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Deutsch von Birte Mirbach

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Berlin Verlag erschienenen Buchausgabe

1. Auflage 2015

Die Originalausgabe erscheint 2015

unter dem Titel You, Me and Other People

bei Harper Collins, London.

© 2015 Fionnuala Kearney

Für die deutsche Ausgabe

© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, Berlin 2015

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Datenkonvertierung: Greiner & Reichel, Köln

TEIL EINS

»Die besten Menschen, sagt man, werden erst
durch die Fehler, die sie gemacht haben, vollkommen.«

William Shakespeare,
Maß für Maß

PROLOG

Ich hätte überhaupt nicht herkommen sollen. So blind, wie ich meinen Namen, meine Krankenversicherungsnummer und die Zeit und den Tag der Geburt meiner Tochter auswendig weiß, so genau weiß ich, dass ich nicht hätte herkommen sollen. Adam Hall – NC 100Z9T – 3. März 1994, 8:04 Uhr, Meg Sarah-Louise Hall, per Kaiserschnitt zur Welt gekommen, erstes Kind meiner Frau Beth und mir. Unwillkürlich schüttele ich den Kopf, mein Gewissen plagt mich, ermahnt mich, dass ich nicht hätte herkommen sollen.

Ich fahre am Haus vorbei. Es gibt keinen Parkplatz, also muss ich wohl weiterfahren. Auf meinem Beifahrersitz liegt eine Schachtel, als Geschenk verpackt. Heute hat jemand anderes Geburtstag. Ich habe mir Mühe gegeben, dieses Geschenk auszusuchen, wollte alles richtig machen. Es bedeutet mir etwas, es ist mir wichtig, dass derjenige weiß, was ich empfinde. Am Ende der engen Straße mache ich eine Kehrtwende und versuche noch einmal, einen Parkplatz in der Nähe zu finden. Ungefähr zehn Häuser entfernt ist jemand weggefahren, und ich schlüpfe mit meinem Auto in die freie Lücke.

Da vorne findet eine Party statt, das Haus von einem verräterischen Bündel Luftballons am Pfeiler markiert. Ich werfe einen Blick auf die Schachtel. Als ich sie verpackt habe, habe ich das Klebeband umgeklappt, so dass man es auf der Außenseite des Papiers nicht sieht. Beth hat mir mal zu Weihnachten gezeigt, wie man das macht. »Du musst es verstecken. Das sieht dann gleich viel ordentlicher aus«, hatte sie gesagt. Sie hat recht. Versteckte Dinge sehen von außen einfach viel ordentlicher aus.

Ich öffne das Fenster. Laute Stimmen dringen aus dem Haus mit den Ballons. Eine Frau eilt vorbei, mit einer schwer aussehenden Handtasche hoch über der Schulter, ein kleines Päckchen und eine Flasche Wein in ihren Händen. Ich habe keine Ahnung, wer sie ist, aber sie sieht so aus, als wäre sie zu spät dran. Knapp einen Meter von meinem Auto entfernt, auf der anderen Seite des schmalen Fußwegs, steht ein blühender Jasminstrauch. Ich atme den berauschenden Duft ein und schließe die Augen, fühle mich sofort in die Vergangenheit zurückversetzt, zum blumigen Parfüm meiner Mutter. Meine linke Hand greift nach der Handbremse, während in meinem Kopf ein Kinderreim über Dick Whittington erklingt, den sie immer gesungen hat, als ich klein war. Fahr zurück. Ich werfe einen Blick auf das Geschenk, kaue auf meiner Oberlippe herum. Ich hätte nicht herkommen sollen.

Ich lasse den Motor an. Ich werde das Geschenk wegpacken und nie wiederkommen. Das verspreche ich, hoch und heilig. Ich sage es laut, schaue mich selbst im Rückspiegel an und spreche die Worte langsam aus, als würde mein Leben davon abhängen …

Auf der Fahrt zurück freue ich mich auf das Sonntagsessen, das mich erwartet. Ich werde unser Zuhause betreten und meine Frau küssen. Ich werde unter die Dusche gehen, um den Wahnsinn dieses Morgens abzuspülen. Ich werde mich in das Leben stürzen, das ich liebe. Ich stelle es mir vor wie als Geschenk verpackt, mit doppelseitigem Klebeband oder was auch immer man braucht, damit der Inhalt schön ordentlich eingewickelt ist – versteckt vor den Menschen, die ich liebe.