Über das Buch

Dem ›Economist‹ zufolge erinnern sich Finanzleute gerne gegenseitig daran, »ihren Kindleberger zu lesen«. In ›Die Weltwirtschaftskrise‹ untersucht Charles Kindleberger den vorhergehenden Boom und die Agrarkrise, erläutert den Börsencrash und die darauffolgende Talfahrt der Weltwirtschaft: vor allem die Faktoren Deflation, Abwärtsspirale der Währungen und protektionistische Entscheidungen verstärken die Krise, bis dieses Zusammenspiel in die Katastrophe mündet.

»Er hat einen theoretischen Hintergrund, aber auch viel Lebensweisheit in die internationale Ökonomie eingebracht. Er hatte ein sehr gut entwickeltes, schnelles und einfallsreiches Gespür für die realen Probleme der realen Welt«, so Robert A. Mundell, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften und ehemaliger Student von Charles Kindleberger.

»In der dritten Dekade des 21. Jahrhunderts könnten die Lehren aus dem Buch über die Weltwirtschaftskrise 1929–1939 wieder unschöne Aktualität erlangen.« Georg von Wallwitz

Über Charles Kindleberger / Georg von Wallwitz

Charles P.Kindleberger (1910–2003), amerikanischer Nationalökonom und Wirtschaftshistoriker, war Experte im Bereich internationale Geld- und Währungsfragen. Nach dem 2. Weltkrieg arbeitete er im US-Außenministerium im Office of Economic Security Policy und war dort für Deutschland und Österreich verantwortlich, anschließend war er einer der Architekten des Marshallplans. Ab 1948 lehrte er als Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Georg von Wallwitz ist Mitinhaber einer Vermögensverwaltung. In Tageszeitungen und für andere Medien verfasst er Kommentare und Glossen über wirtschaftliche Entwicklungen, er hat Titel zu Mathematikern, Finanzmärkten und den Kapitalismus veröffentlicht. Bei dtv hat er in der Reihe »dtv bibliothek« neu herausgegeben: ›Der Wohlstand der Nationen‹ von Adam Smith.

Charles Kindleberger und sein Werk ›Die Weltwirtschaftskrise‹: eine Einführung

Für jedes Land sehen die Phasen wirtschaftlichen Glücks ganz ähnlich aus. In der Rückschau erinnern wir uns gerne an ein »goldenes Zeitalter«, an den allgemeinen Wohlstand und an die künstlerische Blüte, in welche sich dieser schließlich verwandelt hat. Wir erinnern uns an Stabilität, an geordnete und gerechte Verhältnisse, an eine Regierung, deren Interesse das Gemeinwohl war, an eine fleißige Bevölkerung, in welcher es kein Murren gab.

Ökonomisches Unglück hat hingegen viele Gesichter, weil es die verschiedensten Gründe dafür geben kann. Für die Deutschen gilt als das größte Unglück die Inflation, die das Land 1923 nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg noch einmal ruinierte. Die Chinesen fürchten die Wiederholung des Desasters, in das die Planwirtschaft das Land in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gestürzt hat. Und für die Amerikaner ist keine Narbe so schmerzhaft wie die Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren, in der das eben noch prosperierende Land sich plötzlich mit allgemeinem Elend, bis hin zur Hungersnot, konfrontiert sah.

Die Erinnerung an den größten Schmerz vergeht nur langsam und bestimmt die öffentliche Meinung und die Handlungen der Institutionen auf Jahrzehnte hinaus. So, wie die Deutsche Bundesbank und ihr legitimer Erbe, die Europäische Zentralbank, bis heute nur die Preisstabilität als Ziel kennen, haben die Amerikaner ihrer Federal Reserve neben der Geldwertstabilität als ebenso wichtiges Ziel die Vermeidung von Arbeitslosigkeit vorgegeben. Aus der historischen Erfahrung ist es auch zu erklären, dass die USA sehr viel entschiedener und effektiver reagiert haben, als sich 2008 eine Wiederholung der Weltwirtschaftskrise anbahnte. Das Trauma des Zusammenbruchs von 1929 wirkt nirgendwo so stark fort wie in dem Land, in welchem die Krise mit dem großen Börsenkrach am 24. Oktober 1929 begann – auch wenn die Ereignisse rasend schnell eine globale Dimension angenommen haben.

Während es zur Hyperinflation in Deutschland kein gut lesbares Standardwerk gibt, wird das kollektive Gedächtnis zur Weltwirtschaftskrise maßgeblich von Charles Kindlebergers hier vorliegendem Buch geprägt. Seit seinem Erscheinen vor bald 50 Jahren ist es der wesentliche Bezugspunkt für alle – Ökonomen, Publizisten, Fondsmanager, Politiker –, die sich ernsthaft mit Wirtschaftskrisen befassen. Es ist damit ein Klassiker im besten Sinne: Frühere Arbeiten zu einem großen Thema werden sortiert und zu einem tragfähigen Fundament verdichtet, welches zum Bezugspunkt für alle späteren Autoren wird.

Klassiker zu schreiben war Kindleberger nicht in die Wiege gelegt. Seine prägenden Jahre fielen genau in die Zeit der Weltwirtschaftskrise. Er schloss sein Studium der Wirtschaftswissenschaften 1932 ab und wurde 1937 an der Columbia University in seiner Heimatstadt New York promoviert. Wohl aus einer gewissen Neigung, sich in die konkrete Arbeit zu stürzen, trat er in den Staatsdienst ein, anstatt eine Karriere an der Universität zu verfolgen. Schon während der Arbeit an seiner Doktorarbeit fand er bei der Regierung in Washington Beschäftigung und pendelte bald zwischen Positionen im Finanzministerium, bei der amerikanischen Zentralbank und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er für das Office of Strategic Services (OSS), den Vorgänger der CIA.

Die Zeit im Weltkrieg schilderte Kindleberger mit offensichtlicher Freude in seiner Autobiografie. Beim OSS waren die Ökonomen mit der Frage betraut, welche Ziele in Europa durch die Air Force vorrangig zu bekämpfen wären. War es beispielsweise lohnender, Bahnhöfe, Gleise oder Eisenbahnbrücken zu bombardieren? Aus dieser Frage entwickelte er das (ironisch so genannte) Kindleberger’sche Alternativen-Gesetz: Wenn lange und scharf über Alternativen diskutiert wird, werden in der Regel am Ende beide verwirklicht. (Kindleberger, ›The Life of an Economist‹, S. 87) Besonders stolz war Kindleberger aber auf seine Umsicht und seinen Fleiß im Umgang mit den Details, aus denen er sich, wie ein Mosaikleger, sein eigenes Bild der Lage machte. So berichtet er von einer gewissen Faulheit, die sich bei den Briten eingeschlichen hatte, seit sie die deutsche Verschlüsselungsmaschine Enigma geknackt hatten. Während die Briten sich darauf verließen, dass ihre eine, unglaublich ergiebige Quelle alle wesentlichen Informationen bereitstellen werde, mussten die Amerikaner aus Fotos, aus Trümmern abgeschossener deutscher Flugzeuge, aus Truppenbewegungen, aus Befragungen von Kriegsgefangenen etc. ihre Schlüsse ziehen – und umso größer war die Genugtuung, wenn ihr Fleiß gelegentlich mit Informationen belohnt wurde, die noch besser waren als die der englischen Kollegen (ebd., S. 77). Von 1945 bis 1947 war Kindleberger im Außenministerium als Chef der Abteilung für wirtschaftliche Angelegenheiten in Deutschland und Österreich zuständig. Er war damit einer der wesentlichen Architekten des Marshall-Plans, für dessen Ausarbeitung er wohl der erste Ökonom war, der einen Computer benutzte (er durfte nachts den Rechner des Verteidigungsministeriums nutzen). In Deutschlands Stunde null zeichnete ein 35-jähriger Beamter ohne nennenswerte akademische Meriten, der sich deutlich länger mit dem Aussuchen von Zielen für Bomben beschäftigt hatte als mit dem Kaltstart einer Volkswirtschaft, für wesentliche Teile des bis heute größten wirtschaftlichen Hilfsprogramms der Geschichte verantwortlich. Vielleicht war es aber auch Kindlebergers großer Vorteil, ohne zu großen theoretischen Ballast Gestalter zu sein in einer Zeit ohne Vorbild. Der gewaltige Erfolg des Plans spricht für sich.

Erst nach 1948 wurde er ein Akademiker, als Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston, wo er bis zu seiner Emeritierung 1976 unterrichtete. Kindleberger wusste nicht nur – das spürt man in all seinen Schriften –, wie eine Volkswirtschaft funktionieren sollte, sondern auch, wie es sich anfühlt, wenn man tatsächlich dafür verantwortlich ist. Diese seltene Kombination aus intellektueller Brillanz und praktischer Erfahrung prägt Kindlebergers Bücher, gibt ihnen eine einzigartige Tiefe und Breite.

In seiner Zeit als Professor schrieb er eine Reihe von Büchern, von denen neben dem vorliegenden zwei weitere besonders herauszuheben sind. Erstens verfasste er 1958 ›International Economics‹, ein Werk, das für etwa 20 Jahre als das Standardlehrbuch über die Grundlagen des Welthandels gelten konnte. In diesem Werk handelte er die ganze Breite der internationalen Wirtschaftsbeziehungen ab, also außer dem Außenhandel auch Kapitalbewegungen, Währungsfragen und sogar das Thema Migration. Dabei zeigte er sich als undogmatischer Anhänger von John Maynard Keynes und dessen 1936 erschienener ›General Theory‹. Mit Keynes verbindet ihn nicht nur eine gewisse biografische Parallele (im Frieden Akademiker, im Krieg Staatsdiener), sondern auch der Grundimpuls, dass es die vornehmste Aufgabe eines Ökonomen ist, eine pragmatische Lösung zu finden angesichts chaotischer, unvorhersehbarer Umstände. Kindleberger überträgt Keynes’ Einsicht, wonach Märkte sich in einem Gleichgewicht weit unterhalb des Potenzials einer Volkswirtschaft einpendeln können und nur mit Hilfe staatlicher Eingriffe auf ihr optimales Niveau gehoben werden können, auf die internationale Ebene. Für die Weltwirtschaft gilt ceteris paribus, was Keynes für die nationale Ökonomie formuliert hatte: Es reicht in Krisenzeiten nicht, die Märkte sich selbst zu überlassen. In solchen Situationen muss aus Adam Smiths unsichtbarer Hand eine sicht- und spürbare werden, welche die Ordnung bewahrt und den Wohlstand der Nationen verteidigt.

Sein bekanntestes Buch veröffentlichte Kindleberger erst kurz vor seiner Emeritierung: ›Manias, Panics, and Crashes: A History of Financial Crises‹. Darin beschreibt er die psychologischen Faktoren hinter vielen finanziellen Extremereignissen. Bis heute bleibt dieses Buch die beste Deutung des sich periodisch einstellenden Geschehens, wenn die Märkte verrücktspielen, wenn Spekulanten sich ruinieren, staatliche Institutionen verzweifeln, Glücksritter furchtbar schnell arm und wieder reich werden und auch sonst keine vernünftige finanzielle Ordnung erkennbar ist.

Kindleberger war, wie Keynes, ein skeptischer Pragmatiker. Die Wirtschaft muss funktionieren – auf welche Prinzipien dabei zurückgegriffen wird, ist für ihn zweitrangig. Solange der Mensch es sich nicht abgewöhnt, gelegentlich gegen alle wirtschaftliche Vernunft zu handeln, bleiben die Märkte ein fehleranfälliges, oft irrationales System, das sich nicht mit einer Theorie begreifen oder gar steuern lässt. Ein Beispiel für Kindlebergers pragmatischen Ansatz ist etwa seine Empfehlung, es müsse die Zentralbank als Kreditgeber letzter Instanz in Krisenzeiten zwar geben, aber diese Rolle müsse stets in Zweifel stehen. Nur, wenn es unsicher ist, ob und wann und in welchem Umfang die Zentralbank tatsächlich in das Marktgeschehen eingreift, sind die Marktteilnehmer vorsichtig und diszipliniert genug, dass dieser Eingriff unnötig bleibt.

Doktrinäre der Ökonomie sind, wenn sie im Angesicht widersprechender Daten und Fakten auf der Richtigkeit ihrer Theorie beharren, in Kindlebergers Augen nicht weniger irrational als irgendein Rohwarenhändler, der in Panik seine Bestände absichern will. Seine Methode hat er beim OSS gelernt: Nicht aus der Höhe eines vermeintlich gesicherten Wissens denkt er, sondern von den Kleinigkeiten am Boden her spürt er Muster und Regeln auf, ohne dabei eine systematische Agenda zu verfolgen. Wenn es ein Lebensthema bei Kindleberger gibt, ist es der Versuch, die Wirtschaftswissenschaft vor dem zu bewahren, was Immanuel Kant den »Dogmatischen Schlummer« nennt: die Tendenz vieler Akademiker, bezüglich der eigenen Theorie nicht hinreichend skeptisch zu sein.

Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass Kindlebergers Buch über die Weltwirtschaftskrise im Grunde aus drei Büchern besteht. Erstens ist es ein Geschichtsbuch. Er zeichnet die wesentlichen Entwicklungen vor und während der Krise nach, ordnet die Ereignisse ein, beschreibt die Motivationen für bestimmte wirtschaftspolitische Entscheidungen und erklärt die Konsequenzen. Dabei hat er stets die ganze Welt im Blick, verengt seine Darstellung nicht auf Europa und Nordamerika. Er beschreibt die tatsächlichen oder vermeintlichen Zwänge, in welchen sich die handelnden Personen und Institutionen befinden und die zu jenen Fehlern führen, welche schließlich in die Katastrophe münden. Kindleberger weiß besser als viele andere Ökonomen, dass die Ausprägung von Rezessionen und Kapitalmarktkrisen ganz wesentlich von den Theorien und Personen abhängt, welche in den Finanzministerien und Zentralbanken die Richtung vorgeben.

Zweitens ist es ein Wirtschaftstheorie-Buch. Die Debatte um die Ursachen der Weltwirtschaftskrise hält er für weitgehend fehlgeleitet. Weder möchte er mit Milton Friedman die Erklärung allein auf die Fehler bei der Regulierung der Geldmenge verengen. Noch möchte er sich mit Paul Samuelson fatalistisch damit zufriedengeben, sie als »Resultat einer Serie historischer Zufälle« (S. 26) zu begreifen. Er sieht in ihr ein Ereignis, welches viele Ursachen hat, die durchaus vermeidbar gewesen wären, die sich aber allenfalls in Muster bringen, nicht aber in einer einheitlichen Theorie erfassen lassen. Es mag als Bestätigung für Kindlebergers skeptisch-pragmatischen Ansatz gelten, dass sich zur Erklärung der Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008/09, für die unvergleichlich viel mehr Daten vorliegen als für die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre, ebenso wenig ein einheitliches Erklärungsmodell durchgesetzt hat.

Drittens handelt es sich um ein politisches Buch. Kindleberger sieht die wesentliche Ursache für die Weltwirtschaftskrise in der historischen Konstellation, in welcher ein nach dem Ersten Weltkrieg »kraftloses« Großbritannien keine Ordnungsmacht mehr sein konnte und in welcher die »pflichtvergessenen« (S. 350) USA, der natürliche Nachfolger, die Rolle des »wohlwollenden Hegemons« noch nicht übernehmen wollten. Es muss, damit die Weltwirtschaft stabil bleibt, ein Land geben, welches als letztinstanzlicher Kreditgeber auftritt, der seine Märkte auch in Krisenzeiten offen hält, der antizyklisch zu handeln bereit ist, der für die Koordination der Wirtschaftspolitik in den einzelnen Ländern und für einen Währungsanker sorgt. Dazu bedarf es eines politischen Willens, der das Eigeninteresse eines mächtigen Landes dem globalen Gemeinwohl in schweren Zeiten unterordnet. In dem amerikanischen Mangel an politischem Pflichtbewusstsein gegenüber der Welt sieht Kindleberger die tiefste Ursache für eine Weltwirtschaftskrise, welche die USA am Ende mit in den Abgrund zog.

Es zeichnet einen Klassiker aus, dass seine Durchsicht auf die tieferen und tiefsten Ursachen zeitlos bleibt. Er erfasst die grundlegenden Sachverhalte, die sich durch den Wandel der Umstände nicht ändern. So war man zu jeder Zeit versucht, aus Kindlebergers Buch Lehren für die Gegenwart zu ziehen. Für die EU deutete er selbst noch auf den letzten Seiten seines Buches an, was nötig war: Wollte sie als Hegemon bereitstehen für den Fall, dass die USA sich zurückzogen, müsste sie sich eine einheitliche wirtschaftliche Entscheidungsstruktur geben, müsste eine Zentralbank haben und ihre Märkte bedingungslos offen halten. Es ist typisch für Kindlebergers Weitsicht, dass er die isolationistischen Tendenzen in den USA immer im Auge behalten hat, obwohl die Amerikaner prädestiniert sind für die Rolle des Eckpfeilers des internationalen Währungssystems (denn sie können sich in der eigenen Währung verschulden, die gleichzeitig auch international Transaktions- und Reservewährung ist). Seit den Siebzigerjahren ist in der Eurozone einiges in der von Kindleberger skizzierten Richtung geschehen, aber gerade das Fehlen einer einheitlichen Wirtschaftsregierung für die Eurozone macht diese ungeeignet für die Rolle des Hegemons. Diese institutionellen Defizite im Unterbau der Gemeinschaftswährung sind jedem Studenten Kindlebergers klar. Es war das große Glück der Eurozone, dass Mario Draghi, EZB-Präsident in den Krisenjahren 2011–2019, der wie kaum ein anderer Praktiker die Anforderungen an die Institutionen und Regulierungsbehörden angesichts kollabierender Märkte verstand, bei Kindleberger in den 1970er-Jahren am MIT Vorlesungen gehört hatte.

Als Ideal für die Weltwirtschaft sieht Kindleberger eine Wirtschaftsregierung durch internationale Institutionen an. Da die Realisierung dieser Vorstellung in einer Welt der Nationalstaaten kaum zu erwarten ist, muss ein Land die Aufgabe des wirtschaftlichen Hegemons übernehmen. Dabei ist es egal, welches Land diese Rolle einnimmt. Einer muss es nur machen. Denn der schlimmste Zustand ist nach Kindleberger derjenige, in welchem ein »Tauziehen … um die Führung in der Weltwirtschaft« (S. 356) stattfindet oder sich überhaupt niemand für das globale Gemeinwohl zuständig fühlt. Wo Protektionismus als ein probates Mittel zur Mehrung des Wohlstands gilt, wo Institutionen so weit geschwächt werden, dass sie im Krisenfall weder Halt noch Richtung geben können, werden sich die von Kindleberger beschriebenen Muster der Verschlechterung aller Dinge wiederholen.

In der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts waren die Zentralbanken mitunter die einzig handlungsfähigen Institutionen. Doch zum Hegemon taugen sie nicht, und sie fühlen sich auch nicht dazu berufen. Die einzig denkbare Führungsinstanz ist nach wie vor die Regierung der USA, zumal ihr Pendant in China es oft an der Freundlichkeit fehlen lässt, die das Vertrauen begründen könnte, das einer Führungsrolle zugrunde liegt. Je mehr die USA sich von ihrer natürlichen Rolle abwenden, je weniger sie eine internationale Perspektive einzunehmen gewillt sind, desto mehr wird die Weltwirtschaft zu einem gefährlichen Ort. In der dritten Dekade des 21. Jahrhunderts könnten die Lehren aus dem Buch über die Weltwirtschaftskrise 1929–1939 wieder unschöne Aktualität erlangen. Nach Kindleberger kann aber niemand mehr sagen, es hätte keine Warnung gegeben.

Georg von Wallwitz, im Frühjahr 2019

Vorwort

Als Wolfram Fischer mich einlud, über die Geschichte der Weltwirtschaft in den Dreißigerjahren zu schreiben, sagte ich begeistert zu; einerseits wegen des lebhaften theoretischen Interesses an der Weltwirtschaftskrise, dem man allerorten bei Wissenschaftlern begegnet, andererseits, weil sich mir dadurch die Gelegenheit bot, das Geflecht der Ereignisse aus der Zeit meiner Jugend und meiner ersten Berufsjahre zu durchleuchten, Ereignisse, die mich und viele andere zur Nationalökonomie brachten.

Der Börsenkrach vom Oktober 1929 rührt in meiner Erinnerung keine Saite. Wie alle Welt wusste auch ich davon, aber einem Studenten im zweiten Universitätsjahr sagte das alles wenig. Die wenigen Aktien der Familie waren bezahlt und nicht auf Kredit gekauft. Mit Hilfe eines Onkels im Reedereigeschäft bekam ich trotz des Konjunkturrückgangs einen Job auf einem Frachter, der im folgenden Sommer Großanlagen von Kopenhagen nach Leningrad brachte und als Rückfracht Holzschliff aus Kotka, Raumo und Kemi in Finnland mitnahm. Ich glaube nicht, dass das ein gewöhnliches Dumping war, aber ich bin mir dessen nicht sicher. Es war jedenfalls kein Währungsdumping, wie es sich nach 1932 ereignete und im 7. Kapitel behandelt ist. Die Reise ist hauptsächlich deswegen erinnerungswert, weil man nach der Ankunft in Kopenhagen seine Heuer für Bier und Schnaps ausgeben konnte. (Mein Lohn als Schiffsjunge betrug 20 Dollar monatlich.) Die Fahrt weckte mein Interesse am internationalen Handel und den Geschmack an Tuborg-Bier, die beide bis heute anhalten. (Einer meiner Freunde fand 1940 durch seinen Onkel Arbeit auf einem Schiff. Der Onkel, der mir half, war Vorstandsmitglied einer Reederei, seiner war Vorstandsmitglied einer Seemanns-Gewerkschaft. Die Vetternwirtschaft hatte sich über die Dreißigerjahre hin erhalten, aber sie hatte einen anderen Hort gefunden.)

Das abnehmende Familieneinkommen reichte noch aus, sowohl mein Studium wie die Fahrt nach Europa im Sommer 1931 zu finanzieren, wo ich von einem Sommer-Stipendium der Students’ International Union Gebrauch machte. Salvador Madariaga, der üblicherweise das Seminar leitete, war gerade zum spanischen Gesandten in den Vereinigten Staaten ernannt worden, und so wurden wir Studenten aus den Vereinigten Staaten und Europa unter die Graduierten an der Genfer Schule für Internationale Studien verteilt, die Professor (später Sir) Alfred Zimmern leitete. Es war eine aufregende Zeit, angefangen von den Gastvorlesungen bis zur Verabschiedung von Patrick Sloan, der sich am Ende des Sommers, ausgerüstet mit Pyramiden von Toilettenpapier und Bündeln von Nadeln, auf den Weg machte, um ein Jahr in der Sowjetunion zu verbringen.

Ich kann jedoch nicht behaupten, dass ich mir ein wirklich klares Bild von den Ereignissen machte, die im 6. Kapitel beschrieben sind. Ich habe mein Tagebuch durchgesehen, das ich in jenem Sommer führte und das Aufzeichnungen enthält über Vorlesungen von Paul Douglas und E. M. Patterson aus den USA, von Moritz Bonn, Henri Hauser, Douglas Copland und vielen anderen. Sogar der Entwurf eines Referats findet sich da, das ich selbst in der Gruppe Volkswirtschaft zum Thema »Die Wirtschaftslage in den USA« hielt. Nichts von diesem Gekritzel war mir jetzt von Nutzen. Von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich nahm ich hauptsächlich deswegen Kenntnis, weil einer ihrer jungen Angestellten dort häufig von Basel herüberkam, um einem der reizenden Mädchen des Smith-College in der amerikanischen Kolonie von Genf den Hof zu machen.

Nach meinem Examen im Februar 1932 hatte ich das erhebende Erlebnis der Arbeitslosigkeit, wenn auch nur für acht oder zehn Wochen. Wiederum durch Beziehungen bekam ich einen Posten als Laufjunge (versehen mit dem B. A. mit Prädikat und einem Phi-Beta-Kappa-Abzeichen), und zwar – was ich jetzt als Keynesianer nur ungern bekenne – bei der National Economy League, einer von Archibald Roosevelt und anderen Konservativen gegründeten Interessengruppe, die für den Ausgleich des Bundeshaushalts eintrat. Im Juli 1932 erhielt ich, wieder durch Beziehungen, eine andere Stelle als Bote bei den Seeversicherungsmaklern Johnson & Higgins. Zu den beiden erinnerungswerten Ereignissen des nächsten Jahres während dieser Tätigkeit gehört die Erhöhung des Briefportos von 2 auf 3 Cent, was die Firma veranlasste, ihr Kommunikationssystem im Zentrum von Manhattan von der US-Post auf ihre eigenen Mitarbeiter zu übertragen (meine erste schmerzliche Bekanntschaft mit einer elastischen Nachfragefunktion), außerdem ein Zettel des Büroleiters, der besagte, dass mein Lohn wegen der NRA (National Recovery Administration) und – so konnte ich zwischen den Zeilen lesen – aus keinem anderen Grund von 12 auf 15 Dollar pro Woche erhöht würde.

Im Februar 1933 hatte ich mich an der Columbia University für ein Graduierten-Studium der Volkswirtschaft eingeschrieben. Zur Vorbereitung nahm ich an einem Abendkursus über Geld- und Bankwesen teil, den Ralph W. Robey, der Wirtschaftsredakteur der New York Evening Post abhielt. Von Anfang Februar bis März 1933 ergötzte er seine Hörer mit täglichen Berichten über den Zusammenbruch des amerikanischen Bankensystems, was die Volkswirtschaftslehre so aufregend machte wie die damals beliebte Filmserie Paulines gefährliche Abenteuer.

Durch irgendeinen intellektuellen Prozess, den ich nicht rekonstruieren kann, fing ich bei einer Hausaufgabe während des Wintersemesters 1933/34 Feuer am Thema des Abwertungswettlaufs zwischen Dänemark und Neuseeland. Professor Benjamin H. Beckhart ermunterte mich, den Aufsatz für die Veröffentlichung zu überarbeiten; eine Verweisung auf diesen meinen Einstand in der Wissenschaft kann man dem 7. Kapitel entnehmen. Das frühzeitige Vorurteil gegen flexible Wechselkurse habe ich behalten.

Nachdem ich das Studium beendet und im Juni 1936 mit der Dissertation begonnen hatte, arbeitete ich unter Harry D. White und Frank V. Coe in der International Research Division des US-Schatzamtes, wo ich Kaufkraft-Paritäten der verschiedenen Währungen berechnete, insbesondere der des Goldblocks. Dies war nur vorübergehend, eine Dauerstellung fand sich am 1. Oktober 1936 bei der Federal Reserve Bank in New York. Ich bekam auf beiden Posten monatlich 200 Dollar bzw. 2400 Dollar im Jahr. Mr White fragte mich, ob ich daran dächte, im Schatzamt zu bleiben. Ich erwiderte, dass mich ein Angebot bei Einstufung in die Gruppe P 2 interessieren würde – Akademiker wurden nach den Gehaltsstufen P 1 bis P 6 bezahlt –, wonach ich jährlich 2600 Dollar erhalten würde. Er hielt das für übertrieben, und ich ging, um ab 1. Oktober 1936 in New York zu beginnen, vier Tage nach dem Dreimächte-Währungsabkommen vom 26. September.

Bei der Federal Reserve Bank von New York untersuchte ich Vorgänge in der europäischen Wirtschaft und am New Yorker Devisenmarkt, verfolgte die Goldpanik vom April 1937 und die Dollarkrise im Herbst des gleichen Jahres. Im Februar 1939, kurz vor Hitlers Einmarsch in Prag, nahm ich das Angebot an, im Sommer zur Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zu gehen. Mit Hilfe von Freunden beim Board of Governors des Federal Reserve System wurde ich nach dem deutschen Einmarsch in Paris im Juni 1940 zurückgeholt.

All dies interessiert mich viel mehr als den Leser, aber es erklärt, wie ich zur Nationalökonomie kam, und zeigt, wie sehr dieses Buch eine Recherche du temps perdu ist. Vielleicht spiegelt es mehr noch als die Voreingenommenheiten durch Erfahrungen meiner Jugend die intellektuellen Eigenheiten wider, die sich in der Nachkriegszeit während einer Reihe von Jahren als Hochschullehrer entwickelt haben. Der Leser sei deshalb gebührend gewarnt vor beiden Quellen der Einseitigkeit.

Mit dem Auftrag, die Dreißigerjahre zu behandeln, beschreibt das Buch die Weltwirtschaft in der Depression. Es ist, soweit dies unumgänglich war, vom amerikanischen Standpunkt aus geschrieben; ich habe aber, wo nur möglich, Material aus Europa benutzt. Der Herausgeber ist etwas unglücklich darüber, dass es nicht mehr über die Sowjetunion und Asien enthält. In dieser Hinsicht ist das Bild verzerrt, aber man sollte nicht Kenntnisse vortäuschen, die man nicht besitzt.

Ebenso bin ich mir im Klaren, dass es wenig von den sozialen, politischen und persönlichen Dramen enthält, welche die Krise unablässig hervorbrachte und die in kürzlich erschienenen Arbeiten von Studs Terkel, John Brooks oder Kenneth Galbraith zum Ausdruck kommen. In der Besprechung eines ökonometrisch orientierten Buches über Wirtschaftsgeschichte schrieb ich einmal, dass darin der Schweiß der Baumwollpflücker und die Shanties der Matrosen fehlten. Dieses Buch enthält kaum farbige Anekdoten über Börsenmakler oder Apfelhändler, abgesehen von den obigen autobiografischen Bemerkungen. Auch ist es nicht ökonometrisch nach Art der neuen Wirtschaftsgeschichte, die ihre Hypothesen mit multiplen Regressionen von verzögerten Variablen unumstößlich zu beweisen sucht. Es ist erzählte Geschichte anstelle von Tabellen mit Korrelationskoeffizienten und Ähnlichem. Umso schlimmer für das Buch.

Und schließlich muss ich mich auch noch dafür entschuldigen, dass ich den Schlüssel zu all den Fragen – warum die Depression so umfassend, so tief, so ausdauernd war – in meinem Spezialgebiet, dem internationalen Währungsmechanismus, finde. Dies dürfte niemanden überraschen.

Als Nichthistoriker stehe ich in großer Schuld bei Vertretern der Geschichtswissenschaft und bei jenen, die gleich mir an deren Randgebieten tätig sind. Ich bin tief beeindruckt von dem Entgegenkommen der Historiker gegenüber Außenseitern, denen sie Hilfe anbieten, statt Schranken der Zuständigkeit zu errichten. Zuerst und vor allem möchte ich D. E. Moggridge vom Clare College in Cambridge danken, dann Peter Temin, meinem Kollegen am MIT. Beide haben das Manuskript sorgfältig gelesen, und jeder hat von seinem Fach aus bei dessen Verbesserung geholfen. Temin stellte die großen grundsätzlichen Fragen zu Beweisführung und Demonstration. Moggridge wies mich auf weiteres Material hin und stellte Interpretationen infrage, forschte vor allem im Staatsarchiv in London nach, um zusätzliches Material zu einer Anzahl von Punkten zu beschaffen, die nicht hinreichend belegt waren; all dies war entschieden mehr, als er hätte tun müssen.

Die Liste derer, denen ich außerdem wissenschaftlich verpflichtet bin, ist nach dem Alphabet geordnet, um unerwünschte und gar nicht mögliche Hervorhebungen zu vermeiden. Professor Lester V. Chandler von den Universitäten Princeton und Atlanta setzte das Ganze in Gang mit einem Berg von Durchschlägen seiner Exzerpte aus dem Archiv der Federal Reserve Bank von New York und half durch Widerspruch und Anregungen in vielen Diskussionen weiter. Stephen V. O. Clarke von der Federal Reserve Bank las das Manuskript und lieferte viele nützliche Anmerkungen; darüber hinaus hat er das Archiv der Bank zu verschiedenen Punkten durchforscht. Professor Heywood Fleisig von der Cornell University, der ebenfalls über die Depression arbeitet, ließ mir seine Dissertation vor der Veröffentlichung sowie den Entwurf einer anderen wichtigen Arbeit zukommen und korrigierte einen schwerwiegenden Fehler in meinem Manuskript. George Garvey, Vizepräsident der Federal Reserve Bank von New York, lenkte meine Aufmerksamkeit auf die Arbeit von W. S. Woytinsky, der 1931 und 1932 in Deutschland für öffentliche Arbeiten eingetreten war, und lieh mir das Exemplar der Bank von Wilhelm Grotkopps Die große Krise, bis ich ein eigenes erhielt. Im engsten Zusammenhang damit wies mich Professor Alexander Gerschenkron von der Harvard University auf die Bedeutung der Expansionsideen von Wilhelm Lautenbach hin, eines Oberregierungsrats im Reichswirtschaftsministerium in den Jahren 1930 und 1931.

Dr. Helen Hughes, jetzt bei der Weltbank, war so liebenswürdig, mir zwei Kapitel ihrer noch unveröffentlichten Wirtschaftsgeschichte von Australien zu überlassen. Professor Ryutaro Komiya forschte auf meine Bitte hin in japanischen Quellen nach der Lösung des Rätsels, wieso man in Japan bereits 1932 ohne einen Keynes auf eine keynesianische Politik kam. Professor Peter H. Lindert von der University of Wisconsin begutachtete den ersten Entwurf aufs Gründlichste. James R. Moore, graduierter Student an der State University of New York in Stony Brook, der an einer Dissertation über die Weltwirtschaftskonferenz 1933 arbeitet, war so freundlich, mir eine Bibliografie von Quellen zu überlassen, wie sie von richtigen Historikern verwendet werden. Professor Adolph Sturmthal, University of Illinois, steuerte faszinierendes Material zur Abneigung der deutschen Marxisten gegen eine Abwertung bei.

Zum Produktionsprozess eines solchen Buches gehört auch, dass die verschiedenen Ideen in Seminaren und Vorlesungen getestet werden. Dies tat ich an der University of Alabama, bei der Cambridge Economic History Group, an der Columbia University und der Cornell University, als Diskussionsteilnehmer im Council on Foreign Relations, am Institute of World Affairs in Salisbury, Conn. (dem Nachfolger der Student International Union von 1931) sowie bei der New York Metropolitan Economists Group. An den höchst anregenden und ideenreichen Diskussionen bei diesen Gelegenheiten nahmen auch einige der oben Genannten teil.

Die Harvard University ist so großzügig, den benachbarten Wissenschaftlern während eines Monats in jedem Jahr kostenlosen Zugang zu den überquellenden Regalen der Widener Library zu gewähren. Ich habe dieses wertvolle Privileg zweimal in Anspruch genommen und bin der Universität und dem Bibliothekar zu Dank verpflichtet. Wenn ich auch gelegentlich einen Seitensprung zu der reichhaltigen Bibliothek oben an der Straße machte, bedeutet dies nicht, dass ich der Dewey Library des MIT nicht treu geblieben wäre. Die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft ihrer Mitarbeiter lassen einen die Lücken in der Sammlung fast vergessen, und ich bin Barbara Klingenhagen, William Presson und deren Kollegen wie immer dankbar.

Mary Ann Reardon, jetzt Mrs Bailey, half mir Anfang Sommer 1970 durch mühsames Heraussuchen von Stößen von Statistiken, die ich gar nicht alle verwenden konnte. Anne Pope machte sich verdient, indem sie in das Ganze Ordnung brachte und auch den ersten Entwurf weitgehend abschrieb. Das endgültige Manuskript verfertigte Mrs Inez Crandall; sie gehört ebenso wie Miss Klingenhagen und ich zur »Alten Garde« des MIT, wo sie über zwanzig Jahre als Abteilungssekretärin tätig war – jetzt lebt sie im Ruhestand.

Dieses Buch ist dem Gedenken an meinen Vater E. Crosby Kindleberger gewidmet, der mit großem Mut gegen ein körperliches Gebrechen und gegen die Große Depression kämpfte.

Massachusetts Institute of Technology April 1971

Charles P. Kindleberger