cover
Sabine von Barfuß

Winzerdorf

Eine Moritat vom Guten im Menschen





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Vorbemerkung

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um einen historischen Roman, angelehnt an Ereignisse, die im Dorfleben der achziger Jahre tatsächlich geschehen konnten. Allerdings ist Winzerdorf frei erfunden. Es liegt nicht in der Nähe von Freiburg und Emmendingen. Auch bei den handelnden Personen wäre jede Namensähnlichkeit der Charaktere mit lebenden oder schon toten, real existierenden Personen rein zufällig.

Die Geister der Vergangenheit

Es war Sommer. Die weißen Blüten des falschen Jasmin verstömten ihren schweren, süßen Duft über unserem Garten und draußen auf der Straße erklang das scharrende Geräusch von Rollschuhen auf dem Asphalt und Kinderlachen erfüllte die warme Abendluft.

Da stand er in der Tür zum Hof, in einem abgerissenen, nicht ganz sauberen T-Shirt und einer kurzen blauen Sporthose. Auf dem Kopf trug er eine Baseballmütze aus blauem verwaschenem Jeansstoff mit einem Aufdruck, dessen Bedeutung ich erst später erfahren sollte. Die Füße steckten in offenen Badelatschen. Kurz, auf den ersten Blick bot er wirklich keine eindrucksvolle Erscheinung. Nie hätte ich in diesem ersten Augenblick geglaubt, wie viel in diesem Mann steckte.

„Wer ist das denn“, dachte ich bei mir, aber Paul kannte ihn offensichtlich, denn er sagte: „Ach, Herr Hauser, kommen sie doch herein.“

Er betrat unseren Garten und reichte mir die Hand. So begann für mich ein Abenteuer, das ich nicht so schnell vergessen sollte, das sogar mein ganzes Leben veränderte. Die Einzelheiten jenes ersten Gesprächs möchte ich den Lesern ersparen, aber es ging um eine kommunalpolitisch heiß umkämpfte Maßnahme, gegen die etwa die Hälfte des Dorfes Sturm lief.

Paul hatte sich schon immer gerne in der Kommunalpolitik engagiert und so waren die Beiden miteinander bekannt geworden.

Die Politik beschäftigte uns noch manchen langen Abend auf unserer Terrasse in jenem Sommer und so wurden wir mit dem rätselhaften Fremden näher bekannt. Er verstand eine Menge von Kommunalpolitik und half mit alten Flugblättern von Bürgerinitiativen aus. Aus seinen Augen blitzte ein intelligenter Geist, er war witzig, aber in der Sache unerbittlich.

Eines Abends, wir kamen gerade mit einer großen Fuhre Brennholz für unseren Kaminofen nach Hause, stand er wieder in der Tür zum Hof, durch die wir gerade bergeweise gut abgelagerte Äste und Zweige aus dem nahegelegenen Wald schleppten: „Na, sie rechnen wohl mit einem kalten Winter?“

„Man kann nie wissen, außerdem liebt meine Frau die lauschigen Abende am Kaminofen,“ antwortete Paul.

„Kann ich sie mal in einer Herzensangelegenheit sprechen?“ fragte Hauser.

„Aber natürlich, wir haben immer ein offenes Ohr“, antwortete ich, denn wir hatten den klugen Kopf hinter der abgerissenen Fassade inzwischen zu schätzen gelernt. „Nehmen Sie doch Platz“, bot ich ihm an und fragte nach einem Getränkewunsch. Wie immer bat er um eine Limonade, noch nie hatte er sich einem Glas Wein oder Sekt angeschlossen. „Ich bin überzeugter Antialkoholiker geworden“, war seine Begründung.

Da saß er nun und rang sichtlich mit den Worten. Er drehte den Deckel der Limonadenflasche in den Händen und kniebelte der Verschlussrand ab. „Sie wissen, dass wir kommunalpolitisch ähnliche Vorstellungen haben, und es für diese Gemeinde wichtig wäre, einige Weichen neu zu stellen. Und - im nächsten Frühjahr sind doch Bürgermeisterwahlen. Würden Sie meinen Wahlkampf unterstützen, wenn ich antreten würde?“

„Warum nicht?“ antwortete Paul. Mit dem Deckel der Limonadenflasche klopfte sich Hauser an die Zähne. Er zögerte. Dann brach aus ihm heraus: „Nun, bevor sie sich darauf einlassen, sollten sie einige Dinge über meine Vergangenheit erfahren.“

Dieser Satz war der eigentliche Anfang für die hier erzählte, unglaubliche Geschichte, die mir Berge von studierten Akten einbrachte und meinen Glauben in die Gerechtigkeit von Gerichtsprozessen und an die unbedingte Ehrlichkeit von Verwaltungsangestellten und gewählten Volksvertretern tief erschütterte.

Werdegang

Als Götz in den Wirren nach dem 2. Weltkrieg in Freiburg geboren wurde, fühlte sich seine Mutter überfordert. Sie hatte das Kind nicht gewollt und konnte sich auch nicht vorstellen, mit dem Mann, der Götz Vater war, zusammenzuleben. Das Kind war in einer Bombennacht entstanden und jetzt, so kurz nach dem Krieg nur schwer zu versorgen. Außerdem war Götz Vater krankhaft eifersüchtig und unterstellte seiner schönen blonden Frau immer wieder Affären mit Amerikanern, die in dem Restaurant, in dem sie arbeitete, ein und aus gingen.

Immer wieder stritt sie heftig mit Götz Vater und er schlug sie sogar. Das war zuviel und so packte sie ihre Sachen und verließ Sohn und Vater. Letzterer wusste mit einem Bündel Windeln aber auch nichts anzufangen, obwohl er nach Götz Geburt auf das Sorgerecht bestanden hatte. So kam Götz in ein Kinderheim und von dort zu diversen Pflegefamilien. Er war schon als Junge nicht leicht zu haben und schien Unfälle magisch anzuziehen.

Einmal holte er sich beim Schlittenfahren eine schwere Gehirnerschütterung, die ihn fast das Leben gekostet hätte. Schnee gab es nicht jedes Jahr und wenn einmal genug Schnee lag, dann freuten sich alle Kinder sehr und konnten es kaum erwarten ins Freie zu kommen. In dem Dorf, in dem Götz in diesem Jahr untergekommen war, gab es einen wunderbaren Schlittenhang. Genug Gefälle, um Schwung zu bekommen, den Wind im Gesicht zu spüren und Spaß zu haben. Der einzige Nachteil war, dass sich dirket am Fuß des Hangs die Mauer eines Bauerngehöftes erhob, aber der Bauer war den Kindern wohlgesonnen und wenn man rechtzeitig eine Kurve fuhr, dann stellte die Mauer auch kein Problem dar.

Götz war noch nie zuvor mit dem Schlitten gefahren. Wo er wohnte, gab es entweder keinen Hang oder keinen Schnee. Aber sein Pflegeeltern hatten einen Schlitten und erlaubten dem Jungen damit hinauszugehen. Sie hatten ja keine Ahnung, wie unbedarft der Junge war, denn er war noch nicht lange bei ihnen. Woher sollten sie wissen, dass er keine Ahnung hatte, wie man Schlitten fährt. Sie hatten keine Zeit mit ihm auf den Schlittenhang zu gehen. Außerdem war er doch alt genug alleine draußen zu spielen. So zog Götz seinen Schlitten stolz hinter sich her und erklomm wie alle anderen den Hang. Dann stand er oben und beobachtete das Treiben der anderen Kinder. Die Mauer am Fuß der Abfahrt beunruhigte ihn, aber die anderen Kinder schienen sich nicht an ihr zu stören. Sie sausten munter rechts und links an dem Haus vorbei. Also stieg auch Götz auf seinen Schlitten und stürzte sich die Abfahrt hinunter. Dummerweise machte sein Schlitten keine Kurve, wie er es erwartet hatte, sondern raste direkt auf das Haus zu. Bevor er noch die Notbremse ziehen und sich vom Schlitten werfen konnte, prallte er frontal an die Wand. Erst im Krankenhaus schlug er die Augen wieder auf.

Ein anderes Mal schoß er mit einem Stein einem anderen Kind beinahe das Auge aus. Natürlich nicht mit Absicht, vielmehr war ihm beim flitschen von Steinen an einem Tümpel der Stein unglücklich aus der Hand gerutscht, als er gerade ausholte. Die Eltern des getroffenen Kindes aber machten einen großen Aufstand aus dem blauen Auge ihres Kindes und Götz fühlte sich entsetzlich schuldig. Die Reaktion der Pflegeeltern tat ein Übriges um ihn zu überzeugen, dass er irgendwie ein schlechtes Kind war.

Denn ein Kind, das so gefährliche Dinge tut, war seinen Pflegeeltern zu anstrengend. So hieß es wieder einmal umziehen. Dabei hatte er sich bei dieser Familie wirklich wohl gefühlt. Es wurde viel vorgelesen, besonders Märchen und in Götz Fantasie nahmen die Märchengestalten ganz menschliche Züge an. Außerdem wurde in der großen Küche oft und gerne gekocht und Marmelade und andere Vorräte, bei deren Zubereitung er half, erfüllten den Raum immer mit den köstlichsten Düften.

Oft saß man nach anstrengenden Arbeitstagen lange an dem großen, glatt gescheuerten Massivholztisch in der Küche und erzählte. Die Alterungsflecken auf dem Tisch verwandelten sich in Götz Phantasie oft in die Gestalten aus den Märchen. Dort der bucklige Zwerg aus Rumpelstilzchen, da die Krone eines Königs und hier die roten Verfärbungen sahen aus wie die Krallen an der Hand einer bösen Hexe. Rote Krallen, das war die grundlegende Vorstellung, die Götz von den Händen einer Hexe entwickelt hatte.

Und ausgerechnet eine Frau mit solchen Krallen, beziehungsweise eigentlich nur mit rot lackierten, langen Fingernägeln, hatte sein Vater als nächste Pflegemutter auserkoren.

Man traf sich in einem vornehmen Café, Götz trug einen Matrosenanzug und sein Haar war ordentlich gescheitelt und zurückgekämmt, was bei dem Lockenkopf gar nicht so einfach gewesen war. Sein Vater hatte ihm eingeschärft, brav zu sein und keinen Unsinn anzustellen.

Als er aber die Hände der Frau sah, die ihn mitnehmen sollte, tobte Götz im Café herum, plapperte dazwischen, als sich sein Vater mit der Dame unterhielt und zog sogar die Tischdecke von einem der Nachbartische. Er war fest entschlossen, deutlich zu machen, dass er nicht die Art Kind war, die man haben wollte. Vor seinem inneren Auge stand die Geschichte von Hänsel und Gretel und freiwillig würde er bestimmt nicht mit einer Hexe in ihr Hexenhaus gehen.

Tatsächlich ließ sich die Dame abschrecken und Götz erlebte ein unglaubliches Donnerwetter ob seiner Ungezogenheit.

Insgesamt sechsmal musste Götz in seiner Kindheit die Koffer packen. Immer wieder neue Bezugspersonen ertragen, was natürlich auch den Umgang mit ihm nicht leichter machte. Er wurde einmal evangelisch, ein anderes Mal katholisch erzogen. Dieses Schicksal traf ihn in dieser Zeit zwar nicht alleine, denn viele Kinder seiner Generation teilten es. Aber Götz empfand sein Leben als lieblos, er wünschte sich nichts mehr, als die Rückkehr seiner Mutter. Er glorifizierte sie. Sie musste ein Engel gewesen sein, und irgendwann würde sie sicher zu ihm zurückkommen.

Als Teenager nahm sein Vater ihn endlich doch noch zu sich, angeblich weil er bei keiner Pflegefamilie gut getan hatte. Er wollte aus seinem Sohn trotz allem noch ein nützliches Glied der Gesellschaft machen. Dazu hielt er den jungen Mann extrem kurz. Götz musste seinem Vater den Haushalt führen, für ihn putzen, kochen und einkaufen. Und er wurde in die Kirche geschickt. Dort sollte er als Ministrant Demut lernen.

Um einen harten Mann aus ihm zu machen, beschäftigte der Vater den Jungen auch viel in seinem Garten. Im Winter schickte er ihn gerne, wenn es geschneit hatte los, um Feldsalat zu pflücken. Feldsalat ist heikel und muss mit der Hand geerntet werden. Götz befreite also die entsprechenden Beete vorsichtig mit bloßen Händen vom Schnee, damit er sehen konnte, was er erntete. Dann lief er mit klammen Händen nach Hause, um den Salat zu waschen und das Essen zu bereiten.

Wenn dann der Sand zwischen den Zähnen des Vaters knirschte, wurde dieser cholerisch: „Nicht einmal Salat kannst Du richtig waschen. Ich wusste es. Du bist nur das Kind einer amerikanischen Hure. Wie sollte ich Dein Vater sein, so etwas wie Dich hätte ich wohl kaum gezeugt. Nur aus Menschenliebe habe ich dich bei mir aufgenommen, und wie dankst Du es mir?“

Dann prasselten die Schläge auf Götz nieder.

Götz versuchte daraufhin, es besser zu machen. Er hatte eine wunderbare Idee. Als er das nächste Mal Feldsalat holen musste, ging er damit ins Bad und wusch ihn mit der Dusche.

Aber auch das war dem Vater nicht recht. „Meinst Du Wasser kostet nichts? Wie kannst Du es wagen, soviel davon zu verschwenden?“ Wieder bekam er Schläge.

Einmal nahm er sich ein Herz und fragte: „Kann man den Feldsalat nicht in Reihen pflanzen, dann hätte ich es leichter mit der Ernte?“

Statt der Auforderung: „Versuchs!“ prasselten wieder Schläge auf ihn nieder. Ob seiner vermeintlichen Faulheit.

Wie wunderbar ruhig ging es im Gegensatz zu seinem Heim in der Kirche zu. Bald fühlte er sich dort mehr zu Hause als in der Ein-Zimmer-Wohnung, in der er wohnte. Außerdem wurde dem exzellenten Lateinschüler dort mit Respekt begegnet. Er bekam das Gefühl, doch etwas wert zu sein. Die Anerkennung war ihm wichtig und er gehörte dazu. Er hatte seinen Platz und dafür war er dankbar. Zu Hause hatte er nämlich keinen. Sein Bett, sofern man die Pritsche, auf der man eigentlich zum Essen am Tisch saß, so nennen konnte, stand in der Küche, einen anderen Raum gab es in der väterlichen Bleibe nicht für ihn. Oft litt der Heranwachsende Junge Hunger. Besonders nach der Beichte am Samstag Abend, wenn ihm untersagt war, vor der Messe und Kommunion am Sonntag morgen noch etwas zu essen.

Es fiel ihm schwer, seinem Hunger nicht nachzugeben, besonders, als es bei Hausers Sonntags immer Gulasch gab. Dieses wurde am Samstag gekocht und stand, still vor sich hin duftend in der Küche, direkt neben dem Bett, in dem Götz schlief. Wenn er Glück hatte, war das Fett im Gulasch noch nicht fest, wenn er sich zur Ruhe begab. Dann fischte er vorsichtig, möglichst ohne Spuren zu hinterlassen, einige Fleischstücke aus der Soße, um seinen schlimmsten Hunger zu dämpfen. Einmal war er zu spät dran. Das aus der Soße geholte Fleisch hinterließ eine verräterische Delle in der Oberfläche des Topfinhaltes. Aber es war schon zu spät. Er hatte es verschlungen.

Am nächsten Morgen bemerkte Götz Vater den Diebstahl. Neben der Prügel, die Götz mannhaft über sich ergehen ließ, folgte eine noch viel schlimmere Strafe. Er durfte nicht zur Kommunion gehen. Diese Demütigung vor der ganzen Gemeinde, konnte er seinem Vater nur schwer verzeihen.

Er stahl nie wieder Fleisch. Aber der Hunger ließ ihm keine Ruhe. Deshalb machte er sich über die Marmeladenvorräte seines Vaters her. Diese Marmelade musste er jeden Sommer selbst einkochen. Deshalb sah er sie auch ein wenig als sein Eigentum an. So leerte er in mancher Samstagnacht ein halbes Glas Marmelade pur, mehr vertrug der beste Magen nicht. Den Rest versteckte er auf dem Dachboden über einem Balken. Viele Jahre später, als er nach dem Tod seines Vaters die Wohnung entrümpelte, entdeckte er, dass immer noch ein uraltes Glas, halb gefüllt mit inzwischen verrotteter Marmelade über jenem Dachbalken stand. Unwillkürlich musste er lächeln, er fühlte sich unsagbar frei in diesem Moment.

Als er seinen Schulabschluss in der Tasche hatte, bestand sein Vater darauf, dass er bei der Stadt eine Verwaltungslehre machen sollte. Hier würde er Ordnung und Disziplin lernen. Das waren die wichtigsten Tugenden für den Vater, dessen Beruf der eines Polizisten war.

Götz, der sich immer von seinem Vater unterdrückt gefühlt hatte und die erzkonservativen Ansichten seines alten Herrn hasste, schloss sich der Sozialdemokratie an. Da die katholische Kirche dem jungen Mann seine Fragen nicht beantwortete, sondern nur Gehorsam den Dogmen gegenüber forderte, kehrte er ihr den Rücken. Gehorsam, dass hatte schon sein Vater gefordert, wo er nach Antworten gesucht hatte. Er wurde Gewerkschaftsmitglied und politisch aktiv. Besonders die Bildungspolitik hatte es ihm angetan, weil er fest daran glaubte, bessere Bildung und Information der Menschen täte Not. Er engagierte sich in der Jugendarbeit und kümmerte sich um die Ohnmächtigen. Seine Ausbildung absolvierte er mit guten Ergebnissen.

Nach der Ausbildung wurde er ins Finanzreferat geholt. Er war während seiner Ausbildung durch seine Flexibilität und Kreativität aufgefallen und solche Mitarbeiter wurden gebraucht. (Er bekam die Stellung eines ZBV, also einer Person zur besonderen Verwendung. Das heißt, er bekam Aufträge, für die sonst niemand zuständig war. Wenn die Stadt zum Beispiel ein Gebäude zum Kauf angeboten bekam, wurde Götz gefragt, welche Konsequenzen so ein Kauf hätte. Wofür könnte die Stadt das Gebäude brauchen? Wie sind die Kosten? Welche Auflagen gibt es? Steht das Gebäude unter Denkmalschutz? Wo liegen die Risiken?

Kam die Stadt auf die Idee aus Kostengründen die Müllabfuhr privatisieren zu wollen, musste Hauser das Für und Wider beleuchten.

Sollte ein Vorort eingemeindet werden, war es seine Aufgabe herauszufinden, was dafür und was dagegen sprach, und was die finanziellen Konsequenzen so einer Entscheidung waren. Es war eine harte Schule, weil von Anfang an erwartet wurde, dass er solche Projekte selbständig bearbeitete und selbst heraus fand, was alles zu beachten war. Dadurch gewann er aber auch an Selbstvertrauen. Er lernte, dass ihm diese Arbeitsweise gefiel. Und er war erfolgreich.

Eine der Aufgaben, die er jedes Jahr wieder übertragen bekam, wahrscheinlich, weil niemand sich darum riss war, in der Vorweihnachtszeit eine Erinnerung an alle Mitarbeiter zu schreiben, dass die Annahme von Geschenken oder Vorteilen untersagt war, auch wenn es nur um eine Flasche Wein ging. Dies ging ihm so in Fleisch und Blut über, dass er glaubte, es könne keine korrupten Mitarbeiter in öffentlichen Verwaltungen geben.

Bis 1974 hatte er es immerhin zum Stadtoberinspektor gebracht. Seine Tätigkeit ging von allgemeinen Verwaltungsaufgaben über die organisatorische Vorbereitung von Sitzungen und deren Niederschrift, bis zur Arbeit als Fachbeamter für das Finanzwesen der Stadt. Dazu gehörte zum Beispiel das Aufstellen des Haushaltsplanes der Stadt. Er war als vielseitig interessierter, intelligenter Mitarbeiter geschätzt. Aber auch als Dickschädel gefürchtet.

Als man beim Regionalverband Südlicher Oberrhein einen guten Mann suchte, fiel deshalb auch sein Name, allerdings nur als zweite Wahl, weil er als Mitglied der SDP das falsche Parteibuch hatte. Da aber der Kandidat der Regierungspartei zurück trat, bekam er den Job. Deshalb wechselte er 1974 von der Stadt Freiburg zum Regionalverband. Er hatte inzwischen eine eigene Familie gegründet und obwohl er nicht schlecht verdiente, lebte man bescheiden. Schließlich wollte er nicht ewig mit seiner Familie in einer Mietwohnung leben und sie hatten in Altenreut eine hübsche Eigentumswohnung entdeckt, die man gerne kaufen wollte. Deshalb versuchten Götz und Franziska das Geld zusammen zu halten. Eines Tages bekam Götz eine neue Kollegin. Sie war aus Berlin und erzählte Götz von ihrem Heimweh und ihrer Unsicherheit, ob sie über die Probezeit hinaus in Baden bleiben sollte.

„Deshalb habe ich meine Wohnung in Berlin noch behalten,“ erklärte sie.

„Haben sie die Wohnung denn solange vermietet?“

„Nein, sie steht leer.“

„Was, das ist ja toll. Würden sie mir die Wohnung vielleicht vermieten. Ich wollte schon lange mal nach Berlin und über die Weihnachtsfeiertage wäre mir eine Bleibe dort gerade recht.“

"Meine Wohnung ist aber nichts besonderes."

„Das macht nichts, wir sind nicht so anspruchsvoll. Und ich zahle ihnen für die Zeit die Miete. Das wäre doch auch für sie eine Hilfe.“

So wurde man handelseinig und die Familie packte die Koffer, um den Jahreswechsel in Berlin zu verbringen. Vanessa war gerade 4 Monate alt, Torsten ein munteres Kleinkind.

Als sie in Berlin ankamen und Franziska die Wohnung sah, in der sie jetzt, wenn auch nur kurzfristig leben sollte, traf sie fast der Schlag. Die Wohnung lag im Wedding in einem Hinterhof, also in einer Gegend mit vorwiegend A-Bevölkerung, wie es die Soziologen zu bezeichnen pflegen: Ausländer, Arbeitslose und Arme. Und das mit zwei kleinen Kindern. Außerdem war es eine Studentenbude, winzig und ziemlich verwahrlost. Dazu kam auch noch wirklich bescheidenes Wetter, nass und kalt. Man konnte also nicht viel unternehmen, aber in der engen Wohnung war es unerträglich, deshalb verbrachten Götz und Franziska viel Zeit auf dem Kurfürstendamm.

Dort in einem Schaufenster hing ein Hosenanzug, in den sich Franziska auf den ersten Blick verliebte, für gerade einmal 600 DM. Ein unvorstellbar hoher Preis für ein Kleidungsstück, besonders wenn man zwei Kinder von einem Gehalt großzuziehen hatte. Nach Weihnachten, als die Geschäfte wieder geöffnet hatten, wollte Franziska ihn aber dennoch einmal anprobieren: „Nur einmal rein schlüpfen,“ bat sie und so betraten sie den Laden. Als Franziska aus der Umkleidekabine trat, strahlten ihre Augen. Der Anzug passte wie angegossenen und stand ihr sehr gut. Er bestand aus dunkel bordeauxrotem Samt, der gut mit ihrer dunklen Haarfarbe und dem braunen Teint korrespondierte. Die gerade geschnittene Jacke mit Reißverschluss wurde oben von einem breiten hellbraunen Webpelzkragen gekrönt, der sich zum Rollkragen aufstellen ließ. Ein ebensolcher Besatz schmiegte sich um die Handgelenke. Die Hose hatte die damals moderne Schlagform, der Keil war ebenfalls aus Webpelz zugeschnitten.

Es war also nicht so, dass man sagen konnte: „Das Kostüm steht dir nicht oder passt dir nicht.“

Aber dadurch wurde es nicht bezahlbarer. Mit großem Bedauern gab sie den Anzug an die Verkäuferin zurück. Aber niemand sonst schien sich für den Anzug zu interessieren und nach Silvester fasste sich Franziska ein Herz und betrat den Laden noch einmal: „Sie wissen, dass der Anzug mir gefällt, aber er ist einfach zu teuer.“

„Da kann man wohl nichts machen,“ reagierte die Verkäuferin reserviert.

„Bis jetzt haben sie ihn nicht verkauft, und bald beginnt der Schlussverkauf. Dann wird er doch sowieso reduziert. Ich kann ihn zum regulären Preis nicht kaufen, aber ich wäre stark interessiert, wenn sie ihn reduzierten. Können sie die Reduktion nicht vorziehen?“

So wurde eine Weile verhandelt und siehe da, zum Schluss hatte sie ihr Ziel erreicht. Der Anzug wechselte für knapp 400 DM den Besitzer. Franziska liebte ihn und bewahrte ihn auf, selbst als er ihr nicht mehr passte.

Er sollte noch Grund für Peinlichkeiten in der Familie Hauser sein.

Bei seiner Arbeit beim Regionalverband kam er in vielen Sitzungen mit Bürgermeistern aus der Umgebung zusammen. Viele schienen sich für die behandelten Themen nur am Rande zu interessieren, während sie, wenn es ans Essen und Trinken ging, plötzlich aufwachten, um ja nichts zu verpassen. Hauser verachtete sie und beschloss, sich eine Gemeinde zu suchen, in der er es besser machen wollte. Er hatte feste Vorstellungen, was für eine Gemeinde er suchte. Sie sollte nicht mehr als 9000 Einwohner haben, denn er wollte mit den Bürgern leben, sie kennen lernen. Nichts schien ihm weniger erstrebenswert, als Bürgermeister einer Stadt zu sein, also nur zu verwalten ohne den direkten persönlichen Kontakt zu Jedermann pflegen zu können.

Er wollte die Vereine fördern, die er als wesentliche Hilfe für die Entwicklung eines gesunden Sozialverhaltens ansah, besonders in einer Gesellschaft, in der es immer mehr Einzelkinder und Einzelkämpfer gab. Was er übersah war, dass Dörfer die seinen Kriterien entsprachen, vorsichtig ausgedrückt in der Regel sehr konservativ waren.