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Bernd Senf

DIE
WIEDERENTDECKUNG
DES LEBENDIGEN

Die Erforschung der Lebensenergie

durch Reich, Schauberger, Lakhovsky,
Schmidt, Plocher, Herbert und Knapp

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Alle Rechte vorbehalten.

Außer zum Zwecke kurzer Zitate für Buchrezensionen darf kein Teil dieses Buches ohne schriftliche Genehmigung durch den Verlag nachproduziert, als Daten gespeichert oder in irgendeiner Form oder durch irgendein anderes Medium verwendet bzw. in einer anderen Form der Bindung oder mit einem anderen Titelblatt als dem der Erstveröffentlichung in Umlauf gebracht werden. Auch Wiederverkäufern darf es nicht zu anderen Bedingungen als diesen weitergegeben werden.

Omega-Verlag ist ein Imprint des Verlages “Die Silberschnur” GmbH

Copyright der ersten Auflage © 2003 Omega-Verlag, erschienen unter dem Titel “Die Wiederentdeckung des Lebendigen. Erforschung der Lebensenergie durch Reich, Schauberger, Lakhovsky u. a.” mit der ISBN 978-3-930243-28-0. Das Buch erschien ursprünglich 1996 bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main.

ISBN: 978-3-89845-636-4

eISBN: 978-3-89845-789-7

1. überarbeitete Neuauflage 2020

Umschlaggestaltung: XPresentation, Güllesheim

Computergrafiken (nach Entwürfen des Autors): Karsten Schomaker, Berlin.

Verlag »Die Silberschnur« GmbH · Steinstr. 1 · 56593 Güllesheim

www.silberschnur.de · E-Mail: info@silberschnur.de

Inhalt

1Einführung

1.1 Krankheit und Heilung

1.2 Die Verschüttung und Wiederentdeckung des Lebendigen

1.3 Die Angst vor dem spontanen Fließen

Charakterpanzer, Körperpanzer und Orgasmusangst | Patriarchat und innere Spaltung des Menschen | Der Kampf gegen die innere und die äußere Natur

2Die innere Bewegung des Lebendigen

2.1 Sigmund Freuds Tragik

Libido – Die wiederentdeckte Lebensenergie | Der Todestrieb – Freuds große Verdrängung

2.2 Wilhelm Reichs Entdeckung des biologischen Kerns

3Mein eigener Weg zu Reich

4Die Wiederentdeckung des Lebendigen

4.1 Wilhelm Reich: Erforschung der Lebensenergie

4.1.1 Die Entwicklung seiner therapeutischen Arbeit

Charakterpanzer, Körperpanzer und Vegetotherapie | Der Entstehungsprozess chronischer Panzerung | Bioenergetisches Verständnis von Krankheit und Gesundheit | Die Bedeutung der Sexualität für die Gesundheit

4.1.2 Die Entdeckung der Lebensenergie Lust und Angst – Expansion und Kontraktion

Funktionelle Identität bei gleichzeitigen Unterschieden | Die Plasmabewegungen lebender Zellen | Erstarrung und Strukturzerfall | Emotion als Plasmabewegung | Die Entdeckung der Biogenese | Strukturzerfall und spontane Selbstorganisation | Lebensenergetische Strahlungsfelder | Orgonotischer Kontakt, Liebe und Sexualität | Orgonotischer Kontakt und Stillen | Orgonotischer Kontakt zwischen einzelnen Zellen | Krebs als Verlust des energetischen Kontakts

4.1.3 Orgonforschung und andere Strahlungsforschungen

Die Biophotonenforschung von Fritz Albert Popp | Das geheime Leben der Pflanzen | Die Kirlian-Fotografie

4.1.4 Orgonenergie und energetische Heilung

Mesmers animalischer Magnetismus | Die Vernichtung der Energieheilung | Das orgonomische Potenzialgesetz | Spontane Aufladung des Lebendigen | Wachstum und Sexualität als energetische Entladung | Die Entdeckung der bioenergetischen Immunabwehr | Der Reichsche bioenergetische Bluttest

4.1.5 Krebs als bioenergetische Erkrankung

4.1.6 Zur Bauweise des Orgonakkumulators

Eigene Erfahrungen | Orgonenergie und Akupunktur: Das ORAC-Rohr | Das Chakra-ORAC | Das ORAC-Kissen | Der Orgonakkumulator wirkt

4.1.7 Ist die Erde bioenergetisch krank?

Geomantie – Heilende, heilige Orte | Funktionelle Identität zwischen Mensch und Organismus Erde | Der blaue Planet – Das Lebensenergiefeld der Erde | Die Energiehülle der Erde hat Wunden | Ist die Erde krebskrank? | Energetische Erstarrung der Atmosphäre und Wüstenbildung | Das ORANUR-Experiment | Radioaktivität und bioenergetische Erkrankung | Radioaktivität und Störung der Lebensenergiehülle der Erde

4.1.8 Cloudbusting – Energetische Heilung der Atmosphäre

Elektrosmog und ORANUR-Effekt | Energetische Wetterarbeit nach Reich

4.2 Viktor Schauberger: Mit der Natur bewegen

4.2.1 Lebendes und totes Wasser

Abtöten von Flüssen durch Begradigung | Wasserrutsche zum Holztransport | Wirbelbewegung und Eiform | Wirbeln und Wiederbeleben toten Wassers | Wirbelbewegung und Lebensenergie | Versorgung mit lebendem Wasser

4.2.2 Der Schaubergersche Trichter

Das Ei als Urform des Lebens | Levitationsverfahren nach Wilfried Hacheney | Wirbelpflug und Kompostei | Implosion statt Explosion – Unsere Techniker bewegen falsch!

4.2.3 Wirbelbewegung und Antigravitation

Die Entwicklung einer »fliegenden Untertasse« | Schauberger, Reich und UFOs

4.3 Georges Lakhovsky: Bioenergetische Schwingung und Resonanz

4.3.1 Sender und Empfänger – Radiowellen und Organismen

4.3.2 Zellschwingung und Resonanz

Gestörte Resonanz und Krankheit | Elektrosmog als bioenergetische Dissonanz | Krankheitserreger als Störsender | Harmonie und Dissonanz in Musik und Natur | Eigenschwingung und Immunabwehr | Energetische Erstarrung und gestörte Resonanz | Resonanztherapie und Heilung | Fieber und Zellkernschmelze | Resonanz und Übererregung

4.3.3 Lakhovskys kosmische Energie »Universion«

4.3.4 Störzonen und Krankheit

4.4 Paul Schmidt: Schwingung und Heilung

Einhandrute und Energiefühligkeit | Energetische Ausstrahlung und Diagnose | Bioenergiesender, Resonanz und Heilung | Die Welt ist Klang bzw. Schwingung | Gemeinsames Funktionsprinzip der Resonanztherapien

4.5 Roland Plocher: Bioenergetische Heilung kranker Gewässer und Böden

4.5.1 Wunderheilungen kranker Seen

Das Plocher-Energiesystem | Energieverdichtung und Informations-Übertragung | Gespeicherte Information und energetische Abstrahlung | Plocher und Reich

4.5.2 Die Lösung des Gülleproblems

Gülle als Belastung von Boden und Grundwasser | Bioenergetische Gülleaufbereitung und Heilung kranker Böden

4.6 Arno Herbert: Übertragen und Kopieren von Schwingungen

Bau und Anwendung des Herbert-Strahlers | Einstrahlen von Schwingungen in den Organismus | Kopieren von Schwingungsmustern | Informationsübertragung nach dem Radionikprinzip | Das holografische Prinzip: Jeder Teil enthält Informationen über das Ganze | Perspektiven bioenergetischer Selbstbehandlung

4.7 Dieter Knapp: Lebensenergie sichtbar gemacht

Strahlungsfelder homöopathischer Mittel | Bioenergetische Qualitätskontrolle | Bioenergetische Blutdiagnose | Individueller Gesundheitsverträglichkeitstest

5Die historische Verschüttung des Lebendigen

5.1 Lebensenergetisches Wissen und liebevolle »Kulturen«

5.2 Die ethnologische Wiederentdeckung des Lebendigen: Die Trobriander

5.3 Patriarchat, Sexualunterdrückung und Gewalt

5.4 James DeMeo: Die Saharasia-These

Die Verwüstung der Erde vor sechstausend Jahren | Wüstenbildung und Umschlag in Gewalt | Hungerkatastrophe und emotionale Panzerung | Vom Ursprung zur Ausbreitung der Gewalt

5.5 Kapitalismus und Kolonialismus – Gewaltwellen aus Europa

Struktur und Dynamik des Kapitalismus | Die ursprüngliche Akkumulation: Offene Gewalt nach innen und außen | Die innere Dynamik des Kapitalismus: Die eigentliche Kapitalakkumulation | Weltweite Zersetzung vorkapitalistischer Produktionsweisen | Die Abrichtung der Kolonien auf die Interessen der Metropole | Kapitalismus, Kolonialismus und »soziale Kernspaltung« | Von der offenen zur strukturellen Gewalt

5.6 Historische Wurzeln der Bevölkerungsexplosion

Die Rolle der Hexenverfolgung | Die Vernichtung des Wissens um Lebensenergie | Die Vernichtung des Verhütungswissens als Mittel der Menschenproduktion | Die Reduzierung der Sexualität auf Menschenzucht | Kirchliche Inquisition, Folter und Massenmord | Hexenverbrennung und die Zerstörung der Volksmedizin | Hexenverfolgung und Bevölkerungsentwicklung

5.7 Rationalismus und mechanistisches Weltbild

5.7.1 Erschütterung kirchlicher Dogmen und Inquisition

5.7.2 Erschütterung wissenschaftlicher Dogmen und neue Inquisition

5.7.3 Die Entwicklung der Wissenschaft: Von der Aufklärung zur dogmatischen Erstarrung

Galileis Begründung der experimentellen Physik | Keplers Entdeckung der Himmelsmechanik | Descartes’ Rationalismus | Newtons Vereinigung von Himmel und Erde | Der Siegeszug des mechanistischen Weltbildes

5.8 Herrschende Wissenschaft, Technologie und Verwertungsinteresse

5.8.1 Zersplitterung und Verlust von Ganzheit

Kapitalverwertung und Zersplitterung der Arbeit | Arbeitszersplitterung als Kettenreaktion

5.8.2 Technologie der Naturbeherrschung

Dampfmaschine, Wärmelehre und Entropiegesetz | Entropiegesetz als neues Dogma | Industrielle Technologie und Raubbau an der Natur | Machtinteressen gegen freie Energie

5.9 Moderne Physik – Grundlage eines ökologischen Weltbilds?

Radiowellen und physikalischer Äther | Die angebliche Widerlegung der Äthertheorien | Die Wiederentdeckung eines wirbelnden Äthers | Radioaktivität und Erschütterung des mechanistischen Weltbilds | Moderne Physik in der Sackgasse | Nekrologie statt Biologie

6Zusammenfassung

7Innere und äußere Heilung durch Resonanz und Inspiration

Anhang

Allgemeine Hinweise zu Lagerung, Standort, Benutzung, Transport und Entsorgung von Orgonakkumulatoren | Bauanleitungen für kleine Orgonakkumulatoren

Anmerkungen

Literatur

Über den Autor

Adressen

Register

Bildnachweise

Farbtafeln

– 1 –

Einführung

1.1Krankheit und Heilung

Die Menschheit befindet sich in einer Phase tief greifender, umfassender Zerstörungsprozesse, die die ganze Erde erfasst haben und die sich in vielfältigen Krisensymptomen äußern: wachsendes soziales Elend und Hungerkatastrophen, Eskalation von Gewalt in Kriegen und Bürgerkriegen, zunehmende Gewalt in den Städten, verheerende Dürren und Waldbrände, wütende Orkane und große Überschwemmungen, Winter- und Sommersmog und sterbende Wälder, vergiftete Böden, Gewässer und »Lebensmittel«, sich ausbreitende Wüsten, wachsendes Ozonloch und eine erschreckende Zunahme bedrohlicher Krankheiten.

Die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Katastrophenmeldungen überschlagen sich mittlerweile derart, dass es einem fast den Atem verschlägt, wenn man noch nicht vollends abgestumpft ist. Und vieles davon ereignet sich nicht mehr nur in weiter Entfernung von uns, zum Beispiel in der Dritten Welt, sondern zunehmend in unserer unmittelbaren Umgebung, in den industriell hochentwickelten und hochtechnisierten Ländern der Ersten Welt. Der wissenschaftliche und technologische Fortschritt scheint immer weniger in der Lage, die sich zuspitzenden Krisen zu handhaben oder auch nur ihre tieferen Ursachen zu begreifen.

Was ist passiert mit der Menschheit, dass sie sich und das Leben auf diesem Planeten an den Rand des Abgrunds gebracht hat? Lassen sich die globalen Zerstörungsprozesse noch aufhalten oder gar umkehren, gibt es Wege, die aus den Krisen herausführen, gibt es Möglichkeiten zur Wiederbelebung der sterbenden Natur, Heilung für die kranke Menschheit und die kranke Erde? Die Antwort, die ich in diesem Buch geben werde und zu begründen versuche, lautet: Ja! Es gibt Wege der Heilung, auf den verschiedensten Ebenen, und dennoch auf der Grundlage gleicher Funktionsprinzipien: Heilung kranker Menschen, die als »unheilbar« gelten, Vorbeugung gegen chronische Krankheiten, Vorbeugung gegen Gewalt, Wiederbelebung kranker Gewässer und Böden, Heilung einer kranken Atmosphäre von Dürre und Smog.

So vielfältig und unterschiedlich die Ebenen sind, auf denen sich die Zerstörungsprozesse vollziehen, so sehr lässt sich doch auf ganz erstaunliche Weise eine gemeinsame Wurzel für sie finden, ohne deren Verständnis es keine tief greifenden Heilungsprozesse geben kann. Diese Wurzel liegt in der chronisch gewordenen Erstarrung des Lebendigen. Der gemeinsame Schlüssel für Heilungen der verschiedensten Art liegt demnach in der Auflösung oder Vermeidung von Erstarrungen, liegt in der Befreiung und Entfaltung dessen, was durch starre Strukturen an seinem natürlichen Fließen gehindert und dadurch in destruktive Bahnen umgelenkt wird: in der Befreiung der Lebensenergie aus ihren Blockierungen in uns, zwischen uns und in der übrigen Natur.

Die Lösung (der Blockierung) ist die Lösung! Durch Lösung von Blockierungen löst sich von selbst eine Fülle von Problemen, die erst aus der Blockierung entstanden sind. Das ist vielleicht der tiefere Sinn des Wortes »Lösung«. Wir brauchen dieses Wort nur wörtlich zu nehmen – es beinhaltet den Schlüssel zu Heilungen vielfältiger Art. Das ganze Geheimnis tiefer gehender, ganzheitlicher Heilungen liegt im Loslassen, im Fließenlassen, im Mitbewegen mit dem natürlichen Fluss der Lebensenergie.

Die Heilungen, die allein dadurch möglich sind, erscheinen vielen Menschen unbegreiflich. Das hängt damit zusammen, dass in einer über mehrere Jahrtausende sich entwickelnden »Kultur« und »Zivilisation« unser Weltbild, unsere Wahrnehmung, unser Denken und Fühlen so geformt wurden, dass darin für das spontane Fließen der Lebensenergie kein Platz ist. Wenn es dann dennoch geschieht, können viele Menschen die davon ausgehenden Wirkungen und Heilungen nicht verstehen und spalten sie als »Wunder« aus ihrer bewussten Wahrnehmung ab – oder leugnen schlicht und einfach deren Realität. Menschen, die dennoch – entgegen dem »Zeitgeist« – auf der Realität solcher Ereignisse beharren oder gar diese Energie beeinflussen können, wurden und werden immer wieder ausgegrenzt: als Spinner, Betrüger, Scharlatane, Hexen oder Wahnsinnige.

1.2Die Verschüttung und Wiederentdeckung des Lebendigen

Das Wissen oder die Weisheit um die Existenz und Wirkungsweise einer Lebensenergie, die uns und alle Natur durchströmt und bewegt, war in früheren Kulturen über den ganzen Erdball verbreitet vorhanden, und die Menschen haben im Einklang mit den Funktionen dieser Lebensenergie gelebt. Dieses Wissen ist nicht einfach verloren gegangen, es wurde vielmehr mit unglaublicher Brutalität durch einige Jahrtausende hindurch ausgerottet, bis es fast völlig in Vergessenheit geriet und ziemlich jede Spur davon verwischt war. Die über Jahrhunderte sich vollziehenden Hexenverbrennungen in Europa sind nur ein historisches Beispiel für diesen Vernichtungsfeldzug gegen das Wissen um die Lebensenergie. Die Zerstörung von Naturreligionen durch Ausrottung von Naturvölkern oder durch deren Missionierung und Unterwerfung im Zuge des Kolonialismus ist ein anderes.

Auch die westliche Wissenschaft, die sich mit dem aufkommenden Rationalismus vor einigen Jahrhunderten als Emanzipation von kirchlichem Machtanspruch und Dogmatismus verstand, hat mit dem von ihr geprägten »mechanistischen Weltbild«1 nichts dazu beigetragen, dieses verschüttete Wissen wiederzuentdecken und wiederzubeleben. Im Gegenteil; in ihren Hauptströmungen (besser gesagt: in ihren dogmatischen Erstarrungen) leugnet sie bis heute die Existenz einer Lebensenergie und grenzt Forscher, die dieser Energie wieder auf die Spur gekommen sind, aus der »Gemeinde der Wissenschaftler« aus. Viele der etablierten Wissenschaftler haben sich eingemauert wie in einer Festung von scheinbar unerschütterlichen, absoluten Dogmen, und jeder, der an ihren Grundfesten rüttelt, läuft heute noch Gefahr, von ihnen mit Pech und Schwefel überschüttet zu werden. Robert Anton Wilson spricht in diesem Zusammenhang von der modernen Wissenschaft als einer »Zitadelle« und von einer »neuen Inquisition«.2

Und dennoch gab es immer wieder Menschen, die – unbeirrt von Ausgrenzung und Spott, von Bedrohungen und Anfeindungen – konsequent ihren Weg gegangen sind, den Weg der Wiederentdeckung der Lebensenergie und des Lebendigen. Vergleicht man diese Wege miteinander, so haben sie oft an ganz verschiedenen Punkten begonnen, und anfangs schienen die Wegstrecken überhaupt nichts miteinander gemein zu haben. Um so erstaunlicher ist die Tatsache, dass sich viele dieser verschiedenen Wege schließlich immer mehr annäherten, dass sich immer mehr Gemeinsamkeiten zeigten in Bezug auf die Funktionen, die der wiederentdeckten Lebensenergie beigemessen wurden, und in Bezug auf deren vielfältige Nutzungsmöglichkeiten. Es verhält sich so wie mit einem Berg, den man auf verschiedenen Routen besteigen kann und bei dem man dennoch am gleichen Gipfel anlangt, mit einem Ausblick, den niemand haben kann, solange er oder sie sich nur unten im Tal oder am Fuß des Berges befindet (Abb. 1).

Vieles scheint vom Gipfel aus einfacher und klarer, schöner und hoffnungsvoller, erfüllt und bewegt von Liebe anstatt von Hass, Angst und Gewalt. Und dennoch – oder gerade deswegen – tun oder lassen Menschen immer wieder alles mögliche, um den Aufstieg zum Gipfel zu vermeiden und sich stattdessen in großer Geschäftigkeit mit der großen Masse um den Berg herumzubewegen, oder auch in Trägheit zu verharren; und um diejenigen, die sich auf den Weg zum Gipfel machen und sich davon angezogen fühlen, immer wieder zurückzuzerren. Viele sind deshalb wieder umgekehrt, manche sind abgestürzt, und nur wenige sind trotz aller Hindernisse den Weg weitergegangen.

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Abb. 1

1.3Die Angst vor dem spontanen Fließen

Es scheint eine weitverbreitete und tief sitzende Angst zu geben vor dieser »Gipfelerfahrung«, ganz ähnlich wie es bei vielen Menschen eine tiefe Angst vor dem sexuellen Gipfelerlebnis des Orgasmus gibt, weil sie in ihrer sexuellen Entwicklung auf dem Weg dorthin immer wieder mit Strafen, Schuldgefühlen, mit Gewalt und Angst beladen und zurückgezerrt worden sind. Und tatsächlich besteht ein tiefer Zusammenhang zwischen dem Zurückschrecken vor der Wiederentdeckung der Lebensenergie und der unbewussten Orgasmusangst. Keiner hat diesen Zusammenhang meines Wissens so überzeugend aufgedeckt wie Wilhelm Reich.3

Charakterpanzer, Körperpanzer und Orgasmusangst

Die Lebensenergie, die die ganze Natur, den ganzen Kosmos durchströmt und bewegt und seine Teile zu einem einheitlichen Ganzen verbindet, durchströmt und bewegt auch uns in unserem tiefsten Inneren, bewegt das Plasma in den Zellen unseres Organismus. Wenn wir uns diesen Strömungen gegenüber öffnen, anstatt uns zu blockieren, fühlen wir uns innerlich tief bewegt. Unsere Emotionen, sagt Reich, sind die subjektive Wahrnehmung dieser Energiebewegung in uns, und je nachdem, welche Bereiche unseres Organismus mit welcher Intensität davon erregt werden, nehmen wir sie unterschiedlich wahr. Menschen, die unter dem Druck von Erziehung und Moral, unter dem Eindruck von Gewalt, Angst und Lieblosigkeit gelernt haben, sich gegenüber lustund liebevollen Gefühlen zu blockieren, entwickeln eine chronische emotionale und körperliche Panzerung, was Reich »Charakterpanzer« bzw. »Körperpanzer« nannte. Sie haben gelernt, die direkten Äußerungen ihrer Lebensenergie, ihre innere lebendige Energiequelle, mehr oder weniger in sich niederzuringen, sich selbst in ihrer Lebendigkeit zu beherrschen: »Selbstbeherrschung«.

Abb. 2 und 3a, b zeigen diesen Zusammenhang: Die innere Energiequelle wird durch den Kreis dargestellt, die fließende Energie durch den geschlängelten Pfeil und der äußere Druck durch den oberen Blitz. Die unter äußerem Druck entstandene, aber immer mehr verinnerlichte Herrschaftsstruktur bindet ständig einen Teil der Lebensenergie, die aus der inneren Quelle abgespalten und ins Gegenteil verkehrt wird: Statt lebendiger Entfaltung und direktem Kontakt erfüllt diese abgespaltene Energie die Funktion, beides zu blockieren und niederzuhalten. Der äußere Druck, die äußere Gewalt können später sogar wegfallen, aber die durch sie entstandenen erstarrten Strukturen wirken unbewusst in gleicher Weise fort: Sie zerstören lebendige Entfaltung, stauen die noch fließende Energie auf und lenken sie um in Destruktion (die destruktive Entladung wird durch den unteren Blitz in Abb. 3b dargestellt).

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Abb. 2

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Abb. 3

An die Stelle der anfangs offenen Gewalt ist somit »strukturelle Gewalt« getreten. Ihre lebensfeindlichen Wirkungen sind ähnlich, nur die ihnen zugrunde liegenden Mechanismen sind oft noch schwerer zu durchschauen und zu bekämpfen bzw. zu überwinden und aufzulösen als im Fall von offener und damit offensichtlicher Gewalt.

Ist erst einmal die strukturelle Gewalt in Form des Charakterund Körperpanzers in einem Menschen chronisch und unbewusst verankert, so schreckt dieser Mensch vor direkten, spontanen, auch lustvollen Äußerungen des Lebendigen und der Lebensenergie zurück und versucht unbewusst, sich vor ihnen zu schützen, sei es, indem er dieser »Gefahrenquelle« ausweicht oder aber deren Lebendigkeit zerstört.

Wer also in sich selbst die Lebendigkeit und Liebesfähigkeit unter schmerzlichen Erfahrungen niedergerungen hat, wer die fließende Lebensenergie in sich gebrochen, in starre Strukturen eingesperrt und seine innere Quelle verschüttet hat, der kann auch Lebendiges, Liebevolles, natürlich Sich-Bewegendes und Fließendes um sich herum nicht ertragen. Denn das bringt sein Energiesystem in Erregung, aber die Erregung ist in der Panzerung eingesperrt und wird dadurch nicht als Liebe und Lust empfunden, sondern als Wut und Hass.

Hierin sieht Reich die tiefste Wurzel dafür, dass Gesellschaften mit chronisch gepanzerten Charakterstrukturen auf alle direkten, spontanen, unverzerrten Äußerungen des Lebendigen und der Lebensenergie immer wieder mit abgrundtiefem Hass reagiert haben. So ist zum Beispiel die Geschichte der großen patriarchalischen und sexualfeindlichen Religionen eine Geschichte der massenweisen Zerstörung des Lebendigen, der Liebesfähigkeit und der Lebensfreude.4

Menschen also, die den Kontakt zu ihrer eigenen inneren lebendigen Quelle verloren haben, können sich auch nicht mehr verbunden fühlen mit allem anderen Lebendigen, das von der gleichen Energie durchströmt und bewegt wird. An die Stelle einer tief empfundenen, spirituellen Verbundenheit mit der Natur und eines liebevollen Umgangs mit ihren Geschöpfen ist die Gewalt getreten: Gewalt gegen sich selbst, gegen andere Menschen, andere Völker, gegen Tiere und Pflanzen, Wasser und Luft; Gewalt gegen die Erde, die in früheren Kulturen als lebendiger Organismus, als »Gaia«, als »Mutter Erde« empfunden und zu der ein liebevolles Verhältnis gepflegt wurde.

Patriarchat und innere Spaltung des Menschen

Die globale Eskalation von Gewalt und die globale Umweltzerstörung sind so betrachtet nur zwei Aspekte ein und desselben Prozesses, der noch unendlich viele andere Facetten von Zerstörung hervorgetrieben hat und täglich neu hervortreibt: Die patriarchalisch geprägte, emotional gepanzerte Menschheit hat den Kontakt zur gemeinsamen Wurzel alles Lebendigen, den Kontakt zur kosmischen Lebensenergie verloren. Vielleicht ist es das, was in dem Mythos vom Verlust des Paradieses bildhaft umschrieben ist und was der tiefen und weitverbreiteten Sehnsucht nach Wiedervereinigung mit dem Ganzen, den Religionen und der Suche nach Gott zugrunde liegt. Aber anstatt die verschüttete Lebendigkeit, das Göttliche in uns selbst wiederzuentdecken und die noch ungebrochene Lebendigkeit neuen Lebens vor Missachtung, Gewalt und Zerstörung zu schützen, damit es in Kontakt mit sich selbst und dem lebendigen Ganzen bleibt, suchen die meisten kirchlich geprägten Menschen ihren Gott im Jenseits.

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Abb. 4

Die emotional gepanzerte Menschheit hat ihre innere lebendige Energiequelle, ihren »biologischen Kern«, wie Reich es nennt, gespalten und dadurch individuell wie gesellschaftlich destruktive Kräfte erzeugt. Ich möchte deshalb von »emotionaler Kernspaltung« reden, die in ihrem Funktionsprinzip und in ihren Auswirkungen auf fatale Weise an die atomare Kernspaltung erinnert: Hier wie dort wird eine ursprüngliche Ganzheit gespalten, zertrümmert, zersplittert, und im Prozess der Spaltung entstehen destruktive Kräfte. Hier wie dort kommt es zu Kettenreaktionen von Zerstörung, von denen andere bisher noch nicht gespaltene Ganzheiten in die Spaltung getrieben und ihrerseits destruktiv werden.

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Abb. 5

Abb. 4 stellt diese destruktive Kettenreaktion emotional gespaltener Strukturen dar, wobei hier jeweils nur ein Opfer von Gewalt unterstellt ist. Gäbe jedes Opfer die Gewalt jeweils an zwei andere Menschen weiter, wie in Abb. 5 unterstellt, so käme es bereits zu einer Gewaltexplosion.

Der Kampf gegen die innere und die äußere Natur

Es erscheint auf den ersten Blick vielleicht absurd, diesen Vergleich zwischen atomarer und emotionaler Kernspaltung zu ziehen. Und dennoch gibt es einen tiefen inneren Zusammenhang zwischen beiden: Die Spaltung des emotionalen Kerns des Menschen, die Spaltung seiner inneren Lebensenergiequelle, Druck und Unterdrückung als Antrieb und Bewegungsprinzip, die Herrschaft des Erstarrten über das Lebendige – all dies, was dem gepanzerten Menschen selbst angetan wurde, trägt er unbewusst nach außen in seine sozialen Beziehungen, seine Beziehungen zur Natur, in die Art und Weise, wie er denkt und fühlt, wie er sich und die Welt wahrnimmt, in die Spaltung seiner Arbeits- und Lebensverhältnisse; in die Wissenschaft und Technologie, die er hervorbringt. Selbst unter Druck aufgewachsen, kann er sich nicht mehr vorstellen, dass sich jemand oder etwas ohne Druck bewegt, von innen heraus, einfach nur so. Jede spontane Bewegung macht ihm Angst, muss gebrochen, unter Kontrolle gebracht und ersetzt werden durch einen äußeren Antrieb, durch äußeren Druck, durch Gewalt.

Der zugespitzteste Ausdruck davon im Bereich der Technologie ist die Atomkernspaltung und ihre »Nutzung« als Waffe bzw. als Antrieb (Kernkraftwerke). Auf der gleichen Ebene liegen aber auch die Verbrennungsmotoren aller Art, zu deren Antrieb der Erde Rohstoffe entrissen und dann verbrannt werden, um Hitze und Druck zu erzeugen, der in mechanische Bewegung umgesetzt wird; oder das Aufstauen von natürlichen Flussläufen, um daraus Energie zu gewinnen. »Unsere Techniker bewegen falsch«, und zwar grundlegend falsch, hat der geniale Naturforscher Viktor Schauberger5 schon in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts gesagt; weil sie mit ihren technischen Konstruktionen nicht bewegen oder bewegen lassen, wie die Natur es tut und immer getan hat, sondern der Natur Gewalt antun und Druck erzeugen, also permanent gegen die Natur ankämpfen. Das kostet Kraft, Energie, braucht Energieträger, Rohstoffe, die zwangsläufig immer knapper werden müssen und um deren Kontrolle es ökonomische, politische und militärische Konflikte geben wird. Das erzeugt darüber hinaus Schadstoffe und Hitze, die nur zum Teil genutzt werden kann, zum größeren Teil aber verloren geht und die Umwelt belastet, die Gewässer und die Atmosphäre aufheizt und in die ökologische Katastrophe treibt. Dies alles – schon zu Anfang dieses Jahrhunderts formuliert – hört sich an wie eine Vision, die mittlerweile zur bedrückenden Wirklichkeit geworden ist, zur lebensbedrohlichen Wirklichkeit für den ganzen Planeten. Auch hier, im technologischen Bereich, hat das Prinzip von Druck und Gewalt gegen die Natur, also von Naturbeherrschung, als Mittel zur Erhaltung von Lebensgrundlagen völlig versagt. Der sogenannte technische Fortschritt war nur ein trügerischer Schein, hinter dem seine lebenzerstörenden Voraussetzungen und Folgen allzu lange verborgen blieben, bis sie schließlich immer unübersehbarer, immer offensichtlicher und bedrohlicher wurden. Der Fortschrittsglaube war und ist vielfach von der Illusion genährt, der Mensch könne sich über die Natur erheben und sie beherrschen. Aber die Natur zeigt mit ihren Katastrophen immer deutlicher, dass sich der Mensch in seinem Größenwahn irrt, und verweist ihn zurück in seine Schranken. »Technischer Fortschritt« hat seinen Namen zu Recht: Er ist tatsächlich in vieler Hinsicht ein »Schritt fort« von der Natur.

Das grundlegende Funktionsprinzip dieses technischen Fortschritts gleicht auf verblüffende Weise der Art, wie der gepanzerte Mensch mit seiner inneren Natur verfährt: mit Druck und Gewalt. Naturbeherrschung und Selbstbeherrschung sind nur zwei Aspekte eines Prinzips, das gegen die spontane, lebendige, aus sich heraus erfolgende Bewegung und Entfaltung gerichtet ist, diese innere Bewegung zerstört und damit Abhängigkeit von äußerem Druck erzeugt.

– 2 –

Die innere Bewegung des Lebendigen

Aber kann es denn überhaupt anders sein, oder ist es jemals und irgendwo anders gewesen? Ist der Mensch nicht von Natur aus träge und muss er nicht erst durch Erziehung, durch äußeren Druck oder Anreiz in Bewegung gebracht werden? Oder durch beides gleichzeitig: Zuckerbrot und Peitsche? Ist der Mensch nicht von Natur aus schlecht und muss er nicht erst dazu gezwungen werden, seine destruktiven Impulse möglichst unter Kontrolle zu halten, was nicht immer gelingt und dann zur Entladung von Gewalt führt? Ist die Geschichte der Menschheit nicht voll von Kriegen, Eroberungen, Gewalt gegen Menschen und auch gegen die Natur? Gibt es nicht – neben dem Lebenstrieb – so etwas wie einen »natürlichen Todestrieb« des Menschen, der sich immer wieder individuell wie kollektiv Bahn bricht? Ist nicht auch der bedeutendste Psychologe des 20. Jahrhunderts, Sigmund Freud, zu dieser Erkenntnis gekommen? Was sollen also alle diese Träumereien von einer besseren Gesellschaft, von einem gewaltfreien Verhältnis zwischen den Menschen sowie den Menschen und der Natur? Sind nicht alle historischen Versuche, einschließlich des Kommunismus, gescheitert, eine Gesellschaft auf der Annahme vom Guten im Menschen aufzubauen? Hat sich der Mensch nicht immer wieder als Egoist, wenn nicht gar als Bestie entpuppt?

Den meisten, die »an das Gute im Menschen glauben«, gehen in solchen Diskussionen irgendwann einmal die Argumente aus, und sie stehen, sofern sie sich überhaupt auf solche Diskussionen einlassen, schließlich als »unverbesserliche Weltverbesserer« da. Das alles sind Argumente, die geeignet sind, Menschen auf ihrer Suche nach einer besseren Welt immer wieder zurückzuzerren in die Masse derjenigen, die sich gar nicht erst auf die Suche machen oder selbst bereits resigniert haben. Was hat es auf sich mit der Freudschen These von einem angeblich natürlichen Todestrieb (»destrudo«), der neben dem Lebenstrieb (»libido«) in der Triebnatur des Menschen verankert ist? Wie ist Freud zu dieser These gekommen, und was lässt sich zur Bestätigung oder Widerlegung dieser These anführen?

2.1Sigmund Freuds Tragik

Libido – Die wiederentdeckte Lebensenergie

Freud war im Grunde einer derjenigen, die sich auf den Weg zum Gipfel des Berges gemacht haben – zur Wiederentdeckung der Lebensenergie. Die Suche nach den tieferen Wurzeln und nach Heilungsmöglichkeiten von Neurosen hatte ihn dazu geführt, die Verdrängung der Sexualität als wesentliche und weitverbreitete Ursache von Neurosen aufzudecken. Menschen waren demnach an einer Gesellschaft krank geworden, die ihnen das natürliche und lustvolle Erleben ihrer Sexualität verboten hatte und den sexuellen Regungen und Erregungen mit Strafe, Schuldgefühlen und Gewalt begegnet war.

Welche unglaublichen Perspektiven sich da auftaten: nicht nur die Einzelnen daran krank gewordenen Menschen zu heilen, sondern auch die gesellschaftlichen Bedingungen zu verändern, damit künftig solche Leiden gar nicht mehr entstehen. Die Konsequenz daraus wäre die Befreiung der Sexualität aus ihren gesellschaftlichen, moralischen, gesetzlichen und kulturellen Zwängen gewesen; die sexuelle Revolution.

Als Freud nach diesem Ausblick vom Berg zurückkehrte und der Gesellschaft da unten berichten wollte, was er in groben Umrissen gesehen hatte, erschrak er tief über deren Reaktion. Die damalige Wiener Ärzteschaft und die Öffentlichkeit reagierten mit Entsetzen auf diese These, und Freud muss gespürt haben, dass er mitsamt seiner neubegründeten Psychoanalyse von Stürmen der Entrüstung hinweggefegt würde, wenn er an dieser These festhielte. Aus einem erst vor einigen Jahren bekannt gewordenen Briefwechsel6 mit seinem damaligen Freund Wilhelm Fließ geht hervor, dass Freud seine ursprüngliche These mit Rücksicht auf den öffentlichen Druck ganz bewusst entschärft hat.

Der Todestrieb – Freuds große Verdrängung

Während seine therapeutischen Erfahrungen ihn zu der Überzeugung gebracht hatten, etliche seiner Patientinnen seien als Kinder in ihrer gutbürgerlichen Familie von Erwachsenen sexuell verführt und missbraucht worden und an der Verdrängung dieses Konflikts neurotisch erkrankt, sprach er später nur noch von Verführungsfantasien.

Die von ihm vermutete Realität sexueller Gewalt deutete er also um in eine Fantasie.

Freud, der Entdecker der Verdrängung, begann auf diese Weise selbst mit einer großen Verdrängung: nämlich der Verdrängung des Grundkonflikts zwischen sexueller Energie und sexualfeindlicher Gesellschaft. Darin besteht die Tragik Freuds.

Die schrittweise Verdrängung seiner eigenen Entdeckung gipfelte schließlich in seiner These vom natürlichen Todestrieb. Nach und nach erfreute sich die Psychoanalyse zunehmender gesellschaftlicher Anerkennung. Aus einer ursprünglich umwälzenden, gesellschaftskritischen, kulturrevolutionären Erkenntnis wurde damit eine mehr und mehr an die gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen angepasste und diese sogar legitimierende Sichtweise.

Warum hat diese Wendung Freuds und der sich an ihm orientierenden Mehrheit der Psychoanalytiker so verheerende Konsequenzen in Bezug auf die Suche nach einer besseren Welt? Weil sie die destruktiven Impulse, die erst unter dem Druck gesellschaftlicher Repressionen entstanden sind, als natürlichen Todestrieb und damit als unabänderlich erscheinen lässt. Damit geraten die Fragen nach den gesellschaftlichen Hintergründen und Auswirkungen von Sexualunterdrückung und nach der historischen Entstehung und Ausbreitung von Gewalt aus dem Blickfeld. Eine hoffnungslose, resignative Perspektive für die Entwicklung der Menschheit. Der Preis für die zunehmende gesellschaftliche Anerkennung der Psychoanalyse war hoch, denn der wesentliche Kern ihrer Entdeckung ging dabei verloren (Abb. 6 stellt dar, wie der Vorhang vor die Entdeckung des Grundkonflikts gezogen und damit die gesellschaftlichen Hintergründe von Destruktivität wieder verschleiert wurden).

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Abb. 6

2.2Wilhelm Reichs Entdeckung des biologischen Kerns

In den zwanziger Jahren und Anfang der dreißiger Jahre gab es nur wenige Psychoanalytiker, die diese Wendung nicht mitvollziehen wollten. Einer von ihnen – und wohl der profilierteste – war Wilhelm Reich. Er nahm für sich in Anspruch, die These vom natürlichen Todestrieb zunächst durch klinische Erfahrungen, das heißt durch seine therapeutische Arbeit widerlegt zu haben.

Während Freud die Todestriebthese unter anderem damit begründet hatte, dass manche Patienten und Patientinnen einen scheinbar unüberwindlichen psychischen Widerstand gegen die eigene Gesundung entwickelten, gelang es Reich durch Weiterentwicklung der therapeutischen Technik, auch solche Widerstände aufzulösen (»Widerstandsanalyse«) und damit immer tiefere Schichten von verdrängten Impulsen freizulegen. Gemäß diesen Erfahrungen gebe es in der Tiefe menschlicher emotionaler Strukturen keine destruktiven Impulse. Wenn es sie dennoch gäbe, handele es sich um Zwischenschichten, die sich in der Charakterstruktur, im Charakterpanzer, abgelagert haben als Folge des Zusammenpralls zwischen lebendiger Energie des einzelnen und starren Strukturen der Gesellschaft.

Die innere lebendige Energiequelle, der »biologische Kern« des Menschen, sei voller Liebes- und Kontaktfähigkeit, solange er nicht durch äußeren Druck gespalten werde. Damit zog Reich den Schleier der Verdrängung, den Freud vor seine Entdeckung gezogen hatte, wieder beiseite und warf erneut und eindringlich die Frage auf, worin die gesellschaftlichen Ursachen und die historischen Wurzeln dieser Verschüttung des Lebendigen liegen könnten.

Seine These vom ursprünglich Guten im Menschen, vom gesunden biologischen Kern, wurde ihm nicht honoriert, und dies übrigens um so weniger, je mehr er diese These untermauern konnte: Statt gesellschaftlicher Anerkennung brachte sie ihm Jahrzehnte gesellschaftlicher Ächtung und Anfeindungen von fast allen Seiten.

Sein Lebens- und Forschungsweg endete 1957 in den USA im Gefängnis, begleitet vom Verbot seiner Forschungen über die Lebensenergie und der wiederholten Verbrennung seiner Bücher. Das Gericht verkündete, dass es die Lebensenergie nicht gibt (!) und dass mit ihr zu arbeiten und sie z. B. für Heilung zu nutzen kriminell sei.7 Dieses Verbot ist bis heute in den USA nicht aufgehoben worden. Noch Jahrzehnte nach seinem Tod hat die Verteufelung Reichs von den verschiedensten Seiten nicht aufgehört und – als habe man Angst vor seiner Wiederauferstehung – wird immer und immer wieder Rufmord an ihm betrieben, wird er immer und immer wieder von neuem totgeschlagen. Die neue Inquisition hat gut gearbeitet, aber nicht gut genug. Es ist ihr nicht gelungen, das Wissen um die Entdeckung der Lebensenergie auszulöschen.

Inzwischen haben sich Wissen und Erfahrung um diese Energie und ihre Nutzungsmöglichkeiten derart verbreitet, dass beides gar nicht mehr ausgelöscht werden kann. Die Bollwerke der Zitadelle, in die sich die etablierten Wissenschaften eingemauert haben, werden mehr und mehr in ihrem Fundament erschüttert und beginnen zu bröckeln. Das Abschotten gegenüber der Entdeckung der Lebensenergie lässt sich auf Dauer nicht mehr aufrechterhalten, und der Zitadelle laufen immer mehr Leute davon, weil sie an Glaubwürdigkeit und Vertrauen verliert und keine Lösungen existentieller Fragen, keine Wege aus der Krise, keine Heilung anzubieten hat. In Scharen laufen sie davon, besonders im Bereich der Medizin, und wenden sich alternativen, lebensenergetisch wirkenden Heilmethoden und Naturheilverfahren zu.

Vieles Wissen und viele Erfahrungen über die Funktionen und Nutzungsmöglichkeiten der Lebensenergie sind noch weit verstreut und bruchstückhaft, aber das Bewusstsein darüber, dass es sich nur um verschiedene Varianten eines einheitlichen Prinzips handelt, wird wachsen – und mit ihm die Kraft der Durchsetzung eines neuen lebensenergetischen Weltbildes, das ungeahnte Möglichkeiten von Gesundung und Heilung nicht nur von Menschen, sondern des ganzen Planeten hervorbringen wird.

Die Wege aus der ökologischen Krise gehen nicht, wie Fritjof Capra meint, in Richtungen, die von der modernen Physik gewiesen werden – ganz und gar nicht. Denn die moderne Physik mit ihrem hohen mathematischen Abstraktionsgrad eröffnet keinen Zugang zum anschaulichen Verständnis und zur sinnlichen Erfahrung eines lebendigen Universums, sie hat vielmehr den Kontakt zum Lebendigen vollends verloren, hat sich gegenüber der lebendigen Natur entfremdet. Entsprechend lebensfeindlich ist die Technologie, die auf der Grundlage ihrer Erkenntnisse entwickelt worden ist, allen voran die Atomtechnologie.

Der vieldiskutierte »Paradigmenwechsel«, der Wechsel vom mechanistischen zu einem ganzheitlich-ökologischen Weltbild, in dem wir uns laut Capra befinden, hat ein viel besseres, viel tragfähigeres, viel zukunftsweisenderes Fundament in der Entdeckung der Lebensenergie und den sich daraus ableitenden vielfältigen Erklärungs- und Nutzungsmöglichkeiten. Aber vor dieser Konsequenz schreckt offenbar auch Capra zurück, dem die Forschungen von Wilhelm Reich zwar bekannt sind, der sie aber in seinem vieldiskutierten Buch »Wendezeit« stark reduziert und ihre Tragweite verkennt oder jedenfalls nicht annähernd vermittelt.

Man unterliegt als »seriöser Wissenschaftler« auch heute immer noch der Gefahr, ins Abseits zu geraten, wenn man sich öffentlich allzu deutlich auf Reich und andere Lebensenergieforscher bezieht. Wer sich im Übrigen eh schon mit umstrittenen Thesen oder Forschungen weit über den Rand seiner wissenschaftlichen Disziplin oder gar des mechanistischen Weltbildes hinausgewagt hat, ist oft um so vorsichtiger, sich nicht noch mit zusätzlichem schweren Gepäck zu beladen, um nicht das Risiko des drohenden Absturzes, der drohenden Ausgrenzung noch weiter zu erhöhen. Wissenschaftliche »Disziplinen« haben ihren Namen zu Recht: Sie disziplinieren immer wieder diejenigen Wissenschaftler, die sich allzu weit vorwagen, und pfeifen sie in Reih und Glied zurück oder grenzen sie aus.

Da haben es diejenigen Menschen schon leichter, die einem solchen Anspruch vermeintlicher »Seriosität« gar nicht erst unterliegen. Nach meinen Erfahrungen finden sie oft viel leichter Zugang zu Reich und anderen Vertretern ähnlicher Sichtweisen und können viel unbefangener auch offen und öffentlich darüber reden.

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Mein eigener Weg zu Reich

Ich selbst bin erstmals 1968 auf Reich gestoßen, damals über einige Raubdrucke der Studentenbewegung. Vom ersten Moment an, bei der Lektüre seiner Schrift »Dialektischer Materialismus und Psychoanalyse«, hatte ich das Gefühl, auf eine ganz wichtige Spur gestoßen zu sein. Damals hatte ich weder Ahnung von dialektischem Materialismus noch von Psychoanalyse, beides Ansätze, die in der Studentenbewegung leidenschaftlich diskutiert wurden. Ich kam mir ziemlich dumm vor, als wissenschaftlicher Assistent der Technischen Universität Berlin weniger davon zu wissen als viele der Studenten. Die Lektüre dieser Schrift wirkte auf mich wie ein Sog. Ich wollte mehr lesen von diesem Wilhelm Reich und beschaffte mir nach und nach fast alles, was damals von ihm und über ihn zu haben war: »Charakteranalyse«, »Der sexuelle Kampf der Jugend«, »Massenpsychologie des Faschismus«, »Einbruch der sexuellen Zwangsmoral«, »Die Funktion des Orgasmus« (in der Fassung von 1927).