Dominique Manotti

Madoffs Traum

Novelle

Deutsch von Iris Konopik

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Argument · Ariadne

Inhaltsverzeichnis

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Titel

I

II

III

IV

Helden

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Impressum

I

Ich sitze auf einer Steinbank in der prallen Sonne. Ein schöner Sommertag. Der Stein ist warm. Der Garten vor mir ist gut gepflegt. Der Rasen gemäht, gewässert, schnurgerade Buschreihen, alle identisch. In der Mitte ein Baum, zu einer Kugel beschnitten. Was für einer? Keine Ahnung. Ich bin ein Mann der Städte, des Betons und Asphalts. Von Bäumen verstehe ich nichts. Und der hier soll mich bis zu meinem Tod begleiten. Unerträglicher Gedanke.

Ich schließe die Augen und stehle mich davon. Ich träume. Wie ich es mein Leben lang getan habe. Wie es alle Amerikaner tun, sagt man. Zweifellos ein bisschen intensiver als die meisten meiner Mitbürger, zweifellos in größerem Stil.

Meine Kindheit in einer griesgrauen Familie hat mir wenig Erinnerungen hinterlassen. Die Schule ödete mich an und schien mir reine Zeitverschwendung. Ich ging so selten wie möglich hin. Hatte es eilig, diese Phase geheuchelter Ausbildung hinter mich zu bringen. Ich wollte aufsteigen, mich durchsetzen, gesehen, bewundert, geschätzt werden. Die einzige greifbare Möglichkeit war, viel Geld zu verdienen. Weil Geld die erste, die unmittelbarste Form des amerikanischen Traums ist, der einzige Wert, der einhellig von allen anerkannt und respektiert wird, der Nerv Amerikas. Weil ich an dem, was ich verdiene, mit Gewissheit erkenne, was ich wert bin. Ich kann mich mit meinem Nachbarn messen, und niemand kann meinen Wert bezweifeln. Ein Dollar wird immer ein Dollar sein.

Aber wie es angehen, wo beginnen, wenn man ein mittelloser junger Mann ist? Die ersten Sprossen der Leiter, die ersten Millionen sind am schwersten einzunehmen. Später, wenn man weit oben angelangt ist, macht man einen ganzen Roman daraus, man erzählt: Ich habe mit nichts angefangen, ich habe mein Geld Groschen für Groschen verdient, im Schweiße meines Angesichts. Ich allerdings war pragmatisch, realistisch, ich glaubte nicht an diese Märchen, außerdem hatte ich es eilig. Auf meine Familie konnte ich nicht zählen, ich war kein Erbe, und ich wollte keine Zeit verlieren. Also bin ich sehr jung in den Stand der Ehe getreten. Ich habe meinen Schwiegervater geheiratet. Mit seinem Geld und seinem Adressbuch habe ich meine eigene Wertpapierfirma gegründet. Ich war 22 Jahre alt und hatte keine genaue Vorstellung, wie ich es angehen sollte, das große Geld zu machen.

Das Abenteuer hat bescheiden begonnen. Börsenmakler, das war in den Sechzigerjahren keine Goldgrube. Uns Unbekannte hielt man von den großen Börsen fern, die gut abgeschirmt vor sich hin surrten. Die Indizes stiegen langsam und gleichmäßig, keine Blasen, keine Krisen, also keine Gelegenheiten für schwindelerregende Gewinne, eine Kundschaft von Rentiers. In meiner Firma arbeiteten wir eingepfercht zu dritt, in einer brütenden Atmosphäre. Die wichtigen Partien wurden anderswo gespielt, in den Industriekonzernen, den Ölgesellschaften, von all denen, die materielle Güter produzierten und ihre Gewinne in die Produktion reinvestierten, fernab meines beengten Büros. Hin und wieder griffen uns zwei Angestellte meines Schwiegervaters unter die Arme. Sie waren genauso jung wie ich, genauso motiviert, genauso hungrig, Jäger, die stets auf die kleinste Gelegenheit, das geringste Zeichen lauerten, Augen und Ohren weit offen und Messer zwischen den Zähnen. Wir haben einander ziemlich bald erkannt und uns zusammengetan, mit dem festen Vorsatz, unsere Chance gründlich zu nutzen, sobald sie sich bot. Wir mussten nicht lange darauf warten.