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Inhaltsverzeichnis






















Kapitel 1

Lehesu schwamm durch das endlose offene Meer.

Für einen jungen Erwachsenen war er groß, obwohl die Ältesten seiner Rasse mindestens doppelt so lang und schwer waren wie er. Ein Beobachter zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort hätte sofort seine Ähnlichkeit mit einem Riesenmanta bemerkt – er war breit und stromlinienförmig, hatte mächtige Schwingen und wirkte irgendwie unheimlich, aber nicht auf unangenehme Weise. Sein glänzender Rücken war dicht mit kräftigen Muskeln bepackt.

Andere hätten sich vielleicht an eine Feuerqualle erinnert gefühlt, wenn sie die unzähligen Tentakel gesehen hätten, die von seiner Bauchseite herunterhingen, oder sie hätten die klare Transparenz seines Körpers bewundert, die in unterschiedlichen Abständen in hellen Farben aufleuchtete.

Ja, natürlich waren solche Vergleiche irreführend. Lehesu stammte aus einem Volk, das sich selbst als Oswaft bezeichnete. Im Gegensatz zu einem Rochen oder einer Qualle war er scharfsinnig und intelligent, und anders als die meisten anderen seiner Spezies wurde er von einer unstillbaren Neugierde getrieben.

Er war an einem Ort zu Hause, den die Oswaft Thon Boka nannten. Dies war ein Wort, das in ihrer Sprache mit Bildern von einem sicheren Hafen inmitten der stürmischen See verbunden war. Es war ein Ort des Friedens und der Freiheit, eine Zufluchtstätte.

Viele der Oswaft, vor allem seine Familie und Freunde, hatten ihn gewarnt und ihm versichert, daß er es bereuen würde, außerhalb des Thon Boka in den dunklen Gewässern der offenen See nach Abenteuern zu suchen. Ein paar von ihnen hatten sogar darüber spekuliert, welche Gefahren ihm drohten, was er finden und was ihn dort erwarten würde – außer einem langsamen, qualvollen Tod. Trotz ihrer Intelligenz waren die Oswaft nicht besonders phantasievoll, vor allem dann, wenn das Gespräch auf das Thema Tod kam. Sie waren ein langlebiges Volk und sahen der Zukunft mit Gelassenheit, wenn nicht Fatalismus entgegen.

Andere hatten gar nicht erst versucht, ihn zurückzuhalten. Sie betrachteten Lehesu selbst als ein Ärgernis und eine Gefahr, als ein Wesen, dessen Anwesenheit allein störend in der schützenden Wärme des Thon Boka wirkte, als Omen für die dunkle Kälte, die außerhalb ihres Lebensraums herrschte. Für sie war es ebenso undenkbar, ihn fortzujagen, wie ihn davon abzuhalten, sich selbst seinem unbegreiflichen Forscherdrang zu opfern.

Im Augenblick wünschte er sich, er hätte auf irgendeinen von ihnen gehört. Das Meer ließ ihn langsam verhungern.

Unbewußt schlug er mit seinen mächtigen Rochenschwingen, um sich zu beruhigen. Es war eine ehrfurchtgebietende, majestätische Geste – wenn sie jemand gesehen hatte –, und die für seine Rasse so etwas wie ein ruhiger und überlegter Atemzug war. Und sie hatte die gleiche Wirkung: Sie half ihm überhaupt nicht. Sie erinnerte Lehesu lediglich daran, daß er allen Grund hatte, sich Sorgen zu machen.

Er hatte keine Angst. Trotz ihrer Scheu waren die Oswaft nicht ängstlich, und Panik war ihnen vollkommen unbekannt. Sie waren einfach nicht neugierig. Sie klebten an ihren alten, ehrwürdigen, bewährten, festgefügten, vernünftigen und geliebten Traditionen. Und diese Genügsamkeit war auch notwendig, dachte Lehesu, damit sie in der stickigen Enge ihres Lebensraums überhaupt überleben konnten. Ja, manchmal akzeptierten sie auch Neuerungen, denn sie waren ja keine Wilden. Aber das passierte äußerst selten, einmal in ein paar Generationen. Die Kultur der Oswaft war keineswegs unbeweglich: Sie war nur unerträglich langweilig.

Lehesu dagegen war ein durch und durch neugieriger Charakter – oder eine absolut unbrauchbare Mutation. Die Schlußfolgerung hing ganz davon ab, ob man Lehesu oder ein anderes Individuum seiner Spezies nach seiner Meinung fragte. Sein Wunsch zu erfahren, welche Wunder sich wohl hinter den engen Grenzen des Thon Boka verbergen mochten, wurde von niemandem geteilt. Er konnte den unwiderstehlichen Drang, der ihn ins offene Meer zog, niemandem erklären – niemandem seines Alters, keinesfalls den Alten, nein, nicht einmal den Jungen.

Nun, vielleicht würde er eines Tages selbst Junge haben. Und wenn Neugier vererblich war, dann würden sie ihn vielleicht verstehen und denselben Drang verspüren. Er kicherte in sich hinein: Eine Partnerin zu finden, die ihn akzeptierte, würde ganz bestimmt ein Problem für ihn darstellen.

Aber vielleicht auch nicht. Es war höchst unwahrscheinlich, daß er seine Reise durch diese unendliche Wüste überleben würde. Jede Faser seines großen und eleganten Körpers schmerzte vor Hunger. Es kam ihm vor, als würde er schon eine Ewigkeit durch diese Gewässer kreuzen, ohne ein einziges Nahrungsmolekül zu sich genommen zu haben. Und für eine Rückkehr war es viel zu spät. Er hob noch einmal seine gigantischen Schwingen und spürte, wie schwach sie bereits geworden waren.

Lehesu hatte noch nie das Wort Neugier gehört, aber er konnte sich vorstellen, wie und warum man durch dieses Gefühl umkommen konnte. Trotzdem konnte er nicht bereuen, was er getan hatte. Vielleicht würde ihn seine Neugier töten, aber das war immer noch besser, als vor Langeweile zu sterben.

Vielleicht.

Lehesu schätzte, daß er höchstens noch ein paar Stunden bis zu seinem letzten Schwingenschlag vor sich hatte. Sein Volk ernährte sich pausenlos und automatisch, während es sich durch seinen Lebensraum bewegte, fast ohne es zu bemerken. Sein riesiger Körper konnte nur wenig Nahrung speichern. Aber während ihm immer deutlicher und schmerzhafter bewußt wurde, wie schwach er geworden war, überlegte er sich, daß er wenigstens im offenen Meer sterben würde, weit weg von all den –

Aber halt! Wer war das? Da war ein anderes Wesen inmitten dieser Wüste! Tief unter ihm schwamm etwas, das vor Leben und Kraft pulsierte. Er richtete seine Sensoren so tief in den Raum, wie er nur konnte. Und er konnte fühlen, wie unglaublich klein es war, und welche Stärke es trotzdem ausstrahlte – und das bedeutete, daß es dort irgendwo Nahrung geben mußte.

Dann tat er wieder etwas völlig Uncharakteristisches, etwas, das kein Oswaft außer ihm getan hätte: Er tauchte nach dem Objekt. Lehesu war kein Raubtier, und er war auch kein Pflanzenfresser. Unter diesen Umständen waren solche Unterscheidungen für ihn bedeutungslos. Es war eine feste Angewohnheit der Oswaft, alles Eßbare aufzunehmen und sich um alles andere nicht zu kümmern. Sie kannten keine intelligente Spezies außer sich selbst, und so hatten sie die gesamte Schöpfung auf ihre Speisekarte gesetzt.

Aber er konnte nachsehen, was das Ding zu essen gefunden hatte. Er war sich im klaren darüber, daß es auch nach ihm jagen konnte und daß er nur noch wenig Kraft hätte, falls es zu einem Kampf kam. Außerdem war er kein Kämpfer. Er hatte keine Wahl: Er hatte noch weniger Hoffnung als Kraft.

Tiefer und tiefer tauchte er. Ja, da war es, kleiner als ein Zehntel seines Umfangs, und doch fühlte er, daß es erheblich stärker war als er selbst. Und besser gepanzert, fast wie die kleinen Schalenwesen, die in den ruhigeren Gewässern des Thon Boka trieben.

Sie waren lecker.

Als er sich dem Ding näherte, konnte er erkennen, daß es ihm irgendwie ähnlich sah. Wenn er von der Bewegungsrichtung ausging, war es eher breit als lang und ein bißchen runder als er. Wie bei Lehesu ragten zwei schwer zu beschreibende Auswüchse aus seiner Vorderseite. Es war aber fraglich, ob es sich dabei wie bei ihm um Sensoren handelte.

Lehesus Sinne konnten auch massive Objekte durchdringen. Er konnte »sehen«, daß das Wesen keine Greiforgane an seiner Unterseite hatte. Er dagegen besaß Hunderte davon. Und doch schien es, als könnte es seine Unterseite öffnen: Vielleicht hatte es seine Tentakel in seinem Bauch versteckt. Er kannte Organismen, die –

Erschrocken zuckte Lehesu zusammen! Er war jetzt nah genug heran gekommen, um einen prinzipiellen Unterschied zwischen sich und dem ... dem Ding festzustellen. Es war vollkommen undurchsichtig, wie eine Leiche! Die Oswaft wurden undurchsichtig, wenn sie starben, und sie blieben sichtbar, bis sie zu Staub zerfielen, der die Grundlage allen Lebens bildete. Aber dieses Wesen sah aus wie ein totes Ding, und trotzdem bewegte es sich, ruhig und elegant. Manche seiner Rasse behaupteten, daß ... Aber Lehesu war nicht abergläubisch. Mit einem innerlichen Achselzucken verwarf er diesen idiotischen Einfall. Fast ganz.

Eine weitere, weniger heftige Überraschung erwartete ihn. Als er noch näher herankam – und jeder andere Oswaft hätte in diesem Augenblick gewußt, daß Lehesu zweifellos verrückt war –, fühlte er, daß das Ding ihm etwas sagen wollte. Das Thon Boka war riesig, und sein Volk war groß, aber nicht so weit verstreut oder zahlreich, daß es verschiedene Dialekte entwickelt hätte. Innerhalb ihrer Grenzen waren die Oswaft zu schnell, und ihre Sensoren reichten zu weit. Und sie konnten sich über Entfernungen hinweg unterhalten, die vielen anderen Rassen unmöglich erschienen wären.

Und so spürte er zum erstenmal in seinem Leben den Kitzel einer Nachricht, ohne ihn zu verstehen. Er sandte ein paar gute Wünsche aus und wartete. Seine eigene Botschaft wurde zurückgeschickt. Er wiederholte den ersten Gruß, den ihm das kleine Schalenwesen geschickt hatte.

Beide wußten jetzt, daß der andere ein intelligenter Organismus war. Soweit war die Kommunikation hergestellt. Das Schalenwesen begann zu zählen – das war dumm, dachte Lehesu; wenn es intelligent war, dann war es selbstverständlich, daß es zählen konnte. Er überlegte angestrengt und sandte dann eine Bildbotschaft aus, die visuelle Eindrücke statt Ideen übermittelte. Weil ihm kein besseres Bild einfiel, übermittelte er das Bild des kleinen undurchsichtigen Wesens vor ihm.

Eine lange Pause folgte. Lehesu verspürte für einen kurzen Moment Schadenfreude, weil er es diesmal überrascht hatte. Dann erhielt er eine Bildbotschaft, die ihn selbst zeigte. Fein! Jetzt konnte er versuchen, seine verzweifelte Situation darzustellen, und vielleicht würde es ihm helfen. Wenn es keine andere Möglichkeit gab, dann konnte es ihn wenigstens in nahrhaftere Gewässer ziehen.

Er sprach ein Bild von sich selbst und veränderte es langsam, bis es zeigte, wie er immer schwächer und langsam undurchsichtig wurde. Schließlich, nur der Vollständigkeit halber, stellte er sich vor, wie er sich auflöste und seine molekularen Bestandteile davontrieben. Es war eine unangenehme Vorstellung, aber sie war notwendig.

Dann begann er wieder mit seinem augenblicklichen Bild. Aber diesmal sättigte er sich mit dem, was in den Gewässern des Thon Boka herumschwamm. Er schilderte, wie er stärker, gesünder, kräftiger und durchsichtiger wurde. Er zeigte, wie er wuchs und älter wurde. Aus irgendeinem Grund gefiel ihm diese Darstellung noch weniger als die Vorstellung zu sterben, obwohl er nicht sagen konnte, ob das durch den Gedanken an ein reiches Festmahl verursacht wurde, während er gerade verhungerte, oder ob es allein die Idee war, so zu werden wie seine trägen Vorfahren.

Jedenfalls hing das Wesen lange reglos vor ihm in der Leere, ohne ihm zu antworten. Während er wartete, betrachtete Lehesu es genau. Unzählige Punkte glühten auf seiner Außenfläche, fast wie die Pigmente einer Lebensform, die auch im Thon Boka lebte. Einer dieser Punkte, ein großer runder Fleck an der Vorderseite, zeigte seltsame, sich immer wieder ändernde Muster. Und die ganze Zeit über pulsierte das Wesen vor Kraft. Es hatte in seiner Bewegung innegehalten, als das Gespräch begonnen hatte. Es rührte sich jetzt immer noch nicht, obwohl es unruhig wirkte, so als wollte es seine Reise so bald wie möglich fortsetzen.

Schließlich schickte es ihm ein Bild zurück. Er wurde davon überrascht, denn seine Gedanken waren abgeschweift – ein weiteres Anzeichen dafür, daß er bald sterben würde. Er hatte sich die Sterne angeschaut, hatte sich gefragt, was sie wohl waren, wie weit sie entfernt waren und ob er, falls er überleben würde, sie erreichen könnte, wie er auch das offene Meer erreicht hatte.

Das Schalenwesen fragte ihn, ob er das essen wolle. Dann sprach es Bilder von allen nur vorstellbaren leckeren Nährstoffen, von dem einfachen nahrhaften Nebel, der durch das Thon Boka trieb und von den Oswaft ununterbrochen und fast unbewußt aufgenommen wurde, bis zu den saftigsten und kompliziertesten kulinarischen Leckereien. Aber diese Bilder waren mit merkwürdigen Dingen vermischt, die er noch nie gesehen hatte – und mit ekligem Müll.

Erregt bestätigte er jedesmal, wenn die Bilder richtig waren und schwieg dann, wenn sie ihm nicht gefielen. Er und das Wesen hatten keine Zeit gehabt, sich über die Symbole für »ja« und »nein« zu einigen. Er fragte sich, was das Ding wohl vorhatte. Würde es ihn zu dieser ansprechenden Tafel führen? Wäre er stark genug, um ihm zu folgen? Oder machte es sich nur über ihn lustig?

Eigentlich war es ihm gleichgültig. Er hatte sowieso nur noch ein paar Minuten zu leben.

Plötzlich erschrak er. Der Bauch des Wesens teilte sich, und alles, was es ihm gezeigt hatte, floß aus ihm heraus. Es füllte die Strömung um sie herum und bildete einen fast undurchdringlichen Nebel. Mit lauten Freudenschreien jagte und tauchte Lehesu durch den Nebel und pflügte bereits Spuren durch sein Mahl. Das Wesen stand daneben, beobachtend, schweigend, ohne etwas zu tun.

Er kam immer näher an das Ding heran. Es war nicht glatt, sondern beulig und rauh. Nur kleine Teile der Oberfläche waren durchsichtig, und seine Sensoren, die durch diese Teile in das Innere drangen, erspürten dort nichts als Dunkelheit.

Aber im Augenblick war Lehesu zufrieden. Er speiste, vielleicht so gut wie noch nie in seinem ganzen Leben. Immer näher kam er dem Wesen, aber er hatte keine Angst vor ihm. Seine Sinne betasteten eine Stelle, die ihm einiges hätte verraten können. Aber die Oswaft kannten keine Schrift, denn sie hatten nie eine gebraucht. Es war eine Platte, ein Schild, das mit Nieten an der Haut des Dinges befestigt war. In diese Platte waren fünf Worte eingraviert, die ihn höchstwahrscheinlich verängstigt hätten, denn das hier war überhaupt kein lebendiges Wesen.

Auf dem Schild stand:

MILLENNIUM FALCON

Lando Calrissian, Capt.

Lehesu der Oswaft, der Schwimmer aus dem Sternenloch, graste und schwamm durch die Strömung um die Falcon herum, sang seinen Dank in jeder Sekunde, mit den natürlichen Radiowellen, die im Sprachzentrum seines mächtigen Gehirns erzeugt wurden.

Das Formaldehyd war köstlich!

Kapitel 2

Lando Calrissian, Spieler, Rauhbein, Draufgänger – und Wohltäter?

Es klang sogar für seine eigenen Ohren ziemlich seltsam. Aber trotzdem wollten es die Umstände, daß die Millennium Falcon sich ein paar Monate nach ihrer ersten Begegnung mit diesem erstaunlichen raumatmenden Wesen, Lehesu dem Oswaft, auf dem langweiligen und schier endlosen Weg durch den interstellaren Raum zum Thon Boka befand, was in menschlicher Sprache ungefähr so etwas wie Sternenhöhle bedeutet.

Lehesus Volk war in Schwierigkeiten: Lando brachte Hilfe.

Er war die Hilfe, und er war wütend. Seine Wut hatte eigentlich nichts mit Lehesu, den Oswaft oder dem Thon Boka zu tun. Sie bezog sich eher auf seinen gebrochenen Arm, den er im Augenblick pflegte. Die Behandlung war nicht so schmerzhaft und langwierig, wie sie an einem anderen Ort und zu anderer Zeit gewesen wäre. Er trug einen komplizierten Leichtgewichtverband, der aus einer Reihe von elektrischen Leitern bestand. Sie schufen ein elektrisches Feld, das seinen gebrochenen Oberarmknochen in zwei oder drei Tagen wieder ordentlich zusammenfügen würde. Aber trotzdem war der Verband unbequem und hinderlich, vor allem im freien Fall. Und Lando hielt immer mehr vom freien Fall. Er braucht ihn zum Nachdenken.

Wenn er die Schwerkraft auf dem Deck abschaltete, konnte er in der Mitte des Raumes auf einem dünnen Luftkissen sitzen – nicht nur in der Mitte zwischen den Wänden, sondern auch zwischen Boden und Decke –, und über alles nachdenken. Aber der Verband war ihm immer im Weg.

Lando hatte außerdem ein blaues Auge und einen gebrochenen Zeh. Aber im Vergleich zu dem, was sonst noch passiert war, waren das unwesentliche Schäden. Er schnippte die Asche einer teuren Zigarre in einen Vakuumaschenbecher, der neben ihm schwebte, und sprach in die Richtung eines Intercoms, das irgendwo unter ihm in einen Tisch eingelassen war.

»Vuffi Raa, wie ist unsere ETA?«

Das Gerät antwortete ihm mit einer weichen, höflichen Stimme, die genauso mechanischen Ursprungs war wie das Gerät selbst, aber das trotzdem einen leicht amüsierten Tonfall hatte.

»Sechsundsiebzig Stunden, Meister. Das ist die neue Berechnung. Diese Region hier ist so sauber, daß wir seit meiner letzten Schätzung schon wieder vier Stunden gewonnen haben. Ich möchte mich für meine vorherige Unexaktheit entschuldigen.«

Unexaktheit! dachte Lando. Das verdammte Ding drückt sich besser aus als ich. Dabei dachte ich immer, ich wäre der Pressesprecher an Bord!

Die Geschwindigkeit der Millennium Falcon, ein Vielfaches der Lichtgeschwindigkeit, wurde nur durch die Dichte des interstellaren Raumes begrenzt, durch den sie sich bewegte. Raum besteht eigentlich nur aus Leere, aber fast immer finden sich pro Kubikkilometer ein paar Gasmoleküle, manchmal sogar in erstaunlich komplexer chemischer Zusammensetzung. Alle modernen Sternenschiffe waren mit einem elektromagnetischen Schild ausgerüstet, das verhindern sollte, daß es durch die Reibung der galaxieweiten hyperdünnen Atmosphäre zu einem Häufchen Asche verbrannte. Aber der Widerstand des Gases wirkte sich auf die Geschwindigkeit der Schiffe aus, so daß sie fast nie ihre Höchstgeschwindigkeit erreichten.

Der Sektor, in dem sich die Falcon bewegte, schien eine Ausnahme zu sein. Da die normale molekulare Reibung fehlte, schlug die Falcon sogar ihre eigenen legendären Rekorde.

Der Captain dachte darüber nach und sprach dann wieder ins Intercom. »Flieg lieber ein paar Megaknoten langsamer. Ich brauche noch etwas mehr Zeit, bis dieses idiotische Ding von meinem Arm abfällt. Und du hast auch noch eine oder zwei Beulen, die ausheilen müssen. Und Vuffi Raa?«

»Ja, Meister?« kam die fröhliche Antwort. Lando konnte das Klack-klack-klack hören, als seine Anweisungen in den Schiffscomputer eingegeben wurden. Das Gefährt wurde langsamer, aber wegen der Trägheitsdämpfung spürte man das nicht an Bord.

»Nenn mich nicht Meister!«

Das hatte er gesagt, ohne darüber nachzudenken. Er hatte es schon lange aufgegeben, sich zu fragen, warum der Roboter ihm in diesem Punkt ständig ungehorsam war. Im Grunde machte sich Lando Sorgen um seinen kleinen Freund, und nicht nur, weil Vuffi Raa ein so ausgezeichneter Pilotdroid war, wenigstens nicht ausschließlich. Diese sporadischen überraschenden Angriffe, denen sie ausgesetzt waren, waren zu einer ernsten Angelegenheit geworden, auch wenn sie anfangs nur eine unangenehme Belästigung dargestellt hatten. Und zu Landos großer Überraschung half es ihm überhaupt nichts, daß er jetzt wußte, warum sie angegriffen wurden.

Mißmutig betrachtete der Spieler seinen Fuß, wo ein weiterer, kleinerer Verband Energie in seine Knochen pumpte. Irgendwie war das der Tropfen gewesen, der das Faß zum Überlaufen gebracht hatte – neben dem blauen Auge. Er konnte jetzt verstehen, daß man seine Feinde umbringen wollte. Darum ging es ja schließlich bei dieser Vendetta. Aber es Millimeter für Millimeter zu tun, mit einer Abschürfung hier, einem blauen Fleck dort? Heimtückisch, dachte Lando – wenn es nicht einfach Ungeschicklichkeit war. Irgendwie machten sich seine Feinde die Tatsache zunutze, daß ein Mann, der mit bloßen Händen eine wilde mannsgroße Bestie besiegen kann, manchmal in Panik gerät, wenn ein winziges, stechendes Insekt vor seinem Ohr herumsummt.

Nun, sagte sich der Spieler, dafür starte ich jetzt schließlich diese sogenannte Rettungsmission. Ich werde diesem kindischen Unsinn ein Ende machen, auf die eine oder andere Weise, ein für allemal.

Sicher, es war ein riskantes Spiel; die Wetten standen gegen ihn, so hoch wie überhaupt nur möglich. Aber vor und neben allen anderen Eigenschaften war Lando Calrissian – wenigstens beteuerte er sich das immer wieder – ein Kerl, der alles und jedes auf eine einzige Karte setzen konnte.

Damit hatte er sich diese Suppe schließlich auch eingebrockt.

Es schien so, als hätte vor langer Zeit ein talentierter, aber leider vollkommen perspektivloser junger selbstbewußter Glücksritter ein Sternenschiff gewonnen – in Wirklichkeit ein kleines umgebautes Schmuggel- und Frachtschiff –, und zwar in einem Spiel mit achtundsiebzig Karten, das Sabacc genannt wurde. Wenig später hatte er auf ähnliche Weise, und eigentlich ohne jede Absicht, einen ganz speziellen Roboter erworben. Zusammen hatten Mensch und Maschine eine Reihe von Abenteuern erlebt, von denen einige mehr und andere weniger einträglich gewesen waren. Dabei hatten sie sich eine größere Anzahl von Feinden gemacht. Unter diesen war ein selbsternannter Zauberer, der vorhatte, sich zum Herrscher der Galaxie aufzuschwingen und bei seinem Gipfelsturm über Lando gestolpert war. Zweimal.

Der Kerl hatte sich darüber natürlich geärgert. Er hatte Lando für seine eigene Ungeschicklichkeit und sein Pech verantwortlich gemacht und diesen Rachefeldzug gestartet. Bis jetzt war ihre Feindschaft allerdings vollkommen einseitig geblieben. Lando wollte nichts als seine Ruhe. Er hatte versucht, dem Hexer auf verschiedene Weisen zu erklären, daß es ihm egal war, wer das Universum regierte – er würde die Gesetze, die ihm nicht paßten, übertreten, gleichgültig, wer dafür verantwortlich war –, und daß der Zauberer seinetwegen soviel Ruhm und Macht zusammenraffen sollte, wie er nur konnte. Aber unglücklicherweise war er mit diesen versöhnlichen Worten, so vernünftig sie auch waren, auf vollkommen taube Ohren gestoßen.

Nur um die Sache noch ein bißchen spannender zu machen, hatte sich Vuffi Raa seine eigenen Feinde geschaffen, obwohl er es gar nicht bemerkt hatte. Sein vorheriger Besitzer, der bei Glücksspielen leider äußerst wenig Talent bewiesen hatte, war ein hochbegabter Regierungsangestellter gewesen, und zwar in der Spionageabteilung. Dieser Bursche, der sich als reisender Anthropologe ausgab, hatte den kleinen Roboter mißbraucht, um eine neuentdeckte systemweite Zivilisation zu untergraben. Er tat das so gründlich, daß in der Folge zwei Drittel der Systembevölkerung ums Leben kamen. Das übriggebliebene und verständlicherweise verärgerte letzte Drittel hatte sich ewige Rache an dem Droiden geschworen und auch sofort mit allem Enthusiasmus begonnen, diesen Schwur in die Tat umzusetzen.

Alle Versuche einer gütlichen Einigung waren, ähnlich wie in Landos Fall, ergebnislos und beinahe tödlich verlaufen. Manche Menschen wollen einfach nicht hören.

Nun, so spielt das Leben eben, dachte Lando, während er in dem Raum herumschwebte, der einmal als Passagierlounge gedacht gewesen war. Sie benutzten ihn normalerweise als Wohnzimmer; im Augenblick diente er als Landos Denkstübchen, und die Gedanken, die ihm im Kopf umgingen, waren ziemlich zynisch. Er zog noch einmal an seiner Zigarre.

Die Schwierigkeit, wenn zwei Partner zwei verschiedene Todfeinde haben, ist, daß die besagten Feinde manchmal nicht genau genug unterscheiden. Vor allem dann nicht, wenn sie Sprenggranaten benützen. Der arme Vuffi Raa war durch einen Mörder im Sold des Zauberers auf ihrem letzten Landehafen schwer verbeult worden. Der Idiot hatte alles gestanden, bevor er starb; aufgeregt wie ein Anfänger hatte er den Abzug statt der Granate auf sie geworfen. Die Wunden des Roboters würden langsam von selbst verheilen. Sein Selbstreparaturmechanismus arbeitete ausgezeichnet.

Bei einer anderen Gelegenheit war Lando über ein Glas in eine Tonne mit Vitaminpaste gestoßen worden, die er eigentlich für diese Reise erwerben wollte. Er hatte sich dabei einen Arm und eine Zehe gebrochen und ein blaues Auge geholt. Am meisten schmerzte ihn allerdings, daß er sich dabei seine zweitbeste halboffizielle Captain-Uniform ruiniert hatte. Er war überzeugt, daß Vuffi Raas Feinde dafür verantwortlich waren. Es war ganz ihr Stil. Tollpatschig.

Nicht einmal die Millennium Falcon war tabu. Sie hatte sogar das meiste einstecken müssen. Man hatte ihr Bomben eingepflanzt (von denen zwei tatsächlich explodiert waren), und in den letzten Monaten hatte sie mehrere kleine Raumgefechte durchstehen müssen. Ein Jagdpilot hatte sie sogar absichtlich gerammt und ihre Einstiegsrampe eingedrückt. Sie hatte dabei ihre Triebwerke überstrapaziert, um sie so schnell wie möglich von einem Ort an den anderen zu transportieren. Ihr Vierfachgeschütz hatte, unter Landos fähiger Steuerung, ein Piratenschiff verjagt, das wahrscheinlich überhaupt nichts mit der ganzen Racheaktion zu tun hatte. Die Piraten hatten, als sie merkten, mit welcher Gewalt der Captain sie angriff, erschrocken den Rückzug angetreten; keine schlechte Leistung für den alten Frachter.

Mit Piraten konnten sie fertig werden. Die Falcon war wesentlich schneller, als man vermutet hätte, und auch erstaunlich gut bewaffnet; er und der Droid waren scharfe Piloten, vor allem, seitdem der Roboter Lando alles beigebracht hatte, was er selbst wußte. Lando sagte sich immer wieder, daß sie mit dieser Sache in der Sternenhöhle auch ihre übrigen Schulden begleichen würden. Er hatte es gründlich satt, sich von irgendwem Knüppel zwischen die Beine werfen zu lassen.

Er zupfte vorsichtig an dem Schlauch des Vakuumaschenbechers, trieb zur Loungedecke hinauf und stieß sich von ihr wieder ab, so daß er auf dem Boden landete. Er schaltete die Gravitation ein und stampfte sich nach vorne und Steuerbord durch den gekrümmten Hauptgang der Falcon zum Cockpit, das in einer seltsamen rohrartigen Konstruktion am Bug des Schiffes untergebracht war.

Im linken Pilotensitz hockte eine mindestens ebenso seltsame Konstruktion. Es handelte sich um einen fünfarmigen, chrombeschichteten Seestern, in dessen Mitte ein einzelnes rotes Auge glühte. Seine Tentakel ruhten neben ihm, nachdem sie auf Landos Befehl hin die Geschwindigkeit reduziert hatten.

Die meterhohe Einheit wandte sich jetzt ihrem Meister zu. »Ich glaube, Sie können den Nebel jetzt auch erkennen, Meister. Sehen Sie diesen trüben Fleck da vorne?«

Lando starrte in die angegebene Richtung. Schließlich gab er es auf und schaltete das elektronische Teleskop ein. Ja, da war es: das Thon Boka, wie es die Einheimischen nannten. Es war eine sackförmige Wolke aus Staub und Gas, in die man nur von einer Richtung her eindringen konnte und in der ziemlich viele präorganische Moleküle herumschwebten, einschließlich so komplizierter Verbindungen wie Aminosäuren. Innerhalb dieses Hafens hatte sich Leben ohne den Schutz eines Planeten oder Sterns entwickelt. Es war ein Leben, das für den freien Raum geschaffen war. Ein Teil dieser Lebewesen war sogar intelligent und nannte sich Oswaft. Zur Zeit wurden sie belagert.

»Was ist mit der Blockade, kannst du sie lokalisieren?« Lando gurtete sich im rechten Sitz fest, ließ ein geübtes Auge über Anzeigen und Instrumente schweifen, entspannte sich und zog eine Zigarre aus dem offenen Safe unter dem Hauptkontrollpaneel.

»Ja, Meister, ich lege die Daten jetzt auf den Schirm.«

Vuffi Raas Tentakel hüpften über die Instrumente, so als wären sie selbständige Lebewesen. Er war ein Klasse-Zwei-Droid, dessen Intelligenzquotient und emotionale Reaktion mit der eines Menschen vergleichbar waren. Er hatte noch eine ganze Menge anderer Talente. Zu Landos gelegentlichem Verdruß war der Roboter aber unabänderlich dagegen programmiert, organische oder mechanische Intelligenz zu zerstören. Dadurch war er ein automatischer Pazifist. Es hatte schon Zeiten gegeben, wo das für beide unangenehm geworden war.

Auf dem Hauptschirm, der den sackförmigen Thon-Boka-Nebel zeigte, leuchteten plötzlich hundert hellgelbe Pünktchen auf.

Lando pfiff anerkennend. »Eine ganz schöne Menge, um eine harmlose Staubwolke zu verkorken. Glauben die eigentlich, wir wären noch im Klonkrieg?« Er beugte sich vor, um seine Zigarre anzuzünden. Aber er wurde von einer glühenden Tentakelspitze gestoppt, die ihm auffordernd hingehalten wurde. Ja, Vuffi Raa hatte wirklich eine Menge nützlicher Talente.

»Das ist noch nicht einmal die Hälfte, Meister. Obwohl ich nicht weiß warum, hat ein Teil der Flotte ihr Verteidigungsschild abgeschaltet, um sich zu verstecken. Außerdem haben sie, soviel ich feststellen kann, die Mündung des Nebels vermint.«

Lando nahm einen Zug von seiner Zigarre und zwang sich, ruhig zu bleiben. »Und wir werden diese Blockade durchbrechen. Ja, ja, es war ein kurzes, aber schönes Leben. Kannst du uns vielleicht auch so ein Tarnschild basteln?«

Der Roboter löschte das Bild auf dem Schirm. »Ich fürchte nicht, Meister, es ist eine höchst komplizierte technische Angelegenheit.«

»Das heißt, jeder im Universum hat es, außer den Zivilisten. Gut, wie sieht unser Plan also aus?«

Erstauntes Schweigen antwortete ihm, das wahrscheinlich von einem verblüfften Blinzeln begleitet worden wäre, wenn Vuffi Raa dazu fähig gewesen wäre. »Ich dachte, Sie haben einen Plan, Meister.«

Lando seufzte resigniert. »Ich habe befürchtet, daß du so etwas erklären würdest. Um die Wahrheit zu sagen, ich hatte einen Plan, aber er scheint hier und jetzt nicht besonders erfolgversprechend zu sein. Ich werde noch einmal in mein Freifallcognitorium zurückkehren und mir etwas Neues ausdenken. Ich komme so bald wie möglich zurück. Werde nicht ungeduldig, es dauert höchstens ein oder drei Jahrhunderte.«

Er löste sich aus den Gurten, warf einen letzten angewiderten Blick durch die Sichtscheibe und verschwand mit seiner Zigarre aus dem Kontrollzentrum. Dann schwebte er den langen, schweren Gang zurück zur Lounge, die künstliche Gravitation war abgeschaltet, und gelangte dann wieder ins geometrische Zentrum des Raumes, wo er sich zurücklegte und versuchte nachzudenken.

Irgendwie klappte es heute nicht.

»Meister?« Die Stimme, die aus dem Intercom drang, klang erregt. Sie riß den Spieler aus einem Traum, in dem sich, egal, welche Karten er in der Hand hielt, sein Blatt immer wieder in vollkommen wertloses Zeug verwandelte, während sein gesichtsloser grauer Gegenspieler eine neu erfundene Karte hielt, den letzten Trumpf, der automatisch dreiundzwanzig zählte.

»Zzzzz – was?«

Lando blinzelte und entdeckte, daß er schweißgebadet war. Seine halboffizielle Samtuniform war völlig durchtränkt, und er roch wie ein Bantha, den jemand halb zu Tode geritten hatte. Er streckte sich und versuchte, die Schmerzen, die es bei 0 g eigentlich gar nicht geben durfte, aus seinen Muskeln zu reiben.

»Vuffi Raa, wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst mich nicht – «

»Meister«, unterbrach ihn der Roboter besorgt und eifrig zugleich, »es sind schon fast drei Stunden um. Haben Sie einen Plan ausgearbeitet?«

»Äh ... noch nicht genug«, antwortete der Spieler und schüttelte den Kopf, um darin Klarheit zu schaffen, aber ohne Erfolg. »Ich arbeite noch daran. Ich habe doch erklärt, daß ich dich rufen würde, wenn ich – «

»Nun, ich glaube, wir sollten gleich darüber sprechen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Verstehen Sie, ein Patrouillenschiff sitzt weniger als hundert Kilometer Steuerbord von uns. Ich habe sie nicht gesehen, weil sie so gut getarnt waren, und sie haben schon zwei Warnschüsse abgefeuert. Meister, sie sagen, sie würden uns in Stücke schließen, wenn wir sie nicht an Bord lassen.«

Lando grunzte. Sein Mund schmeckte wie Mynockguano. »Das ist die Centrality Navy, ganz klar.«