Judith Allert

Alles paletti!

Mit Illustrationen von Joëlle Tourlonias

Impressum

Die ganze Welt der Sternstraße auf www.arsedition.de/​paulaundlou

Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe

© 2015 arsEdition GmbH, arsEdition GmbH, Friedrichstr. 9, 80801 München

Alle Rechte vorbehalten

Text: Judith Allert

Cover- und Innenillustrationen: Joëlle Tourlonias

Lektorat: Anja Kunze

Umsetzung eBook: Zeilenwert GmbH

ISBN eBook 978 - 3-8458 - 0772-0

ISBN Printausgabe 978 - 3-8458 - 0768-3

www.arsedition.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Übersicht

über die Bewohner in der Sternstraße Nummer

Prolog

in dem das Warten ein Ende hat

1. Kapitel

in dem sich eine Masche auf und davon macht, der rostige Kunibert seinen ersten Auftritt hat und mitten in der Nacht die Wände wackeln

2. Kapitel

Hier verschluckt Kunibert eine Ladung Sterne und einen blinden Passagier.

3. Kapitel

in dem die Sterne Riesenfamilienpizzen auf den Augen haben und ein kleiner schwarzer Fleck Angst und Schrecken verbreitet. Außerdem lassen Oliven eine Zitrone vergessen.

4. Kapitel

Hier schmeckt das Meer nicht und eine Frau mit Hut sorgt für Aufregung.

5. Kapitel

in dem Johann in Badehosen Verbrecher jagt und Paula gerne Spiderwoman wäre

6. Kapitel

in dem die Ostereiersuche verfrüht stattfindet, Liebe durch den Muhacklmagen geht und ein Filmstar zum Elefanten wird

7. Kapitel

in dem eine ganz besondere Serviette davonfliegt und keine Holzwurmzucht eröffnet wird

8. Kapitel

Hier verschwindet ein Federball und es gibt freiwilligen Zimmerarrest.

9. Kapitel

Hier hagelt es Überraschungen.

10. Kapitel

in dem Paula fast in eine Tasse beißt, in Lous Kopf wird Federball gespielt und Kunibert knattert wieder los.

11. Kapitel

in dem ein Handy seine Italienreise beendet und ein Fremder gar nicht so fremd ist

12. Kapitel

in dem es um Hütchen geht. Und dann ist da noch die Sache mit Kunibert – oder besser, die ohne.

13. Kapitel

Hier ist Muhackl außerordentlich gerne ein Hund und die Sterne haben Pechhaare – meistens jedenfalls.

14. Kapitel

in dem ein Irrtum aufgeklärt wird und Muhackl zum allerersten Mal eine Mahlzeit ausfallen lässt

15. Kapitel

Hier lernt man einige Vierbeiner kennen, Muhackl erleidet Herzschmerz, und es wird leiser gemurmelt, als die Mücken surren.

16. Kapitel

Hier wird Kunibert zum Faultier, es gibt ein unverhofftes Wiedersehen, und ein Taschentuch ist am Ende gar keins.

17. Kapitel

Hier ist Lou so richtig, richtig mutig und Ronja plant eine Indianersafari am Nordpol.

18. Kapitel

in dem geschwitzt und gedürstet wird. Muhackl wird zur Alarmanlage und Ronja unternimmt ausnahmsweise keine großen Planungen.

19. Kapitel

in dem ein Marmeladenklecks für eine Überraschung sorgt

20. Kapitel

Hier ist das Leben keine Fernsehserie und ein Wischmopphund macht einiges leichter.

21. Kapitel

mit großartigen Schauspielkünsten und bergeweise Mozzarella

Epilog

in dem das Leben filmreif ist

Die Autorin

Die Illustratorin

Übersicht über die Bewohner in der Sternstraße Nummer 7

(auch »die Sterne« genannt), angefangen beim Erdgeschoss bis hinauf in die Dachwohnung (zum Bessermerken als Hunde und Katzen beschrieben)

Paula (Terrier):

Hat viel Temperament und ist schwer zu bändigen. Beißt sich überall durch, ohne Rücksicht auf Verluste. Typisch Terrier eben.

Lou (Zwergpudel):

Klein, aber oho. Auf den ersten Blick schüchtern und eine kleine Prinzessin. Der Eindruck ändert sich schnell. Ihr Motto: Die Klügere gibt nach. Putzt sich gerne mal heraus.

Muhackl (Hütehund-Irgendwas-Mix):

Der Sternstraßen-Hund (ebenso wortwörtlich, wie Stella eine Katze ist). Ein Wischmopp auf Beinen, der bei allen Sternen willkommen ist. Hat immer Hunger und einen Dickkopf (deshalb wird vermutet, dass sein Ururururopa ein besonders sturer Dackel gewesen ist).

Stella (Hauskatze, getigert):

Die Sternstraßen-Katze – und zwar wortwörtlich. Als Neuankömmling unter den Sternen hat sie sich längst eingelebt. Ihr Wohlgefühl entspricht ihrem zunehmenden Bauchumfang.

Ronja (Border Collie):

Stillsitzen unmöglich, braucht immer Beschäftigung. Hat alle Schäfchen – äh, Sternchen – unter Kontrolle. Mutter von Lou.

Lukas (Bobtail-Dogge-Mix):

Trotz seines Alters ein Hundewelpe – jedenfalls im Kopf. Stolpert ständig über die eigenen Füße und handelt immer, bevor er denkt. Von außen betrachtet, ist er ein Dogge-Bobtail-Mischling. Schlaksig und wuschelig. Vater von Paula.

Johann (Münsterländer):

Café-Schnack-Besitzer und Emma-Ehegatte. Gleicht einem eleganten Jagdhund mit guten Manieren. Statt Hasen jagt er Schätze auf dem Flohmarkt.

Emma (Cockerspaniel):

Café-Schnack-Besitzerin. Braucht, im Gegensatz zum Cockerspaniel, Lockenwickler für ihre Frisur. Wie er neigt sie zur Pummeligkeit. Sie ist die Hunde-Mutti, die sich rührend um ihre Welpen (die Sterne) kümmert. Füttert alle durch und hat immer ein offenes (Schlapp-)Ohr.

Kai (Golden Retriever):

Gutgläubig und nett. Typisch Familienhund. Passt prima in die Sternstraße, wo jeder für jeden da ist.

Tom (Bernhardiner):

Gemütlicher Bernhardiner. Trotz grauer Haare jung geblieben. Ehemann von Ben.

Ben (Bulldogge):

Eine Bulldogge mit dem Gemüt eines Schoßhündchens und der Frisur eines Luftballons – sprich Glatze. Ehemann von Tom.

Julius (Dalmatiner):

Extravagante Züchtung mit Superhirn. Weiß auf alles eine Antwort.

Laura (vorwiegend Siamkatze):

Ist wochentags (bis 18 Uhr) eine weltgewandte Siamkatze: elegant und vornehm, viel unterwegs und stets beschäftigt. Nach Feierabend verwandelt sie sich in einen schnurrenden Stubentiger.

Martin (vorwiegend Siamkater):

Er ist der Siamkater und abends wird er zum gemütlichen Sofatierchen.

Anna (Afghane):

Eine exotische, nette und zuverlässige Hundedame mit Papagei-Einschlag (wegen der Farben, nicht wegen des Plappermauls).

Prolog,

in dem das Warten ein Ende hat

Die Sonne hatte sich an diesem Tag mit hellgrauen Wolkenwatteflicken zugedeckt. Manchmal aber pustete der Wind sie für einen Moment davon. Dann leuchteten die Dächer der Sternstraße und ganz besonders der Bauwagen mit den silbernen Sternen, der im kleinen Hinterhof zwischen den Häusern mit der Nummer 9 und der Nummer 7 stand.

»Hmpf«, grunzte der weiße Wischmopphund zufrieden, als die Strahlen sein Fell wärmten. »Bou«, meckerte er entrüstet, als sich die nächste Wolke vor die Sonne schob.

Er und alle anderen »Sterne«, wie sich die Bewohner der Sternstraße nannten, hatten lange genug auf den Frühling gewartet. Und heute war es endlich so weit:

»Ich hab sie! Da ist sie, mein Täubchen, schau doch mal!«, rief ein kochlöffelstielschlanker Mann im schicken Anzug und deutete aufgeregt auf eine ganz bestimmte Stelle im Blumenbeet. Der Mann war Johann, der Besitzer des Antiquitätenladens namens Schnickschnack. Eine kleine und etwas pummelige Frau strich sich glücklich ihre Blümchenschürze glatt. Sie hieß Emma und war Johanns Frau.

»Der erste Krokus!«, seufzte sie glücklich und klopfte an die Tür des bunten Bauwagens. »Paula, Lou, kommt raus und schaut euch das an!«

»Geht nicht!«, erklang es zweistimmig.

»Wieso denn nicht?«, wunderte sich Emma.

»Miau«, meinte die schwarz getigerte Katze namens Stella, die auf der Bauwagen-Fußmatte ihr allererstes richtiges Frühlings-Nickerchen gehalten hatte.

»Also bitte, die beiden müssen äußerst wichtige Abenteuer-Vorbereitungen treffen«, sollte das heißen.

Da hatte sie ganz recht. Doppelt sogar. Diesmal standen gleich zwei Abenteuer an!

1. Kapitel,

in dem sich eine Masche auf und davon macht, der rostige Kunibert seinen ersten Auftritt hat und mitten in der Nacht die Wände wackeln

Seit Paula und Lou sich kannten, war Langeweile in der Sternstraße so selten wie Sandburgenbau-Wettbewerbe in der Antarktis. Angefangen hatte alles mit der Geistersuche, als Lou, ziemlich genau vor einem Jahr, mit ihrer Mutter Ronja hierher gezogen war. Darüber hinaus waren die Mädchen – unter anderem – auf Verbrecherjagd gewesen, hatten einen Film gedreht und herausgefunden, dass Lou einen Halbbruder namens Aaron hatte. Außerdem hatten sie ein unterirdisches Monster entlarvt. Paula und Lou waren also Profis, was Abenteuer anging. Dennoch, ihr allergrößtes stand ihnen erst bevor.

»Jetzt hab ich schon wieder eine Masche verloren!«, schimpfte Lou, die mit Wolle und Häkelnadel auf einem Stuhl an dem kleinen Tisch im Bauwagen saß. Natürlich war nicht Sockenhäkeln ihr größtes Abenteuer, sondern der- oder diejenige, der oder die die Söckchen an seinen oder ihren Minibabyfüßchen tragen sollte. Im Sommer würden Paula und Lou nämlich große Schwestern werden! Lous Mutter Ronja, die schon eine ganze Weile in Paulas Vater Lukas verknallt war (und umgekehrt), hatte ein minikleines Nachwuchssternchen in ihrem Bauch.

»Nur weil man häkeln kann, ist man noch keine gute große Schwester. Ich überlasse die Söckchen lieber Emma«, beschloss Paula. Sie hatte sich in die Kuschelecke mit den weichen Kissen gelümmelt.

Lou fieselte mit zusammengekniffenen Augen die Masche zurück auf die Nadel. »Stimmt, als große Schwester muss man ein gutes Vorbild sein und dem kleinen Geschwisterchen gute Ratschläge geben und ganz wichtige und vernünftige Sachen beibringen, wie zum Beispiel … äh …« Lou kratzte sich mit der Häkelnadel an der Nase. »Vielleicht, dass man nicht Fingernägel kauen soll und vor jedem Essen Hände waschen oder … versemmelter Wollwahnsinn, jetzt ist schon wieder eine Masche futsch!«, unterbrach Lou ihre Grübelei und war kurz davor, ihre Häkelarbeit in die Ecke zu pfeffern.

Paula grinste: »Und man muss immer schön geduldig sein und Fluchen ist sowieso streng verboten!« Sie lehnte sich in die Kissen zurück, schloss die Augen und schnarchte los. »Krrrrrch, krrrch – tut mir leid, aber das klingt ja haferschleimgrützenöde!« Dann setzte sie sich auf, schlug im Schneidersitz die Beine übereinander und zupfte sich nachdenklich in ihren braunen Wuschelhaaren herum.

Für Paula war vernünftig so etwas wie ein ganz übles Schimpfwort. Lou war da etwas anders. Wie ihre Mutter Ronja war sie ziemlich pflichtbewusst und ordentlich.

»Weißt du, was total doof ist?«, fragte da Lou.

»Dass du noch bis ans Ende der Ferien warten musst, bis du deinen geliebten Silvan wiedersiehst?«, erwiderte Paula. (In den hatte sich Lou vor Kurzem ziemlich verknallt – aber das ist eine andere Geschichte.) »Oder dass du schon wieder eine Masche verloren hast?« Paula deutete auf Lous Häkelwirrwarr.

»Ach was, es gibt gerade Wichtigeres als Verknalltsein. Und als Häkeln sowieso«, sagte Lou – obwohl sie sich natürlich schon darauf freute, Silvan bald wiederzusehen. »Ich finde es total doof, dass unser Geschwister-Sternchen seinen ersten Urlaub gar nicht mitbekommt!«

Paula wiegte grübelnd den Kopf hin und her. Ehe ihr dazu etwas einfallen konnte, erklang ein Geräusch, als ob ein rostiger Riesenroboter einen Hustenanfall bekommen hätte. Sie und Lou sprangen auf und eilten an das kleine Fenster. Was sie dort sahen, war Grund genug, ihre Große-Schwestern-Besprechung später fortzusetzen. Wie gesagt, war der Sternstraßennachwuchs nicht das einzige Abenteuer, das auf Paula, Lou und den Rest der Sterne wartete!

Das Baby sollte erst im August auf die Welt kommen. Aber etwas anderes stand kurz bevor: In zwei Tagen würde es ab nach Italien gehen! Aaron, Lous Halbbruder, hatte die Sterne in die Ferienanlage eingeladen, in der er gerade arbeitete. Dazu muss man wissen, dass er dort auf der Suche nach seinem und Lous Vater gewesen war. Lou hatte bis vor Kurzem nur dessen Vornamen gekannt (Jakob). Nun wusste sie auch den Nachnamen (Kirsch) und einiges mehr. Zum Beispiel, dass ihre Mutter Ronja nicht sehr gut auf diesen Jakob Kirsch zu sprechen war, weil er sie und Lou damals einfach hatte sitzen lassen. Und dass Aaron schon eine Weile in der ganzen Welt herumgondelte, um seinen Vater zu finden. Gerade allerdings kam er mit der Suche nicht weiter, weshalb er seit einer Weile in Italien das Leben genoss. Aber zurück zu dem merkwürdigen Roboterhusten:

Wegen eben diesem hatten sich alle Sterne im Hinterhof versammelt.

Emma und Johann, die Besitzer des Café Schnack (wie der Trödelladen meistens genannt wurde).

Tom, dessen Bauch bekanntlich so rund wie das O in seinem Namen war, und sein Mann Ben, der mehr Muskeln als Haare hatte (was allerdings nicht viel hieß, denn er hatte eine Glatze – aber wirklich viele Muskeln!).

Kai, Julius und Anna, die Studenten aus der Dachwohnung.

Laura und Martin, das Pärchen aus dem ersten Stock.

Außerdem Katze Stella, Muhackl und natürlich Ronja, Lous Mutter.

»Ist der nicht großartig? Den hab ich für einen Spottpreis von einem Kollegen bekommen. So müssen wir nicht mit zwei Autos nach Italien fahren!« Lukas wedelte so begeistert mit den Armen, dass seine Locken hüpften und er beinahe Ronja einen Nasenstüber verpasste. Die kannte Lukas’ hibbelige Art inzwischen bestens und ging rechtzeitig in Deckung. »Was haltet ihr davon, wenn wir ihm einen Namen geben? Als treuer Begleiter hat er das verdient!«

»Wie wäre es mit Rosti?«, fragte Paula.

»Oder Wackel-Liese«, schlug Lou vor.

»Mit dem Ding kommen wir nie bis nach Italien«, sagte Ronja.

»Spätestens am Sonnensteiner Ortsschild hält euch die Polizei an«, fügte Martin hinzu.

»Beleidigt meinen Freund Kunibert nicht!« Lukas hielt dem rostigen Bus – um genau den drehte es sich hier gerade – eine Hand vor den Seitenspiegel, als ob es dessen Ohr wäre: »Pssst, hör lieber weg, Kuni!«, flüsterte er. Dann wandte er sich wieder an die Sterne: »Ein paar Handgriffe, und Kunibert ist wieder wie neu!«

Bei der Behauptung mussten alle grinsen. Lukas’ erster Vorname war nicht umsonst »Chaos«. Was er reparierte, war hinterher kaputter als vorher.

Zum Glück gab es für solche Fälle Johann. Er machte den ganzen Tag kaum etwas anderes, als alten Schnickschnack aufzumöbeln, und rieb längst vorfreudig seine Handflächen aneinander.

»Ach, der Bauwagen hat vor ein paar Wochen auch nicht anders ausgesehen.«

»Aber wir fahren morgen los«, warf Emma ein.

Ehe ihr Satz beendet war, hatte sich Johann schon seine Schürze über den Anzug geworfen und einen Schraubenschlüssel gezückt. »Ich erledige das hier und ihr kümmert euch um den Rest«, sagte er.

»Surfen wäre supercool! Und ein Tauchkurs!«, überlegte Paula, während sie von ihrem Stockbett aus Lou dabei zusah, wie die sich nicht entscheiden konnte, welches von ihren etwa dreiundzwanzig Sommerkleidern sie mitnehmen sollte. Und welche Haarbänder dazu passten. Und ob ihr Bikini vom letzten Jahr überhaupt noch strandtauglich war.

Paula hatte längst fertig gepackt. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie nur ihren Badeanzug mitgenommen. Aber dagegen hatte Ronja etwas einzuwenden gehabt. Die war der Meinung, dass man selbst für einen Strandurlaub ein paar dicke Unterhemden einpacken sollte – für alle Fälle. Lou dagegen hätte am liebsten den Bauwagen an den Bus namens Kunibert gehängt, um all ihre Lieblingsklamotten unterzubringen.

»Tauchen ist total gefährlich«, protestierte Lou.

»Super-total-gefährlich!« Paula lächelte selig. »Vielleicht sehen wir ja auch mal einen Hai! Oder wenigstens una glibberiga Qualla

»Haie gibt es da gar nicht. Und eine was bitte?« Lou sah Paula schief an.

»Eine glibberige Qualle – das war Italienisch«, behauptete Paula.

Es klopfte und Ronja steckte ihren Kopf zur Tür hinein.

»Na, seid ihr fertig?«

»Si, ich muss nur noch Muhackls Sachen packen«, erwiderte Paula. »Müssen wir ihn in Italien eigentlich füttern oder fängt der sich einfach ein paar Fische im Meer?«

Ronja sah Paula verdattert an – allerdings nicht wegen der Fische. »Der Hund kann doch nicht mit! Wie bitte schön soll der ins Auto passen?«

»Kuniberts Bauch ist riesig«, protestierte Paula.

»Mu muss mit!«, fand auch Lou. Dabei hätte die vor einem Jahr Muhackl noch nicht mal mit Schutzhandschuhen gestreichelt.

»Muhackl gehört in die Sternstraße. Dem würde bei der langen Autofahrt nur schlecht werden.« Ronja nickte den Mädchen aufmunternd zu und rieb sich gleichzeitig mit der Hand über den Bauch. Das machte sie ständig, dabei sah man noch gar nichts von dem kleinen Sternchen darin. »Die zwei Wochen werdet ihr schon überstehen.«

»Müssen wir wohl«, murrte Paula.

Lou sah sie verwundert an. So schnell gab ihre Freundin und Beinahe-Schwester sonst nie auf. Oder spielte die jetzt wirklich vernünftige, pflichtbewusste große Schwester?

Aber da war es wohl wahrscheinlicher, dass Paula eine Maschine erfunden hatte, um Muhackl auf Erbsengröße zu schrumpfen und ihn so unbemerkt ins Handschuhfach zu stecken!

»Ich hab’s!«, rief Paula, als der Wecker kurz nach drei Uhr anzeigte. Aber nicht zur Kaffeekränzchenzeit, sondern mitten in der Nacht. In ein paar Stunden würde die Reise losgehen.

»Hä?«, grummelte Lou, die unten im Stockbett lag und, wenn sie nicht gerade unendlich verschlafen war, eigentlich sehr gute Manieren hatte.

»Ich weiß, wie das kleine Sternchen doch etwas vom Urlaub hat!«, erklärte Paula.

Lou blinzelte etwas wacher und gähnte, während Paula aus dem Bett kletterte, das Licht anknipste und begann, ihre Spielzeugkisten zu durchwühlen. Weil sie darin nicht das Richtige fand, zog sie nacheinander die Schubladen ihrer Kommode auf. Schließlich kletterte sie auf den Schreibtischstuhl, lugte auf den Kleiderschrank und hievte eine hölzerne Kiste herunter. Der Kiste folgten im Flug ein paar staubige Kuscheltiere, zerknitterte Postkarten und eine Dose mit Murmeln. Die landete scheppernd auf dem Boden, der Deckel rutschte herunter und die bunten Glaskugeln hüpften quer durch das ganze Zimmer.

Paula tat so, als hätten eben ganz und gar nicht sämtliche Wände gewackelt, und erklärte begeistert: »Das wird unsere Erinnerungskiste – für alle unsere Abenteuer! Da können wir Fotos reintun oder eben alles, was uns an die Reise erinnert. Außerdem sorgen wir dafür, dass es extra spannend wird. Da hat unser Geschwisterchen viel mehr davon, als wenn wir nur brav und vernünftig sind!«

Nicht nur dank der Murmeln war auch Lou jetzt kein bisschen schläfrig mehr.

»Super! So merkt das kleine Sternchen, was für mutige Schwestern es hat!« Mutig war für die immer etwas bammelige Lou besonders wichtig.

Paula grinste von Ohrläppchen zu Ohrläppchen: »Ganz genau! Und wenn es dann groß genug ist, kann es mit uns zusammen tolle Sachen erleben!« Sie kniff grübelnd die Augen zusammen. »Jetzt brauchen wir in Italien nur noch das passende Abenteuer. Vielleicht finden wir ja doch eine Spur von deinem Vater, das wäre klasse!«

Lou knabberte an ihrer Lippe. »Hm«, erwiderte sie nur. Weil sie nicht sagen wollte, dass sie vor einem Treffen mit ihrem Vater ungefähr genauso viel Respekt hatte wie vor einer riesigen, glibberigen Feuerqualle! Oder besser: vor einer riesigen, glibberigen Feuerqualle, die auf einem Hai durchs Meer schwimmt. Ehe Lou mehr sagen konnte, öffnete sich die Zimmertür und Lukas spitzte in das Kinderzimmer. Seine ohnehin schon wilde Lockenfrisur sah um diese frühe Uhrzeit aus wie Krautsalat.

»Ruhe, weiterschlafen, alle müssen früh raus, gut’ Nacht«, murmelte er, und schon war die Tür wieder zu.

Brav, vernünftig und äußerst vorbildlich kuschelten sich Paula und Lou wieder in ihre Betten – allerdings mit ziemlich viel Vorfreudeaufregungs-Bauchkribbeln.

2. Kapitel

Hier verschluckt Kunibert eine Ladung Sterne und einen blinden Passagier.

Natürlich passten nicht alle Sterne in Kuniberts Bauch. Aber da das Hotel Sternchen in den Osterferien nicht einfach schließen konnte, würden sowieso nicht sämtliche Bewohner der Sternstraße 7 mit nach Italien düsen. Anna, Kai und Julius, die Studenten, wollten dafür sorgen, dass die Leute auch ohne Emma und Johann gemütlich im Café Schnack stöbern, schnacken und Kaffee schlürfen konnten. Tom würde sich solange als Ronja-Ersatz um das Hotel kümmern.

So half nun die eine Hälfte der Sterne der anderen, also den Urlaubssternen, das Gepäck im Bus zu verstauen. Was den anging, hatte Johann nicht zu viel versprochen. Er glänzte und blitzte, und der Motor schnurrte, dass Stella beinahe glaubte, in der Sternstraße wohnte auf einmal noch eine Katze. Paula und Lou hatten auf die Schnelle den Bus namens Kunibert sogar noch etwas aufgehübscht und bunt bemalt. So stand er jetzt in aller Pracht da und schien nur darauf zu warten, dass es endlich losging.

»Wo bleibt Paula denn?«, fragte Ronja, als fast alles im Kofferraum verstaut war. Obendrauf, auf dem Berg, war gerade noch Platz für eine letzte Tasche.

»Die … die muss noch mal aufs Klo. Reiseaufregung und so«, erklärte Lou schnell.

»Hier … bin … ich … doch … schon.« In diesem Moment kam Paula mitsamt ihrem Gepäck, das sie wie einen Kartoffelsack über den Boden schleifte, herangeschnauft. Unter ihren Arm hatte sie außerdem die Abenteuerkiste geklemmt.

Lukas nahm Paula die Tasche ab und verzog das Gesicht: »Hast du zur Erinnerung an die Sternstraße ein paar Pflastersteine aus dem Hinterhof eingepackt?«, keuchte er und wuchtete das Gepäck auf den Stapel.

Da erklang ein seltsames Geräusch. Eine Art »Ömpf«, und Paula begann kräftig zu husten.

Ronja sah sie entsetzt an. »Jetzt sag nicht, dass du krank wirst. Mein Koffer mit der Reiseapotheke ist der allerunterste von dem Stapel hier!«

Paula schüttelte den Kopf. »Hab mich nur verschluckt«, murmelte sie, und Lou band sich schnell ihren Schuh zu (der gar nicht offen war), um niemanden der Sterne ansehen zu müssen.

Dann war es Zeit für das Abschiedsfoto, das Paula unbedingt für die Kiste brauchte.

»Wir nennen es Il Stillo bevoro il Sturmo«, sagte sie. »Das heißt auf Deutsch ›Die Ruhe vor dem Sturm‹!«

Alle Sterne gingen vor dem Bus in Stellung, Johann drückte den Selbstauslöser – und dann: »Griiiiinsen!«

Als das Foto im Kasten war, klatschte Ronja in die Hände. »Also dann, meine Lieben. Eure Listen habt ihr?«