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Gegen Mächte und Gewalten

Die alten und neuen Feinde der katholischen Kirche

 

 

 

Hilaire Bellocs

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Impressum

 

Bibliographische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek, abrufbar unter

http://dnb.ddb.de

 

Buchgestaltung und Satz: Marcel Hagmann, www.keilergrafik.de

 

Belloc, Hilaire

Gegen Mächte und Gewalten: Die alten und neuen Feinde der katholischen Kirche

248 Seiten, Bad Schmiedeberg 2020

 

1. Auflage 2020

 

Originaltitel: Survivals and New Arrivals: Old and New Enemies of the Catholic Church

 

© Renovamen-Verlag, Bad Schmiedeberg 2020, für die deutsche Ausgabe

www.renovamen-verlag.de

 

Aus dem Englischen übersetzt von Philipp Liehs und Julian Voth

 

ISBN 978-3-95621-144-7

Inhalt

 

Eine Einführung in Hilaire ­Bellocs Gegen Mächte und Gewalten

EINLEITUNG

KAPITEL I: Die zwei Kulturen

KAPITEL II: Alte Feinde

KAPITEL III: Die Hauptopposition

KAPITEL IV: Neue Feinde

KAPITEL V: Die Chance

 

Eine Einführung in Hilaire ­Bellocs

Gegen Mächte und Gewalten

 

»Je mehr man sich bemüht, die eigentliche Ursache zu erkennen, die eine Gruppe von Menschen ihrem Wesen nach bestimmt, desto eher wird erkennbar, dass diese in ihrer Sicht auf die Letzten Dinge [Tod, Gericht, Himmel, Hölle] besteht: ihrer Vorstellung von der Endbestimmung des Menschen. Selbst dann, wenn ein bestimmtes Glaubenssystem seine Lebenskraft verloren hat und man ihm gleichgültig gegenübersteht, so hinterlässt es doch einen tiefen Einfluss auf das Wesen einer Gesell­schaft.« (Aus Hilaire ­Bellocs eigener Einleitung zu diesem Buch.)

Hilaire ­Belloc widmete dieses Buch 1929 seiner geliebten Tochter Eleanor. Für sie und für uns alle legt er uns einige seiner langgehegten und noch immer erhellenden Gedanken zu den stets neuen Schlachten schriftlich nieder, die die katholische Kirche zu schlagen hat. In diesem Buch mit dem Originaltitel Survivals und New Arrivals befasst ­Belloc sich mit den alten und neuen Feinden der katholischen Kirche und des Glaubens.

So merkte er beispielsweise einmal kritisch an, dass Europa (ab 1929) ein anderes gewesen wäre, wenn das anfangs weitverbreitete Problem der arianischen Lehre – zusammen mit seinen militant-häretischen, sozialen und politischen Bestrebungen (insbesondere innerhalb der arianisch geprägten gotisch-römischen Armee) – den europäischen Kontinent weiter durchdrungen und letztlich gesiegt hätte. Europa hätte seine selbstbewusste und gefestigte religiöse Kultur bewahrt, jedoch geprägt von Werten, die denen des Mohammedanismus näherstünden als denen des orthodoxen Christentums. Denn sowohl der Arianismus als auch der Islam leugnen die Menschwerdung Gottes und die Göttlichkeit der Person Jesu Christi. Dies ist ein Teilbereich der ununterbrochenen Abfolge von Kämpfen der katholischen Kirche, die sich zur Trinitätslehre bekennt. Es ist dies jedoch auch ein wichtiges Beispiel, das uns, wie Hilaire ­­Belloc empfiehlt, immer gegenwärtig sein sollte.

Und obwohl ­­Belloc seine Überlegungen erstmalig schon 1929 – während der Erstehung der Weltwirtschafts­krise – veröffentlichte, erweist sich sein Buch noch immer als eine scharfsinnige Darstellung dessen, was damals aller Voraussicht nach bald über Europa hereinbrechen und sich auch anderenorts ausbreiten sollte. Außerdem war das Buch eine Vorarbeit, die auf seine herausragende Studie Die großen Häresien, die 1938 kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erschien, abgestimmt war. Vorliegende kurze Hinführung zu Gegen Mächte und Gewalten will zunächst die von ­­Belloc gewählten Deutungskategorien einer »Untersuchung der Kampfphasen« gegen den katholischen Glauben und die katholische Kirche vorstellen. Diese ist eine hierarchisch gegliederte Institution göttlichen Ursprungs, übernatürlich-­gnadenhaft ausgestattet mit sieben Sakramenten. Danach wollen wir uns einer näheren Betrachtung des Beispiels eines ständigen »Hauptfeindes« der Kirche im Jahre 1929 zuwenden, nämlich dem sogenannten »Geist der Moderne«. Dieses widrige, sumpfartige Phänomen zeichnet sich durch »Stolz, Ignoranz und intellektuelle Trägheit« aus; sein Markenzeichen besteht in einer vielfach flachsinningen, jeder rationalen Begründung entbehrenden Berufung auf Autoritäten.

Wir hoffen, andere zur aufmerksamen Lektüre (und Würdigung) dieses brillanten Buchs anregen zu können. Es handelt sich um ein großzügiges, vorurteilsfreies Buch – das, mit gewissen Abänderungen, auch auf andere historische Institutionen und Religionen wie den Calvinismus und den Islam oder sogar den vermeintlich aufgeklärten Naturalismus und die gnostische »Gesellschaft der Freimaurerei«, die sich »nach Art einer Armee gegen die Kirche formiert hat«, mit Nutzen angewandt werden kann. Schon zu Beginn des Buches bemerkt ­Belloc zur Kirchengeschichte und den fortwährenden Kämpfen gegen verschiedene Feinde außerhalb – und innerhalb – der katholischen Kirche ohne Umschweife:

»Für unsere Zeit von besonderem Interesse und bisher kaum versucht [in der kirchlichen Forschung] ist jedoch eine Untersuchung der Kampfphasen.«

Danach legt ­Belloc klare Kriterien und ein Urteil erleichternde Maßstäbe vor, und zwar geschieht dies in scharfsinniger Weise durch miteinander verknüpfte und in Wechselbeziehung stehende Fragen. Zum Beispiel: »Welche Angriffe geraten allmählich aus der Mode? Welche neuen Offensiven sind auszumachen, und aus welcher Richtung kommen sie? Worin bestehen derzeit die hauptsächlichen Anfeindungen?« Eine weitere, von ­Belloc gestellte Frage lautet, welche Bedeutung jedem Angriff zukomme und wie man ihm jeweils wirksam begegnen und ihn zurückweisen könne. Hier zeigt er bereits den strategischen Geist, in dem er der Lage zu begegnen beabsichtigt.

Sein Ansatz, die Angriffe nach der Abfolge ihres Auftretens zu registrieren, ist von besonderer Wichtigkeit, denn die »Lage der Kirche zu einem beliebigen Zeitpunkt« kann nur dann richtig eingeschätzt werden, wenn man beachtet, »welche Angriffsformen scheitern und aus welchem Grunde; welches Maß an Widerstand […] den vorderhand noch starken Feinden entgegenzusetzen [ist]; welche neuen Angriffsformen […] festzustellen [sind]«.

­Belloc nähert sich behutsam der zunächst verborgenen, wenngleich klaren Struktur seines Buches, indem er er­gänzende Fragen bezüglich der Kirche im Lichte ihres einzigartigen Charakters vorlegt. Nachdem er den »Charakter der Welt« und die »Situation des Glaubens« geschildert hat, wird man zum Beispiel fragen: »Wer sind gegenwärtig seine Feinde?« und »Was steht ihm als Hindernis entgegen?«

Um ein realistisches Bild der Lage der Kirche zu gewinnen, erklärt ­Belloc, von welcher Wichtigkeit es ist, den Aufstieg und den Niedergang derjenigen Kräfte zu analysieren, die ihr in diesem Moment feindlich gegenüberstehen, um »den Verlauf des Kampfes für jeden einzelnen Zeitpunkt richtig einzuschätzen«.

Hilaire ­Belloc beschreibt an dieser Stelle drei verschiedene Gruppierungen, die sich gegen die Kirche opponieren. Es wird hilfreich sein, diese drei Gruppen so zu verstehen, wie er sie in seinen eigenen, zusammenfassenden Worten präsentiert. Die Gruppe, die sich jeweils besonders hervortut, bezeichnet er als »Hauptgegner«. Hier unterscheidet er zwischen »altbekannten Angriffsformen« einerseits wie der frühmittelalterlichen Gefahr einer »rationalisierenden Bewegung im Inneren, die sich gegen die sakramentalen Mysterien und später gegen die Hierarchie wandte«, die ­Belloc »Überbleibsel« oder »alten ­Feinde« nennt, sowie die »neue Formen des Angriffs, die auf dem Kampfplatz eben erst zu sichten sind« andererseits, die der Autor »Neuankömmlinge« oder »neue Feinde« nennt.

Nachdem er viele Beispiele früher Hauptgegner anführt – so etwa die »heidnischen Piraten des Nordens und die Mongolen­horden aus dem Osten« sowie die martialischen Bestrebungen der Arianer und später der Mohammedaner –‍, charakterisiert ­Belloc die »Überbleibsel« als Elemente, die »den ununterbrochenen, aber stets gefährdeten Sieg des Glaubens durch ihr Scheitern und ihren allmählichen Rückzug aus dem Kampf« veranschaulichen. Ihre Niederlage zeigt uns nach Meinung des Autors, wo ihre Schwächen lagen.

Die »Neuankömmlinge« jedoch verdeutlichten die Wahrheit, »wonach die Kirche niemals in Frieden leben kann; ihre richtige Einschätzung ermöglicht es uns in einem bestimmten Maße, eine Prognose künftiger Probleme anzustellen«.

Hilaire ­Belloc – der selbst als junger Mann in Frankreich im Felde stand und der sich später im Bereich der Militär­geschichte hervortun sollte – stellt einmal mehr seinen strategischen und klaren Geist unter Beweis, wenn er schreibt, durch die alten und neuen Feinde ließe sich das Wesen des Hauptkonfliktes besser einschätzen, und nur eine Gesamtschau aller drei Hauptgegner erlaube eine Beurteilung der gesamten Lage. »Eine solche Betrachtungsweise«, so der Autor, »ist daher für ein umfassendes Verständnis unseres Zeit­alters unabdingbar.«

Eine sorgfältige Lektüre seiner vorangehenden historischen Analysen – voll spezifischer Details und anschaulicher Bei­spiele – bereitet uns darauf vor, die Nuancen des wichtigen Abschnitts über den »modernen Geist«, das dritte Element der Hauptopposition (im Jahr 1929) nach den markanten Phänomenen des Nationalismus (einschließlich der strategisch bedingten internationalen Beständigkeit des jüdischen Nationalis­mus) und des Antiklerikalismus (in den Fällen Frankreichs, Portugals, Spaniens und Mexikos im frühen 20. Jahrhundert), entsprechend zu würdigen.

Er fragt zum Beispiel: »Können wir sagen, dass bereits Kräfte zu erkennen sind, die auf seinen Niedergang [den des National­ismus] abzielen?« Er antwortet darauf, indem er sagt, dass es neben der katholischen Kirche zwei große internationale Kräfte gebe, die (im Jahr 1929) bereits deutlich erkennbar seien: »Die eine ist die der Finanzmacht, die andere die des proletarischen Protestes gegen den Kapitalismus.« Für ­Belloc bewirkten diese beiden Kräfte, die er auch »die internationale Hochfinanz« und den »internationale[n] Sozialismus« nennt, »die Auflösung jener Religion des Nationalismus, die vor dem Großen Kriege allumfassend war«. Diese Kräfte agierten in der Propaganda der »großen Zeitungen« auf oftmals »unerwartete und drastische Weise«. Unser Autor erwähnt beispielsweise, dass man bei der Aufhebung einer Ordensgemeinschaft die Gelegenheit erhalte, ihren Besitz zu plündern. Diese Art von Plünderung findet in seinen Augen im »oligarchischen parlamentarischen System (das merkwürdigerweise als «Demokratie» bezeichnet wird!)« statt, in dem »das Raubgut in die Taschen der Politiker, Anwälte und deren Hintermänner« wandere. Wenden wir uns jetzt seinen Überlegungen, die sich auf den hypothetischen »modernen Geist« beziehen, zu dem man sich mitunter bekennt, zu. »Der dritte und eindrucksvollste Gegner aus den Reihen der Hauptopposition gegen den Glauben ist das, was ich mit seinem selbstgewählten und vollkommen irreführenden Etikett bezeichnen werde: ›Der moderne Geist‹.« An dieser Stelle ist ein längeres Zitat angebracht, insbesondere, da wir es allem Anschein nach auch in der Gegenwart noch mit diesem modernen Geist zu tun haben:

Wir sehen, dass er ausschließlich negativ vorgeht. Es handelt sich nicht um einen Angriff, sondern einen Widerstand. Er bemüht sich weder, wie der Antiklerikalismus, einen aktiven Kampf gegen die Religion zu führen, noch ersetzt er sie mit einer starken gegenläufigen Emotion mit einer Tendenz, die Religion zu beseitigen. Vielmehr macht der moderne Geist die Religion [und damit auch den Glauben der katholischen Kirche] unverständlich. Seine Wirkung auf die Religion ist der Wirkung eines Opiats auf die Verstandeskraft vergleichbar. Er stumpft die Wahrnehmungsfähigkeit ab und blockiert den Glaubenszugang. Daher seine Macht.

Diese beeindruckende Beschreibung ließe sich auch durchaus auf unsere gegenwärtige Situation im Westen anwenden.

Bei der nochmaligen Erörterung der schwächer werdenden Bedeutung des dritten und letzten Elements der Hauptopposition des Glaubens zur damaligen Zeit bemerkt ­Belloc, es sei in »keiner anderen Zeit als der unsrigen« bekannt gewesen. Diese »dem Glauben entgegenwirkende Befindlichkeit« habe folglich keinen angemessenen Namen, aber die Bezeichnung »moderner Geist« sei diejenige, die »seine Opfer selbst verwenden«.

­Belloc warnt uns außerdem: »Er zeigt jedoch überall den gleichen Charakter und so weit sein Einfluss reicht, erfüllt er diejenigen, die sich mit seinem erschreckenden Unvermögen auseinanderzusetzen versuchen, mit Verzweiflung.«

Bald nachdem er die Schwierigkeit einer klaren Definition dargelegt hat, schickt sich ­Belloc an, den Charakter zu analysieren, der dem »modernen Geist« sein eigentümliches Gepräge gibt, während er die Untersuchung der »Ursache dieser so abstoßenden philosophischen Krankheit, der jetzt so viele anheimfallen« zunächst hintanstellt. Der moderne Geist, so der Autor, setze sich aus drei Bestandteilen zusammen, die durch die Kraft eines einzigen Prinzips zusammengehalten würden: »Diese drei Hauptbestandteile sind Stolz, Ignoranz und intellektuelle Trägheit. Ihr einendes Band ist die blinde Akzeptanz einer Autorität, die nicht vernunftgemäß begründet ist.«

Also beschreibt ­Belloc den modernen Geist in einem bestimmten Sinne als einen schwachen Geist, als einen Geist, der nicht im Glauben verwurzelt ist – und der daher stark und unabhängig wäre –‍, sondern träge, blind und obrigkeitshörig sei. Indes zeigt ­Belloc auch seine Großherzigkeit und einen Sinn für Pathos, wenn er hinzufügt, dass »[b]ei den meisten Betroffenen […] weniger eine Mischung dieser Defekte als bloße Angleichung an eine Mode« vorliege. Die genannten Defekte lägen jedoch dem fraglichen Denkprozess zugrunde.

­Belloc beschreibt sehr treffend das den modernen Geist auszeichnende Prinzip, eine nicht auf Vernunftgründen beruhende Autorität blind zu akzeptieren, und stellt fest, dass dieses das ganze Elend durchziehe und verdichte: »Mode, Presse und die blinde Wiedergabe sind die Führer, denen unterwürfig gehorcht und vertraut wird.«

Wie sehr sind wir auch heute damit konfrontiert, dass der moderne Mensch Mode, Presse und blinder Wiedergabe folgt?

Eine charakteristische und geeignete Auswahl aus ­Bellocs Beispielen und Leitfragen wird uns eine Verständnishilfe für das »furchtbare Chaos des ›modernen Geistes‹« bieten. ­Belloc spricht hier vom modernen Geist als Sumpf. Die große Schwierigkeit bei der Beschäftigung mit ihm bestehe, gleichviel, ob man Katholik oder Skeptizist sei, darin, »dass er nicht greifbar ist. Es ist so, als kämpfe man gegen Qualm an«. Unser Autor beschreibt die Qualen, die man hier auszustehen hat:

Wie geht man mit jemandem um, dessen Argumentation sich ständig im Zirkel bewegt? […] Wie geht man mit jemandem um, der seine eigenen ersten Prinzipien nicht erkennt? […] Wie geht man mit jemandem um, der das gleiche Wort in derselben Diskussion in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet? […] Wie geht man mit jemandem um, der als Grundlage einer Diskussion vorausschickt, dass die mensch­liche Vernunft [logos] keine Richtschnur sei und dann über hunderte von Seiten auf dieser Basis seine Schlüsse zieht?

An dieser Stelle mag ein Kommentar mit Blick auf unsere gegen­wärtige Situation in der katholischen Kirche am Platze sein. Rufen diese Bemerkungen und zielgerichteten Fragen nicht ambivalente Wortmeldungen, die man gegenwärtig aus dem Vatikan vernimmt, ins Gedächtnis? Vielleicht denken wir jetzt auch an das fortwährende Wortgeplänkel langatmiger offizieller Schriftstücke, die teilweise ihren Ursprung den vielen und zwielichtigen Bischofskonferenzen mit ihren geschwätzigen Reden verdanken, und an die zuweilen anspruchslosen Predigten kirchlich Hochgestellter, nicht zuletzt einhergehend mit Presseinterviews, die progressistische, gelegentlich auch nach Ausflüchten suchende Prälaten geben? Erinnern wir uns hier nicht auch ihrer rabulistischen Parteigänger samt deren penetrant lautstarken Unterstützern aus dem Laienstand, die Neuerungen unterstützen und sich gegen altbewährte Tradition wenden?

Jedenfalls ruft ­Belloc uns ins Gedächtnis, dass »die unhinterfragte Akzeptanz einer solchen Autorität, kraft derer sie, wie wir sagten, ›blinden Glauben‹ findet, der ›von der Vernunft getrennt‹ ist – was besonders für das Gebiet der Druckerzeugnisse gilt«, das Hauptkennzeichen des modernen Geistes ist.

Haben sich die meisten modernen Menschen des Westens, die ihren christlichen Glauben und ihre christliche Kultur weitgehend abgelegt haben, etwa nicht durch Diskussionsrunden, Zeitungsartikel oder andere Medienprodukte davon überzeugen lassen, dass es keinen Gott gäbe und die Kirche lediglich ein Instrument der Unterdrückung und Einschüchterung wäre? Wie viele von ihnen unterziehen diese autoritären Erklärungen, denen sie blindlings gefolgt sind, einer kritischen Sichtung – vor allem in Anbetracht des nahezu vollständigen Verfalls auf sittlichem, geistlichem, demographischem und sogar auf intellektuellem und künstlerischem Gebiet?

In diesem Zusammenhang tut man gut ­daran, sich ­­daran zu erinnern, dass ­Belloc uns hier lehrt, unseren Verstand zu nutzen, wenn er davon spricht, die »Unterscheidungsfähigkeit, d. h. die Klarheit des analytischen Denkens« zu nutzen – im Gegensatz zu den »Erhaltungsmitteln« und »schlechten Früchten« des modernen Geistes. Er setzt voraus, dass dieser Gegensatz dem Verstand Klarheit verschafft, und fügt hinzu: »Der Blick in unsere Umwelt zeigt uns deren Unfähigkeit, stringent zu argu­mentieren, ihren Unwillen gegenüber exakten Definitionen, ihre Aversion gegen sachbezogene Auseinandersetzungen (die Mutter aller Wahrheit) und die Unbeschwertheit, mit der bloße Behauptungen aufgestellt werden.«

Zu Beginn seines durchdringenden, freimütigen und ermutigenden Buches möchte Hilaire ­Belloc uns vorab dazu an­halten, etwas Wichtiges und Entscheidendes im Gedächtnis zu behalten und das vorgelegte Kriterium in unseren Herzen und in unseren bleibenden Überzeugungen zu bewahren – und hier kehren wir an den Anfang unserer Darlegungen zurück: »Je mehr man sich bemüht, die eigentliche Ursache zu erkennen, die eine Gruppe von Menschen ihrem Wesen nach bestimmt, desto eher wird erkennbar, dass diese in ihrer Sicht auf die Letzten Dinge [Tod, Gericht, Himmel, Hölle] besteht: ihrer Vorstellung von der Endbestimmung des Menschen.«

Alle modernen Menschen müssen dem Ende und der Bestimmung ihres Lebens ins Gesicht schauen. Niemand kann dieser unausweichlichen Realität des Lebens entfliehen.

Davon abgesehen weist Hilaire ­Belloc auch auf den »tiefen Einfluss« hin, den ein bestimmtes Glaubenssystem auf eine Gesell­schaft hinterlässt, auch wenn es seine Lebenskraft verloren hat, wie zum Beispiel die ehemalige katholische oder die protestantische Christenheit. Er vergleicht die »beiden gegensätzlichen religiösen Kulturen des Westens«, nämliche die protestantische und die katholische. »Die eine ging aus der Spaltung im 16. Jahrhundert hervor, während die andere diesen Sturm überstand und ihre Tradition bewahrte.« Hier weist ­Belloc auf die Unterschiede hin, wenn er sagt, jeder könne erkennen, mit welcher Leichtigkeit sich der Industrialismus auf der Grundlage der protestantischen Kultur entwickelt habe »und wie schwer er in der alten katholischen Kultur Fuß zu fassen vermag«.

Möge es uns gegeben sein, unseren Teil dazu beizutragen, die Erde (und unsere Seele) aufzuerbauen und die uralte Kultur des katholischen Glaubens mit ihrer einzigartigen Schönheit und beständigen Fruchtbarkeit zu verteidigen.

Und möge dieses Buch, mit seinen zahlreichen Unterschei­dungen, Definitionen und ehrlichen Beobachtungen, uns ein Werkzeug sein, mit dem wir die sich immer wieder­holende »Lage der katholischen Kirche« und die Situation der Gesellschaft in unserer Zeit bewerten können, damit wir nicht nur die Irr­tümer zu erkennen vermögen, die auch heute noch keimen oder blühen – darunter die alten und neuen ­Feinde –‍, sondern diesen Irrtümern und Übeln auch tapfer wider­stehen – mit Klugheit und Tatkraft.

EINLEITUNG

 

Aufmerksamen Beobachtern ist bewusst, dass eine einzige Institution seit nunmehr neunhundert Jahren von nicht nur einem gegnerischen Standpunkt her angegriffen worden ist, sondern aus jeder erdenklichen Richtung.

Sie wurde von jeder Seite her denunziert, und zwar aus Gründen, die sich der Reihe nach gegenseitig ausschlossen: Sie erlebte die Verachtung, den Hass und den kurzlebigen Sieg ihrer Feinde, die so vielfältig waren wie das Leben selbst.

Diese Institution ist die katholische Kirche.

Sie ist als einzige der existierenden moralischen Größen abgelehnt, kritisiert oder verflucht worden. Die Gründe dafür waren nicht nur von Epoche zu Epoche verschieden, sie waren ihrer Art nach auch stets zwiespältig und oft widersprüchlich.

Keine der sie attackierenden Kräfte scheint es gestört zu haben, dass die besondere Form ihrer Angriffe haargenau anderen aus Vergangenheit oder sogar Gegenwart entsprach, sofern nur der Katholizismus getroffen werden konnte. Jeder dieser Angreifer ist immer derart auf sein Zielobjekt fokussiert, dass er alles andere ausblendet. Die Wahrnehmung, dass gerade die Mängel, die sie an dieser Institution beanstanden, ansonsten als besondere Tugenden eines ihrer Kampfgefährten geltend gemacht werden, ist für sie nicht von Interesse. Jedem von ihnen geht es letztlich nicht so sehr um eigene Standpunkte wie um die Vernichtung des Glaubens.

So sah sich die Kirche in den Anfangstagen ihres Bestehens Spott ausgesetzt, weil sie an der Gegenwart der ganzen gött­lichen Natur in demjenigen festhielt, den viele nur als Menschen betrachteten. Gleichzeitig ist sie der Gotteslästerung bezichtigt worden, weil sie sich dazu bekannte, dass eine göttliche Person die Bürde einer leidensfähigen Menschennatur angenommen habe. In späteren Zeiten wurde sie für ihren disziplinären Laxismus und zugleich für übertriebene Strenge schärfstens verurteil; für organisatorische Schwäche und für Tyrannei, für ihren Kampf gegen die dem Menschen eigenen Begierlichkeiten bei Duldung von Ausschweifung und sogar Perversion, dafür, dass sie eine Sammlung jüdischer Überlieferungen als das Wort Gottes vorlegte und eben dieses Wort Gottes missachte, dafür, alles auf die Vernunft zu reduzieren – nämlich auf die Logik, die die Formgebung für die Vernunft ist –‍, und dafür, auf bloße Emotionen abzustellen. Heute wird sie in gleicher Weise dafür verurteilt, die Absurdität des Weiterlebens der menschlichen Person nach dem Tode als Dogma vorzuhalten, es aber abzulehnen, spiritistische Beweise dafür anzuerkennen – und die Suche nach solchen mit dem Bann zu belegen.1

Die Kirche, so behaupten manche ihrer Feinde, stütze sich auf die Unwissenheit und Dummheit ihrer Mitglieder – diese seien entweder von schwachem Verstand oder entstammten den ungebildetsten Milieus. Von anderen Gegnern wurde sie der Lächerlichkeit preisgegeben, weil sie eine unfruchtbare Philosophie nichtiger Haarspaltereien vertrete. Ihre Lehren seien in ein System gebracht, welches eine intellektuelle Dressur dafür voraussetzt, sich mit ihrer Theologie als Spezialgebiet zu befassen.

Diese Behandlung, die ausschließlich die Kirche erfährt, diese Tatsache, dass nur sie von allen Seiten angegriffen wird, wurde von ihren Apologeten zu allen Zeiten als ein Beweis ihrer zentralen Bedeutung für die gesamte Wirklichkeit betrachtet – es gibt eben nur eine Wahrheit, aber viele Irrtümer.

Als Argument für die unnatürliche und schlechte Eigenart des Katholizismus wurde immer wieder angeführt, er habe in den letzten zweitausend Jahren viele und fortwährende Anfeindungen bewirkt.

Für unsere Zeit von besonderem Interesse und bisher kaum versucht ist jedoch eine Untersuchung der Kampfphasen. Welche Angriffe geraten allmählich aus der Mode? Welche neuen Offensiven sind auszumachen, und aus welcher Richtung ­kommen sie? Worin bestehen derzeit die hauptsächlichen Anfeindungen? Welche Bedeutung hat jede einzelne von ihnen und wie kann man ihnen wirksam begegnen und sie zurückweisen?

Ich behaupte, dass die Registrierung dieser Angriffe nach der Reihe ihres Auftretens vernachlässigt worden ist, angefangen bei jenen, die sich zu irgendeiner Zeit erledigt hatten, bis hin zu denen, die jeweils neu hervortreten. Ein Gesamtüberblick wird hier selten unternommen. Jedoch wäre ein solcher sicherlich von Nutzen. Der Lage der Kirche zu einem beliebigen Zeitpunkt kann nur dann richtig eingeschätzt werden, wenn man feststellt, welche Angriffsformen scheitern und aus welchem Grunde; welches Maß an Widerstand ist den vorderhand noch starken Feinden entgegenzusetzen; welche neuen Angriffsformen sind festzustellen? Nur so lässt sich beurteilen, wie es um die Gesamtsituation zu irgendeinem Zeitpunkt in der Geschichte bestellt war oder wie sie nun bestellt ist.

Nun ist die historische Epoche, an deren Betrachtung wir das größte praktische Interesse haben, unsere eigene. Um die heutige Situation der katholischen Kirche zu erfassen, ist es notwendig zu verstehen, welche der ihr entgegenstehenden Mächte heute an Kraft verlieren, welche heute in voller Kraft dastehen, und welche neuen Gegner, wenngleich noch schwach, so doch im Zuwachs begriffen, zu gewärtigen sind.

Der Glaube selbst steht fest und unerschütterlich inmitten all dieser Anfeindungen. Sie entstehen und vergehen vor seinem majestätischen Angesicht:

Stat et stabit, manet et manebit: spectator orbis.

Zu Beginn ist festzuhalten, dass das Ergebnis unserer Untersuchung (die tatsächliche Lage der Kirche heute und ihre Aussichten auf Sieg oder Niederlage) für unsere gesamte Zivili­sation von entscheidendster und unmittelbarer Bedeutung ist. Es gibt kein anderes Urteil im Hinblick auf das Schicksal der Menschheit – und ganz besonders unserer eigenen europäischen Zivilisation mit ihrer Ausdehnung bis in die Neue Welt –‍, das an Bedeutung mit der richtigen Einschätzung der Stärken und Chancen der katholischen Kirche vergleichbar wäre. Es gibt nichts, das von gleichem Interesse wäre. Dieses Interesse besteht sowohl für jene, die den Glauben für eine reine Illusion halten und ihm vielleicht sogar als einem Feind mit Hass gegenüberstehen, wie auch für diejenigen, die ihn als einzig maßgebliche Autorität auf Erden annehmen.

Wie es um den heutigen Zustand des Katholizismus bestellt ist, ist für diejenigen, die ihn als das Heil der Welt betrachten, offenbar eine ebenso wichtige Frage wie für diejenigen, die in ihm ein tödliches Gift für die Gesellschaft sehen. Für jeden neutralen Beobachter mit ausreichenden Geschichtskenntnissen ist diese Frage jedoch von genauso großer Bedeutung. Denn in der Religion liegt die Wurzel jedweder Kultur; Aufstieg und Niedergang der Religion waren für die großen gesellschaftlichen Umbrüche von entscheidender Bedeutung.

Hätte die materielle Welt die menschliche Gesellschaft geformt, wäre das Schicksal keiner geistigen Institution, so nobel und reich an Mitgliedern sie auch sein möge, von entscheidender Bedeutung. Worauf man achten und womit man seine Einschätzung bezüglich des Schicksals der Menschheit begründen würde, wären neue technische Erfindungen und Veränderungen der äußeren Lebensformen.

So verhält es sich aber nicht. Die Ausgestaltung einer jeden Gesellschaft ist letztlich abhängig von ihrer Philosophie, von ihrer Betrachtung der Welt und von ihrer Haltung zu den moralischen Werten. Konkret bedeutet das: von ihrer Religion.

Ob diese Gesellschaft ihre Philosophie als »Religion« bezeichnet oder nicht, spielt keine Rolle. In der Praxis ist die Philosophie einer jedweden Gesellschaft eine Art von Religion. Die eigentliche Quelle des gesellschaftlichen Lebens ist die Geisteshaltung. Zentrum jeder Kultur ist ein Glaube und ein Moralkodex, der entweder erkennbar praktiziert oder vorausgesetzt wird.

Wenn es sich so verhielte, dass hauptsächlich wirtschaftliche Verhältnisse über das Schicksal einer Gesellschaft entschieden (dieser Irrtum ist ehrenwerter als derjenige, der von mechanischen Ursachen ausgeht, denn jedes menschliche Wirtschaftssystem, jede Entdeckung oder Entwicklung entspringt dem Verstand), dann könnte man, wie es gegenwärtig Mode ist, seine Zeit darauf verschwenden, zu erörtern, wie wirtschaftliche Trends die Zukunft des Menschen bestimmen. Unser Schicksal wird jedoch nicht durch wirtschaftliche Verhältnisse bestimmt. Der Industriekapitalismus hat sich beispielsweise nicht aus sich selbst heraus entwickelt. Er war das schlussendliche Ergebnis einer falschen Religion. Er entwickelte sich aus der Reformation, insbesondere aufgrund calvinistischer Einflüsse. Ohne die Reformation gäbe es die durch diese Wirtschaftsordnung verursachten Probleme heute nicht. Ihre Wurzel liegt immer noch in der Religion und eine Änderung der Religion würde sie und ihren parasitären Wurmfortsatz, den Sozialismus, beseitigen.

Die Sklaverei wiederum wurde im Westen nach und nach unter dem Einfluss der katholischen Kirche abgeschafft. Es mag Menschen geben, die ihre Abschaffung bedauern. Die Mehrheit hat gelernt, diese Abschaffung gutzuheißen, jedenfalls gibt es sie nicht mehr.

Gewissen Intellektuelle haben behauptet, das schrittweise Vorgehen des Katholizismus sei im Hinblick auf die heidnische Welt von unerheblicher Bedeutung gewesen, und ursächlich für den langsamen Rückgang der Sklaverei (ein Prozess, der mehr als tausend Jahre dauerte) seien materielle Umstände. Damit liegen sie falsch. Die alte, ausnahmslos heidnisch geprägte Sklaverei, die sich der zivilisierten Gesellschaft als eine Notwendigkeit darstellt, verschwand langsam, weil sie mit der katholischen Lehre unvereinbar war. Die Sklaverei wurde nicht direkt von der Kirche verurteilt, sondern erwies sich indirekt als außerstande, in einem nichtheidnischen Milieu zu existieren. Modifikationen erwiesen sich als notwendig, und nachdem solche geschehen waren, begann für die Sklaverei der Weg, der mit ihrer Abschaffung endete. Der Sklave wurde zum Leibeigenen, der Leibeigene zum Bauern. Und im gleichen Maße wie die heutige Gesellschaft ins Heidentum zurückfällt, lebt die Institution der Sklaverei in der neuen Arbeitsgesetz­gebung wieder auf.

Weder rohe materielle Umstände, mögen sie auch einen großen Einfluss auf die Gesellschaft haben, und noch weniger eine scharfsinnig entworfene Wirtschaftsordnung bestimmen letztlich die menschliche Politik. Je mehr man sich bemüht, die eigentliche Ursache zu erkennen, die eine Gruppe von Menschen ihrem Wesen nach bestimmt, desto eher wird erkennbar, dass diese in ihrer Sicht auf die Letzten Dinge besteht: ihrer Vorstellung von der Endbestimmung des Menschen. Selbst dann, wenn ein bestimmtes Glaubenssystem seine Lebenskraft verloren hat und man ihm gleichgültig gegenübersteht, so hinterlässt es doch einen tiefen Einfluss auf das Wesen einer Gesellschaft.

Wer daran zweifelt, der sei an die Auswirkungen der beiden gegensätzlichen religiösen Kulturen des Westens erinnert: die protestantische und die katholische. Die eine ging aus der Spaltung im 16. Jahrhundert hervor, während die andere diesen Sturm überstand und ihre Tradition bewahrte.

Jeder kann erkennen, dass sich der Industrialismus auf der Grundlage der protestantischen Kultur mit Leichtigkeit ent­wickelt und wie schwer er in der alten katholischen Kultur Fuß zu fassen vermag.

­Warum letzteres der Fall ist, ob nun in der Weise eigener Nachlässigkeit oder Abneigung, ist ebenfalls deutlich. Der Industrialismus entwickelte sich in Preußen genauso wie in England und in den Vereinigten Staaten. In Irland und Spanien fristete er ein kümmerliches Dasein; in Frankreich und Italien führt er an den Rand des Bürgerkrieges. Der katholischen Kultur wird tatsächlich häufig vorgeworfen, dass zwischen ihr und dem Industriesystem eine gewaltige Spannung bestanden hat. (Zwar vermeidet man – aus Heuchelei – den Ausdruck »katholische Kultur«. Wenn dann von der »keltischen« oder »südländischen« Kultur die Rede ist, meinen die Heuchler damit in Wirklichkeit den Katholizismus.)

Eines ist nochmals zu betonen. Betrachtet man die heutige politische Atmosphäre Europas, erkennt man sogleich die Auswirkungen gemeinsamer religiöser Überzeugungen. ­Warum sonst werden Polen, Italiener, Franzosen und Belgier mit Spott bedacht, während man für Holländer, Skandinavier und Preußen voll des Lobes ist?

Die Boulevardpresse und die Dichtung verschweigen dem heutigen Stadtmenschen die elementare Wahrheit, dass der eigentliche Dreh- und Angelpunkt die Religion ist – denn jedes wichtige politische Problem, jede wichtige wirtschaftliche Frage, ist ein Ergebnis der Philosophie, die dahintersteht. Man nimmt das Wort »Rasse« als bestimmenden Faktor wahr, hört vielleicht sogar von »nordisch«, »alpin« oder »mediterran«. Die Aufmerksamkeit wird auf physische Bedingungen wie Kohlevor­kommen oder Häfen gelenkt. Der Hauptgrund für alle gesellschaftlichen Unterschiede bleibt dabei unerwähnt.

Wenn ich in diesem Rahmen die Möglichkeit hätte, wäre es interessant, die Ursachen dieses seltsamen Schweigens zu unter­suchen. In England ist es am tiefsten, obwohl dort die eklatantesten Beispiele von Auswirkungen religiöser Überzeugungen jedermann in die Augen springen. So ist jetzt Schottland, das jahrhundertelang der erbittertste Feind Englands war, nun mit ihm in einem gemeinsamen Wertekanon vereint. Irland gegenüber, das nunmehr von dieser Gemeinschaft getrennt wurde, ist man zunehmend feindlich gesinnt.

Es gibt jedoch noch einen anderen Grund, die Wahrheit, die jeder erkennen sollte, der die gegenwärtige Situation des Katholizismus begreift: Es geht um die Tatsache, dass die Kirche etwas Singuläres ist. Die Bruchlinie verläuft auf der ganzen Welt zwischen dem Glauben und seinen Feinden.

Wäre es so, dass sich die moderne Welt einfach durch vielerlei miteinander im Widerstreit befindliche Religionen kennzeichnete, dann wäre die Stellung der katholischen Kirche von erheblicher Bedeutung. Sie könnte nur für sich in Anspruch nehmen, eine von vielen weltanschaulichen Institutionen zu sein, von denen jede auf unterschiedlichen Lehren beruht: Ihr Glaube wäre nur einer von vielen; und ein jeder dürfte in hochtrabender Dummheit (nach der Art vieler unserer Zeitgenossen) darüber diskutieren, ob diese, jene oder irgendeine andere Sekte oder Weltsicht von größerem Wert sei oder bessere Aussicht auf Fortbestand hätte.

So ist es aber keineswegs. Es gibt keine mit der katholischen Kirche vergleichbare Institution. Die katholische Kirche ist mit keiner anderen menschengemachten Weltanschauungsgemeinschaft vergleichbar. Sie ist etwas völlig anderes. So verhält es sich mit ihrem Gründer, so auch mit ihr selbst. Jeder, der nicht für sie ist, ist gegen sie. Denn sie nimmt für sich in Anspruch – an dem ihre Anhänger festhalten – die einzig maßgebliche Stimme auf Erden zu sein.

Ihre Lehren beruhen weder auf Schlussfolgerungen aus Experimenten noch auf persönlichen Emotionen. Noch weniger bestehen sie in Meinungen, Wahrscheinlichkeiten oder Moden. Ihre körperschaftliche Einheit ist nichts, gegenüber dem andere tolerant sind oder das anderen gegenüber tolerant ist. In ihr gibt es weder einen Grenzbereich partieller Zustimmung zum Irrtum, noch gibt es eine Verschmelzung oder einen Schnittpunkt zwischen ihr und Gebilden, die ihr mehr oder weniger ähnlich oder weniger freundlich gesinnt sind. Sie hat streng abgesteckte Grenzen, nicht nur im Hinblick auf ihre Lehre und deren göttlichen Anspruch, sondern in ihrem gesamten Gebaren und ihrer Eigenart. Innerhalb ihrer Mauern ist alles von einer Art, alles außerhalb von einer anderen.

Allen Mitgliedern dieser Institution ist voll­kommen klar, dass ihr deshalb in der Welt die Ausstrahlung eines einzigartigen Wesens eigen ist. Dessen werden sich auch die meisten bewusst, die ihr nicht angehören. Die Kirche wird in einem Maße geliebt und gehasst, welches sonstige Liebe und sonstigen Hass übertrifft. Sie übertrifft sogar den Hass, den der neuzeitliche Rausch des jetzigen überschwänglichen Patriotismus unter den Völkern sät. Die Treue, die sie hervorbringt, ist wesentlich stärker als die des modernen Patriotismus. Der Hass, den sie hervorruft, ist mächtiger als der, den man für einen bewaffneten Feind empfindet. Diese Liebe und dieser Hass führen allerorten zu unmittelbaren und heftigen Reaktionen.

Nehmen wir ein Beispiel für ihren einzigartigen Charakter: Die katholische Kirche ist heute das einzige Bollwerk gegen den wahrscheinlich kurzlebigen aber immer noch sehr gefährlichen Flächenbrand, den man Kommunismus nennt. Oder nehmen wir ein anderes, umfassenderes Beispiel: Sie ist das einzige Bollwerk gegen den modernen Pantheismus und das damit auf den Gebieten von Kunst und Moral einhergehende Chaos.

Daher kann sich niemand, dem an einem Verstehen der Welt gelegen ist, der Notwendigkeit entziehen, sich mit der Lage des Glaubens vertraut zu machen. Wer sind gegenwärtig seine Feinde? Welche Gefahren suchen ihn heim? Wo und wie lassen sich diese bekämpfen? Wo liegen Möglichkeiten zu seiner Verbreitung? Das sind die Fragen, die es zu beantworten gilt. Im Vergleich zu einer Bewertung der gegenwärtigen Lage der katholischen Kirche ist ein Urteil über Aufstieg und Nieder­gang von Wirtschaftssystemen oder Nationen unbeachtlich.

Das ist meine Voraussetzung und der Ausgangspunkt meiner Untersuchung.

 Ich habe gesagt, dass sich die Lage der Kirche zu jeder Zeit (und daher auch in der unsrigen) am besten einschätzen lässt, indem man den Aufstieg und den Niedergang derjenigen Kräfte analysiert, die ihr in diesem Moment feindlich gegenüberstehen.

Diese können, wenn wir uns die Zeit nehmen, den Verlauf des Kampfes für jeden einzelnen Zeitpunkt richtig einzuschätzen, in drei recht verschiedene Kategorien unterteilt werden:

  1. Die wichtigste dieser Kategorien betrifft das, was ich als den jeweiligen Hauptgegner bezeichnen werde. Als Beispiel dafür kann der Arianismus gelten, der im 4. und 5. Jahrhundert dunkle Wolken aufziehen ließ. Die lebensbedrohliche Gefahr für den Glauben schien nicht länger von staatlicher und heidnischer Verfolgung auszugehen, sondern von innerer Zerrissenheit. Die neue Häresie, die von den römischen Legionen und ihren Generälen unterstützt wurde, schien nicht nur im Osten, sondern auch in Gallien, Italien, Afrika und Spanien ein zu heftiger Angriff auf die Kirche zu sein, als dass diese ihn überstehen könnte. Die damalige Gesellschaft war eine Militärgesellschaft und die Soldaten waren Arianer. Im 7. und 8. Jahrhundert ließ der Arianische Angriff zunächst schnell nach, um danach vollständig zu enden. Dann stellte sich uns der Mohammedanismus riesenhaft entgegen. Und im 9. und 10. Jahrhundert gesellten sich zum Mohammedanismus die heidnischen Piraten des Nordens und die Mongolenhorden aus dem Osten. Im 11. und 12. Jahrhundert ging die Gefahr von einer rationalisierenden Bewegung im Inneren aus, die sich gegen die sakramentalen Mysterien und später gegen die Hierarchie wandte.

  2. Zu jedem Zeitpunkt in der Geschichte wird der Hauptgegner auf der einen Seite von altbekannten Angriffsformen flankiert, die allmählich das Schlachtfeld verlassen – ich werde sie alte Feinde oder Überbleibsel nennen.

  3. Andererseits beobachtet man neue Formen des Angriffs, die auf dem Kampfplatz eben erst zu sichten sind. Diese werde ich als neue Feinde oder Neuankömmlinge bezeichnen.

Die Überbleibsel veranschaulichen den ununterbrochenen, aber stets gefährdeten Sieg des Glaubens durch ihr Scheitern und ihren allmählichen Rückzug aus dem Kampf. Wenn man sie richtig versteht, kann man erkennen, wo die Schwächen des Hauptangriffes liegen, den sie führten und teilweise verursacht haben. Die Neuankömmlinge verdeutlichen die Wahrheit, wonach die Kirche niemals in Frieden leben kann; ihre richtige Einschätzung ermöglicht es uns in einem bestimmten Maße, eine Prognose künftiger Probleme anzustellen.

Durch die alten und neuen Feinde lässt sich das Wesen des Hauptkonfliktes besser einschätzen und nur eine Gesamtschau aller drei Hauptgegner erlaubt eine Beurteilung der ganzen Lage. Eine solche Betrachtungsweise ist daher für ein umfassendes Verständnis unseres Zeitalters unabdingbar.

Das Fehlen solcher Untersuchungen in der Vergangenheit bedeutete einen großen Mangel, der vielleicht dadurch bedingt war, dass die Menschen innerhalb des Kampfgeschehens keine Zeit für eine Gesamtbetrachtung finden.

Die Menschen berichten uns ausführlich darüber, wie der Hauptgegner ihrer jeweiligen Zeit wütete. Man erfährt alles über den Jansenismus und den Puritanismus des 17. Jahrhunderts und auch alles über den Nationalismus, der unmittelbar darauf folgte. Nur sehr wenig und Zusammenhangloses vernimmt man jedoch über die letzten Bestrebungen älterer Feinde in der jeweiligen Epoche. Doch noch bruchstückhafter oder sogar inexistent sind Aussagen über neue herannahende Feinde. Letztere sind in der Regel nur aus Anzeichen zu erahnen, die von Zeitgenossen missverstanden wurden, denn die Anfänge einer neuen Angriffsform sind bescheiden, diffus und verborgen. Die Menschen werden sich ihrer für gewöhnlich erst bewusst, wenn die Offensive bereits in vollem Gange ist.

In den Quellen der Vergangenheit sind Beschreibungen des allmählichen Niedergangs alter Angriffsformen und Anzeichen für das Entstehen neuer Spielarten entweder unzureichend oder fehlen gänzlich.

Wäre es nicht interessant, wenn uns eine solche Darstellung für das ausgehende 17. Jahrhundert vorläge, in welcher der Verfasser die Auswirkungen des Niedergangs von Puritanismus und Jansenismus auf seine Zeit darstellen würde, wie auch das Auf­kommen des Rationalismus, der begann, seine Schatten vorauszuwerfen. Es wäre ebenfalls hochinteressant, vermittels einer Quelle des 11. oder 12. Jahrhunderts aus erster Hand vom langsamen Niedergang des von außen ­kommenden, heidnisch-rohen mohammedanischen Angriffs und dem Auftreten des von innen wirkenden, raffiniert-neuen philosophischen Gifts zu erfahren.

Auf den folgenden Seiten beabsichtige ich, etwas in dieser Art für die Zeit, in der wir heute leben, zu versuchen. Ich behaupte nicht, eine detaillierte Studie vorzulegen. Es handelt sich um nichts weiter, als eine allgemeine Betrachtung, deren Bedeutung – zumindest aus Sicht des Verfassers – auf der intellektuellen und komischen Ebene liegt. Denn es entbehrt nicht einer gewissen Komik (im eigentlichen Sinne dieses großartigen Wortes), wenn man die Vernichtung oder das Vergehen einer menschlichen Laune betrachtet, die sich selbst für voll­kommen und immerwährend hielt. Es ist hochgradig komisch, neue Stimmungslagen zu identifizieren, die, zunächst schüchtern und verhalten hervortretend, dann vorgeben, zeitlos zu sein, und dennoch untergehen. Außer dieser Komik ergibt sich ein praktischer Vorteil, nämlich der, vorgewarnt und gewappnet zu sein.

Von den vielen Beispielen, mit denen ich mich befassen werde, seien zwei besondere genannt. Der Angriff der herkömmlichen Bibelchristen veranschaulicht die Überlebenden ganz gut. Niemand wird die komische Seite dieser Bestrebungen leugnen. Trotz dieser Komik darf man jedoch durchaus auch Mitleid für diese bedauernswerte Gruppe empfinden. Diese Buch­stabengläubigen haben etwas sehr Ritterliches. Sie sind niemals zurückgewichen, sie haben niemals kapituliert, sie waren niemals kampfunfähig. Und die wenigen, die es noch gibt, werden eher mit ihrer Überzeugung sterben, als einen Meter preiszugeben. Ihrer Einfalt ist zuweilen eine gewisse Gottgefälligkeit eigen. Andererseits trifft man bei den Neuankömmlingen, bei den Kräften, die sich gegen den Glauben in Stellung bringen, auf eine Ablehnung der menschlichen Verantwortung, ja sogar der menschlichen Persönlichkeit. So etwas wäre den Feinden der Kirche, gleichgültig welcher Ausrichtung, noch vor einer Generation als absurd und irrsinnig erschienen. Und auch das ist komisch. Denn Professor Schmidt würde sagen: »Ich muss so handeln, wie ich es tue. Ich habe keinen freien Willen. Außerdem existiert kein Professor Schmidt.«

Bevor ich mich diesen Überlebenden und Neuankömmlingen widme, muss ich mich noch einmal entschuldigen. Meiner Studie haftet notwendigerweise der Mangel lokaler Bezüglichkeiten an. Obwohl die gesamte Problematik so universell ist wie die Kirche selbst, bin ich naturgemäß mit den Überlebenden und Neuankömmlingen meines eigenen Volkes besser vertraut als mit denen des Auslands. Ich muss mich mit Schriften und Personen, mit Einzelmeinungen auseinandersetzen, die denjenigen, die der englischen Sprache nicht mächtig sind, kaum bekannt sein dürften.

Aus französischer Sicht gibt es beispielsweise kein bezeichnenderes oder bekannteres Vorbild für einen alten Feind als Paul Souday2. In England jedoch ist dieser Name unbekannt. Als weiteres Beispiel seien einige der neuen Phantasie­religionen wie die Christliche Wissenschaft genannt, die bei uns wirklich von Gewicht sind. Ein Franzose hingegen würden sie als fumisterie oder sogar blague