Esther Bockwyt

Die Verhaltensanalyse

Schritt für Schritt zum individuellen Störungsmodell

Mit Leitfaden und ätiopathogenetischer Tabelle

Impressum

Esther Bockwyt, Dipl.-Psych.

Hagemannstraße 26

45657 Recklinghausen

e.bockwyt@psych-dienstleistungen.de

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Besonderer Hinweis

Die Medizin unterliegt einem fortwährenden Entwicklungsprozess, sodass alle Angaben, insbesondere zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren, immer nur dem Wissensstand zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches entsprechen können. Hinsichtlich der angegebenen Empfehlungen zur Therapie und der Auswahl sowie Dosierung von Medikamenten wurde die größtmögliche Sorgfalt beachtet. Gleichwohl werden die Benutzer aufgefordert, die Beipackzettel und Fachinformationen der Hersteller zur Kontrolle heranzuziehen und im Zweifelsfall einen Spezialisten zu konsultieren. Fragliche Unstimmigkeiten sollten bitte im allgemeinen Interesse dem Verlag mitgeteilt werden. Der Benutzer selbst bleibt verantwortlich für jede diagnostische oder therapeutische Applikation, Medikation und Dosierung.

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Schattauer

www.schattauer.de

© 2020 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Jutta Herden, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von © istock/peterschreiber.media

Lektorat: Barbara Buchter

Projektmanagement: Dr. Nadja Urbani

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Printausgabe: ISBN 978-3-608-40046-5

E-Book: ISBN 978-3-608-12062-2

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20476-6

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Vorwort

Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Die Verhaltens- bzw. Problemanalyse ist seit eh und je ein zentrales, wichtiges Element der kognitiven Verhaltenstherapie. Sie bildet das individuelle Störungsmodell ab und dient dazu, die Symptomatik des Patienten1 zu erklären und eine passende Therapieplanung abzuleiten.

In der Praxis berichten Ausbildungskandidaten immer wieder, dass ihnen die grundlegende Theorie der Verhaltensanalyse bekannt und verständlich ist, Schwierigkeiten aber bei der konkreten Umsetzung und beim Füllen mit Inhalten bestehen. Zu beobachten ist, dass bei der Analyse der Verstärkungsbedingungen oft Fehler gemacht werden, Konsequenzen des Verhaltens in eine nicht zutreffende Verstärkungsart eingeordnet werden oder aber immer wieder ähnliche Konsequenzen als 08/15-Begründung für unterschiedliche Patienten eingesetzt werden. Zwar treten im Rahmen einer bestimmten psychischen Problematik, wie etwa der Depressivität, bei verschiedenen Patienten tatsächlich Parallelen bei störungsrelevanten Verhaltensweisen mit entsprechenden typischen Konsequenzen und Verstärkungsbedingungen auf, wie etwa den Verstärkerverlust bei depressivem Rückzug, jedoch gibt es immer auch eine individuelle Färbung der Symptomatik. Verhaltensanalysen können und sollten immer den individuellen, ganz konkreten Fall abbilden, sonst sind sie wenig hilfreich.

In diesem Buch wird neben den wichtigsten theoretischen Grundlagen für die Verhaltensanalyse daher auch eine umfangreiche Darstellung an theoretischen Inhalten zur Verfügung gestellt. Diese Inhalte sollen dabei helfen, die Variablen der Verhaltensanalyse schlüssig zu benennen. Das Buch liefert darüber hinaus eine konkrete Anleitung, wie die Verhaltensanalyse Schritt für Schritt erstellt werden kann. In der ätiopathogenetischen Tabelle sind des Weiteren die jeweiligen möglichen Inhalte aufgeführt und nach Themen geordnet. Anhand von fünf komprimierten Fallbeispielen werden konkrete Verhaltensanalysen dargestellt, die auf deskriptiven Informationen über den Patienten basieren.

Die Kombination aus Theorie und Praxis beinhaltet meines Erachtens die beste Lernmöglichkeit, weswegen dieser Weg gewählt wurde.

Das vorliegende Handbuch ist sowohl für Kollegen, die sich bereits theoretisch und/oder praktisch mit der Verhaltensanalyse beschäftigt haben, wie auch für »Anfänger« geeignet. Ich wünsche Ihnen nun viel Freude und Erfolg beim Lesen und Studieren dieser Lektüre.

Recklinghausen im Februar 2020

Esther Bockwyt

Danksagung

Ich danke dem Schattauer Verlag für die Möglichkeit, dieses Manuskript zu erstellen und zu veröffentlichen und insbesondere Wulf Bertram und Nadja Urbani für das überaus große Vertrauen, das mir in diesem Rahmen entgegengebracht wurde, sowie für den liebevollen Kontakt und die gesamte Betreuung während der Bearbeitung.

Mein Dank gilt weiterhin meinen Kollegen, die mich treu über Jahre hinweg als Beraterin in Anspruch nehmen und aufgrund deren Beauftragung ich zahlreiche Erfahrungen sammeln und neue Erkenntnisse gewinnen konnte, die in diesem Buch verarbeitet wurden. Dank allen weiteren Menschen, mit denen ich in meiner bisherigen Berufslaufbahn als Psychologin in fachlichen Diskurs gehen konnte.

1 Die Verhaltensanalyse

Die Verhaltensanalyse ist ein Kernelement der kognitiven Verhaltenstherapie. Auf ihr gründen zu einem nicht unerheblichen Anteil die weiteren Überlegungen zur Therapieplanung. Sie nimmt also eine zentrale Rolle ein, denn aus einer gelungenen Verhaltensanalyse leiten wir die Behandlungsziele und -methoden ab. Grundlage einer Verhaltensdiagnostik ist immer die Frage, unter welchen Bedingungen das Verhalten erworben wurde und welche Faktoren es aufrechterhalten.

Die Verhaltensanalyse umfasst in der Regel die folgenden Inhalte:

Im Folgenden beschäftigen wir uns also mit der Frage, wie eine gelungene Verhaltensanalyse erstellt werden kann.

Gestaltet sich der deskriptive Teil der Verhaltensanalyse (die Symptomatik als Reaktionsebene) noch recht überschaubar, kommt es beim funktionalen Teil (auslösende, aufrechterhaltende und ätiologische Bedingungen der Symptomatik) bei den Verfassern erfahrungsgemäß zu Schwierigkeiten und Unsicherheiten. Herausfordernd stellt sich in der Regel die Notwendigkeit dar, die Fülle an Informationen prägnant und aussagekräftig zusammenzufassen.

Fragen, die auftauchen, sind beispielsweise: »Womit fange ich überhaupt an?«, »Was ist besonders wichtig zu erwähnen?« Bevor wir uns näher damit beschäftigten, wie genau und nach welcher kleinschrittigen Vorgehensweise die Verhaltensanalyse erstellt werden kann, müssen wir uns erst einmal ansehen oder ins Gedächtnis rufen, auf welche theoretischen Grundlagen die Problem- und Verhaltensanalyse zurückgeht.

1.1 Problem- und Verhaltensanalyse

Die Verhaltensanalyse (manchmal auch Problemanalyse genannt) ist eine Theorie innerhalb der kognitiv-behavioralen Therapieform, welche Entstehung und Aufrechterhaltung einer psychischen Erkrankung erklären möchte. Dabei erfolgt in der Analyse eine Bestimmung der situativen und individuellen Merkmale, welche das Auftreten von psychischen Symptomen/psychischer Krankheit begünstigen, sowie eine Bestimmung von Konsequenzen der Symptome/des problematischen Verhaltens und der verstärkenden und aufrechterhaltenden Faktoren für die Symptomatik.

Die Verhaltensanalyse(1) besteht aus den folgenden Elementen: Problemanalyse(1) (Was ist das Problem?), Situationsanalyse(1) (In welchen Situationen tritt das Verhalten auf?), Verhaltensanalyse (Welche Reaktionen treten auf?), Bedingungsanalyse(1) (Was geht dem Verhalten voraus bzw. folgt ihm?), Funktionsanalyse(1) (Wozu dient das Verhalten?).

Seit der Einführung des S-O-R-K-C-Schemas(1) durch Kanfer und Saslow (1974) als gedankliches Ordnungsprinzip der Verhaltensanalyse sind im Wesentlichen 3 Weiterentwicklungen erfolgt. Den Ausgangspunkt als diagnostischen Standard stellte Schulte (1974) dar. Kanfers (Kanfer 1998; Kanfer et al. 2006) Weiterentwicklung zur Systemanalyse stellt die eine, die vertikale Verhaltensanalyse Grawes (1987), die zur Plananalyse (Caspar 2007) weiterentwickelt und schließlich zur Schemaanalyse wurde (Grawe 1998), die zweite Weiterentwicklung dar. Zusätzlich fungierte Hands (1989) Betonung des funktionalen Aspekts (Wozu dient das Verhalten?) als dritte wesentliche Erweiterung, da man zunehmend erkannte, dass die Verstärkung des Symptoms nicht mehr nur zufällig anschließend erfolgte, sondern ein Symptom auch instrumentelle Funktion haben konnte. Seitdem untersucht die Funktionsanalyse, inwiefern ein Symptom als Instrument eingesetzt wird, um eine wichtige Verstärkung zu erhalten oder deren Verlust zu vermeiden.

Unterschieden wird somit heute die sogenannte horizontale Verhaltensanalyse(1) von der vertikalen Verhaltensanalyse(1). Unter Ersterer versteht man in erster Linie die Abhängigkeit des Verhaltens von vorausgehenden und nachfolgenden Bedingungen. Die vertikale Analyse legt den Schwerpunkt auf situationsübergreifende übergeordnete Ziele, Pläne und Schemata (Plananalyse, Schemaanalyse) einer Person.

Neben der am häufigsten eingesetzten und wohl bekanntesten S-O-R-K-C-Verhaltensgleichung (Kanfer u. Saslow 1974) kommen daher in der Praxis auch der Problemanalyse-Ansatz(1) nach Bartling et al. (2004) als Modell der horizontalen Analyse sowie der Plananalyse- und Schemaansatz(1) für die vertikale Analyse (Caspar 2007; Grawe u. Caspar 1984; Grawe 1987, 1998) zum Einsatz.

1.1.1 Horizontale Analyse

Bei der S-O-R-K-C-Gleichung handelt es sich um ein lerntheoretisches Modell, das davon ausgeht, dass Problemverhalten(1) (R) auf den vier Ebenen der Kognition, Emotion, Motorik und Physiologie gesteuert wird durch die vorausgehenden internen und externen Stimuli (S) im Sinne eines respondenten Verhaltens einer Stimulus-Response-Konditionierung(1)(1) und/oder durch die nachfolgenden verstärkenden bzw. bestrafenden Konsequenzen (C) im Sinne einer operanten Konditionierung(1) (Tab. 1.1). Mittlerweile ist man in der klinischen Praxis dazu übergegangen, neben den kurzfristigen auch die langfristigen Konsequenzen des Problemverhaltens zu analysieren. Zusätzlich wird davon ausgegangen, dass die Kontingenz (K) als Verstärkerplan, mit der die Konsequenzen auf das Verhalten folgen, für die Ausbildung und Aufrechterhaltung von Verhalten eine Rolle spielt. Innerhalb der klinischen Praxis ist die K-Variable jedoch von untergeordneter Bedeutung. In Erweiterung zu Vorgängermodellen bezogen Kanfer und Saslow (1974) auch die Organismusvariable (O) mit ein, ursprünglich noch im Sinne biologischer Ursachen, mittlerweile auch situationsübergreifende Pläne, Schemata, Eigenschaften, die Persönlichkeit eines Menschen umfassend. Die moderne S-O-R-K-C-Verhaltensgleichung umfasst also genau genommen sowohl eine vertikale wie auch eine horizontale Analyse.

Tab. 1-1 Kontingenzschema(1) der operanten Konditionierung

Auftreten Reiz nach Reaktion

Wegfall Reiz nach Reaktion

Angenehmer/positiver Reiz

Positive Verstärkung

Reaktionszunahme

C+

Indirekte Bestrafung

Reaktionsabnahme

C+/

Unangenehmer/negativer Reiz

Direkte Bestrafung

Reaktionsabnahme

C–

Negative Verstärkung

Reaktionszunahme

C–/