Ariane Koch / Joël László
Zukunft Europa
Fünf Kurzstücke
FELIX BLOCH ERBEN
Verlag für Bühne, Film und Funk
Inhaltsverzeichnis
Title Page
Costa Concordia. Mare nostrum
Ich bin das Tier mit dem Fell
Reykjavik–Pinakothek
Enzyklopädie des Verschwindens
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Über die Autoren
Über die Kurzstücke
Impressum
Ein Stück von Ariane Koch
Ein paar Menschen machen eine Reise mit dem Schiff. Im Gepäck ein Stier. Dort, wo sie herkommen, können sie nicht zurück. Sie suchen ein neues Zuhause, einen neuen Kontinent, irgendwo muss doch noch einer rumschwimmen. Es herrschen Unwetter, Wasser- und Nahrungsknappheit, also unmenschliche Bedingungen, außerdem wird der Stier langsam unheimlich. Ü, ö und ä sind der dritten oder vierten Lautverschiebung zum Opfer gefallen. Dazwischen immer mal wieder das Tageshoroskop.
Zehn kleine – fuhren ins Meer hinein
Einer blieb am Strand zuruck, da warens nur noch neun
Neun kleine – luden auf sich Fracht
Der eine war drunter eingeklemmt, da warens nur noch acht
Acht kleine – wollten sich verlieben
Der eine kusste einen Fisch, da warens nur noch sieben
Sieben kleine – assen einen Keks
Der eine war verschimmelt schon, da blieben nur noch sechs
Sechs kleine – irrten umher im Sumpf
Der eine grad versank darin, da warens nur noch funf
Funf kleine – futterten den Stier
Der eine fiel hinein ins Maul, da warens nur noch vier
Vier kleine – schlugen sich zu Brei
Der eine uberlebte nicht, da warens nur noch drei
Drei kleine – wollten mal sein frei
Einer hupfte sodann ins Meer, da blieben nur noch zwei
Zwei kleine – hatten keine Dollarscheine
Der eine wurd sofort verkauft, da blieb nur noch der eine
Ein kleiner – wusst nicht wohin gehen
Er segelte ins Meer hinein und wurd nie mehr gesehen
Prolog
Mars und Saturn machen Ihren heutigen Tag zur Holle. Am besten Sie bleiben einfach zuhause.
Man fahrt mit einem Schiff
Und es schaukelt
Welle fur Welle
Wie verruckt
Kein Mensch weiss
Ob man jemals ankommt
Man ist gefluchtet
Und hoffet still
Dass irgendwo
Auf dieser Welt
Ein Platzchen frei ist
Wo man sich niederlasst
Und sich ein Bier gonnt
Das ist ein Matrosenlied
Wir singen es so laut wir konnen
Es trostet gegen Wind und Wetter
Es halt die Eisberge fern
Und die Eisbaren
Wo sind wir hier eigentlich
Wisst ihr noch
Als wir sind aufgehupft
Im letzten Moment
Auf diesen Schlepper
Der angeblich schwimmt nach archimedischem Prinzip
Dass ich nicht lache
Dass ich nicht grole
Wie eine Schar Mowen
Wo doch hier jeder weiss
Dass der kleinste Fels
Bringt den Oltanker zum Erliegen
Einige haben gebrullt und gestampft
Die es nicht mehr geschafft haben
An Bord
Sondern sind zuruckgeblieben
Im Zerfall Hundertdreiundfunfzig
Mehr hatten keinen Platz
Wir haben uns moglicherweise verirrt
Wir sind moglicherweise verloren
Wen sollen wir nun zuerst essen
Die Hunde oder die Sklaven
War nur ein Scherz
Naturlich haben wir keine Sklaven
Gelachter
Der osterreichische Matrose hebt sein Glas
Und prostet uns zu
Ist der bescheuert
Oder was
Ach Tragodie Tragodie
Nein wir haben sonst keine Tiere an Bord
Wir sind hier nicht die verdammte Arche Noah
Die Hunde haben wir langst gegessen
Klagelieder singen wir
Solange bis uns jemand Rettungsboote zukommen lasst
Bitte
Kolumbus
Denken Sie an Ihre Vorbilder. Wie hatten diese eine schwierige Situation gemeistert?
Und fraglich ist
Wonach wird gesucht
Mit diesem Schaukelschiff
Dass einen macht ganz seekrank
Sodass man sich ubergeben muss In eine Kotzetute
Wir suchen einen neuen Kontinent
Das ist doch selbstverstandlich
Oder sah der Alte etwa so aus
Als konne man da noch hausen
Irgendwo muss doch noch ein Platzchen frei sein
Fur uns Wenigen
So viele sind wir namlich nicht Wenn man mal zahlt
Weisst du noch 1492
Da hat einer Amerika entdeckt
Es ist also nicht unmoglich
Dass auch wir finden ein neues Land
Das wir konnen neu besiedeln
Und ein frohliches Leben fuhren
Jedenfalls segeln wir auf Kurs
Was auch immer das bedeutet
Denn eigentlich haben wir keinen Kurs
Wir suchen ja nur ganz schuchtern
Nach einem neuen genugsamen Heim
Was tragst du uns hier vor
Und schwafelst ohne End
Hier gibts ein Boot zu lenken
Hier gibt es Leben zu retten
Oder siehst du hier irgendwo nen Kapitan
Die Vorrate werden langsam durftig
Und einer guckt hungriger als der Nachste’
Ab jetzt wird rationiert
Finger weg Rumane
Finger weg Englander
Wir tumpeln hier noch ewig
Kommt Manner
Wir hissen mal die Flagge
Welche Flagge du Blodian
Ist das hier eigentlich ein Schiff
Oder eher ein Irrenhaus
Aber eigentlich ists mir funferlei
Stier
Der Stier weiss, was er will. Er ist stur, aber diskutierfreudig.
Hier stinkt es irgendwie nach Pferd
Doch nicht nach Pferd nach Stier naturlich
Ein Geschopf das riecht halt
Was will man machen
Und ein Stierentier erst recht
Ja reitets euch der Teufel
Den Ubeltater an Bord zu nehmen
Mir lauft es kalt den Rucken hinab
Den schmeiss ich eigenhandig von der Reling
Wenn ihrs nicht macht
Ihr Hubis
Nicht irgendein Stier
Ein Schneeweisser ist
Mit den schonsten Hornern
Die je ein Mensch gesehen
Klar man konnt ihm mal ein Opfer bringen
Oder zwei
Damit er ist besanftigt
Und trotzdem
Ein Gehornter an Boot
Wie soll das Gluck bringen
Wie sollen wir das uberleben
Und dann brullt er immer so
Als war er brunftig
Der Stier das damliche Saugetier
Wann essen wir das endlich
Oder warum tut ihr so
Als war es gottlich
Das konnen wir nicht essen
Das ist alles was wir habe
Wenn wir es toten
Werden wir versinken
In schaumenden Wellen fur immer
Staub
Lassen Sie die Vergangenheit ruhen. Sie brauchen dringend einen Neuanfang.
Es war ja nicht so
Dass der alte Ort uns nicht mehr hatte begluckt
Er hat uns sogar sehr behagt
Aber die Erde war so staubig
Dass alles fing standig Feuer
Als triebe der Teufel sein Unwesen
Wir kommen her aus einem schonen Land
Das nun keins mehr ist
Und nie mehr eins sein wird
Ausser man setzt die Brosmelchen
Millionen an der Zahl
Prazise wieder zusammen
Ganz unglucklich wird man
Wenn man zuruckdenkt
An das flachgedruckte Gehaus
Ich wunscht ich war ein Fisch
Der niedertaucht ins dunkle Gewasser
Der treibt im welligen Blau
Und friedlich frisst die Algen und anderes Gewachs
Was machst du fur eine Tragodie
Wo du doch weisst
Dass der Mensch ist im Allgemeinen
Nur zu Gast auf dieser Welt
Schon wars man war ein Gast
Ein Verdrangter ist man
Gefluchtet aus dem eigenen Haus
Weil man sich hat gefurchtet
Vor den Flammen
Und Hornern
Die haben aufgespiesst
Sogar die Huhner
Stadte vergluhen
In Feuer und Lava
Stadte losen sich auf
Werden zertrampelt
Von starken Hufen
Denen niemand standhalt
So wars schon immer
Lastiges Herdentier
Ist gesprengt aus jeder Eck
Das Militar der Gotter
Das sie gezuchtet
Mit dem sie sich ausgerustet
Um zu flachen das Land
Und man ist gestanden vor den Hutten
Unfahig und wie gelahmt
Gewatet durch Sand
Der hat knochelhoch
Zugedeckt die Strassen
Und das Wuten setzte sich fort
Jede Windboe brachte neuen Sand
Und etliche Leiber blieben flachgedruckt
Am Boden liegen
Weil die Herde war uber sie druber gerannt
Oh diese erbarmlichen Rauber
Wenn ich sie nur hatt gekonnt erwurgen
Die Halse umdrehen
Und Locher in ihre Kopfe schlagen
Aber man hat sich lediglich genommen ein Schiff
Und sich aus dem Staub gemacht
Ists denn so wichtig
Wer und wie hat niedergemaht das Gemauer
Ists denn so wichtig
Wer und wie hat alles zertrummert
Der Mensch wars
Oder dessen Gotter
Wer denn sonst
Wie schauts dort aus
Wo wir ankern werden
Wenn wir jemals ankern werden
Wuste oder Wald
Stadt oder Land
Schwul oder kuhl
Und fahren wir nach Nord oder Sud
Oder im Kreis
Wer wird uns empfangen am neuen Ort
Werden sie uns mogen
Werden sie uns verschmahen
Werden sie mit uns tanzen
Und ist da uberhaupt noch wer
Auf dieser Erd
Ich traume von einer Inselkette mit Strand
Wo warmer Sand unter den Fussen knirscht
Wo Palmen die Kusten zaunen und zieren
Wo Menschen auf Badetuchern sich braunen
Leider sehen wir nur Welle um Welle
Gischt um Gischt
Graues Gewolk
Schwaden hangen am Horizont
Und hassliche Rochen schwimmen unter der Wasseroberflache
Warum nicht wenigstens Delfine
Langeweile
Sie lieben den sicheren Hafen. Dennoch sollten Sie heute Abwechslung suchen, sonst fallt Ihnen die Decke auf den Kopf.
Immer die gleiche Ode
Tag fur Tag
Nacht fur Nacht
Und die Zeit verschwimmt
Es ist uns gleichgultig welche Stunde es schlagt
Es schlagt ja uberhaupts nichts
Oder siehst du hier irgendwo einen Glockenturm
Wir sind alle wie Ol und Wasser
Vollig verschieden
Wenn noch einmal diese bescheuerte Durchsage kommt
Dann dreh ich durch
Man kann nur hoffen
Wir fangen die eine oder andere Schildkrote
Eine Amsel hupft auf den Steinen hin und her
Ahnlich einem Kanguru
Wenn der See jeden Tag da ist
Kann man ihn irgendwann nicht mehr sehen
Weil seine Anwesenheit irgendwie entfallt
Mann uber Bord
Schon wieder
Ja was will man machen
Lassen wir ihn ziehen
Hunger
Ihre Energie ist im Keller. Gehen Sie an die Sonne, gonnen Sie sich eine kleine Auszeit und tanken Sie wieder auf.
Kommt wir essen den Stier
Den saftigen
Den kraftigen
Kommt wir braten den Stier uber dem Feuer
Verbrannte Horner
Das mag ich
Ja spinnst du denn
Ja bist du denn verruckt
Das Orakel braten wollen
Uber dem Feuer
Wodurch wir sterben wurden
Und zwar auf der Stell
Stier o Stier
Ich frage ihn nach dem Zukunftigen
Er schnaubt funfmal
Sodass es dampft aus seinen Nustern
Mehr nicht
Was soll das nur ausdrucken
Und da frage ich
Wie lange noch
Wir schaukeln sollen
Wie lange noch
Wir hungern sollen
Und er senkt nur den Schadel zum Heu
Und frisst
Als gabs nichts anderes zu tun
Ich verneige mich
So tief es geht
Und bringe hervor
Mein Argernis
Er peitscht den Schwanz
Gegen den Segelmast
Na dann ist alles klar
Wir sind verloren
Insel
Heute will Ihnen aber auch gar nichts gelingen. Am besten Sie versuchen es gar nicht erst!
Ist das eine Kuste
Oder werd ich verruckt
Tauschen mich die Augen
Oder ist das ein Land
Und wenn wir sinken
Und wenn wir kentern
So werden wir ertrinken
Sofern es gibt keine Kustenwach
Wir werden bleiben immer ein Wir
Sodass man sich nicht muss gramen
Wenn einer uns aus dem Wasser zieht
Und wir sind mausetot
Wir bleiben immer eine Zahl
Ganz unpersonlich und grob
Als ware es eine lacherliche Angelegenheit
Von einem truben Buro
Weisst du wie es ist
Wenn man ertrinkt im Meer
Wenn Wasser die Lungen fullt
Und das Herz schlagt ganz wie wild
Und trotzdem senkt der Korper
Sich immer tiefer hinab
Bis das Gehirn sagt
Nein danke
Ihr konnt mich alle mal
Ich bin keine Zahl
Ich bin nicht ein Wir
Ich kauere auf dem Floss
In einem aufblasbaren
Pfutzen zu meinen Fussen
Zuhause gibt es keines mehr
Zuruck das gibt es nimmer
Vorwarts muss es gehen
Wenn man will uberleben
Ihr Arschlocher
Findets denn keiner bitter
Wenns mich an die Kuste spult
Ganz aufgeblaht und weisslich
Als war ich nicht von dieser Welt
Ich bin von dieser Welt
Das schwor ich
Zwar auch nur Gast
Wie jeder andere
Doch ein Recht zu bleiben
Hab ich furwahr
Oder kannst du mir begrunden
Das Gegenteil
Ich hab einen Namen
Und fruher ein Haus
Ich bin kein Gesetz
Dessen Paragraphen salopp man andert
Als war ich ein Ding
Mit dem man nur handelt
Die Mauern an der Kust sind hoch
So hoch dass man kaum druberschaut
Dabei weiss ich dass dahinter ist
Alles andere als ein Paradies
Ich klettere die Wande hoch
Und fall oft wieder runter
Ists Verrat wenn ich mach aus Ungluck Poesie
Doch es singt sonst keiner druber
Ich wunscht es hat ein End
Sind das dort die Faroer-Inseln
Titanic
Erfreuen Sie sich an einem guten Essen, das warmt Ihr Herz und lasst Sie in neuem Glanz erstrahlen.
In meiner Schiffskabine
Sing ich noch ein Lied
Ein Letztes
Bevor der Eisberg kommt
Und der kommt bestimmt
Wollen wir uns vergnugen
Zum Beispiel im Tanzsaal
Zum Beispiel im Gourmet-Shop
Zum Beispiel im Casino
Klippernde Munzen im Sack Wasser und Gel
Beides sollte sein moglichst flussig
Und kleine Happchen
Und weitere Kostlichkeiten
Sind zum Verspeis aufgedeckt
Meeresfruchte Tartar au Boeuf
Und Mousse au Chocolat
Zergehen auf der Zunge
Du Boeuf du Boeuf
Mich zerreisst es fast
Wenn ich uberlege
Das saftige Stuck Fleisch
Wie es mich anlacheln wurde
Wahrend es trieft vor Fett
Hor auf sofort
Sonst sturz ich mich ins Meer
So sehr hab ich Geluste
Auf den hier beschriebenen Braten
Teufel