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Adam Lessing

Nachhaltig investieren

gegen den

Klimawandel

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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1. Auflage 2020

Fotomontage Cover: Shutterstock / © LookerStudio; Shutterstock / © mexrix

INHALT

Einleitung

Was heißt „nachhaltig“?

Einleitung: Ziele und Strategien

Ziele: Nachhaltig heißt ESG

E für Environment – die Umweltziele

S für Social

G für Governance

Das Zusammenspiel von E, S und G: Do no significant harm

Sonstige Ziele: Ethisches Investment

Mittel: Viele Wege führen zum Ziel

Exclusion

Best in Class

Integration

Engagement

Impact

Thematic Investment

Zusammenfassung

Regulierung: Die Politik macht Druck auf die Finanzindustrie

Einleitung: Umleitung der Finanzströme und Risikomanagement

Global

Die Agenda 2030 und die 17 Ziele Nachhaltiger Entwicklung

Die UNFCCC und ihr Nachfolgeabkommen, das Klimaabkommen von Paris

Der UN Global Compact und andere UN-Dokumente

Die OECD Guidelines for Multinational Enterprises

Andere globale Initiativen

Europa

Der European Green Deal

Der Sustainable Finance Action Plan

Die Taxonomie

Private Dienste und lokale Labels

Research-Dienste

Labels und Rankings

Die Finanzindustrie reagiert

Einleitung: Managed Assets – die 80.000-Milliarden-Industrie

Investmentfonds

Neue Absatzchancen

Die Umstellung der Investmentprozesse

Veröffentlichungspflichten

Pensions- und Vorsorgekassen

Pensionskassen: Vorläufer der Nachhaltigkeit

Anlagestrategie der Pensionskassen

Versicherungen

Veranlagungen

Risiko

Zusammenfassung

Nachhaltig investieren gegen die Klimakrise: Was tun ?

Vorbemerkung: Muss ich auf Ertrag verzichten?

Harry Markowitz und die Efficient Portfolio Theory

Ertragsstrukturen nachhaltiger Portfolios

Achtung auf Sektoreffekte

Gegen den Klimawandel investieren

Investmentfonds

Exclusion

Best in Class und Integration

Engagement

Impact

Themenfonds

Eine Lebensversicherung abschließen

Kapitallebensversicherungen

Fondsgebundene Lebensversicherungen

Pensions- und Vorsorgeleistungen

Erste Säule: Pensions- und Rentenversicherung

Zweite Säule: Betriebliche Altersvorsorge

Vorsorgekassen

Zusammenfassung

Quellen- und Abbildungsverzeichnis

Einleitung

Es gibt endlich gute Nachrichten von der Klimafront. Am 11. Dezember 2019 hat die neue Europäische Kommission unter Ursula von der Leyen den Europäischen Green Deal, ein äußerst ambitioniertes Programm, vorgelegt. Die Gangart gegen den Klimawandel wird beschleunigt und verschärft. Das Ziel, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen, wird bekräftigt. Auch die Zwischenziele werden deutlich nachgeschärft: Bis 2030 sollen die Emissionen von CO2 und seinen noch gefährlicheren Äquivalenten wie Methan oder Lachgas nicht mehr nur um 40% sondern um 50 bis 55% reduziert werden. In Österreich hat die neue Bundesregierung selbst diese hochgesteckten Ziele noch verschärft. Gestärkt durch seinen jetzt schon hohen Anteil an nachhaltiger Energieproduktion, will das Land unter seiner türkis-grünen Regierung die Klimaneutralität schon zehn Jahre früher, bis 2040, erreichen.

Diese Pläne haben jedoch eine Kehrseite, oder, besser gesagt, ein Preisschild. Die Investitionen, die notwendig sein werden, um die Ziele zu realisieren, sind außerordentlich hoch. Am 17. Januar 2020 hat die Europäische Kommission Pläne vorgelegt, wie denen, die die Kosten überproportional treffen werden, geholfen wird. Ein „Mechanismus für einen gerechten Übergang“, der Just Transition Mechanism (JTM), wird eingerichtet, um einen Teil der Kosten abzufedern. Es handelt sich aber wirklich nur um einen Teil: Denn selbst die 100 Milliarden Euro an Investitionen, die der JTM liefern soll, sind klein im Verhältnis zu bis zu 300 Milliarden Euro an geschätzten jährlichen Kosten.

Diese enormen Kosten kann man in zwei Kategorien einteilen: „Non-bankable costs“ und „Bankable costs“. Non-bankable sind Kosten und Investitionen, die keinen direkten Ertrag bringen und daher aus öffentlicher Hand finanziert werden müssen. Hier sind die Budgets der EU und der Mitgliedsstaaten gefragt. Aber ein Großteil der Kosten sind „bankable“, also kommerziell finanzierbar, weil sie einen direkten Ertrag bringen: der Bau neuer Windparks, der Ausbau des Schienenverkehrs, die Entwicklung neuer sauberer Technologien. Diese Investitionen bedürfen vielleicht Zinsstützungen oder Staatsgarantien, aber sie können jedenfalls über private Quellen nach üblichen Mechanismen finanziert werden, denn sie bringen Ertrag. Dieses Buch erläutert, wie private Investoren zu diesen Investitionen beitragen und wie Berater sie dabei unterstützen können.

Vor etwas mehr als zwei Jahren war dieses Ergebnis noch undenkbar. Ich hatte damals über den gerade verabschiedeten EU-Aktionsplan für nachhaltige Finanzierung in meiner Kolumne in der Tageszeitung „Presse“ einen Artikel unter dem provokanten Titel „Unglaublich aber wahr: Banker retten die Erde“ geschrieben. Nur wenige meiner Leser hätten damals Investmentbanker und Finanzanlagen mit dem notwendigen Umbau unserer Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit in Verbindung gebracht.

In der Zwischenzeit ist das Thema der Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft angekommen. Greta Thunberg hat alle mit ihren unnachahmlichen Aufrufen aufgerüttelt, und es ist klar, dass der Kampf gegen die Klimakrise nicht nur eine Frage der Regierungen, sondern auch jedes Einzelnen ist. Die Erkenntnis, dass der notwendige Umbau unserer Wirtschaft enorme Geldmittel benötigen wird, die die Staatshaushalte überfordern und daher auch etwas mit den eigenen Ersparnissen zu tun haben werden, ist langsam dabei, sich durchzusetzen. Auch wenn die Summe der nachhaltigen Investments steigt, ist das Thema noch lange nicht im Zentrum der Investmentpraxis angekommen. In Deutschland machen nachhaltige Fonds und Mandate trotz starkem Wachstum gerade einmal 4,5% des Marktes aus, in Österreich 12,8%.

Ein Grund dafür liegt auch in der Unklarheit darüber, was „nachhaltig Investieren“ für den Sparer bedeutet. Die verschiedensten Anlagemöglichkeiten werden plötzlich als nachhaltig angepriesen. Im schlimmsten Fall werden ganz normale Investments mit einer dünnen Schicht grüner Farbe versehen und traditionelle Produkte plötzlich als nachhaltig verkauft. Diesen Trick nennt man „Greenwashing“. Dieses Buch soll Ihnen in diesem Dickicht einen Überblick verschaffen. Es soll helfen zu verstehen, welche Möglichkeiten es gibt, mit unserem Ersparten tatsächlich etwas gegen die Klimakrise oder für andere Ziele der nachhaltigen Wirtschaft zu tun. Für Berater und interessierte Investoren ist es eine Hilfestellung, die komplexen Fragen, die mit nachhaltigem Investieren einhergehen, richtig einzuordnen und ein gutes Beratungsgespräch auf beiden Seiten zu führen. Gleichzeitig soll es allen interessierten Bürgern die Möglichkeit bieten, an der wichtigsten Diskussion unserer Zeit informiert teilzunehmen und die wichtigen Entscheidungen, die vor uns stehen, entsprechend mitzutragen.

Dabei werden uns drei Hauptfragen beschäftigen:

Zuallererst müssen wir uns in Kapitel 1 die Frage stellen, was genau nachhaltig Investieren heißt. Weltweit gibt es nun eine weitgehend einheitlich akzeptierte Definition von Nachhaltigkeit, die mit den Buchstaben ESG für „Environment“, „Social“ und „Governance“ abgekürzt wird. Wir werden uns den Inhalt dieser Begriffe genau ansehen. Dabei werden wir viele der immer noch bestehenden Fragen beleuchten: was im Umweltbereich nachhaltig ist (Stichwort Atomkraft und Gentechnologie) bis hin zu Diskussionen über den Stellenwert der sozialen Auswirkungen der Investments und die genaue Bedeutung der sogenannten Governance. Zum anderen werden wir die verschiedenen Strategien der Umsetzung nachhaltiger Investitionen wie „Impact“, „Exclusion“ oder „Engagement“, die Investoren angeboten werden, analysieren und ihre Vor- und Nachteile erläutern.

Danach werden wir uns in Kapitel 2 die neuen globalen, europäischen und lokalen Regeln ansehen, die in diesem Bereich die Struktur und Funktionsweise der Finanzindustrie maßgeblich verändern. Vor allem die Europäische Union, aber auch lokale Gesetzgeber und die supranationalen Institutionen wie die Vereinten Nationen sind extrem aktiv in diesem Bereich, mit dem Ziel, „Finanzströme in nachhaltige Aktivitäten umzulenken“. Hier gibt es sowohl permanente Grundsätze als auch laufend neue Regeln. Wir werden uns damit auseinandersetzen, wo diese Regulierung zurzeit steht, und einen Blick in die nahe und fernere Zukunft werfen. Damit werden wir Klarheit schaffen, worauf sich Investoren und Berater jetzt schon verlassen und was sie erwarten können.

Schließlich werden wir in Kapitel 3 die großen Investitionspools beleuchten, die Tausende Milliarden US-Dollar für private Investoren verwalten. Wie investieren Investmentfonds, Pensionskassen und Versicherungen das Geld der traditionellen Sparer und was ändert sich gerade? Wir werden sehen, wie der enorme Druck der neuen Regulierungen sowohl global als auch in der EU dieses Geschäft in Richtung mehr Nachhaltigkeit im Angebot verändert und Beratern und Sparern damit neue Opportunitäten bietet.

Dieses Buch wird Sie – oder, wenn Sie ein Berater sind, ihre Kunden – also weder schnell reich machen, noch dazu aufrufen, auf die Pension zu verzichten, um die Welt zu retten. Mein Ziel ist es, Sie zu einem informierten Teilnehmer am wichtigsten Gespräch unserer Zeit zu machen. Außerdem soll es Ihnen ermöglichen, gut fundierte Entscheidungen darüber zu treffen, ob und, wenn ja, wie genau Investoren mit ihrer Vorsorge dazu beitragen können, gegen die Klimakrise zu investieren.

Dabei wende ich mich in diesem Buch an den normalen Anleger. Wir werden uns daher vorwiegend auf klassische Investmentfonds mit täglicher Liquidität und auf traditionelle Anlageformen wie fondsgebundene Lebensversicherungen oder Pensionspläne konzentrieren. Natürlich gibt es darüber hinaus zahlreiche andere Finanzierungsformen für den Wandel. Beispiele dafür sind der Europäische Investmentfonds (EIF) im Rahmen der Europäischen Investmentbank (EIB) mit seinen Hunderten Milliarden Kreditvolumen, bis hin zu Direktbeteiligungen an Windparks sowie Private Equity Impact Fonds. Anleger, denen diese Finanzierungs- oder Investmentmöglichkeiten offenstehen, haben ihre Private Banker oder Investmentbanker als Berater. Um Anlegern die Entscheidung, wie sie am besten gegen den Klimawandel investieren sollen, zu erleichtern, gibt es daher in Kapitel 4 eine Übersicht der traditionellen Vorsorgeprodukte mit Hinweisen, wie Sie als Investor oder als Berater feststellen können, ob das Investment gegen die Klimakrise etwas taugt. Dieses Kapitel ersetzt natürlich keine Finanzberatung und ist auch nicht als solche gedacht, aber es stellt für Investoren und Berater einen ersten Wegweiser dar.

An den Beginn der meisten Kapitel habe ich kleine Geschichten als Fallbeispiele gestellt. Manchmal habe ich Namen entfernt und kleine Details verändert, um die Vertraulichkeit von Kundengesprächen zu wahren. Sie alle entsprechen aber tatsächlichen Gegebenheiten auf dem Finanzmarkt. Sie sollen dem Leser helfen, die Akteure und Teilnehmer in dieser Entwicklung ein wenig näher kennenzulernen und damit auch besser zu verstehen, wie die Probleme oder auch Lösungsansätze im Bereich der Nachhaltigkeit beschaffen sind.

„I want you to panic“, sagt Greta Thunberg, „because our house is on fire1.“ Richtig ist daran jedenfalls, dass wir keine Zeit zu verlieren haben. Die Geldsummen, die die Umstellung auf eine nachhaltige Wirtschaft benötigt, sind enorm, und ohne privates Kapital wird sie nicht gelingen. Daher gilt es jetzt, wo man rasch handeln muss, genau zu verstehen, was die Alternativen sind, und informiert zu entscheiden.

Was heißt „nachhaltig“?

Der seltsame Fall des verschwundenen Studentenheims oder: Wie ein Missverständnis, was „nachhaltig“ heißt, 200 Millionen kosten kann

Um 8:50 Uhr hält das Taxi vor dem Haupteingang des Kunden. Für die aktuelle Ausschreibung schickt einer der großen globalen Vermögensverwalter ein Pitch Team: zwei Herren und eine Dame in klassischem Investmentbankeraufzug: anthrazitgrauer Anzug bzw. Kostüm, weißes Hemd oder Bluse, Seidenkrawatte in gedeckten Farben für die Männer. Aktentaschen, Laptops, Rollkoffer, die ins Handgepäck des Flugzeugs passen. Es geht heute nur um ein 80-Millionen-Mandat, aber falls sie dieses gewinnen, werden über die nächsten Monate noch einmal bis zu 120 Millionen folgen. Wie üblich ist das Team perfekt vorbereitet. Die Präsentation wurde gestern Abend noch einmal durchgespielt, die Unterlagen ein letztes Mal angepasst, gedruckt und gebunden. Ein Fondsmanager, ein Investment Director, die Leiterin des institutionellen Geschäfts: Es ist das letzte Meeting vor der Entscheidung, ein sogenanntes „Final“. Hier wird nicht mehr mit Videokonferenzen gearbeitet, sondern in Person vorgetragen.

Im Konferenzraum wartet das Team des Kunden: Mit mehr als fünf Milliarden veranlagtem Vermögen ist die Pensions- und Vorsorgekasse ein großer institutioneller Investor. Das Team wird geleitet vom Chief Investment Officer, dem CIO. Der CIO ist als Mitglied des Vorstands zuständig für die Veranlagung der Milliarden des Kunden, er ist derjenige, der schlussendlich die Verantwortung für den Veranlagungserfolg (oder Misserfolg) des Investors trägt. Dazu ein Investment Manager, der für die spezielle Veranlagungsart, um die es heute geht, zuständig ist sowie ein Analyst aus seinem Team. Kaffee wird angeboten und gebracht, es folgen die üblichen freundlichen, unverfänglichen Eröffnungsgespräche („Wie war die Reise?“, „Schön, Sie wiederzusehen“, „Kommen Sie auch zur MIPIM, der großen Immobilienkonferenz, nach Cannes?“). Dann geht es zur Sache:

Der CIO erläutert noch einmal die Ausschreibung: Die Kasse plant, neue Mittel stärker in europäischen Immobilien anzulegen. Eine erste Tranche von 80 Millionen wird jetzt aus anderen Veranlagungen umgeschichtet, weitere Aufstockungen werden später regelmäßig erfolgen.

Dann geht es los: das Pitch Team wird jetzt das Produkt, einen nachhaltigen europäischen Immobilienfonds, vorstellen und versuchen, den Kunden zu überzeugen, dieses Produkt auszuwählen. Es beginnt mit einem Überblick über die Investmentphilosophie, die dem Immobilienprodukt, das heute vorgestellt wird, zugrunde liegt: Schutz der Kundengelder, tiefe Analyse der Mieter, lange Mietverträge mit Triple Net Klauseln, angemessener Ertrag aber kein hohes Risiko. Dann wird es technisch: Details rasseln herunter und werden bei Bedarf mit bunten Grafiken oder Tabellen aus den vorbereiteten Unterlagen, den Pitchbooks, illustriert: Teamaufbau und Aufgaben der Teammitglieder, Auswahlprozess der Immobilien und Risikokontrolle, Sektoren und Streuung, Diversifikation des Portfolios. Als Schlusspunkt kommt das Killer-Argument: hervorragende Performance. Mehr als 8% Ertrag jährlich in einer Zeit, in der Staatsanleihen null oder negative Zinsen aufweisen. Das Kundenteam nickt freundlich, macht Notizen, hakt Übereinstimmung mit dem Fragebogen ab. Alles läuft wie geschmiert.

„Wie Sie wissen“, leitet der CIO die nächste Präsentationsphase ein, „ist Nachhaltigkeit ein fundamentales Prinzip unserer Investitionen. Erläutern Sie doch bitte diesen Aspekt Ihres Produkts“.

Das Team ist vorbereitet: Das Produkt investiert ausschließlich in umweltfreundliche Immobilien. Hervorragende CO2-Werte der erworbenen Gebäude werden im Detail erläutert. Zertifizierungen nach den strengsten Umweltkriterien der Bauwirtschaft können als Beweis für die umweltfreundliche Bauweise herhalten: In Deutschland sind das die Zertifikate der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, der DGNB. Alle Immobilien sind DGNB-zertifiziert, viele mit dem höchstmöglichen, dem Gold- oder Platinzertifikat. Aber auch internationale Kriterien werden erfüllt: Die BREEAM, die britische Building Research Establishment Environmental Assessment Methodology, ist das älteste und am weitesten verbreitete Zertifizierungssystem für nachhaltiges Bauen. Auch diese Zertifizierung können die Immobilien aufweisen. Weiteres freundliches Kopfnicken des Kunden bis der Investment Manager des Kunden sich meldet: „Sie haben da sehr hübsche Illustrationen in Ihren Unterlagen“, sagt er, „aber ich sehe auf den Fotos nur Büro- und Industriegebäude. Sie investieren doch in sozial wertvolle Gebäude, nicht?“

Die Stimmung im Raum wird plötzlich angespannter. Das Team erläutert noch einmal die Segmentierung des Fonds zwischen Büro-, Industrie- und Wohnimmobilien. Nachdem der Fondsmanager den üblichen Vergleich der Ertrags- und Risikokennzahlen zwischen diesen Segmenten präsentiert hat und nun die ausgewogene Konstruktion des Fonds erläutern will, hakt der CIO des Kunden noch einmal nach. „Nein, nein, Sie missverstehen die Frage“, sagt der CIO. „Nachhaltigkeit besteht ja nicht nur aus Umweltfaktoren, sondern auch aus sozialen. Sie wissen doch sicher, dass wir nur in Produkte investieren, die in sozial wertvollen Gebäuden veranlagt sind: Studentenheime, Spitäler oder Altersheime. Wir sind natürlich am Mietertrag auch interessiert, aber die Vorgabe ist, dass das Gebäude sozialen Zielen dient. Ist das nicht ihr Produkt?“

Es herrscht Totenstille im Raum. Der Fondsmanager versucht noch, die Bedeutung von Umweltkriterien für die Nachhaltigkeit herauszustreichen, muss aber nach einem unwilligen Kopfschütteln des CIOs aufgeben. Nach ein paar weiteren verzweifelten Rettungsversuchen ist klar: Das Missverständnis, dass „nachhaltig“ für diesen Kunden „sozial wertvoll“ bedeutet und nicht „umweltfreundlich“, ist nicht zu überbrücken.

Das 200-Millionen-Mandat ist verloren.

Einleitung: Ziele und Strategien

Die Frage „Was heißt denn nachhaltig?“ ist sowohl für Investoren als auch für Berater von zentraler Bedeutung. Denn der Begriff „nachhaltig“ deckt inzwischen nicht nur in unserem täglichen Sprachgebrauch, sondern auch – wie wir später im Detail sehen werden – in finanztechnischen Diskussionen eine Unzahl von möglichen Ausprägungen ab. Er kann für die Vermeidung von Kohleinvestitionen, für das Verbot von Kinderarbeit, für die Gleichstellung von Frauen, für die Vergabe von Mikrokrediten in Entwicklungsländern, für die Finanzierung von Windrädern oder von arbeitslosen Zeitungsverkäufern und schließlich für jede mögliche Kombination all dieser Themen und Anlagestrategien stehen. Das Potential für Missverständnisse ist riesig groß. Für Kunden bedeutet ein solches Missverständnis eine mögliche Enttäuschung über die Anlageergebnisse, für Berater die Gefahr einer Haftung wegen Schlecht- oder Falschberatung.

Dazu kommt noch eine schier unübersichtliche Vielzahl von Produkten: Jüngste Statistiken zählen mehr als 130.000 (!) nachhaltige Investmentfonds und Mandate in Deutschland und mehr als 20.000 in Österreich. Die Produktvielfalt ist sowohl für Investoren als auch für Berater nahezu unüberschaubar geworden und erhöht das Risiko, dass das gewählte Produkt nicht den Erwartungen entspricht.

Wir werden im Folgenden diese Diskussion vereinfachen, indem wir zwei Aspekte der Diskussion voneinander trennen: den Aspekt der Nachhaltigkeitsziele und den Aspekt der Strategien, die eingesetzt werden sollen, um diese Ziele zu erreichen.

Zum einen stellt sich Investoren die Frage, welche Ziele mit einer Investition erreicht werden sollen, damit sie als nachhaltig qualifiziert werden kann. Die Umweltthematik steht hier klar im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit: Greta Thunberg hat in Österreich inzwischen größere Bekanntheit als die ehemalige Bundeskanzlerin. Mit dem Umweltthema ist aber das Thema der Nachhaltigkeit noch lange nicht erschöpft. Kinderarbeit, Korruption, unmäßige Vorstandsgehälter, Waffenproduktion: Soll das durch mein Investment gefördert werden? Das sind nur einige der Fragen, die in letzter Zeit lautstark und breitenwirksam diskutiert wurden. Diese Themenkreise gehören zu den Fragen der sozialen Auswirkungen der Investments und der Governance oder Unternehmensführung, die beide auch das Thema Nachhaltigkeit betreffen. Und schließlich gibt es noch weitere ethische Aspekte, die Investoren wichtig sind, und von denen einige, aber nicht alle, auf der üblichen Liste der Nachhaltigkeitskriterien stehen.

Über generelle Abgrenzungen hinaus gibt es in diesem Bereich eine Unzahl an Einzelfragen. Atomkraft zum Beispiel ist nur eine von vielen emotional belasteten und hochkomplexen Fragen. Wir werden daher weiter unten genau jene Ziele ansehen, die für eine Qualifikation als „nachhaltig“ infrage kommen.

Zum anderen aber spielt sich die Diskussion auf der Ebene der Strategien, die eingesetzt werden müssen, ab. Wenn ich einmal die Ziele definiert habe, die ich als nachhaltig erachte und erreichen möchte, dann lautet die nächste Frage: Was muss meine Investition genau bewirken, damit sie nachhaltig ist? Genügt es schon, Dinge zu vermeiden, die meinen Zielen genau entgegenstehen, also zum Beispiel nicht in neue umweltbelastende Kohlekraftwerke zu investieren? Oder will ich den Effekt meiner Investition genau messen und nachweisen können? Ist Geld das einzige Mittel, das ich zur Verfügung habe, oder geht es auch darum, Unternehmen zu beeinflussen, das sogenannte „engagement“? Auf dieser Ebene wird zwischen den Spielarten des nachhaltigen Investments von sogenannten „exclusion policies“, dem Ausschluss von eindeutig nicht nachhaltigen Investitionen, über „Best in Class“-Ansätze, die Auswahl der nachhaltigsten Investments in jedem Anlagesektor, bis hin zum „Impact Investment“, das einen messbaren Einfluss auf die Nachhaltigkeit hat, und schließlich der „engagement policy“, der direkten Interaktion mit den Unternehmen, in die investiert wird, zu unterscheiden sein. Sie alle haben in gewissem Maße Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit, aber eindeutig in ganz unterschiedlichem Maße. Wir werden im folgenden Kapitel diese Strategien im Detail analysieren und Vor- und Nachteile darstellen.

Ziele: Nachhaltig heißt ESG

In der internationalen Investmentgemeinschaft hat sich für die Definition der Nachhaltigkeitsziele eine Gruppe von Kriterien eingebürgert, die durch das Kürzel „ESG“ beschrieben wird. ESG steht für „Environment, Social and Governance“ und beschreibt die drei Kriterien, an denen die Nachhaltigkeit der Unternehmenstätigkeit gemessen wird:

E wie Environment steht für Umweltverträglichkeit. Darunter fallen alle Kriterien, an denen gemessen werden soll, ob die Unternehmenstätigkeit schädlich oder nützlich für eine gesunde Umwelt ist. Durch die aktuelle Diskussion um die Klimakrise ist das Thema des CO2-Ausstoßes sehr stark in den Mittelpunkt dieser Debatte gerückt. Aber Umweltverträglichkeit erschöpft sich nicht nur in der Frage des CO2–Ausstoßes, auch wenn das die aktuell am meisten diskutierte Frage ist. Stichworte wie Gewässerschutz, Artenschutz, Abfallentsorgung, Kreislaufwirtschaft und viele andere spielen in dieses Thema ebenfalls mit hinein.

S wie Social steht für soziale Faktoren. Hier geht es vor allem darum, wie das Unternehmen mit seiner menschlichen, seiner sozialen Umgebung interagiert: mit seinen Mitarbeitern (zum Beispiel Kinderarbeit oder Gleichstellung), den Gemeinschaften, in denen es tätig ist (zum Beispiel Splittermunition), und mit öffentlichen Stellen (zum Beispiel Korruption).

G wie Governance schließlich steht für die Unternehmensführung. Hier geht es – im Gegensatz zu den ersten beiden Kriterien – nicht um externe, sondern um interne Faktoren des Unternehmens und dessen Leitung. Hier sind zum Beispiel Themen wie solide Managementstrukturen, Rechte der Minderheitsaktionäre, übermäßige Vorstandsgehälter und – neuerdings immer stärker im Fokus – faire Steuerzahlungen angesiedelt. Wenn es sich bei der zu beurteilenden Investition nicht um Unternehmen, sondern um staatliche Einheiten dreht, wie zum Beispiel bei der Frage, ob Staatsanleihen eines gewissen Staates als nachhaltig gelten sollen, wird unter Governance die Staatsführung (zum Beispiel Demokratie) beurteilt.

Der Ansatz, Nachhaltigkeitsziele mit ESG zu definieren, ist mittlerweile in der Finanzbranche allgemein anerkannt. Für Deutschland und Österreich als europäische Staaten ist sie inzwischen auch gesetzlich verankert: Die Europäische Union hat diese Definition zur Basis ihrer Gesetzgebung über nachhaltige Investitionen gemacht. In einer im Dezember 2019 veröffentlichten Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor wird in den Begriffsbestimmungen eine nachhaltige Investition wie folgt definiert:

Es ist eine Investition die

-zu einem Umweltziel beiträgt (also E wie Environment) oder

-zu einem sozialen Ziel beiträgt (also S wie Social)

-und (in jedem der beiden Fälle) die Unternehmen, in die investiert wird, gute Unternehmensführung anwenden (also G wie Governance).

VERORDNUNG (EU) 2019/2088 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 27. November 2019 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor2

Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck 17. „nachhaltige Investition“ eine Investition in eine wirtschaftliche Tätigkeit, die zur Erreichung eines Umweltziels beiträgt, gemessen beispielsweise an Schlüsselindikatoren für Ressourceneffizienz bei der Nutzung von Energie, erneuerbarer Energie, Rohstoffen, Wasser und Boden, für die Abfallerzeugung, und Treibhausgasemissionen oder für die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und die Kreislaufwirtschaft, oder eine Investition in eine wirtschaftliche Tätigkeit, die zur Erreichung eines sozialen Ziels beiträgt, insbesondere eine Investition, die zur Bekämpfung von Ungleichheiten beiträgt oder den sozialen Zusammenhalt, die soziale Integration und die Arbeitsbeziehungen fördert oder eine Investition in Humankapital oder zugunsten wirtschaftlich oder sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen, vorausgesetzt, dass diese Investitionen keines dieser Ziele erheblich beeinträchtigen und die Unternehmen, in die investiert wird, Verfahrensweisen einer guten Unternehmensführung anwenden, insbesondere bei soliden Managementstrukturen, den Beziehungen zu den Arbeitnehmern, der Vergütung von Mitarbeitern sowie der Einhaltung der Steuervorschriften.

Damit ist für unsere Zwecke – also das Gespräch zwischen Investor und Berater in Deutschland oder Österreich über nachhaltige Investments – der Inhalt des Begriffes auf EU-Ebene klargestellt: „Nachhaltig“ heißt ESG und nachhaltige Tätigkeiten sind daher solche, die Umweltziele (E) und/oder soziale Ziele (S) in jedem Fall unter Beachtung der Regeln der guten Unternehmensführung (G), anstreben.

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Wir werden weiter unten sehen, dass mit dieser EU-Definition für weite Bereiche gesetzliche Klarheit geschaffen wurde. Selbstverständlich gibt es daneben aber auch andere Ziele, die Investoren anstreben können und die im allgemeinen Sprachgebrauch auch als „nachhaltig“ bezeichnet werden. Wir werden uns unten insbesondere ethische Regeln ansehen sowie deren Verhältnis zur ESG-Definition.

Wir können hier aber festhalten, dass zumindest, was die sprachliche Verwirrung betrifft, Klarheit geschaffen wurde: Wir können nun von „nachhaltig im Sinne der EU-Verordnungen“ sprechen und Klarheit haben, dass damit die drei E-, S- und G-Ziele gemeint sind.

Diese Definition bringt uns damit zur nächsten Ebene: Was sind Umweltziele, soziale Ziele oder gute Unternehmensführung?

E für Environment – die Umweltziele

„Alles in Ordnung, wir können Entwarnung geben“ oder Die teuerste Ölpest der Geschichte

Um 9:56 Uhr gibt es eine erste starke Erschütterung auf der Ölplattform. Die Lichter beginnen zu flackern und kurz darauf folgt ein zweites starkes Beben. Sekunden später explodiert eine Methangasblase, die das Bohrrohr hinaufgeschossen ist, beim Kontakt mit den heißen Dieselmotoren. Um 10 Uhr am 20. April 2010 steht die Deepwater Horizon in Vollbrand.

Die Deepwater Horizon ist eine schwimmende Ölbohrplattform im Golf von Mexiko. In Südkorea 2001 um 560 Millionen Dollar gebaut, gehört sie der Transocean. Transocean registriert sie auf den Marshallinseln, einer typischen Billigflaggendestination. Danach wird sie an Ölkonzerne verleast. 2010 wird sie an BP verleast, die sie für eine Ölbohrung im Golf von Mexiko einsetzt. Das Bohrloch liegt in 1500 Meter Tiefe im Meer, knapp 70 km vor der Küste von Louisiana.

Die Folgen der Explosion sind katastrophal. Von den 126 Personen an Bord sterben 11. Zwei Tage später, am 22. April 2010, neigt sich die Plattform zur Seite und sinkt. Aber eine ganz andere große Katastrophe spielt sich unter dem Meeresspiegel ab: Die Systeme, die das Bohrloch automatisch verschließen sollten, versagen. Fünf Monate lang, bis zum 19. September, fließt Öl aus dem Bohrloch. Insgesamt treten 4,9 Millionen Barrels (780.000 m3) Rohöl in den Golf von Mexiko aus. Die Folgen für Fische und andere Meerestiere sind verheerend.

Zu Beginn des Jahres 2010 sieht noch alles anders aus. Die altehrwürdige British Petroleum Company hat sich 2000 umbenannt in BP. Das alte Logo, ein Ritterschild mit den Buchstaben BP wird durch eine grüngelbe Sonne ersetzt. Sie steht für die neue Ausrichtung der Gesellschaft auf Nachhaltigkeit. Die Werbekampagne zur Einführung des neuen Logos bringt auch den neuen Werbespruch der Gesellschaft: BP steht ab dann für „Beyond Petroleum“ für eine Zukunft nach dem Erdöl. BPs neuer Fokus auf Nachhaltigkeit wird auch vom Markt belohnt: Als eines der wenigen Ölunternehmen wird BP in den Dow Jones Sustainability World Index aufgenommen, einen Index der 10% nachhaltigsten Unternehmen in jeder Branche.

Später, nach dem Deepwater Horizon Desaster, wird viel kritisiert, dass BP wenig Aktivität hinter den Werbespruch gesetzt hat. Es wird bemängelt, dass BP wenig in nachhaltige Energien investiert hat: Es sind zwar mehrere Milliarden Dollar, aber das ist bei einem Unternehmen mit 239 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr 2009 kaum der Rede wert. Und es wird ebenfalls die Unternehmensführung kritisiert, die bei Umweltinvestitionen (wie den automatischen Abschaltmechanismen für Bohrlöcher) gespart hat.

2009 ist BP allerdings der Star unter den Ölgesellschaften in puncto Nachhaltigkeit. Deshalb wählt einer der größten europäischen Fondsmanager BP als einzige Ölgesellschaft für sein Nachhaltigkeitsportfolio aus: im Best-in-Class-Ansatz scheint BP aus Nachhaltigkeitssicht die beste unter den verfügbaren Ölaktien.

In den zwei Monaten nach dem Unfall fällt die BP-Aktie um 55%: Der Kurs fällt von 59,48 US-Dollar am 19. April 2010 auf 27 US-Dollar am 25. Juni 2010. Umweltrisiken falsch einzuschätzen, kann Investoren sehr teuer zu stehen kommen.

Die Umwelt ist aktuell von extrem vielen Entwicklungen belastet. Es scheint, als ob es eine Unzahl von möglichen Umweltzielen geben könnte. Jedes davon könnte scheinbar als Basis für eine eigene nachhaltige Aktivität gelten: vom Kampf gegen Plastik im Meer, über Maßnahmen gegen das Artensterben oder das Abschmelzen der Polareiskappen, den Schutz der Wälder, bis hin zu allen Maßnahmen zum Klimaschutz.

Um diese Vielzahl an Zielen in den Griff zu bekommen, bedarf es einer allgemein gültigen Systematik. Dafür gibt es kaum einen besseren Ansatzpunkt als eine Definition, die von allen Staaten der Welt anerkannt worden ist. Eine solche finden wir in den „Sustainable Development Goals“: Dabei handelt es sich um einen Katalog mit 17 Zielen und 169 Unterzielen der nachhaltigen Entwicklung, der von allen Mitgliedsstaaten der UN beschlossen wurde und somit globale Gültigkeit hat.

Die 17 Ziele der nachhaltigen Entwicklung der Vereinten Nationen – die SDGs

Im Rahmen einer UNO-Konferenz, dem United Nations Sustainable Development Summit 2015, wurde am 25. September 2015 die sogenannte „Agenda 2030“ beschlossen. Die Agenda 2030, mit vollem deutschen Titel „Transformation unserer Welt: Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“, ist eine Resolution der Generalversammlung der UNO. Der einstimmige Beschluss der UNO Generalversammlung über die 17 Sustainable Development Goals verpflichtet die Staaten, die Erreichung dieser 17 Ziele über die nächsten 15 Jahre, von 2015 bis 2030 (daher der Name „Agenda 2030“), anzustreben. Die Geschichte der 17 SDGs, ihre Entstehung im Rahmen der Agenda 2030 und ihre Umsetzung in anderen globalen und internationalen Dokumenten werden wir später noch erläutern, hier interessiert uns, welche Umweltziele die 17 SDGs festlegen.

Systematik und Inhalt der SDGs

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Die 17 Ziele lauten:3

1.Armut beenden – Armut in all ihren Formen und überall beenden;

2.Ernährung sichern – den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern;

3.gesundes Leben für alle – ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern;

4.Bildung für alle – inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern;

5.Gleichstellung der Geschlechter – Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen;

6.Wasser und Sanitärversorgung für alle – Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten;

7.nachhaltige und moderne Energie für alle – Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer Energie für alle sichern;

8.nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit für alle – dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern;

9.widerstandsfähige Infrastruktur und nachhaltige Industrialisierung – eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen;

10.Ungleichheit verringern – Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern;

11.nachhaltige Städte und Siedlungen – Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten;

12.nachhaltige Konsum- und Produktionsweisen – nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen;

13.Sofortmaßnahmen ergreifen, um den Klimawandel und seine Auswirkungen zu bekämpfen;

14.Bewahrung und nachhaltige Nutzung der Ozeane, Meere und Meeresressourcen;

15.Landökosysteme schützen – Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodendegradation beenden und umkehren und dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende setzen;

16.Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen. Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zum Recht ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen;

17.Umsetzungsmittel und globale Partnerschaft stärken – Umsetzungsmittel stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben füllen

Jedes der 17 Sustainable Development Goals besteht aus dieser überschriftartigen Zusammenfassung des Ziels sowie zwischen fünf und neunzehn Subziele, sodass sich insgesamt 17 Ziele mit 169 Subzielen ergeben.

So lautet die Zusammenfassung von Ziel 1: „Armut in allen ihren Formen und überall beenden.“ Dieses Ziel wird dann in den darauf folgenden sieben Subzielen 1.1. bis 1.5. sowie 1.a. und 1.b. konkretisiert. Die Subziele von Ziel 1 lauten:4

1.1

Bis 2030 die extreme Armut – gegenwärtig definiert als der Anteil der Menschen, die mit weniger als 1,25 Dollar pro Tag auskommen müssen – für alle Menschen überall auf der Welt beseitigen.

1.2

Bis 2030 den Anteil der Männer, Frauen und Kinder jeden Alters, die in Armut in all ihren Dimensionen nach der jeweiligen nationalen Definition leben, mindestens um die Hälfte senken.

1.3

Den nationalen Gegebenheiten entsprechende Sozialschutzsysteme und -maßnahmen für alle umsetzen, einschließlich eines Basisschutzes, und bis 2030 eine breite Versorgung der Armen und Schwachen erreichen.

1.4

Bis 2030 sicherstellen, dass alle Männer und Frauen, insbesondere die Armen und Schwachen, die gleichen Rechte auf wirtschaftliche Ressourcen sowie Zugang zu grundlegenden Diensten, Grundeigentum und Verfügungsgewalt über Grund und Boden und sonstigen Vermögensformen, Erbschaften, natürlichen Ressourcen, geeigneten neuen Technologien und Finanzdienstleistungen einschließlich Mikrofinanzierung haben.

1.5

Bis 2030 die Widerstandsfähigkeit der Armen und der Menschen in prekären Situationen erhöhen und ihre Exposition und Anfälligkeit gegenüber klimabedingten Extremereignissen und anderen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Schocks und Katastrophen verringern.

1.a

Eine erhebliche Mobilisierung von Ressourcen aus einer Vielzahl von Quellen gewährleisten, einschließlich durch verbesserte Entwicklungszusammenarbeit, um den Entwicklungsländern und insbesondere den am wenigsten entwickelten Ländern ausreichende und berechenbare Mittel für die Umsetzung von Programmen und Politiken zur Beendigung der Armut in all ihren Dimensionen bereitzustellen.

1.b

Auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene solide politische Rahmen auf der Grundlage armutsorientierter und geschlechtersensibler Entwicklungsstrategien schaffen, um beschleunigte Investitionen in Maßnahmen zur Beseitigung der Armut zu unterstützen.

Zu jedem der Subziele hat die UN Maßzahlen definiert, an denen die Erreichung der Ziele gemessen werden kann.5 Diese Maßzahlen bilden auch die Grundlage für den jährlich vom Generalsekretär erstellten Bericht6, in dem der Fortschritt im Hinblick auf die Erreichung der Ziele dokumentiert wird.

Auch wenn die Ziele scheinbar genau abgegrenzt sind, ist es doch klar, dass die Ziele untereinander verknüpft sind. Dabei gibt es sowohl Ziele, deren Erreichung gegenseitig förderlich ist, sowie Ziele, die Konfliktpotential haben, sofern sie nicht gemeinsam angestrebt und erreicht werden: So ist zum Beispiel eines der Subziele, um den Hunger auf der Welt zu beenden,7

2.3

bis 2030 die landwirtschaftliche Produktivität und die Einkommen von kleinen Nahrungsmittelproduzenten […] zu verdoppeln.

Dies ist unabdingbar, um die extreme Armut (Ziel 1.1.) zu beseitigen. Gleichzeitig ist, wenn die Produktivität nur durch Einsatz von stickstoffhaltigem Dünger gestärkt wird, die Erreichung von Ziel 2.3. – durch die vermehrte Freisetzung von Lachgas – in Konflikt mit den Klimazielen von Ziel 13. Ebenso gibt es Maßnahmen, die auf mehrere Ziele einzahlen.

Selbstverständlich kann eine solche Liste wie jene der 17 SDGs die Diskussion über jedes einzelne Thema der Nachhaltigkeit nicht abschließend beenden. Allein die in Österreich und Deutschland immer wieder mit Leidenschaft geführte Diskussion über die Nachhaltigkeit der Nutzung der Atomkraft zur CO2-freien Erzeugung von Energie, gibt davon beredtes Zeugnis.

Die Liste der 17 SDGs mit ihren Subzielen hat sich aber als allgemein anerkannte Zielvorgabe eingebürgert. Der Grund dafür sind zwei Vorteile, die in der unübersichtlichen Diskussion um Nachhaltigkeit unschätzbar sind:

Zum einen bieten die 17 SDGs einen Referenzrahmen, innerhalb dessen die Diskussion um einzelne Nachhaltigkeitsthemen geführt werden kann. Anstelle eines – weitgehend sinnbefreiten – Aufeinanderprallens der gegenteiligen Positionen „Atomkraft ist nachhaltig“ vs. „Nein, ist sie nicht!“ erlauben es die 17 SDGs, Argumente zu gewichten. Eine Diskussion anhand der Subziele 7.1.8

7.1

bis 2030 den allgemeinen Zugang zu bezahlbaren, verlässlichen und modernen Energiedienstleistungen sichern;

und 12.4.9

12.4

,