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Jim Benson ist CEO bei Modus Cooperandi. Er unterstützt seine Kunden darin, nachhaltige Managementsysteme zur Zusammenarbeit zu erstellen. Dabei verbindet er die Lean-Prinzipien der Fertigung, die agilen Methoden aus der Softwareentwicklung und die neuen Möglichkeiten in der Kommunikation durch die sozialen Medien für sein Verfahren und die Werkzeuginfrastruktur. Jim hat Personal Kanban entwickelt. Er ist Gewinner des Brickell Award 2012 und ein Fellow der Lean Systems Society (LSS).

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Tonianne DeMaria Barry ist CEO bei Renaissance Consulting. Ihre Karriere als Beraterin umfasst sowohl die Modeindustrie, staatliche Stellen und gemeinnützige Verbände als auch Fortune-100-Unternehmen, Start-ups und internationale Entwicklungsgesellschaften. Sie hat mit Jim bei Modus Cooperandi in einer Reihe von Projekten zusammengearbeitet.

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Übersetzerin:

Meike Mertsch ist als Softwareentwicklerin bei it-agile GmbH in Hamburg tätig. Sie beschäftigt sich seit Längerem mit leichtgewichtigen Methoden wie Kanban und Personal Kanban sowie agilen Entwicklungs- und Testmethoden.

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Personal Kanban

Visualisierung und Planung von Aufgaben,
Projekten und Terminen mit dem Kanban-Board

Übersetzt aus dem Amerikanischen
von Meike Mertsch

Jim Benson · Tonianne DeMaria Barry

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Jim Benson
jim@moduscooperandi.com

Tonianne DeMaria Barry
tonianne@renaissance-consulting.com

Übersetzung: Meike Mertsch, Hamburg
Lektorat: Christa Preisendanz
Copy-Editing: Ursula Zimpfer, Herrenberg
Satz & Herstellung: Birgit Bäuerlein
Umschlaggestaltung: Helmut Kraus, www.exclam.de
Druck und Bindung: M.P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn

Cover-Photo: © 2009 Tonianne DeMaria Barry – Taken At: Aldie Mill, Aldie, VA
Back cover cartoon by Jim Benson using ToonDoo: http://toondoo.com
Image on page 8, »Kanban Team at Work« used with permission by Kenji Hiranabe
Base image on page 43, »Trafficjam« used with permission by Lynac –
http://www.flickr.com/photos/lynac/321100379/

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN:
Buch 978-3-89864-822-6
PDF 978-3-86491-231-3
ePub 978-3-86491-232-0

1. Auflage 2013
Translation Copyright für die deutschsprachige Ausgabe © 2013 dpunkt.verlag GmbH
Ringstraße 19 B
69115 Heidelberg

Copyright der amerikanischen Originalausgabe © 2011 by Modus Cooperandi Press Title of American original: Personal Kanban: Mapping Work\Navigating Life.
Modus Cooperandi Press, Inc., Seattle, WA 98119
ISBN: 9781453802267

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

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Widmung

Das Leben ist lang. Das Leben ist kurz. Wir machen nie etwas ganz alleine. Auch noch Jahrzehnte nachdem sie die Erde verlassen haben, inspirieren uns die folgenden Menschen bis heute. Ihre Worte und ihr Beispiel erfüllen unsere Herzen und hinterlassen zugleich eine schmerzliche Lücke. Wir widmen diese Arbeit dankbar und liebevoll ihrem Andenken.

Für Jim:

Corey Sean Smith. Er war der Erste, der mir wirklich dabei geholfen hat, meine kreative Seite zu entdecken. Er hat mir beigebracht, dass kreativer, intellektueller und geistiger Ausdruck ein und dasselbe sind. Er war immer viel mehr daran interessiert, etwas zu tun, anstatt sich Sorgen zu machen. Er ist immer an meiner Seite.

Nellie Gray Hill Benson. Sie nahm nur kurz an meinem Leben teil, aber sie war immer ein Vorbild dafür, wie Erfolg wirklich aussieht: ehrgeizig, bescheiden, unnachgiebig, anpassungsfähig. Mach das Beste aus dem, was du hast.

Für Tonianne:

Robert G. DeFelice. Seine Leidenschaft für die Geisteswissenschaften wurde nur durch seine unbändige Großzügigkeit und die Größe seines Herzens übertroffen. Er war mein lieber Onkel Drosselmeyer, der mir schon in jungen Jahren beibrachte, dass man nie zu alt für Märchen ist, dass Magie wirklich existiert und dass ziemlich sicher Engel zwischen uns wandeln.

Anthony A. DeMaria. Sein Tod war ein unbegreiflicher Verlust, aber sein Vertrauen in mich lebt ewig. Er war und bleibt mein größter Lehrer und seine Worte inspirieren mich bis heute. Seine unerschütterliche Loyalität und sein unstillbarer Wissensdurst, sein eindeutig neapolitanischer Sinn für Humor und die Würdigung für das schöne Leben sind nur ein Bruchteil seines reichlichen Vermächtnisses. Es war ein Privileg, ihn Daddy zu nennen, und eine besondere Ehre, seinen Namen tragen zu dürfen.

Personal Kanban in vier Schritten

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Kan-ban ist das japanische Wort für »Signalkarte«.

Personal Kanban ist mehr als nur Produktivität.

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Personal Kanban gibt uns einen Kontext für unsere Arbeit.
Es ermöglicht uns, über die bloße Produktivität hinauszugehen
und größere Effizienz und echte Effektivität zu erleben.

Geleitwort

Meine erste persönliche Begegnung mit Jim fand im Oktober 2011 in München statt. Als Organisator der Konferenz Lean Kanban Central Europe (LKCE) hatte ich ihn eingeladen, einen Pecha Kucha (spezieller Kurzvortrag nach genauen Regeln) zu halten. Wir überspringen hier einmal Jims recht aufregende Anreise aus Seattle, in der etliche nächtliche E-Mails, die amerikanische Flugsicherung und ein Last-Minute-Ticket eine gewisse Rolle spielen, und begeben uns direkt in den Vortragssaal: Die Konferenzteilnehmer warten gespannt auf Jims Vortrag, nachdem sie bereits andere Präsentationen zu Prozessverbesserung, Lean und dem Pull-Prinzip gehört haben. Nun beginnt Jim seinen Vortrag mit dem Titel »Things I ate in 2011«. Und der Vortrag hielt, was der Titel versprach! Es ging um viele leckere Gerichte, die Jim auf der ganzen Welt gegessen hatte. Mit wach-sender Begeisterung berichtete er von Austern, exotischen Fischen und Kartoffel-chips. Und das war’s. Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob das Ganze nicht doch eine Metapher für Projektmanagement und effektives Arbeiten war oder ob es wirklich »nur« um Essen ging. Ich war natürlich davon ausgegangen, dass Jim etwas zu Personal Kanban erzählen würde, aber vorgegeben hatte ich es ja nicht. Diese Geschichte sagt für mich viel über Jim aus: Er bricht gern Erwartungen und spielt mit Konventionen; er denkt abseits ausgetretener Pfade und verbindet Bereiche, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Arbeit ohne Spaß und Lachen ist für ihn nicht vorstellbar. Alle diese Aspekte spiegeln sich bei Personal Kanban deutlich wider. Es ist eben nicht einfach nur eine neue Zeitmanagementmethode oder ein weiteres ödes Projektmanagementwerkzeug, sondern eine praktische Hilfe, um erfolgreicher und entspannter im Berufs- und Privatleben zu sein.

Dazu passt auch genau Tonianne, die ich ein Jahr später kennenlernte: Selten trifft man einen Menschen, der so vielseitig interessiert und so energiegeladen ist wie Tonianne – und gleichzeitig den Gesprächspartnern so aufmerksam zuhört.

Wenn zwei Menschen wie Tonianne und Jim sich zusammentun, ist es nicht wirklich erstaunlich, dass etwas so Nützliches wie Personal Kanban dabei herauskommt.

Personal Kanban ist eine Methode, die durch ihre Einfachheit besticht: Durch Visualisierung der Aufgaben, Limitierung des Arbeitsaufkommens und kontinuierliche Verbesserung bei allem, was wir tun, lassen sich beeindruckende Ergebnisse erzielen. Wir können besser priorisieren, unsere begrenzte Zeit sinnvoller verwenden, unsere Ziele besser erreichen, Absprachen zuverlässiger einhalten und nicht zuletzt dafür sorgen, dass unser Privatleben bei all dem nicht zu kurz kommt.

Und Personal Kanban ist im Alltag wirklich einsetzbar. Das sehe ich nicht nur, wenn ich mir meine Küchenschränke anschaue, an denen die verschiedenen Alltagsaufgaben, die ich auf Haftnotizen geschrieben habe, brav darauf warten, bis ich sie endlich erledige. Immer öfter berichten mir auch Freunde und Kollegen davon, wie sie kleine und große Erfolge mit Personal Kanban erzielen konnten: von der Bewältigung eines stressigen Arbeitstages über die Planung und Durchführung von Meetings bis hin zur Organisation einer Hochzeit!

Dieses Buch wird allen helfen, die wieder Kontrolle über ihre Aufgaben erlangen wollen und ihr Leben (beruflich ebenso wie privat) proaktiv gestalten möchten, anstatt immer nur dem nächsten Termin hinterherzuhetzen. Und für kleinere Teams stellt Kanban eine praktikable Alternative zu rigiden Projektmanagementansätzen dar, bei denen man vor lauter Prozess die eigentliche Arbeit nicht mehr sieht.

Ich freue mich, dass dieses Buch jetzt auf Deutsch erhältlich ist, sodass Personal Kanban sich nun hoffentlich auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz immer weiter verbreiten wird. Dass Meike die Übersetzung übernommen hat, ist ein großes Glück. Denn sie ist selbst eine erfahrene Anwenderin von Personal Kanban und war mit so viel Herzblut bei der Arbeit, dass auch die deutsche Version lebendig und unterhaltsam geschrieben ist.

Dr. Arne Roock

Hamburg, November 2012

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Personal Kanban: 100% frei von Esoterik

1       Die Grundlagen von Personal Kanban

1.1     Auf dem Weg zu einem individuellen Kanban

1.2     Regeln für ein System, das keine Regeln zulässt

1.3     Die beiden Regeln des Personal Kanban

1.3.1       Regel 1: Stellen Sie Ihre Arbeit bildlich dar

1.3.2       Regel 2: Machen Sie nicht zu viel auf einmal

1.4     Warum wir Arbeit visuell darstellen sollten: Um sicher zu navigieren

1.5     Warum wir nicht so viel gleichzeitig machen sollten

1.6     Warum wir es Personal Kanban genannt haben

1.7     Warum es funktioniert

1.7.1       Verständnis

1.7.2       Kinästhetische Rückmeldung 1: Lernen

1.7.3       Kinästhetische Rückmeldung 2: Mustererkennung

1.7.4       Existenzieller Overhead

1.7.5       Erzählungen und Landkarten

1.8     Wie man dieses Buch benutzt

1.9     PKFlow-Tipps

2       Mit Personal Kanban starten

2.1     Schritt 1: Vorbereitung des Materials

2.2     Schritt 2: Ermitteln Sie den Wertstrom Ihrer Arbeit

2.3     Schritt 3: Erstellen Sie Ihr Backlog

2.4     Schritt 4: Legen Sie Ihr WIP-Limit fest

2.4.1       Flameau der Jongleur: Eine WIP-Studie

2.4.2       Flameaus Nachwirkungen: Die Bedeutung der Limitierung von WIP

2.5     Schritt 5: Beginnen Sie, sich Aufgaben zu ziehen

2.6     Schritt 6: Besinnen Sie sich

2.7     Personal Kanban für Fortgeschrittene

2.8     Was das alles bedeutet

2.9     PKFlow-Tipps

3       Mein Zeitmanagement ist mit einer Autobahn vergleichbar

3.1     Fließen wie der Verkehr

3.1.1       Möchten Sie mehr Wasser?

3.1.2       Realitätscheck

3.2     WIP-Limits setzen

3.3     Die Tage unseres Lebens leben

3.4     Klarheit beruhigt Carl

3.5     To-do-Listen: Ausgeburt des Teufels

3.6     PKFlow-Tipps

4       Der Fluss der Natur

4.1     Arbeitsfluss: Der natürliche Arbeitsfortschritt

4.2     Rhythmus: Arbeitstakt

4.3     Pufferzeiten: »Zu viele Noten« vermeiden

4.4     Pull (Ziehen), Fluss, Takt und Puffer in Aktion

4.5     Das Wissen eines Hilfskellners: Die Natur des Ziehens

4.6     Realitätscheck

4.7     PKFlow-Tipps

5       Die Bestandteile einer hohen Lebensqualität

5.1     Metakognition: Ein Heilmittel für das Allgemeinwissen

5.2     Produktivität, Effizienz und Effektivität

5.3     Definition einer guten Investition

5.4     Realitätscheck

5.5     PKFlow-Tipps

6       Unsere Prioritäten festlegen

6.1     Struktur, Klarheit und unsere Fähigkeit, Prioritäten zu setzen

6.2     Kleiner, schneller, besser: Aufgabengrößen steuern und WIP begrenzen

6.3     Prioritäten in Theorie und Praxis

6.4     Dringlichkeit & Wichtigkeit

6.4.1       Dringend und wichtig

6.4.2       Wichtig, aber nicht dringend

6.4.3       Dringend, aber nicht wichtig

6.4.4       Nicht dringend und nicht wichtig

6.5     Leben Sie Ihr eigenes Leben

6.5.1       Prioritätenfilter

6.5.2       GTD-Prioritäten

6.5.3       Aufgabentypen: Farbe und Form nutzen

6.6     Für Experten: Metriken für Personal Kanban

6.6.1       Metrik Nr. 1: Ihr Bauchgefühl

6.6.2       Metrik Nr. 2: Das Forschungslabor

6.6.3       Metrik Nr. 3: Das subjektive Wohlbefinden

6.6.4       Metrik Nr. 4: Zeit

6.6.5       Fangen Sie an zu messen

6.7     PKFlow-Tipps

7       Nach Verbesserungen streben

7.1     Klarheit übertrifft alles

7.2     Kurskorrekturen: Die Wahrheit über Änderungen von Prioritäten

7.3     Das Fundament der Selbstbeobachtung

7.4     Retrospektiven

7.5     Probleme an ihrer Wurzel packen

7.5.1       Mustervergleich als Basis zur Problemlösung

7.5.2       Fünfmal Warum

7.5.3       Die sokratische Methode

7.5.4       Realitätscheck

7.6     PKFlow-Tipps

8       Das Ende vom Lied

Anhang

A       Personal-Kanban-Entwurfsmuster

A.1     Jessicas Geschichte: Die Zukunft vorbereiten und mehrere Wertströme

A.2     Der Umgang mit sich wiederholenden Aufgaben

A.3     Große Projekte

A.4     Notfälle: Unvorhergesehene Arbeitsmengen im Zaum halten

A.5     Die Zeitkapsel

A.6     Ausgewogener Durchsatz

A.7     Personal Kanban und die Pomodoro-Technik

A.8     Personal Kanban zum Mitnehmen

B       Personal Kanban und die sozialen Medien

B.1     Facebook

B.2     Twitter

B.3     Bloggen

Danksagungen

Über die Autoren

Über Modus Cooperandi

Literatur

Index

Einleitung

Personal Kanban: 100% frei von Esoterik

Ich habe gezögert, etwas zu schreiben, das wie der Stein der Weisen der Selbstorganisation klingt oder das unnötig einfühlsam oder übermäßig harmonisch anmutet. Ich wollte eine unterhaltsame Lektüre schreiben – auf alle Fälle eine praktische –, aber sicherlich keine, die den heiligen Gral des Zeitmanagements verspricht. Sie werden hier keine leeren Versprechungen für Flüge zu astralen Ebenen finden oder gar spirituelle Erlösung erlangen, indem Sie Ihre Arbeit betrachten. Ich bin kein Selbsthilfe-Guru oder Produktivitäts-Papst. Ich möchte lediglich, dass die Menschen bewusst und sachkundig entscheiden, was sie tun.

Arbeitsleben, Privatleben und Leben in der Gemeinschaft – oft werden sie als eigenständige Aspekte behandelt, aber unser Leben und unsere Einsichten können nicht getrennt werden. Die künstliche Trennung in Arbeits- und Privatleben ist nicht nachhaltig: Sie zwingt die einzelnen Aspekte unseres Lebens um unsere Aufmerksamkeit zu ringen. Das führt zu Erwartungen und Zielen, die scheinbar im Gegensatz zueinander stehen. Wenn wir unser Leben aufteilen, bekommen die einzelnen Elemente ein ungesundes Eigenleben. Sie treiben uns von einer Aufgabe zur nächsten, um Bedürfnisse zu decken, die nur einem Teilaspekt unseres Lebens genügen.

Ein entspanntes Wochenende mit den Lieben, ein perfekt gemähter Rasen, ein vielversprechender Geschäftsplan, ein spontaner Abend in der Stadt. Familienzeit, Arbeitszeit, was wir erschaffen und was wir genießen – das alles ist unser Leben. Das ist das, was Sie und mich ausmacht. Im Idealfall finden wir einen Ausgleich zwischen unseren täglichen Aufgaben, den Dingen, für die wir uns verantwortlich fühlen (die uns aber nicht reizen), und den Tätigkeiten, die uns guttun. Das kann sich als schwierig herausstellen, denn Geld ist sowohl eine Notwendigkeit als auch eine der größten Ablenkungen.

Die meisten von uns verbringen mindestens die Hälfte der Zeit, die sie wach sind, am Arbeitsplatz. Wir messen Arbeit anhand von Zeit: abrechenbare Stunden, durch Stechuhren festgehaltene Zeiten, Überstunden. Wir beurteilen unsere Arbeitszeit nach ihrem Geldwert: Stundensatz, Projektwert, Boni. Wir nähern uns unserer Arbeit mit einer ökonomischen Haltung und bewerten sie damit: Wir arbeiten, weil wir bezahlt werden. Wenn wir keinen Einfluss auf unsere Arbeit in Form von Mitbestimmung und Kontrolle haben, wird es uns egal, was wir eigentlich tun. Und der ökonomische Blick auf die Arbeit wird der einzige Blick darauf sein. Wenn Zeit eher eine Funktion des Einkommens wird anstatt zu einem persönlichen oder beruflichen Wert, dann entfernen wir uns psychologisch und emotional von unseren Taten.

Wenn unser Ziel ein bedeutungsvolles und bewusstes Leben ist, dann werden wir einen anderen Blick darauf haben.

Als Vorgesetzter und Angestellter habe ich die Auswirkungen beobachtet, wenn Zeit gegen Geld getauscht wird, wann immer die Arbeitszeit erfasst wurde. Was zum Henker habe ich am Mittwoch gemacht? hörte man dann die Leute oft klagen. Sie waren so sehr damit beschäftigt, Arbeit fertigzustellen, dass sie dabei vergaßen, was sie tatsächlich erreicht haben. Es fehlte die Zeit, die Erfolge zu feiern oder auch nur festzustellen, dass es sie gab.

Wir sind selbst daran Schuld, wenn wir unsere Zeit gerade mal dazu nutzen, über die Runden zu kommen. Wir lassen Spaß nur abends und am Wochenende zu, planen die Zeit, die wir dazu nutzen zu leben, anstatt immer zu leben.

Erfüllung sollte nicht als Schwäche ausgelegt werden.

Das folgende Szenario ist nicht ungewöhnlich: Wir gehen zur Arbeit, haben wenig Einblick in die Arbeit unserer Kollegen und bieten ihnen umgekehrt auch kaum welche in unsere eigene Arbeit. Wir sollen arbeiten, aber verstehen selten, warum. Wir sehnen uns nach einem Sinnzusammenhang, einem Kontext – und er steht uns auch zu. Es ist ein Kommunikationsproblem, wenn wir nur gesagt bekommen, was wir tun sollen, man uns aber den Kontext verschweigt. Wir können keine sachkundigen Entscheidungen treffen oder ein hochwertiges Produkt erstellen, wenn wir nicht verstehen, warum wir etwas tun. Das Fehlen eines Kontextes führt zu Verschwendung und damit zu langen Arbeitstagen, fehlerhafter Planung und dem Unvermögen, Verabredungen außerhalb der Firma einzuhalten.

Um diese häufigen Fehler zu vermeiden, habe ich mich mit Produktivität und Zeitmanagement befasst. Ich bemerkte, dass die verschiedenen Werkzeuge durchaus nützliche Anwendungen fanden, aber ihre Umsetzung oft mühsam und kompliziert war. Die Techniken wurden selbst zu Aufgaben. Sie benötigten meine Zeit, Energie und meine Aufmerksamkeit. Einige entzogen mir meine Selbstkontrolle. Schlimmer noch: Die meisten dieser Werkzeuge waren nur für den Einsatz von Einzelpersonen bestimmt und boten wenig Möglichkeiten zur Zusammenarbeit. Diese Art Techniken eigneten sich nicht für mich. Werkzeuge sollen einem Kontrolle verleihen und uns nichts wegnehmen.

Ich wollte meine Fortschritte über meine eigene kleine Welt hinaus verfolgen und deutlich machen. Ich wollte wissen, wo und wie ich meinen Kollegen helfen konnte. Ich wollte Zusammenarbeit und Effektivität für mich und mein Team. Ich wollte eine Landkarte meiner Arbeit, die nicht nur die Aufgaben im Büro verdeutlichte, sondern alles, was für mich wichtig war. Statt mich vom Leben drängen zu lassen, wollte ich, dass es mich begleitet.

Ich wollte Personal Kanban.

Personal Kanban ist eine einfache, elegante Methode, die beachtliche Ergebnisse liefert. Personal Kanban hilft uns, uns zu organisieren, gleichzeitig aber unsere Arbeit, Ziele und Einsichten auch mit anderen zu teilen. Es ist eine visuelle Startplattform für persönliche Effektivität, spontane Zusammenarbeit und ein ganzheitliches Leben. Es erfordert wenig Wartung und wirft hohe Erträge ab. Keine Kristalle, keine Aromatherapie sind erforderlich – nur Sie, Ihre Arbeit und eine bessere Planung.

1 Die Grundlagen von Personal Kanban

Als Mensch des 21. Jahrhunderts kennen Sie sicher Folgendes:

Image Ihr Chef möchte, dass Sie den Bericht fertig schreiben.

Image Ihr Steuerberater möchte, dass Sie die Steuer einreichen.

Image Ihre Freunde wollen Sie in Ihrer Freizeit sehen.

Image Ihr Garten verlangt nach Pflege.

Image Ihre Tochter möchte, dass Sie bei Ihrer Aufführung dabei sind.

Image Ihr Vater möchte, dass Sie Ihre Mutter anrufen. Schon seit zwei Wochen.

Image Ihr Badezimmer benötigt neue Dichtungen für die Badewanne.

Image Ihr Ehepartner möchte, dass Sie Zeit mit ihm verbringen.

Sie werden von endlosen Verpflichtungen überrannt. Aufgrund der vielen Ansprüche, die an Sie gestellt werden, können Sie sich nicht mehr erinnern, ob Sie gefrühstückt haben. Und manchmal wissen Sie nicht, wie Sie die Energie aufbringen sollen, um die kommenden zwei Stunden zu überleben.

Geht das nicht besser?

Im Moment sind all Ihre Verpflichtungen noch Pläne. Es ist schwer, sie zu priorisieren und einzuschätzen. Sie benötigen einen Weg, um zu erkennen, welche Aufgaben konkret von Ihnen erwartet werden, damit Sie das Richtige zur richtigen Zeit tun und damit Klarheit in das Chaos gebracht wird. Personal Kanban stellt die Arbeit visuell dar und macht damit Ideen greifbar. Es zeigt, was noch getan werden muss, was bereits fertig ist, was spät dran ist und was gerade jetzt passiert.

Es gibt ein Prinzip aus dem Kampfsport, das unter dem Namen Shu Ha Ri bekannt ist. Es stellt den Lernzyklus dar, der mit dem Erlernen der Grundlagen beginnt. Danach hinterfragt man das Gelernte und findet schlussendlich seinen eigenen Weg. Es ist nicht unüblich, dass jemand ein Buch wie dieses liest und daraus die Erkenntnis erwartet, was er machen soll und wie, ohne jemals zu verstehen, warum überhaupt. Viele wollen einfach mit schnellen Schritten zu einem leichten Leben. Aber das Leben ist anders. Es ist veränderlich. Egal, ob wir damit rechnen oder nicht, es ändert sich ständig. Unsere Methoden müssen flexibel sein, um sich diesen Änderungen anzupassen. Daher beschreiben wir in diesem Buch nicht nur die Grundlagen von Personal Kanban, sondern auch die Prinzipien dahinter. Wir möchten, dass Sie das Warum verstehen, und nicht nur das Wie. Danach können Sie herausfinden, wie die Personal-Kanban-Praktiken in Ihr Leben passen.

1.1 Auf dem Weg zu einem individuellen Kanban

Ich habe vor mehr als zehn Jahren damit begonnen, mir darüber Gedanken zu machen, wie man anstehende Arbeit veranschaulichen kann, um mich und mein Team zu verbessern. Zwischen 2000 und 2008 führte ich zusammen mit meinem Partner William Rowden eine Softwareentwicklungsfirma namens Gray Hill Solutions. Gray Hill produzierte Software für Regierungsstellen, bei der Zusammenarbeit im Vordergrund stand, vor allem im Bereich intelligenter Transport-systeme. Damals experimentierte ich zum ersten Mal mit verschiedenen Mitteln zur Darstellung von Arbeit: To-do-Listen, Mindmaps und Concept-Maps. Alle halfen unserem Team zu einem gewissen Grad, die Arbeit zu verdeutlichen, aber alle hatten auch Nachteile. Sie wurden schnell unübersichtlich, zeigten nicht, was dringlich war, und waren verwirrend, wenn zwei Teams ad hoc an einer Sache arbeiten wollten.

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Von allem, was wir bei Gray Hill ausprobierten, schienen To-do-Listen auf raumhohen Whiteboards am schlechtesten zu funktionieren. Sie erdrückten und entmutigten uns, anstatt uns zu motivieren. Im Grunde zeigten sie uns nur, wie viel Arbeit wir noch vor uns hatten. Zuerst dachten wir, dass nur das Medium eine schlechte Wahl war, und probierten Datenbanken, Managementsysteme und sogar Microsoft Outlook aus. Aber die Ergebnisse waren immer die gleichen: Die Listen zeigten uns keinen Kontext, ließen sich nicht vernünftig umgestalten oder umpriorisieren und versteckten vorrangige Arbeit zwischen vielen Aufgaben, die nur geringen Nutzen brachten.

Was wir brauchten, war ein dynamisches System, das uns beim Priorisieren half und uns zeigte, woran wir gerade arbeiteten. Also probierten wir eine gemeinsame Mindmap für mehrere große Projekte aus, die wir gleichzeitig betreuten. Während unserer täglichen 15-minütigen Standups1 gelang es uns, jeweils die anstehenden Aufgaben aller Projekte zu verwalten, daraus Aufgaben zur Bearbeitung zu ziehen und nicht alles gleichzeitig anzufangen.

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Die Mindmap beeinflusste die Mitarbeiter von Gray Hill positiv. Zum ersten Mal hatte unser geografisch verteiltes Team einen ständigen und ziemlich umfassenden Überblick der Geschehnisse. Zwar stellte die Mindmap eine starke Verbesserung gegenüber den To-do-Listen dar, sie war jedoch noch nicht perfekt geeignet. Sie half uns nicht beim Abschließen der Aufgaben oder zur Unterscheidung von Aufgaben, die von verschiedenen Leuten bearbeitet wurden. Das größte Manko der Mindmap bestand aber darin, dass die übermittelte Information nicht klar ersichtlich war. Mit Schriftgröße 8 auf winzigen Zweigen war die aktuelle Situation nicht auf einen Blick zu erfassen. Zum Verwalten des Projekts war die Mindmap nicht schlecht, sie war aber noch nicht der Informationsverteiler, den wir suchten.

Springen wir ins Jahr 2008. Corey Ladas, David Anderson und ich haben Modus Cooperandi gegründet. In der Firma dreht sich alles um kollaboratives Management. Zu dieser Zeit haben wir alle bereits Kanban-basierte Managementsysteme für die Softwareentwicklung genutzt: David und Corey sowohl bei Microsoft als auch bei Corbis und ich bei Gray Hill2. Wir schrieben die aktuellen Arbeiten unseres Entwicklungsteams auf Haftnotizen, die einen Wertstrom entlang wanderten – eine grafische Darstellung der Schritte im Softwareentwicklungsprozess. Das System war sowohl einfach als auch effektiv.

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Mit Kanban konnten wir unsere Softwareentwicklung viel besser organisieren als mit allem, was wir vorher genutzt hatten. Der Fokus auf Teamarbeit erhöhte die Produktivität und Effektivität enorm. Aber wir übersahen ein wichtiges Element – die einzelnen Teammitglieder. Wir verstanden immer noch nicht, wie die Prozesse unsere Arbeit beeinflussten.

Bei Modus steckten Corey und ich unsere Köpfe zusammen und erstellten ein Personal Kanban, um die Arbeit des Teams darzustellen und zu verwalten. Unser Board war speziell als Informationsverteiler entworfen: Wir wollten den Fluss unserer Arbeit zeigen (sogar aus der Ferne), nicht zu viel gleichzeitig machen und alle Aufgaben erfassen, nicht nur diejenigen, die direkt mit der Softwareentwicklung zusammenhingen.

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Wir achteten sehr auf die einzelnen Bestandteile des Boards. In unseren wöchent-lichen Retrospektiven diskutierten wir, was funktionierte und was nicht wie erwartet lief. Wir experimentierten mit verschiedenen Aufbauten, um herauszufinden, wie dieses neue Werkzeug am meisten für den Einzelnen brachte und wann es die besten Ergebnisse für das Team lieferte.

Eins war sicher: Vor unserem Board erlebten wir die stärkste Fokussierung, Enthusiasmus und die beste Zusammenarbeit. Zum ersten Mal konnten wir unsere Arbeit darstellen und sie beeinflussen – da wir die Zusammenhänge und Kontexte erkennen konnten. Neben der Prüfung unserer Produktivität unterstützte unser Board umfassende, enthusiastische und aufschlussreiche Diskussionen. Es brachte uns viel weiter als unsere täglichen Ziele und zeigte uns neue Möglichkeiten auf.

Einige grundlegende Annahmen der Lean-Manufactoring-Modelle bildeten unsere Basis3. Wir stellten Arbeit bildlich dar, begrenzten unseren Work in Progress (WIP, dt.: angefangene Arbeit), verschoben Entscheidungen auf den letzten verantwortbaren Termin und kümmerten uns ständig um Verbesserungen. Wir erfuhren, dass der Schlüssel zur Kontrolle unserer Arbeit das Verständnis über sie ist.

In einem Fertigungsbetrieb stellt Kanban für Organisationen dar, auf welche Weise Wert geschaffen wird. Normalerweise geschieht das, um Verschwendung zu vermeiden und eine Standardisierung zu erreichen. Für Unternehmen, in denen Wissensarbeit vorherrscht, ist es schwierig, an dieser Regel festzuhalten. Wissensarbeit kämpft verbittert gegen Standardisierung4.

Es bedurfte einer weiteren Veränderung und verschiedener Einsichten, um diese Hürden zu überwinden.

Mitte 2009 nahm sich Corey ein Sabbatjahr. Etwa zur gleichen Zeit wurde mir eine langfristige Beschäftigung in Washington D.C. angeboten. David hatte Modus schon 2008 verlassen, um seine eigene Firma zu gründen. Es schien also sinnvoll zu sein, das Büro aufzulösen, das nach zehn Jahren und zwei Firmen mit Akten, Möbeln und Arbeitsprodukten vollgestopft war.