Kirsten John

Ich, Kater Schewi und der jüngste Opa der Welt

Mit Vignetten von Kai Schüttler

Image

 

Image

Kirsten John denkt sich Geschichten aus, seit sie zehn Jahre alt ist.
Eine Zeitlang schrieb sie nach der Schule, dann während des Studiums,
schließlich neben ihrer Arbeit als Redakteurin bei einem Stadtmagazin.
Irgendwann konzentrierte sie sich ganz und gar darauf – und veröffentlicht
seitdem Bücher für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Von ihrem
Schreibtisch aus hat sie einen wunderbaren Blick über Hannover,
die Stadt, in der sie, ihre Familie und ihr Hund leben.

 

 

 

 

 

 

Image

1. Auflage 2015
© Arena Verlag GmbH, Würzburg 2015
Alle Rechte vorbehalten
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur
Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen
Einband- und Innenillustration: Kai Schüttler
ISBN 978-3-401-80498-9

www.arena-verlag.de
Mitreden unter forum.arena-verlag.de

Image

1. Kapitel

Um es gleich vorweg zu sagen: Dass Opa Arnold sich in einen vorlauten kleinen Rotzlöffel zurückverwandelte, war nicht seine Schuld. Na ja, nicht voll und ganz seine Schuld. Sagen wir mal: zur Hälfte.

Zur anderen Hälfte habe ich meinen Teil dazu beigetragen. Leider.

Denn eigentlich hatte Opa Arnold im Altenheim nur seinem alten Kater auf die Beine helfen wollen. Und dann war etwas schiefgegangen. Gründlich schief. Und Opa Arnold wurde … na ja, Arnie eben. Mein übel gelaunter, elfjähriger Exopa, dem es gar nicht passte, die ganze Zeit in Turnschuhen herumzulaufen, der bei High Fives beharrlich die Hand unten ließ und der nicht mal wusste, wo beim Nintendo der An-Knopf war.

Verkehrte Welt nannte er das.

Verkehrte Welt, das musste er mir gerade sagen. Eben noch war er mein Uralt-Mumien-Großvater und dann, puff, mit einem Mal ein Opa in meinem Alter! In meiner Größe! Leider nicht mit meinem Erfahrungsschatz und meiner Intelligenz. Das musste man erst mal verkraften! DAS war ja wohl verkehrte Welt!

Aber zunächst war die Welt noch in Ordnung an diesem Morgen im Mai, als ich nichts ahnend aus dem Bett stieg, gähnte und ins Badezimmer schlurfte. Erst als es verdächtig ruhig im Haus blieb, fiel es mir wieder ein: Heute war ja Sonntag! Keine Teenager-Schwester, die hysterisch an die Badezimmertür bollerte und mir qualvolle, langsame Tode androhte, sollte ich nicht sofort, SOFORT die Tür aufmachen. Kein Hupen von Papa in der Auffahrt, der beinah mein nagelneues S’Cool XX-lite-Bike überfahren hätte und sich darüber aufregte. (Farbe? Lemon und Black natürlich, absolut cool, wie der Name schon sagt.) Und es schrie auch keine Mutter abwechselnd meinen und Pias Namen, um uns zur Eile anzutreiben.

Ich heiße übrigens Paul. Pia, Paul und Pythagoras: Meine Eltern haben bei der Namenswahl für ihre Kinder und ihre Schildkröte ihre Liebe zum Buchstaben P ausgelebt. Ich kann mir richtig vorstellen, wie sie am Esstisch sitzen und sich unsere Namen genießerisch auf der Zunge zergehen lassen: Pia Pasternak. Paul Pasternak. Und, wenn man sie unbedingt dazurechnen will: Pythagoras Pasternak.

Ich glaube nicht, dass Schildkröten sich sonderlich über ihre Namen grämen. Wir schon. Ich meine, WIR grämen uns, Pia und ich. Wir führen einen lebenslangen Kampf, nicht Pepe oder Pipa (sie) oder Papa (ich) genannt zu werden. Oder Popo, was jetzt gar keinen Zusammenhang hat, bei einigen meiner Klassenkameraden jedoch sehr beliebt ist. Hinzu kommt, dass die Pastinake (man beachte das i in der Mitte) anscheinend eine Pflanze ist. Im Kindergarten hat das ja noch keiner geahnt, aber wehe, deine sogenannten Freunde kommen irgendwann dahinter in ihrer unersättlichen Wissbegier, Wurzelgemüse betreffend … Aber lassen wir das.

Ich heiße also Paul Pasternak mit e, bin elf Jahre alt, habe zwei Eltern und eine Schwester und, wie an jedem Sonntag, einen Opa im Altersheim.

Was mein Opa mit meinem Sonntag zu tun hat? Ha, gute Frage. ALLES!

Bis vor Kurzem war es noch völlig egal, ob Sonntag oder irgendein anderer Tag war, ob mein Opa im Altersheim oder auf dem Mond lebte: Ich war frei! In den unbeschwerten, vergangenen Tagen meiner Jugend dümpelte ich verwandtenfrei durch die Tage, ohne Sorgen, ohne Verpflichtungen. Na gut, ich musste abends Pythagoras einfangen, die die Angewohnheit hatte, auf längere Ausflüge zu verschwinden, aber seit wir den Gartenzaun hatten, war das keine allzu schwere Aufgabe mehr. Doch dann, eines Tages (könnt ihr schon die unheilschwangeren Wolken am Horizont sehen? Na? Seht ihr sie schon?), habe ich AUS VERSEHEN, wirklich ganz aus Versehen das Tagebuch meiner Schwester in ihrem Zimmer gefunden und meinem besten Freund Niklas eine nicht ganz jugendfreie Stelle vorgelesen. Daraufhin tat sich ein Spalt der Hölle auf (zumindest klang das Heulen so), Furien fielen über mich her (Pia kann wirklich Furcht einflößend aussehen, wenn sie wütend ist) und der schicksalsschwere Urteilsspruch meiner Eltern kam über mich: acht Wochen lang Opa besuchen, jeden Sonntag.

Dazu muss vielleicht gesagt werden, dass wir Opa normalerweise nur an Feiertagen zu Gesicht bekamen: an Weihnachten, Ostern und an seinem Geburtstag. Und das lag nicht etwa an uns. Opa bevorzugte »seine Unabhängigkeit«, so nannte er das. Was er damit meinte, war, dass wir nicht gerade an der Spitze seiner Hitliste der erwünschten Personen standen. Dort stand nur er allein. Und wenn es hochkam, noch dieser mottenzerfressene weiße Kater, der stundenlang auf einem Sessel lag und sich nicht regte und von dem ich inzwischen glaubte, dass er ausgestopft war.

Ich stellte den Wasserhahn ab und schnitt mir im Spiegel eine Grimasse. Meine Laune war finsterer als finster, fast schon Darth-Vader-verdächtig. Also riss ich mit Schwung die Badezimmertür auf und schrie aus Leibeskräften »Guten Morgen!« auf den Flur hinaus. Ich fand, wenn ich schon zu Opa musste, konnten die anderen Familienmitglieder mir wenigstens moralisch zur Seite stehen. Außerdem brauchte ich Gesellschaft beim Frühstück.

Glaubt bloß nicht, dass Opa sich sonderlich freute, wenn ich Woche für Woche bei ihm auftauchte. Die meiste Zeit über beschwerte er sich, weil ich so früh kam. Klar kam ich früh: Ich wollte danach so schnell wie möglich zum Fußballspiel mit Niklas. Die Sache hinter mich bringen sozusagen. Viermal hatte ich bislang vor verschlossener Tür gestanden und musste mir vom Hausmeister aufschließen lassen. Doch trotzdem, trotz der unchristlichen Uhrzeit (das sagt man so, wenn man mit den Vögeln aufsteht), gelang es mir nie, Opa im Schlafanzug zu sehen. Er war immer schon angezogen, wenn ich kam, selbst das allererste Mal. Und, auch das war typisch Opa, er arbeitete bereits.

Zumindest bezeichnete er das Zusammenmanschen von Flüssigkeiten und Pulvern mit unaussprechlichen Bezeichnungen in seinem Zimmer als Arbeit: Mein Opa war in seinen besseren Jahren Erfinder gewesen.

Ja, ja, schon klar, was ihr jetzt sagt, aber mein Opa hat wirklich schon Sachen erfunden! Und zwar ein Kaugummi, das nicht unter der Schuhsohle kleben bleibt. Kein Witz. Leider schmeckte es so scheußlich, dass niemand es kauen wollte, es wurde also kein Hit.

Okay, anderes Beispiel. Von Opa stammte diese tolle Eierheftuhr, die man mit dem Ei ins Wasser warf und die sich dann an das Ei heftete und anzeigte, wie lange es noch kochen sollte: Das war mal wirklich eine super Erfindung. Außer, wenn man das Ei essen wollte, denn die Eierheftuhr ließ es nach dem Kochen nicht mehr los und gab einen schrillen Alarmton von sich, sobald man sich ihm näherte. Aber der Unterwasserkampf sah klasse aus, ehrlich.

Sein größter Verkaufsschlager jedoch sind die Vitaltropfen für Hamster, die ihnen ein langes Leben bescheren sollen und die man nur ins Futter zu träufeln braucht. Opas eigener Hamster Hermann war damit zehn Jahre alt geworden. Das behauptete zumindest Opa und tatsächlich hatte er ihn uns jedes Weihnachts-, Oster- oder Geburtstagsfest in erstaunlich gutem Zustand präsentiert – obwohl mir schon auffiel, dass Hermann den orangenen Fellfleck mal rechts über dem Auge, mal links und mal auf dem Hintern gehabt hatte. Vielleicht eine Nebenwirkung.

Auf jeden Fall verkaufte sich »Nager-Vital« glänzend und sorgte dafür, dass Opa sich das teuerste und beste Altenheim der Gegend aussuchen konnte, um dort zu leben. Und zwar war das die Seniorenresidenz Seelenfrieden, auch wenn ich nicht glaubte, dass eine Seele dort wirklich Frieden finden konnte. Ich zumindest fand das in schmutzigem Rosa gestrichene Haus mit seinen durchsichtigen, leise aufschwingenden Türen und dunklen Fluren, in denen man sich leicht verirren konnte, eher beunruhigend. Als sei man in eine Art Hightech-Sesam-öffne-dich-Märchenwelt geraten, die von einer uralten Räuberbande bewohnt wurde mit meinem Opa als Hauptmann.

Zu ihm war ich jetzt unterwegs.

Für einen Sonntagmorgen waren recht viele Menschen auf den Beinen. Die meisten standen gähnend mit einem Hund herum und warteten, bis der kleine Fifi sein Geschäft verrichtet hatte, oder sie ließen sich wie die Schlafwandler mit halb geschlossenen Augen hinter ihren Vierbeinern herziehen. Es fuhr kaum ein Auto auf der Straße, dafür sangen die Vögel, was das Zeug hielt. Ich fragte mich wirklich, was die Piepmätze davon halten würden, wenn ich mich mitten in der Nacht ranschleichen und ein Lied in ihr Nest schmettern würde. Ich nahm mir vor, das mal zu versuchen.

In Gedanken war ich gerade dabei, mir ein passendes Lied zu überlegen (»Alle Vöglein sind schon da«? Oder doch besser: »Kommt ein Vogel geflogen«?), als mir Jill auflauerte.

Jill ist ein Mädchen aus meiner Klasse und in mich verliebt. Ich kein bisschen in sie, was die ganze Angelegenheit ja auch so tragisch macht. Und so nervtötend.

Jill sprang von einem Baum direkt vor mir auf den Fußweg, aber mit so etwas hatte ich schon gerechnet. Falls sie glaubte, mich schocken zu können, war sie auf dem Holzweg – nicht nach der Aktion mit der Zombiemaske neulich, als sie stöhnend und mit ausgestreckten Armen hinter mir hergewankt war. Sie versuchte nämlich alles, wirklich alles, damit mein Herz bei ihrem plötzlichen Auftauchen schneller schlug. Ich ignorierte das. So, wie ich sie selbst dann vollständig ignorierte, als sie neben mir herging und mich ansprach.

»Hallo Paul«, sagte sie. »Auf dem Weg zu deinem Opa?«

Ich gab ein unbestimmtes Grunzen von mir.

»Kann ich mitkommen?«

Das Grunzen wurde deutlich ablehnend.

»Cool«, sagte Jill.

»Nein«, sagte ich gezwungenermaßen, da sie Grunzsprache anscheinend nicht verstand, »du kannst nicht mitkommen.«

»Ach so«, erwiderte sie, nicht wirklich überrascht. »Und danach gehst du zum Fußball?« Jill zeigte auf die Trainingstasche über meiner Schulter.

»Sieht so aus.«

»Cool«, wiederholte sie. »Vielleicht komme ich mal vorbei und mache mit.«

Ich sagte nichts, grunzte auch nicht mehr, weil mir dazu ehrlich gesagt nichts einfiel. Niklas, ich und ein paar Kumpel spielten auf dem Platz bei der Schule. Das war öffentliches Gelände, ich konnte ihr also schlecht verbieten, dort vorbeizukommen. Und mitzuspielen auch nicht, denn Jill war echt super im Fußball, und wenn wir sie nicht in unsere Mannschaft wählten, machten es die anderen und das war dann meist unser Ende.

»Das Wetter scheint sich zu halten, obwohl sie für heute ja ein Gewitter vorausgesagt haben«, sagte Jill plötzlich, blieb stehen und starrte in den wolkenlosen Himmel.

Der fehlende Übergang verwirrte mich immerhin so sehr, dass ich ebenfalls stehen blieb. Ich beobachtete Jill, die den Himmel beobachtete. Die blonden langen Haare hingen ihr über den Rücken, sie blinzelte nicht.

»Der Natur würde ein wenig Regen natürlich guttun, auch wenn ich Gewitter nicht leiden kann«, fuhr sie fort, den Kopf immer noch in den Nacken gelegt.

Ich starrte sie an und fragte mich, ob ihr jetzt ernsthaft ein paar lose Murmeln durchs Oberstübchen kullerten, als sie ihren Kopf senkte und mich mit ihren großen blauen Augen ansah. Auf ihren Wangen erschienen zwei Grübchen.

»Ich mache Kon-ver-sa-tion«, sagte sie.

»Aha«, erwiderte ich wenig geistreich.

»Du willst wohl nicht übers Wetter reden?«

Ich schüttelte heftig den Kopf.

»Dann sehen wir uns später.« Sprach sie, und schon war sie weg.

Jill liebte dramatische Auf- und Abgänge. Ich starrte kurz auf die Hecke, in der sie verschwunden war, und fragte mich …

»Au, verdammt«, hörte ich aus dem Grün und es raschelte laut.

Genau. Das hatte ich mich eben gefragt – ob diese Hecke nicht Dornen hatte. Hatte sie wohl. Schon wesentlich besser gelaunt, setzte ich meinen Weg zu Opa fort.

In einem hatte Jill allerdings recht: Das Wetter hielt sich nicht nur, es war auch wunderschön sonnig und schon um diese Uhrzeit warm. Selbst Jill, selbst Opa konnten diesen Tag nicht verderben.

(Habt ihr es gehört? Das war ein Kichern. Immer wenn man so etwas denkt, kichert das Schicksal, weil es herausgefordert wurde …)

Der Hausmeister erwartete mich mit müdem Gesicht und erwiderte wie gewöhnlich nichts auf mein fröhliches »Guten Morgen!«. Er war der Riese in dem Hightech-Sesam-öffne-dich-Märchen, übel gelaunt und noch dazu schlecht gekleidet: Sein T-Shirt saß zu eng und wölbte sich über seinem Bauch.

»Schöner Tag heute, was? Obwohl es ja nachher noch gewittern soll«, machte ich Kon-ver-sa-tion, doch er antwortete nicht. Meiner Meinung nach konnte er nicht sprechen oder er beherrschte unsere Sprache nicht. Er gähnte nur ausgiebig, kratzte sich mit seinen gewaltigen, behaarten Pranken am Bauch und schlurfte wortlos davon.

Dann eben nicht. Ich ging pfeifend durch die Eingangshalle mit den künstlichen Pflanzen und dem Aquarium und folgte dann dem Linoleumgang, der so wunderbar quietschte, wenn man die Turnschuhe drehte. Rechts herum und zweimal links und die Treppen hoch in den dritten Stock. Den Fahrstuhl benutzte ich nicht mehr, seit ich da einmal ein Gebiss drin gefunden hatte. Nicht das ganze, nur die obere Zahnreihe, aber das hatte mir auch gereicht.

Auf Opas Stockwerk empfing mich der vertraute Geruch nach Schokolade und muffigen Socken. Auf der Tafel am Fahrstuhl stand: Heute ist Samstag, was natürlich falsch war, aber es hatte noch niemand geändert. Diese Tafeln gab es auf allen Stockwerken, weil viele der Bewohner keine Ahnung mehr hatten, ob Samstag, Sonntag oder Sankt-Nimmerleins-Tag war.

Ich erbarmte mich, nahm den beiliegenden Stift, strich Samstag durch und schrieb quer darüber: »Stimmt gar nicht!« Zufrieden mit mir selbst ging ich quietschenden Schrittes zu Zimmer dreihundertsieben und klopfte an.

Keine Antwort.

Das war neu.

Ich klopfte noch einmal.

Immer noch nichts.

Besorgt musste ich mich fragen, ob heute tatsächlich Sonntag war. Aber doch, meine Mutter, die mir das Frühstück gemacht hatte, hatte so etwas erwähnt. Sie hatte vor Müdigkeit zwar undeutlich gesprochen, aber so etwas gemurmelt wie: »Dass man nicht einmal am Sonntag ausschlafen kann …«

Ich hämmerte gegen die Tür und dieses Mal erhielt ich auch Antwort. Ein hohes Stimmchen rief erst: »Schon gut, schon gut«, räusperte sich dann und setzte ein tieferes »Herein« hinterher.

Opa hatte Besuch? Von wem? Einem Jungen, so wie es sich anhörte, was eine Frechheit war, denn schließlich war heute MEIN Tag. Man konnte sich nicht einfach so mir nichts, dir nichts einen anderen Besuch kommen lassen, wenn es einem passte!

Wütend drückte ich die Klinke herunter. Ich betrat das Zimmer nicht, ich stürmte es. Und stand im nächsten Moment tatsächlich einem neuen Möchtegern-Enkel gegenüber, ungefähr meine Größe, mein Alter, sogar dieselben grünen Augen wie ich … Das war ja wohl die Höhe!

Ich bin nicht der Mutigste, aber wenn ich sauer bin, richtig sauer, vergesse ich das irgendwie. Also schmiss ich meine Tasche demonstrativ in die Ecke und ging einen drohenden Schritt auf den Jungen zu.

»Wer bist du?«, knurrte ich. »Und wo ist mein Opa?« Ich betonte das »mein«, damit er erst gar nicht auf falsche Gedanken kam. Denn dass mein Opa nicht da war, sah man auf einen Blick: Sein Zimmer war zwar vollgestellt mit allerlei Krimskrams, bestand ja aber nur aus einem einzigen Raum, und der war eindeutig opafrei.

Na gut, es gab noch das Badezimmer. Als der Junge nicht antwortete, beäugte ich kurz die Tür, dann riss ich sie auf. (Ich sagte ja schon, dass ich mutig werde, sobald ich sauer bin.) Kein Opa. In diesem Fall allerdings war ich erleichtert und ließ die Tür wieder zufallen.

»Also?«, wandte ich mich an den unerwarteten Besuch.

Der Junge hatte außer dem anfänglichen »Herein« noch kein Wort gesprochen. Er stand nur da, mitten im Zimmer, mit verschränkten Armen und starrte mich ebenso wütend an wie ich ihn. Außerdem war er merkwürdig: Er trug einen Bademantel, der ihm viel zu groß war und auf dem Boden hing wie ein Umhang, und, war das zu fassen?, Opas ganz spezielle Hausschuhe.

Opas Hausschuhe wiederzuerkennen, war leicht: Sie waren schwarz, uralt und es stand »Der Welt beste« und »Opa« darauf. »Der Welt beste« auf dem linken, »Opa« auf dem rechten Fuß. Pia hatte sie ihm geschenkt und obwohl sie grottenhässlich waren und »Der Welt beste« auch noch falsch geschrieben, waren sie das einzige Geschenk von uns, das er je behalten hatte.

»Das sind Opas Schuhe.« Ich zeigte anklagend auf die Füße des Jungen.

»Du Klugscheißer«, erwiderte der Junge.

»Ich … was?« Ich konnte es nicht fassen.

»Schneist so einfach hier herein, viel zu früh natürlich, wie immer, spielst dich auf und stellst haufenweise Fragen. Dabei bin ich es ja wohl, der hier Fragen hat. Also. Hast du letzten Sonntag mein Experiment angefasst?«

»Welches …«

»Mein Experiment. Es stand dort drüben auf meinem Fensterbrett.« Der Junge zeigte auf ein heilloses Durcheinander an Gläsern, Kolben und Röhrchen auf dem Fensterbrett.

Das gab mir die Gelegenheit, mich wieder zu fassen. »Das ist nicht dein Fensterbrett. Und dein Experiment schon gar nicht. Das gehört Opa und er macht Hackfleisch aus dir, wenn du daran herumfummelst.«

Die Augen des Jungen verengten sich. »Allerdings. Also: Hast du es angefasst?«