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Impressum:

© 2020 Siegfried Stein

Herausgeber: Bernd Sternal, Verlag Sternal Media

Gestaltung und Satz: Sternal Media, Gernrode

www.sternal-media.de

www.harz-urlaub.de

Fotografien: Siegfried Stein, 1 Foto E. Koch

1. Auflage September 2020

ISBN: 978-3-7526-1437-4

Herstellung und Verlag:

Books on Demand GmbH, Norderstedt

Inhalt

Hasen

Als angehender Jungjäger noch ohne eigenes Gewehr pflegten mein Lehrprinz und ich beim Reviergang im Wald die Hasen in der Sasse vom Wege aus zu zählen. Sieger war dann, wer dabei die meisten Hasen entdeckte. Ansitzhasen oder die Suchjagd auf Hasen außer der Reihe waren unüblich. Die Hasen hatten im Feldteil nur den 28.12. eines jeden Jahres zu fürchten, dann fand die große Feldjagd statt. Im Wald folgte gegen Ende der Weihnachtsferien oder wohl auch zum Hasensilvester, dem 15.1., eine kleine Waldjagd mit wenigen Schützen. Ab dem zehnten Lebensjahr hatte ich mit Begeisterung an allen diesen Jagden als Treiber teilgenommen.

Doch es gab Ausnahmen. Mein Lehrprinz benötigte zwischendurch einen Hasen. Es lag eine geringe Schneedecke. Wir entdeckten einen Hasen, der sich auf ca. 50 m Entfernung in seiner Sasse drückte. Mein Lehrprinz nahm seinen Drilling von der Schulter, gab ihn mir und sagte: „Schieß ihn in den Kopf, ich will ihn für mich haben." Nun hatte sein Drilling einen Kleinkalibereinstecklauf.22 lfb, welcher "auf den Punkt" schoss. Ich strich an einer Hainbuche an, und raus war der Schuss. Der Hase schnellte senkrecht in die Luft, fiel zurück, rappelte sich auf und verschwand zunächst langsam, dann schneller werdend. Der Hund wurde geschnallt und brachte bald darauf den Hasen. Die Kugel hatte den Unterkieferknochen zertrümmert. Was wären wir doch ohne Hund für hilflose Jäger!!

An der Feldjagd nahmen um die 30 Jäger teil, die aus den umliegenden Dörfern kamen. Mit wenigen Ausnahmen handelte es sich dabei um Bauern (nicht Landwirte!). Die Jagdberechtigten luden sich gegenseitig ein, sodass zu winterlichen Treibjagdzeiten die Termine nach den Jagdeinladungen gelegt wurden. Bei uns trafen sich um 10.30 Uhr alle Jäger im Gastraum der mittig im Dorf gelegenen Gaststätte. Dort gab es einen Begrüßungsschnaps und die Ansprache des Jagdherren, meines Lehrprinzen. Die Treiberjungen versammelten sich derweil vor dem Gasthof. Um 11.00 Uhr ertönte das von den Bläsern vorgetragene Signal "Aufbruch zur Jagd".

Die Jäger kamen mit ihren Hunden aus dem Gastraum. Einige Jäger hatten schon Autos, in denen deren Hunde gewartet hatten. Doch welche Überraschung bei Peter N.: Sein Hund hatte vor lauter Passion Sitz und Dachverkleidung zwischenzeitlich geschreddert. Da half kein Jammern und Schimpfen. Die Schadenfreude der andern Teilnehmer war groß und sicher war es auch ein Fall für das abendliche Jagdgericht. Während noch das Auto von dem einen oder anderen begutachtet wurde, nutzte der Vorstehhund von Wilhelm U. die Gelegenheit, um den frisch mit Lederfett imprägnierten hochschäftigen Stiefeln seine Inbesitznahme zu bekunden. Er hob sein Bein und nässte gegen Hose und Stiefel seines Herrn, der aber im Gegensatz zu den Umstehenden davon nichts mitbekam.

Zu Fuß setzte sich die nunmehr 60 Personen umfassende Jagdgesellschaft in Marsch vor das Dorf. Von dort aus wurde der erste Kessel ausgelaufen: Nach und nach wurde im geschätzten Abstand von etwa 70 m je ein Jäger und Treiberjunge losgeschickt. Das geschah beidseitig. Vornweg ging je ein ortskundiger Jäger. Sobald sich beide wieder trafen, war der Kessel geschlossen. Das Signal "Anblasen des Treibens" ertönte. Nun strebten alle Teilnehmer der gedachten Mitte des Kessels zu. Sobald ein Schießen in den Kessel zu gefährlich erschien, ertönte das Signal "Treiber rein". Die Treiber strebten weiter der Mitte zu, etwa aufstehende Hasen durften nur noch nach außen hin beschossen werden. Das geblasene Signal "Hahn in Ruh" beendete das erste Treiben.

Inzwischen kam aus dem Dorf der von meinem Patenonkel und Mitpächter organisierte Hasenwagen heran. Durch die verschränkten Hinterläufe der geschossenen Hasen wurde eine Stange geschoben, diese lag quer zu den seitlichen Wagenbrettern. So hingen die Hasen luftig. Die Anzahl der erlegten Hasen aus dem ersten Treiben mal zehn ergab üblicherweise die Tagesstrecke. Wir konnten zehn Hasen auf dem Hasenwagen verstauen. Das versprach einen erfolgreichen Jagdtag.

Weitere drei Feldtreiben wurden in gleicher Weise wie das Erste durchgeführt. Der Hasenwagen füllte sich! Dann wurde im Windschutz eines im Feld gelegenen und mit Büschen und Bäumen bewachsenen Quellgebietes eine Pause eingelegt. Die älteren Jäger setzten sich auf ihren mitgebrachten Jagdstock, die jüngeren standen in Gruppen beieinander. Wir einheimischen jüngeren Jäger gingen reihum und schenkten aus den mitgebrachten Schnapsflaschen "Klaren" aus. Ohne "Zielwasser" waren damals Gesellschaftsjagden undenkbar! Jeder verzehrte seine mitgebrachte Stulle.

Dann brachen wir zu den letzten beiden Treiben auf. Um 15.00 Uhr waren wir wieder in Dorfnähe angelangt, die vom Hasenwagen geholten Hasen wurden zur Strecke gelegt. Jeweils jeder Zehnte ragte ein Stück vor, sodass das Zählen leichter fiel. 101 Hasen lagen vor uns. Mein Lehrprinz dankte den Teilnehmern, die Bläser beendeten diesen Teil der Jagd mit den Signalen "Hase tot", "Jagd vorbei" und "Halali". Das heute verbreitete Abnehmen der Kopfbedeckung gab es damals übrigens nur bei Beerdigungen, nicht aber beim Streckelegen!

Die erlegten Hasen kamen auf den luftigen Kornboden meines Onkels. Von dort wurden sie am Folgetag für 10,- DM das Stück an die Dorfbewohner verkauft. Wir lernten das Strohsche Zeichen am Vorderlauf des Hasen kennen, um Jung von Alt zu unterscheiden. Andere Kunden rissen zu diesem Zweck einen Löffel ein. Manche suchten lange nach Hasen, die wenig Schrote im Balg hatten. Was nach einer Woche noch keinen Käufer gefunden hatte, nahm der Wildhändler aus der nahen Kreisstadt ab. Er erhielt die Hasen, welche kein Dorfbewohner hatte haben wollen. In der Kreisstadt hingen sie an der Außenwand des Fleischerladens an einer Stange, wie während der Jagd auf dem Hasenwagen auch schon, nun über dem Fußweg, bis auch sie einen Abnehmer gefunden hatten. Da sie aus dem Windfang inzwischen immer mehr Schweiß verloren, waren die Köpfe mit Zeitungspapier umwickelt. Aus heutiger Sicht undenkbar, hingen sie bis zu 14 Tagen unausgeworfen "reifend" über den Fußgängern in der stark frequentierten Innenstadt.

Für die Jäger war im Saal der Gastwirtschaft je ein Butterbrötchen und eine Tasse Kaffee vorbereitet. Die Treiberjungen erhielten je 5,- DM und waren damit entlassen. Bei den Bauern wartete der Viehstapel, die Schweine und Kühe wurden gefüttert und Letztere gemolken. Bis auf einige Wenige ging man nach Hause und zog saubere Schuhe an, denn der lehmige Boden hatte Anhänglichkeit bewiesen. Die Zurückgebliebenen legten einen zünftigen Skat an.

Um 19.00 Uhr trafen sich die Jäger zum Schüsseltreiben. Es gab Rehragout mit Rotkohl und Salzkartoffeln satt. Aus der gemeinsamen Jagdkasse spendierten die Jagdherren je ein Bier und einen Weizenkorn. Der Jagdkönig wurde ermittelt. Dieser bestellte eine Doppelrunde, bestehend aus einem Glas Bier und einem Doppelkorn. Ihm oblag die Gestaltung des Restabends. Er bedankte sich artig im Namen aller Jagdgäste bei den Jagdherren, nicht mehr anwesenden Treibern, Hundeführern und insbesondere Köchin und Gastwirt, die alle zum guten Gelingen des Tages beigetragen hatten. Er bat alle Gäste auf die Läufe und mit einem dreifach kräftigen „Horrido"-„Joho" beendete er seinen Dank. Leider hatten sich aber auch Dinge ereignet, die der Klärung bedurften. So sorgte er für die Einrichtung eines Jagdgerichtes. Ein Richter mit zwei Beisitzern, je ein Verteidiger und ein Staatsanwalt, wurden bestimmt. Der Beschuldigte hatte das Recht den Pflichtverteidiger abzulehnen. In diesem Fall durfte er sich einen eigenen Verteidiger mitbringen. Der Richter zog sich eine vorbereitete "Robe" über, während die übrigen Mitglieder des hohen Gerichtes mangels Masse darauf verzichten mussten.

Vor der Tafel, an der die Jagdgesellschaft das gemeinsame Mahl eingenommen hatte, wurden nunmehr zwei Tische für Richter und Beisitzer sowie seitlich dazu rechts und links je ein Tisch für Staatsanwalt und Verteidiger gestellt. Der Angeklagte hatte stehend vor dem Richtertisch zu erscheinen.

Angeklagt wurde zunächst der Jäger, dessen Hund den Autositz und die Innenverkleidung am Morgen des Jagdtages zerfleddert hatte. Der Staatsanwalt beschuldigte den Jäger, er habe die Jagd mit einem halb verhungerten Hund aufsuchen wollen, denn sonst hätte dieser nicht seinen Hunger an Sitz und Innenverkleidung stillen müssen. Der Verteidiger gab zu bedenken, dass die Leibesfülle von Herrn und Hund augenscheinlich einen guten bis hervorragenden Ernährungszustand beider beweise. Er fordere daher Freispruch. Der Staatsanwalt: „Auch wenn die Leibesfülle von einem guten Ernährungszustand spricht, gehört doch eine tägliche Futterration zur Erhaltung der zur Jagd nötigen Kondition. Ich fordere harte Bestrafung des Delinquenten wegen Verstoßes gegen das Tierwohl. Auch muss berücksichtigt werden, dass ein nicht gut konditionierter Hund den Jagderfolg mindern kann, wenn er im Einsatz bei der Hetze eines verletzten Hasen nicht schnell genug folgen kann, und der Hase damit nicht zur Strecke kommt. So nimmt der Angeklagte billigend eine mögliche Schädigung der Jagdkasse in Kauf."

Richter: „Der Angeklagte hat das Wort."

Angeklagter: “Hohes Gericht, ich habe dem Hund den Futternapf gefüllt und danach meine Jagdsachen geholt, da war der Hund so in Vorfreude, dass er nur noch Jagd im Kopf hatte. Aufgeregt ist er mir nicht mehr von der Seite gewichen. Ich bin durch den Schaden an meinem Auto wirklich genug gestraft. Ich Bitte um ein mildes Urteil und biete einen Vergleich an: Wegen der möglichen Schädigung der Jagdkasse kaufe ich eine Runde Bier für die Anwesenden."

Richter: „Das Gericht verzichtet auf Beratung und Verurteilung. Es stimmt dem Vergleich zu."

Nachdem das Bier getrunken war, bat wieder der Staatsanwalt um das Wort. „Leider muss ich konstatieren, dass ein Mitjäger mit zwar eingefetteten Lederstiefeln erschienen ist, diese aber von seinem Hund so verstänkern ließ, dass die umstehenden Jäger und Treiber von dem beißenden Geruch während der Treiben abgestoßen wurden. So war der Abstand zu den begleitenden Treibern größer als bei allen anderen Jagdteilnehmern. Erfahrene Jäger wissen, dass die anlaufenden Hasen immer der größten Lücke zustreben. Es wird hiermit eine Vorteilsnahme in beschriebener Weise unterstellt, indem der eigene Hund animiert wurde, an die eigenen Stiefel zu nässen."

Beschuldigter: „Ich bekunde auf Ehre und Gewissen, dass ich beim Fetten meiner Stiefel immer das gleiche Lederfett benutzt habe. Mein Hund kennt das und hat noch nie zuvor sein Bein an seines Herrn Stiefel gehoben. Während der ganzen Jagd habe ich meine Treiber angehalten, immer gleichen Abstand zu halten."

Richter: „Wir brauchen Zeugen, bitte vortreten."

Und nach geraumer Zeit

„Muss ich nachhelfen, ein Zeugnisverweigerungsrecht steht nur den Jagdherren zu!"

Ein Zeuge meldet sich:

„Ich kann bezeugen, dass im zweiten und dritten Treiben die beiden Treiberjungen rechts und links unterschiedliche Abstände zum Beschuldigten hatten."

Verteidiger: „Der Hund des Beschuldigten hat sein ungebührliches Verhalten ohne Wissen und unbemerkt von seinem Herrn an den Tag gelegt. Hätte dieser auch nur eine Vorahnung gehabt, hätte er dem Hund die Tat niemals gestattet. Schon aus Eigennutz nicht, denn so war er selber der Hauptgeschädigte."

Angeklagter: „Ich habe den Worten des Verteidigers nichts hinzuzufügen."

Richter: „Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück."

Nach kurzer Beratung.

Richter „Zum Urteilsspruch bitte alle auf die Läufe!"

Nachdem sich alle erhoben hatten.

„Nach eingehender Beratung ergeht folgender Richterspruch: Der Angeklagte wird wegen mangelnder zielgerichteter Absicht freigesprochen. Der Zeuge wird wegen bewusster Irreführung des Gerichtes zu einer Runde Doppelkorn verurteilt. Sie dürfen sich setzen."

Nachdem alle saßen, fuhr er fort:

„Zur Begründung: Der Zeuge hätte als erfahrener Jäger wissen müssen, dass die Windrichtung bei der Geruchswahrnehmung, die wir Jäger Witterung nennen, eine entscheidende Rolle spielt. Der Treiber unter Wind hatte natürlich einen größeren Abstand, weil bei ihm der Gestank stärker wahrnehmbar war als bei dem Treiber mit Oberwind. Das hätte der Zeuge uns erläutern müssen!"

Nunmehr musste ein Schnaps getrunken werden, denn ein Berufungsgericht oder Widerspruch wurde nicht gestattet.

Ein Jäger hatte ein Prellschrot am Mantel abbekommen. Ein weiterer Jäger hatte die geladene Flinte so über der Schulter, dass die Mündung auf einen Jagdteilnehmer gezeigt hatte. Diese Vergehen wurden in ernsthafter Weise gerügt. Sie waren unentschuldbar und konnten auch nicht mit Bier oder Schnaps gesühnt werden.

Hegeringleiter, Schuhmachermeister, Jagdpächter und allseits beliebter Mitjäger Robert R. war mit dem PKW angereist. Er hatte dabei ein STOP Schild nicht beachtet. Die Polizei hatte das gesehen, ihn angehalten und zur Kasse gebeten.

Staatsanwalt: „Ein Jäger ist unter uns, der bei seiner Anreise heute Morgen bewiesen hat, dass er nicht ausreichend sehen kann. Ein Jäger, der ein großes, frei stehendes, rot-weißes Verkehrsschild nicht sieht, wird unmöglich einen braunen farblich gut getarnten Hasen gegen die umgebende ebenfalls braune Ackerkrume erkennen können. Bei solcher Sehschwäche ist eine Teilnahme an der Jagd nicht zu verantworten. Er hätte während der Jagd mindestens eine geeignete Sehhilfe tragen müssen. Ich beantrage eine empfindliche Bestrafung wegen Gefährdung der Jagdteilnehmer."

Verteidiger: „Mein Mandant ist unschuldig. Eine gewisse Sehschwäche erweist sich nur zu Beginn seiner jeweiligen Teilnahme am Straßenverkehr, weil sich die Augen erst von der Schusterglaskugel in naher Entfernung auf die größere Entfernung der Verkehrsschilder umstellen müssen. Bis die Jagd begonnen hat, hatten sich die Augen längst umgestellt. Außerdem reagiert mein Mandant auf jagdbares Wild gänzlich intensiver als auf Verkehrszeichen!"

Richter: „Der Angeklagte hat das Wort."

Robert R. als Angeklagter:

„Hohes Gericht, zu meiner Entlastung gebe ich zu bedenken, dass ich die Strecke über Jahre regelmäßig befahre. Ich kenne sie so genau, dass ich die Verkehrsschilder auswendig kenne. Doch gestern hat die Straßenbauverwaltung das besagte Schild neu aufgestellt. Das wusste ich bis heute Morgen nicht."

Richter: „Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück."

Das Gericht verließ den Raum. Erst nach längerer Zeit erschienen Beisitzer und Richter wieder im Saal. Der Beschuldigte hatte vor dem Richtertisch zu erscheinen. Die Jagdgesellschaft erhob sich. Die Gespräche verstummten.

Richter: „Nach eingehender und kontroverser Diskussion hat sich das Gericht zu folgendem Urteil durchgerungen: Dem Beschuldigten wird für den Rest des heutigen Abends auferlegt, diese Brille für alle sichtbar zu tragen."

Damit trat er zum Angeklagten vor und setzte ihm eine aus Pappe geformte Brille auf die Nase. Die Jagdgesellschaft applaudierte und nahm wieder Platz.

Zur Begründung:

„Das Gericht ist zur Überzeugung gekommen, dass sich der Beschuldigte an das Tragen einer Brille dringend gewöhnen muss, damit er weiterhin am Straßenverkehr und an der Jagd gefahrlos teilnehmen kann."

Robert nahm es mit Humor und gab eine Runde Bier aus.

So hatte insbesondere die jüngere Generation einen Heidenspaß an solchen Jagdgerichten.

Der Alkoholgenuss war bei diesen Veranstaltungen erheblich bis ausschweifend. Einmal hatte der Handelsvertreter K. an der Jagd teilgenommen. Sein Auto parkte vor dem Saal. Als er stark angeheitert nach der Jagd das Auto bestiegen, angelassen und einen Gang eingelegt hatte, jaulte der Motor in höchster Drehzahl auf, doch es rührte sich auch nach wiederholten Versuchen nicht vom Fleck.

Die Halbstarken der Dorfjugend hatten den Volkswagen hinten angehoben und mit Ziegelsteinen hochgebockt, sodass die Antriebsräder keinen Bodenkontakt mehr hatten. Noch Jahre später wurde dieser Spaß immer wieder erzählt.

Die umliegenden Jagden waren allesamt an ortsansässige Jäger, in der Mehrzahl Bauern, verpachtet. Da die Einladungen oft nur die Anzahl der zu schickenden Jäger nannte, konnte ich auch zuweilen solche Jagden besuchen. Das waren dann ausnahmslos größere Feldjagden, die besonders bei nassem Wetter und tiefgründigem Boden große Kondition erforderten. Die "alten Herren" behielten sich die Waldjagdeinladungen vor, bei denen auch Sauen vorkommen konnten.

Jede Ortschaft pflegte eine eigene Kultur beim Schüsseltreiben. Als ich für eine Feldtreibjagd in der übernächsten Ortschaft vorgesehen war, wurde mir eingebläut, nur meinen Jagdschein nicht zu vergessen. Dort hatte sich der neue Dorfpolizist Gans (so hieß er tatsächlich) auf dem Hausstein der Gaststätte strategisch optimal postiert und jeden heraustretenden Jäger nach dem gültigen Jagdschein befragt. Zu der Zeit kamen durchaus immer wieder Jäger zur Gesellschaftsjagd, die keinen Jagdschein gelöst hatten. Die Kontrolle war durchaus angebracht. Doch hatten die Jagdpächter den neuen Polizisten auch zum abendlichen Schüsseltreiben geladen. Dieser Einladung war er auch freudig gefolgt. Dort folgte eine nahezu tödliche Prozedur. Jeder Jagdteilnehmer setzte sich reihum neben den neuen Dorfpolizisten, bestellte einen Klaren und wandte sich dem neuen Nachbarn zu: „Herr Gans, prost und auf gute zukünftige Zusammenarbeit!" Schon bald rang der Neue nach Luft, doch es gab kein Entkommen. Schon saß der nächste Jäger neben ihm mit zwei Gläsern Klarem: „Das mit der Jagdscheinkontrolle vor der Jagd haben Sie gut gemacht! Weiter so! Prost Herr Gans und nebenbei, hier muss mal richtig durchgegriffen werden."

Als Jägerlatein habe ich die Schilderung eingestuft, wonach der neue Dorfpolizist zu später Stunde in der Mistkarre sitzend durch das Dorf zu seiner Polizeistation gefahren worden ist, denn dort wohnte er seinerzeit.

Als ich brav mit Jagdschein in der Joppentasche zur Treibjagd erschien, nahm Herr Gans zwar wieder als Treiber teil, vergaß aber gänzlich die Jagdscheinkontrolle. Dafür erklangen mit Klavierbegleitung ausgiebig Jägerlieder nach dem Schüsseltreiben.

Nahm ein Jäger an seiner ersten Hasenjagd teil, so wurde er bei diesem Anlass "zum Jäger geschlagen". Dieses Ereignis spielte sich von Ort zu Ort unterschiedlich ab. Die einen wollten das Spektakel mit derben Schlägen auf das Hinterteil, Trinken von allerlei zusammengemischten Getränken aus dem Flintenlauf und Apportieren eines frisch geschossenen Hasen zelebrieren.

Da ich im Laufe meines langen Jägerlebens mit dieser Aufgabe des Öfteren betraut worden bin, habe ich mir folgenden Ablauf zur Regel gemacht:

Dem Jungjäger wird vor versammelter Jagdgesellschaft erklärt, dass er mit seiner Teilnahme als Jäger an seiner ersten Gesellschaftsjagd nunmehr feierlich in den Kreis der Jäger aufgenommen werden soll. Er wird gebeten, zu mir zu kommen. Ich habe mich zwischenzeitlich mit dem Ehrenhirschfänger der Jägerschaft „bewaffnet“, falls der nicht zur Hand war, mit einem Schwert. Manchmal musste es auch ein einfacher Hirschfänger tun. Ich bat den Jungjäger, sich vor mir hinzuknien. Dann begann ich meine Ansprache, die darin endete, dass der Kniende das Bekenntnis nachsprechen musste: „Das ist in Zukunft mein Ehrenschild, dass ich beschütz' und heg' mein Wild, weidmännisch jag', wie sich's gehört, den Schöpfer im Geschöpfe ehr."

Jetzt nahm ich meine "Blankwaffe" und legte sie auf die Schulter des vor mir Knienden, dabei sprach ich: „Der erste Schlag soll dich zum Jäger weihen, der zweite Schlag soll dir die Kraft verleihen, zu üben stets das Rechte, der dritte Schlag soll dich verpflichten, nie auf die Jägerehre zu verzichten."

Dann durfte sich der frisch in die Gemeinschaft aufgenommene Jäger erheben und die Glückwünsche der Jagdteilnehmer entgegennehmen. Natürlich wurde nunmehr von ihm erwartet, dass er auch eine Doppelrunde ausgab und sich artig bedankte.

Dieses Verfahren hielt ich für die kultiviertere Weise, doch muss ich zugeben, dass selbst die Betroffenen die Art mit Besäufnis, Übelkeit und beinahe tödlichen Kreislaufbeschwerden für die bessere Variante hielten. Der Hasenbesatz schwankte von Jahr zu Jahr stark. Wellenförmig stieg und fiel die Zahl der erlegten Hasen. Die letzte Feldjagd endete mit 45 gestreckten Hasen. Danach konnten wir keine Feldjagd mehr abhalten, weil die Hasen nicht mehr vorhanden waren. Doch wo waren sie geblieben, was waren die Gründe des Rückganges?

Ein Hase, heute eine seltene Beute.

Schon Herrmann Löns formulierte:

Menschen, Hunde, Wölfe, Lüchse,

Katzen, Marder, Wiesel, Füchse,

Adler, Uhus, Raben, Krähen,

jeder Habicht, den wir sehen,

Elstern ja nicht zu vergessen,

alles alles will ihn fressen!

Die zu Zeiten der großen Hasenstrecken fehlenden Greifvögel wie Habicht, Rohrweihe und Uhu, ebenso Fischreiher (so hieß er da noch!) fehlten gänzlich, jetzt waren sie in jährlich steigender Zahl da. Die Rohrweihen flogen suchend systematisch reih auf und reih ab die Saaten entlang. Ihnen blieb kein Junghase verborgen. Um die 250 Krähen und die seinerzeit fast ausgestorbenen Kolkraben ernähren sich von dem, was das Revier bietet. Nach der erfolgreichen Tollwutausmerzung hatte die Fuchspopulation ungeahnte Höhen erreicht. Der wahnsinnig steigende Autoverkehr forderte und fordert einen hohen jährlichen Tribut. Die Landwirtschaft hatte sich stark verändert. Die Schafe und Kühe waren abgeschafft. Mit ihnen verschwanden Wiesen, Weiden und Triften. Unkrautvernichtungsmittel töteten die vom Hasen dringend benötigten Heilkräuter ab. Die Winterfurche, in der alle Sassen im Winter zu finden waren, verschwand völlig. Die vormals vielfältigen Ackerfrüchte beschränkten sich nunmehr auf zwei Arten: Weizen und Rüben. In den Ackerschlägen wurden Fahrgassen eingerichtet, sie bildeten beste Pirschgänge für die Füchse.

Die verbliebenen Hasen suchten und suchen in den Hausgärten Schutz und Unterschlupf, wie ich selbst auf meinem Grundstück beobachten kann. Trotz meiner zwei Jagdhunde kommen immer wieder Hasen, legen ihren Nachwuchs hier ab und beziehen sogar selber Quartier vor meinem Küchenfenster. Viele Fotos sind entstanden, wenn die Hasen friedlich zwischen den Gartenstühlen ästen, als gäbe es kein Pulver und Blei. Sie wussten wohl vom Burgfrieden, den ich ihnen hier gewährte und gewähre.

Doch als der Rapsanbau mit der neuen Sorte "Doppelnull" eingeführt und auch bei uns vermehrt angebaut wurde, verendeten die Hasen wie die Fliegen. Es endeten alle großen Hasenjagden in der Umgebung. Die Hasen sind nicht ausgestorben, aber große Jagden auf sie wären sinnlos.

Im Frühjahr sehen wir immer einige Hasen auf den noch pflanzenlosen Rübenfeldern, sie finden da trockenen Boden und damit Schutz vor der Verdunstungskälte, die von dem Tau ausgeht, der an Gras und Getreidehalmen haftet.

Im eigenen Garten finden sich Junghasen.

Im eigenen Garten fühlt er sich trotz Hunden sicher.

Jedes Frühjahr glauben viele Jäger an ein Ansteigen des Hasenbesatzes. Doch die fehlende Hasenapotheke in Form von Heilkräutern ermöglicht keine Behandlung von Magen-Darmbeschwerden der Hasen. So finde ich im Sommer und Frühherbst alljährlich mehrere frisch verendete Tiere, denen äußerlich nichts Krankhaftes angesehen werden kann.

Nächtliche Scheinwerferzählungen sollten Aufschluss über den jeweiligen Bestand geben, und die Nutzung planbar gestalten.

Dazu meine Meinung:

1. Mit Einschränkung ist eine Hasenzählung unmittelbar vor der Hasenjagd sinnvoll und nützlich.

2. Die Zählung von Hasen nach der Jagdzeit ist für jagdplanerische Zwecke sinnlos.

Als Begründung zu 1. zwei Erlebnisse: Im Jagdjahr 1978/79 hatten wir keine Treibjagd auf Hasen abgehalten, weil uns der Besatz zu gering war. Im Jahr darauf waren wir wieder unsicher, doch dann fiel zwischen Weihnachten und Neujahr Schnee. Ich saß mit einem Jagdgast am Waldrand an, von wo ich einen Überblick über fast die Hälfte des Feldteiles unseres Reviers hatte. Wir konnten innerhalb einer halben Stunde 64 Hasen zählen, die zur Dämmerung hin aus ihren Sassen hoch wurden. Ruhigen Gewissens hielten wir daraufhin unsere Treibjagd ab, wir erbeuteten 53 Hasen.

Die Zählung war nützlich und sinnvoll.

In einem anderen Jahr zählte ich bei Schnee und Mond auf einer Gerstensaat direkt vor unserem Wald im Windschatten des Hochwaldes 26 Hasen. Am folgenden Tag hielten wir unsere Waldjagd ab. Wir schossen genau einen Hasen. Hier war die Zählung unsinnig, weil die 26 Hasen von weit her gekommen waren angelockt von der Gerstensaat und dem Windschutz des Waldes. Sie lagen tagsüber im Feld.

Als Begründung zu 2. ebenfalls ein Erlebnis: Ich wohne so im Revier, dass ich vom Schreibtisch aus 90% des Feldteiles unseres Reviers einsehen kann. Es stören auch keine Büsche oder andere Deckung. Im Winter 82/83 zählte ich bei Schnee nach Ende der Hasenjagdzeit 76 Hasen, die nach Sonnenuntergang aus den Sassen hoch wurden. Wir bedauerten, keine Jagd abgehalten zu haben. Wir freuten uns bereits auf die folgende Jagdsaison. Wer kann unsere Enttäuschung ermessen, als im Jahr 83/84 nur noch 19 Hasen zur Jagdzeit gezählt werden konnten, und daher die Jagd mangels Masse ausfallen musste.

Unsere Waldjagd war immer eine Jagd unter uns. Höchstens ein auswärtiger Jäger stieß mitunter dazu. In früheren Jahren fungierten 5 oder auch 6 einheimische Jungen als Treiber. Später trieben Jagdgenossen aus dem Ort. Die Kapazität der Jagdhütte mit den 10 Sitzplätzen bestimmte über Jahre die Teilnehmerzahl. Zählte in den ersten Jahren noch die Strecke (meine erste Teilnahme 1954 als Treiberjunge brachte noch 16 Hasen und 4 Kaninchen), so war es in späteren Jahren nur noch die Geselligkeit. Ja es kam vor, dass wir völlig ohne Strecke waren.

In den 1960er Jahren hatte die Fichte Einzug gehalten. Bis zum Jahr 1974 wurden in kleinem Rahmen die entstandenen Kahlschläge mit Fichte aufgeforstet. Damit steckte auch bei uns ab und an während der Waldtreibjagd eine Sau im Treiben. Man hatte jetzt immer auch Flintenlaufgeschosse dabei. Da war die Freude groß, als tatsächlich einmal ein starker Frischling auf der Strecke lag. Mit dem Ausscheiden der Generation meines Lehrprinzen endeten die Waldjagden auf Hasen.

Von da an schoss ich mir jährlich einen oder zwei Ansitzhasen. Diese Jagdart hat auch seinen besonderen Reiz. Zunächst galt es, den Hasenpass zu erkunde; das geschah bei den normalen abendlichen Ansitzen. Ich hatte die frischen Saaten untersucht und dort Hinweise auf Hasenlosung und Fraßspuren entdeckt. Die Hasen hielten ihre Zeit des Auswechselns sehr genau ein.

Nun konnte ein Platz unter Wind vorbereitet werden, wo ich mich auf meinem Jagdstock, mit meinem Hund an der Seite, niederlassen konnte. Das Laub mit dem Fuß etwas beseitigt und ein wenig Astwerk leise abgeschnitten, dann harrte ich der Dinge. Am Rascheln des Laubes konnte ich sehr gut erkennen, welche Tierart sich näherte. Gleichmäßiges Tap-Tap-Tap war der schnürende Fuchs. Tap-Tatap, Tap-Tatap war der Hase. Der jeweilige Hund neben mir hatte grundsätzlich vor mir das anwechselnde Wild bemerkt. Sie zeigten mir an, woher etwas zu erwarten war.

Die Hasen pflegten den gefährlichen Waldrand schnellst möglich zu überwinden. Sie verhofften erst ein gutes Stück weit im Feld. Weil das für einen Schrotschuss mitunter zu weit war, nahm ich oft die kleine Kugel zur Hilfe.

Für die Hasenhege ist wenig geblieben, die Prädatoren bekommen wir nicht in den Griff, weil die Gesetzgebung uns gewaltig knebelt. So bleiben die Wildäcker, auf denen die Hasen den Buchweizen liebend gern äsen und jährlich schnell die Jungpflanzen zu 100% verzehrt haben. Im Winter werden die Apfelbäume der Hegebüsche früh beschnitten und der Ausputz bis in das Frühjahr hinein als Prossholz vor Ort gelassen. Die Hasen nehmen die Rinde gern als Winteräsung. Deutlich lassen sich Vorlieben für bestimmte Sorten erkennen.

Oculi, da kommen sie!

Das letzte Laub ist gefallen. Ich gehe mit meinem Kleinen Münsterländer Frieso versonnen durch den Wald. Er läuft frei bei Fuß, denn er steht bereits im zehnten Feld und ist abgeklärt ruhig. Wir befinden uns am Südhang einer Naturverjüngung, als der Hund zurückbleibt und etwas in der Nase haben muss. Er zieht an und steht vor. Ich denke an einen Hasen, nehme das Zielfernrohr vom Bockdrilling, lege es ab und nähere mich schussbereit dem Hund. Da fliegt eine Waldschnepfe auf. Ehe sie in den arttypischen Zickzackflug übergehen kann, treffen sie meine Schrote. Frieso bringt die seltene Beute. Liebevoll streiche ich über die Federn, suche die Malerfedern am Flügelbug, entnehme sie und schmücke damit meinen Hut. Später werde ich die Schnepfe zart zubereitet mit Genuss verspeisen.

Ein naher Baumstuken lädt zum Verweilen ein. Die Gedanken gehen zurück: Vor sechzig Jahren fieberte ich mit meinem Lehrprinzen der Ankunft der ersten Frühjahrsschnepfe entgegen. Der Kalender hatte noch die kirchlichen Namen der Sonntage ausgedruckt.

Ich lernte von meinem Lehrprinzen:

Reminiscere putzt die Gewehre,

Oculi, da kommen sie,

Lätare ist's das Wahre

Judica sind sie auch noch da,

Palmarum Trallarum,

Osterfest,

sind sie dagewest,

Quasimodogeniti,

„Halt, Jäger, halt, jetzt brüten sie.“

Per Fahrrad ging es jeden Nachmittag zum Füttern in den Wald. Dort beschickten wir die Tröge mit Troblacco (getrocknetes Rübenblatt) gemischt mit Hafer. Wir warteten, auf unseren Jagdstöcken sitzend, in der Nähe. Das Rehwild hatte offensichtlich bereits auf uns gewartet, denn es erschien in aller Kürze. Wir erfreuten uns insbesondere an den Bastböcken und dem täglich sichtbaren Zuwachs der Gehörne. Wir spekulierten wohl auch schon, welcher Bock zu schonen sein würde und welcher dem Abschuss unterliegen müsste. Auch wurde überlegt, welchem Jäger welcher Bock zum Abschuss zugeteilt werden sollte. Strenge Abschussrichtlinien mussten eingehalten werden, denn der Rehbock galt als "Hirsch des kleinen Mannes". Dazu ging es auch bei den Ostharinger Jägern nach Rang und Namen, so kamen zunächst die beiden Jagdpächter mit den stärkeren Böcken an die Reihe, dann folgten die älteren Mitjäger. Ich stand in der Reihenfolge natürlich an letzter Stelle. Wenn überhaupt noch ein geringer Bock frei und vorhanden war, reichte es eventuell für einen Knopfbock. Aber das tat meiner Passion keinen Abbruch.

Ab dem ersten März blieben wir dann wohl auch schon mal bis zum Einbruch der Dunkelheit, um zu erkunden, ob schon Schnepfen strichen. Wir genossen die Jahreszeit mit dem sich ankündigenden Frühlingserwachen, wenn wir auch mitunter noch heftig froren. Ich lauschte den leise vorgetragenen Erzählungen meines Lehrprinzen. Dabei saßen wir einmal im Revierteil mit dem Namen "Mittellage", wo einige große Rippenknochen herumlagen. Ich fragte: "Hat es hier Großwild gegeben?" Soviel hatte ich schon gelernt, dass diese Knochen nicht von heimischem Wild stammen konnten.

„Nein, das sind Rinderknochen."

„Wie kommen die denn in den Wald?"

„In der Zeit gleich nach dem Zweiten Weltkrieg gab es noch keine geordnete deutsche Polizei. Die Dorfbewohner organisierten Nachtwachen, die Streife gingen. Meyers hatten Rinder auf der Weide hinter dem Gehöft, da trieben Diebe eines davon über die Felder in Richtung Wald. Unter denen, die Wache hielten, war auch der Maurer und Hausschlachter Adolf H. Der nahm die Verfolgung auf und erhielt dabei einen Schuss in sein Knie. Du hast sicher schon bemerkt, dass er mit dem einen Bein schonender auftritt als mit dem anderen. Die Viehdiebe trieben nun unbehelligt das Rind in den Wald. Die Verfolger hatten aufgegeben, weil sie unbewaffnet waren. Hier, wo wir sitzen, haben sie das Rind getötet und zerlegt. Es blieben nur die Rippenknochen zurück."

Mir war diese Stelle fortan unheimlich.

Mein Lehrprinz fuhr fort: „Weil mein Gehöft außerhalb des Dorfes liegt, wurde zunächst immer bei uns eingebrochen und Vieh gestohlen. Nachdem dabei ein Dieb vor meinem Bett stand und mich mit einer Pistole bedrohte, habe ich zwei Maßnahmen ergriffen: Erstens habe ich eine Pistole und ein Gewehr ausgegraben, die ich nicht abgegeben hatte. Auf den Besitz von Feuerwaffen stand zwar die Todesstrafe, aber bevor ich mich im eigenen Bett erschießen ließe, wollte ich mich und meine Schwestern doch verteidigen. Zweitens habe ich Kühe und Schweine bei den Bauern im Dorf untergestellt. Von da an hatte ich Ruhe vor Einbrechern. Das Gewehr versteckte ich in der Folgezeit im Wald. Ich kannte eine hohle Eiche, die sich als Versteck eignete."

Die Viertelstunde des Schnepfenstrichs beendete den Abend im Walde. Zuhause wartete kein Fernsehabend, aber eine warme Stube, denn Fernsehgeräte waren noch nicht in Mode. Eine Buchlektüre pflegte, sofern die schulischen Hausaufgaben bereits erledigt waren, den Abend zu beschließen.

Eine zarte Delikatesse

Unten: Bei solchem Anblick
schlug unser Herz höher.

Wichtiger als die Kalenderdaten waren uns andere Weiser: Die Haselsträucher hatten ihren Blütenstaub verstreut, die Märzbecher standen in voller Blüte. Pünktlich zum vierten März war der Rotmilan zurück aus dem Winterquartier. Und als am zehnten März Wippsteert, die Bachstelze, eingetroffen war, kam die Flinte mit in den Wald.

Dieser wurde noch als Mittelwald bewirtschaftet. Dabei wurden alle achtzehn Jahre reihum der Jungwuchs auf den Stock gesetzt. Nur einzelne Überhälter und einige gut gewachsene Stangenhölzer blieben stehen. Über diesem Jungwuchs und den Kahlschlägen strichen während ihres jährlichen Zuges gern balzend Waldschnepfen in geringer Zahl. Aus heutiger Sicht undenkbar war die himmlische Ruhe: Kein Flugzeug- oder Autolärm störte das Warten auf die einsetzende Dämmerung.

Allabendlich warteten wir nun geduldig, bis sich der erste Stern am Himmel zeigte und der Drossel Lied verklang „Jetzt, Jäger, habe acht!" Die Augen spähten gen Himmel, und die Ohren wurden gespitzt. Das Gewehr des Lehrprinzen lag griffbereit auf seinen Knien. Sein Langhaarrüde Gero hob den Kopf, mein Lehrprinz erhob sich. Auch ich hörte jetzt das scharfe Puitzen einer Schnepfe, dem eine Zweite leise quorrend folgte. Ein Schuss brach, dem ein weicher Fall in das Laub folgte. Gero wurde geschnallt, zügig kam er zurück und hatte den Vogel mit dem lagen Gesicht im Fang. Dunkelheit umfing uns nun. Ein Kauz rief, es war Zeit für den Heimweg. Wir hatten Mühe bei diesem Licht unsere Fahrräder zu finden. „Und dräut der Winter noch so sehr und streut er Eis und Schnee umher, es muss doch Frühling werden!" Schneefall ließ uns beim Heimradeln noch zu Schneemännern werden. Das hielt uns aber am folgenden Nachmittag nicht von unserer Berufung ab. Das Wild musste gefüttert werden, denn „Hungermonat allerwärts ist der März". Das war unser Motto und danach handelten wir. Für mich aber hatte mein Lehrprinz eine freudige Überraschung bereit: Er gab mir seine Querflinte mit einer (in Worten einer) Patrone in die Hand: „Da kannst du deine erste Schnepfe schießen!" Er selber nahm seinen Sauerdrilling mit.

Die Fahrräder verschlossen wir in der am Waldrand gelegenen Jagdhütte. Das Füttern war schneller als üblich erfolgt. Schon sehr zeitig saßen wir auf unseren Jagdstöcken an einer kleinen Lichtung und warteten bei leiser Unterhaltung. Seinen täglichen Apfel hatte mein Lehrprinz mit seinem Hund geteilt. Nun kam die obligatorische Zigarre an die Reihe. "Wenn die aufgeraucht ist, haben wir eine dreiviertel Stunde angesessen!" war sein Kommentar. Da wechselten überraschend zwei Überläufer vor uns durch. Ohne reagieren zu können, waren sie auch schon wieder verschwunden. Zu der Zeit waren Sauen im Revier sehr seltene Gäste, daher hinterließ der Anblick bei vollem Tageslicht einen bleibenden Eindruck bei mir.

Bald darauf bezogen wir getrennte Plätze, um den Schnepfenstrich zu erwarten.

Bei mir hörte ich das Plätzen eines Rehbockes, der bereits gefegt hatte. Ich konnte ihn gut ansprechen, die linke Stange war als Spieß ausgebildet, während die rechte, gegabelte Stange etwa zur Hälfte abgebrochen war. Es musste sich um einen alten Bock handeln. Nach unseren damaligen strengen Regeln aber ein typischer Abschussbock.

Noch sangen die Vögel aus voller Kehle allenthalben, doch nach und nach erstarben immer mehr Stimmen. Vereinzelt meldete sich noch eine Amsel, dann war es soweit: Der erste Stern leuchtete vom Himmelzelt.

Ich erhob mich von meinem Stühlchen und blickte lauschend aufmerksam in das letzte Blau des Himmels bei hereinbrechender Nacht. Doch an diesem Abend war mir Diana nicht hold, bei späterer Dunkelheit hatte der Ruf eines Fischreihers (so hieß er damals noch!) den Jagdabend beendet.

Beim Zusammentreffen mit meinem Lehrprinzen berichtete ich von meinem Bockerlebnis. Er kannte den Bock nicht. „Wenn er tatsächlich so ist, wie du ihn beschrieben hast, darfst du ihn schießen", war seine Reaktion. Ich freute mich innerlich und fieberte der Jagdzeit auf den Rehbock entgegen.

Es hatte sich bei den einheimischen Jägern herumgesprochen, dass die Schnepfen balzten, so waren wir nun nicht mehr allein. Allabendlich versammelten sich 4 oder auch 5 Jäger, um auf die Schnepfen zu passen. Ich erstand meine erste Jagdwaffe, einen Drilling Marke Waldschütz von Krieghoff und konnte nun „ballern" wie es mein Lehrprinz nannte. Denn ich fehlte zu oft. Für mich waren die Schnepfen einfach nicht vom Himmel zu holen. Im ersten Jahr fiel meine Strecke mit einer Schnepfe doch sehr bescheiden aus.

In den Folgejahren wurde es etwas besser, doch schon bald wurde die Frühjahrsjagd auf die Waldschnepfe verboten. Da half es auch nicht, dass Wissenschaftler wie Kalchreuter nachweisen konnten, dass das Waldschnepfenvorkommen nicht weniger geworden war. In einigen Ländern Europas ist die Frühjahrsjagd durchaus auch heute noch üblich.

In meinen Aufzeichnungen über einen der letzten Jagdabende zur Schnepfenjagd habe ich folgende Begebenheit gefunden:

Gestern waren wir zu sechst im Walde. Mein Lehrprinz mit seinem Freund, dem Tabakhändler aus der nahen Kreisstadt, bei welchem er seine Zigarren bezog, ein Junglandwirt, der später von ihm den Hof pachten sollte, und dessen zwei gleichaltrige Berufskollegen. Den Schluss bildete ich als Benjamin.

Nach ausgiebigem „Beschnüffeln", denn nicht alle kannten sich bereits, bezogen wir getrennt je einen aussichtsreichen Platz. Hier harrten wir der Dinge, die da kommen sollten. Es fielen auch bald zwei Schüsse, mein Lehrprinz hatte seine Schnepfe. Er war ein hervorragender Flintenschütze und hatte schon 1938 in Berlin-Wannsee an der deutschen Meisterschaft teilgenommen. Er konnte schlecht verstehen und akzeptieren, dass meine Leistungen in der Hinsicht zu wünschen übrig ließen. Er war unser Hegeringleiter und für jagdliche Korrektheit und Weidgerechtigkeit hoch geachtet. Er war darauf bedacht, auch den in seinem Umfeld jagenden "Nachwuchs" in seinem Sinne anzuleiten.