Cover

Das Buch

Scharfe Analysen, treffendes Aperçus, amüsante Anekdoten, Witz und Ironie – so kennt man André Kostolany. Sein letztes Buch Die Kunst über Geld nachzudenken ist das Vermächtnis des von Millionen verehrten Börsengurus. In dieser Bilanz seines langen und erfolgreichen Börsianerlebens spürt Kostolany noch einmal der Faszination des Geldes nach. Er weiht den Leser ein in die grundlegenden Geheimnisse und Tricks der Spekulanten und nennt die Faktoren, die das Geschehen an der Börse beeinflussen. Zugleich gibt er einen Ausblick auf Veränderungen und Fehlentwicklungen, Chancen und Risiken der Börse im 21. Jahrhundert. Entscheidend für den finanziellen Erfolg mit Aktien, so Kostolany, sind Phantasie, Geduld, Weitblick, Erfahrung, eine durchdachte Anlagestrategie, das richtige Verhältnis zum Geld – und natürlich eine Portion Glück.

Der Autor

André Kostolany, 1906 in Ungarn geboren, gilt bis heute als der unbestrittene Meister des Aktiengeschäfts. Er studierte Philosophie und Kunstgeschichte und wäre eigentlich am liebsten Pianist geworden. Dann machte er Ende der zwanziger Jahre seinen ersten Börsendeal – und kam bis zu seinem Tod 1999 nicht mehr von der Finanzwelt los. Seine Bücher wurden in acht Sprachen übersetzt und fanden ein Millionenpublikum. Viele seiner Einsichten sind mittlerweile legendär und wurden zu geflügelten Worten im Börsenmilieu.

In unserem Hause ist von André Kostolany bereits erschienen:

Der große Kostolany

André Kostolany

Die Kunst,
über Geld
nachzudenken

Ullstein

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Inhalt

Vorwort

Die Faszination des Geldes

Geld und Moral

Geld – der Wertmaßstab der freien Welt

Wie viel Geld braucht man, um Millionär zu sein?

Das richtige Verhältnis zum Geld

Millionär in kurzer Zeit

Eine Kunst, und keine Wissenschaft

Spekulant, das bin und bleibe ich

Mein Börsenzoo

Spekulation – so alt wie die Menschheit!

Spekulieren oder nicht spekulieren?

Makler: Nur der Umsatz zählt

Money-Manager: Herrscher über Milliarden

Finanziers: die großen Macher

Arbitrageure: eine aussterbende Spezies

Börsenspieler: die Hasardeure der Börse

Anleger: die Marathonläufer der Börse

Spekulanten: Strategen auf lange Sicht

Spekulieren, aber womit?

Eine Frage von Chance und Risiko

Anleihen: ein bedeutenderes Spekulationsobjekt, als man denkt

Devisen: früher interessanter als heute

Rohstoffe: Spekulant gegen Spekulant

Sachwerte: Sammler oder Spekulant?

Immobilien: nur was für große Spekulanten

Aktien: das Spekulationsobjekt an sich

Die Börsen – Nervensystem der Marktwirtschaft?

Die Geburtsstunde

Nervensystem des Kapitalismus

Treffpunkt der Börsenteilnehmer

Spiegel der Weltgeschichte

Thermometer der Wirtschaft?

Was die Kurse bewegt

Die Logik der Börse

Das Postulat von Angebot und Nachfrage

Die langfristigen Einflussfaktoren

Moll oder Dur?

Der Friede ist das Wichtigste

Die wirtschaftliche Entwicklung auf lange Sicht

Die mittelfristigen Einflussfaktoren

Geld plus Psychologie gleich Tendenz

Die Konjunktur: unwichtig für die mittelfristige Börsentendenz

Inflation: Nur der Kampf gegen sie ist schädlich

Deflation: die größte Katastrophe für die Börse

Notenbanken: die Diktatoren der Zinsen

Anleihen: die Konkurrenten der Aktie

Devisen: Und was macht der Dollar?

Die Psychologie der Massen

Die Börsenpsychologie

Zittrig oder Hartgesotten? – Das ist hier die Frage

Geld

Gedanken

Geduld

Glück

Das Ei des Kostolany

Boom und Krach: ein unzertrennliches Gespann

Die Tulpenkatastrophe im 17. Jahrhundert

Mathematik brach Frankreich das Genick

1929: der Inbegriff des Börsenkrachs

»Antizyklisch« lautet das Erfolgsrezept

Eine Frage der Charakterstärke

Haussier oder Baissier? – Keine Prinzipienfrage

Im Informationsdschungel

Informationen: das Handwerkszeug des Spekulanten

Das Phänomen des Fait accompli

Die Informationsgesellschaft

Tipps, Empfehlungen und Gerüchte

Börsengurus: vom Wunderrabbiner bis zum Mathematiker

Insider-Informationen

Stockpicking

Von der Aktienbörse zur Börse von Aktien

Wachstumsbranchen: die Chance, reich zu werden

Der faire Preis einer Aktie

Turnaround-Werte: der Phönix aus der Asche

Das unsinnige Vokabular der Analysten

Charts: Gewinnen kann man, verlieren muss man

Die Geldverwalter

Spekulanten auf fremde Rechnung

Investmentfonds: der Autobus für viele Anleger

Hedge-Fonds: Bereits der Name ist Betrug

Anlageberater: Ihre Freud ist des Kunden Leid

Vermögensverwalter: die Maßschneider unter den Geldverwaltern

An den, der es wagen will

Verlieren gehört dazu

Keine Frage der Zeit

Der Nimbus hat Folgen

Börse und Liebe und die Liebe zur Börse

ZEHN GEBOTE

ZEHN VERBOTE

Vorwort

Als André Kostolany und ich im Februar 1999 an dem vorliegenden Buch zu arbeiten begannen, wussten wir beide, dass es sein letztes Buch sein würde. Dass mein Vorwort aber zugleich ein Nachruf sein würde, ahnte ich nicht.

Am 14. September starb André Kostolany im Alter von 93 Jahren in Paris. Die Folgekrankheiten eines Beinbruchs hatte sein geschwächter Körper nicht mehr verkraftet.

Doch in seinen Werken lebt er weiter. Dreizehn Bücher, einschließlich des vor Ihnen liegenden, hat er geschrieben. Sie wurden weltweit rund drei Millionen Mal verkauft. 414 Mal erschien seine Kolumne in Capital – die erste in der März-Ausgabe 1965 unter dem Titel Bekenntnisse eines Spekulanten und die letzte in der Oktober-Ausgabe 1999. Sein größter Wunsch war es, die Kolumne für die Januar-Ausgabe 2000 noch zu schreiben. »Capital hat es mir garantiert, aber wer garantiert für Capital?«, hatte er in seiner gewohnt humorvollen Art gesagt.

Unzählige Vorträge und Fernsehauftritte absolvierte er zwischen 1964 und 1998. Doch egal wo Kostolany auftrat, ob auf dem Wirtschaftsforum in Davos oder bei der Volksbank Jever, ob in der Telebörse oder in der Harald Schmidt Show, er war immer der gewohnt humorvolle, geistreiche und streitbare Kämpfer für einen sauberen Kapitalismus.

Er wurde zum Altmeister der Börse. Wer auf heiße Tipps vom Börsenguru Kostolany wartete, wurde jedoch enttäuscht. »Erwarten Sie keine Tipps«, begann er jeden seiner Vorträge. Tipps gebe es nicht, sie seien stets der Versuch einer Bank oder einer anderen Interessengruppe, irgendeine Aktie beim Publikum abzuladen. Ratschläge gab er in den 35 Jahren seines journalistischen Wirkens hingegen viele. Der berühmteste war wohl, in die Apotheke zu gehen, Schlafmittel zu kaufen, einzunehmen, dann eine Palette internationaler Standardwerte zu kaufen und ein paar Jahre zu schlafen. Wer diesen Rat beherzigte, erlebte die von ihm zuvor prophezeite angenehme Überraschung.

Den weisesten seiner Ratschläge gab er jungen Eltern: »Investieren Sie in die Ausbildung Ihrer Kinder!« Was aus dem Munde eines anderen wie ein pathetischer Allgemeinplatz geklungen hätte, erhielt durch Kostolanys eigene Erfahrung Gewicht. Seine Eltern hatten ihn im Alter von achtzehn Jahren zu einem befreundeten Börsenmakler nach Paris in die Lehre geschickt. Dank dieser Ausbildung konnte ihr jüngster Sohn André ihnen später, nachdem sie durch den Krieg und den Kommunismus alles verloren hatten, einen angenehmen Ruhestand in der Schweiz finanzieren.

»Genießen Sie das Leben«, lautete der Rat, den er seinem Publikum aus dem durch Budapest fahrenden Audi A8 gab. Ein Grundsatz, den er beherzigt und (fast) bis zum Schluss gelebt hat. André Kostolany genoss das Leben in vollen Zügen. Er liebte die klassische Musik. Über 100 Mal sah er Wagners Meistersinger von Nürnberg und den Rosenkavalier von Richard Strauss, den er zu seiner großen Freude noch persönlich kennen lernen durfte. Klassische Musik zu hören, eine gute Zigarre zu rauchen und über die Börse nachzudenken bereitete ihm größtes Vergnügen. Nur die Zigarre ließ er aus gesundheitlichen Gründen später weg.

Kosto, wie wir Freunde ihn nennen, genoss aber nicht nur das angenehme Leben, sondern auch seine »Arbeit«. So wie sein Publikum ihn brauchte, so brauchte er sein Publikum. Es gab ihm die Bestätigung und hielt ihn jung. »Geistige Gymnastik« war seine Antwort auf die immer wieder in Interviews und Diskussionen gestellte Frage nach seiner Vitalität. Doch er wusste, dass mit zunehmendem Alter Musikhören und Nachdenken im Kampf gegen die Senilität nicht mehr ausreichten. Er forderte sich, hielt 1998 noch über dreißig Vorträge, trat in verschiedenen Fernsehsendungen auf und gab diverse Interviews. Zwar wurde die Anreise per Flugzeug, Bahn oder Auto, einschließlich des letzten Fußweges auf die Bühne, immer beschwerlicher, doch die bequemen Sessel, die ihm die Vortragsveranstalter stets zur Verfügung stellten, nahm der »Herr« Kostolany bis zuletzt nicht in Anspruch. Hatte er mit beiden Händen das Rednerpult fest im Griff, blühte er auf, und es folgten 60 bis 90 mitreißende, spannende und witzige Minuten. Immer häufiger gab es anschließend Standing Ovations.

André Kostolany ist zur Kultfigur zweier Börsianer-Generationen in Deutschland geworden. Star-Allüren blieben ihm trotzdem fremd. Auf die Autogrammwünsche junger Leute entgegnete er ungläubig: »Ich bin doch kein Rockstar«, bevor er dem Wunsch nachkam und auf Eintrittskarte, Geldschein oder T-Shirt unterschrieb.

War er nicht als Wanderprediger der Börse, wie er sich selbst nannte, unterwegs, lebte er in Paris bei seiner Frau oder in seiner zweiten Heimat München. Dort angekommen, führte ihn sein Weg mittags ins Café in der Hypo-Passage. Abends ging es zu seinem Stammitaliener Roma auf der Maximilianstraße oder in den Austernkeller. Die seiner Ansicht nach beste Küche aber fand er – wie sollte es anders sein – in Paris. Mittags bei Chez André auf der Rue Marbœuf. In diesem Bistro gebe es die besten Austern der Stadt, sagte er. Als Dessert die Tarte au chocolat oder Millefeuille. Anschließend führte ihn sein Weg in das berühmte Café Fouquet’s auf den Champs-Elysées, wo er abgesehen von den Kriegsjahren seit 1924 Stammgast war. Nachmittags hielt er regelmäßig Siesta, bevor es am Abend in eine der berühmten Brasserien der Stadt ging. Besonders liebte er das La Coupole im Stadtteil Montparnasse, dessen berühmte heiße Tage er in den dreißiger Jahren noch miterlebt hatte.

André Kostolany hat sich seit 1917 ununterbrochen mit Geld und Börse beschäftigt und war dennoch kein Materialist. Nicht das Geld, das er bei Spekulationen einstrich, sondern mit seiner Überlegung Recht bekommen zu haben bereitete ihm Vergnügen. Er bezeichnete sich selbstbewusst als Spekulant. Für ihn war Spekulation eine intellektuelle Herausforderung. Er hatte zu Geld einen gesunden Abstand, seiner Ansicht nach die Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Spekulanten. Kosto war weder geizig noch schmiss oder protzte er mit dem Geld herum. Geld war für ihn Mittel zum Zweck. Es bot ihm Hilfe in jener Notsituation, als er vor den Nazis aus Paris flüchten musste, die beste medizinische Versorgung, was er besonders in seinen letzten Monaten zu schätzen wusste, und die Möglichkeit, ein angenehmes Leben zu führen. Reizte den Musiknarren Kostolany eine Oper oder ein Konzert besonders, flog er auch für nur einen Abend nach Mailand in die Scala. Konnte man ohne große Mühe etwas sparen, war er auch dabei. So tauschte er regelmäßig die First-Class-Tickets, die ihm manche Vortragsveranstalter schickten (als es die First-Class noch auf allen Flügen gab), in zwei Economy-Tickets um und zweigte so einen Privatflug ab. Er sei so schlank, dass er die breiten Sitze ohnehin nicht ausfüllen könne, pflegte er dann zu sagen.

Vor allem aber genoss der Weltbürger Kostolany die finanzielle Unabhängigkeit, die ihm das Geld gab. Sie war für ihn nach der Gesundheit das wichtigste Gut und der größte Luxus: die Unabhängigkeit, (fast) alles tun und alles sagen zu können, was man will, und nichts tun und sagen zu müssen, was man nicht will. Vor allem der Kolumnist Kostolany liebte seine Unabhängigkeit – im Kampf gegen die Schwindelfonds der IOS in den 70er-Jahren, gegen die Goldlobby in den 80er-Jahren und die Bundesbank und den Neuen Markt in den 90er-Jahren. Welchen Kampf auch immer er führte, er war stets »Überzeugungstäter«. Die von manchen seiner Kritiker geäußerte Vermutung, er baue sich Feindbilder auf, um seine Popularität zu erhöhen, war abwegig. Wer ihn wie ich persönlich gut kannte, weiß, dass er auch im Dialog mit gleicher Vehemenz für seine Überzeugung stritt wie in seinen Kolumnen und Vorträgen. Auf die Frage einer Journalistin, ob er noch einmal zwanzig Jahre alt sein wolle, entgegnete er: »Zwanzig? Machen Sie Witze? Achtzig Jahre möchte ich sein, dann hätte ich noch zehn Jahre, um gegen die Bundesbank zu kämpfen.«

Lange vor Oskar Lafontaine bekannte Kostolany: »Mein Herz schlägt links«, aber der Satz ging bei ihm weiter: »… doch mein Kopf ist rechts und meine Brieftasche schon längst in Amerika«. Seine jahrzehntelange Börsenerfahrung hatte ihn gelehrt, dass in der Wirtschaft Praxis und Theorie weit auseinander liegen.

Die Kunst über Geld nachzudenken ist das letzte Vermächtnis André Kostolanys. Vom Beginn des Jahres 1999 bis zu seinem Tod bildete die Arbeit an diesem Buch das Zentrum seines Schaffens. An seine Pariser Wohnung gefesselt, konzentrierte er alle Kräfte auf dieses Projekt. Nur das Vorwort, das jeder Autor kurioserweise zum Schluss schreibt, blieb er dem Leser schuldig.

Besonders die neue, durch den Börsengang der Deutschen Telekom geschaffene Börsianer-Generation lag ihm am Herzen. Ausdrücklich begrüßte er die zunehmende Akzeptanz der Aktienanlage in Deutschland, doch besorgte ihn zugleich die sich ausbreitende Spielwut. Mit dem vorliegenden Buch wollte Kostolany für sein Verständnis von Anlage und Spekulation werben, das sich für ihn nicht in Daytrading, Echtzeit, Realtime oder Stop-loss erschöpfte.

In der Einführung seines Buches Bilanz der Zukunft gestand er, dass er seit einigen Jahren nicht mehr zur Börse gehe, weil er Angst habe, der Allmächtige könne ihn dort entdecken und denken: »Was, der alte Kosto ist immer noch da? Er soll heraufkommen, ich kann ihn hier auch gut brauchen. Seine alten Kollegen warten schon auf ihn und sein Platz am Stammtisch ist noch frei.« Wenn ihn der Herr aber irgendwann zu sich hole, dann würde es ihn mit Glück erfüllen, wenn er seine Freunde, Schüler und Leser sagen höre: »Der Kosto hat doch Recht gehabt!«

Lieber André, ich hoffe, du hast bereits Platz genommen und wirfst dieser Tage einen Blick auf die Börsen. Dann wirst du sehen, dass sie deinem Optimismus, den Schwarzsehern zum Trotz, weiter Recht geben.

Bremen, im Dezember 1999
Stefan Riße

Stefan Riße war ein enger Freund und häufiger Begleiter André Kostolanys. Er ist freier Finanzjournalist und schreibt eine Kolumne für das Printmagazin Die Telebörse.

Die Faszination des Geldes

Geld und Moral

Von Aristoteles über Franz von Assisi (dem Apostel der Armut) und Marx bis Johannes Paul II. haben die Denker eine Frage immer wieder leidenschaftlich erörtert: Ist der Drang nach Geld moralisch vertretbar und gerechtfertigt? Einig wurden sie sich freilich nie, doch waren alle gleichermaßen vom Geld und seiner Wirkung fasziniert. Die einen fühlten sich abgestoßen, die anderen angezogen. Sophokles sieht im Geld die Verkörperung des Bösen, während Emile Zola in seinem von mir so geliebten Roman Das Geld die Frage stellt: »Warum sollte das Geld an allen Unsauberkeiten, die es verursacht, schuld sein?« Ein objektives Urteil ist und bleibt unmöglich. Es hängt von der philosophischen Einstellung und auch der materiellen Situation jedes Einzelnen ab. Denn die Motivation, den Drang nach Geld für unmoralisch zu erklären, erwächst bei vielen aus Neid und nicht aus dem Wunsch nach Gerechtigkeit.

Doch unabhängig von der Beantwortung der Frage ist eines wohl unbestritten: Der Drang nach Geld ist die Triebfeder des wirtschaftlichen Fortschritts. Die Chance, Geld zu verdienen, setzt die Kreativität, den Fleiß und die Risikobereitschaft jedes Einzelnen frei. Der Philosoph mag fragen, ob uns das Geld oder das, was wir damit erwerben können, denn wirklich glücklicher macht. Sind wir aufgrund von Computern, Fernsehern, Autos etc. glücklicher als die Menschen vor 500 Jahren, die all dies nicht hatten? Vielleicht nicht, weil man nicht vermissen kann, was man nicht kennt. Eines aber ist sicher: Ohne den wirtschaftlichen Fortschritt, der auch verantwortlich für den Fortschritt in der Medizin ist, säße ich heute nicht hier und würde mit 93 Jahren nicht an meinem dreizehnten Buch schreiben, ein Umstand, der mich außerordentlich glücklich macht.

Ich will nicht behaupten, das kapitalistische Wirtschaftssystem, das auf dem Drang nach Geld aufgebaut ist, sei gerecht. Nein, es ist ein Betrug, aber geben wir zu – ein verdammt guter Betrug. Der Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus ist einfach erklärt: ein großer Kuchen, der ungerecht, oder ein kleiner Kuchen, der gerecht geteilt wird; mit dem Ergebnis, dass die gerechten Stücke des kleinen Kuchens viel winziger sind als die kleinsten Stücke des großen Kuchens. Jeder kann für sich entscheiden, welches System besser ist. Die Welt hat sich bis auf weiteres für den großen Kuchen entschieden. Wahrscheinlich, weil das kapitalistische Wirtschaftssystem dem menschlichen Naturell viel näher ist. Denn auch der Sozialismus hat den Drang nach Geld nicht beseitigen können. Ich erinnere mich noch, als ich 1946 nach dem Krieg nach Budapest fuhr. In Amerika herrschte ein aufgeheizter übersteigerter Kapitalismus. Auf Partys ging es nur um ein Thema: Geld. Nicht was jemand war, sondern nur, was man verdiente und besaß, war von Bedeutung. Und dann erlebte ich den krassen Gegensatz in Budapest. Dort sprach man nur über das, was die Leute machten und mit welchem Erfolg sie es taten. Der eine komponierte erfolgreich, der andere hatte einen Bestseller geschrieben. Der Nächste war ein anerkannter Wissenschaftler etc. Dieses Klima gefiel mir deutlich besser, doch ein Freund klärte mich auf: »Niemand spricht über Geld, doch alle denken daran.« Da aber wenig Hoffnung bestand, in den begehrten Besitz zu kommen, sprach man lieber nicht darüber.

Geld – der Wertmaßstab der freien Welt

Es besteht natürlich ein Unterschied zwischen dem Drang, Geld zu besitzen, und dem, Geld zu verdienen. Der Besitz von Geld bereitet die verschiedensten Freuden. Es gibt die, die bereits das Geld an sich glücklich macht. Ich kannte einen Mann, dessen Lieblingszeitvertreib es war, auf seinen Bankauszügen die Zahlen zu addieren. Dann gibt es auch diejenigen, die zwar viel Schönes und Teures erwerben könnten, es aber nicht tun, weil ihnen der Gedanke genügt, es tun zu können. Sie spüren die Radioaktivität des Geldes –– und das macht sie schon glücklich. Ich hatte einen Freund, der, wenn er das Wort Geld aussprach, seine Brieftasche durch den Stoff des Jacketts streichelte, mit dem Gefühl, dass alle Genüsse des Lebens im Scheckbuch kondensiert seien. Ein anderer erzählte mir, dass er jedesmal, wenn er Kasse machte und sie sehr positiv war, seine Libido spürte.

Glücklicherweise gibt es aber auch Leute, die nicht nur schätzen, dass sie mit ihrem Geld etwas kaufen können, sondern es auch tun. Sie wollen das Leben genießen. Sie begnügen sich nicht mit dem Studium einer Speisekarte, sondern wollen essen. Gäbe es diese Spezies nicht, müsste man sie erfinden, denn sonst würden wir in einer permanenten Deflation leben. Einer ihrer Vertreter war der Poet Josef Kiss, ein wahrer Intellektueller und für mich der ungarische Heinrich Heine. Folgende Anekdote wurde über ihn erzählt:

Auf dem Weg in die Bank, wo Kiss üblicherweise seine Unterstützung erhielt, sah er im Schaufenster eines luxuriösen Lebensmittelgeschäfts eine wunderbare Ananas.

»Was kostet sie«, fragt er zögernd.

»Hundert Forint, Herr Poet.«

Das kann ich mir nicht leisten, denkt Kiss und geht in die Bank.

Auf dem Rückweg kommt er wieder an dem Geschäft vorbei und dieses Mal erliegt er der Verlockung und kauft die Ananas. Auch der Geheimrat Leo Lanczy, Generaldirektor des Bankhauses, hatte am Vormittag die Ananas im Schau fenster gesehen. Nachmittags geht er hin und möchte sie kaufen.

»Wir haben sie nicht mehr, der Herr Kiss war da und hat sie gekauft.«

»Ach so«, meint der Generaldirektor und geht davon.

Bei der nächsten Gelegenheit, als Kiss wieder einmal in der Bank seine Unterstützung abholt, kommt der Geheimrat und mosert ihn an: »Sagen Sie, Herr Poet, Sie schnorren bei uns hundert Forint und dann gehen Sie hin und kaufen sich gleich eine Ananas dafür?«

»Aber Herr Generaldirektor«, antwortet Kiss, »habe ich keine hundert Forint, kann ich keine Ananas kaufen. Habe ich hundert Forint, darf ich keine Ananas kaufen. Wann soll ich mir denn dann eine Ananas kaufen?«

Diese Frage stelle ich auch den deutschen Politikern, die den Amerikaner vorwerfen, Champagner statt Coca-Cola zu trinken.

Für viele bedeutet Geld auch Macht und Statussymbol: Es bringt ihnen Freunde, Heuchler, Neider, Komplimente und zieht Schmarotzer an. Sie sind vom Geld fasziniert, weil sie wissen, dass es viele andere fasziniert. Geld kann aber auch eine Entschädigung für Miseren sein, zum Beispiel physische Behinderung, Hässlichkeit und so weiter. Oder es tröstet einen, der gesellschaftliche Ambitionen hat, seiner bescheidenen Herkunft wegen aber daran gehindert ist. Geld kann ihm die Ahnen ersetzen. Elsa Maxwell machte in den heroischen Jahren des amerikanischen Aufschwungs dadurch eine glänzende Karriere, dass sie die neuen amerikanischen Millionäre irischer Abstammung, die von den superfeinen »Mayflower«-Amerikanern nicht akzeptiert wurden, mit verarmten englischen Aristokraten zusammenbrachte. Diese neuen Millionäre fühlten sich plötzlich durch ihren Umgang mit den Earls und Dukes dem steifen amerikanischen Geldadel ebenbürtig und die Millionen der Neureichen faszinierten gleichzeitig den Adel, der kein Geld mehr hatte.

Für andere bedeutet Geld medizinische Versorgung, Gesundheit und ein längeres Leben. Mit fortschreitendem Alter weiß ich diesen Vorteil des Geldes zunehmend zu schätzen. Vor allem aber verschafft Geld Unabhängigkeit, für mich neben der Gesundheit das größte Privileg.

Wer kein Geld besitzt, muss welches verdienen. Die meisten Menschen tun es, um ihr tägliches Auskommen zu haben, andere, um in den Besitz von Geld zu kommen oder diesen zu vergrößern. Schopenhauer sagte: »Geld ist wie Meerwasser, je mehr man davon trinkt, desto durstiger wird man.«

Für viele aber macht nicht der Besitz, sondern das Verdienen des Geldes den eigentlichen Reiz aus. Wenn mir eine Spekulation glückt, dann freue ich mich in erster Linie nicht über das Geld, das ich dabei einstreiche, sondern über die Tatsache, mit meiner Idee gegen die Meinung der anderen Recht bekommen zu haben. Auch der Roulettespieler genießt das Gewinnen. Aber schon sein zweitgrößter Genuss ist das Verlieren, denn sein Vergnügen ist der Nervenkitzel, nicht das Geld.

Für Intellektuelle und Künstler bedeutet Geldverdienen neben den praktischen Vorteilen die Anerkennung ihrer Leistung. Es gibt Maler, Schriftsteller und Musiker, die reich zur Welt kamen. Dennoch werden sie versuchen, für ihre Bilder, Bücher oder Kompositionen den maximalen Betrag zu erzielen. Auch ich habe diese Erfahrung gemacht. Wenn meine Bücher sich gut verkaufen, freue ich mich weniger über das zehnprozentige Autorenhonorar, sondern über den zehnfachen Preis, den die Leser dafür zu opfern bereit waren.

Einer meiner alten Freunde kaufte über Strohmänner Bilder seiner Frau, damit sie als Malerin die offizielle Anerkennung bekam, die ihr seiner Meinung nach zustand. Und selbst die reichste schöne Frau wird für Modellfotos die höchstmöglichen Honorare fordern, zeigt es doch, wie begehrenswert sie tatsächlich ist. Ich werde nie vergessen, wie die große Max-Reinhardt-Schauspielerin Lili Darvas, ich habe sie persönlich gut gekannt, zu mir sagte: »So, mein lieber André, jetzt werde ich mich aufreizend anziehen und auf dem Boulevard spazieren gehen, um zu sehen, wie viel man mir bietet. Denn umsonst ist jede Frau schön!«

Ich halte es im Gegensatz zu den meisten auch nicht für verwerflich, wenn sich eine Frau in einen Mann wegen seines Geldes verliebt. Das Geld ist Ausdruck seines Erfolges und von diesem ist sie fasziniert.

Wie viel Geld braucht man, um Millionär zu sein?

Eine paradoxe Frage, werden viele meinen. Es hängt davon ab, wie man »Millionär« definiert. »Er ist ein schwerer Millionär«, sagten einst die Wiener, wenn jemand hunderttausend Gulden besaß. Für sie war der Millionär nicht der, der mindestens eine Million besitzt, sondern der reiche Mann, dem Respekt gebührt.

Auch heute bedeutet, in nackten Zahlen gerechnet, ein Millionär in Deutschland etwas vollkommen anderes als ein Millionär in Italien. Während in Italien der einfache Millionär ein armer Mann ist, gilt er in Deutschland als reich. Der amerikanische Millionär ist nochmals fast doppelt so reich wie sein deutscher Kollege, und nach der kompletten Umstellung auf den Euro werden in Europa die meisten Millionäre wieder verschwunden sein. Trotzdem wird man sie auch weiterhin so bezeichnen, weil der Begriff heute genau wie im Wien von damals für den Krösus steht, der sich so ziemlich alles leisten kann.

Nach meiner Definition ist der Millionär derjenige, der dank seines Kapitals von niemandem abhängig ist, um seine Ansprüche zu befriedigen. Er braucht nicht zu arbeiten und sich weder vor dem Chef noch dem Kunden zu beugen. Er genießt den Luxus, gegenüber jedem, der ihm nicht passt, Goethes Götz zitieren zu können. Der Mensch, der so lebt, ist der wahrhaftige Millionär. Der eine braucht dazu 500000, ein anderer fünf Millionen Dollar. Es hängt von den persönlichen Ansprüchen und Verpflichtungen ab. Derjenige, der die Musik zu seiner Leidenschaft gemacht hat, wird weniger Geld benötigen als der Sammler wertvoller Oldtimer. Ist man allein stehend oder hat man eine große Familie zu versorgen? Wie anspruchsvoll ist die Ehefrau? Liebt sie schlichte Kleider oder Pelze und Juwelen? Oder hat sie sich vielleicht in ihr Bankkonto verliebt, dann wird ihr Mann nach meiner Definition nie Millionär sein. Pelze, Autos und Schmuck haben ihre Grenzen und irgendwann tritt eine Sättigung ein. Nicht aber beim Konto, es ist eine Art Fass der Danaiden.

Das richtige Verhältnis zum Geld

Geld geht zu dem, der es leidenschaftlich begehrt. Er muss vom Geld hypnotisiert sein wie die Schlange von ihrem Beschwörer. Doch er muss auch einen gewissen Abstand haben. In einem Satz: Man muss das Geld heiß lieben und kalt behandeln. Und man darf dem Geld nicht nachlaufen, sondern muss ihm entgegengehen, wie Onassis es sagte. Das gilt besonders an der Börse, wo man den steigenden Kursen nicht hinterherlaufen darf, sondern den fallenden Kursen entgegengehen muss.

Die Leidenschaft zum Geld kann aber auch zu krankhaftem Geiz oder zu krankhafter Verschwendungssucht führen. Der eine ist süchtig, immer mehr Geld auszugeben, und der andere ist süchtig, immer mehr zu besitzen. Besonders der Geiz treibt manchmal verrückte Blüten. Der mehrfache Milliardär Paul Getty, damals der reichste Mann Amerikas, war dafür bekannt, seine Gäste zum Telefonieren in die Telefonzelle zu schicken.

An meinem Cafehaustisch ging einmal die Debatte, wer wohl der geizigste Mann in ganz Budapest sei. Baron Herzog, der König der Tabakhändler auf dem Balkan, oder Luwig Ernst, Kunstsammler und Museumsbesitzer, beide natürlich steinreiche, mehrfache Millionäre. Es wurden sogar Wetten abgeschlossen und irgendwie warteten wir alle auf eine günstige Gelegenheit, um diese Frage ein für alle Mal endgültig zu klären. Dann kam die Gelegenheit: die Sammlung für das Rote Kreuz. Einer der Sammler begegnete zufällig beiden zusammen. Er reichte zuerst Baron Herzog die Büchse, der umständlich aus seiner Geldbörse die kleinste existierende Münze hervorkramte und sie mit lässiger Bewegung in den Behälter warf. Dann kam der große Augenblick der Entscheidung: Wie viel mehr oder weniger würde Ludwig Ernst geben? Er überlegte nur eine halbe Sekunde und sagte dann wie selbstverständlich: »Wir sind zusammen. Es war für uns beide!«

Noch zynischer war ein reicher Börsenmakler namens Marcel Fischer, der Vater eines meiner Schulkollegen. Eines Tages hört er in seinem kleinen Büro, wie sein Prokurist aufgeregt herumschreit:

»Nein, nein, wir haben kein Geld, wir haben kein Geld. Machen Sie, dass Sie fortkommen.«

Fischer stürzt aus seinem Büro und fragt: »Was schreien Sie denn so, Herr Prokurist?«

»Der Schnorrer Grün war da und wollte uns um eine Spende angehen.«

»Und was haben Sie mit ihm gemacht?« »Hinausgeworfen und gesagt, dass wir kein Geld haben.«

»Dann laufen Sie ihm schnell nach und bringen Sie ihn wieder her«, sagte Millionär Fischer.

Grün, der noch im Treppenhaus ist, als der Prokurist ihn zurückruft, ist sehr erfreut, dass der Chef ihn sehen will. Vielleicht fällt ja doch noch etwas ab.

Grün kommt ins Büro, Fischer öffnet den Geldschrank und sagt: »Sehen Sie die voll gestopften Schubladen, Herr Grün? Was hat mein Prokurist gesagt? Wir hätten kein Geld? Ganz falsch. Wir haben Geld, sehr viel sogar, aber ich gebe Ihnen nichts!«

Schön ist auch die Geschichte von Herrn Blau, der seinen Freunden im Kaffeehaus vorstöhnt: »Meine Frau will immer wieder Geld von mir.«

Um dem Gejammer ein Ende zu bereiten, fragt einer seiner Kumpel: »Was macht sie denn mit dem vielen Geld?«

»Ich weiß nicht«, meint Blau, »ich gebe ihr ja keins.«

Die Figuren in diesen Geschichten waren der Zahl nach zwar alle Millionäre, doch bin ich der festen Überzeugung, dass man durch übersteigerten Geiz nicht zum Millionär werden kann, weder materiell noch intellektuell. Wer zu sehr an seinem Geld klebt, kann es nicht investieren, weil er jedes Risiko scheut, es zu verlieren. Das ist doch das Problem der Deutschen, die ihre heilige Mark anbeten und deshalb Milliarden auf dem Sparbuch liegen haben. Und die Bundesbank hat mit ihrer viel zu geizigen Geldpolitik ein zweites deutsches Wirtschaftswunder bisher verhindert.

Millionär zu sein bedeutet unabhängig zu sein. Der totale Geizhals wird jedoch nie unabhängig sein, weil er unter dem Diktat seiner Sparsucht steht. Er kann sich das teure Auto weder kaufen noch sich daran erfreuen, es jederzeit kaufen zu können. Allein der Gedanke, Geld auszugeben, ist für ihn bereits verboten.

Und der Verschwendungssüchtige? Er lebt das Leben in vollen Zügen, kauft und konsumiert alles, was er will, doch auch er ist nicht unabhängig. Weil er sämtliches Geld ausgibt, ist er ständig gezwungen, neues zu beschaffen. So ist er abhängig von seinem Chef oder den Kunden, die seine Geldquelle sind.

Die richtige Einstellung zum Geld liegt irgendwo zwischen den beiden Extremen. Doch sie allein macht noch keinen Millionär.

Millionär in kurzer Zeit

Nach meiner Erfahrung gibt es drei Möglichkeiten, schnell reich zu werden:

1. durch eine reiche Heirat;

2. durch eine glückliche Geschäftsidee;

3. durch Spekulation.

Natürlich kann man auch durch eine Erbschaft oder einen Lottogewinn schnell zum Millionär werden, doch lässt sich dies im Gegensatz zu den vorher genannten drei Methoden nicht steuern.

Unzählige Frauen und auch unzählige Männer wurden durch ihre Eheschließung zu Millionären, ich könnte Hunderte von Beispielen aufzählen.

Mit dem Reichtum durch eine glückliche Geschäftsidee wird gegenwärtig wohl kein Name mehr assoziiert als der von Bill Gates. Mit einer Idee und dem richtigen Gespür hat er es geschafft, in drei Jahrzehnten zum reichsten Mann Amerikas zu werden. Oder denken wir an Sam Walton von Wal Mart oder den Gründer von McDonald’s. Mein Landsmann, der geniale Ingenieur Ernö Rubik, wurde mit der Erfindung des Zauberwürfels vor rund zwanzig Jahren zum ersten Millionär des Ostblocks. Die Idee allein reicht jedoch nicht aus, der Erfindergeist muss auch mit dem nötigen Geschäftssinn verquickt sein. Der Apotheker, der die Rezeptur für Coca-Cola entwickelte, erlöste beispielsweise nur ein paar Dollar für die Grundlage der heute weltweit bekanntesten Marke.

Viel mehr kann ich über den Reichtum durch eine kluge Geschäftsidee aber kaum sagen, denn mein Feld war immer die dritte und letzte Möglichkeit, Millionär in kurzer Zeit zu werden – die Spekulation.

Eine Kunst, und keine Wissenschaft

Ich spekulierte schon in allen Werten, Währungen und Rohstoffen, Kassa und Termin, an der Wall Street, in Paris, Frankfurt, Zürich, Tokio, London, Buenos Aires, Johannesburg oder Schanghai. Ich spekulierte in Aktien, Staatsanleihen, inklusive denen der kommunistischen Länder, in Wandelanleihen, Währungen – egal ob sie stabil waren oder floateten –, in dem Leder meiner Schuhsohlen, in Sojabohnen und allen Getreidesorten, in Wolle und Baumwolle, in dem Gummi meiner Autoreifen, in Eiern und Frühstücksspeck, in Kaffee und Kakao, den ich so sehr liebe, in Whisky, in der Seide meiner Fliege, in allen Metallen, ob sie nun edel oder unedel waren.

Doch ich war kein Preistreiber, da ich nicht nur darauf spekuliert habe, dass die Preise steigen, sondern ebenso darauf, dass sie fallen. Kurz gesagt, ich spekulierte in allem, je nachdem, wie sich der Wind drehte oder die Wirtschaft und die politische Lage es verlangten, in Hochkonjunktur und Depression, Inflation und Deflation, Auf- und Abwertungen, und ich habe sie alle überlebt. Seit 1924 gab es keine Nacht, in der ich nicht ein Börsenengagement gehabt hätte.

Spekulant, das bin und bleibe ich

Viele Journalisten nennen mich einen Börsenguru, doch dieses Prädikat habe ich nie akzeptiert. Ein Guru ist unfehlbar und das bin ich bestimmt nicht. Ich bin nur ein sehr alter, erfahrener Börsenprofi. Was morgen sein wird, weiß auch ich nicht, doch ich weiß, was gestern war und heute ist. Und das ist schon eine ganze Menge, denn viele meiner Kollegen wissen doch nicht einmal das. Und meine achtzigjährige Börsenerfahrung hat mich vor allem eines gelehrt: Spekulation ist eine Kunst und keine Wissenschaft. Genau wie in der Malerei muss man auch an der Börse für Surrealismus Verständnis haben. Manchmal stehen die Beine oben und der Kopf unten. Und wie bei den Impressionisten sind die Konturen nie ganz klar zu erkennen. Wie der berühmte amerikanische Finanzier, Staatsmann und persönliche Finanzberater von vier amerikanischen Präsidenten, Bernard Baruch, bezeichne ich mich selbstbewusst als »Spekulant«. Ich verstehe die Bezeichnung im noblen Sinne des Wortes. Für mich ist der Spekulant der intellektuelle, mit Überlegung handelnde Börsianer, der die Entwicklung der Wirtschaft, der Politik und der Gesellschaft richtig prognostiziert und davon zu profitieren versucht.

Und wie wird man zum Spekulanten? Etwa so wie ein Mädchen zum ältesten Beruf der Welt kommt. Sie beginnt aus Neugier, dann macht sie es zum Spaß und am Schluss nur noch fürs Geld. Spekulant zu sein ist ein herrlicher Beruf, vor allem, wenn man sich wie ich noch immer in der zweiten Phase befindet. Zugegeben, er gehört ganz sicher nicht zu den bürgerlichen Berufen und schon gar nicht verspricht er sicheren Erfolg, doch er bedeutet jeden Tag aufs Neue eine intellektuelle Herausforderung und ständige geistige Gymnastik, die ich in meinem Alter umso mehr brauche.

Leider gibt es von dieser Spezies immer weniger Exemplare. Die meisten Börsenteilnehmer zocken wild und ohne jede Überlegung hin und her. Sie haben aus vielen Börsen längst ein Spielkasino gemacht. In einem meiner vorherigen Bücher bekannte ich:

Finanzminister sein: kann ich nicht.

Bankier sein: will ich nicht.

Spekulant und Börsianer, das bin ich!

Am Posten des amerikanischen Finanzministers war ich jedoch näher dran, als ich damals dachte. Anfang der Vierzigerjahre lebte ich in New York. Ich war als wohlhabender junger Börsianer vor den deutschen Truppen aus Paris geflohen. Doch nachdem ich mir das Land angesehen hatte, langweilte ich mich. Immer nur lesen, Musik hören und ins Theater zu gehen füllte mich nicht aus. So beschloss ich, eine Arbeitsstelle zu suchen. Auch ohne Gehalt, da ich gut von den Zinsen meines Kapitals leben konnte.

Ich hielt es für die beste Idee, in die Firma Goldmann, Sachs & Co. hineinzukommen. Sie ist heute 130 Jahre alt und die reichste Firma an der Wall Street. Sehr freundlich empfing mich damals Walter Sachs, ein entzückender älterer Herr. Er machte mich gleich mit dem Personalchef bekannt. Ich trug beiden mein Anliegen vor. Ich sei aus Europa vor Hitler geflohen, ausgestattet mit relativ viel Kapital, besonders für einen jungen Mann. Ich bräuchte keine materielle Hilfe, wollte aber gern bei einer so vornehmen Firma wie Goldmann, Sachs & Co. mit dem internationalen Finanzmarkt in Verbindung treten. Mit dieser Bemerkung besiegelte ich mein Schicksal. Einige Tage später traf die Antwort ein: NEIN! Sie könnten mit jungen Leuten, die selbst schon viel Geld besäßen, nichts anfangen. Nur solche jungen Menschen würden eingestellt, die um jeden Preis hochkommen wollten. Wäre ich ein armer, hilfloser Flüchtling gewesen, hätten sie mich wahrscheinlich genommen. So nahmen sie einige Zeit später einen anderen jungen Mann, der später bei Goldmann, Sachs & Co. Partner wurde. Sein Name war Robert Rubin und heute ist er erfolgreicher Finanzminister der USA, der erste seit Jahrzehnten, der Budgetüberschüsse verteilen darf.

Die Geschichte erinnert mich an den reichen Grün. Als armer Mann bewarb er sich auf eine Anzeige hin um eine Stellung als Tempeldiener in Wien. Doch musste auch ein Tempeldiener zu jener Zeit schreiben und lesen können. Da Grün jedoch Analphabet war, bekam er den Posten nicht. In seinem Kummer benutzte er das kleine Trostgeld, das er für seine Reise bekommen hatte, um nach Amerika auszuwandern. In Chicago machte er Geschäfte. Mit den ersten kleinen Ersparnissen schuf er dann ein Unternehmen, das mit der Zeit immer größer und größer wurde. Ein Großkonzern kaufte ihm sein Unternehmen ab und bei der Vertragsunterschrift kam die große Überraschung: Grün konnte nicht unterschreiben. »Mein Gott«, sagte der Anwalt des Käufers, »was wäre aus Ihnen geworden, wenn Sie lesen und schreiben könnten?«

»Sehr einfach«, antwortete Grün, »ein Tempeldiener!«

Ich konnte lesen und schreiben und blieb dennoch ein Spekulant. Doch bereut habe ich es nie.

Mein Börsenzoo

Spekulation – so alt wie die Menschheit!

Spekulation gab es schon lange bevor es die Börse gab. Die von manchen Sozialisten gehegte These, erst das kapitalistische Wirtschaftssystem habe den Menschen zum Spekulanten gemacht, ist vollkommen falsch. Sie wird bereits in der Bibel widerlegt.

Die erste geschichtlich übermittelte Spekulation war die von Joseph von Ägypten, der sich halsbrecherischen Spekulationen hingab.

Der ebenso begabte wie einsichtige Finanzberater des Pharao zog aus dessen Traum von den sieben fetten und sieben mageren Jahren die richtigen Konsequenzen. Während der fetten Jahre speicherte er große Getreidevorräte, um sie dann während der folgenden mageren Jahre zu hohen Preisen wieder auf den Markt zu bringen. Allerdings weiß man bis heute nicht, ob er schon vor viertausend Jahren der Vater der Planwirtschaft wurde, der Überschüsse einlagerte, um das spätere Erntedefizit zu decken, oder ob er nur schlicht und einfach – honi soit qui mal y pense – der erste Spekulant der Geschichte war, der Ware aufkaufte, um sie später teuer zu verkaufen.

Im alten Athen spekulierte man mit Münzen. Die Geldleute wurden Trapezoi genannt, das heißt Trapezkünstler, weil sie hinter einem kleinen trapezförmigen Tischchen saßen und darauf ihre Geldstücke zur Schau stellten. Genau wie heute. Man könnte in diesem Namen auch ein Symbol sehen. Sind nicht die Akrobaten des Geldwesens wahrhafte Trapezkünstler? Die gewagten Geschäfte eines dieser antiken Finanzakrobaten hatten eine Reihe von finanziellen Katastrophen und Preisstürzen ausgelöst. Sein Name, Phormion, ist zwar nicht unsterblich geworden, aber er gab dem größten Redner des Altertums, dem Rechtsanwalt Demosthenes, Anlass zur ersten leidenschaftlichen Verteidigungsrede für die Spekulation – sicherlich ohne die berühmten Kieselsteine im Mund.