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Ich kaufe ein Meerschweinchen

Gestern Abend hat Mama Besuch gehabt. Ihre Freundin Sabine war da. Ich finde es immer schön, wenn Sabine zu uns kommt. Dann hat Mama immer gute Laune.

Einmal zum Beispiel bin ich nach Hause gekommen, und da hatte ich wirklich schlechte Karten, denn ich hatte im Diktat von 40 Wörtern 32 falsch geschrieben, und unsere Lehrerin, die Fuchsi, hatte druntergeschrieben:

»Nini, du musst unbedingt üben! Und deine Schrift kann man kaum lesen.« Da war ich schon ziemlich in Sorge, dass Mama ausrastet und mir vielleicht sogar verbietet, »SpongeBob« zu gucken.

Aber dann war Sabine da und trank mit Mama Kaffee und beide haben gelacht. Da hab ich gesagt: »Mama, ich hab 32 Fehler im Diktat!« Aber Mama hat nur genickt und gesagt: »Ja, ist gut, Ninilein. Nimm dir einen Joghurt und fang schon mal mit der Verbesserung an.«

Gestern Abend jedenfalls war Sabine wieder da, und deswegen hat Mama mir nichts vorgelesen, aber sie hat mir eine heiße Milch mit Honig gemacht, und ich durfte noch eine CD hören. Aber dann hatte ich plötzlich Durst von der Milch und bin noch mal in die Küche gegangen.

Mama und Sabine saßen im Wohnzimmer, und ich hab gehört, wie Mama sagte: »… also, ein Hund? Ich weiß nicht. Wie soll ich mich denn auch noch um den kümmern?«

Und Sabine hat gesagt: »Aber ich hab gelesen, dass Tiere für Scheidungskinder so besonders wichtig sind.« Da hab ich ein bisschen gelauscht, denn sie redeten über mich.

Ich hätte wirklich gerne einen Hund. Ich weiß nicht, ob das so ist, weil Mama von Papa geschieden ist, aber wenn ich einen Hund hätte, könnte ich mit ihm rumspazieren und Stöckchen werfen und er würde immer auf mich hören. Alle Nachbarn von uns haben Hunde, die Lücks, die Brockerhoffs und die Havelkamps, nur wir nicht. Mama sagt, das geht nicht, weil sie manchmal geschäftlich wegmuss. Und dann sagt sie immer, am Ende würde doch alles an ihr hängen bleiben.

»Nein, wirklich Sabine«, hat Mama da schon gesagt, »ein Hund, das geht wirklich nicht. Den kann man nicht allein lassen, und am Ende bleibt wieder alles an mir hängen.«

Dann haben sie über andere Dinge geredet, und ich bin wieder in mein Bett geschlichen, allmählich waren auch meine Füße kalt geworden, weil ich keine Pantoffeln anhatte. Ich hab ein bisschen mit den Zehen gewackelt unter der Bettdecke, damit sie wieder warm werden, und ich hab darüber nachgedacht, dass ich auch mal gerne einen Hund hätte. Oder wenigstens ein Tier, aber eins, das man streicheln kann, nicht so einen blöden Kanarienvogel, der dann nachher doch nicht spricht.

Ich bin schon fast eingeschlafen, da kam mir plötzlich eine tolle Idee. Meine Freundin Louisa hat ein Meerschweinchen. Das ist viel kleiner als ein Hund, aber genauso kuschelig. Man kann ihm einen coolen Namen geben und es macht trotzdem nicht viel Arbeit. Und wenn Mama wegmuss oder wir in die Ferien fahren, könnte ich es zur Not auch mitnehmen oder vielleicht bei Louisa lassen.

Da hab ich beschlossen, am nächsten Tag nach der Schule in der Tierhandlung vorbeizuschauen und nach einem Meerschweinchen zu gucken. Plötzlich bin ich ganz aufgeregt gewesen. Natürlich würde ich erst mal gucken, klar. Aber dann könnte ich ja vielleicht auch gleich ein Meerschweinchen kaufen. Was kostete so ein Tierchen wohl?

Ich bin noch mal aufgestanden, hab die Nachttischlampe angeknipst und bin zu meinem Regal getappt. Dort hab ich hinter ein paar Büchern meine Spardose versteckt. Eigentlich ist es ein leeres Marmeladenglas mit einem karierten Deckel. Meine richtige Spardose ist leider kaputtgegangen, als Louisas kleiner Bruder mal bei mir gespielt hat. Der heißt Jacques und ist ziemlich wild, und er hat immer gerufen: »Oh, eine Spardose, die knacken wir jetzt, die knacken wir jetzt!« Dann hat er meine schöne Pu-der-Bär-Spardose auf den Boden geworfen und dann war sie für immer geknackt. Seitdem hab ich das Marmeladenglas. Leider sind keine Scheine mehr drin gewesen, die hab ich alle neulich ausgegeben, weil ich für meinen Gameboy ein Spiel gekauft hab. Aber dann hat Mama mir den Gameboy weggenommen, weil ich abends heimlich unter der Bettdecke gespielt hab. Es war einfach so superspannend, und ich wollte unbedingt noch herausfinden, hinter welcher Tür mein Pokémon sitzt.

Dann ist Mama reingekommen, und die weiß nicht mal so richtig, was das ist – ein Pokémon. Sie denkt, das sind alles gelbe Monster, die immerzu nur »Kamehameha« schreien.

Mama hat furchtbar geschimpft und gesagt, ich wär ja schon süchtig, und jetzt kommt das Ding erst mal weg, sonst werde ich noch ein Autist.

Ich weiß nicht mal so richtig, was das ist – ein Autist, ich glaube, das ist jemand, der immer Kopfschmerzen hat, aber ich hab mich nicht getraut zu fragen, weil Mama sowieso schon ziemlich sauer war.

Jedenfalls sind die Scheine jetzt weg und mein Gameboy auch. Den krieg ich erst wieder nächstes Wochenende, wenn ich zu Papa gehe. Aber es sind noch ein paar Münzen im Glas gewesen. Ich hab sie gezählt – immerhin sieben Euro. Ich hab sie in meinen kleinen Geldbeutel gesteckt und die Spardose wieder zurückgestellt. Dabei ist dummerweise ein Buch aus dem Regal gerutscht. Es ist ein sehr dickes Buch gewesen und es ist ganz schön laut auf den Boden geknallt.

Unten hat Mama die Wohnzimmertür aufgerissen.

»Nini?! Was machst du da?«

»Nichts, Mama!«, hab ich schnell gerufen. »Ich war nur noch mal auf der Toilette.«

»Nini, du musst jetzt wirklich schlafen!«

»Ja, Mama. Gute Nacht, Mama!«

»Gute Nacht, Nini. Schlaf schön!«

»Ja, Mama. Ich schlafe schon.« Ich bin ins Bett geschlüpft und hab Mäh an mich gedrückt. Mäh ist mein Kuscheltier. Es ist ein kleines, weißes, weiches Schäfchen und ich hab es schon ganz lange.

»Morgen bekommst du vielleicht ein kleines Brüderchen, Mäh«, hab ich geflüstert. »Du darfst deswegen aber nicht eifersüchtig sein, denn ich hab dich wirklich sehr lieb.«

Und dann bin ich endlich eingeschlafen.

Am nächsten Tag bin ich schon ganz früh wach gewesen und hab meine Sachen angezogen, bevor Mama ins Zimmer gekommen ist, um mich zu wecken.

»Nanu, Nini, du bist ja schon auf«, hat Mama erstaunt gerufen und die Gardinen zurückgezogen. »Und sogar angezogen!«

»Ja, Mama«, hab ich gesagt und sie angestrahlt. »Ich wollte dir mal eine Freude machen.«

Mama hat mich angesehen und gelächelt. »So, so«, hat sie gesagt.

Wenn Erwachsene »so, so« sagen, weiß man immer nicht so ganz genau, was sie damit meinen. Es hört sich ein bisschen so an, als würden sie einem nicht glauben, und deswegen hab ich noch gesagt: »Schließlich bin ich ja schon groß.«

Mama hat gelacht und mich kurz an sich gedrückt, und dann hat sie gesagt, das trifft sich gut, dass ich schon groß bin, denn sie hat heute einen Termin und kommt mittags etwas später nach Hause, und ich soll mir den Schlüssel aus dem Geheimversteck holen und schon mal einen Joghurt essen und keinen Quatsch machen, bis sie kommt.

»Ruf mich auf dem Handy an, wenn du da bist, mein Schatz, ja?«, hat Mama gesagt.

Ich hab genickt. »Klar, mach ich. Kein Problem.«

»Und lass keinen rein, hörst du?«

Ich hab den Kopf geschüttelt und »Nein, natürlich nicht« geantwortet.

Mama sagt immer, als sie noch klein war, waren andere Zeiten. Da konnte man seine Haustür praktisch aufstehen lassen und es passierte nichts. Aber heute ist alles anders. Heute gibt es viele böse Menschen, die es auf kleine Kinder abgesehen haben. Die sagen: »Komm, ich kauf dir leckere Schokolade« oder: »Soll ich dir mal ganz kleine süße Kätzchen zeigen?« Und wenn man dann mitgeht, wird man abgemurkst.

Gott sei Dank ist aus unserer Schule noch keiner abgemurkst worden. Seit ich allein zur Schule gehe, musste ich Mama in die Hand versprechen, dass ich nienienie zu jemand ins Auto steige, den ich nicht kenne, auch wenn es noch so regnet. Und ich darf keinem Fremden aufmachen, wenn sie nicht da ist.

Mama versucht immer, zu Hause zu sein, wenn ich von der Schule komme, aber manchmal geht das nicht, weil ihre Arbeit länger dauert, und dann hole ich mir den Schlüssel aus dem Geheimversteck, das nur Mama kennt und ich und ein paar von meinen Schulfreunden, denen ich das Versteck auch schon mal gezeigt hab. Aber das weiß Mama nicht.

Auf jeden Fall war das heute gut mit dem Termin, weil ich so mehr Zeit hatte, um in die Tierhandlung zu gehen.

In der Schule bin ich ganz zappelig gewesen, weil ich immer an das Meerschweinchen denken musste.

»Nini, hör auf herumzuzappeln, sonst musst du nachsitzen«, hat Frau Fuchs gesagt, die wir alle nur »die Fuchsi« nennen. Ich hab mir echt Mühe gegeben, meine Füße ruhig zu halten und nicht auf dem Stuhl herumzuwippen, und ich hab immer wieder auf die große Uhr geguckt, die neben der Tafel hängt.

Als die Schulglocke läutete, hab ich meine Hefte und Stifte schnell in den Ranzen geworfen und bin losgesaust. Ich war ganz außer Atem, als ich zehn Minuten später vor der Tierhandlung angekommen bin. Im Schaufenster sind weiße Mäuse immer im Kreis herumgerannt, und in einem Käfig daneben hockten vier Kaninchen, die sich eng aneinandergekuschelt haben.

Ich hab die Tür aufgemacht. Drinnen roch es gut nach Holz und Tieren und Vogelfutter. »Guten Tag«, hab ich gesagt. »Ich wollte mal nach Meerschweinchen gucken.« Die Verkäuferin mit den kleinen grauen Löckchen hat ganz freundlich ausgesehen, wie Frau Holle. »Meerschweinchen sind da drüben.« Sie hat gelächelt und in den hinteren Teil des Ladens gezeigt. Und dann ist sie mit mir zu einem großen Käfig gegangen, wo eine Menge puscheliger Meerschweinchen ganz vergnügt ihre Salatblätter fraßen.

»Oh, sind die aber süß«, hab ich gerufen. »Darf ich mal eins nehmen?«

»Ja, klar.« Frau Holle hat genickt und den Käfig aufgemacht. Dann hat sie ein braun-weiß geflecktes Meerschweinchen herausgeholt. »Das ist ein Rosettenmeerschweinchen«, hat sie gesagt.

Vorsichtig hab ich das Tierchen auf den Arm genommen. Es hat sich ganz warm und weich angefühlt und an meiner Hand geschnuppert. Ich fand es wunderschön.

»Was kostet denn so ein Meerschweinchen?«, hab ich gefragt.

»Die Rosetten kosten fünfzehn Euro«, hat Frau Holle geantwortet.

»Oh.« Ich hab das Meerscheinchen wieder in seinen Käfig zurückgetan. »So viel Geld hab ich leider nicht.« Ich war ganz unglücklich. »Kann man denn auch ein Meerschweinchen für sieben Euro bekommen? Vielleicht eins ohne Rosetten?«, hab ich gefragt.

»Hmm.« Frau Holle hat ihre Stirn gekräuselt und überlegt. Dann hat sie auf ein kleines braunes Meerschweinchen gezeigt, das ganz allein in der Ecke des Käfigs saß.

»Das da könnte ich dir für sieben Euro geben.«

Ich hab das braune Meerschweinchen lange angesehen. Es hatte ein ganz glattes Fell und von dem einen Ohr war ein Stückchen abgebissen. Es war viel kleiner und dünner als die anderen Meerschweinchen, eher so wie eine große Maus. Ich glaube, es war ein ziemlich unglückliches Meerschweinchen.

»Warum sitzt es da so ganz alleine?«, wollte ich wissen. Frau Holle hat den Kopf geschüttelt und geseufzt. »Es hat sich mit einem anderen Meerschweinchen gestritten – du siehst ja, das eine Ohr ist halb ab.«

Ich hab mich vor den Käfig gekniet und das braune Meerschweinchen gestreichelt. Es hat bestimmt gewusst, dass es hässlicher war als all die anderen süßen Meerschweinchen. Es hat mich aus seinen dunklen, glänzenden Augen traurig angesehen, so als wollte es sagen: »Hol mich hier raus!« Die Augen sind auf jeden Fall sehr schön gewesen, auch wenn es kein Rosettenmeerschweinchen war.

Ich hab es hochgenommen, das arme Ding. »Na, du Kleines«, hab ich leise gesagt. Ich wollte es ja nicht erschrecken. Ich hab gefühlt, wie sein kleines Herz schlug, es hämmerte ganz furchtbar schnell. »Du musst keine Angst haben, ich tu dir nichts«, hab ich geflüstert. »Du kommst jetzt mit mir.«

»Ich nehme das hier«, hab ich zu der Verkäuferin gesagt. »Für sieben Euro.«

Eine halbe Stunde später bin ich zu Hause gewesen. Ich bin hintenrum gegangen, hab den Karton mit dem Meerschweinchen vorsichtig auf unseren Gartentisch gestellt und mir den Schlüssel aus dem Geheimversteck geholt. Mama war noch nicht zurück von ihrem Termin. Na, die würde staunen!

Drinnen hab ich im Wohnzimmer aus Büchern ein kleines Gehege gebaut und das Meerschweinchen ist darin herumgehoppelt. Es hat schon viel fröhlicher ausgesehen als in der Tierhandlung.

Ich bin in die Küche gegangen und hab mir aus dem Kühlschrank einen Joghurt geholt und dann noch eine Möhre für mein Meerschweinchen. Wir haben beide gegessen, und ich hab überlegt, wie ich das Meerschweinchen nennen soll.

Erst hab ich gedacht, dass »Hoppel« ein schöner Name wäre. Aber dann ist mir eingefallen, dass ich mit Mama mal in einem Museum war, da wurden Bilder gezeigt von einem Mann, einem Maler, der hat sehr schöne wilde Sonnenblumen gemalt und einen Sturm und dann auch noch sich selbst, weil er sich aus Wut oder aus Kummer mal ein Ohr abgeschnitten hat, und dann hat er sich vor den Spiegel gesetzt und sich gemalt. Mama und ich haben lange vor dem Bild gestanden, weil ich mir das genau angucken wollte.

»Viele sagen, der Maler war verrückt«, hat Mama gesagt. »Aber ich glaube, er war einfach sehr unglücklich.«

Ich glaube auch, dass der Mann unglücklich war, denn wie kann man sonst auf die Idee kommen, sich sein eigenes Ohr abzuschneiden?

Der Mann war jedenfalls Holländer und er hieß Fanngoch, und ich hab überlegt, dass es doch eine tolle Idee wäre, wenn ich mein Meerschweinchen Fanngoch taufe, weil es auch nur ein Ohr hat und ein halbes.

»Fanngoch!«, hab ich gerufen. »Fanngoch, komm mal her!« Aber Fanngoch hat nur an seiner Möhre geknabbert, wahrscheinlich musste er sich an den neuen Namen erst mal gewöhnen, außerdem kann er ja kein Holländisch.

Da hab ich gehört, wie die Haustür aufging. Es war Mama.

»Hallo, Mama. Ich bin im Wohnzimmer, Mama!«, hab ich gerufen.

»Hallo, Ninilein«, hat Mama fröhlich gesagt, als sie reingekommen ist. Und dann hat sie entsetzt auf mein schönes Büchergehege und auf mein neues Meerschweinchen und auf die vielen Möhrenstückchen gestarrt, die überall auf dem Teppich verstreut lagen.

»Was ist DAS denn?«, hat sie gefragt und ihre Stimme hat gar nicht mehr freundlich geklungen.

»Das ist Fanngoch, mein neues Meerschweinchen«, hab ich gesagt.

»Was soll das heißen, dein neues Meerschweinchen?«, hat Mama gefragt. »Bist du von allen guten Geistern verlassen, Nini? Wo hast du dieses hässliche Vieh denn her?«

»Das hab ich mir heute gekauft. Von meinem eigenen Geld«, hab ich gesagt. »Und es ist gar nicht hässlich, Mama. Es hat nur keine Rosetten.«

Mama hat ungläubig auf uns heruntergeschaut.

»Mein Gott, das sieht ja aus wie eine Ratte! Eine Unverschämtheit, einem Kind so etwas anzudrehen«, hat Mama gesagt. Sie war supersauer.

»Aber Mama«, hab ich gesagt. »Dafür hat es auch nur sieben Euro gekostet, das ist sehr wenig Geld für ein Meerschweinchen.«

Ich hab das Gefühl gehabt, dass ich ihr das erklären musste. Mama weiß sicher eine ganze Menge, aber mit Meerschweinchen kennt sie sich nicht aus. »Außerdem saß es ganz allein in der Ecke, und die anderen Meerschweinchen haben es verstoßen und ihm sogar das Ohr abgebissen.«

Mama hat mir gar nicht mehr zugehört. »Nini, das kommt überhaupt nicht in die Tüte«, hat sie gesagt. »Wir gehen jetzt sofort in die Tierhandlung und bringen diese Ratte zurück. Außerdem hab ich dir nicht erlaubt, ein Tier zu haben. Du kannst doch nicht einfach ein Meerschweinchen kaufen, wie stellst du dir das vor? Es braucht einen Käfig und Futter und für draußen ein Gehege und man muss sich immerzu drum kümmern. Und nach einer Woche hast du keine Lust mehr, und alles bleibt an mir hängen. Nein, nein und nochmals nein!«

Da hab ich angefangen zu heulen. Ich fand es total gemein, dass Mama gesagt hat, Fanngoch wäre eine Ratte. Und ich wollte endlich auch mal ein Tier haben.

»Fanngoch ist keine Ratte!«, hab ich geschrien. »Es ist ein armes kleines Meerschweinchen, das ich gerettet hab. Alle aus meiner Klasse haben ein Tier, nur ich darf kein Tier haben, keinen Hund und keine Katze, kein Pony und nicht mal ein kleines, kleines Meerschweinchen, das nicht mal ein Rosettenmeerschweinchen ist und das ich mir von meinem eigenen Geld gekauft hab!«

»Papperlapapp«, hat Mama gesagt. »Ich lass mich nicht so überfahren. Außerdem stimmt es gar nicht, dass alle Kinder aus deiner Klasse ein Tier haben.«

»Aber Louisa hat auch ein Meerschweinchen«, hab ich geheult. »Und einen Hund. Und sie hat noch einen großen Bruder und einen kleinen Bruder und eine Mama, die immer zu Hause ist und mit ihr Uno spielt oder Federball. Und ich hab gar nichts! Ich wünschte, ich wäre tot!« Mama hat geseufzt. Sie hat mich lange angesehen und dann hat sie gesagt: »Komm, Nini, sei vernünftig. Jetzt pack dieses Tier wieder in den Karton, und dann fahren wir zu der Tierhandlung und überlegen zusammen noch mal in Ruhe, was wir machen.«

Ich hab immer weitergeheult und bin nach draußen gegangen, um den Karton mit den Luftlöchern zu holen. Wenn Mama sagt, dass wir das noch mal zusammen und in Ruhe überlegen wollen, weiß ich schon, dass aus der Sache nichts wird. Da hab ich noch lauter geheult.

»Schätzchen, jetzt beruhige dich doch«, hat Mama gesagt und mich in den Arm genommen. Aber ich hab mich nicht beruhigt. Ich hab »Nein« geschluchzt und wie verrückt den Kopf geschüttelt.

»Hör mal, Nini, wenn es wirklich so wichtig für dich ist, dann kaufen wir dir eben ein Meerschweinchen, aber dann muss es wenigstens auch aussehen wie ein Meerschweinchen.« Mama hat Fanngoch misstrauisch angestarrt. »Dieses Vieh sieht jetzt schon so aus, als ob es die Krätze hätte. Und was ist mit dem Ohr passiert?«

»Aber Mama«, hab ich geschluchzt und mich schon ein bisschen besser gefühlt, »dieser Fanngoch von der Ausstellung hat auch nur ein Ohr gehabt, und da hat es dich nicht gestört.«

Mama hat nichts gesagt, sie hat mir nur über den Rücken gestreichelt, und ich glaube, sie hat nachgedacht. Eine Weile waren wir alle ganz still, nur Fanngoch hat wieder angefangen, an seiner Möhre zu knabbern.

»Schau mal, willst du denn nicht lieber so ein niedliches wuscheliges Rosettenmeerschweinchen, so eins, wie Louisa hat?«, hat Mama schließlich gefragt.

»Nein«, hab ich geschrien. »Ich will Fanngoch! Bitte Mama, bitte!« Ich hab Fanngoch aus seinem Gehege genommen und ihr vor die Nase gehalten, und er ist ganz still in meiner Hand hocken geblieben, als ob er gewusst hätte, dass er sich gut benehmen soll. »Fanngoch möchte so gern hierbleiben, Mama, und er hat bestimmt nicht die Krätze, und auch wenn er nicht so schön ist wie die anderen Meerschweinchen, kann man ihn doch trotzdem lieb haben. Außerdem hat er ganz treue Augen.«

Ich hab Mama angeschaut. »Bitte, Mama!«

Mama hat wieder geseufzt und ganz merkwürdig geguckt, so wie sie manchmal guckt, wenn ich morgens zur Schule gehe und sie mir nachwinkt, und da hab ich schon gewusst, dass wir nicht mehr in die Tierhandlung fahren und dass ich Fanngoch behalten darf.

»Ich kümmere mich auch ganz gut um ihn, du hast damit keine Arbeit«, hab ich gesagt. »Und wenn wir weg sind, kann er bestimmt zu Louisa gehen.«

»Also schön, Nini«, hat Mama gesagt. »Von mir aus darf van Gogh bleiben. Aber nicht, dass du mir jetzt jeden Tag ein bedürftiges Tier anschleppst, ist das klar?«

»Ja, Mama«, hab ich gesagt. Ich war so glücklich, dass ich einen Knödel im Hals hatte. Komisch, ich hätte beinahe fast schon wieder angefangen zu weinen.

Mama hat mich ganz fest an sich gedrückt und gesagt: »Du hast wirklich ein gutes Herz, Ninilein.«

»Du aber auch, Mama«, hab ich gesagt und Fanngoch zugezwinkert. »Du bist überhaupt die beste Mama der Welt. Können wir jetzt in den Garten gehen und ein Gehege für mein Meerschweinchen bauen?«

Die Taufe

Heute Morgen in der Schule hab ich allen von meinem neuen Meerschweinchen erzählt. Louisa hat gesagt: »Cool, dann können wir am Nachmittag ein Meerschweinchentreffen machen und gucken, wie sich unsere Meerschweinchen vertragen.« Aber Nadine, das ist das älteste Mädchen aus unserer Klasse, hat die Nase gerümpft und gesagt:

»Pah, Meerschweinchen! Wie langweilig. Die sind doch strohdumm und wollen den ganzen Tag nur fressen. Ich finde Hunde besser. Oder ein Pony.«

Nadine hat einen Hund und ein Pony. Ihre Eltern haben ein Riesenhaus mit einem noch riesigeren Grundstück, das sogar bis zu einem kleinen Bach geht. Nadine hat erzählt, der Bach gehört auch ihnen. Ein eigener Bach, das muss man sich mal vorstellen! Und so heißen sie auch – von Altbach. Die sind nämlich echt adelig und sehr, sehr reich. Außerdem haben die von Altbachs drei Putzfrauen und ein Hausmädchen von den Westindischen Inseln, und das Hausmädchen wohnt in dem Haus und passt auf alles auf, wenn die Eltern von Nadine mal wegmüssen.

Deswegen kann Nadine auch so viele Tiere haben, wie sie will, und wenn sie von der Schule kommt, reitet sie erst mal eine Runde auf dem Pony durch ihren Garten.

»Mein Meerschweinchen ist überhaupt nicht langweilig«, hab ich zu Nadine gesagt. »Es hat mich heute Morgen schon ganz freundlich begrüßt, als ich ihm Salat gegeben hab.«

»Haha, begrüßt«, hat Nadine gelacht. »Das ist dem Meerschweinchen doch piepegal, wer ihm den Salat gibt. Mein Hund, der begrüßt mich, wenn ich nach Hause komme. Aber ein Meerschweinchen ist viel zu doof, um sich zu merken, dass du es bist.« Sie hat sich an die Stirn getippt. »Zu doof, kapierst du?«

»Nicht so doof wie du«, hab ich geschrien, und da hat Nadine angefangen, ganz laut zu heulen. Sie hat nämlich im letzten Diktat noch zwei Fehler mehr gehabt als ich und hat jetzt eine Nachhilfelehrerin.

Da ist die Tür aufgegangen, und Frau Himmelreich, unsere Religionslehrerin, ist in die Klasse gekommen. »Was ist denn das für ein Geschrei hier?«, hat sie gefragt, und Nadine hat noch lauter geheult und gerufen: »Nini hat gesagt, ich wäre dümmer als ihr Meerschweinchen!«

Nadine ist eine richtige Petze, finde ich. »Und Nadine hat gesagt, Fanngoch ist dümmer als ihr Hund«, hab ich geschrien.

»Wer ist van Gogh?«, hat Frau Himmelreich gefragt und die kleine runde Brille ist ihr ein bisschen von der Nase gerutscht.

»Mein Meerschweinchen«, hab ich gesagt. »Und es ist sehr intelligent.«

»Ist es nicht!«, hat Nadine gerufen.

»Woher willst du das wissen?«, hat Louisa gesagt. »Du hast ja nicht mal ein Meerschweinchen.«

»Wenn ich will, hab ich morgen drei Meerschweinchen«, hat Nadine triumphierend gesagt und sogar vergessen weiterzuheulen.

»Schluss jetzt!«, hat Frau Himmelreich gerufen. Sie hat ganz streng geguckt und gesagt, wir sollen sofort aufhören zu streiten, und sie hat keine Lust, über unsere Intelligenz oder die Intelligenz von Meerschweinchen zu reden, und überhaupt sollen wir uns jetzt alle auf unsere Plätze setzen, weil sie etwas Wichtiges mit uns besprechen will. Da haben wir uns alle schnell hingesetzt und Frau Himmelreich neugierig angeschaut.

»Also, Kinder«, hat Frau Himmelreich gesagt. »Wer von euch geht denn dieses Jahr mit zur Kommunion?«

Alle aus meiner Klasse haben den Finger gehoben – außer den drei Evangelisten, die wir in der Klasse haben. Und natürlich Murakh. Der hat sich auch nicht gemeldet und Samira auch nicht, die beiden kommen nämlich aus Marokko, und da glaubt man an Buddha, hab ich mal gehört.

Ich hab mich natürlich auch gemeldet, ich meine, Kommunion ist eine tolle Sache, da bekommt man ein Prinzessinnenkleid und kriegt den ganzen Tag tolle Geschenke, sogar die Nachbarn müssen einem was schenken. Ich weiß das, weil Daniel, Louisas älterer Bruder, schon zur Kommunion gegangen ist, und da waren all die Nachbarn einen Tag später zum Kaffeetrinken eingeladen, und Mama hat für Daniel ein kleines Fernglas gekauft, das hätte ich selbst sehr gern gehabt.

Frau Himmelreich hat gesagt, die Kommunionkinder müssen nach den Ferien einmal in der Woche zum Kommunionsunterricht, aber dafür bekommen sie am Ende dann auch einen Tag frei, wenn die anderen zur Schule müssen.

Frederik hat »Heyhey!« gerufen und die Hände über dem Kopf zusammengeklatscht, weil er sich so gefreut hat, einen Tag extra frei zu bekommen. Frederik geht nicht sehr gern zur Schule und möchte später mal berufsfrei werden. Das hat er mir jedenfalls erzählt, als ich mal bei ihm eingeladen war. Er hat einen ganz tollen Mikroskopkasten von seinem Papa geschenkt bekommen und wir haben den ganzen Nachmittag damit gespielt und Spinnen und Gräser untersucht. Und dann hab ich gesagt, ich wünsch mir auch so einen Mikroskopkasten, und wenn ich groß bin, werd ich Erfinderin, und dann erfinde ich einen Beamer, mit dem man sich von einem Ort zum anderen beamen kann.

»Erfinder, nö, das ist mir viel zu anstrengend«, hat Frederik da gesagt, »wenn ich groß bin, werd ich berufsfrei, und dann guck ich den ganzen Tag Kinderkanal und esse saure Apfelringe.«

Auf jeden Fall hat er an diesem Morgen immer weiter geklatscht und »Heyhey!« gesungen, und Frau Himmelreich hat gesagt, er soll aufhören zu randalieren, sonst muss er nachsitzen.

Da war Frederik ganz schnell ruhig und ich musste kichern.

»Und außerdem«, hat Frau Himmelreich noch gesagt, und dabei hat sie mich und Nadine und Louisa der Reihe nach bedeutungsvoll angeguckt, »sind Kommunionkinder besonders liebe Kinder, die sich nicht streiten und andere Leute beleidigen.«

Dann war die Stunde um und wir sind auf den Schulhof gerannt. Unsere Schule liegt in einem kleinen Wäldchen, und deswegen ist unser Schulhof nicht aus Beton, sondern aus Erde, und drum herum stehen hohe Bäume. Man muss aufpassen, dass man nicht über Wurzeln stolpert beim Nachlaufen, aber besonders im Winter ist es toll, weil dann der Boden aufweicht und ganz matschig wird, und manchmal hat man richtig tiefe Pfützen, in die man reinspringen kann.

Aber jetzt war es warm, und wir sind zusammengestanden und haben überlegt, was wir uns alles wünschen können. Ich hab gesagt, ich wünsch mir das große Puppenhaus für meine Barbies. Frederik hat gesagt, er wünscht sich nur Gameboy-Spiele. Amelie hat gesagt, sie wünscht sich, dass ihre Mama wieder gesund wird und vielleicht noch eine ganz kleine Halskette. Und da hat Nadine gleich trompetet, sie wünscht sich eine ganz dicke Goldkette und noch ein Kettenkarussell für den Garten.

»Und ich wünsch mir, dass du endlich die Klappe hältst, du alte Angeberin«, hat Louisa gesagt und Amelie untergehakt. »Wünsch dir doch gleich ein ganzes Schloss.«

»Das tu ich vielleicht auch!«, hat Nadine frech zurückgeschrien.