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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Wichtiger Hinweis

Alle Geschichten, die in diesem Buch erzählt werden, sind authentische Geschichten. Einige Namen und Orte, die in diesem Buch vorkommen, mussten allerdings aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen verändert werden.


Die Bilder stammen aus dem Archiv der Autorin. Sollte trotz intensiver Recherche ein Rechteinhaber nicht berücksichtigt worden sein, so werden berechtigte Ansprüche im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.


Originalausgabe

2. Auflage 2020

© 2020 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096


Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.


Redaktion: Silke Panten

Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch

Umschlagabbildung: Nils Schwarz

Layout, Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern


ISBN Print 978-3-96775-002-7

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-1126-6

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-1127-3


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Inhalt

Prolog

1. Gebot

Eine Bitch vergisst niemals, wo sie herkommt!

Wie ich vom Getto an den göttlichen Arsch der Heide zog

2. Gebot

Niemand stirbt keusch, das Leben fickt uns alle!

Wie mich der Tod meiner Brüder lehrte, dem Schicksal den Mittelfinger zu zeigen

3. Gebot

Heilige Scheiße, sei wachsam! Die Hölle ist der Erde oft näher, als man denkt!

Warum ich einen Teil meiner Wurzeln für immer kappte

4. Gebot

Haters gonna hate! Eine Bitch schämt sich für nichts!

Wie ich den Hass bekämpfte, innerlich fiel, doch wieder aufstand

5. Gebot

Be real! Be fame! Be a Boss Bitch!

Wie der Wille zum Erfolg mein Leben veränderte

6. Gebot

Jede Bitch startet als Heilige Jungfrau!

Mein Kampf an der Dosenöffnerfront

7. Gebot

Selbstbestimmte Schlampen mögen’s heiß!

Wie, wann und wo ich es treibe

8. Gebot

Monogamie ist ein Schuss ins Knie

Wie ich versuchte, die Liebe zu finden, und sie in mir selbst fand

9. Gebot

Bitches lieben den Beat!

Wie ich meiner Leidenschaft folgte und Glückseligkeit empfing

10. Gebot

Pimp it all up! Barbie Bitches haben’s leichter!

Äußerlich fake, innerlich real – wie ich mich veränderte, um ich zu sein

Epilog

Bildteil

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Prolog

Platsch, weg war ich. Dann war Ruhe. Frieden – zumindest ein paar Sekunden lang. Ich hielt den Atem an, dann war ich plötzlich wieder da. Panisch schnappte ich nach Luft, ruderte mit den Armen, trat wild um mich und merkte, dass dem Frieden ein Fight folgen würde. Ein einsamer Kampf, der lange währen, den ich aber niemals aufgeben würde. Neben mir schwamm ein Schuh. Hinter mir trieben ein paar Sportsocken. Vor mir grüßte das rettende Ufer. Doch mich empfing Gelächter statt Gnade. Hass statt Heiterkeit. Willkommen in der Welt, in der man nicht anders sein darf als der Durchschnitt.

Es war ein sonnig-heißer Tag in Leipzig – dem Ort, in welchen man mich ein gutes Jahr zuvor genauso hart hineinschubste wie an diesem Tag in den Cospudener See. Ich war 14 Jahre alt, auch wenn ich mich täglich auf Führerschein schminkte. Wir trafen uns an der Bushaltestelle, meine angeblichen Freunde und ich. Vier, fünf Mädchen aus meiner Schule und ein paar deutlich ältere Jungs. Wir hatten Sommerferien und wollten einen chilligen Tag am Wasser verbringen. Ein Tetra Pak Wein folgte auf das nächste, denn ohne Suff hätten die Jungs mit uns kleinen Dosen niemals abgehangen. Voll statt volljährig. Immerhin. Schwankend stieg ich in den Bus und torkelte mit meinen arschfressenden Hotpants Richtung letzte Reihe. Scheinbar unbemerkt checkte ich dabei, ob mein ausgestopftes Bikinioberteil noch sitzt. Saß. Ach, was wollte ich cool sein. Wir alle wollten cool sein.

Zwanzig Minuten später liefen wir mit unserer Boombox bewaffnet die kurze Strecke hinunter zum See. Während Lady Gaga sich die Seele aus dem verkleideten Leib sang, breitete ich – auch selbst immer noch ziemlich breit – die Decken aus. Ich war übelst bereit, ein promillereduzierendes Nickerchen zu zelebrieren. Doch kaum hatte ich die Augen geschlossen, packten die Mädels zu und schleppten mich, in voller Montur inklusive meiner Schuhe, grölend ins Wasser. Egal wie sehr ich auch strampelte, es gab kein Entkommen. Immer tiefer und tiefer zerrten sie mich in den See, dann ließen sie los und drückten, zur Belustigung der restlichen Gang, meinen Kopf ein paarmal unter Wasser.

Als ich mich wieder hochrappelte, hörte ich schallendes Gelächter und bemerkte, dass ich halb nackt dastand. Die aufgequollene Sockenpolsterung über meinen nicht vorhandenen Hupen hatte sich gelöst und trieb nun vorwurfsvoll neben meinem Schuh, den ich ebenfalls verloren hatte. Sicherlich hätten sich die Socken – statt im BH auf dicke Hose machen zu müssen – ein ganz normales Leben in ebendiesen Schuhen gewünscht. Aber bei mir gibt es eben kein »ganz normales Leben«, auch für meine Socken nicht.

»Hahahaha! Schaut mal, Jungs, die billige Schlampe macht den ganzen Tag auf sexy und hat noch nicht mal Möpse!«, rief eines der Mädchen triumphierend. Ich fühlte mich unfassbar bloßgestellt. Wie ein begossener Pudel stand ich da und weinte. Mein Make-up tropfte mit den Tränen um die Wette, während ich mir anhören musste, dass ich mich doch nicht so anstellen solle, denn mit meinem XL-Zinken hätte ich ja schließlich auch im tiefsten Gewässer Haifisch-like überlebt. Das waren sie also, meine »Freunde«. Menschen, zu denen ich unbedingt dazugehören wollte, die mich aber zu keiner Sekunde akzeptierten, sondern täglich verarschten. In Wirklichkeit hatte nämlich keines dieser Mädels Bock auf die übersexualisierte Bitch in Rosa. Aber so war ich und so wollte ich auch bleiben.

Das Gelächter war mittlerweile lauter als das Dröhnen der Box. Beschämt, wie Aschenputtel mit nur einem Schuh lief ich hoch zur Haltestelle. Bloß weg hier. Irgendwann kam endlich der Bus. Traurig und durchnässt stieg ich ein. Durch das offene Fenster hörte ich den Beat der Boombox. Es war Peter Fox, der mir trällernd versicherte, dass er so gern ein Haus am See hätte. Alles, dachte ich. Nur bitte nicht das.

Es war der Moment, in dem ich checkte, dass ich »anders« bin. Es war der Moment, in dem ich mir schwor, der Welt eines Tages zu zeigen, dass man sich nicht anpassen sollte, um anderen zu gefallen. Ich bin der Meinung, dass niemand auf dieser Welt irgendwie sein muss. Nicht jeder muss so extrem sein wie ich, aber jeder sollte doch eben so sein können, wie er mag oder ist, ohne gemobbt, bloßgestellt oder beschimpft zu werden. Ich hielt durch. Ich hielt so lange durch, bis die Dinge, für die ich verspottet wurde, mich zum Kult machten. Jeder Fehler, jede Macke machen einen Menschen zu einem unverwechselbaren Individuum. Diese Einzigartigkeit ist oft ein lukratives Geschenk – das sollte man nie vergessen.

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1. Gebot

Eine Bitch vergisst niemals, wo sie herkommt!

Wie ich vom Getto an den göttlichen Arsch der Heide zog

Vogel, Katrin, geboren am 10. August 1996 in Teplice, Tschechien. So steht es in meinem Ausweis. Ja genau, Vogel. Ein Name, der bei mir seit jeher Programm ist. Nicht in Form von Spatzenhirn oder dass ich mir gerne einen zwitschere, eher im Sinne von nicht alle Körner auf der Kette haben. Aber noch viel mehr im Sinne von frei sein und den Willen haben, das durchzuziehen, wozu man geboren wurde. Fliegen, um Überflieger zu werden! Egal wie viele Federn man auch lassen muss. Ein Vogel oder besser gesagt eine Vogel lässt sich nicht die Flügel stutzen.

Mein Heimatort Teplice ist ein mittelgroßes Industriekaff, das relativ nah an der deutsch-tschechischen Grenze liegt. Besitzt man eine anständige Karre und weiß, dass rechts das Gaspedal ist, braucht man von dort aus knapp 45 Minuten bis nach Dresden. Leider ist die Gegend in und um Teplice durch jahrzehntelange Braunkohleförderung ziemlich umweltverschmutzt. Sprich, die Luft da ist ähnlich dirty wie meine Gedanken. Das war aber nicht immer so. Ganz früher war das Städtchen hauptsächlich als Kurort bekannt. Wegen der heilenden Wirkung des Thermalwassers hingen dort sogar krasse Kollegen wie Goethe, Beethoven und Casanova ab. Richtig gelesen: Pussy-Magnet Casanova und der alte Johann Wolfgang. Genau betrachtet liegt der Ort geografisch übrigens im Böhmischen Becken. Und da kommen wir schon zu meiner Geburt. Die Vogel aus dem Becken kam dank des heilenden Quellwassers quasi als weiblicher Casanova zur Welt und haute direkt mal raus: »Fuck you, Goethe, jetzt KOMMT Boss Bitch!« Und das im wahrsten Sinne des Wortes ziemlich häufig, wie sich später rausstellen sollte.

Um bildlich bei Orgasmen zu bleiben: Meine Geburtsstadt war alles andere als ein Höhepunkt. Kurort für Touris hin oder her, in Wahrheit ist Teplice ein Getto. Der Einzige, der hier niemals arbeitslos wäre, heißt Peter Zwegat. Natürlich gibt es verschiedene Auffassungen davon, was genau ein Getto ist; für mich bedeutet es in erster Linie: keine Kohle, konstante Kriminalität. Und ich sage euch, Menschen ohne Geld haben in Tschechien keine andere Wahl, als asozial zu werden. Um es zu nageln: Dort ist, war oder wird fast jede Frau eine Hure. Von Kindern über Mütter bis hin zu Omas. Getreu dem Motto: »Geile Grannys besorgen es dir!« Käufliche GILFs, wohin der Freier schaut. An manchen Klischees ist eben doch was dran: Tschechien ist definitiv das Land der Horizontal-Hostessen und Verbrecher. Ohne ­illegale Scheiße kein Cash. Von Autodiebstählen über Raub bis hin zum fett organisierten Drogenbusiness. Alles am Start. Täglich, immer und überall. In riesigen Drogenküchen wird dort Crystal Meth zusammengebraut und dann über die Grenze nach Deutschland geschmuggelt. Vor allen Dingen Sachsen und Thüringen sind überschwemmt mit dem verfickten Scheißzeug aus meiner Heimat. Und im Netz heißt es dann, Teplice sei ein schöner Kurort. Ja klar, wenn man da eine Woche mit seinem Wellnessarsch im Kurhotel hockt und das Thermalwasser abfeiert, dann ja, vielleicht. Aber in Wahrheit herrscht in der Region ewige Cash-Ebbe. Auch der Dukatenscheißer meiner Mutter hatte demnach ständig Verstopfung, und so musste sie sich ebenfalls mit semilegalen Mitteln durchs Teplicer Getto boxen, auch wenn sie eigentlich Fotografin gelernt hatte. Aber was oder wen sollte sie knipsen? Alle nackten Kerle, denen man nicht in die Tasche greifen konnte, weil sie pleite waren? Ich bin heilfroh, dass sie zumindest nie ihre Pussy für Kohle hinhalten musste. Dass sie damals in Sachen Prostitution eine Ausnahme darstellte, ist allerdings ein Wunder, wenn man bedenkt, dass sie und später auch meine Brüder zwischen Drogendealern, Menschenhändlern und Nutten aufwuchsen.

Aber der Reihe nach: Meine Mama Jaroslava, genannt Jarka, ist äußerlich so zierlich, wie sie innerlich stark ist. Jahrzehntelang trug sie ihr Haar feuerrot. Vielleicht, weil sie eine genauso krasse Kämpferin ist wie das Mädchen Zora aus den berühmten Kinderbüchern. Eine Badass-Bandenanführerin, vor der jeder Respekt hatte und die trotz Hunger und Not täglich ihre Freiheit feierte. Ich habe drei Halbbrüder, die auch untereinander wiederum nur Halbgeschwister sind. Drei Jungs, ein Mädchen, vier Väter, eine Mutter. Schon mit 17 bekam meine Mum ihr erstes Kind: Otto. Natürlich hält eine Beziehung in dem Alter einer solchen Belastung nicht stand. Und auch bei meinen zwei weiteren Brüdern Tomaš und Radek, die sie Anfang und Mitte 20 bekam, funktionierte das mit den jeweiligen Erzeugern in Sachen Beziehung nicht wirklich. Drei Jungs, nonstop alleinerziehend – und das in Tschechien. Man kann sich Chilligeres vorstellen. Es blieb ihr also gar nichts anderes übrig, als sich jahrelang knallhart durchzubeißen. Mit drei kleinen Kindern in einer Mini-Mietbutze hausen und zusehen, dass das Leben trotzdem läuft. Ich sag mal, schlau ist anders. Zum Glück war sie smart genug, sich in der Szene die »richtigen Freunde« zu suchen. Es gab dort ein paar böse, aber sehr einflussreiche Albaner, die sich erfolgreich darum kümmerten, dass meine Mutter von niemandem aufs Maul bekam.

Mit Mitte 30 lernte sie dann über eine Freundin meinen Vater kennen, der in einem 130 Kilometer entfernten Mini-Kuhdorf wohnte, das ungefähr so groß war wie ein Stecknadelkopf. Mein Vater war damals selbstständig mit einer kleinen Handwerksfirma, die Tore anfertigte, was meiner Mutter wohl mächtig imponierte. Sie bandelte mit ihm an, obwohl er in Deutschland noch verheiratet war. Die beiden verliebten sich und meine Mama wurde schwanger. Schon immer hatte sie sich nach einer Tochter gesehnt, und so kam es, dass sie vier Tage vor ihrem 37. Geburtstag tatsächlich noch ein viertes Kind bekam. Mich.

Der Grund, warum meine Mutter allerdings erst ein halbes Jahr nach meiner Geburt Tschechien verließ und zu meinem Vater zog, bestand in der kleinen, aber nicht ganz unwichtigen Tatsache, dass die Frau meines Vaters und seine zwei Kinder noch gemeinsam mit ihm im Haus lebten. Natürlich war die Ehe im Eimer und die Trennung beschlossene Sache, aber so ein Auszug ist ja oft langwierig und schmerzhaft. Als allerdings Jarkas Beschützerfreundschaft zu den Albanern wegen, nun ja, diverser Unstimmigkeiten bezüglich einiger Geschäfte endete, wurde es allmählich zu gefährlich für uns. Nachdem ein paar Typen mit Baseballschlägern auf meinen Kinderwagen eingeschlagen und auch meinen Brüdern den Tod angedroht hatten, war die Sache durch. Wir machten den Sittich, um es mal mit meinem Nachnamen zu sagen. Natürlich wollte meine Mutter nicht, dass ihre Tochter an einem derart gefährlichen Ort aufwächst. Sie wollte mir ein schöneres Leben bieten. Eins in Deutschland, in einem friedlichen Dorf, mit einem Mann, der auf legalem Wege Geld verdient und der in einem kuschelig-schönen Haus wohnt. Und so kam es, dass sie meinem Vater derart Feuer unterm Arsch machte, dass dieser seiner Ex endlich eine Wohnung besorgte. Mit allem, was meine Mutter hatte, also uns, zog sie Anfang 1997 nach Deutschland und heiratete dort meinen frisch geschiedenen Papa.

Neue Heimat, neues Glück?

Nun war ich da und niemand im Dorf ahnte, was aus dem kleinen blonden Mädchen aus dem tschechischen Getto einmal werden würde. Ich selbst ahnte es allerdings schon recht früh, wenn ich ehrlich bin. Der Ort ist gefühlt übrigens das kleinste Kaff auf diesem gottverdammten Planeten. Arsch der Welt trifft es mit den paar Häuschen und den etwa 60 Einwohnern ziemlich gut. Es gibt dort exakt nichts, außer Platz. Willkommen in der sächsischen Provinz. Diese Weite war meine neue Heimat. Wir lebten in einem schönen Haus mit einer riesigen Terrasse, alles an dieser Hütte hatte mein Vater selbst gebaut. Das große Grundstück, auf dem es stand, war umringt von etlichen Bäumen und Wiesen und einem wunderschönen Teich. Direkt neben dem Haus befand sich eine Lagerhalle, in der mein Vater an Autos herumtüftelte, Tore baute und Reparaturen und Lackierungen anbot.

Es folgten wunderschöne Jahre, alles in meiner frühen Kindheit war perfekt. Meine Mutter und auch mein Vater behandelten mich wie eine Königstochter. Alles, was ich wollte, bekam ich auch, und so wuchs ich im Gegensatz zu meinen Brüdern sehr behütet auf. Umsorgt, geliebt und an einem friedlichen Ort. Ein Ort voller Tiere und wenig Menschen. Ich erinnere mich, dass ich damals unbedingt ein Pony haben wollte und prompt zwei bekam. Ich war unfassbar vernarrt in meine zwei süßen Pferdchen namens Nathan und Donna. Füttern, Striegeln, Reiten. Ich beherrschte alles nach kurzer Zeit perfekt. Einen Gag zum Thema Reiten und Stute verklemme ich mir an dieser Stelle mal lieber.

Neben den Ponys hatten wir auch zwei Hunde, später sogar drei. Ashka war ein großer stinkender Mischling und Sheila ein ebenfalls unfassbar mies müffelnder Riesenschnauzer. Die beiden lebten draußen und schliefen nachts im Zwinger – niemand von uns hätte diesen Geruch im Haus ertragen. Ich habe die zwei Kläffer trotzdem über alles geliebt. Als ich mit zehn Jahren unbedingt ein Schoßhündchen fürs Sofa wollte, kaufte mir mein Vater noch einen Chihuahua. Ich war überglücklich und nannte den Fiffi Candy, weil ich damals so auf den Song von Snoop Dogg stand. Apropos cooler Name: Auf Tschechisch heißt Katrin Kačenca. Die Kurzform Kači klingt so ähnlich wie Katja, und so kam es, dass mich meine Mama seit unserer Zeit in Deutschland immer Katja nannte. Seither rief mich niemand mehr bei meinem echten Vornamen.

Das größte Rudel bildeten bei uns zu Hause aber die zwölf Katzen. Es hört sich asozialer an, als es war. Auch diese Viecher waren ja nie im Haus, sondern streunten auf unserem Grundstück herum. Es begann ganz normal mit einer Katze und erst als ich so lange herumjammerte, bis ich eine zweite bekam, nahm der Wahnsinn seinen Lauf. Eine der beiden pimperte mit der Nachbarspussy und spätestens bei deren Nachwuchs lief das ganze Katzengebumse komplett aus dem Ruder. Schwups, da waren es zwölf. Es gab also tatsächlich mal Zeiten, in denen Muschis um mich herum mehr Sex hatten als ich.

Witzigerweise hatten wir auch immer mal wieder ein paar Schweine, Gänse oder Schafe – immer dann, wenn mein Vater eine seiner wirren Ideen hatte, man könne mit diesen Tieren Geld machen. Was natürlich nie funktionierte auf der kleinen Basis. Das schrägste Tier, das bei uns zu Hause in einem riesigen Terrarium herumschlängelte, war eine grün-braune Anakonda, die mehrmals in der Woche gierig ein paar lebendige Mäuse und Ratten vertilgte. Mir taten die kleinen Viecher so leid, dass ich immer mal wieder heimlich welche von ihnen im Garten freiließ. Bis auf die Fütterung der Schlange war jedoch alles in dieser Zeit so unbeschwert und schön für mich. Ich wuchs quasi als verwöhntes Einzelkind auf, da meine Brüder relativ schnell in eine WG ins nächstgelegene Dorf namens Oschatz zogen. Die drei hatten keinen Bock auf ihren neuen Stiefvater und wollten eh nur kiffen, trinken und chillen. Und auch Sandra und Max, die Kinder meines Vaters aus besagter erster Ehe, wohnten bei ihrer leiblichen Mutter. Wenn meine beiden Stiefgeschwister bei uns waren, dann meist nur zu Besuch oder mal an den Wochenenden. Alles schien perfekt. Die ersten grauen Wolken, die schon damals langsam aufzogen, nahm ich in keiner Weise als Vorboten eines hässlichen Gewitters wahr.

Doch diese ersten unbeschwerten Jahre meines Lebens, die kann mir niemand mehr nehmen. Ich fühlte mich wie eine kleine Prinzessin in einem Dorfschlösschen mit Eltern, die mich über alles liebten. Und trotzdem habe ich diese unfassbare Verbundenheit zu meiner echten Heimat. Dem schmutzigen Ort voller Sünden und Armut. John Travolta sagt im Film Passwort: Swordfish: »Tja, man kann ein Mädchen aus der Gosse, aber die Gosse nicht aus dem Mädchen rausholen!« Ich finde, das trifft es ganz gut, ohne den Fokus auf das Negative zu legen. Es geht einfach um die Wurzeln, die bleiben, egal wo man lebt. Meine Mutter wird immer mein Antrieb sein, mein Motor, meine Wurzeln, mein Halt. Sie war und ist immer für mich da, genauso wie ich für sie. Egal woher mein Vater stammt, im Herzen bin ich eine vollumfängliche Tschechin.

Also Bitches, egal wie hoch ihr es schafft, vergesst niemals, wo ihr herkommt! Warum? Weil ihr nie wisst, wohin die Zukunft euch trägt. Amen.

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2. Gebot

Niemand stirbt keusch, das Leben fickt uns alle!

Wie mich der Tod meiner Brüder lehrte, dem Schicksal den Mittelfinger zu zeigen

Das Schicksal entscheidet, wer in dein Leben tritt, doch nur DU entscheidest, wer bleibt!« Ich hasse diese Redensart. Bullshit ist das! Denn das Schicksal entscheidet sehr wohl, wer wieder geht. Zumindest im Falle meines Halbbruders Max. Zack, ehe ich michs versah, war er da, der Tod ohne Not. Grundlos schlug er zu und in unserer Familie war plötzlich nichts mehr, wie es gewesen war. Das besagte Schicksal schenkte mir exakt fünf gemeinsame Jahre mit Max. Kein Jahr weniger, keins mehr. Ich erinnere mich, dass meine Bindung zu ihm nicht so eng war wie zu meinen anderen Brüdern, aber wir mochten uns sehr. Max besuchte uns mehrmals im Monat und obwohl ich damals noch so klein war, spielte er immer mit mir, was für einen Teenager ja nicht selbstverständlich ist. Meine Mutter erzählte mir später, dass Max irgendwann begann, über Schmerzen im Bein zu klagen. Erst hin und wieder, dann immer häufiger. Als die Beschwerden unerträglich wurden, ließ er sich mehrmals untersuchen. Der Dorfarzt aber glaubte ihm kein Wort. »Hör zu, Freundchen, wenn du keinen Bock auf Schule hast, dann sag das, aber mach hier nicht auf krank!«, warf er ihn raus, nachdem Max ihn wohl wiederholt mit seiner angeblichen Qual zu nerven schien. Doch die Schmerzen hörten nicht auf. Max’ Mutter checkte irgendwann, dass er nicht simulierte, und suchte daraufhin nach anderen Ärzten. Einer von ihnen diagnostizierte dann den beschissenen Krebs. Ein Knochentumor hatte sich im Oberschenkel von Max ausgebreitet, so massiv, dass man nicht einmal mehr versuchen konnte, ihn mit einer Chemotherapie zu retten. Zu spät, nichts hätte geholfen. Auch wenn ich erst fünf Jahre alt war, werde ich diese schemenhaften Bilder nicht vergessen, wie Max auf Morphium zu Hause in einem Spezialbett an einem Tropf hing und auf den Tod wartete. Nicht nur er, sondern auch die Situation war so unfassbar krank. Die Vorstellung, dass er auf den Tod wartete wie wir gesunden Menschen auf eine Pizzalieferung, fickt mich bis heute. Meine Mama erzählte mir später, dass wir ihn in der Zeit ganz häufig besuchten. An manchen Tagen ging es ihm wohl besser, andere wiederum waren für ihn kaum zu ertragen. Er siechte dahin und niemand konnte etwas daran ändern.

Eines Tages im Herbst 2001 hockte ich im Wohnzimmer vor der Glotze und schaute irgendwelche Zeichentrickfilme. Ich habe früher immer mit einer Decke auf dem Boden gesessen, weil ich das irgendwie gemütlicher fand. Ich bemerkte, wie mein Vater nach Hause kam, die Tür ins Schloss fiel und er ohne Worte in unsere Wohnküche lief. Ich konnte ihn nicht sehen, aber hören, als er vor meiner Mutter stand. Ich vernahm schweres Atmen, dann ein zerbrechliches Schluchzen, gefolgt von einem unendlich schlimmen Weinkrampf. Gänsehaut kroch mir über den Rücken, wie erstarrt blieb ich sitzen, klammerte mich an meine Kuscheldecke und lauschte. »Max ist tot! Tot, verstehst du, tot!!!«, hörte ich ein dumpfes Wimmern. Vermutlich hing mein Vater in Jarkas Armen mit dem Kopf an ihrer Schulter. Ich weiß noch, wie meine Mutter danach zu mir ins Wohnzimmer kam, mich umarmte und eine halbe Stunde nicht mehr losließ. »Max ist gestorben, aber alles wird gut, versprochen!«, flüsterte sie immer wieder und versuchte damit verzweifelt, die ersten Risse in meiner Kinderseele zu kleben.

Ich war noch viel zu klein, um das Ausmaß zu realisieren. Ich fühlte mich zwar leer, aber konnte die Sache nicht greifen. Erst viel später, als ich verstand, was eigentlich passiert war, schwor ich mir, nicht an Schicksalsschlägen zu zerbrechen. Ich wollte stark sein, zäh genug, jedem noch so beschissenen Einschlag den Mittelfinger zu zeigen. Keine Trauer sollte je meine Lebensfreude brechen, und so schob ich alles beiseite. Ich verdrängte und bemerkte sehr lange nicht, dass das nicht das richtige Rezept war.

Oh, Otto! Wieso?

Mein ältester Bruder war ein wenig charmanter Macho und Weiberheld. Er war groß und gut aussehend, aber im Charakter komplett unbelehrbar. Die wenigen Chancen, die er auf ein legales Leben hatte, trat er mit Füßen und dennoch liebte ich ihn über alles. Bro ist Bro und wie sollte man auch die 20 Jahre tschechisches Getto aus ihm herausbekommen? Otto war cool, tough und in seinen schlimmen Zeiten oft auch ein cholerisches Arschloch. Kein Schulabschluss, keine Ausbildung, dafür Straße und Abhängen. Er blieb im Milieumodus, während seine Seele langsam ging. Sie stumpfte ab. Sie verkümmerte. Er nahm sich einfach keine Zeit, sie zu pflegen.

Ich erinnere mich, wie er immer protzte: »Kači, ich bin bekannt auf der Straße!«

»Aber wenn du berühmt wärst, dann würden dir die Leute ja hinterherlaufen und nach Fotos fragen«, ließ ich ihn daraufhin verdutzt wissen. Genervt schüttelte er dann immer mit dem Kopf. Heute weiß ich natürlich, was er mir damit sagen wollte. Er war ein Gangster, vor dem man auf der Straße Respekt hatte. Niemand im Umkreis von 200 Kilometern wollte mit Otto Beef. Aber damals als Kind habe ich die Lage einfach nicht gecheckt. Otto war so oft im Knast, dass ich es gar nicht mehr zählen kann, und trotzdem zog der Motherfucker danach jedes Mal lässig seine illegale Scheiße weiter durch. Ganz vorneweg: Autos aufbrechen, ausräumen oder gleich ganz klauen. Das gab viel Geld. Also viel für jemanden, der keine Kohle hat. Die geklauten Radios und Navis stapelte er in unserer Lagerhalle, um sie dann zu verticken. Otto war so stolz auf sein handwerkliches Geschick, dass er sogar mir damals beibrachte, wie man eine Karre knackt, um das Radio auszubauen. Ich muss zugeben: Bei alten Autos kann ich das bis heute blind. Zum Glück könnte ich mir mit meinem heutigen Cash ein ganzes Stadion voller Radios auf ganz legalem Wege kaufen.

Meine Mutter schaute diesbezüglich weg. Sie wusste ja, wie ihr Sohn so war. Wir sind einfach Menschen, die immer irgendwie an Geld kommen, egal auf welche Art und Weise. Natürlich fand sie Ottos illegale Geschäfte nicht geil, aber sie akzeptierte sie, weil sie als junge Frau nicht anders gewesen war. Gewiss gab es auch Phasen, in denen sie vor Kummer kein Auge zumachte. Die ständige Angst, Otto könnte bei Bandenfights etwas passieren, ließ bei ihr auch nach Jahren nicht nach. Doch was sollte sie tun? Verbote hätten ihn vermutlich nur dazu ermutigt, es erst recht zu tun. Er wollte sich nicht ändern, trotz einer großen Chance, die ihm das Leben mit Mitte 20 gab. Als ich vier Jahre alt war, verliebte sich Otto in eine tschechische Frau, heiratete sie und bekam eine Tochter namens Dana. OMG! Dieses Mädchen ist so dermaßen schön, dass ich sie später sogar in meine Videos mit reingenommen habe. Was soll ich sagen, bei ihr hat die Optiklotterie einfach einen geilen Sechser ausgespuckt. Mein Bruder liebte zwar seine Frau, aber die Straße ließ ihn nicht los, und so entschied er, nicht bei der Familie zu wohnen, sondern die beiden nur hin und wieder zu besuchen. Tschüss, normales Leben! Und das, bevor es überhaupt wirklich gestartet war.

Am Anfang war unsere Beziehung deswegen auch nicht sonderlich gut. Ihm war so vieles egal und er sah mich als kleine nervige, verwöhnte Schwester – die ich ja auch war. Ich bekam alles und wollte immer entscheiden, was im Fernsehen geguckt oder am Abend gegessen wird, wenn er mal wieder eine Zeit lang bei uns wohnte. Ihn nervte das massiv, und so hatten wir häufig Geschwister-Beef, bei dem er dann immer extrem aggressiv war. Auch meinem Dad gegenüber war er oft so, er hasste ihn und akzeptierte ihn als Stiefvater in keiner Weise.

Erst als ich elf war, begann unser Verhältnis sich deutlich zu verbessern. Mein Hirn schien sich vom zickigen »Kleinkind« in Richtung cooles Mädchen zu entwickeln, und das gefiel ihm. Wir mochten uns und er begann, gerne Zeit mit mir zu verbringen. Ich weiß noch, wie wir einmal gemeinsam mit dem Fahrrad stundenlang durchs Dorf fuhren und uns über irgendwelche Sachen totlachten. Am Ende dieser Tour nahm er mich in den Arm und küsste meine Stirn. Großer Bruder, kleine Schwester eben. Es ist für mich die schönste gemeinsame Erinnerung. Ein Augenblick, der sich glücklicherweise für immer in mein Gedächtnis brannte. Doch die Zeit mit ihm sollte einige Monate später ein jähes Ende finden, und das, obwohl das Schicksal in dieser Sache gar nichts entschied. Am Ende entschied nur er selbst.

Der Tag, an dem ich Otto zum letzten Mal sah, war der Tag, an dem er mal wieder für irgendeine irrelevante Scheiße verhaftet wurde. Er hatte uns gegen Mittag besucht, wir saßen mit Radek und meiner Mutter zusammen am Tisch und vertilgten eine riesige Portion ihrer selbst gemachten böhmischen Knödel. Scheibchen für Scheibchen ließen wir uns die Dinger auf der Zunge zergehen. »Chutný! Chutný!«, murmelte Otto, was so viel heißt wie »Schmeckt fett geil!« – um uns im Anschluss wissen zu lassen, dass er jetzt leider sofort losmüsse nach Tschechien. Geschäfte und so. Niemand von uns fragte in solchen Situationen nach Details. Ich stand im Vorraum, in dem sich unsere Garderobe und die Schuhschränke befanden, als sich Otto die Sneakers anzog, mir fünf gab und das Haus verließ. Alles, was ich dann noch hörte, war das Aufheulen des Motors jener Karre, die ihm zum Verhängnis wurde. Denn genau wegen dieses Wagens wurde er an der Grenze rausgefischt und zu drei Wochen sofortigem Knast verdonnert. Vermutlich hatte er das Auto geklaut und die Papiere gefälscht, aber genau weiß ich das nicht. Trotzdem war das nur irgendeine irrelevante Scheiße, mehr nicht, weswegen er ja auch nur ein paar kurze Wochen Knast aufgebrummt bekam. Als meine Mutter mir also ein paar Tage später erzählte, dass Otto in Dresden im Gefängnis sitzt, war ich nicht sonderlich geschockt. Ich dachte, okay, nicht schlimm, nichts Neues, er kommt ja bald wieder. Doch er kam nicht. Nie mehr.

Als wollte mir mein Körper eine Vorwarnung schicken, fühlte ich mich an jenem Tag hundsmiserabel. Mentale meterdicke Regenwolken hingen quasi zusammen mit mir und meinen Gedankenschleifen in der Schule ab. Es gab eine Klassenarbeit zurück, in der ich eine raketenmäßige Note bekam, über die ich mich aber trotzdem irgendwie nicht richtig freuen konnte. Ich war schlapp, lustlos und down, was komplett sinnlos war, denn gute Noten hab ich eigentlich immer ex­trem abgefeiert. Irgendwann rief meine Mutter an: »Kommst du nach Hause, Kači, hast du Schluss!?«, fragte sie komplett emotionslos. Ich dachte mir nichts dabei, packte meine Sachen und stieg in den gemeinschaftlichen Schulbus, der damals über zig Dörfer gurkte, bis alle Kinder zu Hause waren. Als ich ausstieg, sah ich, dass zwei Bullen am Ende der Haltestelle standen und mich anstarrten. »Hey, Kleine, komm doch mal zu uns, bitte!«, rief einer von ihnen und winkte. Sie seien von der Polizei und ich möge doch bitte in ihr Auto steigen, da sie mich bis ganz vor die Tür zu meiner Mutter bringen wollten, hieß es, als ich vor ihnen stand. Ohne mir eine Marke zeigen zu lassen und ohne nachzufragen, wieso und warum eigentlich, stieg ich arglos ins Auto. Wenn ich heute daran denke, wie naiv und gefährlich das hätte enden können, da das ja auch Fake-Bullen hätten sein können – Kidnapper! –, wird mir ganz mulmig. Irgendwo einsteigen, Leute, macht das niemals! Zum Glück waren es in diesem Fall echte Polizisten. Ich weiß noch, wie einer der beiden versuchte, mich während der Autofahrt mit belanglosen Fragen bei Laune zu halten: »Geht’s dir gut?« – »Wie war die Schule?« – »Schönes Wetter heute, nicht wahr?« Blöd nur, dass es mittlerweile anfing zu regnen. Trotzdem ahnte ich nichts. Kinder reagieren nicht gleich panisch: »Oh Gott, warum sitze ich hier im Auto? Könnte etwa was Schlimmes passiert sein!?« Als Kind vermutet man in der Regel erst mal nichts Schlechtes. Wieso auch, zu gering sind die Erfahrungen, dass das Leben einen häufiger mal fickt.