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ISBN 978-3-406-66553-0
© 2014 Verlag C. H. Beck oHG
Wilhelmstraße 9, 80801 München
Satz: Fotosatz Buck, Kumhausen
Umschlaggestaltung: fernlicht kommunikationsdesign, Gauting
Bildnachweis: © Jenny Sieboldt Fotografie, Berlin
eBook-Produktion: Datagroup int. SRL, www.datagroup.ro
Dieser Titel ist auch als Printausgabe beim
Verlag und im Buchhandel erhältlich.
Dieser Ratgeber gibt Ihnen einen Einblick in die Welt der Körpersprache. Denn genauso wie wir mit Worten sprechen, können wir auch mit unserem Körper kommunizieren. Forscher fanden sogar heraus, dass nur zwanzig Prozent der Informationen, die wir ständig austauschen, über die Sprache und den verbalen Inhalt erfolgen. Die übrigen achtzig Prozent tauschen wir über die Körpersprache aus. Doch dieses Wissen um Körpersprache ist in unserer Kultur weitgehend in Vergessenheit geraten.
Wenn Sie jetzt jedoch „schreckgeweitet die Augen aufreißen“, weil Ihnen gerade einfällt, was Sie Ihrem Chef gestern vielleicht unbewusst über das neue Projekt mitgeteilt haben, wissen Sie vielleicht doch noch mehr über Körpersprache, als Sie dachten. Manche von uns bleiben ja auch schon mal „starr vor Schreck“ stehen oder machen „Luftsprünge vor Freude“. Im Volksmund, in Sprichwörtern und auch in vielen Romanen ist die (Be-)Deutung unserer Körpersprache noch sehr präsent. Dieses Wissen war einmal sehr weitverbreitet und wir können immer noch gut damit umgehen. Doch wir tun es meist unbewusst.
Dieses Wissen um Körpersprache wollen wir reaktivieren. Wir werden Sie in die Lage versetzen, Mimik und Gestik Ihrer Mitmenschen aktiv zu deuten. Sie erfahren, wie Körpersprache überhaupt entsteht und was sie im Einzelnen bedeutet. Damit können Sie Ihre Menschenkenntnis perfektionieren und zudem die Gedanken Ihrer Gesprächspartner „lesen“ und verstehen. Das ist einfacher, als Sie denken.
Unser Buch bietet Ihnen zudem etwas völlig Neues: Wir verbinden erstmalig die Deutung der Körpersprache mit einer modernen Typenlehre, die aus der Gehirnforschung stammt. Viele Körpersprachebücher 8gehen davon aus, dass jeder Mensch in bestimmten Situationen gleich reagiert. Doch das ist nicht so: Unser spontanes Verhalten unterliegt individuellen Programmen, die sich nachhaltig auf die Körpersprache auswirken. Mehr dazu erfahren Sie in diesem Buch.
Gleichzeitig bekommen Sie ein Trainingsbuch an die Hand. Wir geben Ihnen konkrete Hinweise und Tipps. So können Sie Ihre eigene Körpersprache Schritt für Schritt verbessern und damit auch eine bessere Wirkung erzielen – eine wichtige Voraussetzung für beruflichen und privaten Erfolg. Hinweise zum Training finden Sie unter verschiedenen Aspekten. Wir haben eigene Übungen für Sie zusammengestellt, die in eigenen Kästen stehen. Bei den Fallbespielen sowie an anderen Stellen stellen wir zahlreiche Möglichkeiten vor, wie sie Ihr Verhalten direkt verändern oder an schwierige Situationen anpassen können. Und am Ende des Buches finden Sie ein ausführliches Trainingskapitel mit Hinweisen, wie Sie anders – besser – wirken und auftreten können.
Dieses Buch richtet sich in erster Linie an Menschen im Job. Wir schildern in unseren Beispielen Situationen, wie sie im Unternehmen und im Büro tagtäglich auftreten. Alles haben wir selbst erlebt und trainieren es seit mehr als zehn Jahren mit den Teilnehmern unserer Seminare. Es ist daher praxiserprobt und funktioniert. Natürlich können Sie diese Erkenntnisse auch auf das Privatleben übertragen. Denn wir haben nur eine Psyche und schalten zu Hause nicht mal schnell auf ein anderes Programm. Ganz im Gegenteil, wir verhalten uns privat meist genauso wie im Job.
Zuletzt noch zwei Anmerkungen: Wir wissen, dass mindestens die Hälfte unserer Leser Frauen sein werden, also Leserinnen. Doch wir wollen nicht immer Chefs und Chefinnen, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Kunden und Kundinnen erwähnen. Zugunsten der Lesbarkeit haben wir uns daher dazu entschlossen, nur die männliche Form zu verwenden. Da einer der Autoren eine Autorin ist, werden Sie uns, liebe Leserinnen, diesen Weg sicher gestatten.
Zweitens: Wenn wir „rechts“ und „links“ schreiben, bezieht sich das immer auf Ihre eigene Sicht, beziehungsweise auf Ihren eigenen Körper. Ihr Herz ist also links.
Ihre Caroline Krüll & Dr. Christian Schmid-Egger
Berlin, im Juni 2014
Zu Beginn dieses Buches möchten wir Ihnen drei Menschen vorstellen: Anke Grün, Michael Rot und Carsten Blau. Diese Menschen werden wir einen ganzen Arbeitstag lang begleiten. Sie sind unsere Protagonisten, die Ihnen, liebe Leser und Leserinnen, demonstrieren werden, was es mit Körpersprache auf sich hat. Alle drei Menschen arbeiten zusammen in einem ganz normalen Unternehmen, wie es in Deutschland Zehntausende gibt. Sie haben dort verschiedene Positionen und erleben all die Dinge, die auch Sie tagtäglich erleben, wenn Sie mit Menschen zusammenarbeiten. Ein Tag besteht aus Meetings, aus Kundengesprächen, aus Konflikten, aus Konfliktlösungen, aus der Mittagspause, aus Gesprächen mit den Kollegen, aus Gesprächen mit dem Chef, aus Gesprächen mit einem Mitarbeiter und aus vielen anderen Situationen.
In all diesen Situationen spielt die Körpersprache eine wesentliche Rolle. Und genau darum geht es in diesem Buch. Zusammen mit Frau Grün, Herrn Rot und Herrn Blau erleben Sie diesen Arbeitstag mit und erfahren, welche große Bedeutung die Körpersprache dabei hat. Und natürlich erfahren Sie auch, was Sie daraus für Ihr eigenes Leben mitnehmen können und wie Sie Ihre eigene Körpersprache verbessern können.
Warum stellen wir Ihnen ausgerechnet drei Menschen vor? Und warum sind sie nach Farben benannt? Das hat einen einfachen Grund. In der Verhaltenspsychologie setzt sich immer stärker die Erkenntnis durch, dass wir Menschen nicht von Grund auf gleich sind, sondern unterschiedlichen „Grundtypen“ des Verhaltens angehören. Diese 16grundlegenden Verhaltenstypen sind von Geburt an in uns festgelegt und ändern sich im Laufe unseres Lebens kaum noch. Jeder von uns entspricht einem solchen Grundtyp, der sich bis in die Körpersprache hinein auswirkt. In herkömmlichen Büchern und Modellen über Körpersprache spielten diese Verhaltenstypen bisher keine Rolle. Diese Information kann jedoch sehr viel dazu beitragen, die Körpersprache Ihres Gegenübers besser zu verstehen.
Dazu noch drei Anmerkungen. Unsere Modelle stammen nicht aus der Psychologie, sondern aus der modernen Gehirnforschung: Diese hat inzwischen sehr gute Vorstellungen darüber gewonnen, wie Verhalten und Körpersprache entstehen und wie sie mit unseren Gedanken zusammenhängen. Wir beziehen uns weitgehend darauf.
Zum Zweiten ist das Erkennen solcher Typen in der Praxis nicht immer einfach. Frau Grün, Herr Rot und Herr Blau sind extreme Vertreter ihres jeweiligen Verhaltenstypus. Wenn dieser in Ihrem Kollegenkreis vorkommt, werden Sie ihn sehr schnell erkennen. Doch viele Menschen sind Mischtypen, bei denen zwei oder gar alle drei Grundtypen das Verhalten sehr stark bestimmen. Hier wird das Erkennen und Deuten der spezifischen Körpersprache schon schwieriger. Dennoch gelingt das mit etwas Übung ebenfalls.
Zum Dritten überzeichnen wir die Typen bewusst, damit Sie als Leser besser verstehen, welches die Hauptcharakterzüge dieser Personen sind.
Zuerst möchten wir Ihnen jedoch unsere Protagonisten kurz vorstellen.
Anke Grün arbeitet in unserem fiktiven Unternehmen in der Personalabteilung. Sie leitet dort ein kleines Team und ist mit den verschiedenen Aufgaben betraut, die im Personalbereich anfallen. Sie ist verheiratet, hat zwei schulpflichtige ältere Kinder und wohnt in einem kleinen Reihenhäuschen in einem netten Wohngebiet in der Stadt. Anke Grün ist Anfang 40, hat ein freundliches, offenes Gesicht, schulterlange dunkle Haare und kämpft wie viele in ihrem Alter stets gegen ein paar überflüssige Pfunde an. Dennoch ist sie gut in Form und schafft immer wieder mal den Abstecher ins Fitnessstudio. Dort ist ihr neben dem Sport auch besonders wichtig, ein paar Freundinnen zu treffen und anschließend noch einen Kaffee an der Bar zu 17trinken. Anke Grün ist stets offen für Neues, liebt ausgefallene Ideen und fährt jedes Jahr an ein anderes Urlaubsziel, möglichst weit weg von Deutschland. Sie hat einen neueren japanischen Kleinwagen. Insgesamt macht sie sich wenig aus Autos und sieht sie eher als praktische Vehikel an.
Michael Rot ist der Chef. Er leitet das Unternehmen. Das tut er schon seit drei Jahren, auch vorher war er in einer wichtigen Führungsposition. Er ist Mitte 40, verheiratet und hat einen Sohn. Er wohnt im Westen der Stadt in einer besseren Gegend. Seinem Haus und seinem Garten, der direkt an einem kleinen See liegt, sieht man an, dass er es zu etwas gebracht hat. Aufwendige Garteninstallationen, ein pompöses schmiedeeisernes Tor, teure Sicherheitsfenster fallen sofort ins Auge. Zur Arbeit fährt er meist mit seinem Porsche-Cayenne-Geländewagen.
Michael Rot ist ein sportlicher und durchtrainierter Typ mit federndem Gang, kurz geschnittenen Haaren und kantigen Gesichtszügen. Seine Fitness pflegt er auf dem Tennisplatz und im heimischen Fitnessraum im Keller. Seine Ehefrau ist attraktiv, doch sonst eher unauffällig. Den Urlaub verbringt er entweder beim Segeln oder mit einem Freund in dessen Villa in Südspanien. Dort geht es auch immer ums Geschäft. Im Winter fährt er regelmäßig zum Skifahren in bekannte High-Society-Gebiete.
Carsten Blau ist Controller aus Leidenschaft. Zahlen, Daten und Fakten sind sein Leben und diese hat er stets gut im Griff. Carsten ist ein eher hagerer Typ mit asketischen Gesichtszügen und einer langen, schmalen Nase sowie einer hohen Stirn. Zusammen mit seiner Frau, einer Buchhalterin, und ihrer 16-jährigen Tochter, die leidenschaftlich Geige spielt, wohnt die Familie am Stadtrand zur Miete. Ein Auto haben sie nicht, weil Carsten im Sommer mit dem Fahrrad und im Winter mit der U-Bahn zur Arbeit fährt. Das hält ihn auch ausreichend fit und spart Geld. Im Urlaub treffen wir die Familie stets auf demselben Campingplatz an der holländischen Nordseeküste an. Dafür leihen sie sich immer das Auto von Carstens Bruder aus.
Mit dem folgenden Test können Sie ermitteln, wie gut Sie sich bereits mit Körpersprache auskennen. Wir haben diesen Check in Form eines Multiple-Choice-Tests dargestellt.
Und hier ist die Auflösung. Zählen Sie Ihre richtigen Antworten jetzt zusammen.
Frage 1: C ist richtig.
Frage 2: B ist richtig.
Frage 3: B ist richtig.
Frage 4: C ist richtig.
Frage 5: B ist richtig.
Frage 6: B ist richtig.
Frage 7: B ist richtig.
Frage 8: A ist richtig.
Frage 9: B ist richtig.
Frage 10. B ist richtig.
Hand aufs Herz: Wie viele Aufgaben konnten Sie lösen? Wir ersparen Ihnen hier die Auswertung nach Punkten, denn unser Buch wollen Sie ja auf jeden Fall lesen. Dort werden wir im Einzelnen erläutern, was es mit diesen und anderen Situationen auf sich hat. Unsere Aufgaben betreffen dabei ganz normale Situationen, wie Sie sie im 21Businessalltag tagtäglich vorfinden. Je besser Sie dabei die Körpersprache Ihres Gegenübers deuten können, desto sicherer werden Sie in Ihren Beurteilungen und Entscheidungen.
Um Ihnen jedoch ein langes Blättern im Buch zu ersparen, werden wir hier alle Fragen kurz kommentieren. Die Hintergründe dazu finden Sie weiter unten in den entsprechenden Kapiteln.
Frage 1
Wenn jemand nur die Arme verschränkt, können Sie daraus noch gar nicht schließen. Diese Geste kann mehrere Bedeutungen haben, die Sie sich nur aus dem Zusammenhang oder aus weiteren Körperzeichen erschließen können.
Frage 2
Die Augen verraten, wo jemand in seinen Gedanken ist. Wenn ein Rechtshänder nach oben links schaut, konstruiert er etwas. Wenn er seine tollen Geschichten selbst erlebt hat, müsste er sich jedoch daran erinnern. Beim Erinnern würde er jedoch nach oben rechts schauen. Doch Vorsicht: bei Linkshändern sind die Richtungen oft vertauscht. Sie müssen die Person daher erst eichen. Wie das geht, erfahren Sie weiter hinten im Buch.
Frage 3
Breitbeinig dastehen ist ein Zeichen von Dominanz. Wer dabei jedoch mit seinen Händen seine Weichteile schützt, ist unsicher und täuscht seine Dominanz nur vor. Echte Cowboys stehen anders da.
Frage 4
Wer seine linke Hand, die Gefühlshand, in der Tasche versteckt, ist in solchen Momenten auf der Gefühlsebene nicht mit seinen Gedanken verbunden. Er steht wahrscheinlich nicht hinter dem, was er sagt.
Frage 5
Die Querfalten auf der Stirn heißen auch Wichtigkeitsfalten. Wir machen Sie immer dann, wenn uns etwas wirklich am Herzen liegt. Die beiden anderen genannten Zeichen sind Unsicherheitszeichen.
Frage 6
Der Bewerber passt nicht in Ihr Vertriebsteam. Nach seiner Körpersprache zu schließen, scheut er menschliche Kontakte und ist nicht ehrgeizig. Beides sind jedoch Voraussetzungen für eine erfolgreiche 22Tätigkeit im Vertrieb. Natürlich sollten Sie diese Diagnose noch über weitere Anzeichen absichern.
Frage 7
Menschen mit Pferdeschwanz und einem grünen Sakko sind vermutlich sehr kreativ/innovativ und benötigen viel Anerkennung. Wenn Sie eines von beiden oder beides ansprechen, haben Sie eine gute Chance, dort auch zu landen. Teure Exklusivität oder Geld interessiert meist weniger.
Frage 8
Dieser Typ ist dominant sowie an Statussymbolen interessiert. Diesen Menschen können Sie sehr wohl mit Ihren Erfolgen und Ihrem Status beeindrucken. Kann nur sein, dass er Ihnen nach der Hausbesichtigung unverblümt sagt „meiner ist größer“. Damit meint er natürlich sein Büro, sein Auto oder seine Jacht.
Frage 9
Menschen, die Sie mit ausgestreckter Hand begrüßen, signalisieren damit Abstand. Geben Sie Ihnen die Zeit, bis sie sich selbst ins Meeting 23integrieren. Alles andere würde noch mehr Abstand oder sogar Ablehnung auslösen.
Abb. 1: Wer auf diese Weise steht, ist nicht dominant, sondern schützt sich unbewusst. Daher wirkt diese Haltung nicht sehr souverän.
Frage 10
In dieser Zeichenfolge bedeuten die verschränkten Arme nichts Gutes. Hier hat jemand auf Ablehnung geschaltet.
„Na und?“, werden Sie fragen, solche Szenen passieren tagtäglich in jedem Unternehmen, was ist daran so besonders? Spannend wird es doch erst im Meeting, die Begrüßung vorher ist immer dasselbe Ritual und ohne Belang. Man schüttelt sich eben die Hand und begrüßt sich, das ist so, war schon immer so und wird auch immer so sein.
Weit gefehlt. Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, wird die Begrüßung fremder Menschen für Sie nie mehr so sein wie bisher. Denn wir geben Ihnen einen Schlüssel an die Hand, mit dem Sie diese Menschen auf einfache Weise verstehen können. Sie können erfahren, wie fremde Menschen ticken und wie Sie sie zu nehmen haben. Das ist ein unschätzbarer Vorteil, wenn Sie mit der Person verhandeln oder mit ihr ein schwieriges Gespräch führen müssen.
Schauen wir uns das im Detail an. Welche Informationen stecken in der Begrüßung? Beginnen wir mit Anke Grün und ihrer Wahrnehmung. Sie hat über ihre drei späteren Gesprächspartner bereits eine ganze Reihe wichtiger Informationen erhalten, die sie im kommenden Gespräch nutzen wird. Schauen wir uns ihre Gesprächspartner der Reihe nach an.
Ihr erster Kontakt mit der roten Krawatte, Dr. Alexander Löwe, hat sich in der Gruppe eindeutig als Chef geoutet. Er hat seine Kollegin brüskiert, sofort die Initiative ergriffen und den Kontakt zu Anke Grün hergestellt. Mit seinem Händedruck hat er ganz klar Führung signalisiert, aber auch seine Dominanz deutlich zur Geltung gebracht, indem er ihre Hand nach unten drückt. Sein klarer Blick signalisiert zudem, dass er ganz genau weiß, was er will. Frau Grün ist sich jetzt bewusst, dass Herr Löwe versuchen wird, das spätere Gespräch zu dominieren. Innerlich wappnet sie sich bereits und nimmt sich vor, sich von Herrn Löwe nicht überfahren zu lassen. Gleichzeitig weiß sie, dass ihr Chef, Michael Rot, genauso dominant ist. Das bedeutet, dass sich beide vielleicht in die Wolle kriegen könnten. Daher stellt sie sich darauf ein, im Gespräch vermitteln oder sogar deeskalieren zu müssen.
Auch die Mitarbeiterin von Herrn Löwe, nennen wir sie hier Frau Blume, ist nicht ohne. Anke Grün hat mehrere Signale erhalten: Das erste war die hohle Hand beim Händeschütteln. Frau Blume wird sich emotional nicht auf sie einlassen und sich ihr gegenüber vielleicht sogar zurückhalten. Sympathie auf den ersten Blick ist das nicht. Zudem weiß Anke Grün, dass ein latenter Konflikt zwischen 26Herrn Löwe und Frau Blume besteht. Das hat sie an der Art gesehen, wie sich die beiden voneinander abwandten. Gleichzeitig hat sie dem unsicheren Blick entnommen, dass sich Frau Blume nie gegen Herrn Löwe durchsetzen wird. Doch zwischen ihnen beiden, Anke Grün und Frau Blume, steht es durchaus noch unentschieden.
Vermutlich, doch das interpretiert sie jetzt, wird Frau Blume von Herrn Löwe ständig überfahren, ist es leid und kann sich nicht dagegen wehren. Ihre Antipathie hat sie dann vermutlich spontan auf Anke Grün übertragen, weil diese von ihrem Chef durchaus wohlwollend begrüßt wurde. Na toll, denkt sich Anke Grün. Zwei Konflikte sind im folgenden Gespräch schon vorprogrammiert, der zwischen den beiden Chefs sowie der zwischen Herrn Löwe und Frau Blume.
Bleibt noch der dritte im Bunde, der bisher kaum aufgefallen ist. Wir nennen ihn hier Herr Klein. Herr Klein hat ebenfalls ein paar deutliche Signale gesetzt. Sein ausgestreckter Arm signalisierte bei der Begrüßung, dass er erst einmal Abstand will und seine Rolle vor allem im Hintergrund sieht. Zu seinen beiden Kollegen steht er offensichtlich neutral. Anke Grün speichert für sich ab, dass sie ihn erst einmal nicht ins Gespräch einbeziehen wird, ihn aber im Auge behält. Vermutlich ist seine Rolle auf den Faktengeber im Hintergrund beschränkt.
Wahrscheinlich denken Sie, wir übertreiben, weil es niemals möglich ist, so viele Informationen in so kurzer Zeit zu gewinnen? Nein, wir übertreiben nicht. Es ist durchaus möglich, diese Informationen beim ersten Eindruck wahrzunehmen und sie auch für das spätere Meeting oder Gespräch zu nutzen. Sie können aus diesen Informationen zudem zahlreiche Vorteile ziehen: Im aktuellen Beispiel kann sich Anke Grün den gesamten Gesprächsverlauf vorstellen und kennt die Fallstricke, die sie erwarten. Sie wird also mit den Personen entsprechend umgehen und hat damit die Möglichkeit, das Gespräch zu einem guten Abschluss zu führen. Denn solche Gespräche scheitern selten am Inhalt, doch sehr oft genau an den zwischenmenschlichen Problemen, wie sie hier vielleicht auftreten können.
Ein Vertriebsmitarbeiter kann mit diesen Informationen seine Kunden sehr viel besser einschätzen. Wenn die drei hier geschilderten Gäste Kunden wären, würde er jeden der drei anders behandeln und damit wahrscheinlich einen erfolgreichen Abschluss erreichen. Wie das geht, erläutern wir später.
Welchen Nutzen haben wir davon, wenn wir Körpersprache lesen können? Schauen wir uns dazu das obige Beispiel noch einmal genauer an.
Was ist passiert? Er kann es sich nicht erklären. Doch hätte er stärker auf die Körpersprache seines Gegenübers geachtet, dann wüsste er ganz genau, was passiert ist. Denn von dort kamen deutliche Signale: Herr Klein war noch nicht warm mit ihm, er hätte mehr Zeit und Fakten gebraucht und wollte sich langsam an das Thema annähern. Doch Rot hat Klein einfach überfahren und dieser war irgendwann überfordert und hat sich zurückgezogen. Wäre es Herrn Rot gelungen, dies vorher zu erkennen, dann hätte er den Gesprächsverlauf daran anpassen und das Gespräch vermutlich zu einem erfolgreichen Abschluss führen können.
Das alles lässt sich aus einem Händedruck ablesen! Natürlich ist das noch keine Gewähr dafür, dass man seine Strategie wirklich so detailliert planen kann und damit ein positives Gesprächsergebnis erzielt. Doch Sie können grobe Fehler vermeiden. Und diese Fehler passieren immer wieder und führen häufig zu persönlichen Konflikten, zu gescheiterten Verhandlungen und zu Frust auf beiden Seiten.
Das Lesen von Körpersprache ist deshalb so wichtig, weil wir daraus Informationen erhalten, die wir auf der verbalen Ebene, also durch das, was der andere in einem Gespräch sagt, nicht bekommen. Diese Informationen können von entscheidender Bedeutung für uns sein. Gerade im Business führen wir oft tagtäglich Gespräche, von denen viel abhängt. Als Führungskraft muss ich meinen Mitarbeiter verstehen und überzeugen, damit mein Team oder meine Abteilung reibungslos funktioniert. Als Vertriebsmitarbeiter muss ich Kunden überzeugen und zu einem Kauf bringen. Als Mitarbeiter und Kollege muss ich täglich mit Kollegen umgehen und für einen reibungslosen Ablauf in den täglichen Anforderungen des Jobs sorgen. Bei all diesen Situationen bin ich darauf angewiesen, so viele Informationen wie möglich über meinen Gesprächspartner zu erhalten. Denn nur, wenn ich alle relevanten Informationen nutze, werde ich auch auf Dauer erfolgreich sein. Und Körpersprache bietet uns sehr viele relevante und sehr nützliche Informationen.
Körpersprache verschafft einen direkten Zugang zu den Gefühlen eines Menschen. Sie verrät, was der andere wirklich denkt, wenn wir mit ihm reden. Oder wir erfahren, wenn der Gesprächspartner im Laufe des Gesprächs Unbehagen verspürt. Wenn dieses Unbehagen ganz unvermittelt auftritt, kann es durch eine aktuelle Wendung im Gespräch verursacht worden sein. Wenn es die ganze Zeit über vorherrscht, kann es auch andere Ursachen haben und entweder beim Gesprächspartner selbst liegen. Oder es hat mit der Situation überhaupt nichts zu tun, weil der Gesprächspartner ein schwerwiegendes Problem mit sich herumträgt.
Doch auch wenn Sie die Ursache nicht kennen, können Sie darauf reagieren. Sie können bei Störungen, die Sie an der Körpersprache erkennen, mit verschiedenen Varianten reagieren und sehen, wie der andere sich dann verhält. Zeigt seine Körpersprache weiterhin Stresssymptome, so war Ihr Versuch, das Problem zu beheben, nicht erfolgreich. Doch wenn er sich auf einmal entspannt und deutliche Zeichen von Wohlbehagen zeigt, liegen Sie richtig und können diese Gesprächsstrategie erfolgreich fortsetzen.
Nachfolgend führen wir einige Beispiele von Situationen auf, in denen Sie mit einer profunden Kenntnis von Körpersprache sehr deutliche Vorteile erreichen können.
Als Mitarbeiter einer Personalabteilung oder als Führungskraft gehören Vorstellungsgespräche zu Ihren regelmäßigen Aufgaben. Das Problem dabei ist komplex. Sie treffen einen Menschen, den Sie vorher meist noch nie gesehen haben, und wissen über ihn nur, was in der Bewerbung steht oder was Sie in telefonischen Vorgesprächen erfahren haben. Sie sollen diesen Menschen jetzt innerhalb von 60 Minuten darauf hin überprüfen, ob er in Ihr Unternehmen oder in Ihr Team passt. Eine Fehleinschätzung kann folgenreich und auch teuer werden. Auf der verbalen Ebene wird sich diese Person vielleicht einigermaßen gut schlagen und Ihnen viele positive Dinge erzählen. Doch stimmt das auch alles?
Hier kommt Ihr Wissen um Körpersprache ins Spiel. Zwar können Sie nicht herausfinden, ob der andere wirklich lügt. Denn das Thema „Lüge“ ist sehr komplex. Aber Sie können herausfinden, wie sich der andere bei seinen Aussagen fühlt. Wenn Sie Ihren Probanden zum Beispiel fragen, wie dessen Verhältnis zu seinem letzten Arbeitgeber war, und Sie auf einmal Stresssymptome feststellen, ist allerhöchste Vorsicht angebracht. Dies gilt insbesondere dann, wenn Ihnen der 30Bewerber dazu schöne Geschichten von seiner letzten Arbeitsstelle erzählt, die überhaupt nicht mit den körpersprachlichen Zeichen zusammenpassen. Wenn Ihr Verdacht nun geweckt ist, können Sie durch gezieltes Nachfragen die volle Wahrheit erfahren. Doch wenn Sie die Zeichen ignorieren, fallen Sie vielleicht auf eine konstruierte Geschichte des Bewerbers herein.
Im Verkaufsgespräch geht es darum, einen Kunden davon zu überzeugen, Produkte oder Dienstleistungen zu kaufen. Das ist eine komplexe Aufgabe, weil sich Kunden vor allem aus emotionalen Beweggründen entscheiden, auch wenn sich das Gespräch in vielen Fällen vor allem auf der Ebene der Fakten bewegt. Ein Vertriebsmitarbeiter, der die Körpersprache seines Kunden lesen kann, ist dabei deutlich im Vorteil. Denn er sieht, wie das Gespräch läuft, wie sich sein Kunde fühlt, ob es Störungen oder unausgesprochene Einwände gibt oder ob der Kunde bereit zum Abschluss und zum Kauf ist. Er kann seine Gesprächsführung daran anpassen, was ihn viel erfolgreicher machen wird als seine Kollegen, die sich nur auf das gesprochene Wort verlassen.
Mitarbeitergespräche sind ein regelmäßiges Ritual, von dem mitunter viel abhängt. Häufig geht es um Bewertungen von Mitarbeiterleistungen oder ein Konfliktgespräch muss geführt werden. Hier ist die Führungskraft meist in der stärkeren Position. Doch in vielen Fällen will die Führungskraft auch etwas vom Mitarbeiter – und sei es nur eine weiterhin gute Motivation im Job. In diesem Fall ist die Führungskraft auf Kooperation angewiesen, beide verhandeln meist auf Augenhöhe. Doch auch für einen Mitarbeiter kann es um viel gehen. Er will vielleicht mehr Gehalt, verbesserte Arbeitszeiten, will seinen Chef von einer guten Idee überzeugen oder hat ein anderes Anliegen. Somit sind Mitarbeitergespräche mitunter heikle und schwierige Situationen.
Wie kann das Wissen um Körpersprachen hier nützlich sein? Sie ahnen es wahrscheinlich bereits: Wie in den vorangegangenen Beispielen erfahren Sie auch hier eine Menge über Befindlichkeiten und die Gedanken Ihres Gesprächspartners. Daraus können Sie dann sehr nützliche Hinweise zur Steuerung des Gesprächs entnehmen. Ein kleines Beispiel:
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Abb. 2: Die beiden Gesprächspartner sitzen entspannt und einander zugewandt. Der Partner rechts hat eine neutrale Haltung eingenommen. Die Oberschenkel und das Gesäß ruhen fest auf dem Stuhl, die Füße stehen mit den ganzen Sohlen auf dem Boden. Die Partnerin links ist leicht vorgebeugt, ihr oberes Knie zeigt auf den Gesprächspartner und nicht von ihm weg. Unbewusst sucht sie damit den Kontakt zum Gesprächspartner.
32Vielleicht denken Sie, dass Sie in den drei genannten Situationen sowieso merken würden, wenn etwas nicht stimmt und schon wüssten, wie Sie reagieren würden. Unsere Erfahrung sieht allerdings anders aus: Die meisten Menschen nehmen zwar intuitiv die körpersprachlichen Signale des Gegenübers wahr. Doch sie haben in der Regel verlernt, dieser Intuition zu vertrauen und sie zu nutzen. Häufig ist vielmehr zu beobachten, dass Menschen zwar ein leises Unbehagen verspüren, wenn etwas im Gespräch nicht stimmt, sich dann aber doch durch die Worte des Gesprächspartners überzeugen lassen – und das dann später vielleicht bereuen. Das liegt daran, dass wir seit der frühesten Jugend und auch in der Schule darauf getrimmt werden, auf sachliche Argumente und nicht auf emotionale Signale und Argumente zu vertrauen. Das ist ein Fehler.
Wer Körpersprache lesen kann, der kann seine Intuition in eine rationale und für das Bewusstsein verständliche Sprache übersetzen. Er kann die Zeichen, die von einem anderen Menschen ausgehen, wirklich deuten und bewusst darauf regieren. Das ist ein großer Vorteil, den die meisten Menschen nicht für sich nutzen.
Bestimmen wir unser Verhalten wirklich selbst? Sind wir immer Herr der Lage und haben uns ständig im Griff? Seit der Philosoph René Descartes im 17. Jahrhundert die Zeit der Aufklärung begründet hat, setzte sich die Ansicht durch, dass der Mensch ein durch und durch vernunftbegabtes Wesen ist. Wir bestimmen mit unserer Ratio, die in unserer Großhirnrinde sitzt, was wir tun und sagen.
Erste Zweifel an dieser Ansicht äußerte bereits der Wiener Psychoanalytiker Sigmund Freud zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Er brachte das sogenannte „Unbewusste“ ins Spiel, ohne es allerdings noch richtig deuten zu können. Für ihn blieb es geheimnisvoll und schwer verständlich. Bis heute glauben viele Psychologen, dass das Unterbewusste höchstens eine untergeordnete Rolle bei dem spielt, was wir tun und wie wir uns verhalten.
Diese Vorstellung stellen moderne Hirnforscher gründlich infrage. Inzwischen gehen Wissenschaftler davon aus, dass zwei Teile unseres Gehirns, das limbische System sowie das das Stammhirn, auch Reptiliengehirn genannt, zentralen Einfluss auf uns haben. Diese beiden Gehirnteile steuern sowohl unsere Gefühle und Emotionen als auch unser primäres Verhalten wie Herzschlag, Fluchtverhalten und vieles mehr. Sie beeinflussen uns weit mehr, als uns das bewusst und vielen auch lieb ist. Doch wir bekommen das meist nicht mit, weil uns vieles von unserem täglichen Verhalten so normal und natürlich erscheint, dass wir einfach nicht mehr darüber nachdenken. Die wirklichen Verhältnisse im Gehirn sind noch etwas komplexer. Der Einfachheit halber verwenden wir im Buch jedoch die beiden 34Begriffe „limbisches System“ und „Reptiliengehirn“ immer dann, wenn wir uns auf die unbewussten Prozesse und Handlungen im Gehirn beziehen.
Wenn wir wirklich so vernunftbegabt wären, wie das Descartes postulierte, lägen Sie inzwischen unter dem LKW. Gerettet hat Sie das Reptiliengehirn. Es reagiert unmittelbar und fragt nicht lange nach Begründungen. In diesem Fall hat es das lebenserhaltende System „Flucht“ aktiviert. Nach Ihrer Rettung werden Sie jedoch kaum darüber nachdenken, sondern wie selbstverständlich davon ausgehen, dass Sie Ihr schnelles Reaktionsvermögen gerettet hat. Eine Heuschrecke ganz ohne Großhirn hätte sich jedoch genau mit demselben System im Gehirn und demselben Fluchtprogramm gerettet. In diesen Sekunden waren Sie hinsichtlich der Leistung Ihres Gehirns von der Heuschrecke nicht sehr weit entfernt.
Dazu noch ein weiteres Beispiel, das Ihnen den Einfluss Ihrer „alten“ Gehirnteile noch stärker verdeutlichen wird:
Diese Reaktion hat sich vermutlich in 100.000 Jahren Menschheitsgeschichte bewährt und bestimmt das unbewusste Denken noch immer, auch wenn sie im vorliegenden Fall sicher übertrieben ist. Hätte Michael Rot das Problem nur mit dem Großhirn analysiert, wäre die Reaktion sicher sehr viel moderater ausgefallen. Denn die Sache lohnt ja kaum den Aufwand.
Das Programm „Angriff“ ist in diesem Fall mit Aufplustern, sich größer machen – die Hände in die Hüften stemmen – und einer lauten Stimme hinterlegt. Diese körperliche Verhaltensweise kann Michael Rot sofort und wie auf Knopfdruck aktivieren, ohne dass er darüber nachdenken muss. Kommt Ihnen das bekannt vor?
Auch beim Lehrling könnte Sie jetzt vermutlich ein interessantes Urprogramm beobachten:
Was bei einem aus dem Nest gefallenen Vogelküken vielleicht noch funktioniert, wenn eine Katze in der Nähe herumstreicht, ist natürlich in diesem Fall relativ wirkungslos. Dennoch erfüllt es vielleicht einen anderen Zweck, weil es auch eine Unterwerfungs- und Besänftigungsgeste darstellt und Michael Rot signalisiert, dass vom Lehrling nun wirklich keine Gefahr ausgeht. Er wird sich also wieder beruhigen und der Tag kann endlich mit den wichtigen Tätigkeiten beginnen.
36Wie Sie bereits bei dieser kurzen Sequenz sehen können, läuft hier eine fein abgestimmte Reihenfolge von Verhaltensweisen, begleitet von zahlreichen komplexen körpersprachlichen Signalen ab. Hier findet bereits ein kommunikativer Prozess statt, der ausschließlich über die unbewussten Gehirnteile gesteuert ist. Das Bewusstsein ist innerhalb der ersten drei Sekunden überhaupt nicht beteiligt.
Das beantwortet auch die Frage, ob diese Art von Körpersprache willentlich beeinflusst werden kann. Die Antwort ist ein klares Nein. Zumindest wenn plötzlich ein starker Außenreiz auftritt oder wenn sich ein Mensch nicht auf seine Körpersprache konzentriert, kann er sie praktisch nicht beeinflussen. Das macht die Beobachtung von Körpersprache auch so wertvoll, denn sie erlaubt einen ungefilterten Blick auf die Gefühle unserer Mitmenschen.
Warum reagieren moderne Büromenschen, die im Web 2.0 zu Hause sind, Smartphones, Tablets und den Laptop stets parat haben und alle Informationen dieser Welt in einer halben Minute abrufen können, nach solchen steinzeitlichen Programmen? Die Antwort liegt in unseren Genen begründet. Die Urmuster des Verhaltens sind fest in uns einprogrammiert. Unsere Gene tragen diese Informationen und geben sie an die nächste Generation weiter. Denn nur so weiß bereits ein Kleinkind, dass es sich bei Gefahr ducken muss und nicht schreien darf, während es bei Hunger hingegen sehr laut nach seiner Mutter ruft.
Doch genetische Eigenschaften ändern sich nur sehr langsam. Es dauert oft Dutzende bis Hunderte von Generationen, bis sich wirklich neue Eigenschaften ausbilden. Solche Veränderungen passieren zudem nur, wenn ein starker Selektionsdruck herrscht. Doch beim menschlichen Verhalten gab es seit der Steinzeit weder einen starken Selektionsdruck noch den Zwang, die grundlegenden Überlebensmuster zu ändern. Somit blieben diese und viele andere angeborene Verhaltensweisen erhalten. Evolutionsbiologisch befinden sich die Menschen noch in der Steinzeit. Im Büro leben die Menschen nach Verhaltensweisen, die vor 12.000 Jahren in der Jungsteinzeit auch nicht so viel anders waren.
Das erklärt auch, warum Menschen in massiven Ausnahmesituationen, zum Beispiel im Krieg oder in Notzeiten so schnell in „archaische“ Muster zurückfallen. Das sind in Wirklichkeit keine archaischen Muster, sondern es ist unser primäres Verhalten, wenn es nicht durch Normen oder durch gesellschaftliche Kontrolle dominiert wird. Denn diese Kontrolle funktioniert über das Großhirn 37und versagt, wenn das limbische System das Ruder übernimmt, weil man in bestimmten Situationen ohne störendes Nachdenken besser überleben kann.