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JULIA TOMUSCHAT ist Diplom-Psychologin, Autorin, Supervisorin und Heilpraktikerin für Psychotherapie. Sie arbeitet als Trainerin und Gesundheitspsychologin in den Bereichen Betriebliches Gesundheitsmanagement, Team- und Führungskräfteentwicklung, Selbstmanagement und Persönlichkeitsentwicklung. Sie lebt mit ihrer Familie in Lauf an der Pegnitz, wo sie 2008 die »Praxis für Gesundheitsförderung« gründete.

www.julia-tomuschat.de

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Impressum

 

© eBook: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2020

© Printausgabe: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2020

Alle Rechte vorbehalten. Weiterverbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Film und Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Zustimmung des Verlags.

 

Projektleitung: Dr. Sarah Rafajlovic

Lektorat: Petra Müller

Covergestaltung: independent Medien-Design, Horst Moser, München

eBook-Herstellung: Isabell Rid

 

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ISBN 978-3-8338-7458-1

1. Auflage 2020

 

Bildnachweis

Coverabbildung: Adobe Stock

Illustrationen: Adobe Stock

Syndication: www.seasons.agency

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Die Gedanken, Methoden und Anregungen in diesem Buch stellen die Meinung bzw. Erfahrung des Verfassers dar. Sie wurden vom Autor nach bestem Wissen erstellt und mit größtmöglicher Sorgfalt geprüft. Sie ersetzen jedoch nicht den Besuch eines Arztes oder Heilpraktikers und sind kein Ersatz für eine medizinische Diagnosestellung oder Therapie. Weder Autor noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen.

DER INNERE TEENAGER LEBT!

Wir lieben auch als Erwachsene die Musik, zu der wir mit sechzehn getanzt haben. Wir kichern mit fünfzig beim Mädelsabend noch genauso herum wie damals, als Vierzehnjährige. Wir schalten manchmal auf jugendliches »Scheiß-Egal« oder haben »Null Bock«. Viele Verhaltensmuster, die in der Pubertät geprägt worden sind, stecken tief in uns drin. In der Rushhour des Lebens, in der wir Karriere machen wollen, Kinder großziehen und womöglich ein Haus bauen, sind wir häufig so durchgetaktet, dass völlig in Vergessenheit gerät, welche Pläne und Gedanken uns damals bewegt haben.

Der innere Teenager verursacht Kurzschlüsse und erweckt Sehnsüchte. Doch wer ihn kennt und ihm im Erwachsenenleben einen Platz einräumt, fühlt sich ausgeglichener und lebendiger.

 

 

 

Mit geführten Meditationen der Autorin

Mit der GU Mind&Soul Plus App kannst du Julia Tomuschat live erleben, während du dieses Buch liest. In ihren Audio-Botschaften macht sie sich gemeinsam mit dir auf die Reise zu deinem inneren Teenager. Und so geht's:

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VORWORT

VON STEFANIE STAHL

Julia und ich lernten uns vor über dreißig Jahren an der Universität Trier kennen, am Kaffeeautomaten vor dem Hörsaal. Zwischen uns sprang ein Funke über, und wir sind seitdem nicht nur enge Freundinnen, sondern inspirieren uns auch gegenseitig in unserer psychologischen Arbeit. Damals, an einem unserer allerersten Studientage, waren wir selbst kaum erwachsen, und manche Entwicklung, die Julia in ihrem Buch beschreibt, stand uns noch bevor.

Ich bin sehr froh, dass Julia den inneren Teenager aufgedeckt hat – jenen Persönlichkeitsanteil in uns, der in der Jugend geprägt wurde und uns im Erwachsenenleben immer mal wieder »dazwischenfunkt«. Damit spinnt Julia den roten Faden weiter, der in meinen Büchern über das innere Kind bereits angelegt ist. Denn selbstverständlich sind die Jahre, die der Kindheit folgen, ebenfalls äußerst einflussreich. Wir tragen sowohl das innere Kind als auch den inneren Teenager in uns.

Mit diesem Buch wagt sich Julia in den »verrückten« Lebensabschnitt hinein, der sich Pubertät nennt. In dieser spannenden Zeit des Umbruchs re-organisieren sich das Gehirn, der Körper und das Beziehungsgeflecht. Dieser Prozess ist nicht immer angenehm, sondern häufig holprig und von Selbstzweifeln begleitet. Deswegen erinnern sich viele Menschen mit gemischten Gefühlen an diese Lebensphase. Und Kränkungen und Verletzungen werfen ihre Schatten bis ins Erwachsenenleben und können dazu führen, dass wir in manchen Situationen nicht ganz so erwachsen reagieren, wie wir sollten.

Praxisnah setzt sich die Versöhnung mit dem inneren Teenager mit den Schattenseiten der Jugendzeit auseinander, aber nicht nur: Auch die Sonnenseiten dieses Entwicklungsabschnitts erhalten viel Raum. Denn wer sich dem Teenager in sich zuwendet, bringt auch dessen Ressourcen zum Vorschein, wie Eigensinn, Freiheitsliebe, Abenteuerlust, Selbstfindung und Leidenschaft. Julia geht dabei auch der Frage nach, was Erwachsensein heißt und wann wir eigentlich in einem guten Sinn erwachsen sind. Sie nimmt Leserinnen und Leser quasi von ihrer Kindheit bis zum Erwachsenenleben an die Hand und gibt ihnen auf diesem Weg wunderbare Anregungen mit, die eigene Geschichte zu reflektieren.

Ich habe dieses leicht verständliche, unterhaltsame und kluge Buch mit großem Erkenntnisgewinn gelesen und dabei den positiven Kern meines inneren Teenagers wiederentdeckt. Die klaren Instruktionen haben mir dabei geholfen, mit meinem inneren Teenager versöhnter zu sein, und ich konnte die Effekte sofort spüren. Ich bin sicher, dass sich bei vielen Lesern und Leserinnen nach der Lektüre ein heilsames Gefühl des inneren Friedens einstellen wird.

Liebe Julia, in diesem Buch wird klar: Der Teenager in uns muss Heimat finden! Die Welt braucht Menschen, die sich selbst reflektieren und mit sich im Frieden leben. Sie braucht Menschen, die im positiven Sinne erwachsen sind und Verantwortung tragen. Deshalb hoffe ich, dass dein Buch viele Leserinnen und Leser erreicht und ihrem Leben neuen Schwung gibt!

Von Herzen, deine Steffi

Trier, den 20. Januar 2020

WARUM WIR IMMER EIN BISSCHEN SIEBZEHN BLEIBEN

Bei anderen erkennen wir leicht, wenn sie sich wie ein Teenager verhalten und nicht ganz so reif agieren, wie sie es eigentlich könnten. Aber was ist mit uns selbst? In der Pubertät verwandeln wir uns vom Kind in einen Erwachsenen. Das ist ein großer Umbruch, der uns nachhaltig prägt. Kein Wunder, dass wir manchmal innerlich Teenager bleiben.

DER TEENAGER IN UNS

Mein Freund Chris ist fünfundvierzig und antwortet auf die Frage nach seinem Alter immer »siebzehn«. Das ist einerseits ein Scherz, andererseits offenbart seine Antwort auch eine Wahrheit: Chris hat sich tatsächlich eine gewisse Jugendlichkeit bewahrt. Er ist begeisterungsfähig und innerlich beweglich. Er probiert gern neue Trendsportarten aus, fährt mit dem Skateboard zur Arbeit, besucht Rockkonzerte und ist auf Partys ein willkommener Stimmungsmacher. Wenn er vom letzten Alkohol-Absturz mit den Kumpels in der Kneipe erzählt oder einen Witz nach dem anderen reißt, lassen sich seine Freunde gern von seiner amüsanten Jungenhaftigkeit mitreißen. Seine Frau rollt dann schon mal genervt die Augen. Denn Familienfeste, Hausputz und andere Verpflichtungen lässt ihr Ehemann gern aus, weil es ihm zu spießig ist. Sie wünscht sich, ihr Mann wäre dahingehend vernünftiger, verlässlicher und ordentlicher.

Chris ist sich klar, dass er sich manchmal wie ein Teenager benimmt. Er mag diese Jugendlichkeit aber an sich selbst und findet es gut, »nicht immer ganz so erwachsen zu sein«. Andererseits kann er verstehen, dass seine Frau davon nicht immer begeistert ist – also reißt er sich zusammen, erledigt die Jobs im Haushalt, ruft die Tante zum Geburtstag an und verzichtet auf nächtliches Zechen, wenn am nächsten Tag ein Ausflug geplant ist. Insofern ist Chris im Vorteil, denn er bespielt beide Seiten seiner Persönlichkeit: seinen inneren Teenager, der wie ein Siebzehnjähriger vor allem an Spaß und Freiheit interessiert ist, aber auch den fünfundvierzigjährigen erwachsenen Mann.

Die meisten von uns haben so einen inneren Teenager in sich: Wir lieben auch als Erwachsene die Musik, zu der wir mit sechzehn getanzt haben. Wir kichern mit fünfzig beim Mädelsabend noch genauso herum wie damals mit den vierzehnjährigen Freundinnen. Wir schalten manchmal auf jugendliches »Scheißegal« oder haben »null Bock«.

Viele Kraftquellen, auf die wir im Erwachsenenleben zurückgreifen, haben ihren Ursprung in unserer Teenagerzeit: Das Wissen, dass gute Freund*innen wichtig sind, oder die Fähigkeit zu streiten, sich abzugrenzen oder sich für etwas einzusetzen. Viele Interessen und Werte haben wir ebenfalls in dieser Lebensphase entwickelt – als wir endlos Zeit für Hobbys und Diskussionen hatten. Außerdem sind die Teenagerjahre aufregend. Vieles passiert zum ersten Mal und ist so intensiv, dass wir lange daran denken: an den ersten Kuss, die ersten sexuellen Erfahrungen, das erste Verliebtsein. Als Vierzehn-, Fünfzehn- oder Sechzehnjährige schließen wir Freundschaften, die im besten Fall ein Leben lang halten. Aber auch jenseits der ersten Gehversuche als Mann oder Frau können Sie sich sicherlich an witzige und lebenslustige Momente aus dieser Zeit erinnern. Ich selbst muss zum Beispiel sofort schmunzeln, wenn ich daran denke, wie ich als Vierzehnjährige vor lauter Lachen mit Krawumm vom Stuhl gefallen bin – sehr zum lautstarken Vergnügen meiner damaligen Freund*innen. Und wenn Sie sich JETZT für einen kleinen Moment darauf besinnen, werden Sie sicherlich ebenfalls ein solches Erlebnis aus Ihren Jugendjahren herbeidenken können.

In der Teenagerzeit läuft unser Hirn auf Hochtouren, wodurch wir einerseits manchmal schlapp und schläfrig waren, aber auch ein sehr klares Gespür für Ungereimtheiten und Ungerechtigkeit hatten und keine Angst davor, leidenschaftlich für eine Sache einzutreten. Dieser Tage führt uns die Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg vor Augen, welche Kraft diesem Gespür innewohnt. Mit Mut, Engagement und Beharrlichkeit hat sie die weltweite Bewegung »Fridays for Future« ins Leben gerufen und auch viele Erwachsene inspiriert.

EIN BISSCHEN MEHR TEEN SEIN

In der Rushhour des Lebens, in der wir Karriere machen wollen, Kinder großziehen und womöglich ein Haus bauen, sind wir häufig so durchgetaktet, dass wir gar keine Zeit für jugendliche Albernheiten haben. Der tagtägliche Trott, der Lärm des Alltags kann uns ganz schön in Beschlag nehmen, sodass völlig in Vergessenheit gerät, welche Pläne wir als junge Menschen geschmiedet und welche Gedanken uns damals bewegt haben. Wir hören auf, uns selbst danach zu fragen, wer wir eigentlich sind und ob das, was wir da Tag für Tag machen, zu uns passt. Auch die große Frage nach dem Sinn des Lebens, die uns in der Jugend so sehr beschäftigt hat, wird hintangestellt.

Aber vielleicht könnten wir als Erwachsene hie und da ein bisschen mehr Teen vertragen? Vielleicht erwischt uns die Midlife-Crisis manchmal deshalb so hart, weil uns das Glitzern und der Zauber der Jugendjahre abhandengekommen sind?

Andererseits erleben wir in der Teenagerzeit Verletzungen und Kränkungen, die uns nachhaltig verunsichern können und noch heute unser Verhalten beeinflussen. Meist ist uns das nicht bewusst und wir merken gar nicht, dass wir uns unangemessen und wie Teenager verhalten. Wenn ich zum Beispiel meine Partner*in mal wieder anmotze, nur weil ich schlechte Laune habe, benehme ich mich wie die Dreizehnjährige, die ich mal war und die ihr Umfeld mit ihrer Übellaunigkeit quält, statt mich wie eine Erwachsene angemessen um meine Laune zu kümmern – und sie eben nicht an anderen auszulassen. Oder wenn ich mich von einer Kritik meines Chefs bis ins Mark getroffen fühle – selbst wenn sie ungerechtfertigt war – und daraufhin meine gesamten Fähigkeiten in Zweifel ziehe. Dann fühle ich mich vielleicht innerlich in die eigene Schulzeit zurückversetzt und so hilflos wie damals, als ich von einem Lehrer vor der Klasse kleingemacht wurde.

Situationen, in denen unser »innerer Teenager« agiert, erkennen wir oft daran, dass sie uns im Nachhinein peinlich sind. Wir sind unangenehm von uns selbst berührt und denken: »So wollte ich mich doch gar nicht verhalten. Ich hatte mir doch vorgenommen, das beim nächsten Mal anders zu machen.« Unser innerer Teenager hat aber auch die Oberhand, wenn wir Dinge aufschieben, die uns unangenehm sind: die Steuererklärung, die Schwiegermutter anrufen, den Hausflur putzen oder den Keller ausmisten. Wenn wir dann einen schier unüberwindbaren inneren Widerstand spüren, ist noch immer der jugendliche Teil in uns lebendig, der »keinen Bock hat, seine Lebenszeit mit blödem Erwachsenenkram zu verschwenden«.

Wenn ich hier ganz selbstverständlich den Begriff »innerer Teenager« verwende, handelt es sich dabei um eine Metapher, um eine bildhafte Zusammenfassung von dem Persönlichkeitsanteil in uns, in dem die Erfahrungen, Gedanken, Gefühle und Erinnerungen aus unserer Jugendzeit abgespeichert sind. Den Begriff selbst habe ich er-, genauer gesagt gefunden. Er ist eine Ergänzung zum »inneren Kind« – also dem Anteil in uns, der für unsere Erfahrungen und Gefühle aus der Kindheit steht.

Bisher ist man davon ausgegangen, dass wir vor allem durch die frühe Kindheit geprägt werden, was sicherlich stimmt. In den letzten Jahren hat meine Freundin und Kollegin Stefanie Stahl mit ihrem Bestseller Das Kind in dir muss Heimat finden1 viel dazu beigetragen, dass die Menschen den Kontakt zu ihrem inneren Kind gefunden haben. Aber was ist mit den Jahren, die der Kindheit folgen? Was ist mit unseren Teenagerjahren?

In der Zusammenarbeit mit Stefanie Stahl und durch die Arbeit mit meinen Klient*innen habe ich oft das Gefühl, dass diese »Flegeljahre« ebenfalls sehr prägend für unser Verhalten als Erwachsene sind, auch wenn wir das häufig nicht wahrhaben und nicht daran erinnert werden wollen, dass wir mal picklige Jugendliche waren. Obwohl wir uns an die Teenagerzeit oft besser erinnern als an die Kindheit, ist uns zumeist nicht klar, wie sehr diese Prägungen aus der Lebensphase zwischen zwölf und vierundzwanzig Jahren unser heutiges Leben beeinflussen. In der Pubertät fassen wir Beschlüsse, die unser gesamtes Leben als Mann oder Frau prägen, und zwar viel weitreichender als nur in Sachen Musikgeschmack. Wenn Sie sich zurückerinnern, werden Sie das leicht merken: Ihre Haltung zu Autoritäten, Ihre Haltung zu Beziehungen, Partnerschaft und Sexualität und zu Freundschaft – in all diesen Bereichen spielen unsere Erfahrungen als Teenager eine zutiefst prägende Rolle. Denn das ist die Zeit, in der sich unser Gehirn umbaut – und jede Erfahrung eine grundlegende Bedeutung bekommt. Es ist die Zeit, in der wir das elterliche Nest verlassen und uns voller Energie UNSEREM Leben widmen. Wir erleben vielleicht erstmals einen echten Zusammenhalt außerhalb der Familie.

Wenn wir heute ständig an uns zweifeln, an unserem Aussehen herummäkeln, unsere Fähigkeiten abwerten, zu viel Alkohol trinken, dann sind das meist Hinweise darauf, dass wir innerlich nicht als Erwachsene agieren, sondern eher wie der Teenager, der wir einmal waren. Genauso ist es, wenn wir reflexhaft gegen Regeln rebellieren oder uns in die Enge getrieben fühlen, sobald jemand etwas von uns fordert, oder wenn wir uns trotz Partnerschaft einsam fühlen. In der Psychologie spricht man auch davon, dass wir manchmal auf frühere Entwicklungsstufen zurückfallen. Obwohl wir längst erwachsen sind, fühlen, denken und handeln wir in bestimmten Momenten nicht wie eine erwachsene Frau oder ein erwachsener Mann. Wir steuern unser Fühlen, Denken und Handeln nicht mehr als die erwachsene Person, die wir heute sind. Der jüngere Persönlichkeitsanteil hat uns gekapert, das Steuerrad übernommen und lenkt nun unser Geschick.

Bei anderen Menschen erkennen wir leichter, wenn sie auf diese Weise gekapert worden sind. Wir merken, dass der oder die andere nicht so »reif« reagiert, wie er oder sie es eigentlich könnte. Die meisten Menschen kennen zum Beispiel die typische allergische Reaktion ihrer Partnerin oder ihres Partners auf aus ihrer Sicht »vernünftige« Hinweise. Aufforderungen wie »Du müsstest mal den Kühlschrank abtauen, die Rechnungen abheften oder das Auto zur Reparatur bringen« werden gereizt mit einem »Ich muss gar nichts« beantwortet oder gar nicht erst wahrgenommen. Der Kühlschrank bleibt ungeputzt und die Rechnungen bleiben weiterhin in der Kramschublade liegen. Das Wort »müssen« erzeugt nur allzu leicht eine Abwehrhaltung. Manchmal geraten wir dadurch sogar in Rage, als hätten wir einen nervigen Erwachsenen vor uns, von dem wir uns abgrenzen wollen – und nicht unsere Partner*in.

In diesem Buch erzähle ich Geschichten von Menschen, die über ihren inneren Teenager reflektieren und erzählen, wie sie diese Prägungen als Erwachsene erleben. Meine Interviewpartner*innen sind Bekannte und Freund*innen von mir, Klient*innen und Teilnehmer*innen meiner Seminare. Hinter den Geschichten von Marie, Kai, Sunya, Martin und den anderen stecken also echte Menschen und wahre Begebenheiten, allerdings habe ich sie so verfremdet, dass die erzählenden Personen anonym bleiben und geschützt sind. Ich bin allen Gesprächspartner*innen zutiefst dankbar, dass ich etwas über ihre inneren Teenager erfahren durfte. Und ich bin mir sicher, dass Sie als Leser*innen sich in vielen Geschichten wiedererkennen werden – und auf diese Weise auch Zugang zu Ihrem inneren Teenager bekommen.

Die Teenagerzeit verbindet das Kind, das wir einmal waren, mit dem Erwachsenen, der wir heute sind. Wenn wir uns dieser Zeit zuwenden, werden wir als Person noch vollständiger, erfüllter und lebendiger. Denn nur, wenn wir uns mit den Prägungen aus der Übergangszeit ins Erwachsenenalter auseinandersetzen, werden wir das Verhalten erkennen können, das uns immer wieder ausbremst oder in Schwierigkeiten bringt – und nur dann können wir es nach und nach ablegen. Allerdings erfordert diese Auseinandersetzung auch Mut.

LIEBER GAR NICHT MEHR DRAN DENKEN

Die Pubertät scheint ein Lebensabschnitt zu sein, der entweder als die »beste Zeit im Leben« hochstilisiert oder lieber verdrängt wird. Viele meiner Klient*innen und Freund*innen erinnern sich nur ungern zurück. »War ’ne Scheißzeit«, bekam ich zu hören. »Bin froh, dass es vorbei ist!« Oder: »Da denke ich nicht mehr dran zurück.« Andere wiederum fanden es »ganz gut, manchmal keinen Bock zu haben und das auch zu zeigen« und wollten sich ebenfalls nicht näher mit diesem Thema befassen. Und auch diejenigen, die von ihrer Teenagerzeit vor allem die aufregenden Abenteuer, den ersten Kuss, die verrückten Einfälle etc. im Kopf haben, erinnern sich zugleich an die großen Verunsicherungen bis hin zu Gedanken, abzuhauen oder sich etwas anzutun, weil man so verletzlich und emotional war. Sogar die guten Erinnerungen sind also häufig überschattet.

Ich selbst muss zugeben: Auch meine Pubertät war nicht rosig. Dabei hatte ich einen wirklich guten Start ins Leben. Als erstes Kind und Enkelkind bin ich in eine liebevolle Familie hineingeboren worden. Meine Eltern und Großeltern haben sich über meine Ankunft gefreut und mir eine sonnige Kindheit geschenkt. Und nach der landläufigen Meinung ist eine solch behütete Kindheit, in der man sich geliebt und angenommen fühlt, doch die wichtigste Basis für ein selbstbewusstes, zufriedenes Leben. Oder? Doch obwohl ich mit warmen Gefühlen an meine Kindheit denke, befällt mich eher Beklemmung im Hinblick auf meine Teenagerjahre. Als ich fünfzehn war, ließen sich meine Eltern scheiden und waren extrem mit sich selbst beschäftigt. Für meinen Bruder und mich war nicht mehr viel elterliche Aufmerksamkeit übrig. Nicht selten drehten sich die Rollen sogar um und ich hörte mir den Frust meiner Eltern an, musste meine Mutter oder meinen Vater beraten. Beide erzählten mir von ihrer Krise als Paar und muteten mir Fragen zu wie: »Was soll ich tun? Wer hat recht? Wie soll es weitergehen?« Beide wollten mich davon überzeugen, dass der jeweils andere »schuld« an den Eheproblemen sei. Ich fühlte mich hin- und hergerissen und schlug mich letztlich oft auf die Seite desjenigen, der gerade erzählte. Zwar bemühten sich beide Elternteile darum, den Kontakt zu mir als pubertierendem Mädchen aufrechtzuerhalten, und fragten mich oft, wie es mir mit all dem gehe, aber ich wusste intuitiv, dass ich jetzt nicht auch noch Probleme machen durfte. Das heißt, ich habe mich selbst mit meinen Sorgen und Kümmernissen hintangestellt und meinen Eltern gegenüber so getan, als ob für mich trotzdem alles in Ordnung sei. Dabei erinnere ich mich noch sehr genau an die vielen Nächte, in denen ich wach lag und mir verzweifelt wünschte, die beiden würden wieder zusammenfinden, und daran, wie sehr mein Herz schmerzte, als mir klar wurde, dass dieses Wünschen vergeblich war. Am Ende überzeugte mich meine Mutter davon, dass sie es mit meinem Vater nicht mehr aushalten könne. Für mich wurde er zur kritikwürdigen Person.

Als Psychologin habe ich mich natürlich schon viel mit meiner Biografie auseinandergesetzt, aber davor, mich meiner eigenen Teenagerzeit intensiver zuzuwenden, hatte ich doch Angst. Genau wie die Teilnehmer*innen meiner Seminare, Freunde, Bekannte und Klient*innen war ich froh, dass dieses Kapitel des Lebens mit der Überschrift »Kränkungen, Einsamkeit und Unsicherheiten« abgeschlossen ist.

»Lieber gar nicht mehr dran denken«, sagen wir uns und verbannen den inneren Teenager ins Exil. Das ist natürlich nicht wortwörtlich zu verstehen, vielmehr wird ein Teil unserer Persönlichkeit, ebendieser innere Teenager, ins Unbewusste verlagert. Aber derart eindrückliche Erfahrungen aus einer für unsere Persönlichkeit so prägenden Lebensspanne lassen sich nicht wirklich verdrängen. Wir können sie allenfalls zur Seite schieben oder schönreden. Wenn ich zum Beispiel rückblickend von meiner Teenagerzeit erzähle, schütte ich zumeist etwas rosa Soße über die Erinnerung und mache vieles süßer und lustiger, als es eigentlich war. Ich versuche, sowohl mir selbst als auch den Zuhörenden das Bittere zu ersparen.

Alles Schmerzliche sperren wir weg – genauso wie wir das Schmerzliche aus der Kindheit verbannen. Da wir uns an die Teenagerzeit eigentlich gut erinnern, ist dieses Wegsperren umso mühsamer. Also sprühen wir rosa Soße auf und lachen über den großen Liebeskummer von damals. Wir bagatellisieren unsere Kränkung, weil der Vater als CDU-Wähler unsere Umweltschutzideen abkanzelte. Oder wir stellen unser Sitzenbleiben als Heldentat dar und vergessen zu erwähnen, wie sehr wir uns am ersten Tag in der neuen Klasse gedemütigt gefühlt haben, weil wir nun mit den »Kleinen« die Schulbank drücken mussten. Aber all diese verdrängten Kränkungen und Erfahrungen werden sich immer wieder Bahn brechen. Vor allem, wenn wir uns bedrängt fühlen oder erschöpft sind. Dann fühlt es sich wirklich so an, als würde die Partnerin genau wie damals unsere Mutter nur meckern und motzen oder als wären wir wirklich klein und schwach. Wir werden motzig und übellaunig, obwohl wir in Wirklichkeit nur überfordert sind.

LANGE SCHATTEN

Diese verdrängten Anteile unserer Persönlichkeit, die unser Leben dennoch beeinflussen, nennt man »Schatten«. Und diese Schatten können unser Leben wortwörtlich verdunkeln. In der Psychologie beschreibt der Begriff »Schatten« einen Teil unserer Psyche, der uns nicht oder nur teilweise bewusst ist. Es ist derjenige Anteil in uns, den wir abspalten, verdrängen oder ablehnen. Er hat die Eigenart, im Dunklen unserer Psyche zu spuken und aus dem Hinterhalt Einfluss auf unser Fühlen und Verhalten zu nehmen. Wenn wir zum Beispiel automatisch »Nein« sagen, wenn uns jemand um etwas bittet, obwohl wir bei genauerer Betrachtung lieber »Ja« gesagt hätten, unterliegen wir nicht selten einem Schatten aus der Teenagerzeit. Wir sitzen nicht mehr selbst am Steuer unseres Lebens, sondern handeln wie auf Autopilot. Anstatt frei zu entscheiden, wie wir uns fühlen und verhalten wollen, überlassen wir die innere Führung alten Verhaltensmustern.

Für Eltern gibt es übrigens besonders gewichtige Gründe, warum sie sich mit ihrer Pubertät beschäftigen sollten. Es besteht nämlich die Gefahr, dass wir unsere Pubertätsthemen an unsere Kinder weitergeben. Erst wenn wir uns unserer Geschichte gestellt haben, können wir unsere Kinder angemessen durch ihre Pubertät begleiten.2

TYPISCHE SCHATTEN BZW. VERHALTENSMUSTER AUS DER TEENAGERZEIT

  • Zu brav bleiben

  • Übermäßige Anpassung

  • Rebellentum

  • Verweigerung

  • Spaß-Sucht

  • Verantwortungslosigkeit

  • Angst vor Autoritäten

  • Sorgen, ob man der Rolle als Vater oder Mutter überhaupt gewachsen ist

  • Schwierigkeiten, sich festzulegen

  • Auch als Erwachsene/r nicht zu wissen, wer man ist

Nur wer um seine Schatten weiß, kann sie auflösen. Ein guter Umgang mit ihnen gelingt in drei Schritten:

  1. Zuerst müssen wir uns unsere Schatten bewusst machen und anerkennen, dass wir uns manchmal wie ein Teenager fühlen und verhalten. Etwas aufzudecken, was versteckt war, ist für sich genommen schon sehr versöhnlich, doch darüber hinaus kann Versöhnung auf einer tieferen Ebene geschehen.

  2. Zu verstehen, wodurch wir geprägt wurden, kann schmerzhaft sein, aber auch sehr spannend: Denn wenn wir aufhören, unsere Prägungen zu verdrängen, können wir uns selbst so viel besser kennenlernen.

  3. Erst dann können wir planen, wie wir zukünftig reagieren wollen.

Wie das genau geht, erkläre ich in diesem Buch. Für diesen Prozess würde ich gern vom Sie zum Du wechseln. Mir fällt es leichter, Sie liebe Leserin, lieber Leser, auf der Suche nach dem inneren Teenager zu begleiten, wenn ich Sie duzen darf. Das Du ermöglicht einen unmittelbareren Zugang zu anderen Menschen. Jetzt kann ich Sie ja nicht direkt fragen, aber ich hoffe, dass Sie mir Ihr Einverständnis geben.

Wenn du möchtest, begleite ich dich also mit diesem Buch bei der Wiederentdeckung dieser aufregenden und transformierenden Lebensphase. Dabei geht es um die Erinnerung und Hilfe bei der Heilung. Wir schauen uns unseren inneren Teenager an – seine Schatten- und seine Lichtseiten. Denn mal ehrlich: Natürlich ist es schön, wenn wir uns Jugendlichkeit bewahren, so wie mein trendsportverliebter Freund Chris. Es hält uns jung. Doch wenn wir so sehr Teenager sind, dass wir Schwierigkeiten haben, Verantwortung zu übernehmen, verlässlich zu sein oder sogar reflexhaft auf rebellische Ablehnung schalten, gibt uns das allenfalls ein oberflächliches Gefühl von Freiheit. Wenn wir noch immer innerlich von Unsicherheiten und Zweifeln unserer Jugendzeit zerrissen werden, können wir uns im Leben nur schwer wirklich wohl, angenommen und kraftvoll fühlen.

Mit diesem Buch möchte ich aber auch auf die Lebendigkeit und die Schätze schauen, die diesem Lebensabschnitt innewohnen. Also nicht nur auf die Verunsicherung, die Ängste und Kränkungen, sondern auch auf das Kraftvolle, die Experimentierfreude und Leidenschaft. Denn unsere Teenagerjahre haben eine Sonnenseite, die uns nützt, selbst wenn wir längst erwachsen sind. Die Erinnerung an ungezügeltes Lachen, an den unbeirrbaren Mut, die Kreativität und Fantasie, an das Gefühl von Aufbruch und das sexuelle Begehren dieser Zeit beflügelt uns auch im Erwachsenenalter. Ein Rückblick kann insofern auch sehr viel Spaß machen, selbst wenn es hie und da vielleicht knirscht. Sicherlich entdeckst du dabei die eine oder andere verloren geglaubte Kraftquelle, die dein Leben bereichern kann. In der Psychologie nennt man diese Kraftquellen Ressourcen.

Deshalb findest du in diesem Buch auch die sogenannten Lichtblicke. Das sind Haltepunkte auf dem Weg durch das Buch. Kleine Übungen, Imaginationstechniken und Fragen, die du dir selbst stellen kannst, und »Lichtblicke« deshalb, weil du damit Licht auf deinen Teenagerschatten werfen kannst. Durch einen licht- und liebevollen Blick auf uns selbst können wir den Teenager in uns als Teil unseres Seins integrieren, sodass wir gern erwachsen sind. Dann sind wir mit unserem inneren Teenager versöhnt.

VOM INNEREN KIND ZUM INNEREN TEENAGER

Jeder Mensch trägt die Erfahrungen aller Altersstufen in sich. In uns lebt in gewisser Weise das Baby, das wir einmal waren, ebenso wie das Kind, der Jugendliche und junge Erwachsene weiter, weil all die Erfahrungen aus den jeweiligen Lebensphasen uns prägen und Spuren hinterlassen. Wir integrieren diese Erfahrungen in unsere Psyche, manche sind so eindrücklich, dass sie zu einer Art Persönlichkeitsanteil werden. Das nimmt man beispielsweise von den Erfahrungen der Kindheit an. Deshalb spricht man in der Psychologie auch von einem inneren Kind. Es umschreibt unsere Prägungen aus der Kindheit.

Eigentlich ist uns das klar. Mit dreißig oder vierzig Jahren sind wir kein unbeschriebenes Blatt mehr, sondern durch unsere Biografie geprägt. Meist werden wir auf diese Prägungen allerdings nur aufmerksam, wenn sie uns Probleme bereiten. Wenn wir etwa spüren, dass wir gehemmt sind oder uns etwas im Leben zurückhält. Oder wenn wir Ängste entwickeln oder depressive Verstimmungen. In der Psychologie nehmen wir an, dass diese Störungen der Psyche meist mit Erfahrungen in früheren Lebensabschnitten zusammenhängen. Die Psychologie fußt geradezu auf der Annahme, dass insbesondere unsere ersten Lebensjahre enorm einflussreich sind und unser Erleben und Verhalten bis in die Erwachsenenjahre mitbestimmen. Aber auch jenseits der Psychologie ist bekannt, dass in jedem von uns ein Kind steckt. Im Volksmund ist die Rede vom »Kind im Manne« oder von »kindischem« Verhalten. Kurzum: Das Kind in uns prägt uns bis ins Erwachsenenalter.

Aber selbstverständlich endet unsere Entwicklung nicht mit den Kinderjahren. In der Pubertät machen wir ebenfalls riesige Entwicklungssprünge, die unsere Persönlichkeit beeinflussen. Wir durchleben eine Phase des Umbruchs, der Ablösung vom Elternhaus und der Identitätsfindung. Wir werden geschlechtsreif und verwandeln uns vom Mädchen in eine Frau oder vom Jungen zum Mann. In diesem Lebensabschnitt wird alles umgewälzt. Wir grenzen uns ab, rebellieren, erobern die Welt, erleben die erste Liebe und entwickeln eigene Werte. All das prägt uns oft noch stärker als die Zeit unserer Kindheit. Und wenn wir als Erwachsene etwas in unserem Leben verändern wollen, ist es sinnvoll, sich genau diese Prägungen noch einmal genau anzusehen.

ÜBERGANGSRAUM PUBERTÄT

Wenn ich in diesem Buch von Pubertät spreche, verwende ich diesen Begriff alltagssprachlich und meine eigentlich alle Jahre des Erwachsenwerdens: die sogenannte Adoleszenz. Sie erstreckt sich von der späten Kindheit bis zum frühen Erwachsenenalter, ungefähr vom zwölften bis zum vierundzwanzigsten Lebensjahr.3 Im Gegensatz dazu ist – ganz offiziell – mit Pubertät die Zeit gemeint, in der wir geschlechtsreif werden. Der Begriff »Pubertät« geht auf das lateinische Wort pubes (»erwachsen«) zurück. In der Alltagssprache vermischen sich beide Begriffe.

Der erstaunliche Wandel innerhalb der Adoleszenz betrifft alle Aspekte unseres Seins: unser Hirn, unseren Körper, unsere Beziehung und unser ganzes Ich. Das scheue Kind wird zum aufmüpfigen Teenager, der liebe Junge zum rebellischen Jugendlichen, das süße Mädchen zur selbstbewussten Frau. Kein Stein bleibt auf dem anderen, jede Faser unseres Seins ist betroffen. Eltern von Teenagern wissen davon ein Liedchen zu singen. Manchmal erkennen sie ihre Kinder überhaupt nicht wieder, wenn sie im Teenageralter sind.

Die Pubertät ist ein so wichtiger Einschnitt, dass es in fast allen Kulturen Rituale gibt, die dies markieren. Bei den Oneida, einem nordamerikanischen Indianerstamm, durchlaufen beispielsweise die Jungs im Alter zwischen zwölf und vierzehn das folgende Ritual: Sie fasten vier Tage lang und gehen danach weitere vier Tage und vier Nächte auf eigene Faust in die Wildnis, um bei einer Vision Quest, einer Visionsreise, ihr neues Ich als Erwachsene zu finden.4 Nach ihrer Rückkehr werden die Jungs ganz offiziell in den Kreis der Männer aufgenommen. Sie erfahren die Wandlung vom Kind zum Erwachsenen mit Haut und Haaren und vollziehen sie dadurch ganz bewusst. Auch in unserem Kulturkreis gibt es Rituale: die Firmierung, die Konfirmation, Bar Mitzwa oder die Jugendweihe.

Über diese von außen vorgegebenen Rituale hinaus geraten wir zuweilen innerlich in einen Sog, der uns dazu drängt, in Abgrenzung zu unseren Eltern unser Eigenes zu finden. Nicht umsonst wird die Pubertät auch als Sturm-und-Drang-Phase bezeichnet. Wir markieren mit aller Deutlichkeit, dass wir nicht mehr in die Welt der Kinder gehören. Wir hören Punkrock, fangen an zu rauchen, lassen uns tätowieren, schreiben Gedichte, haben Geheimnisse vor den Erwachsenen und lieben es, lange wach zu sein und lange auszuschlafen – in einem anderen Rhythmus zu leben als unsere Eltern. Wir sind gern aushäusig, übernachten bei Freund*innen und gehen vielleicht erstmals OHNE Familie auf Reisen. Unser eigenes Leben beginnt.

FUNDAMENTLEGUNG UND HAUSBAU

Aber wie hängen das innere Kind und der innere Teenager nun zusammen? Prägt das innere Kind nicht schlicht den inneren Teenager – weil es ja die ersten und grundlegenden Erfahrungen im Leben beschreibt? Gibt es die beiden überhaupt? Welche Bedeutung hat der innere Teenager für unser heutiges Leben? Diese Fragen lassen sich nur durch einen Blick in die Entwicklungspsychologie beantworten.

Zunächst bedeutet Entwicklung, dass wir uns verändern. Dem Wortlaut nach ent-wickeln wir etwas, so als wäre es verpackt und wird nun ausgewickelt. Mir persönlich gefällt dieses Bild sehr gut. Nach und nach, Schicht um Schicht legen wir etwas frei, befreien uns von den Umwicklungen und schließlich kommen wir zu unserm Wesenskern, finden heraus, was uns wirklich ausmacht. Was in diesem bildhaften Vergleich jedoch nicht so deutlich wird, ist, dass eine Entwicklungsstufe auf die andere aufbaut. Das lässt sich sehr gut veranschaulichen, wenn wir unsere psychische Entwicklung mit einem Hausbau vergleichen: In der Kindheit, insbesondere in den allerersten Jahren, wird das Fundament gelegt. Diese Zeit bildet unsere Basis. Wenn dort etwas schiefgeht, weil Eltern zum Beispiel ihr Kind vernachlässigen, hinterlässt dies im Gehirn nachhaltige Spuren.5 Es entstehen Risse im Fundament, und diese setzen sich im ersten, zweiten und dritten Stock fort.

Besonders entscheidend sind die ersten sechs Lebensjahre. Danach wird unsere Entwicklung etwas ruhiger, allerdings nicht ereignislos. Wir kommen in die Schule und erweitern unseren Wirkungskreis, indem wir Freundschaften schließen und Hobbys nachgehen. Der nächste große Entwicklungsschub, der uns nachhaltig prägt, kommt mit der Pubertät. Hier kochen häufig die Themen der frühen Kindheit noch einmal hoch. Besagte Risse im Fundament zeigen sich nun deutlich, und gleichzeitig steht die Entwicklung nicht still. Wir wachsen und reifen. Wir bilden Wände und Stützpfeiler im ersten Stock. Sie müssen stabil sein, damit weitere Stockwerke aufgebaut werden können und das Haus schließlich ein Dach bekommt.

Weil wir eine gute Verarbeitung der Pubertätsjahre brauchen, damit wir irgendwann gern erwachsen sind (siehe dazu auch das Kapitel Adulting – Gern erwachsen sein ab >) und gegebenenfalls unsere eigenen Kinder gelassen durch ihre Pubertät begleiten können, ist diese Entwicklungsphase also wirklich so wichtig für die Persönlichkeit wie eine tragende Wand in einem Haus. In den Jugendjahren stellen wir die Weichen für unser weiteres Leben und sind mit einem ganz zentralen Lebensthema konfrontiert: unserer Identität.6 Wir fragen uns: »Wer bin ich? Und was macht mich aus?« Im besten Fall sind wir NACH der Pubertät im guten Sinn erwachsen und wissen wir, wer wir sind. Jedoch ist der Weg zu einer gefestigten Identität turbulent. Kaum jemand übersteht ihn glatt und ohne Blessuren. Deshalb wird in der Entwicklungspsychologie die Adoleszenz, das Erwachsenwerden, als vulnerable Phase bezeichnet. Vulnerabel heißt verletzlich. Ja, wir sind in der Pubertät verletzlich und ziehen uns unvermeidlich die eine oder andere Beule zu. Und das selbst dann, wenn wir eine schöne Kindheit hatten.

Als Psychologin spüre ich mit meinen Klient*innen, aber auch mit den Teilnehmer*innen meiner Trainings mithilfe von Übungen oder auch im Gespräch solche biografische Prägungen auf. Sehr oft reisen wir dabei in die Kindheit. Gar nicht selten berichten Klient*innen davon, dass sie sich alles in allem an eine sonnige Kindheit erinnern, die Jugendjahre aber viel finsterer aussehen. Sie sehen dort die Ursprünge für Wunden und Kränkungen, die sie bis heute belasten. Das mag manchmal übertrieben sein, denn wir alle haben eine Tendenz, in der Rückblende die Kindheit zu verklären, und an unsere Jugendjahre können wir uns einfach besser erinnern. Unser autobiografisches Gedächtnis, das Erinnern der eigenen Geschichte, setzt erst mit etwa drei bis vier Jahren ein. Und die Lebensphase zwischen zehn und vierundzwanzig ist, wie gesagt, besonders nachhaltig in unserem Gedächtnis verankert.7

Wenn die Zeit des Umbruchs der Jugendjahre vorbei ist, hat eine umfassende Transformation stattgefunden: Unser Hirn, unser Körper, unser Ich und unsere Beziehungen – alles wurde umgebaut. Deshalb lohnt es sich, einen Blick auf diesen Umbau zu werfen.