Examens-Repetitorium
Strafprozessrecht

von

Dr. Armin Engländer
o. Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München

 

11., neu bearbeitete Auflage

 

www.cfmueller.de

UNIREP JURA

Herausgegeben von Prof. Dr. Mathias Habersack

Autor

Armin Engländer, Jahrgang 1969; Studium der Rechtswissenschaften in Frankfurt am Main; 1996 erstes juristisches Staatsexamen, 1999 zweites juristisches Staatsexamen, 2002 Promotion in Würzburg; 2008 Habilitation in Mainz; von 2009 bis 2014 Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Passau, seit Oktober 2014 Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Impressum

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ISBN 978-3-8114-5869-7

 

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Vorwort

Für die 11. Auflage sind Gesetzgebung, Rechtsprechung und Schrifttum bis zum Stand Januar 2022 eingearbeitet worden. Dabei ist aus dem Bereich der Legislative auf die Änderungen durch das „Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder“ vom 25.3.2021, das „Gesetz zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft an die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020“ vom 30.3.2021, das „Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/816 sowie zur Änderung weiterer Vorschriften“ vom 20.5.2021, das Gesetz „zur Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten gemäß § 362 StPO (Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit)“ vom 25.6.2021 sowie das „Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften“ vom 25.6.2021 hinzuweisen. Aus der aktuellen Rechtsprechung haben u.a. eine Entscheidung des EGMR zur Besorgnis der Befangenheit bei Vorbefassung des Richters (EGMR NJW 2021, 2947), die Beschlüsse des BVerfG zum Anspruch auf eine effektive Strafverfolgung bei rechtswidriger Zwangsfixierung (BVerfG NJW 2020, 675) und zur Verfassungsmäßigkeit des Verständigungsgesetzes und zum Erfordernis der ausdrücklichen und nicht bloß konkludenten Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Verständigung (BVerfG NJW 2021, 2269) sowie die Entscheidungen des BGH zur Geltung des Schlechterstellungsverbots bei erstmaliger Einziehung in der Rechtsmittelinstanz (BGHSt 64, 48), zum heimlichen Zugriff auf beim Provider zwischen- oder endgespeicherte („ruhende“) E-Mails (BGH NJW 2021, 1252), zu den Auswirkungen des Wiedereintritts in die Beweisaufnahme auf die Fristsetzung bei Beweisanträgen (BGH NJW 2021, 2129), zur Bindungswirkung einer Verständigung nach Aussetzung des Verfahrens (BGH NJW 2021, 2445) und zu Beweisbehauptungen „ins Blaue hinein“ (BGH NStZ 2022, 57) Berücksichtigung gefunden.

Besonderen Dank für Hilfe und Unterstützung bei der Erstellung der 11. Auflage schulde ich meinem gesamten Lehrstuhlteam, den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Herrn Simon Knirsch, Frau Dr. Kristina Peters, Frau Dr. Nina Schrott, Herrn Lorenz Seidl, den studentischen Hilfskräften Herrn Jakob Dittrich, Frau Rosalie Filbert, Herrn Oscar Fisser, Frau Philine Kieslich, Frau Carlotta Kuchlmayr, Herrn Leander Muschenich, Herrn Christian Rubenwolf, Frau Elisabeth Tscharke, sowie meiner Sekretärin Frau Maryam Scherf. Mein Dank gilt aber auch den aufmerksamen Leserinnen und Lesern der Vorauflage, die mit ihren wertvollen Hinweisen zur Verbesserung des Buches beigetragen haben. Wiederum sind alle Leserinnen und Leser herzlich eingeladen, sich mit Vorschlägen, Kritik und Lob unter armin.englaender@jura.uni-muenchen.de an mich zu wenden.

 

München, im Januar 2022

Armin Engländer

Vorwort zur 1. Auflage

Obwohl das Strafprozessrecht zum Pflichtstoff für das Staatsexamen zählt, setzen zahlreiche Examenskandidaten bei der Examensvorbereitung hier nach wie vor „auf Lücke“. Dabei lässt sich in diesem Gebiet mit einem soliden Basiswissen schnell punkten. In der strafprozessualen Zusatzfrage der Strafrechtsklausur sowie in der mündlichen Prüfung wird in der Regel nicht Detailwissen, sondern lediglich die Kenntnis der wichtigsten Vorschriften und der Grundstrukturen des Strafverfahrens verlangt. Der konzentrierten Vermittlung und Wiederholung dieses Stoffes soll das vorliegende Buch dienen. Es ist deshalb gegenüber einem klassischen StPO-Lehrbuch bewusst deutlich verknappt und beschränkt sich auf das Wesentliche – dies gilt auch für die Nachweise von Rechtsprechung und Literatur. Die Wiederholungsfragen am Ende sollen eine Überprüfung des eigenen Lernerfolges ermöglichen.

Mein Dank gilt Herrn Professor Dr. Michael Hettinger für Rat und Unterstützung, Frau stud. jur. Bettina Wickert für die Erstellung der Schaubilder sowie den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Juristischen Examenskurses der Universität Mainz für wertvolle Anregungen und Hinweise.

Die Leserinnen und Leser sind herzlich eingeladen, sich mit Vorschlägen und Kritik (aber natürlich auch mit Lob) unter englaender@mail.jura.uni-mainz.de an mich zu wenden.

 

Mainz, im Dezember 2003        Armin Engländer

Inhaltsverzeichnis

 Vorwort zur 1. Auflage

 Vorwort

 Inhaltsverzeichnis

 Abkürzungsverzeichnis

 Literaturverzeichnis

 § 1 Überblick über Ziele, Quellen und Gang des Strafverfahrens

  I. Ziele des Strafverfahrens 1, 2

  II. Quellen des Strafverfahrens 3

  III. Gang des Strafverfahrens 4, 5

 § 2 Die Prozessvoraussetzungen

  I. Wichtige Prozessvoraussetzungen 6 – 8

  II. Fehlen von Prozessvoraussetzungen 9, 10

 § 3 Die Prozessmaximen

  I. Das Rechtsstaatsprinzip 11

  II. Das Offizialprinzip 12 – 15

   1. Inhalt 12

   2. Die Antragsdelikte 13

   3. Die Ermächtigungsdelikte 14

   4. Die Privatklagedelikte 15

  III. Das Akkusationsprinzip 16

  IV. Das Legalitätsprinzip 17 – 19

   1. Inhalt 17

   2. Außerdienstlich erlangtes Wissen 18

   3. Die Bindung der StA an die höchstrichterliche Rechtsprechung 19

  V. Der Untersuchungsgrundsatz (Ermittlungs- oder Instruktionsprinzip) 20

  VI. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz 21

  VII. Das Mündlichkeitsprinzip 22

  VIII. Der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung 23, 24

   1. Inhalt 23

   2. Das Schweigen des Angeklagten 24

  IX. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ 25

  X. Der Grundsatz der Öffentlichkeit 26, 27

  XI. Der Beschleunigungsgrundsatz 28, 29

  XII. Das Prinzip „nemo tenetur se ipsum accusare“ 30

  XIII. Der Grundsatz des fairen Verfahrens (fair trial) 31

 § 4 Die Gerichtszuständigkeit und -organisation

  I. Die sachliche Zuständigkeit in der ersten Instanz 32 – 41

   1. Das Amtsgericht 33 – 36

   2. Das Landgericht 37 – 39

   3. Das Oberlandesgericht 40, 41

  II. Die örtliche Zuständigkeit in der ersten Instanz 42, 43

  III. Die Zuständigkeit in Rechtsmittelverfahren 44 – 46

  IV. Die Zuständigkeit des EGMR 47 – 49

 § 5 Die Verfahrensbeteiligten

  I. Die Staatsanwaltschaft 50 – 55

   1. Die Organisation der StA 51 – 53

   2. Die Reichweite der Weisungsgebundenheit 54

   3. Die Ablehnbarkeit eines StA wegen Besorgnis der Befangenheit 55

  II. Die Polizei 56, 57

  III. Der Beschuldigte 58 – 67

   1. Der Beschuldigtenstatus 58, 59

   2. Die Pflichten des Beschuldigten 60

   3. Die Rechte des Beschuldigten 61 – 67

  IV. Der Verteidiger 68 – 79

   1. Der Verteidigerstatus 68

   2. Die Pflichten des Verteidigers 69 – 71

   3. Die Rechte des Verteidigers 72 – 76

   4. Wahlverteidiger und Pflichtverteidiger 77

   5. Das Verbot der Mehrfachverteidigung 78

   6. Der Ausschluss des Verteidigers 79

  V. Der Zeuge 80 – 88

   1. Der Zeugenstatus 80

   2. Die Pflichten des Zeugen 81 – 81

   3. Die Rechte des Zeugen 84 – 88

  VI. Der Sachverständige 89 – 91

  VII. Der Verletzte 92

  VIII. Der Richter 93 – 95

   1. Der Ausschluss 94

   2. Die Ablehnung 95

 § 6 Das Ermittlungsverfahren

  I. Die Einleitung 96, 97

  II. Die Durchführung 98 – 105

   1. Die Vernehmung des Beschuldigten 100 – 102

   2. Die Einschaltung des Ermittlungsrichters 103 – 105

  III. Der Abschluss 106 – 113

   1. Die Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts 106

   2. Die Einstellung mangels öffentlichen Interesses 107

   3. Die Einstellung aus Opportunitätsgründen 108 – 111

   4. Klageerhebung 112, 113

  IV. Das Klageerzwingungsverfahren 114 – 116

 § 7 Die Zwangsmittel

  I. Die Untersuchungshaft 117 – 125

   1. Die Voraussetzungen 118 – 121

   2. Der Ablauf 122 – 124

   3. Der Rechtsschutz 125

  II. Die vorläufige Festnahme 126 – 132

   1. Das Jedermann-Festnahmerecht 127 – 130

    a) Die Voraussetzungen 127, 128

    b) Der Umfang des Festnahmerechts 129, 130

   2. Das Festnahmerecht für StA und Polizei 131

   3. Die Richtervorführung 132

  III. Die körperliche Untersuchung des Beschuldigten 133 – 135

  IV. Die molekulargenetische Untersuchung 136 – 138

  V. Maßnahmen gegen Dritte 139

  VI. Die Sicherstellung 140 – 144

   1. Die Beschlagnahme 141, 142

   2. Die Führerscheineinziehung 143

   3. Die Beschlagnahme von Postsendungen 144

  VII. Die Überwachung der Telekommunikation 145 – 149

   1. Die Voraussetzungen 145 – 147

   2. Die Raumüberwachung 148

   3. Die Quellen-TKÜ 149

  VIII. Die Online-Durchsuchung 150

  IX. Die akustische Wohnraumüberwachung 151 – 153

  X. Das Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes 154

  XI. Die Erhebung von Verkehrs- und Bestandsdaten 155

  XII. Der Einsatz technischer Mittel 156 – 158

   1. Lichtbilder und Bildaufzeichnungen 156a

   2. Sonstige für Observationszwecke bestimmte technische Mittel 157

   3. IMSI-Catcher 158

  XIII. Die Durchsuchung 159 – 162

  XIV. Der Einsatz von verdeckt operierenden Personen (Verdeckte Ermittler u.a.) 163 – 167

   1. Verdeckt operierende Personen 163

   2. Die Einsatzvoraussetzungen 164, 165

   3. Die Tatprovokation 166, 167

  XV. Weitere Maßnahmen im Überblick 168 – 175

  XVI. Der Rechtsschutz gegen Zwangsmaßnahmen 176 – 180

   1. Allgemeine Regelung 176, 177

   2. Sonderregelung 178 – 180

 § 8 Das Zwischenverfahren

  I. Einleitung und Durchführung 181

  II. Der Abschluss 182 – 185

 § 9 Das Hauptverfahren

  I. Die Vorbereitung der Hauptverhandlung 186

  II. Die Durchführung der Hauptverhandlung 187 – 204

   1. Der Ablauf 187 – 199

   2. Die Anwesenheitspflichten 200 – 202

   3. Das Sitzungsprotokoll 203, 204

 § 10 Das Beweisrecht

  I. Allgemeine Grundsätze des Beweisrechts 205 – 209

   1. Die Tatsachen 206

   2. Das Beweisverfahren 207 – 209

  II. Das Beweisantragsrecht 210 – 226

   1. Der Beweisantrag 210 – 223

   2. Der Beweisermittlungsantrag und die Beweisanregung 224 – 226

  III. Unmittelbarkeitsgrundsatz, Verlesung und audiovisuelle Aufnahmen 227 – 241

   1. Die Verlesung insb. bei Abwesenheit 228 – 230

   2. Die Verlesung und Verwertung nach Zeugnisverweigerung 231, 232

   3. Die Verlesung bei Erinnerungslücken 233

   4. Die Verlesung und Vorführung von Geständnissen 234, 235

   5. Die Videosimultanvernehmung 236

   6. Die Aufzeichnung und die Vorführung von Zeugenvernehmungen in Bild und Ton 237 – 240

   7. Der Vorhalt 241

  IV. Unmittelbarkeitsgrundsatz und verdeckte Ermittlung 242 – 245

  V. Die Beweisverbote 246 – 272

   1. Die Beweiserhebungsverbote 247 – 250

   2. Die Beweisverwertungsverbote 251 – 272

    a) Gesetzliche Regelungen 252, 253

    b) Allgemeine Kriterien 254

    c) Die fehlende Zeugenbelehrung nach 255

    d) Die Verletzung der Schweigepflicht durch Vertrauenspersonen i. S. d. 256

    e) Die fehlende Genehmigung nach 257

    f) Die fehlende Zeugenbelehrung nach 258

    g) Die Zeugnisverweigerung in der Hauptverhandlung 259

    h) Die fehlerhafte Belehrung des Beschuldigten nach 260 – 264

    i) Fehler bei der körperlichen Untersuchung nach 265

    j) Fehler bei der Überwachung der Telekommunikation 266

    k) Fehler bei der Durchsuchung 267

    l) Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht 268

    m) Von Privatpersonen rechtswidrig gewonnene Beweise 269, 270

    n) Verdeckte Ermittlungen 271

    o) Fernwirkung von Beweisverboten 272

 § 11 Das Urteil

  I. Arten und Gegenstand des Urteils 273 – 276

   1. Das Urteil 273, 274

   2. Die Tat im prozessualen Sinne 275, 276

  II. Die Urteilsabsprachen 277 – 280

   1. Die Voraussetzungen 278

   2. Die Bindungskraft 279

   3. Ungültige Vereinbarungen 280

  III. Die Rechtskraft 281 – 286

   1. Die formelle Rechtkraft 281

   2. Die materielle Rechtskraft 282 – 284

   3. Die Beseitigung der Rechtskraft 285

   4. Die Rechtskraft von Beschlüssen 286

 § 12 Rechtsmittel und außerordentliche Rechtsbehelfe

  I. Allgemeines 287 – 294

   1. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen der Rechtsmittel 289, 290

   2. Das Verbot der reformatio in peius 291

   3. Die Teilanfechtung 292

   4. Verzicht und Rücknahme 293, 294

  II. Die Berufung 295 – 297

   1. Die Einlegung 296

   2. Die Entscheidungsmöglichkeiten 297

  III. Die Revision 298 – 307

   1. Die Einlegung 299

   2. Die Revisionsgründe 300 – 304

    a) Verfahrensrüge 301 – 303

    b) Sachrüge 304

   3. Die Entscheidungsmöglichkeiten 305, 306

   4. Die Revisionserstreckung 307

  IV. Die Beschwerde 308 – 312

   1. Arten, Einlegung und Ausschluss der Beschwerde 308 – 311

   2. Die Entscheidungsmöglichkeiten 312

  V. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 313, 314

  VI. Die Wiederaufnahme des Verfahrens 315, 316

 § 13 Besondere Verfahren

  I. Das Strafbefehlsverfahren 317 – 319

  II. Das beschleunigte Verfahren 320

  III. Das Privatklageverfahren 321

  IV. Die Nebenklage 322

  V. Das Adhäsionsverfahren 323

 Wiederholungsfragen

 Sachverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

a.A.

andere Ansicht

a.a.O.

am angegebenen Ort

Abs.

Absatz

a.F.

alte Fassung

AG

Amtsgericht

Arg.

Argument

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

BORA

Berufsordnung für Rechtsanwälte

BRAO

Bundesrechtsanwaltsordnung

BT-Drucks.

Bundestagsdrucksache

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

diff.

differenzierend

d.h.

das heißt

EMRK

Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

f, ff.

folgend (e)

GG

Grundgesetz

ggf.

gegebenenfalls

grds.

grundsätzlich

GrS

Großer Senat

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

h.L.

herrschende Lehre

h.M.

herrschende Meinung

Hs.

Halbsatz

i.d.R.

in der Regel

i.e.S.

im engeren Sinne

insb.

insbesondere

i.S.v.

im Sinne von

i.V.m.

in Verbindung mit

i.w.S.

im weiteren Sinne

JGG

Jugendgerichtsgesetz

krit.

kritisch

LG

Landgericht

LOStA

Leitender Oberstaatsanwalt

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

OLG

Oberlandesgericht

RegE

Regierungsentwurf

RiStBV

Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren

Rn.

Randnummer

Rspr.

Rechtsprechung

S.

Satz

sog.

sogenannt

StA

Staatsanwaltschaft

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozessordnung

StV

Strafverteidiger (Zeitschrift)

TKÜ

Telekommunikationsüberwachung

t.v.A.

teilweise vertretene Ansicht

v.a.

vor allem

vgl.

vergleiche

z.B.

zum Beispiel

Literaturverzeichnis

Lehrbücher

Beulke/Swoboda

Beulke, Werner/Swoboda, Sabine, Strafprozessrecht, 15. Aufl. 2020. Zitiert: Beulke/Swoboda

Haller/Conzen

Haller, Klaus/Conzen, Klaus, Das Strafverfahren, 9. Aufl. 2021. Zitiert: Haller/Conzen

Heger/Pohlreich

Heger, Martin/Pohlreich, Erol, Strafprozessrecht, 2. Aufl. 2018. Zitiert: Heger/Pohlreich

Heinrich/Reinbacher

Heinrich, Bernd/Reinbacher, Tobias, Examinatorium Strafprozessrecht, 3. Aufl. 2021. Zitiert: Heinrich/Reinbacher

Kindhäuser/Schumann

Kindhäuser, Urs/Schumann, Kay, Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2022. Zitiert: Kindhäuser/Schumann

Klesczewski

Klesczewski, Diethelm, Strafprozessrecht, 2. Aufl. 2013. Zitiert: Klesczewski

Kramer

Kramer, Bernhard, Grundlagen des Strafverfahrensrechts, 9. Aufl. 2021. Zitiert: Kramer

Krey/Heinrich

Krey, Volker/Heinrich, Manfred, Deutsches Strafverfahrensrecht, 2. Aufl. 2018. Zitiert: Krey/Heinrich

Kühne

Kühne, Hans-Heiner, Strafprozessrecht, 9. Aufl. 2015. Zitiert: Kühne

Murmann

Murmann, Uwe, Prüfungswissen Strafprozessrecht, 4. Aufl. 2019. Zitiert: Murmann

Ostendorf/Brüning

Ostendorf, Heribert, Strafprozessrecht, 4. Aufl. 2021. Zitiert: Ostendorf/Brüning

Putzke/Scheinfeld

Putzke, Holm/Scheinfeld, Jörg, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2019. Zitiert: Putzke/Scheinfeld

Roxin/Schünemann

Roxin, Claus/Schünemann, Bernd, Strafverfahrensrecht, 29. Aufl. 2017. Zitiert: Roxin/Schünemann

Schroeder/Verrel

Schroeder, Friedrich-Christian/Verrel, Torsten, Strafprozessrecht, 7. Aufl. 2017. Zitiert: Schroeder/Verrel

Volk/Engländer

Volk, Klaus/Engländer, Armin, Grundkurs StPO, 10. Aufl. 2021. Zitiert: Volk/Engländer

Walter

Walter, Tonio, Strafprozessrecht, 2020. Zitiert: Walter

Kommentare

AnwK

Anwaltkommentar Strafprozessordnung (Hrsg. Krekeler/Löffelmann), 2. Aufl. 2010. Zitiert: AnwK-Bearbeiter

BeckOK

Beck'scher Online-Kommentar Strafprozessordnung (Hrsg. Graf), Stand: 1.10.2021. Zitiert: BeckOK-Bearbeiter

DDRK

Dölling, Dieter/Duttge, Gunnar/Rössner, Dieter/König, Stefan, Gesamtes Strafrecht, 5. Aufl. 2022. Zitiert: DDRK-Bearbeiter

Eisenberg

Eisenberg, Ulrich, Beweisrecht der StPO, 10. Aufl. 2017. Zitiert: Eisenberg

HK

Heidelberger Kommentar zur Strafprozessordnung (Hrsg. Gercke u.a.), 6. Aufl. 2019. Zitiert: HK-Bearbeiter

Joecks

Joecks, Wolfgang, Studienkommentar Strafprozessordnung, 4. Aufl. 2015. Zitiert: Joecks

KK

Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung (Hrsg. Hannich), 8. Aufl. 2019. Zitiert: KK-Bearbeiter

KMR

KMR Kommentar zur Strafprozessordnung (Hrsg. von Heintschel-Heinegg/Stöckel), Loseblatt, Stand Oktober 2021. Zitiert: KMR-Bearbeiter

LR

Löwe-Rosenberg (Hrsg. Erb u.a.) Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz mit Nebengesetzen, 27. Aufl. 2016 ff. Zitiert: LR-Bearbeiter

Meyer-Goßner/Schmitt

Meyer-Goßner, Lutz/Schmitt, Bertram, Strafprozessordnung, 64. Aufl. 2021. Zitiert: Meyer-Goßner/Schmitt-Bearbeiter

MüKo

Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung (Hrsg. Knauer u.a.), 1. Aufl. 2014 ff., 2. Aufl. 2021. Zitiert: MüKo-Bearbeiter

Radtke/Hohmann

Radtke, Henning/Hohmann, Olaf, Strafprozessordnung, 2011. Zitiert: Radtke/Hohmann-Bearbeiter

SK

Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz (Hrsg. Degener u.a.), 5. Aufl. 2015 ff. Zitiert: SK-Bearbeiter

SSW

Satzger, Helmut/Schluckebier, Wilhelm/Widmaier, Gunter, Strafprozessordnung, 4. Aufl. 2020. Zitiert: SSW-Bearbeiter

§ 1 Überblick über Ziele, Quellen und Gang des Strafverfahrens

I. Ziele des Strafverfahrens

1

Das materielle Strafrecht bestimmt, welche Verhaltensweisen als Straftat gelten und mit welchen Sanktionen sie geahndet werden sollen. Hingegen regelt das Strafprozessrecht, auf welche Weise das Vorliegen einer Straftat ermittelt und die Strafverfolgung durchgesetzt wird. Dabei dient das Strafverfahren drei grundlegenden Zielen:

-

Wahrheit: Niemand soll zu Unrecht bestraft werden. Das Strafverfahren bezweckt die Feststellung des Sachverhaltes, wie er sich tatsächlich abgespielt hat, um auf dieser Grundlage eine materiell-rechtlich richtige Entscheidung treffen zu können.

-

Rechtsstaatlichkeit: Niemand soll unverhältnismäßigen Eingriffen und einem Missbrauch staatlicher Machtmittel ausgesetzt werden. Das Strafverfahren bezweckt daher eine rechtsstaatliche Steuerung der Strafverfolgung.

-

Rechtsfrieden: Das Strafverfahren soll schließlich durch eine abschließende verbindliche Entscheidung die Geltung der Rechtsordnung bekräftigen und dadurch Rechtsfrieden schaffen.

2

Freilich harmonieren diese Ziele nicht notwendig miteinander; sie können u.U. auch miteinander in Konflikt geraten.

Fall 1a: A ist angeklagt, seine Ehefrau getötet zu haben. Da die Leiche niemals gefunden wurde, kommt als einziges Beweismittel ein Zeugenbeweis durch den Polizisten P in Betracht, demgegenüber A nach Dunkelhaft und ständigem Stören im Schlaf ein – später widerrufenes – Geständnis abgelegt hatte.

Lösung: Hier besagt die Regelung des § 136a Abs. 1, Abs. 3 S. 2 StPO (verbotene Vernehmungsmethoden), dass das Geständnis des A nicht verwertet werden darf. Das Ziel der Wahrheitsfindung muss damit hinter das kollidierende Ziel eines rechtsstaatlichen Verfahrens zurücktreten. A wäre demzufolge freizusprechen.

Fall 1b: Jahre später brüstet sich der rechtskräftig freigesprochene A gegenüber seinem Freund F damit, seine Ehefrau getötet und die Leiche beseitigt zu haben, ohne dass ihm die Ermittlungsbehörden auf die Schliche gekommen seien.

Lösung: Hier ist nach § 362 Nr. 4 StPO ausnahmsweise eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu Ungunsten des A zulässig. Die Urteilsgrundlage gilt in einem solchen Fall als so erschüttert, dass das Ziel eines fortdauernden Rechtsfriedens durch eine rechtskräftige Entscheidung hinter dem Ziel der Wahrheitsfindung zurückstehen muss. A könnte so in einer neuen Hauptverhandlung wegen Totschlags oder Mordes verurteilt werden.

II. Quellen des Strafverfahrens

3

Strafprozessuale Vorschriften finden sich nicht nur in der StPO, sondern in vielen Gesetzen. Dabei sind vor allem zu beachten:

StPO: Sie stellt die Hauptquelle des Verfahrensrechts dar und regelt insb. den Ablauf des Verfahrens.

GVG: Das GVG bestimmt Aufbau, Zusammensetzung und Zuständigkeit der Gerichte und die Organisation der StA.

GG: Prozessrelevant sind insb. das Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 3 GG, die Regelungen über die Judikative in Art. 92 ff. GG sowie die grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 101, 103, 104 GG.

JGG: Hier werden die Besonderheiten des Verfahrens gegen Jugendliche und Heranwachsende geregelt.

StGB: Das StGB enthält Vorschriften zu Verfolgungsvoraussetzungen wie dem Strafantragsrecht, §§ 77 ff. StGB, und zu Verfolgungshindernissen wie der Verjährung, §§ 78 ff. StGB.

EMRK: Wichtig ist hier vor allem Art. 6 EMRK, der die grundlegenden Rechte des Angeklagten beinhaltet.

Neben diesen gesetzlichen Grundlagen sind noch die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) von besonderer Bedeutung. Diese Verwaltungsvorschriften leiten vor allem das genauere Vorgehen der StA.

III. Gang des Strafverfahrens

Das Strafverfahren lässt sich zunächst in zwei große Abschnitte untergliedern:

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Erkenntnisverfahren: Hier wird geklärt, ob sich ein Beschuldigter einer Straftat schuldig gemacht hat. Das Erkenntnisverfahren besteht aus drei Teilen:

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Ermittlungsverfahren: Im Ermittlungsverfahren – auch Vorverfahren genannt – (§§ 160–177 StPO) ermittelt die StA (i.d.R. zunächst die Polizei, von sich aus oder auf Anweisung der StA), ob „genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage“ besteht, d.h. ob der Beschuldigte der Tat hinreichend verdächtig ist. Ergeben die Ermittlungen keinen solchen Verdacht oder erweist sich die Tat als nicht verfolgungswürdig, stellt die StA das Verfahren ein. Anderenfalls erhebt sie Anklage, § 170 Abs. 1 StPO (ausf. Rn. 96 ff.).

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Zwischenverfahren: Hat die StA Anklage erhoben, prüft das Gericht im Zwischenverfahren (§§ 199–211 StPO), ob der von der StA behauptete hinreichende Tatverdacht gegen den Angeschuldigten tatsächlich besteht. Bejaht es dies, beschließt das Gericht, das Hauptverfahren zu eröffnen und die Anklage zur Hauptverhandlung zuzulassen, §§ 203, 207 StPO (ausf. Rn. 182 ff.).

Schaubild 1: Ablauf des Erkenntnisverfahrens

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Hauptverfahren: Im Hauptverfahren (§§ 213–358 StPO), das sich in die Vorbereitung (§§ 213 ff. StPO) und die Durchführung (§§ 226 ff. StPO) der Hauptverhandlung untergliedern lässt und das i.d.R. mit einem Urteil endet, § 260 StPO, wird geprüft, ob sich der Angeklagte tatsächlich der ihm vorgeworfenen Straftat schuldig gemacht hat. Der Hauptverhandlung erster Instanz kann sich noch ein Rechtsmittelverfahren (§§ 296 ff. StPO), d.h. Berufung (bei Urteilen des AG) und Revision, anschließen. Auch das Rechtsmittelverfahren ist noch Teil des Hauptverfahrens, da dieses erst mit einem rechtskräftigen Urteil endet (ausf. Rn. 187 ff.).

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Vollstreckungsverfahren: Wird der Angeklagte rechtskräftig verurteilt, schließt sich an das Erkenntnisverfahren das von der StA geleitete Vollstreckungsverfahren (§§ 449–463d StPO) an.

§ 2 Die Prozessvoraussetzungen

I. Wichtige Prozessvoraussetzungen

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Damit ein Gericht zu einem Sachurteil (= inhaltliche Entscheidung zu einem Anklagevorwurf durch Freispruch oder Verurteilung) gelangen kann, müssen bestimmte Zulässigkeitsbedingungen, sog. Prozessvoraussetzungen, erfüllt sein. Umstände, die vorliegen müssen, werden dabei als positive und Umstände, die nicht vorliegen dürfen, als negative Prozessvoraussetzungen bezeichnet. Das Fehlen einer Prozessvoraussetzung stellt ein Verfahrenshindernis dar. Es darf dann keine Entscheidung in der Sache ergehen, sondern das Verfahren ist durch Einstellung zu beenden. Prozessvoraussetzungen sind grds. in jedem Verfahrensstadium, in dem sie vorliegen müssen, von Amts wegen zu prüfen (zur Anwendbarkeit des in dubio-Grundsatzes vgl. Fall 6).

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Wichtige Prozessvoraussetzungen sind:

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sachliche und örtliche Zuständigkeit des Gerichts (vgl. Rn. 32 ff.)

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Strafmündigkeit: Personen unter vierzehn Jahren sind schuldunfähig, § 19 StGB und damit auch nicht strafmündig.

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Verhandlungsfähigkeit: Der Beschuldigte muss fähig sein, in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen wahrzunehmen, die Verteidigung in verständlicher und verständiger Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen.

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keine anderweitige Rechtshängigkeit: Das Verfahren darf noch nicht bei einem anderen Gericht rechtshängig sein. Die Rechtshängigkeit tritt nach h.M. mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses ein (BGHSt 29, 341, 343; a.A. Roxin/Schünemann, § 40 Rn. 10).

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keine entgegenstehende Rechtskraft: Die Strafklage darf durch eine rechtskräftige Entscheidung in derselben Sache nicht bereits verbraucht sein, vgl. Art. 103 Abs. 3 GG.

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keine Verjährung: Die Verjährung ist geregelt in §§ 78 ff. StGB.

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wirksamer Strafantrag bei Antragsdelikten (es sei denn, der fehlende Antrag kann durch Bejahung eines besonderen öffentlichen Interesses ersetzt werden, vgl. Rn. 13)

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wirksame Anklage und wirksamer Eröffnungsbeschluss: Nach h.M. können allerdings noch während der Hauptverhandlung erster Instanz sowohl wesentliche Mängel der Anklageschrift und des Eröffnungsbeschlusses geheilt als auch ein fehlender Eröffnungsbeschluss nachgeholt werden (zu Letzterem BGHSt 29, 224; a.A. Beulke/Swoboda, Rn. 552).

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kein Tod des Beschuldigten: Auch beim Tod des Beschuldigten endet – entgegen der früheren Rspr. – das Verfahren allerdings nicht von selbst, sondern es muss eingestellt werden (BGHSt 45, 108).

Umstritten ist, ob auch eine unzulässige Tatprovokation ein Verfahrenshindernis begründet und somit zur Einstellung des Verfahrens zwingt (näher dazu unten Rn. 166). Vom 2. Senat des BGH wird das nunmehr bejaht (BGHSt 60, 276; a.A. aber der 1. Senat: BGHSt 60, 238).

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Keine Verfahrenshindernisse sind dagegen nach h.M.:

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überlange Verfahrensdauer (vgl. Rn. 28)

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begrenzte Lebenserwartung: Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn auf Grund des schlechten Gesundheitszustandes des Beschuldigten dessen Tod gerade durch das Strafverfahren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.

II. Fehlen von Prozessvoraussetzungen

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Das endgültige Fehlen von Prozessvoraussetzungen, d.h. das Bestehen von endgültigen Verfahrenshindernissen, hat folgende Konsequenzen:

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im Ermittlungsverfahren: Die StA muss das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO einstellen.

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im Zwischenverfahren: Das Gericht beschließt, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen, § 204 StPO.

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im Hauptverfahren: Vor bzw. außerhalb der Hauptverhandlung wird das Verfahren durch Beschluss eingestellt, § 206a StPO; während der Hauptverhandlung ist das Verfahren durch Prozessurteil, d.h. ohne inhaltliche Entscheidung zum Anklagevorwurf, einzustellen, § 260 Abs. 3 StPO. Ausnahmsweise hat allerdings ein Urteil in der Sache zu ergehen, wenn bereits feststeht, dass der Angeklagte freizusprechen wäre – sog. Vorrang des Freispruchs vor der Einstellung.

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Liegt hingegen nur ein vorübergehendes Verfahrenshindernis vor, wird das Verfahren vor Anklageerhebung von der StA nach § 154f StPO und danach vom Gericht nach § 205 StPO vorläufig eingestellt. Im Hauptverfahren besteht alternativ auch die Möglichkeit einer Aussetzung oder Unterbrechung der Hauptverhandlung, § 228 StPO.

§ 3 Die Prozessmaximen

I. Das Rechtsstaatsprinzip

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Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt für das Strafverfahren, dass es nach klaren Grundregeln ablaufen muss, vor einem gesetzlich feststehenden und unabhängigen Richter stattzufinden hat, Art. 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 S. 2 GG, und die Beachtung der Grundrechte gewährleistet wird. Das bedeutet insbesondere:

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Der Beschuldigte darf nicht bloßes Untersuchungsobjekt sein, sondern er ist Prozesssubjekt mit eigenen prozessualen Rechten, Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG.

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Rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, muss grds. vor jeder nachteiligen Entscheidung gewährt werden.

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Die Aufklärung der Tat steht unter dem Verbot jeglichen Willenszwangs (vgl. § 136a StPO) und unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

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Die Verurteilung erfordert einen zweifelsfreien Schuldbeweis.

II. Das Offizialprinzip

1. Inhalt

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Das Offizialprinzip besagt, dass die Einleitung und die Durchführung des Strafverfahrens allein dem Staat obliegt. Die Strafverfolgung erfolgt von Amts wegen (ex officio), d.h. auch unabhängig vom Willen des Opfers. Damit unterscheidet sich das Strafverfahren fundamental vom Zivilprozess, in dem die Parteien selbst über Einleitung und Betreiben des Verfahrens befinden. Einschränkungen und Ausnahmen unterliegt das Offizialprinzip allerdings bei den Antragsdelikten, den Ermächtigungsdelikten und den Privatklagedelikten.

2. Die Antragsdelikte

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Bei den Antragsdelikten kann die Strafverfolgung zwar von Amts wegen begonnen werden (vgl. §§ 127 Abs. 3, 130 StPO), aber es darf grds. nicht ohne Strafantrag Anklage erhoben bzw. verurteilt werden. Dabei ist zu unterscheiden:

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Reine Antragsdelikte: Bei den reinen Antragsdelikten (z.B. Hausfriedensbruch, § 123 StGB; Haus- und Familiendiebstahl, § 247 StGB) ist das Vorliegen eines Strafantrages zwingend. Fehlt ein solcher und kann er auch nicht mehr gestellt werden, handelt es sich um ein endgültiges Prozesshindernis und das Verfahren muss eingestellt werden. Dabei ist das Vorliegen des Strafantrages grds. in jeder Phase des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen.

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Relative Antragsdelikte: Bei den relativen Antragsdelikten (z.B. einfache vorsätzliche oder fahrlässige Körperverletzung, § 230 StGB) kann die StA den fehlenden Strafantrag ersetzen, indem sie ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Das braucht sie nicht explizit zu tun; es genügt die konkludente Erklärung durch Erhebung der Anklage. Nach h.M. ist diese Entscheidung nicht gerichtlich überprüfbar (BGHSt 16, 225).

Fall 2: A ist wegen gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 StGB angeklagt. In der Hauptverhandlung kann ihm jedoch ein Körperverletzungsvorsatz nicht nachgewiesen werden. Daher kommt nur noch eine Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 229 StGB in Betracht. Ein Strafantrag nach § 230 StGB ist allerdings nicht gestellt. Der StA erklärt, er mache keine Angaben zum öffentlichen Interesse.

Lösung: Nicht in jeder Anklageerhebung liegt konkludent die Bejahung des öffentlichen Interesses. Erfolgt die Anklage unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten, etwa wegen des hinreichenden Verdachts einer Tat, bei der die StA – wie im vorliegenden Fall – eine Pflicht zur Strafverfolgung trifft, dann ist mit ihr noch keine Ermessensentscheidung über das Bestehen eines öffentlichen Interesses verbunden. Eine entsprechende Erklärung durch die StA kann zwar grds. jederzeit nachgeholt werden. Wird sie aber vom StA verweigert, obwohl die Verfahrenslage sie erfordert, gilt das öffentliche Interesse als verneint (BGHSt 19, 377, 379 ff.). Das Verfahren gegen A ist daher wegen eines Verfahrenshindernisses durch Prozessurteil nach § 260 Abs. 3 StPO einzustellen.

3. Die Ermächtigungsdelikte

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Bei den Ermächtigungsdelikten (z.B. Verunglimpfung des Bundespräsidenten, § 90 StGB; Verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen, § 90b StGB) ist die Strafverfolgung an die Ermächtigung eines bestimmten politischen Organs gebunden.

4. Die Privatklagedelikte

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Im Falle eines Privatklagedelikts (vgl. Katalog des § 374 StPO) erfolgt eine Strafverfolgung durch die StA nur, wenn sie im öffentlichen Interesse liegt, § 376 StPO. Ansonsten kann der Verletzte die Straftat im Privatklageweg selbst verfolgen.

III. Das Akkusationsprinzip

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Nach dem Akkusationsprinzip ist das Gericht zur Untersuchung einer Straftat nur befugt, wenn zuvor Anklage erhoben wurde, § 151 StPO. Staatliche Anklagebehörde ist allein die StA, § 152 Abs. 1 StPO; sie besitzt das Anklagemonopol (Ausnahme: bei Privatklagedelikten). Um eine strikte Trennung von Ankläger und Richter zu gewährleisten, bildet die StA dabei eine von den Gerichten unabhängige Instanz, § 150 GVG. Das Gericht ist bei seiner Untersuchung und Entscheidung an die in der Anklage bezeichnete Tat gebunden, §§ 155 Abs. 1, 264 Abs. 1 StPO. Als Tat gilt hier nach dem sog. strafprozessualen Tatbegriff nicht die materiell-rechtliche Straftat, sondern das gesamte Verhalten des Beschuldigten, soweit es mit dem in der Anklage beschriebenen Sachverhalt nach allgemeiner Lebensauffassung einen einheitlichen Vorgang bildet (BGHSt 45, 211, 212; vgl. Rn. 275 f.).

IV. Das Legalitätsprinzip

1. Inhalt

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Inhalt des Legalitätsprinzips ist die rechtliche Pflicht der StA, bei zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten – dem sog. Anfangsverdacht – Ermittlungen aufzunehmen und, sofern sich diese Anhaltspunkte zu einem hinreichenden Tatverdacht verdichten, Anklage zu erheben, §§ 152 Abs. 2, 160, 170 Abs. 1 StPO. Ein Anfangsverdacht liegt vor, wenn auf Grund der konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte das Vorliegen einer verfolgbaren Straftat nach kriminalistischer Erfahrung möglich erscheint. Dabei steht der StA ein gewisser Beurteilungsspielraum zu (KK-Diemer, § 152 Rn. 8). Nach h.M. sind auch Vorermittlungen zulässig, mit denen das Vorliegen zureichender Anhaltspunkte geklärt werden soll (SSW-Schnabl, § 152 Rn. 8; krit. SK-Wohlers, § 163 Rn. 3).

Zweck des Legalitätsprinzips ist es, die Verfolgung jeder Straftat ohne Ansehen der Person des Täters sicherzustellen. Rechtlich abgesichert wird es prozessual durch das Klageerzwingungsverfahren, §§ 172 ff. StPO (vgl. dazu Rn. 114 ff.), und materiell-strafrechtlich durch den Straftatbestand der Strafvereitelung im Amt, § 258a StGB.

Das Legalitätsprinzip gilt nicht unbeschränkt. Die §§ 153 ff. StPO enthalten Ausnahmeregelungen, die die Strafverfolgungsbehörden aus Zweckmäßigkeitserwägungen zum Absehen von der Strafverfolgung berechtigen (vgl. dazu Rn. 108 ff.). Als Leitprinzip fungiert damit in diesen Fällen das Opportunitätsprinzip.

Im Einzelnen ist die Reichweite des Legalitätsprinzips umstritten. Problematisch sind die Fälle des außerdienstlich erlangten Wissens und der Bindung an die höchstrichterliche Rspr.

2. Außerdienstlich erlangtes Wissen

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Das Legalitätsprinzip gilt unbedingt bei dienstlicher Kenntniserlangung. Gewinnt dagegen ein Staatsanwalt oder ein Polizist auf privatem Weg Wissen über eine mögliche Straftat, muss das Legalitätsprinzip gegen sein Recht auf Schutz der Privatsphäre abgewogen werden.

Fall 3: StA S sitzt im Tennisklub auf der Vereinsterrasse und erfährt von seinem Doppelpartner D, dass ihr gemeinsamer Freund, der Lehrer T, die 17-jährige Schülerin O im Anschluss an den Sportunterricht bedrängt und „begrapscht“ hat. S möchte die Sache unter den Tisch fallen lassen.

Lösung: Hier besteht ein Anfangsverdacht hinsichtlich eines sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Fraglich ist nun, ob S nicht nur ermitteln darf, sondern auch ermitteln muss. Nach einer t.v.A. ist die Pflicht zur Verfolgung auf die im Katalog des § 138 StGB (Roxin/Schünemann, § 39 Rn. 3) oder des § 100a StPO (Kramer, Rn. 177) genannten Straftaten beschränkt. Eine a.A. grenzt danach ab, ob es sich bei der in Betracht kommenden Straftat um ein Vergehen oder ein Verbrechen handelt und bejaht eine Verfolgungspflicht nur bei Letzteren (HK-Zöller, § 158 Rn. 8). S wäre demnach nicht zur Strafverfolgung verpflichtet, da § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB weder in § 138 StGB genannt ist noch ein Verbrechen darstellt. Der BGH nimmt dagegen eine Pflicht zur Verfolgung auch außerhalb des Katalogs des § 138 StGB und unabhängig von der Klassifikation als Verbrechen oder Vergehen an, wenn es sich um Straftaten handelt, die nach Art und Umfang öffentliche Interessen in besonderem Maße berühren, so z.B. auch bei Umweltdelikten und bei organisierter Kriminalität (BGHSt 12, 277, 280 f.; 38, 388, 392). Diese Abgrenzungsformel erscheint jedoch auf Grund ihrer Vagheit und Ungenauigkeit durchaus problematisch – insb. im Hinblick auf die strafrechtlichen Konsequenzen aus § 258a StGB bei Nichtverfolgung (allerdings verneint das BVerfG einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG; BVerfG NJW 2003, 1030). Folgt man dem BGH, ist im vorliegenden Fall ein besonderes öffentliches Interesse daran, dass im Schulwesen als Sonderrechtsverhältnis die Schüler vor sexuellen Übergriffen seitens des Lehrpersonals geschützt werden, wohl zu bejahen. S wäre demnach zur Strafverfolgung verpflichtet.

3. Die Bindung der StA an die höchstrichterliche Rechtsprechung

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Umstritten ist ferner, ob das Legalitätsprinzip die StA nicht nur an das Gesetz, sondern auch an dessen Interpretation durch die höchstrichterliche Rspr. bindet.

Fall 4: Geschäftsfrau G bietet dem A 500 €, wenn er ihren Konkurrenten K mal so richtig „aufmischt“. A geht zum Schein darauf ein und nimmt das Geld an. Er ist allerdings von vornherein fest entschlossen, die Tat nicht zu begehen und sieht nur eine günstige Gelegenheit, die G um die 500 € zu erleichtern. Kurze Zeit später fliegt die Sache auf. Die ermittelnde StA möchte das Verfahren gegen A einstellen. Sie hält die Rspr. des BGH, wonach auch zu verbotenen Zwecken eingesetztes Geld von § 263 StGB geschützt wird (vgl. BGHSt 29, 300; BGH NStZ 2002, 33), für falsch und möchte einer Auffassung aus dem Schrifttum folgen, die in diesen Fällen eine Strafbarkeit wegen Betruges ablehnt (so z.B. Schönke/Schröder-Perron, StGB, 30. Aufl. 2019, § 263 Rn. 150).

Lösung: Eine t.v.A. lehnt eine Bindung der StA an die Rspr. (außer bei Urteilen des BVerfG, § 31 Abs. 2 BVerfGG) ab, weil die StA nach § 150 GVG ein von den Gerichten unabhängiges selbstständiges Rechtspflegeorgan sei und auch Art. 20 Abs. 3 GG nur an „Gesetz und Recht“, nicht auch an die Rspr. binde (Roxin/Schünemann, § 9 Rn. 14). Nach einer a.A. ist zu differenzieren: Erachte die StA entgegen der Rspr. ein Verhalten für strafbar, sei sie an einer Anklage nicht gehindert, da anderenfalls eine Korrektur einer einmal etablierten Rspr. unmöglich würde (Klesczewski, Rn. 95). Halte sie es aber anders als die Rspr. für straflos, müsse sie zumindest bei gefestigter Rspr. auf Grund ihrer Pflicht, auf eine einheitliche Rechtsanwendung zu achten, anklagen und versuchen, im gerichtlichen Verfahren auf eine Änderung der Rspr. hinzuwirken (Beulke/Swoboda, Rn. 147 f.). Zum gleichen Ergebnis gelangt hier auch der BGH, der die Bindungswirkung damit begründet, dass nach dem Gewaltenteilungsprinzip nur die Gerichte zur Entscheidung darüber befugt seien, ob ein Strafgesetz verletzt ist, und zudem anderenfalls die Einheit der Rechtsordnung gefährdet würde (BGHSt 15, 155, 158 ff.). Nach den letzten beiden Auffassungen müsste die StA hier anklagen.

V. Der Untersuchungsgrundsatz (Ermittlungs- oder Instruktionsprinzip)

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materiellen WahrheitRn. 278