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Eigenanzeige

Danksagung

Wieder einmal danke ich aus tiefstem Herzen all den Leuten, die dazu beitragen, mein verrücktes Geschreibsel in ein echtes Buch zu verwandeln.

Ich danke meiner wunderbaren Agentin Annelise Robey und meinen ebenso wunderbaren Lektoren Megan McKeever und Lauren McKenna für ihren Rat, ihre Vorschläge und ihren Zuspruch. Ohne eure Unterstützung würde es bei Weitem nicht so viel Spaß machen, über Gin zu schreiben.

Ich danke allen, die den ersten Entwurf von Spinnenjagd gelesen und mir bei der Entwicklung des Plots geholfen haben. Eure Kommentare waren sehr wertvoll für mich.

Und schließlich danke ich allen Lesern dort draußen. Es ist mir ein Vergnügen, Gin und ihre Abenteuer mit euch zu teilen.

Viel Spaß beim Lesen!

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1

Die Mistkerle wären nie auch nur in meine Nähe gekommen, hätte ich nicht die Grippe gehabt. Husten, Schnupfen, Kopf- und Gliederschmerzen. Das war ich. Gin Blanco. Restaurantbesitzerin. Stein- und Eiselementar. Ehemalige Auftragsmörderin. Eine insgesamt eher harte Type. In die Knie gezwungen von Mikroben. Bäh.

Es hatte vor drei Tagen als leichtes Kratzen im Hals angefangen. Und jetzt … nun, es war nicht schön anzusehen. Tränende Augen. Bleiches Gesicht. Und eine Nase, die so hellrot leuchtete, dass selbst Rudolph das Rentier eifersüchtig gewesen wäre. Widerlich.

Ich war heute Abend nur deswegen aus dem Bett gekrochen, weil ich zum Ashland Community College musste, um die Abschlussprüfung in meinem Kurs über Klassische Literatur abzulegen. Anschließend hatte ich meinen Aufsatz über Symbolismus in der Odyssee abgegeben, dann war ich über die grasbewachsenen Plätze des Campus zurück in Richtung Auto geschlurft, hatte von meinem Bett geträumt und davon, mindestens eine Woche nicht mehr aufzustehen.

Es war kurz nach sieben an einem klaren kalten Dezemberabend und der letzte Prüfungstag des Semesters. Der Campus war fast menschenleer. In den efeubewachsenen Backsteingebäuden um mich herum brannten nur vereinzelt Lichter. Die Steine flüsterten mir Formeln, Theorien und Wissen zu. Ein altes, sonores, ein wenig überhebliches Geräusch, das überhaupt nicht zu den unheimlichen Schatten des Hofes passte. Außer mir war niemand zu sehen. Was wahrscheinlich der Grund war, warum die Mistkerle beschlossen hatten, mir hier aufzulauern. Das, und weil es wahrscheinlich einfach zu mühsam gewesen wäre, mich zu entführen.

In der einen Sekunde hatte ich mein Gesicht noch in einem Taschentuch vergraben, um mir zum hundertsten Mal am heutigen Tag die wunde Nase zu putzen, im nächsten Augenblick sah ich auf und stellte fest, dass ich von drei Riesen umzingelt war.

O verdammt.

Ich hielt an. Sofort rückten sie näher zusammen und formten ein loses Dreieck der Bedrohung um mich. Die Riesen maßen alle ungefähr zwei Meter, mit gigantischen hervorquellenden Augen und Fäusten, die fast so groß waren wie mein Kopf. Einer von ihnen grinste und ließ die Knochen seiner Hand knacken. Da war jemand scharf drauf, zur Sache zu kommen und mich richtig zu vermöbeln.

Meine grauen Augen blickten zu dem Anführer der Gruppe, der sich direkt vor mir aufgebaut hatte – Elliot Slater. Er war der größte der Riesen. Neben seinen zwei Metern zehn wirkten sogar seine Lakaien klein. Slater war fast so breit wie hoch und sehr muskulös. Granit wäre einfacher zu brechen gewesen als seine Rippen. Er war so hellhäutig, dass er schon fast ein Albino war, und schien im dämmrigen Licht förmlich zu leuchten. Seine haselnussbraunen Augen bildeten den einzigen Farbtupfer in seinem kreidebleichen Gesicht, und die dünnen zerzausten blonden Haare schafften es kaum, seinen gigantischen Schädel zu bedecken. An dem Ring, den er am kleinen Finger trug, blitzte ein Diamant wie ein Stern in der Nacht.

Bis ich vor ein paar Monaten in den Ruhestand gegangen war, hatte ich unter dem Namen »die Spinne« ein geheimes zweites Leben als Auftragsmörderin geführt. Ich hatte jede Menge Beziehungen zu der dunklen Seite des Lebens, also kannte ich Slaters Ruf und hatte ihn schon öfter gesehen. Auf dem Papier war Elliot Slater ein angesehener Sicherheitsfachmann mit einem beeindruckenden Aufgebot an Riesen-Bodyguards. In Wahrheit arbeitete er als oberster Vollstrecker von Mab Monroe, der Feuermagierin, die die Südstaaten-Metropole Ashland befehligte, als wäre es ihre persönliche Grafschaft. Slater kümmerte sich um jegliche lästigen Probleme, mit denen Mab sich nicht selbst beschäftigen wollte, indem er die betroffenen Personen verstümmelte oder dauerhaft verschwinden ließ.

Es hatte den Anschein, als wäre heute Abend ich das Problem.

Nicht überraschend. Vor ein paar Wochen hatte ich jemanden auf einer Party in Mab Monroes Herrenhaus kaltgemacht. Ich muss wohl kaum erwähnen, dass die Feuermagierin nicht mit Begeisterung darauf reagiert hatte, dass einer ihrer Gäste auf ihrer eigenen Party ermordet worden war, während sie einige enge Geschäftskontakte pflegte. Bis jetzt war ich damit durchgekommen, aber ich wusste, dass Mab alles in ihrer Macht Stehende tat, um den Killer zu finden.

Um mich zu finden.

Ich schnäuzte mich erneut in das Taschentuch, während ich mich fragte, ob Mab herausgefunden hatte, wer ich wirklich war. Ob das der Grund war, dass Slater heute hier auftauchte?

Elliot Slater sah über seine breite Schulter nach hinten. »Ist sie das?«, fragte er. Dann glitt er ein Stück zur Seite, damit sich ein anderer Mann – ein Mensch, viel kleiner als die anderen Gestalten – dem Kreis aus Riesen um mich herum anschließen konnte. Unter dem klassischen Trenchcoat trug er einen schwarzen Anzug, und seine polierten Lederschuhe glänzten im Halbdunkel wie feuchte Tinte. Seine dichte Mähne stahlgrauen Haares erinnerte an einen schweren Silbermantel, dessen Kapuze sich über seinen Kopf gelegt hatte. Zu dumm, dass der Hass in seinen Augen so heiß brannte, dass die braunen Augen in dem glatten Gesicht wie Klumpen geronnenen Bluts wirkten.

Ich erkannte ihn sofort. Jonah McAllister. Auf dem Papier war er der beste Anwalt der Stadt, ein charmanter, angriffslustiger Strafverteidiger, der fähig war, selbst den grausamsten Killer freisprechen zu lassen, vorausgesetzt, er zahlte die richtige Summe. Tatsächlich gehörte er ebenfalls zu den Handlangern von Mab Monroe, genau wie Elliot Slater. Jonah McAllister war Mabs hauseigener Winkeladvokat und dafür verantwortlich, ihre Feinde in möglichst viel rechtlichem Papierkram zu begraben – nicht dem Erdboden gleichzumachen, wie Slater es tat.

McAllisters Sohn Jake war derjenige gewesen, den ich auf Mabs Party umgebracht hatte. Der vierschrötige Dämlack hatte mir unter anderem damit gedroht, mich zu vergewaltigen und dann zu ermorden. Ich hatte den Mord ehrlich gesagt mehr als Ungeziefervernichtung betrachtet.

Elliot Slater und Jonah McAllister als Team. Die Nacht wurde immer besser. Wieder schniefte ich. Ich hätte wirklich im Bett bleiben sollen.

Jonah McAllister musterte mich mit kalten Augen. »O ja. Das ist sie. Die wunderbare Miss Gin Blanco. Das Miststück, das meinem Jungen solche Schwierigkeiten bereitet hat.«

Schwierigkeiten? Wahrscheinlich schon, wenn man es als Schwierigkeit betrachtete, dass ich Jake McAllister wegen versuchten Raubes bei der Polizei angezeigt, ihm einen Teller voller Essen ins Gesicht geklatscht und ihn in einer Badewanne erstochen hatte. Aber mir fiel auf, dass Jonah McAllister kein Wort darüber verlor, dass ich seinen Sohn tatsächlich getötet hätte. Er sprach nur von »Schwierigkeiten«. Hmm. Sah aus, als würden die Herrschaften eine Art Angelausflug unternehmen, um Informationen zu sammeln. Ich entschied mich, mitzuspielen – für den Moment.

»Was soll das hier?« Meine Stimme war eine Mischung aus weinerlichem Jammern und rasselndem Keuchen. »Haben Sie Jakes schlechte Angewohnheit übernommen, unschuldige Leute anzugreifen?«

McAllisters Miene versteinerte bei meiner Beleidigung. So weit es möglich war jedenfalls. Trotz der Tatsache, dass er über sechzig war, waren McAllisters Gesichtszüge dank ständiger teurer Behandlungen durch Luftelementare so glatt wie Marmor.

»Ich würde Sie kaum als unschuldig bezeichnen, Miss Blanco. Und Sie sind diejenige, die meinen kostbaren Jungen zuerst angegriffen hat.«

»Ihr kostbarer Junge kam in mein Restaurant, hat versucht mich auszurauben und hätte mit seiner Feuermagie fast zwei meiner Gäste getötet!« Ich spuckte ihm die Worte förmlich entgegen, zusammen mit etwas schleimigem Auswurf. »Ich habe mich nur verteidigt. Aber was spielt das jetzt noch für eine Rolle? Ihr Junge ist wegen irgendeinem seltsamen Herzfehler gestorben. Zumindest stand das in der Zeitung.«

Jonah McAllister starrte mich an. Offensichtlich versuchte er zu erkennen, ob ich mehr über den verfrühten Tod seines Sohns wusste. Ich nutzte die Gesprächspause, um mich zu schnäuzen – mal wieder. Verdammte Mikroben.

McAllister verzog angewidert den Mund, als er die Geräusche meiner Krankheit hörte. Zugegebenermaßen hatte ich schon attraktiver ausgesehen. Er nickte Elliot Slater zu, der die Geste erwiderte.

»Also, Miss Blanco«, sagte er gedehnt. »Der Grund für dieses Treffen ist, dass Mr. McAllister glaubt, Sie könnten ein paar Informationen über den Tod seines Sohnes besitzen. Jake hatte einen leichten Herzfehler, aber sein Tod vor ein paar Wochen wurde von einigen verdächtigen Umständen begleitet.«

Verdächtige Umstände? Das war eine sehr höfliche Umschreibung für eine riesige Wunde in der Brust, zugeführt mit einem Messer. Aber ich machte weiter auf ahnungslos und ließ mir nichts anmerken.

»Warum sollte ich irgendetwas über Jakes Tod wissen?«, fragte ich. »Ich habe den kleinen Mistkerl zuletzt an dem Tag gesehen, an dem er seinen Vater ins Pork Pit gebracht hat, um mich unter Druck zu setzen, damit ich die Anzeige gegen ihn zurückziehe.«

Das war natürlich gelogen. Ich war Jake McAllister noch mal begegnet – auf Mab Monroes Party. Obwohl ich mich als Nutte verkleidet hatte, hatte der Dreckskerl mich erkannt. Da ich dort gewesen war, um jemand anderen umzubringen, hatte ich den lieben kleinen Jakie in ein Badezimmer gelockt, ihn erstochen und seine Leiche in der Wanne versteckt, bevor ich mir sein Blut vom Kleid gewaschen hatte und zurück auf die Party gegangen war. Nichts, was ich in meinem Leben als »die Spinne« nicht Dutzende Male getan hatte. Ich hatte deswegen sicherlich keine Seelenqualen ausgestanden.

Im Moment sah es allerdings aus, als würde ich gleich doch noch die Quittung für meine Taten erhalten.

»Wissen Sie, genau das ist das Problem. Mein guter Freund Jonah glaubt Ihnen nicht«, sagte Slater. »Also hat er mich und ein paar meiner Jungs gebeten, herzukommen und herauszufinden, ob wir Ihrem Gedächtnis vielleicht ein wenig auf die Sprünge helfen können.« Er lächelte. Seine Lippen hoben sich und gaben den Blick auf hellrosafarbenes Zahnfleisch frei. Das Grinsen des Riesen ließ mich an das aufgerissene Maul einer Kürbislaterne an Halloween denken – vollkommen leer. »Wir statten jedem so einen Besuch ab, mit dem Jake möglicherweise ein Problem hatte. Und Ihr Name stand ganz oben auf der Liste.«

Natürlich. Ich war wahrscheinlich die einzige Person in Ashland, die es je gewagt hatte, sich Jake McAllister in den Weg zu stellen. Jetzt würde sein Daddy mich dafür zahlen lassen – und es gab nichts, was ich dagegen tun konnte.

Slater zog sein Jackett aus, gab es Jonah McAllister und fing an, die Hemdsärmel aufzurollen.

Ich schniefte, schnäuzte mich noch mal und schätzte die Situation ab. Ein Verhältnis von vier zu eins war nie gut, besonders da drei meiner Gegner Riesen waren. Die übergroßen Schläger waren schwer zu erledigen, selbst für eine ehemalige Profikillerin wie mich. Allerdings zeigte keiner der Riesen eine offensichtliche Begabung für Elementarmagie. Es flackerten keine Flammen um ihre geballten Fäuste, und sie formten auch keine Eisdolche mit ihren Händen. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie keine Magie besaßen. Was es noch schwerer machen würde, sie loszuwerden.

Trotzdem, hätte ich nicht die Grippe gehabt, hätte ich darüber nachgedacht, sie umzubringen – oder zumindest einen oder zwei von ihnen genug zu verletzen, um fliehen zu können. Obwohl ich mich heute Abend nur mit Mühe aus dem Bett gequält hatte, hatte ich auf dem Weg zur Tür meine Steinsilber-Messer genommen und mich damit ausgerüstet. Fünf Messer. Zwei in meinen Ärmeln. Eines in meinem Hosenbund am Rücken. Zwei weitere in meinen Stiefeln. Ohne sie verließ ich niemals das Haus.

Weil ich selbst ein Elementar war, brauchte ich die Messer zwar eigentlich gar nicht, um Leute umzubringen. Ich könnte meine magische Kraft einsetzen, um die Mistkerle zu erledigen. Meine Steinmagie war so stark, dass ich mit dem Element so gut wie alles anstellen konnte. Wie zum Beispiel Ziegel aus den Wänden der umstehenden Gebäude reißen und sie durch die Luft fliegen lassen, um die wassermelonengroßen Köpfe der Riesen damit zu spalten. Klatsch, klatsch, klatsch. Es wäre einfacher, als ein Maschinengewehr zu bemühen. Verdammt, wenn ich wirklich angeben wollte, könnte ich einfach alle vier Gebäude, die den Hof säumten, auf meine Angreifer fallen lassen.

Ich war außerdem einer der seltenen Elementare, die mehr als ein Element kontrollieren konnten. In meinem Fall Stein und Eis. Bis vor Kurzem war meine Eismagie um einiges schwächer gewesen als meine Steinmagie. Doch dank einer Folge von traumatischen Erlebnissen konnte ich inzwischen ein wenig mehr damit anstellen. Eine Wand aus Eismessern erschaffen, um sie auf die Männer zu werfen, zum Beispiel. Mit so etwas hatte ich vor ein paar Wochen erst die Haut eines Zwerges perforiert. Riesen waren nicht ganz so zäh wie Zwerge, zumindest wenn es darum ging, Klingen in ihrem Körper abzuwehren. Auch wenn aus ihnen deutlich mehr Blut floss als aus ihren kleinen Kumpels.

Doch es war nicht das Kräfteverhältnis, das mich davon abhielt, die Riesen zu töten. Es waren die Konsequenzen, die garantiert folgen würden, sobald ihre Chefin sich einmischte.

Vor siebzehn Jahren hatte Mab Monroe ihre Feuerelementarmagie eingesetzt, um meine Mutter und meine ältere Schwester zu töten. Das hatte ich erst vor Kurzem erfahren. Außerdem hatte sie mich gefoltert. Ich hatte vor, mich um Mab zu kümmern, sobald ich ein paar Dinge geklärt hatte – wie die Frage, warum sie meine Familie überhaupt ermordet hatte und wo sich meine verschollene kleine Schwester Bria jetzt aufhielt.

Sollte ich heute Abend Jonah McAllister und seine Handlanger erledigen, würde ich mich definitiv verraten und dafür sorgen, dass Mab sich für mich interessierte. Ich wollte nicht, dass sie und ihre Lakaien herausfanden, dass ich Elementarmagie besaß. Wollte nicht, dass sie vermuteten, dass ich mehr war als die einfache Restaurantbesitzerin, die Jonah McAllister tot sehen wollte, weil sie seinen Sohn an die Polizei verpfiffen hatte. Zumindest nicht, bevor ich das Miststück nicht für das umgebracht hatte, was sie mir angetan hatte.

Damit blieb mir für heute Abend nur eine Wahl: Ich würde zulassen müssen, dass die Mistkerle mich zusammenschlugen. Das war die einzige Möglichkeit, um meine Scheinidentität als Gin Blanco zu wahren und die Person zu beschützen, die ich wirklich war: Genevieve Snow.

Verdammt. Das würde wehtun.

Elliot Slater war mit dem Aufrollen seiner Ärmel fertig. »Sind Sie sich sicher, dass Sie uns nichts zu erzählen haben, Miss Blanco?«

Ich seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich habe es schon gesagt. Ich weiß nicht mehr über Jakes Tod als das, was ich in der Zeitung gelesen habe.«

»Es tut mir leid, das zu hören«, murmelte Slater.

Damit trat der Riese vor und bewegte die Finger, bereit, die Sache anzugehen. Es war an der Zeit, dass ich ein wenig Theater spielte. Ich riss die Augen auf, als hätte ich mit meinem fieberverwirrten Hirn erst jetzt verstanden, was Slater mir antun wollte. Dann schrie ich rasselnd und drehte mich zur Flucht um, als hätte ich die zwei Riesen hinter mir vergessen. Natürlich rannte ich direkt gegen sie, und sie packten mich. Obwohl ich nicht ernsthaft vorhatte, mich aus ihrem Griff zu befreien, wand ich mich, um den Schein zu wahren. Ich schrie, fuchtelte mit den Armen und trat mit den Füßen um mich.

Während ich gegen die größeren, schwereren Männer ankämpfte, schaffte ich es, unauffällig die zwei Steinsilber-Messer aus meinen Ärmeln in meine Jackentaschen gleiten zu lassen. Ich wollte nicht, dass die Riesen die Waffen fühlten, sobald sie mich einmal richtig anfassten. Die meisten unschuldigen Frauen rannten nicht mit fünf Messern in der Tasche durch die Gegend. Und soweit es Jonah McAllister betraf, wäre eine solche Bewaffnung ein unleugbarer Hinweis auf meine Beteiligung am Mord an seinem Sohn – und damit mein Todesurteil.

Die zwei Riesen lachten über mich und meine lächerliche Gegenwehr. Sie umschlossen mit ihren Pranken meine Oberarme und drehten mich wieder zu Elliot Slater um. Dann fing der Spaß richtig an. Slater hob die Fäuste und rammte mir als Erstes seine Linke ins Gesicht. Der Drecksack war schnell, das musste ich ihm lassen. Ich hatte noch nicht mit dem Schlag gerechnet und wurde in den Armen der Riesen nach hinten geworfen. Slater hatte hart genug zugeschlagen, dass die Riesen mich fast losgelassen hätten. Schmerzen explodierten in meinem Kinn wie Sprengstoff.

Doch er war noch lange nicht fertig. Er verbrachte die nächsten zwei Minuten damit, mich nach allen Regeln der Kunst zusammenzuschlagen. Ein Schlag brach mir die tropfende Nase. Ein anderer knackste zwei meiner Rippen an. Ich wollte lieber nicht über innere Blutungen nachdenken oder darüber, wie mein Gesicht wohl inzwischen aussah. Wumm, wumm, wumm. Ich hätte genauso gut ein Steak sein können, dass sich der Riese für sein Abendessen weich klopfte. Jeder Teil meines Körpers brannte, pulsierte und verkrampfte sich vor Schmerz.

Der Riese lachte die ganze Zeit. Ein leises sanftes, glucksendes Lachen, das mir kalte Schauder über den Rücken jagte. Elliot Slater genoss es, Leuten wehzutun. Es gefiel ihm so richtig. Ich konnte sehen, dass der Mistkerl einen gewaltigen Ständer hatte, der seine Hose ausbeulte.

Slater schlug mich noch einmal, dann trat er zurück. Inzwischen hing ich schlapp zwischen den beiden Riesen. Ich hatte den Versuch, tough und stark auszusehen, schon vor einer Weile aufgegeben. Ich wollte einfach nur noch, dass es vorbei war.

Eine Hand griff grob nach meinem Kinn und hob mein Gesicht an. Ich starrte in Elliot Slaters haselnussbraune Augen. Zumindest versuchte ich es. Weiße Sterne tanzten vor meinem Gesicht, und ich konnte meinen Blick kaum scharfstellen. Die Lichtshow war besser als das Feuerwerk am 4. Juli.

»Also«, brummte Elliot. »Möchten Sie noch einmal darüber nachdenken, was Sie über Jake McAllisters Tod wissen? Vielleicht ist Ihnen noch etwas eingefallen?«

»Ich weiß gar nichts über Jakes Tod«, murmelte ich durch meine inzwischen locker sitzenden Zähne. Blut floss aus meiner aufgeplatzten Lippe und ergoss sich auf meine blaue Fleecejacke. »Ich schwöre es.« Ich bemühte mich, so verloren, schwach und eingeschüchtert wie möglich zu klingen.

Jonah McAllister trat vor und musterte mich genau. In seinen Augen glitzerte bösartige Freude. »Schlag sie weiter. Ich will, dass das Miststück leidet.«

Elliot Slater nickte und trat wieder zurück.

Dann verbrachte der Riese noch einmal zwei Minuten damit, auf mich einzuprügeln. Mehr Schmerzen, mehr Blut, noch mehr gebrochene Rippen. Als ich roten Schleim ausspuckte, dämmerte mir langsam, dass Slater mich zu Tode prügeln könnte, direkt hier, mitten auf dem Campus. Jonah McAllister würde sicherlich nicht protestieren. Verdammt. Würde ich meine Tarnung doch auffliegen lassen müssen, wenn ich versuchte, an meine Messer heranzukommen oder die Riesen mit meiner Elementarmagie beschoss. Wenn ich dafür nicht schon zu schwach war …

»Genug.«

Eine leise Stimme erklang irgendwo aus der Dunkelheit. Eine weiche hauchige Stimme, die mich an knisternde Seide erinnerte. Ich kannte diesen Tonfall, diesen sinnlichen Klang. Ich wusste genau, wer da sprach. Genau wie mein Unterbewusstsein. Feind, Feind, Feind, flüsterte eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf. Ein seltsam primitiver Drang breitete sich in mir aus und erfüllte mich mit dem Verlangen, meine Stein- und Eismagie einzusetzen, um jeden zu töten, der sich in Reichweite befand.

Elliot Slater ignorierte den Befehl und schlug mich noch mal, sodass weitere Schmerzen meinen Körper überschwemmten.

»Ich sagte, es reicht.« Diesmal war es ein heiseres Zischen voller Macht, Drohung und dem Versprechen auf Tod.

Elliot erstarrte, die Hände schon zum nächsten Schlag erhoben.

»Lasst sie los. Sofort.«

Die zwei Riesen, die meine Oberarme umklammerten, ließen mich fallen, als hätte ich die Pest. Ich knallte auf den Boden, während mein Blut den raureifüberzogenen Rasen befleckte. Trotz der Schmerzen rollte ich mich zu einem kleinen verängstigten Ball zusammen. Gleichzeitig griff ich nach einem meiner Steinsilber-Messer. Die Waffe schmiegte sich kalt und beruhigend an die Narbe auf meiner Handfläche.

Etwas raschelte, und Mab Monroe trat aus den Schatten zu meiner Linken. Die Feuermagierin trug einen langen Wollmantel in dunklem Waldgrün. Ihre roten Haare glänzten wie poliertes Kupfer, aber ihre Augen waren schwärzer als der Nachthimmel. Etwas Goldenes blitzte an ihrer bleichen Kehle zwischen den Falten des teuren Mantels.

Ich konnte sie nicht besonders gut sehen, weil vor meinen Augen immer noch die Sterne tanzten, aber ich wusste, was das Goldene war. Mab Monroe ging ohne ihre unverkennbare Kette niemals irgendwohin. Ein großer runder Rubin umgeben von mehreren Dutzend goldener Strahlen. Aus meiner bisherigen Erfahrung wusste ich, dass kleine Diamanten auf dem Gold jedes noch so schwache Licht einfingen und dafür sorgten, dass es aussah, als würden die Strahlen tatsächlich flackern. Im Moment allerdings flackerte fast alles vor meinen Augen.

Trotzdem wusste ich, was die Rune war. Eine Sonne. Das Symbol für Feuer. Mab Monroes persönliche Rune, die niemand außer ihr je benutzte.

Bei ihrem Anblick fing das Steinsilber in meinen Handflächen zu brennen und zu kribbeln an. Mab war nicht die Einzige mit einer Rune hier. Ich hatte ebenfalls eine. Ein kleiner Kreis, umgeben von acht dünnen Strahlen. Eine Spinnenrune. Das Symbol für Geduld. Die Rune war einst ein Medaillon gewesen, das ich an einer Kette um den Hals getragen hatte. Bis Mab ihre Feuerelementarmagie einsetzte, um das Metall zu erhitzen und es sich wie ein Brandzeichen in meine Handflächen sengte. So hatte sie mich in der Nacht gefoltert, in der sie auch meine Familie ermordet hatte. Ich freute mich drauf, mich zu revanchieren – schon bald.

Feind, Feind, Feind, flüsterte die kleine Stimme in meinem Hinterkopf ohne Unterlass.

Mab Monroe kam herüber und stellte sich neben Elliot Slater und Jonah McAllister. Sie sah mit dem Interesse auf mich herunter, das sie wahrscheinlich einer Kakerlake entgegenbringen würde, bevor sie sie unter dem Stiefelabsatz zermalmte. Ihre schwarzen Augen schluckten alles Licht wie ein schwarzes Loch. Ich lag vollkommen still und versuchte auszusehen, als wäre ich tot. Kostete mich heute Abend keine besondere Mühe.

»Ich habe gesagt, es reicht, Jonah«, sagte Mab. »Oder hast du vergessen, dass du und Elliot für mich arbeiten?«

Slater trat zurück und senkte den Kopf. Die anderen zwei Riesen folgten seinem Beispiel. Aber Jonah McAllister war offenbar zu wütend, um den harten Unterton in Mabs sanfter Stimme zu hören.

»Dieses Miststück hat meinem Sohn Probleme bereitet, und ich glaube, dass sie etwas über seinen Tod weiß«, bellte McAllister. »Ich will, dass sie dafür bezahlt! Ich will, dass sie dafür stirbt

Mab starrte wieder auf mich herab. »Du lässt zu, dass deine Gefühle dein Urteilsvermögen beeinflussen, Jonah. Ignorierst die Fakten. Das ist deiner unwürdig.«

»Und was sind die Fakten?«, drängte McAllister.

»Dass Miss Blanco eine Frau ist. Eine normale, schwache Frau ohne Elementarmagie oder andere besondere Fähigkeiten. Anderenfalls hätte sie all ihre Kraft eingesetzt, um sich heute Abend vor dieser schrecklichen Tracht Prügel zu bewahren. Sie ist nicht diejenige, nach der du suchst, Jonah. Und noch wichtiger: Sie ist nicht die Frau, nach der ich suche.«

McAllisters Augen glitzerten. »Du und deine Besessenheit von dieser blonden Hure! Warum kannst du nicht einfach akzeptieren, dass sie tot ist? Und irgendwo in dieser Kohlemine begraben liegt, genau wie es bei Dawson und seinen zwei Männern der Fall war?«

Mabs Augen wurden noch schwärzer. Sie griff nach der Feuermagie und umarmte sie zärtlich, wie man einen Liebhaber an sich drückt. Da ich selbst ein Elementar war, konnte ich ihre Magie spüren, besonders da Mab so bewusst in ihrer Berührung schwelgte. Genau wie Mab meine Stein- und Eismagie gespürt hätte – wenn ich dämlich genug gewesen wäre, tatsächlich danach zu greifen.

Natürlich hätte ich Mabs Kraft so oder so gespürt, denn sie war einer der Elementare, die ständig Wellen von Macht aussandten. Aus der Feuermagierin floss die Magie geradezu heraus wie Wasser, das aus einem Wasserhahn tropfte. Anders als bei mir. Solange ich meine Elementarkraft nicht rief, sie nicht bewusst einsetzte, konnte niemand sie spüren. Das war eine Eigenschaft, die mich über die Jahre mehr als einmal gerettet hatte.

Mabs Magie kribbelte auf meiner Haut wie heiße unsichtbare Nadeln und verstärkte damit meine Qualen. Trotzdem hielt ich mich bewegungslos und ließ mir nicht anmerken, dass ich sie spüren konnte – oder eine Ahnung hatte, worüber sie gerade sprachen.

»Ich bezweifle, dass diese Nutte eine echte Nutte war, und sie haben ihre Leiche nicht im Geröll der eingestürzten Mine gefunden«, antwortete Mab kalt. »Bevor ich nicht ihren toten Körper gesehen habe, ist sie auch nicht tot. Ich werde sie finden, Jonah, und dann können wir beide Rache nehmen. Sie hat Dawson umgebracht, und sie ist diejenige, die deinen Sohn getötet hat. Nicht Miss Blanco.«

Sie sprachen über die Nacht von Mabs Party, in der ich mich als Prostituierte verkleidet hatte, um mich Tobias Dawson zu nähern, einem gierigen Minenbesitzer, der ein paar unschuldige Leute bedroht hatte. Dawson war derjenige gewesen, den ich an diesem Abend hatte umbringen wollen, aber Jake McAllister hatte mich entdeckt, bevor ich die Chance bekommen hatte, den Zwerg kaltzumachen. Mab hatte mich ein paar Minuten, nachdem ich Jake McAllister erstochen hatte, im Bad erwischt. Anscheinend hatte die Feuermagierin in der Zwischenzeit eins und eins zusammengezählt und verstanden, dass ich Jake ermordet hatte, um kurz darauf Dawson dasselbe in seiner Mine anzutun. Nicht gut.

»Ich habe diesem kleinen Test unter der Bedingung zugestimmt, dass Miss Blanco die Nacht überlebt, sollte sie sich als unschuldig entpuppen«, fuhr Mab fort. »Und das hat sie getan, zumindest in meinen Augen. Niemand würde sich freiwillig so zusammenschlagen lassen.«

Demnach verstand Mab Monroe das Konzept von Aufopferung nicht. Das war kaum überraschend. Ich hätte vielleicht gelacht, wenn ich nicht solche Schmerzen gehabt hätte. Im Moment hätte ich sogar weitere Prügel eingesteckt, nur damit sie mich endlich allein in der Dunkelheit liegen ließen. Trotzdem, inzwischen war ich sehr glücklich darüber, dass ich mich von Elliot Slater hatte verprügeln lassen. Sonst wäre ich inzwischen schon tot, weil Mab Monroe mich aus dem Hinterhalt mit ihrer Feuermagie angegriffen hätte.

»Wen interessiert, ob das Miststück lebt oder stirbt?«, höhnte McAllister. »Sie ist ein Niemand.«

»Das mag stimmen, aber unglücklicherweise besitzt Miss Blanco einige Freunde«, antwortete Mab. »Vor allem die Deveraux-Schwestern.«

»Diese Zwergen-Miststücke sind mir egal«, blaffte Jonah. »Du könntest sie mühelos töten.«

Mab machte eine wegwerfende Geste. »Vielleicht. Aber Jo-Jo Deveraux ist sehr beliebt. Es könnte unterhaltsam sein, aber sie zu töten würde mir keine Sympathien einbringen. Außerdem habe ich im Moment andere Sorgen, besonders Coolidge.«

Mein benommenes Hirn klammerte sich an dem seltsamen Namen fest. Coolidge? Wer zur Hölle war Coolidge? Und was hatte er getan, um Mab Monroe zu verärgern?«

»Du hattest deinen Spaß, Jonah. Akzeptier endlich, dass Miss Blanco nicht diejenige ist, die Jake getötet hat. Für ihre vorherigen Missetaten hat sie heute Abend reichlich gebüßt. Also, wirst du ruhig mitkommen, damit wir uns übers Geschäft unterhalten können? Oder soll ich anfangen, mich nach einem neuen Anwalt umzusehen?« Die Worte waren beißend wie ein Säureregen.

Endlich ging Jonah McAllister auf, dass er diese Diskussion nicht gewinnen würde. Und dass seine Chefin, wenn er ihr weiterhin widersprach, wahrscheinlich ihre Elementarmagie einsetzen würde, um ihn an Ort und Stelle zu verbrennen. Also presste der Anwalt die Lippen aufeinander und nickte einmal kurz. Er beugte sich dem Willen Mabs. Zumindest für heute Abend.

Der silberhaarige Mistkerl drehte sich um und trat mich fest in den Bauch. Der Tritt kam nicht ganz unerwartet, doch ich hustete trotzdem noch einmal Blut. Ein harter heißer Schmerz sammelte sich in meinem Bauch. Ich musste so bald wie möglich zu Jo-Jo Deveraux, damit sie mich heilen konnte. Sonst würde ich es nicht mehr lange machen.

»Schön. Dann suchen wir den Nächsten.« Jonah McAllister lehnte sich vor, umfasste meinen braunen Pferdeschwanz und zog mein Gesicht daran nach oben. »Wenn du darüber mit der Polizei redest, Miststück, wirst du sterben. Verstanden?«

Polizei? Oh, ich hatte nicht vor, mich an den korruptesten Verein ganz Ashlands zu wenden. Auf keinen Fall. Ich würde mich ganz allein um diese Angelegenheit kümmern. Aber um in meiner Rolle zu bleiben, stöhnte ich leise und nickte.

Zufrieden damit, dass ich diesmal eingeschüchtert war, ließ McAllister meinen Zopf los. Ich fiel zurück auf den Boden.

»Lasst uns hier verschwinden«, knurrte der Anwalt. »Das Blut des Miststücks hat meinen Mantel dreckig gemacht.«

Jonah McAllister trat über meinen zusammengekauerten Körper hinweg und verschwand in der Dunkelheit. Elliot Slater und die zwei anderen Riesen folgten ihm. Mab Monroe blieb, wo sie war, und musterte mich mit ihrem dunklen Blick. Wieder glitt ihre Macht über mich, und die heißen unsichtbaren Nadeln gruben sich in meine blutige Haut. Ich unterdrückte ein weiteres Stöhnen.

»Ich hoffe wirklich, dass Sie diesmal Ihre Lektion gelernt haben, Miss Blanco«, meinte Mab ruhig. »Denn Jonah hat recht. Wenn Sie einem von uns noch einmal in die Quere kommen – egal wem –, werden Sie sterben. Und ich verspreche Ihnen, dass es um einiges schmerzhafter sein wird als alles, was Sie heute Abend erlebt haben.«

In ihren Augen flackerte Feuer auf, wie um ihr tödliches Versprechen zu betonen. Mab Monroe lächelte noch einen Moment auf mich herunter, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und verschwand in der kalten Nacht.

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2

Ich musste von den Schmerzen bewusstlos geworden sein, nachdem Mab verschwunden war. Als ich wieder zu mir kam, bemerkte ich ein Paar angeschlagene schwarze Stiefel auf dem Boden vor meinem Gesicht. Ob sie nun zu Freund oder Feind gehörten, war mir im Moment ziemlich egal. Ich lag nur da, zu verletzt und schwach, um mich zu bewegen. Die kalten Grashalme gruben sich wie winzige Eiskristalle in meine vor Schmerz pulsierende Wange. Doch ich genoss die angenehme Kälte auf meiner fiebrigen Haut.

Ein Funkgerät krächzte über meinem Kopf, dann fing jemand an zu sprechen. Es kostete mich einen Moment, mich auf die abgehackten Worte zu konzentrieren.

»… Leiche auf dem südwestlichen Hof zwischen dem Englisch- und dem Geschichtsgebäude …«

Eine Leiche? Hatten sie wirklich nicht bemerkt, dass ich noch lebte? Der Kerl hatte vermutlich nicht mal nach einem Puls getastet. Wahrscheinlich hatte er mich wegen des ganzen Blutes nicht anfassen wollen, und das konnte ich ihm nicht einmal übel nehmen. Außerdem lag der Campus in der Nähe von Southtown, dem Teil von Ashland, in dem die Obdachlosen, Junkies, Vampirnutten und andere heruntergekommene Subjekte lebten. Ich wäre nicht die Erste, die auf den Höfen des Colleges verblutete. Trotzdem. Wäre ich dazu imstande gewesen, hätte ich die Augen verdreht. Ich war nicht tot. Nur halb tot.

Ich streckte den Hals, um meinen potenziellen Retter zu sehen. Über mir stand einer der Sicherheitsleute des Colleges, der ein Funkgerät an der Schulter trug – wie ein echter Cop. Er ließ den roten Knopf an dem Gerät los, woraufhin ein weiteres Krächzen erklang. Ich konnte den Anfang des verstümmelten Signals nicht entschlüsseln, doch ich verstand den Grundtenor der Nachricht: »… Polizei ist unterwegs.«

Jonah McAllister hatte mich davor gewarnt, die Cops zu rufen, und eigentlich hatte ich vorgehabt, seinem Wunsch nachzukommen. Nicht weil ich Angst vor dem Rechtsanwalt und dem hatte, was er mir antun könnte. Sondern weil ich plante, mich selbst um McAllister zu kümmern – ohne Hilfe und Einmischung von außen. Doch jetzt sah es aus, als würde die Bullerei kommen, ob ich es nun wollte oder nicht. Ich konnte nichts mehr dagegen tun.

Also ließ ich meinen Kopf wieder auf das kalte Gras sinken und schloss die Augen. Ich vermochte in diesem Moment nichts auszurichten, also konnte ich mich genauso gut tot stellen und mich ausruhen, bis die Cops ankamen.

Ich war nicht ganz sicher, wie lange ich dort auf dem Boden lag, mal bei Bewusstsein, mal nicht. Doch helle Lichter zogen mich aus der weichen Schwärze, in der ich trieb. Rote und blaue Punkte wirbelten weit über meinem Kopf im Kreis. Ich blinzelte in die Helligkeit. Jemand hatte einen dunklen SUV ein paar Meter von mir entfernt auf dem Rasen geparkt. Die Türen des Autos öffneten sich, und zwei Paar Stiefel stiegen aus. Ein Paar gehörte einem Mann, der Größe nach einem Riesen. Die Schuhe waren fast so lang wie mein Arm. Das andere Paar Stiefel war femininer, kleiner und schick geschnitten, mit einem niedrigen Absatz.

Die Stiefel knirschten über das gefrorene Gras in meine Richtung, um sich denen des Sicherheitsmannes anzuschließen. Ich hatte das Gefühl, dass alle drei auf mich herunterstarrten.

»So haben Sie sie gefunden? Sie lag einfach so da?« Die Stimme der Frau war leicht und melodisch wie ein Windspiel. Fast hätte ich sie schön genannt, wäre der Tonfall nicht von kalter, ausdrucksloser Resignation erfüllt gewesen. Ich war nicht die erste Leiche, die sie in ihrem Leben zu Gesicht bekommen hatte. Vielleicht nicht mal die erste am heutigen Tag.

»Ja, Ma’am«, antwortete der Sicherheitsmann. »Ich habe meine übliche Runde gedreht und dann gleich angerufen, als ich sie fand.«

Jetzt, da ich endlich angemessenes Publikum hatte, war es Zeit, dass Gin Blanco von den Toten auferstand. Ich holte tief Luft und rollte mich auf den Rücken. Der dunkle See aus Schmerzen, auf dem ich bis jetzt dahingedümpelt war, bäumte sich zu einer hohen Welle auf, in der ich zu ertrinken drohte. Mir kroch ein leises Stöhnen über die Lippen, und wieder tanzten weiße Sterne vor meinen Augen.

Schweigen.

»Sie Idiot! Sie ist nicht tot! Haben Sie denn nicht nach einem Puls gesucht, bevor Sie uns angerufen haben?«, blaffte die Frau. »Ruf den Notarzt, Xavier. Jetzt sofort, bevor sie verblutet.«

Xavier? Den kannte ich. Er war der Riese, der in einem Nachtclub namens Northern Aggression als Rausschmeißer arbeitete. Hin und wieder jobbte Xavier auch für die Polizei von Ashland. Er war nicht gerade das, was ich als engen Freund bezeichnen würde, aber er würde mir wahrscheinlich helfen, wenn ich ihn nett genug darum bat und ihm später ein wenig Geld zusteckte. Die grünen Scheine sorgten in Ashland für jede Menge Freunde.

Sobald der Schmerz auf ein erträgliches Maß gesunken war, öffnete ich die Augen. Die wirbelnden Lichter des Blaulichts machten es mir schwer, die drei Gestalten vor mir zu erkennen, doch den Riesen machte ich trotzdem aus. Mit guten zwei Metern, seinem rasierten Kopf und seiner dunklen Haut war Xavier schwer zu übersehen.

»Xavier?«, murmelte ich, weil ich mich bemühte, meinen gebrochenen Kiefer so wenig wie möglich zu bewegen.

Wieder: Schweigen.

Dann beugten sich die drei Gestalten zu mir herunter, um mich eindringlich anzustarren. Wahrscheinlich vollkommen schockiert, dass ich tatsächlich reden konnte – wenn man bedachte, wie mein Gesicht im Moment aussehen musste.

»Kennst du sie, Xavier?«, fragte die Frau.

Ein breites Knie landete neben mir auf dem Gras, dann fiel ein Schatten auf mein Gesicht und schirmte es gegen das helle Licht ab. Ich starrte in Xaviers dunkle Augen. Der Blick des Riesen huschte in dem Versuch, unter dem Blut, den Blutergüssen und den Schwellungen meine Gesichtszüge zu erkennen, hin und her. Schließlich breitete sich die Erkenntnis auf seiner Miene aus. »Gin?«

»Höchstpersönlich«, murmelte ich.

»Kennst du sie?«, fragte die Frau wieder.

Xavier nickte mit dem großen Kopf. »Ja, ich kenne sie. Sie heißt Gin Blanco. Ihr gehört das Pork Pit. Das ist ein Barbecue-Restaurant ein paar Blocks entfernt. Himmel, Gin, dir hat jemand wirklich richtig eingeschenkt, hm?«

»Du redest mit ihr, als könnte sie dich verstehen«, sagte die Frau irgendwo über meinem Kopf.

»Weil sie das kann, Detective«, antwortete Xavier. »Gin ist das härteste Mädchen, das ich kenne. Kriegt eins auf die Mütze und läuft einfach weiter wie eine Uhr. Nicht wahr, Gin?«

»Genau«, krächzte ich. »Und jetzt tu mir einen Gefallen.«

»Spuck’s aus.«

»Ruf Finn an.«

Xavier nickte, zog sein Handy aus der Tasche am Gürtel und klappte das Gerät auf. »Wie ist seine Nummer?«

Ich hustete eine Reihe von Zahlen aus, die Xavier sofort auf der Tastatur tippte. Ein paar Sekunden später lächelte der Riese. »Finn, Alter. Hier ist Xavier. Hör mal, ich müsste mit dir über Gin reden …«

Ich ließ mich wieder treiben, während Xavier Finnegan Lane die Situation erklärte.

Nach einem kurzen Wortwechsel klappte Xavier sein Handy wieder zu. »Er ist unterwegs. Sollte in ungefähr fünf Minuten hier sein. Ich soll dir ausrichten, dass er sofort Jo-Jo anruft, was auch immer das bedeuten soll.«

Ich nickte. Jo-Jo Deveraux war die Luftmagierin, die mich immer heilte, wenn ich mal schwer etwas abbekam. Wie heute Nacht.

»Gut«, krächzte ich. »Und jetzt hilf mir, mich aufzusetzen, bitte.«

»Du solltest sie wirklich nicht bewegen …«, setzte die Frau an.

Zu spät. Ich schlang meine Finger um Xaviers breiten Unterarm, und der Riese zog mich in eine sitzende Position. Es kostete mich mehrere Augenblicke, wieder zu Atem zu kommen und gegen den Schwindel anzublinzeln. Sobald ich das geschafft hatte, wurde mir klar, dass ich im Zentrum der Aufmerksamkeit war. Während meiner Bewusstlosigkeit hatte jemand gelbes Absperrband um die Stelle gezogen, an der ich gelegen hatte. Eine Handvoll Studenten, die spät noch unterwegs gewesen waren, hatte sich hinter dem Band versammelt wie eine Horde Geier, die sich um frisches Aas drängeln. Einige von ihnen hielten ihre Handys hoch und schossen Fotos von meinem zerschlagenen Gesicht, um sie anschließend auf den Tratschseiten des Colleges zu posten.

Ich kniff die Augen gegen das helle Licht zusammen und versuchte, jemanden zu erkennen. Ich identifizierte ein paar Kommilitonen aus meinem Kurs für Klassische Literatur, aber das war’s dann auch schon. Das war die Mühe des Sitzens kaum wert gewesen. Wieder überschwemmte mich eine Welle aus Schmerz, und ich wäre einfach umgefallen, hätte Xavier mich nicht aufrecht gehalten. Im Moment wollte ich nichts anderes, als mich irgendwo auf eine weiche Matratze legen, wimmern und meine Rache gegen Mab Monroe, Elliot Slater und besonders gegen Jonah McAllister planen. Denn diese drei würden sterben. Durch meine Hand. Eher früher als später.

»Xavier, leg sie wieder hin«, blaffte der Detective. »Sie braucht ärztliche Betreuung. Sofort!«

Ich hob den Blick, doch alles, was ich von der Polizistin sah, war ihr dunkelblauer Mantel, ein paar Strähnen ihrer langen blonden Haare und die drei kleinen Ringe, die sie am linken Zeigefinger trug, der in einem schnellen Rhythmus auf ihren Oberschenkel schlug. Ich hätte gern den Kopf gehoben, um ihr Gesicht zu mustern, doch diese Bewegung hätte sicher dafür gesorgt, dass ich Blut über ihre Stiefel spuckte. Trotz meines eingeschränkten Sehvermögens schien mir irgendetwas an der Frau vertraut. Auf seltsame Art. Allerdings erschien mir in meinem Zustand wahrscheinlich alles vertraut, was sich nicht gerade um mich drehte.

»Willst du, dass sie an ihrem eigenen Blut erstickt? Vertrau mir. Sie muss sitzen«, antwortete Xavier. »Außerdem wird ihr Freund in ein paar Minuten kommen. Bis dahin kann sie sich zusammenreißen. Nicht wahr, Gin?«

»O ja«, murmelte ich. »Das ist gar nichts. Du solltest mich mal an einem schlechten Tag sehen.«

Die Polizistin schnaubte. »Ziemlich schlagfertige Antwort für eine Frau, die in ihrem eigenen Blut liegt.«

»Das bin ich«, sagte ich, während ich auf ihre Jeans starrte. »Schlagfertig bis zum bitteren Ende.«

An meiner Schulter fühlte ich, wie Xaviers Brust vor unterdrücktem Lachen zitterte. Zumindest amüsierte ich heute Abend irgendwen.

Die Polizistin zog die Beine ihrer Jeans hoch und ging vor mir in die Hocke, um mir in die Augen sehen zu können. Ich blinzelte wieder gegen den Schwindel an, dann sah ich die Frau zum ersten Mal richtig.

Mir blieb das Herz stehen.

Mittellange, gelockte honigblonde Haare, die sich an den Enden nach innen drehten. Kornblumenblaue Augen. Perfekte rosige Haut. Volle Lippen. Sie war eine atemberaubend schöne Frau. Doch es war nicht ihre Schönheit, die dafür sorgte, dass mir der Atem stockte und sich mein Herz in der Brust verkrampfte. Es war der Anhänger, den sie an einer silbernen Kette um den Hals trug.

Eine Schlüsselblume.

Die kleine Steinsilber-Rune lag in der glatten Kuhle an ihrem Hals, genau dort, wo die Schlüsselbeine aufeinandertrafen. Es war das Symbol für Schönheit. Dieselbe Rune, dieselbe Kette, die meine kleine Schwester Bria als Kind getragen hatte.

Bria.

Sie sah genauso aus wie auf dem Foto, das ich von ihr besaß, und genau, wie meine Mutter, Eira Snow, in meiner Erinnerung aussah. Der einzige echte Unterschied lag in dem harten Glitzern in Brias blauen Augen und ihrer angespannten, unnahbaren Miene. Beides war von Angesicht zu Angesicht besser zu erkennen als auf dem Foto, das sich in meinem Besitz befand. Bria zeigte eine kalte, wachsame Schönheit. Sie war im wahrsten Sinne des Wortes eine zum Leben erwachte elementare Eiskönigin.

Für einen Moment fragte ich mich, ob ich gerade den Verstand verlor. Ob ich bereits tot war und das hier nur ein bizarrer Traum, in dem meine letzten Wünsche wahr wurden, bevor die Götter mich in den Hades verschifften. Ein kurzer aufreizender Blick auf das, was ich am dringendsten zu sehen wünschte, um es mir dann so schnell wegzunehmen, wie es erschienen war.

Ich holte keuchend Luft, dann musste ich einen Mund voll warmen, nach Kupfer schmeckenden Blutes ausspucken, um nicht daran zu ersticken. Nein, kein Traum. In einem Traum hätte ich nicht solche Schmerzen gehabt.

Bria, meine kleine Schwester, die ich siebzehn Jahre lang für tot gehalten hatte, von der ich geglaubt hatte, sie unabsichtlich mit meiner Eis- und Steinmagie getötet zu haben: Sie war hier. Sie hockte direkt vor mir.

Ich konnte sie nur anstarren.

Bria musterte mich. Sie runzelte die Stirn, als könnte sie das Erstaunen in meinem Blick nicht nachvollziehen. »Ma’am, ich habe verstanden, dass gleich ein Freund von Ihnen kommen wird, der Sie mitnehmen will. Ich persönlich würde Ihnen raten, auf den Notarzt zu warten. Sie haben ein paar ziemlich üble Verletzungen und müssen stabilisiert werden, bevor Sie irgendwo hingehen.«

Ich glotzte sie weiter an. Ein immenser Druck breitete sich in meiner Brust aus, als würde eine eisige Faust mein Herz zusammenquetschen, bis es kurz davor war, einfach zu zerplatzen, in tausend eisige Stücke zu zerbrechen, die die Reste meines Körpers durchbohren würden. Eine seltsame, kalte Nässe rann über meine Wangen. Diesmal waren es Tränen, kein Blut. Große, fette salzige Tränen.

Ich weinte. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich weinen würde, wenn ich Bria wiedersah. Hatte nicht mit dieser eisigen Enge in meiner Brust gerechnet, diesem Schmerz, diesem unglaublichen Sehnen, das dafür sorgte, dass ich gleichzeitig schreien, jammern und weinen wollte.

»Ma’am?«, fragte Bria wieder. »Können Sie mich hören?«

Das riss mich aus meiner Betäubung. Das war nicht der richtige Moment, um wie vom Donner gerührt dazusitzen. Jetzt war der Zeitpunkt, um nachzudenken und alle Puzzleteile zu einem einzigen Bild zusammenzufügen. Bria war hier in Ashland. Sie arbeitete als Detective. Ich konnte heute Abend nicht mit ihr reden … Ich war gar nicht fähig, etwas anderes zu tun, als sie anzustarren. Doch unter dem Blut und den Verletzungen war ich immer noch Gin Blanco. Restaurantbesitzerin. Stein- und Eiselementar. Ehemalige Auftragskillerin. Und eine harte Type. Sobald ich mich erholt hatte, wäre es mir ein Leichtes, meine Schwester aufzuspüren. Sobald ich genug Zeit gehabt hatte, würde ich mich mit ihrem plötzlichen Auftauchen in meinem Leben auseinandersetzen – und herausfinden, was ich damit anfangen wollte.

Ich leckte mir über die aufgeplatzten Lippen, um etwas, irgendwas, zu ihr zu sagen. Irgendwas, damit meine Schwester genau da blieb, wo sie war …

»Gin! Gin!«

Eine männliche Stimme rief meinen Namen. Einen Moment später duckte sich Finnegan Lane unter dem gelben Absperrband hindurch und eilte zu mir. Er trug seinen üblichen maßgeschneiderten Anzug. Heute war der Stoff dunkelblau, mit einem hellblauen Hemd darunter. Selbst im Halbdunkel betonte die Farbe Finns grüne Augen, die mich immer an das glatte Glas einer Limoflasche erinnerten. Seine walnussfarbenen Haare streiften in perfekt gestylten, sexy Locken den Kragen seines Jacketts.

Finn war nicht nur mein bester Freund, sondern auch der Sohn meines Mentors, Flechter Lane, der mich vor Jahren von der Straße geholt hatte. Fletcher, der selbst ein Auftragsmörder gewesen war, hatte mir alles über meinen ehemaligen Beruf beigebracht. Finn war für mich wie ein Bruder und gleichzeitig einer der wenigen Menschen, denen ich nach dem Mord an dem alten Mann vor ein paar Monaten noch vertraute. Obwohl ich nicht länger unter dem Namen »die Spinne« als Profikillerin arbeitete, war Finn nach wie vor mein Mittelsmann. Ich wusste nicht, wie ich ihn sonst nennen sollte. Ich mochte ja nicht mehr allzu viel mit der dunklen Seite des Lebens zu tun haben, aber er hielt mich über alles auf dem Laufenden, was vielleicht Auswirkungen auf mich haben könnte – oder auf seine eigenen lukrativen Geschäfte als Investmentbanker.

Finnegan Lane ging neben mir in die Hocke und sah mir ins Gesicht. Er ließ seinen Blick über meine blutbesudelten Züge wandern, um den Schaden zu analysieren. Genau wie sein Vater es getan hätte.

»Himmel«, sagte er. »Und ich dachte gestern schon, du sähest schlimm aus. Heute siehst du aus wie ausgekotzt.«

»Ich freue mich auch, dich zu sehen, Finn«, antwortete ich trocken. »Gestern hatte ich nur die Grippe. Wie du sehen kannst, ist mein Zustand heute etwas ernster.«

»In der Tat«, murmelte er. »Aber das kannst du mir später erzählen. Jetzt müssen wir dich von hier wegschaffen. Xavier, wenn du so freundlich wärst?«

Der Riese nickte, schob seine freie Hand unter meine Beine und hob mich hoch, wie ein Kind einen Welpen hochheben würde. Finn streckte die Arme aus, und Xavier übergab mich. Sie bemühten sich beide, sanft und vorsichtig zu sein, doch die Bewegung tat trotzdem weh. Wieder verengte Schmerz meine Brust und sorgte dafür, dass mir das Atmen schwerfiel. Es fühlte sich an, als würde eine meiner gebrochenen Rippen in meine Lunge piken. Außerdem sammelte sich noch mehr Blut in meinem Mund, doch diesmal schluckte ich es wieder hinunter. Ich litt schon genug Qualen. Da war es nicht nötig, auch noch Finn dabei zuzuhören, wie er sich lauthals darüber beschwerte, weil ich meine Innereien auf seinen kostbaren Anzug spuckte. Im Moment waren meine Ohren das Einzige an meinem Körper, was nicht vor Schmerzen brannte.

Finn drehte sich in Richtung des Absperrbandes, doch Bria stand auf und trat ihm in den Weg.

»Warten Sie!«, blaffte sie. »Sie geht nirgendwohin. Der Notarzt ist noch nicht da, und sie braucht medizinische Versorgung.«