NICKOLAS
BUTLER

UNTERM
LAGERFEUER

Eine Story

Aus dem Amerikanischen
von Dorothee Merkel

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

Die Originalstory erschien 2012 unter dem Titel

»Underneath the Bonfire« im Erzählungsband »The Chainsaw-Soiree« im Verlag Thomas Dunne Books/St. Martin’s Press, New York

© 2014 by Nickolas Butler

Für die deutsche Ausgabe

© 2014 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Redaktion Ulf Müller, Köln

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg/Klett-Cotta Design,

Stuttgart unter Verwendung eines Fotos von © plainpicture/Etsa

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN 978-3-608-10417-2

Dieses E-Book ist nur in digitaler Form erhältlich.

Die Story ist eine Auskopplung aus dem Buch »Unterm Lagerfeuer. Stories« von Nickolas Butler.

UNTERM LAGERFEUER

Es hieß, das wusste ich – natürlich wusste ich es –,

Dass nur noch wenige Wochen blieben,

Dass es nichts mehr gab, was man hätte tun können.

aus James Merrills Gedicht »Weihnachtsbaum«

Sie schleiften die Bäume über den gefrorenen See und ließen dabei einen Schweif von Nadeln zurück. Die Baumspitzen kamen mit dem Eis, dem Schnee und Matsch genau an der Stelle in Berührung, an der früher einmal ein hellleuchtender Stern befestigt gewesen war oder vielleicht auch ein Engel. Sie trugen die Bäume an ihren Stümpfen. Die meisten von ihnen nahmen schon längst kein Wasser mehr auf, ihre Nadeln übersäten den Teppich und die in Lichter und Schmuck gehüllten Äste waren weder fröhlich noch beschwingt, sondern nur noch ein Brandrisiko. Konnten jeden Moment zu flammenden Pfeilen werden. Es war Tradition, die Bäume in der ersten Januarnacht draußen auf dem gefrorenen See zu verbrennen. Kat sah ihnen zu, wie sie vom Ufer kamen. Die schleifenden Äste verursachten ein leises, gleichmäßiges Schabgeräusch. Pieter, ihr Freund, hatte sich über eine Kettensäge gebeugt und schaute nach, ob noch genug Benzin in dem kleinen Tank war. Neben ihm stand ein Benzinkanister.

»Ist schon irgendwie traurig«, sagte sie und rieb sich die Arme. »So zu enden. Jedes Jahr. Einfach so verbrannt zu werden. Wo ist da der Sinn?«

Sie kamen immer näher. Die Nachbarn. Die ersten Bäume wurden schon aufeinandergehäuft, weit weg vom Ufer und den herüberschauenden Häusern. In anderthalb Kilometern Entfernung, oben auf einem Hügel, lag schimmernd die Stadt. Sie war auf einer Landenge gebaut, am Ufer zweier Seen, die sie wie Stützpfeiler umgaben.

Pieter drückte auf den Knopf für die Benzinpumpe, setzte die Spitze seines Stiefels ins Innere des Handgriffs, um die Säge fest gegen das Eis zu drücken, und zog dann kräftig am Anlasser. Die Säge knatterte. Er hob sie vom Eis und ließ ihre stählernen Zähne wirbeln; sie schrie laut in die Nacht hinaus. Kat zuckte zusammen. Selbst in dieser geringen Entfernung von der Stadt gab es keinen Verkehrslärm mehr, keine Busse, kein Hupen, keine Autostereoanlagen, keine betrunkenen Fußgänger. Die Kettensäge schien nicht hierher zu gehören und Kat vermutete, dass es genau dieser Nervenkitzel war, der Pieter so begeisterte. Er hatte ein breites Lächeln im Gesicht, halb verdeckt von seinem Schnurrbart, dessen Enden er mit Wachs zu zwei Locken geformt hatte. Sie mochte diesen Schnurrbart nicht. Die sorgfältig modellierten Barthaare kamen ihr vor wie eine groteske Tarnung.

»Ach was«, sagte Pieter, setzte die Säge wieder ab und ließ ihren kleinen Motor im Leerlauf. »Ist doch alles eine großartige Gaudi. Besser, als den Baum einfach auf den Bürgersteig zu schmeißen, findest du nicht? Schließlich hat einem so’n Baum ja mal was bedeutet, man hat ihn doch irgendwie geliebt. Und dann wirft man ihn einfach auf den Bürgersteig oder schmeißt ihn in irgendeinen Graben? Als wollte man heimlich eine Leiche loswerden? Nee. Das hier ist doch viel besser. Wir treffen uns alle, machen ein großes Lagerfeuer, trinken etwas Schnaps und gehen dann vielleicht noch nackt baden.« Er sah sie an und grinste.

»Du verarschst mich doch«, sagte sie entschieden.