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Fürstenkrone Classic
– 56 –

Eifersucht in Adelskreisen

Warum Ramona keine andere in Graf Kais Nähe ließ

Birke May

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74096-802-1

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Lebhafter als sonst ging es im Schloß der Grafen Lörbach zu. Auf allen Gesichtern lag der Abglanz einer Freude, die sich auch bei der sonst so kühlen Gräfin Ortrud zeigte.

»Ich kann es kaum erwarten, Rudolf«, sagte sie, während sie im Grünen Salon den Tee mit ihm einnahm, und dabei war ein so sehnsüchtiger Ausdruck in ihren grauen Augen, daß Graf Rudolf seine Gemahlin verwundert betrachtete.

»Kai war zu lange fort«, sagte er und schien ihre Freude dämpfen zu wollen. »Es ist an der Zeit, daß er sich auf seine Pflichten besinnt. Was hat er im Ausland schon lernen können? Ich habe es nie gebilligt. Es geschah nur, weil du es wünschtest, Ortrud.«

Sie nickte nachdenklich, erinnerte sich an jene Stunde, da sie zum erstenmal gegen ihren Mann aufbegehrt und sich seinem Willen nicht gebeugt hatte.

»Hoffentlich bringt er keine dieser neumodischen Ideen mit«, fuhr Graf Rudolf in leicht ärgerlichem Ton fort. Er hätte es niemals zugegeben, daß Kai das Ziel all seiner Hoffnungen und Pläne war. »In unserem Schloß wird er keine Revolution heraufbeschwören«, sagte er lauter.

»Ich glaube, daran denkt er auch nicht. Doch daß er neue Ideen mitbringt, wissen wir aus seinen Briefen. Du solltest ihn erst in Ruhe anhören, Rudolf.« Wieder einmal stellte die Gräfin im stillen fest, wie fremd ihr doch dieser Mann geblieben war und wie wenig sie einander zu sagen hatten, sobald es nicht um Kai ging. Rudolf war erst einundfünfzig, und doch lag es schon wie ein silbernes Netz über seinem dunklen Haar, zeigten sich müde Linien in seinem Gesicht.

»Wir sollten Komteß Pia benachrichtigen. Es wäre schön, könnte sie hier sein, wenn Kai ankommt«, meinte sie. Sie hatte die hauchzarte Tasse geleert und lehnte sich nun in dem Gobelinsessel zurück.

»Sie braucht nicht gleich in der ersten Stunde hier zu sein«, erklärte Graf Rudolf mit fester, befehlsgewohnter Stimme. »Wenn ich auch zustimme, daß die beiden heiraten, so will ich sie vorerst jedoch nicht jeden Tag hier sehen. Das schickt sich nicht und würde Kai nur verwirren.«

Gräfin Ortrud lachte leise. »Ich glaube kaum, daß unser Sohn so leicht zu verwirren ist. Er hat uns ja geschrieben, wie die jungen Damen ihn umschwärmt haben.«

»Hoffentlich hat er keiner Anlaß gegeben, an mehr als nur eine flüchtige Bekanntschaft zu glauben«, erwiderte Graf Rudolf. Er ließ den Deckel seiner schweren goldenen Uhr aufklappen.

»Noch zwei Tage«, flüsterte die Gräfin, die sich schon erhoben hatte.

»Ja, und das stimmt mich nachdenklich«, verriet er, indem auch er aufstand, nicht so leicht vor Freude beschwingt wie die Gräfin, sondern etwas mühsam und schwer Atem holend.

»Fühlst du dich heute nicht wohl?« erkundigte sie sich besorgt.

»Ich würde mich wohler fühlen, wenn Kai uns seine genaue Ankunftszeit mitgeteilt hätte«, antwortete er unwillig. Da gab die Gräfin es auf, ihn mit ihrer Vorfreude anstecken zu wollen. Es hatte ja nie jene zärtliche Vertrautheit zwischen ihnen gegeben, wie sie sie einmal ersehnt hatte. Doch die Stunden waren längst vorbei und überwunden, da sie um einer nicht glücklichen Ehe willen Tränen vergossen hatte.

»Ich werde ihn vielleicht kaum wiedererkennen«, murmelte sie mehr zu sich selbst als zu ihrem Gemahl hin, der steif dastand und an ihr vorbeistarrte. »Drei Jahre – das ist eine lange Zeit.«

»Fünf Jahre sind länger!« stieß Graf Rudolf in einem Ton hervor, der sie aufhorchen ließ.

»Wie kommst du auf fünf Jahre? Es waren doch nur drei, Rudolf«, wunderte sie sich und schüttelte sanft den Kopf. Ihre hellbraunen, in der Mitte gescheitelten Haare zeigten noch keine Silberfäden. Sie waren locker in den Nacken frisiert und wurden dort von einem Schildplattkamm zusammengehalten. Weich und in natürlichen Wellen umschmeichelte dieses Haar das edle Frauenantlitz, auf das die Freude nur selten eine zarte Röte hauchte. Sah Graf Rudolf nicht, welch eine schöne Frau seine Lebensgefährtin war? Oder wollte er ignorieren, was seinen schönheitsdurstigen Augen dennoch nicht entgehen konnte?

Verlegen wandte er sich ab und strich sich mit einer nervösen Bewegung über das Haar. »Du verstehst mich nicht – wie immer«, brummte er vor sich hin und schritt auf die hohe Flügeltür zu, die von goldenen Dekorationen im Stil des Rokoko geschmückt war.

Gräfin Ortrud lächelte ihren Gemahl an, bis die Tür zuschlug. Sie konnte heute nichts übelnehmen. Ihre Freude auf das Wiedersehen mit dem vergötterten einzigen Sohn war zu groß. Überrascht sah sie auf, als sich die Tür wieder öffnete. Es war Gundula, Kais Kinderfrau.

»Sind die Räume auch in Ordnung, in denen Komteß Pia und ihre Tante wohnen werden?« fragte die Gräfin.

»Selbstverständlich!« antwortete die alte Frau entrüstet. »Das blonde Komteßchen gehört doch schon fast zu uns.«

»Ich will selbst überall nachschauen. Es ist eine seltsame Unruhe in mir. Ich werde Mühe haben, diese zwei Tage zu überstehen.«

Die Gräfin inspizierte alle Räume, die wie für eine große Feier hergerichtet und reichlich mit Blumen geschmückt worden waren. Doch ihr Lächeln erstarb in der Sekunde, als eine Zofe mit einem silbernen Tablett kam und so erschrocken aussah, als sei sie einem Gespenst begegnet.

Gräfin Ortrud stellte keine Frage. Sie nahm den hellbraunen Umschlag vom Tablett und dankte mit einem Neigen des Kopfes. Ihre Hände begannen erst dann zu zittern, als sie wieder allein war.

Sie lehnte sich sekundenlang gegen eine Säule. Sie wußte, daß dieses Telegramm keine gute Nachricht brachte. Zunächst schienen die Zeilen auf und nieder zu tanzen, bis sie sich soweit gefaßt hatte zu lesen, zu begreifen. Ein Seufzer entfloh ihren blaß gewordenen Lippen. Doch der bange Ausdruck war nicht aus ihren Augen gewichen. Sie eilte in das Zimmer ihres Mannes und legte das Telegramm vor ihn auf den Schreibtisch.

»Es… es ist von Kai… Es kommt aus Paris«, erklärte sie atemlos. »Kai wird nicht allein zurückkommen.«

Nur kurz überflog er die Zeilen, dann lachte er dunkel auf. »Wie rücksichtsvoll von unserem Herrn Sohn, uns telegrafisch davon in Kenntnis zu setzen, daß er seine Verlobte mitbringt. Er scheint die Tatsache zu ignorieren, daß hier eine Komteß auf ihn wartet. So lasse ich nicht mit mir umgehen! Sie wird nicht zu uns passen! Laß mich allein!«

Und da es nicht das erste Mal war, daß er sie von seinen Sorgen und Problemen ausschloß, nickte sie ergeben, hob das Telegramm auf, das er zu Boden geschleudert hatte, und sagte leise: »Bitte, schau sie dir erst einmal an, Rudolf. Wir wollen doch Kais Glück, nicht wahr?«

Ein Brummen war die Antwort, dazu ein finsterer Blick, der nichts Gutes verhieß und keine Bereitschaft zum Nachgeben verriet.

»Wenn er sie liebt, soll es uns recht sein, Rudolf«, nahm Gräfin Ortrud weiterhin für ihren Sohn Partei. Nachdem sie das hochrote Gesicht ihres Mannes mit einem fragenden Blick gestreift hatte, fügte sie leise hinzu: »Es gibt nichts Schlimmeres als eine Ehe, die aus Vernunftsgründen geschlossen wird und niemals die Liebe kennenlernt.«

Sie wandte sich ab und ging aus dem Zimmer. Schon richteten sich ihre Gedanken auf die zukünftige Schwiegertochter. Sie war bereit, sie herzlich zu empfangen. Doch als sie an Komteß Pia denken mußte, seufzte sie schwer und bedauerte Kais schnellen Entschluß. Von allen würde die Komteß gewiß am meisten unter dieser unerwarteten Veränderung leiden.

*

Gräfin Ortrud stand auf der oberen Stufe der breiten Freitreppe und sah dem Wagen entgegen, der ihren Sohn heimbrachte. Endlich, nach so langer Abwesenheit.

So ganz anders hatte sie sich dieses Wiedersehen nach drei Jahren vorgestellt. Sie hatte die Stufen hinabeilen und ihr einziges Kind in die Arme nehmen wollen. Wie lange schon hatte sie sich darauf gefreut.

Statt dessen stand sie stolz und würdevoll da, hielt ihre Wollstola eng um die Schultern und sah mit starrem Blick zu, wie ihr Sohn seiner Verlobten aus dem Wagen half.

Unwillkürlich schaute sie sich nach ihrem Gemahl um. Er war noch nicht erschienen. Er kam also nicht einmal ihrer Bitte nach, dieses Wiedersehen ohne Schatten vorübergehen zu lassen. Doch in der Sekunde, da sich ihre hohe Stirn unwillig kräuselte, stürmte Kai mit seiner Verlobten die Freitreppe herauf und verkündete froh und atemlos: »Mama, das ist Ramona de Gores! Ich hoffe, du wirst sie so liebhaben wie mich und unser Glück segnen!«

»Mein Junge«, sagte die Gräfin bewegt. Sie hatte nur Augen für diesen so fremd wirkenden, schlanken, eleganten jungen Mann, der ihr Sohn sein sollte. Ein Räuspern riß sie aus ihrer stillen Bewunderung. Ramona hatte sich in Erinnerung gebracht.

»Ich nehme an, es war eine Überraschung für Sie, Gräfin«, sagte sie, und ihre Stimme klang etwas herausfordernd. Kai strahlte, und als er in diesem Auenblick seinen Vater sah, rief er überglücklich: »Papa, sieh sie dir an – und du wirst mir zustimmen müssen, daß ich an so einem Schatz nicht vorübergehen durfte.«

Da auch die Gräfin wie gebannt in das klassisch schöne Antlitz Ramonas schaute, entging ihr, wie heftig ihr Mann zusammengezuckt war, wie sich seine Augen in jähem Schrecken geweitet und dann einen harten Ausdruck angenommen hatten. Ihr fiel auch das Zögern nicht auf, mit dem er näherkam, und nicht die herrisch-stolze Art, mit der er Ramonas Hand übersah. Nur kurz verbeugte er sich. Dann drehte er sich um und ließ die drei stehen.

Gräfin Ortrud lächelte verlegen. »Es hat ihn wohl überwältigt, gleich mit dem heimkehrenden Sohn auch eine Tochter zu bekommen«, meinte sie. Doch es klang irgendwie traurig und auch ein wenig ängstlich.

Ihr gefiel die Frau nicht, die Kai sich fürs Leben erwählt hatte. Trotz aller Schönheit hatte Ramona de Gores etwas Kaltes an sich, das sich einem wie ein Eishauch mitzuteilen schien.

»Ich hatte mir unser Wiedersehen anders vorgestellt, Mama«, gestand Kai enttäuscht und auch ein wenig wütend. »Papa hatte ja schon immer eine Art, sich von allem abzukapseln, aber dies geht doch zu weit. Schließlich ist Ramona nicht irgendwer, sondern die zukünftige Gräfin Lörbach!«

»Ja…, gewiß, mein Junge«, murmelte die Gräfin verstört. Und in Gedanken sah sie ihn schon an der Seite dieser strahlend schönen Frau alles in Besitz nehmen, was zum Schloß der Lörbachs gehörte.

Rudolf hatte mit Recht befürchtet, daß Kai eine Revolution auslösen könnte. Er hatte es schon getan, indem er diese rassige, aber kalte Schönheit mitbrachte und von ihr bereits als Gräfin Lörbach sprach.

»Willkommen bei uns, Fräulein de Gores«, sagte sie ein wenig steif und ohne Wärme. »Sie werden meinem Mann verzeihen, daß er sich ein wenig schroff benahm. Er fühlt sich nicht gut. Jede Aufregung setzt ihm hart zu. Er wird bald zu uns kommen und ein charmanter Plauderer sein.«

»Papa ist krank?« fragte Kai erschrocken, noch ehe seine Verlobte sich hatte äußern können.

»Es ist das Herz«, erklärte die Gräfin leise, und es war, als glitte ein Schatten über ihr Gesicht.

»Das tut mir leid«, erklärte Ramona in gleichgültigem Ton. Ihre dunklen Augen glitzerten wie die eines Raubtieres, das seiner Beute schon sicher ist. Und es war eine herausfordernde Geste, mit der sie ihre ringgeschmückte Hand auf Kais Arm legte.

»Willst du mich nicht endlich ins Schloß führen, Kai?« fragte sie. »Es ist so kalt und unfreundlich hier draußen.«

Die letzten Worte faßte Gräfin Ortrud so auf, als seien sie ein Vorwurf.

Hier draußen, vor dem sattgrünen Rasenrondell, in dem die Frühlingsblumen leuchteten, war es weder kalt noch unfreundlich. Dennoch schien Ramona zu frieren. Sie schmiegte sich an Kai und lächelte zu ihm auf. Beinahe verstand die Gräfin ihren Gemahl, daß er dieses Mädchen nicht mit offenen Armen empfangen hatte.

Ohne ein weiteres Wort an die beiden zu richten, wandte sich die Gräfin dem Haupteingang zu. Sie ging ein wenig nach vorn gebeugt.

»Es hat sich hier nichts verändert!« stellte Kai mit froher Stimme fest.

Da lachte Ramona de Gores spöttisch auf und meinte: »Es ist so dunkel hier und gar nicht warm. Man muß sich fast fürchten. O Kai, wohin hast du mich gelockt? Ich habe mir alles ganz anders vorgestellt.«

»Wie denn?« erkundigte er sich so verblüfft, daß sich Gräfin Ortrud langsam ihrem Sohn zuwandte und ihm im stillen dankte, weil er seine Heimat, das Schloß seiner Ahnen, noch immer liebte und nicht vergessen hatte.

»Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll, Kai«, antwortete Ramona. Sie tastete mit den Fingerspitzen über ihre Schläfen und hatte plötzlich eine nicht zu übersehende Leidensmiene.

»Die lange Reise, die Aufregung – all das hat dich angestrengt, mein Liebling«, vermutete Kai in so echter zärtlicher Besorgnis, daß die Gräfin zusammenzuckte und ihren Blick noch einmal prüfend auf Ramona de Gores richtete.

Nein, deren Schönheit war noch immer kalt und gleichgültig. Die Augen glitzerten in seltsamer Unruhe. Es war, als freute sich Ramona über etwas, als frohlockte sie heimlich. Triumphierte sie, weil sie nun die Verlobte des Grafen Lörbach war? Oder lag es in ihrer südländischen Natur, daß sie ganz anders und somit für andere überraschend reagierte?

»Mama«, wandte sich Kai in leicht gereiztem Ton an seine Mutter, »sollen wir drei hier so lange herumstehen, bis Papa geruht, endlich zurückzukommen, um Ramona freundlicher zu empfangen?«