken sich gewandt und schnell. Und dennoch ist diese Bewegung kein Flug, sondern nur ein schwerfälliges Sich-Dahin-Wälzen, ein Kriechen durch die Luft. Jeder Windhauch stört das Flattern der Fledermaus, ein Sturm macht es unmöglich! Der Grund hiervon ist leicht zu erkennen. Die Flughaut ist nicht eine Fläche wie der Vogelflügel, die bald den Durchzug der Luft verwehrt, bald aber erlaubt, sondern bei jeder Bewegung Widerstand verursacht. Wenn nun auch das Flugwerkzeug des Säugetieres beim Heben etwas verkleinert wird, bleibt der größere Widerstand doch fühlbar und drückt das Tier wieder etwas nach unten: der Niederschlag hebt es, der Aufzug senkt es: es muß flattern! Wie ganz anders erscheint der Flug des Vogels! »Er ist«, so habe ich mich früher ausgedrückt, »die köstlichste, erhabenste aller Bewegungen: bald ein geruhiges Schweben, bald ein pfeilschnelles Stürmen, bald ein Wiegen, Schaukeln, Spielen, bald ein Gleiten, Dahinschießen, ernstes Eilen, bald ein Reisen mit Gedankenschnelle, bald ein Lustwandeln, langsam, gemächlich; bald rauschen die Wellen des Äthermeeres unter ihm, bald hört man keinen Laut, auch nicht den geringsten, leisesten; bald erfordert er schwere Flügelschläge, bald keine einzige Flügelbewegung; bald erhebt er den Vogel zu Höhen, von denen uns Menschen nur träumt, bald nähert er ihn der Tiefe, dem Meere, daß dessen Wogen die Fittiche netzen mit ihrem Schaume.« Er kann so mannigfaltig, so verschieden sein, als er nur will: immer bleibt und immer heißt er Flug. Bloß das Flugwerkzeug des Vogels nennen wir Flügel; nur mit ihm begabt der Künstlergedanke die entfesselte Seele: – mit der Flughaut der Fledermaus verhäßlicht er den Teufel, die tollste Mißgeburt kindischen und krankhaften Wahns. Mag auch die nächtliche Lebensweise der Fledermäuse den ersten Gedanken zu solchen Einbildungen gegeben haben: die Form, die Gestalt der Flughaut ist maßgebend gewesen. Und weil solche Flatterhaut nun gerade »dem aus der Höhe zur Tiefe gestürzten Engel verliehen wurde«, während der »nach oben schwebende Bote des Himmels« die Schwinge erhielt, deutet dies sinnbildlich darauf hin, daß die unbewußte Dichterseele des Künstlers wenigstens die eine Wahrheit ahnte: Nur der Vogel ist erdfrei geworden, – das Säugetier hängt auch mit Flügelgedanken noch an der Scholle!