ANDREA BRACKMANN

Ganz normal
hochbegabt

Leben als hochbegabter
Erwachsener

Klett-Cotta

Impressum

Klett-Cotta

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© 2013 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

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Cover: Weiß-Freiburg GmbH – Graphik & Buchgestaltung

Titelbild: © plainpicture/Cultura/Ashley Jouhar

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-86119-8

E-Book: ISBN 978-3-608-10379-3

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I. Hochbegabte Erwachsene

1. Einleitung

2. Stand der Dinge

3. Bin ich hochbegabt?

4. »Typisch« hochbegabt

II. Lebensgeschichten Hochbegabter

1. Spät erkannte Hochbegabte

»Beam me up, Scottie …«

»Wie ich meine Hochbegabung 30 Jahre lang verdrängte«

2. Hochbegabte Kinder wecken ihre Eltern

»Mein hochbegabter Sohn und ich«

3. Erfolg und Misserfolg

»Es war immer ganz normal, dass ich ein bisschen anders bin«

»Leben heißt, Probleme zu lösen«

»Ich wollte mich anpassen und Mittelmaß sein«

4. Schwierige Verhältnisse

»Trotz – oder wegen – aller Widersprüche fühle ich mich reich«

»Grenzenlos glücklich …?«

5. Die Kunst der Vielfalt: Lebenskünstler

»Unterwegs«

»Alter schützt vor Begabung nicht oder: Am Ende bleibt die Unsicherheit«

6. Hochbegabung ohne Bildung?

»Eine lange Reise«

»Am liebsten wäre ich unsichtbar gewesen«

III. Leben mit Hochbegabung

1. Intelligenz: eine unwissenschaftliche Definition...

2. Die Angst vor der eigenen Begabung

3. Wie erkenne ich meine Begabungsschwerpunkte?..

4. (Über-)Leben mit Hochbegabung

Literatur- und DVD-Empfehlungen

Kontaktadressen im Internet

Vorwort

Fragt man einen erwachsenen Hochbegabten nach seiner Lebensgeschichte, erhält man typischerweise einen Schwall von Gegenfragen zur Antwort: »Meine Lebensgeschichte?! Meinen Sie, die wäre von Interesse? Auch wenn ich nicht gerade das bin, was man einen Überflieger nennt? Was genau stellen Sie sich vor? Wie soll der Aufbau sein und wie groß der Umfang? Auf welche Schwerpunkte kommt es an? Glauben Sie wirklich, dass meine Geschichte geeignet ist? Bin ich überhaupt ein typischer Vertreter? Soll es chronologisch sein? Was ist, wenn ich jedes Wort auf die Goldwaage lege, mich festbeiße und heillos verstricke? Ich habe außerdem doch gar nicht genug Aufregendes und Interessantes erlebt.«

Neben der Fülle an Rückfragen löste mein Vorschlag, die eigene Lebensgeschichte aufzuschreiben, auch viele widersprüchliche Empfindungen aus: Einerseits fühlten die Betreffenden sich geschmeichelt und zu etwas angeregt, was sie insgeheim schon länger einmal ins Auge gefasst hatten; auch eine gewisse freudige Gier, die gestellte Aufgabe in Angriff zu nehmen und so gut wie möglich zu erfüllen, ließ sich oft nicht verhehlen. Andererseits hatten viele die Befürchtung, die Fülle an Erlebtem nicht sortieren und strukturieren zu können, sich in unwichtigen Details zu verlieren, an ihren hochgesteckten Ansprüchen zu scheitern oder sich am Ende in einem Epos wiederzufinden, dessen Ausmaß den geplanten Umfang um ein Vielfaches überschreitet. Während die Schreibenden über ihren Biografien brüteten, erreichte mich so mancher Hilferuf, weil man den Überblick, die Nerven und die Geduld verloren hatte oder bereits im Begriff war, das ganze Unterfangen aufzugeben. Ich möchte den Schreiberinnen und Schreibern, die bis zum Schluss durchgehalten haben, von ganzem Herzen danken, dass sie sich auf die Mitarbeit an diesem Buch eingelassen und mir ihre sehr persönlichen, ehrlichen Texte zur Verfügung gestellt haben.

Jenes verborgene und herrische Etwas, für das wir lange keinen Namen haben, bis es sich endlich als unsere Aufgabe erweist – dieser Tyrann in uns nimmt eine schreckliche Wiedervergeltung für jeden Versuch, den wir machen, ihm auszuweichen oder zu entschlüpfen, für jede vorzeitige Bescheidung, für jede Gleichsetzung mit solchen, zu denen wir nicht gehören, für jede noch so achtbare Tätigkeit, falls sie uns von unserer Hauptsache ablenkt – ja, für jede Tugend selbst, welche uns gegen die Härte der eigensten Verantwortlichkeit schützen möchte. Krankheit ist jedesmal die Antwort, wenn wir an unserem Recht auf unsere Aufgabe zweifeln wollen, wenn wir anfangen, es uns irgendworin leichter zu machen. Sonderbar und furchtbar zugleich. Unsere Erleichterungen sind es, die wir am härtesten büßen müssen. Und wollen wir hinterdrein zur Gesundheit zurück, so bleibt uns keine Wahl: wir müssen uns schwerer belasten, als wir je vorher belastet waren.

Friedrich Nietzsche

I.   Hochbegabte Erwachsene

1. Einleitung

Die Idee zu diesem Buch entstand auf Anregung vieler erwachsener Hochbegabter, die in der deutschsprachigen Literatur fast nirgends Informationen zu ihrer Thematik finden. Mittlerweile gibt es eine Fülle an Publikationen über hochbegabte Kinder; hochbegabte Erwachsene tauchen hingegen allenfalls als erfolgreiche Überflieger in amerikanischen Studien oder in Biografien über herausragende künstlerische und wissenschaftliche Persönlichkeiten auf. Laut Statistik gelten jedoch ca. zwei bis drei Millionen Menschen in der Bundesrepublik als hochbegabt. Man findet sie in allen gesellschaftlichen Schichten, Berufsgruppen und unterschiedlichsten Lebensumständen.

Mein Anliegen ist es, ganz normalen und ganz außergewöhnlichen hochbegabten Lesern und Leserinnen Gelegenheit zu geben, auf ihrem Weg zur Selbsterkenntnis einen Schritt weiter zu kommen. Sie können sich vielleicht mit einigen der hier beschriebenen Persönlichkeiten identifizieren, erkennen manche Ähnlichkeiten in Lebensverläufen wieder und erhalten Anregungen, ihre möglicherweise verschütteten oder verdrängten Begabungen umzusetzen. Rein wissenschaftliche psychologische Literatur mag theoretisch aufschlussreich sein, hat aber meist den entscheidenden Nachteil, die Neugier nach individuellen Lebensgeschichten und konkreten persönlichen Erfahrungen anderer nicht zu befriedigen. Oft kann man aus lebensnahen Schilderungen leichter Erkenntnisse gewinnen und etwas für sich lernen als aus allgemein formulierten Grundsätzen, statistischen Proportionen und abstrakten Erwägungen. Besonders in kritischen Lebensphasen ist oft nichts so hilfreich, entlastend und tröstlich wie die Lektüre über Menschen, die ähnlich denken und empfinden wie man selbst. Es wurden daher für dieses Buch überwiegend Biografien ausgewählt, die nicht ganz ›glatt‹ und problemlos verliefen, um aufzuzeigen, wie Hochbegabte Krisen meistern, Schwierigkeiten bewältigen und Hindernisse überwinden.

Vor allem wünsche ich mir, dass Hochbegabte in diesem Buch auf Gleichgesinnte treffen und deren Geschichten ermutigend, stärkend und inspirierend oder einfach nur interessant und spannend finden.

Zum anderen soll dieses Buch dazu beitragen, Klischees und Vorurteile gegenüber Hochbegabten weiter abzubauen und LeserInnen das Phänomen Hochbegabung in gut verständlicher und lebensnaher Form zugänglich zu machen. Auch vermeintlich ›Normalbegabte‹ werden dazu angeregt, eigene Begabungen aufzuspüren und zu entfalten, da dies zumeist einen wichtigen Beitrag zu seelischer Gesundheit und mehr Lebensfreude leistet.

Es handelt sich hier weniger um einen Ratgeber als um ein Lesebuch, das authentische Geschichten erzählt, welche weitestgehend für sich sprechen; deshalb werden sich zusätzliche Kommentare und Erläuterungen in Grenzen halten.

2. Stand der Dinge

Viele Erwachsene verstecken ihre Hochbegabung

Die meisten erwachsenen Hochbegabten wissen von sich selbst nicht, dass sie hochbegabt sind. Nachdem seit einigen Jahren hochbegabte Kinder vermehrt in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt sind, ahnen manche Erwachsene, dass sie vielleicht selbst betroffen sein könnten. Insbesondere dann, wenn bei ihren Kindern eine Hochbegabung festgestellt wurde und Eltern Parallelen zu ihrer eigenen Biografie entdecken. Einige andere wissen um ihre Hochbegabung, weil dies in einem Test festgestellt wurde oder sie ein Begabtenstipendium erhalten haben, aber sie messen dieser Tatsache keine größere Bedeutung bei und können sich viele Besonderheiten, eigene Schwächen und vielleicht auch Schwierigkeiten nicht erklären. Diejenigen, die um ihre intellektuelle Hochbegabung wissen, als auch die, die es nur vermuten, gehen meist ausgesprochen vorsichtig, zurückhaltend oder ängstlich damit um. Auf meinen Vorträgen, die sich zunehmend auch mit erwachsenen Hochbegabten befassen, sehe ich oft in verunsicherte, beschämte und zuweilen bestürzte Gesichter, wenn die Betreffenden sich in meinen Schilderungen wiedererkennen. Manche verstecken ihr Gesicht hinter einer Hand und scheinen am liebsten im Boden versinken zu wollen, manche sehen traurig aus und haben feuchte Augen. Viele Erwachsene, die bei der Lektüre eines Buches über Hochbegabte zum ersten Mal mit dem Gedanken in Berührung kommen, selbst betroffen zu sein, reagieren auf diese Vermutung verunsichert und aufgewühlt; einerseits finden sie erstmals Erklärungen für ihr Besonderssein, alles fügt sich plötzlich zu einem runden Bild zusammen. Andererseits trifft manche diese Erkenntnis wie ein Schlag und macht sie traurig und ängstlich, weil sie in der Vergangenheit vielleicht viele Chancen verpasst haben und sie zugleich fürchten, dass es gar nicht stimmt, dass es überheblich und hochmütig ist, so etwas auch nur anzunehmen. Oder dass mit dieser Erkenntnis plötzlich Erwartungen an sie selbst gestellt sind, die sie kaum zu erfüllen vermögen. Schließlich kommt die Angst, ›anders‹ zu sein, ›besonders‹ zu sein, ausgegrenzt und belächelt zu werden, hinzu. Für manche Erwachsene ist es ein langer und schwieriger Prozess, die eigene Hochbegabung zu erkennen, zu ihr zu stehen und die eigenen Begabungen umzusetzen. Ich kenne Hochbegabte, die über Jahrzehnte verschweigen, ein Einser-Abitur absolviert zu haben, und sie haben sich angewöhnt, einen schlechteren Durchschnitt anzugeben, weil es ihnen peinlich ist, als ›Streber‹ dazustehen. Es gibt Hochbegabte mit Einser-Abitur, mit Hauptschulabschluss, ohne Schulabschluss, mit akademischer Ausbildung oder ohne jede Ausbildung. Es gibt hochbegabte Zahnärzte, Hausfrauen, Künstler, Handwerker, Drogenabhängige, Psychiatriepatienten, Musikerinnen, Arbeitslose, Psychologen, Professorinnen – kurz: Hochbegabung kommt in allen Schichten, Milieus und Berufssparten vor.

Seit der amerikanische Forscher Lewis Terman in seiner Langzeitstudie (beginnend in den Zwanzigerjahren) festgestellt hat, dass Hochbegabte beruflich erfolgreicher, sozial kompetenter und emotional stabiler sind als die Mehrheit, gibt es so gut wie keine weiteren systematischen Studien über hochbegabte Erwachsene. Nach wie vor wird Termans Studie allerorten zitiert, wenn es um Hochbegabung geht. Ich frage mich jedoch, wie weit die Studie selbst Einfluss auf den späteren Erfolg der Teilnehmer hatte, denn: Sie wurden bereits im Kindesalter als hochbegabt identifiziert, nahmen an Förderprogrammen teil und wurden in regelmäßigen Abständen von Hochbegabtenexperten zu ihrem Leben befragt. Unter diesen Voraussetzungen scheinen mir derart günstige Entwicklungen Hochbegabter leichter belegbar als bei Personen, die in der Kindheit nicht als hochbegabt erkannt und gefördert wurden. Arbeiten des Forscherpaars Goertzel zeigten nämlich, dass viele hochbegabte Kinder gar nicht in Studien mit aufgenommen wurden, wenn sie etwa Leistungsschwierigkeiten oder andere Probleme hatten. Die Autoren weisen darauf hin, dass viele herausragende und geniale Persönlichkeiten des zwanzigsten Jahrhunderts in ihrer Kindheit nicht als hochbegabt identifiziert wurden. Und dass nicht wenige von ihnen unter belastenden Familienverhältnissen und entsprechenden seelischen Folgen gelitten haben.

Auch Hochbegabte können Probleme haben

Ich möchte nicht andeuten, dass Hochbegabte mehr Schwierigkeiten im Leben haben als andere, sondern darauf hinweisen, dass auch weniger erfolgreiche, weniger stabile und weniger sozial kompetente Menschen hochbegabt sein können. Das jüngst erschienene Buch »Das Drama der Hochbegabten« von Jürgen vom Scheidt ist eines der ersten, das sich (im deutschsprachigen Raum) mit dieser Thematik näher befasst. Auch er schildert, dass gegenwärtig systematische Studien über erwachsene Hochbegabte fehlen und hier noch großer Forschungsbedarf besteht.

Hochbegabte Erwachsene kommen langsam aus ihrer »Deckung«

Neben der Hochbegabtenvereinigung ›Mensa‹ e.V., die bereits seit vielen Jahren besteht, gründen sich derzeit erste Internetforen und Netzwerke für hochbegabte Erwachsene. Viele klagen darüber, zu wenig Anlaufstellen, Literatur oder kompetente psychologische Beratung zu finden.

In Veröffentlichungen von Elternvereinigungen für hochbegabte Kinder finden sich seit kurzer Zeit erste zaghafte Annäherungen an die Thematik hochbegabter Erwachsener, weil Eltern berechtigterweise allmählich darüber nachdenken, von wem ihr Kind die hohe Begabung wohl geerbt haben könnte. Auch hier äußert man sich, wie es scheint, noch vorsichtig, leise und zögerlich zum Verdacht einer eigenen Hochbegabung.

Ich selbst habe vier Jahre lang mit hochbegabten Kindern gearbeitet, bevor mich allmählich der Verdacht beschlich, möglicherweise selbst betroffen zu sein. Ein Test bestätigte dies, aber das Ergebnis hielt ich über weitere fünf Jahre geheim. Auf keinen Fall wollte ich den Eindruck erwecken, als Hochbegabtenexpertin möglicherweise befangen und nicht objektiv genug zu sein oder mich gar für etwas Besonderes zu halten. Erst vor zwei Jahren fasste ich den Mut, mich »offiziell« zu meiner Hochbegabung zu bekennen. Aber es ist mir bis heute unangenehm, darüber zu sprechen; diese Empfindung teile ich mit den meisten Hochbegabten.

3. Bin ich hochbegabt?

Wer sich in mehr als der Hälfte dieser Aussagen wiedererkennt, gehört, so die führende Expertin Mary-Elaine Jacobsen (in »The Gifted Adult«), möglicherweise zu den Hochbegabten. Manchen genügt eine Checkliste wie diese, andere brauchen Jahre, um ihre Hochbegabung zu erkennen und anzuerkennen. Dies gilt umso mehr, je extremer sie ausgeprägt ist, denn dann nehmen auch die Widersprüche zu. Hochbegabte sind gern in Gesellschaft, fühlen sich davon aber auch schnell erschöpft. Sie sind überaus begeisterungsfähig und ebenso schnell wieder skeptisch und enttäuscht. Sie verschlingen drei Bücher am Tag und müssen manche Sätze zehn Mal lesen, um deren Sinn zu begreifen. Sie erleben gern aufregende Dinge, sind aber wenig spontan und mögen keine Überraschungen. Sie verstehen hoch komplexe Zusammenhänge in Sekundenschnelle und haben bei einfachsten Aufgaben ein Brett vor dem Kopf. Hochbegabte sind schnell verzweifelt, wenn ihnen etwas nicht gelingt, aber sie haben einen an Sturheit grenzenden Durchhaltewillen. Sie trauen sich zu wenig zu und nehmen sich zu viel vor. Sie können Gruppenprozesse blitzschnell analysieren, aber wenn mehr als zwei Leute zugleich reden, verstehen sie kein Wort mehr. Sie verfügen über einen großen Wortschatz, haben aber mitunter Schwierigkeiten, sich auszudrücken. Sie vertiefen sich so vollkommen in eine Arbeit, dass die Welt um sie herum aufhört zu existieren, aber die geringste Störung bringt sie völlig aus dem Konzept. Sie haben tiefe Zweifel an ihrer Identität, ihren Fähigkeiten und Lebenszielen und sind zugleich überzeugt, etwas Besonderes schaffen zu können.

Stärken und Schwächen halten sich bei Hochbegabten meist in etwa die Waage. Bisweilen werden die Stärken aber auch von den Schwächen überdeckt, sodass die Betreffenden fürchten, alles andere als intelligent zu sein.

Wie erkenne ich, ob ich hochbegabt bin?

Intelligenztests sind eine Möglichkeit herauszufinden, ob man intellektuell hochbegabt ist (siehe Kasten S. 16). Zum einen aber sind die gängigen Testverfahren zu Recht umstritten und geben oft nur einen kleinen Ausschnitt geistiger Befähigungen wieder, ganz zu schweigen von sozialen, emotionalen, künstlerischen und alltagspraktischen Begabungen. Zum anderen scheuen gerade hochintelligente Menschen nichts so sehr wie einen Intelligenztest, weil sie stark zu Selbstzweifeln neigen oder befürchten, in einer Testsituation vor lauter Angst zu versagen.

Info

Intelligenztests

Wer führt seriöse Testungen durch?

Einen Intelligenztest kann man bei geeigneten Psychologen durchführen lassen. Es ist nicht unbedingt erforderlich, dass diese auf Hochbegabung spezialisiert sind, aber man sollte darauf achten, dass zumindest keine allzu großen Vorbehalte gegenüber Hochbegabten und Intelligenztests bestehen. Bei den meisten verhaltenstherapeutisch ausgebildeten Psychologen gehören Intelligenztests zum diagnostischen Grundinventar. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten nur dann, wenn eine ›krankheitswertige Störung‹ vorliegt; anderenfalls sind die Kosten vom Klienten selbst zu tragen. Es gibt mittlerweile eine Reihe von Psychologen, die sich mit hochbegabten Kindern und Jugendlichen auskennen und auch mit Erwachsenen Intelligenztests durchführen. Adressen finden sich z. B. beim ›Netzwerk für hochbegabte Erwachsene‹ im Internet. Auch die Hochbegabtenvereinigung ›Mensa‹ e. V. führt zuverlässige Intelligenztests durch (Gruppentests).

Welche Arten von Intelligenztests gibt es?

Es gibt Intelligenztests, deren Schwerpunkt stärker auf bildungsabhängigen Inhalten beruht (z. B. HAWIE oder IST), und solche, die nur die sog. Grundintelligenz messen, unabhängig von sprachlichen oder bildungsbedingten Fertigkeiten (z. B. SPM, APM, CFT). Erstere fragen sprachliche und mathematische Fertigkeiten sowie Fähigkeiten zum räumlichen und visuellen Denken ab. Letztere messen anhand von Zeichenfolgen ausschließlich die Fähigkeit zum abstrakt-logischen Denken. Einige Tests finden unter zeitlicher Begrenzung statt (z. B. IST), manche sind nur in Teilen zeitabhängig, und einzelne Tests haben eine »Non-speed«-Variante und eignen sich für Personen, die unter Zeitdruck besonders stressanfällig reagieren. In manchen Fällen ist es sinnvoll, sowohl einen bildungsabhängigen als auch einen bildungsunabhängigen Test durchzuführen, z. B. wenn die betreffende Person über wenig Schul- oder akademische Bildung verfügt.

Wie läuft eine Testung ab?

Bei Psychologen finden die Tests zumeist in mindestens zweistündigen Einzelsitzungen statt. Manche Testverfahren sind reine ›Paper-Pencil-Tests‹, bei welchen man selbstständig Aufgabenbögen ausfüllt, die zuvor vom Testleiter erläutert werden (z. B. IST, APM). Bei anderen Intelligenztests werden die Fragen vom Testleiter gestellt und verbal beantwortet, und es wird Aufgabenmaterial vorgelegt (z. B. HAWIE). Bei ›Mensa‹ e. V. finden die Testungen in etwa zweistündigen Gruppentests statt, bei welchen die Fragebögen unter Aufsicht des Testleiters selbstständig ausgefüllt werden.

Ab welchem IQ-Wert ist man hochbegabt?

Ab einem Intelligenzquotienten (IQ) von 130 Punkten gilt eine Person als hochbegabt. Sie gehört damit zu den zwei bis drei Prozent Intelligentesten ihrer Altersgruppe. Aber bereits ab einem IQ von ca. 125 Punkten können sich bei den Betreffenden viele Ähnlichkeiten mit Hochbegabten zeigen.

Gibt es auch Teil-Hochbegabungen?

Bei Testergebnissen über 120 IQ-Punkten lohnt es sich in jedem Fall, den Testleiter um eine differenzierte Auswertung zu bitten. Möglicherweise setzt sich das Testergebnis z. B. aus extrem hohen Werten im sprachlichen und leicht überdurchschnittlichen Werten im mathematischen Bereich oder umgekehrt zusammen. Erreicht man auf einzelnen Gebieten einen Wert, der einem IQ von über 130 Punkten entspräche, gilt man z. B. als sprachlich oder mathematisch hochbegabt.

Wie zuverlässig sind die Testergebnisse?

Es gibt nur wenige Faktoren, die ein Testergebnis nach ›oben‹ hin verfälschen, d. h. einen höheren Wert bedingen, als er den Fähigkeiten der Testperson entspricht. Denkbar wäre hier lediglich ein intensives vorheriges Üben von Testreihen. Da zugelassene Intelligenztests der Allgemeinheit jedoch in den seltensten Fällen zugänglich sind, kommt dies fast nie vor. Nicht wenige Faktoren können ein Ergebnis jedoch nach ›unten‹ hin verfälschen, zum Beispiel weil die Testperson ängstlich, angespannt, müde oder unkonzentriert ist. Dies schlägt sich zumeist in sehr unausgewogenen Testprofilen nieder. Die Durchführung zweier verschiedener Testverfahren (s. o.) kann hier sinnvoll sein. Je ausgewogener ein Profil ist, umso zuverlässiger sind in der Regel die Ergebnisse. Natürlich ist auch zu berücksichtigen, dass ein Intelligenztest künstlerische, soziale und emotionale Fähigkeiten nicht oder nur ganz am Rande erfasst.

Natürlich kann auch der Blick auf die eigene Laufbahn und besondere schulische, berufliche oder künstlerische Erfolge ausreichen, eine Hochbegabung bei sich zu vermuten. Allerdings gibt es auch Hochbegabte, die keine überragenden Leistungen erbringen und ihre Talente gar nicht oder nur wenig entfalten können.

Der erste und diskreteste Schritt, sich mit der Möglichkeit einer eigenen Hochbegabung zu befassen, ist das Studium von Lebensgeschichten und -gewohnheiten Hochbegabter. Entdeckt man hier viele Parallelen und Übereinstimmungen, kann man den Gedanken weiterverfolgen und gegebenenfalls eine Testung in Betracht ziehen. Übrigens findet man in der Hochbegabtenvereinigung ›Mensa‹ e. V. oder in Internetforen für Hochbegabte häufig Personen, die sich lieber nicht testen lassen möchten, aber dennoch an Veranstaltungen und Diskussionen mit anderen Hochbegabten teilnehmen. Eine Testung ist hierfür nicht immer erforderlich.

Warum ist es überhaupt wichtig, die eigene Hochbegabung zu erkennen? Wenn man im Beruf erfolgreich und zufrieden ist, erfüllende soziale Kontakte hat und seine Begabungen umsetzen kann, erübrigt sich diese Frage vielleicht. Aber es gibt eine beträchtliche Anzahl Hochbegabter, die mit einer dauernden unterschwelligen Unzufriedenheit leben, weil sie das Gefühl haben, ihre Möglichkeiten nicht auszuschöpfen, blockiert zu sein, keine anspruchsvollen Aufgaben bewältigen zu können und den falschen Beruf auszuüben; die immer wieder Pläne schmieden, wie sie eigene Wünsche und Ziele verwirklichen können, gerne mehr im Leben erreichen würden und spüren, dass sie ›das Zeug dazu‹ hätten, es aber nicht anzugehen wagen; die sich in Gruppenaktivitäten aller Art aus unerfindlichen Gründen unwohl fühlen und in Freundschaften und sozialen Kontakten stets einen unbestimmten Mangel empfinden, ohne ihn klar benennen zu können.

Unterforderung kann krank machen

Ich spreche in diesem Zusammenhang vom Begriff der Passung: Wenn die eigene Ausstattung nicht mit den äußeren Gegebenheiten übereinstimmt, wenn vorhandene Fähigkeiten und Bedürfnisse nicht adäquat umgesetzt werden, ist nicht genügend Passung vorhanden. Anders ausgedrückt: Begabungen sind ein Energiepotenzial, und wenn es nicht genutzt wird, entstehen überschüssige Energien, die sich anderweitig Raum zur Entladung suchen oder gedämpft werden müssen.

Bei hochbegabten Kindern, die unter anhaltender Unterforderung leiden, beobachtet man, dass sie ihre überschüssigen Energien entweder gegen sich selbst oder gegen andere richten. Manche entwickeln depressive Symptome und Ängste, manche reagieren aufbrausend, reizbar und aggressiv, wieder andere sind unruhig, zappelig, stehen ›unter Strom‹, knabbern an Fingernägeln, Bleistiften und Pulloverärmeln oder entwickeln psychosomatische Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen oder Schlafstörungen. Einige hochbegabte Jugendliche berichten, dass sie ihre innere Anspannung mit exzessivem Fernsehkonsum, Computerspielen oder Cannabis unter Kontrolle zu bringen versuchen.

Bei hochbegabten Erwachsenen, die über lange Zeit nicht ausreichend gefordert sind, beobachte ich Ähnliches: Sie beruhigen sich mit üppigen Mahlzeiten, Alkohol und Nikotin oder leiden unter körperlichen und seelischen Störungen. Bei Kindern wie bei Erwachsenen verschwinden diese Symptome oft auf wundersame Weise, wenn die Hochbegabung, also die ungenutzten Energiepotenziale, erkannt und im sozialen und schulischen bzw. beruflichen Alltag umgesetzt werden.

4. »Typisch« hochbegabt

Zweifellos gibt es nicht ›den‹ typischen Hochbegabten, und gerade Hochbegabte reagieren auf alle Versuche, sie in Schubladen zu stecken, zu kategorisieren und zu typisieren, mit berechtigter Kritik. Ich betrachte auch die Typen-Schilderungen in meiner ersten Publikation über Hochbegabte mit Skepsis. Resultat dieser Zweifel ist unter anderem die Sammlung der vorliegenden Lebensgeschichten, in welchen ich die Hochbegabten so authentisch und individuell wie möglich selbst zu Wort kommen lassen möchte. Es sei mir verziehen, wenn ich dennoch an mancher Stelle das Wort ›typisch‹ verwende, denn meine Erfahrungen zeigen, dass es bei aller Individualität auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten gibt, deren Entdeckung überdies auf viele Hochbegabte erleichternd und entlastend wirkt.

Stark vereinfacht gesagt bedeutet Hochbegabung mehr von allem: mehr denken, mehr fühlen und mehr wahrnehmen. Dem liegt meine Vermutung zugrunde, dass Hochbegabte Informationen und Reize aller Art (also geistige, emotionale und sensorische) intensiver und komplexer verarbeiten als die Mehrheit. Dies kann viele Vorteile, aber auch einige Nachteile haben.

Informationen und Reize werden komplexer verarbeitet

›Mehr denken‹ heißt, dass Hochbegabte gewöhnlich über eine schnelle, komplexe und bisweilen sprunghafte Denkfähigkeit verfügen, rasch Assoziationen und Verknüpfungen herstellen und vieles hinterfragen, was anderen normal und selbstverständlich erscheint. In Diskussionen erfassen Hochbegabte schnell das Wesentliche und kommen sofort auf den Punkt. Sie denken mehr und gründlicher nach als andere, manchmal jedoch auch zu viel und zu gründlich. Dies kann dazu führen, dass man bei Routineaufgaben leicht abschweift, sich im Alltag und bei der Arbeit leicht verzettelt, auf zu viele Details achtet und den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht; dass man dauernd den Kopf zu voll hat, zu kompliziert denkt und schwer abschalten kann; oder dass es schwerfällt, Entscheidungen zu treffen und spontan zu reagieren. Monotone Tätigkeiten erleben Hochbegabte oft als belastend und quälend, beim Lernen und Üben verlieren sie mitunter leicht die Geduld und erfinden eigene Strategien, mit welchen sie schneller zum Ziel gelangen.

›Mehr fühlen‹ heißt, dass sehr viele Hochbegabte besonders feinfühlig und sensibel sind, auf Stimmungen in der Umgebung seismografisch genau reagieren und angenehme wie unangenehme Emotionen oft stärker als ihre Mitmenschen erleben. Hochbegabte haben typischerweise ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, können sich gegen das ›Leid der Welt‹ schwer abgrenzen und nehmen sich traurige Erlebnisse sehr zu Herzen. Auch neigen sie dazu, eher an sich selbst als an anderen zu zweifeln, (zu) hohe Ansprüche an sich zu stellen und Misserfolge weit stärker zu gewichten als Erfolge. Manche gehen eine Aufgabe lieber erst gar nicht an, wenn sie fürchten zu scheitern.

›Mehr wahrnehmen‹ bedeutet, dass Hochbegabte in der Regel auch Sinneseindrücke (Lärm, Licht, Gerüche, Berührung) intensiver wahrnehmen als viele andere. Ein feines Gehör ist zum Beispiel Voraussetzung für Musikalität, ein ausgeprägter Licht- und Farbsinn für malerische Begabung, eine gute visuelle Wahrnehmungsfähigkeit für grafische oder gestaltende Tätigkeiten und taktiles Fingerspitzengefühl für detailgenaues Vorgehen etwa eines Uhrmachers oder Chirurgen. Andererseits fühlen Hochbegabte sich von zu vielen Außenreizen manchmal irritiert und angestrengt, können sich schwerer konzentrieren und verlieren bei lauten Veranstaltungen oder in großen Gruppen leicht den Überblick. In ruhiger Umgebung und Einzelkontakten fühlen sie sich oft wohler.

Info

Mehr denken

+ Erfassen komplexer Zusammenhänge

+ Auffinden vielfältiger Lösungswege

+ Hohe Auffassungsgabe

+ Finden neuer Gedankenverbindungen und Ideen

+ Anstellen weitreichender Überlegungen

+ Schnelleres Denken

+ Berücksichtigung zahlreicher Aspekte

Schwierigkeiten bei einfachen Aufgaben

Vorauseilendes Denken

Ungeduld und Langeweile

Überhöhtes Streben nach Perfektion

»Kopf in den Wolken«, »über den Dingen schweben«

Widerstand gegen Alltagsroutine

Schwierigkeiten bei Meinungsbildung/Entscheidungsfindung

Mehr fühlen

+ Reiches Innenleben, starke Emotionen

+ Hohe Empfindungsfähigkeit

+ Starker Gerechtigkeitssinn

+ Hohes Einfühlungsvermögen und Mitgefühl

+ Kreative, künstlerische Potenziale

Überempfindlichkeit, Dünnhäutigkeit

Gefühlsausbrüche

Stimmungsschwankungen, sich vieles sehr zu Herzen nehmen

Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt

Misserfolge und Unangenehmes schwer verarbeiten

Mehr wahrnehmen

+ Hohe Auffassungsgabe (sensorisch)

+ Feinfühlige Sinnesorgane

+ Gute visuelle Wahrnehmung

+ »Fingerspitzengefühl«

+ Gute Detailwahrnehmung

Lärm-, Licht-, Berührungsempfindlichkeit

Ablenkbarkeit (zu viel auffassen)

Vermeiden von Körperkontakt

Herabgesetzte Schmerzgrenze

Reizüberflutung (z. B. Sport, Menschenmengen)

Die nachfolgenden Zitate sollen dies anschaulich verdeutlichen; sie stammen überwiegend von Klienten, die noch nichts von ihrer Hochbegabung wussten, und sind vielleicht gerade für bislang unentdeckte Hochbegabte als Einstieg aufschlussreich.

»Du denkst zuviel nach!«

»Eigentlich denke ich von früh bis spät über irgendetwas nach. Ich mache mir Gedanken über Gesundheit, soziale und politische Verhältnisse, über wissenschaftliche Themen, über Sprache; ich möchte dauernd wissen, wie bestimmte Dinge funktionieren, zum Beispiel ein Radio oder ein Telefon, oder wie es zu gewissen Naturphänomenen kommt. Auch nach Fernsehsendungen, Unterhaltungen mit anderen oder gesellschaftlichen Ereignissen ist es für mich ganz selbstverständlich, alles zu hinterfragen, Hintergründe und Erklärungen zu suchen und Zusammenhänge verstehen zu wollen. Andere haben wenig Verständnis dafür, dass ich mir dauernd den Kopf über alles Mögliche zerbreche; auch mir selbst ist es manchmal regelrecht lästig, dass meine Gedanken nie stillstehen und ich nie zur Ruhe komme.«

»Es kann nicht sein, dass ich klüger bin als andere«

»Ich besuchte einen Vortrag eines international renommierten Hochschullehrers, der über hochbegabte Jugendliche sprach, und wartete gespannt auf seine Ausführungen und neue Erkenntnisse. Je weiter die Zeit voranschritt, umso irritierter war ich; ich fragte mich, wann er endlich zum Thema kommen würde, denn seine Äußerungen erschienen mir sehr allgemein, fast banal. Ich guckte mich vorsichtig um, ob die andern das vielleicht auch so wahrnehmen, aber alle schienen interessiert zuzuhören. Am Ende kam es mir so vor, als hätte ich nichts erfahren, was ich nicht vorher schon gewusst hätte. Diesen Eindruck habe ich natürlich für mich behalten, denn es kann wohl kaum möglich sein, dass ich als Krankenschwester mit Realschulabschluss ebenso viel weiß wie ein hoch dotierter Professor. Vielleicht habe ich vieles gar nicht richtig verstanden? Vielleicht erscheint es mir nur so einfach, ist aber in Wahrheit viel komplizierter? Habe ich wichtige Zusammenhänge gar nicht nachvollzogen oder Wichtiges überhört?«

»Ich nahm an einem Seminar für Psychologie teil. Der Dozent erklärte einen Sachverhalt, den ich auf Anhieb verstanden habe, aber von allen anderen Anwesenden nicht verstanden wurde. Es wurden viele Fragen dazu gestellt, und der Dozent wiederholte seine Ausführungen und Erklärungen mehrfach. Ich begann zu zweifeln, ob ich den Inhalt wirklich verstanden hatte, denn ich habe nur eine mittlere Schulbildung und war von Akademikern umgeben, die eigentlich alle viel klüger sein müssten als ich. Also kam ich zu dem Schluss, dass ich die Aussagen gar nicht auf Anhieb verstanden haben könne, suchte nach tiefer liegenden Zusammenhängen und traute mich nicht mehr, etwas zu sagen, weil die anderen sonst gemerkt hätten, dass ich überhaupt nichts kapiert hatte.«

»Als ich mich mit zwanzig das erste Mal mit philosophischer Lektüre befasste, stellte ich erstaunt fest, dass ich mir viele der ausgeführten Gedanken bereits selbst gemacht hatte, aber sie waren mir ganz normal vorgekommen. Wenn das Philosophie ist, dachte ich, muss ich wohl selbst ein Philosoph sein. Aber ich kann mich doch mit so großen Denkern unmöglich auf eine Stufe stellen.«

»Je größer eine Gruppenveranstaltung ist, umso unwohler fühle ich mich«

»Auf Elternabenden, in Seminaren oder Gruppensituationen überkommt mich immer ein großes Unwohlsein. Oft gehe ich frustriert, angespannt und irritiert nach Hause und finde keine rechte Erklärung dafür. Meist denke ich, dass es an mir liegen muss: Vielleicht sind meine Ansprüche zu hoch, vielleicht bin ich sozial zu ungeschickt, vielleicht funktioniert mein Denken irgendwie anders. Was für andere normal ist, scheint für mich überhaupt nicht normal zu sein: zum Beispiel, dass man sich gegenseitig laufend ins Wort fällt, dass man nicht zum wesentlichen Punkt einer Sache kommt, sondern dauernd drumherum redet; oder dass Leute taktieren, sich geschickt in Szene setzen oder irgendwelche Gefechte austragen, die mit dem Thema gar nichts zu tun haben. Wenn ich dann versuche, wieder aufs Thema zu kommen, oder eine Frage stelle, herrscht oft augenblicklich irritiertes Schweigen, oder ich bringe andere gegen mich auf, ohne zu wissen warum. Für mich ist es selbstverständlich, die Dinge schnell auf den Punkt zu bringen und gezielt nach Lösungen zu suchen. Viele Debatten dauern mir einfach zu lange. Wenn viele Leute durcheinanderreden, verliere ich außerdem oft schnell den Überblick und kann mich nicht mehr konzentrieren. Es ist für mich auch schwer zu durchschauen, wenn jemand Spielchen treibt oder mich auf seine Seite ziehen will oder sonstige persönliche Ziele verfolgt, die mit der Sache nichts zu tun haben. Am Ende habe ich dann das Gefühl, dass ich offenbar einfachste soziale Regeln nicht verstehe und irgendetwas mit mir nicht stimmt.«

»Ich bin einfach zu sensibel«