Coverbild

Ruth Gogoll

AUGENBLICKE DER LIEBE

Erotische Kurzgeschichten

Originalausgaben:
© 2003, 2004, 2005, 2008
ePUB-Edition:
© 2013

édition el!es

www.elles.de
info@elles.de

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-941598-55-3

Begegnungen

»Möchten Sie vielleicht noch etwas trinken?« Ein charmantes Lächeln riss Cosma aus ihren Gedanken.

»Nein. Nein, danke.« Sie lächelte auch. Vorsichtig. Die andere sollte sich nicht zu irgend etwas ermutigt fühlen. Sie saß hier in dieser Bar, weil sie allein sein wollte – und auch allein bleiben.

»Sie sitzen schon eine Weile hier, und Ihr Glas ist auch schon fast ebenso lange leer«, sagte die andere freundlich. »Deshalb dachte ich, Sie suchen vielleicht Gesellschaft . . ., aber wenn dem nicht so ist –«

»Ja, dem ist nicht so«, bestätigte Cosma etwas unwillig. Diese ständige Anmache ging ihr auf den Wecker. Konnte eine Frau denn nicht einmal fünf Minuten irgendwo alleine sitzen und in Ruhe gelassen werden?

»Dann will ich Sie nicht länger stören«, sagte die andere. Sie hob leicht grüßend die Hand und setzte sich an das andere Ende der Bar, von wo sie wohl gekommen war. Dort stand immer noch ein halbgefülltes Glas.

Warum hat sie es nicht gleich mitgebracht? dachte Cosma. Solche Frauen gehen doch im allgemeinen davon aus, dass sie nie abblitzen – auch wenn es noch so oft vorkommt. Aber sie verschwendete keinen weiteren Gedanken daran. Sie hatte Wichtigeres zu tun.

Kurz darauf ersetzte der Barkeeper das leere Glas vor ihr durch ein volles. Sie blickte ihn erstaunt an. »Das habe ich nicht bestellt«, sagte sie.

»Aber sie.« Der Barkeeper deutete mit einer Kopfbewegung an, auf wen sich das ›sie‹ bezog.

Auf wen schon? Cosma seufzte. Sie musste ihren Standort wohl wechseln. Die Frau würde nicht so schnell aufgeben. Versprach sich sicherlich eine schnelle Nummer für heute Nacht. Und das war das letzte, worauf Cosma Lust hatte. Diese Lust, die ihr den Verstand raubte, hatte sie gerade fast zum wiederholten Male in den Ruin getrieben. Das würde sie nicht noch einmal zulassen.

Sie stand auf, nahm das Glas und ging zu der anderen hinüber, die ihr erfreut entgegenlächelte. Anscheinend dachte sie, sie hätte Cosma nun doch überzeugt. Cosma blieb vor ihr stehen und sah ihr tief in die Augen. »Das ist von Ihnen?« fragte sie mit einem kurzen Blick auf ihr Glas.

Die andere nickte. »Ja. Ich –«

Weiter kam sie nicht. Cosma schüttete ihr den Inhalt des Glases ins Gesicht. Die Tropfen verteilten sich überall, sammelten sich am Kinn der anderen Frau, fielen hinunter auf ihre Bluse, ihre Jacke, ihre Hose. Sie trug einen teuren Anzug. Die Reinigung würde vermutlich einiges kosten.

Das Erstaunen der anderen währte nur kurz. Cosma nahm es fast gar nicht mehr wahr, da sie schon dabei war, sich umzudrehen und der anderen den Rücken zu kehren. Da hörte sie ihr Lachen. »Was für eine Frau!« sagte sie.

Cosma drehte sich zu ihr zurück. Wütend starrte sie sie an. Ihre Stimme hatte derart amüsiert geklungen, wie es Cosma nicht erwartet hatte – und auch nicht beabsichtigt. Sie sollte sauer sein, getroffen. Und was war sie? Belustigt! Eine Unverschämtheit!

Die andere wischte sich mit einem großen, mit Monogramm versehenen, offensichtlich teuren Taschentuch immer noch lachend das Getränk von Gesicht und Anzug. Nur flüchtig. Anscheinend machte es ihr nicht viel aus, nass zu sein.

»Wie bitte?« fragte Cosma erbost.

»Was für eine Frau«, wiederholte die andere. »Sie sind . . . erstaunlich.« Ihre Augen blitzten vergnügt.

»Was erlauben Sie sich?« fauchte Cosma sie an.

Die andere stand auf. »Darf ich mich vorstellen? Ich heiße Radegund. Frederika von Radegund. Und wenn Sie es erlauben, würde ich Sie gern nach Hause bringen.«

»Warum sollte ich?« Cosma war irritiert. Eine Frau wie diese hatte sie noch nie kennengelernt. Sie übte eine merkwürdige Anziehungskraft auf sie aus, eine, die sie so noch nie verspürt hatte, und das, obwohl Cosma es gar nicht wollte.

Frederika von Radegund hob entschuldigend die Hände. »Vielleicht nehmen Sie es einfach als Wiedergutmachung? Ich wollte Sie wirklich nicht belästigen, aber offensichtlich haben Sie es so empfunden.«

»Kaufen Sie öfter mal einer fremden Frau einfach so einen Drink?« fragte Cosma immer noch erbost, mittlerweile mehr aufgrund ihrer eigenen Reaktion auf Frederika von Radegunds Ausstrahlung als aufgrund der ursprünglichen Anmache durch sie.

»Ab und zu.« Frederika von Radegund lächelte leicht spöttisch. »Wenn die Frau mir gut gefällt . . .«

Cosma verspürte das altbekannte Gefühl in sich. Sie hatte sich immer schon von Frauen angezogen gefühlt, die wussten, was sie wollten. Aber sie war auch oft genug damit hereingefallen. Denn es gab auch eine ganze Menge anderer Frauen, die diese Eigenschaften schätzten, und so gehörten die Frauen, die Cosma bevorzugte, kaum je zu den treuesten. Deshalb hatte sie nach der letzten Katastrophe dieser Art beschlossen, sich nicht mehr auf solche Frauen einzulassen. Aber die Gefühle, die eine solche Frau in ihr auslöste, waren eben immer noch da, und das schlimmste daran war, dass die andere das auch wusste.

Frederika von Radegund lächelte immer noch. »Sie sahen so traurig aus, als Sie da so allein saßen. Eine Frau wie Sie ist nicht zum Alleinsein gemacht«, sagte sie leise.

»Eine Frau wie ich?« Cosma zog die Augenbrauen hoch. Das ging jetzt aber wirklich zu weit!

Frederika von Radegund hob erneut die Hände. »Bitte keine falschen Schlüsse ziehen. Ich wollte damit nichts weiter sagen, als dass Sie sehr attraktiv sind.«

»Da-Danke«, stotterte Cosma etwas überrascht. »Aber –«, sie räusperte sich, »aber ich würde jetzt trotzdem lieber allein nach Hause gehen.«

»Wie soll ich Ihnen beweisen, dass ich auch zurückhaltend sein kann, wenn Sie mich jetzt einfach so stehenlassen?« fragte Frederika von Radegund mit einem derartig charmanten Lächeln, dass Cosma die Knie zu zittern begannen.

Du kannst dich vielleicht zurückhalten, aber für mich könnte ich nicht garantieren, dachte sie. Warum hatte sie nur so ein blödes Faible für die falschen Frauen? »Ich – na gut«, gab sie nach. Sie hatte nicht gewusst, wieviel sie an diesem Abend trinken würde, deshalb war sie ohne Auto gekommen. Sie versuchte ein schwaches Lächeln. »Ich kann mich ja kaum weigern, Ihnen eine solche Chance zu geben.«

Frederika von Radegunds Lächeln wurde noch selbstbewusster, als es ohnehin schon war. »Ich danke Ihnen«, sagte sie mit einer galanten Verbeugung und bot ebenso galant Cosma ihren Arm.

Cosma hängte sich völlig überrumpelt bei ihr ein, und Frederika von Radegund führte sie zu ihrem Wagen. Während sie ruhig und gleichmäßig die Straße entlangglitten, versuchte Frederika ein Gespräch in Gang zu bringen, weil Cosma kaum etwas von sich gab. »Meine Freunde nennen mich Rika, damit mein Name nicht mehr so schwer auszusprechen ist; weniger lang«, sagte sie.

»Warum sollte mich dieses intime Detail in irgendeiner Form interessieren?« fragte Cosma.

Frederika lachte. »Könnte ja sein, dass Sie mich irgendwann einmal ansprechen wollen.«

»Für das eine Mal, bei dem das nötig sein könnte, ist mir Ihr Name durchaus nicht zu lang, Frau von Radegund«, versetzte Cosma scharf.

Frederika lachte erneut. »Das habe ich Ihnen schon von weitem angesehen, dass Sie nicht leicht zu haben sind!«

»Aber Sie haben es trotzdem versucht.« Cosmas Bemerkung klang so trocken wie Wüstenstaub.

»Ich versuche es immer, wenn mich eine Frau interessiert«, erläuterte Frederika schmunzelnd.

»Da müssen Sie ja ein ganz schönes Sammelsurium an Frauen haben«, versetzte Cosma bissig, »denn anscheinend braucht es ja nicht viel, um Ihr Interesse zu wecken.«

»Oh, Sie unterschätzen Ihren Wert bei weitem«, lächelte Frederika. »Sie sind etwas Besonderes.«

»Wie vielen Frauen haben Sie das schon gesagt?« Cosmas Stimme klang abschätzig.

Frederika hielt am Straßenrand an und drehte sich zu Cosma um. »Nicht vielen«, erwiderte sie leise. Sie beugte sich vor. »Willst du immer noch, dass ich mich zurückhalte?« fragte sie ganz nah vor ihrem Gesicht. »Es fällt mir zunehmend schwer, aber wenn du nein sagst, akzeptiere ich das.«

Cosma kämpfte mit sich. Frederikas Nähe machte sie schwach. Das Zittern in ihrem Körper, das sie schon ganz zu Anfang in ihr ausgelöst hatte, nahm zu – und dennoch wollte sie nicht nachgeben. Sie wusste doch, wozu das führte: immer wieder die Hoffnung, immer wieder die Enttäuschung, immer wieder die Trauer.

»Ich – ich kann nicht«, sagte sie.

»Gut.« Frederika setzte sich zurück und fuhr weiter. »Sagst du mir, wo ich abbiegen muss? Ich kenne die Gegend hier nicht so besonders gut.«

»Ja.« Cosmas Stimme zitterte nun auch, ebenso wie ihr Körper. »Die nächste links, und dann Nummer zehn.«

»Okay.« Frederika bog ab und hielt kurz darauf an. »Du bist zu Hause«, sagte sie. Sie lächelte Cosma entspannt an. Dann stieg sie aus und öffnete ihr von der anderen Seite her die Tür. »Bitte«, sagte sie und trat zurück.

Cosma konnte sich für einen Moment nicht entscheiden. Immer noch hing Frederikas Duft im Wagen. Er hatte eine zugleich beruhigende und erregende Wirkung auf sie; ein merkwürdiges Gefühl. Sie wollte ihn nicht verlassen und gleichzeitig doch davor fliehen, denn er raubte ihr langsam den Verstand. Das kannte sie schon. Das führte zu nichts Gutem.

Sie stieg aus und ging an Frederika vorbei, die die Tür hinter ihr schloss und ihr dann folgte. Sie begleitete sie bis zur Haustür. »Dann Gute Nacht«, sagte sie lächelnd, nahm Cosmas Hand und küßte sie sanft. »Schade«, fügte sie hinzu. Dann wandte sie sich um und ging zu ihrem Wagen zurück.

»Rika!« Cosma benutzte nun doch die Kurzform, über die sie sich zuvor noch mokiert hatte; sie rief sie sogar.

Frederika drehte sich um und blickte Cosma an. »Ja?« Sie lächelte immer noch.

»Ich –« Cosma schluckte. »Ich möchte nicht, dass du dich zurückhältst. Nicht mehr«, sagte sie dann leise errötend. In der Nacht konnte Frederika ihre Farbe jedoch wohl kaum erkennen. Das beruhigte Cosma allerdings in keiner Weise, denn nun kam Frederika erneut auf sie zu.

»Bist du sicher?« Frederika blieb vor ihr stehen.

»Frag mich was Leichteres.« Cosma schloss die Tür auf. »Komm erst mal rein.« Sie ging vor in die Diele und drehte sich dann um. »Möchtest du einen Kaffee . . . oder so?« Ihre Stimme klang unsicher.

Rika hatte die Tür sanft geschlossen und kam dann ein paar Schritte auf Cosma zu, bis sie ganz nah vor ihr stand. »Ich dachte, wir wären schon beim ›oder so‹ . . .«, sagte sie lächelnd. Sie nahm erneut Cosmas Hand und küßte sie wie zuvor zum Abschied. »Aber ich weiß noch nicht einmal, wie du heißt. Verrätst du es mir?«

»Cosma.« Ihre Stimme kratzte. Das Kribbeln in ihrer Handfläche hinderte sie schon fast am Sprechen.

Rika lachte leicht. »Hört sich an, als wäre deine Mutter eine von diesen Hippies in Indien gewesen.«

»Ja, so ungefähr«, bestätigte Cosma. Dann lachte sie nervös. »Aber ich habe mich an den Namen gewöhnt.«

Rika beugte sich vor und küßte Cosma auf den Hals. »Cosma . . .«, flüsterte sie zärtlich. Dann richtete sie sich wieder auf. »Ein schöner Name für eine schöne Frau«, sagte sie lächelnd.

Cosma antwortete nicht. Sie sah Rika nur an. Sie war immer noch unsicher, aber Rikas Ausstrahlung machte sie so schwach, dass sie ohnehin nicht mehr denken konnte. »Du Schmeichlerin«, sagte sie endlich doch, wenn auch mit zitternder Stimme.

Rika blickte sie immer noch lächelnd an. »Ich halte mich stets an die Wahrheit. Das ist eines meiner Prinzipien.« Sie lachte. »Ich bin zu faul, mir dauernd irgendwelche Lügen zu merken! Das ist ausgesprochen anstrengend.«

»Interessante Maxime«, sagte Cosma. Wenn es stimmte, was Rika behauptete, unterschied sie sich dadurch auffallend von all ihren bisherigen Liebhaberinnen, die lügen wohl für eine Art Freizeitbeschäftigung gehalten hatten und die Wahrheit für ein überholtes System. Zumindest in Liebesdingen. »Ich –« Cosma hüstelte den Frosch aus ihrem Hals mühsam davon. »Ich würde vielleicht doch lieber . . . zuerst . . . einen Kaffee –«

Rika lächelte verständnisvoll. »Ich glaube, ich sollte jetzt gehen. Der Abend ist schon viel zu weit fortgeschritten für . . .«, sie zögerte leicht, »Kaffee.«

Cosma wusste nicht, was sie sagen sollte. Noch in der Bar hatte sie den Eindruck gehabt, dass eine Frau wie Rika sich eine solche Gelegenheit niemals entgehen lassen würde, und nun stand sie da, mit der Hand auf der Klinke, und sah fest entschlossen aus, das Haus, das sie gerade erst betreten hatte, wieder zu verlassen.

»Ich wollte damit nicht sagen, dass –« Cosmas Stimme versagte, weil Rika erneut ihre Hand genommen hatte und einen Kuss darauf hauchte.

»Du brauchst gar nichts zu sagen.« Sie blickte Cosma mit sanfter Miene ins Gesicht. »Ich wünsche dir eine Gute Nacht und süße Träume.« Damit drehte sie sich um, die Tür schnappte mit leisem Klicken hinter ihr ein, und wie ein Traum aus Tausendundeiner Nacht war sie verschwunden.

Am nächsten Morgen erwartete Cosma ein riesiger Blumenstrauß auf dem Schreibtisch in ihrem Büro.

»Der ist schon bei Dienstbeginn heute morgen hier abgegeben worden«, erläuterte ihre Kollegin mit einem kaum versteckten neugierigen Lächeln. Sie wollte ganz sicher unbedingt wissen, von wem die Blumen waren. Vielleicht wusste sie es auch schon. Zwischen den vollen Blüten steckte eine weiße Karte.

Cosma zog sie heraus. Sie wagte kaum zu atmen. Sie legte die Karte mit der beschriebenen Seite nach unten auf ihren Schreibtisch, ohne sie gelesen zu haben. Dann hängte sie erst einmal ihren Mantel auf.

Ihre Kollegin drehte enttäuscht in der Tür ab, und Cosma hörte ihre Schritte sich über den Gang entfernen. Sie ging zum Schreibtisch zurück und setzte sich. Sie starrte auf die weiße Karte, deren unbeschriebene Rückseite sie wie mit Röntgenblick zu durchdringen suchte. Als ihr dies – das war ja auch kaum zu erwarten gewesen – nicht gelang, drehte sie die Karte um. Ein paar schön geschwungene Buchstaben sprangen ihr entgegen. Es waren die Initialen von Frederika von Radegunds Namen. Darüber stand in weniger auffälliger Schrift: Essen? Heute Mittag? Falls ja: 12 Uhr bei DiMaggio.

Cosma ließ sich in ihren Bürostuhl zurücksinken. Eine etwas nüchterne Einladung für einen so romantischen Strauß, fand sie. Die Spannung fiel ein wenig von ihrem Körper ab. Woher wusste Frederika ihre Büroadresse? Sollte sie mit ihr essen gehen? Dann würde sie es vielleicht erfahren. Aber sie hatte sich letzte Nacht schon gefragt, warum sie noch einmal ihrem Schicksal entgangen war. Hieß es nicht genau dieses Schicksal versuchen, wenn sie nun auf diese Einladung einging? Gestern war sie noch einmal davongekommen; sie wusste, dass Frederika von Radegunds Ausstrahlung das kaum ein zweites Mal zulassen würde. Cosma fühlte sich enorm von ihr angezogen. Ihr ganzer Körper kribbelte, wenn sie nur an sie dachte. An die Berührung ihrer Lippen gestern Abend –

Es gab nur eine Möglichkeit, die Wiederholung all der Katastrophen, die sie in der Liebe bereits erlebt hatte, zu verhindern: einer Frau wie Frederika gar nicht erst nahezukommen – oder sie nahekommen zu lassen. Sie ging nicht ins DiMaggio an diesem Tag, obwohl sie dort sonst des Öfteren zu Mittag aß. Sie ließ sich etwas ins Büro kommen. In der Zeit zwischen zwölf und dreizehn Uhr wanderte ihr Blick immer wieder zur Uhr, aber sie blieb eisern. Gegen zwei Uhr entspannte sie sich etwas. Nichts war passiert.

Um vier Uhr klingelte ihr Telefon.

»Wie schade, dass du nicht gekommen bist«, sagte Frederikas anscheinend schon wieder amüsierte Stimme. »Hattest du keinen Hunger?«

»Ich habe im Büro gegessen«, erwiderte Cosma, nachdem sie sich von der ersten Überraschung erholt hatte. »Ich hatte so viel zu tun.«

»Ich habe über eine Stunde auf dich gewartet«, sagte Frederika, aber ihre Stimme klang nicht vorwurfsvoll, sondern immer noch nur leicht amüsiert. »Ich glaube, das ist die längste Zeit, die ich jemals auf eine Frau gewartet habe – die dann nicht gekommen ist.«

»Es tut mir leid«, sagte Cosma. Sie versuchte reserviert zu klingen, distanziert, unbeteiligt, wie bei einem Geschäftstermin, aber es gelang ihr kaum. Frederikas Stimme vibrierte im Telefonhörer, als wäre sie ihr nah, als berührten ihre Lippen wieder Cosmas Hals und ließen sie erbeben. »Ich – ich konnte wirklich nicht weg.« Sie bedeckte die Sprechmuschel des Gerätes mit einer Hand, um tief durchatmen zu können, ohne dass Frederika es hörte. Die fehlende Wahrheitsliebe, die sie sonst stets ihren Liebhaberinnen vorzuwerfen gehabt hatte, musste sie nun wohl selbst für sich in Anspruch nehmen. Sie hatte eindeutig gelogen. Es ging leichter, als sie dachte. Vielleicht sollte sie noch einmal darüber nachdenken, ob sie ihren Ex-en nicht unrecht getan hatte.

»Wie wäre es mit heute Abend?« fragte Frederika.

»Heute Abend?« Cosma hatte das Gefühl, sie hätte etwas nicht mitbekommen.

»Um das Mittagessen nachzuholen, das dir die Arbeit gestohlen hat«, sagte Frederika.

»Ähm . . . ja . . . eigentlich –« Cosma ließ ihren Blick über die Schreibtischplatte schweifen. Konnte sie die Arbeit erneut vorschieben? Na ja, zur Not, aber . . . schwerlich. Lügen war nicht gerade ihre starke Seite. Bei ihrem Suchen nach Ausreden blieb ihr Blick auf dem gigantischen Blumenstrauß hängen. Sie musste plötzlich lächeln. »Die Blumen sind wunderschön«, sagte sie. »Woher wusstest du –?«

»Wohin ich sie schicken lassen sollte?« Frederika lachte selbstbewusst wie immer. »In deiner Diele liegen Visitenkarten – erinnerst du dich? Da steht deine Geschäftsadresse drauf.«

Cosma schluckte. »Du musst gute Augen haben«, sagte sie verlegen.

Frederika lachte wieder. »Und das, wo ich so abgelenkt war! Ja, ich bin ein pures Chamäleon.« Sie wartete einen Moment. »Und? Was ist nun mit heute Abend? Keine Lust?«

Schon das letzte Wort allein ließ Cosma erzittern, obwohl Frederika es bestimmt nicht zweideutig gemeint hatte.

Frederika fuhr überredend fort: »Irgendwann am Tag musst du ja eine anständige Mahlzeit zu dir nehmen, wenigstens einmal. Oder liegt dir das DiMaggio nicht? Ich dachte, ich hätte dich dort schon einmal gesehen, aber wenn du woanders hingehen willst –«

»Du hast mich im DiMaggio gesehen?« Cosmas Verwunderung wuchs. Waren sie sich denn nicht ganz zufällig zum ersten Mal gestern in dieser Bar begegnet?

»Ja. Ich esse auch öfter dort. Und als ich dich dann gestern Abend in dieser Bar sitzen sah, habe ich dich wiedererkannt. Es kam mir so vor, als wären wir uns gar nicht mehr fremd.«

Cosma seufzte. »Was ich von mir nicht gerade behaupten kann«, sagte sie etwas pikiert.

»Es tut mir wirklich leid. Ich hätte es dir vielleicht sagen sollen«, Frederika lachte schon wieder. »Aber ich hätte dich sowieso angesprochen, auch wenn das DiMaggio nicht gewesen wäre. Du bist einfach zu . . . reizvoll.«

»Zweifelhaftes Kompliment«, erwiderte Cosma, immer noch verstimmt.

»Ganz und gar nicht«, protestierte Frederika sofort. »Ich meine es hundertprozentig ernst. Wie ich schon sagte: Ich lüge nie.«

»Das ist zweifellos ein unleugbarer Vorteil – wenn es denn stimmt.« Cosma wollte sich nicht so leicht geschlagen geben.

»Geh mit mir essen, und du wirst es schnell herausfinden«, sagte Frederika. »Soll ich dich abholen? Im Büro? Zu Hause?«

Cosma atmete erneut durch. Frederika überrollte sie einfach. Und das schlimmste daran war: Es gefiel ihr, Cosma, sogar. Es hatte ihr immer gefallen. »Ich muss heute sehr lange arbeiten«, versuchte sie sich noch einmal herauszureden.

»Also dann im Büro«, schlussfolgerte Frederika.

»Es wird aber spät.« Cosmas Stimme zitterte ein wenig. Ihr Widerstand brach langsam zusammen.

»Das macht mir nichts.« Frederika lachte. »Ich habe heute schon einmal über eine Stunde auf dich gewartet. Viel schlimmer wird es ja wohl kaum werden.«

Cosma konnte sich nicht enthalten, über Frederikas Hartnäckigkeit zu lächeln. »Steter Tropfen höhlt den Stein. Ist das dein Motto?«

Frederikas Lachen wurde noch fröhlicher. »So in etwa. Obwohl ich nicht finde, dass du sehr viel Ähnlichkeit mit einem Stein hast.« Sie machte eine kleine, kunstvolle Pause. »Ganz und gar nicht«, fügte sie dann leise flüsternd hinzu. Nun schien ihre Stimme zu zittern, aber nicht vor Schwäche. Sie strahlte eine ungeheure Stärke aus. »Ich komme vorbei«, kündigte sie zum Schluss an. Wieder erhellte ein kleines Lachen ihre Stimme. »Lauf nicht weg.« Dann legte sie auf.

Weglaufen? Gute Idee. Sogar eine sehr verführerische Idee, musste Cosma sich eingestehen, als sie ebenfalls den Hörer weglegte. Immer noch spukten Gestalten aus ihrer Vergangenheit in ihrem Kopf herum. Gestalten, die sich beinahe ebenso in ihr Leben gedrängt hatten wie Frederika jetzt. Und die sie mehr oder weniger lange nicht mehr losgeworden war. Auch wenn der Reiz des Neuen sie immer wieder darüber hinweggetäuscht hatte: All diese Beziehungen waren von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Und Frederika – nun, Frederika drängte sie vielleicht auch zu etwas, das nicht gut für sie war. Verlangte zu schnell zu viel von ihr.

»Dein Schreibtisch sieht doch schon ganz gut aus.«

Cosmas Kopf fuhr mit einem Ruck in die Höhe. Frederika stand in der Tür ihres Büros. Es war bereits dunkel draußen.

»Wo kommst du denn her? Wie bist du hier hereingekommen?« Der Haupteingang war normalerweise mit einer Rezeptionistin besetzt, an der man nicht so leicht vorbeikam, außer natürlich – man besaß Frederikas Charme. Cosma unterdrückte ein Lächeln.

»Die junge Dame am Eingang wollte nach Hause gehen. Da habe ich die letzte Chance genutzt«, sagte Frederika und bestätigte mit ihrem Gesichtsausdruck Cosmas Vermutung vollständig.

»Die Pforte ist eigentlich dazu da, ungebetene Besucher abzuhalten«, rügte Cosma mit ernster Miene, die ihr einiges an Beherrschung abverlangte.

»Ungebeten?« Frederika kam auf sie zu. »Ich habe doch gesagt, dass ich dich abhole.«

»Ja, hast du. Aber ich bin noch nicht ganz fertig –« Cosma wollte weitersprechen, doch es gelang ihr nicht. Frederikas Nähe verschlug ihr die Rede.

Sie stand plötzlich ganz nah vor ihr, beugte sich über ihren Sessel. »Ich glaube, das hat Zeit bis morgen«, sagte sie rau. Ihre Augen musterten Cosmas Gesicht und suchten die Bestätigung ihres eigenen Verlangens darin.

Vermutlich fanden sie sie, so wie Cosma sich fühlte. Ihre zitternden Knie hätten sie kaum aufrechtgehalten, wenn sie nicht schon gesessen hätte. Ihr ganzer Körper sehnte sich nach Frederikas Berührung. Frederikas Ausstrahlung machte sie so schwach, wie sie es nie für möglich gehalten hätte. Dennoch versuchte sie sich dagegen zu wehren. Sie schob die Rollen ihres Stuhles zurück, so dass Frederika um ihr Gleichgewicht kämpfen musste und ihn losließ.

Cosma stand schnell auf, bevor sie ihr folgen konnte. »Ich – Frederika . . .«

»Rika«, korrigierte Frederika sanft.

»Rika . . .« Cosma rang die Hände. »Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich so schnell nach meiner letzten Beziehung nicht schon wieder eine neue will. Ich habe noch –«, sie lachte nervös, »daran zu knabbern, weißt du. Es war nicht einfach, und ich möchte nicht schon wieder in eine solche Situation geraten.«

Rika verzog anzüglich die Lippen. »In was für eine Situation?«

»Ich . . . du weißt schon.« Cosma trat einen weiteren Schritt zurück. »Wie gestern.«

Rikas Lippen verzogen sich noch mehr. »Wie gestern. War denn etwas – gestern?«

Cosma starrte fassungslos in Rikas Gesicht.

»Ich bin froh, dass mir deine Reaktion bestätigt, dass da etwas war«, sagte Rika leise und schlich sich wie eine Pantherin an Cosma heran. »Ich hatte schon Angst, dass ich mich geirrt hätte. Dass du mich nie mehr wiedersehen wolltest. Als du heute Mittag nicht kamst . . .«

»Du hast mich tatsächlich vermisst?« fragte Cosma bebend. Bislang war ihr Rika immer so vorgekommen, als ob sie ein Spiel spielte, als ob sie nichts wirklich ernstnahm, sie nichts verletzen könnte. Ihre Sehnsucht machte sie sympathischer, menschlicher.

»Sehr«, sagte Rika weich, »schon seit gestern.«

»Und trotzdem bist du gegangen?«

»Du warst – es war nicht dein Wunsch wie es meiner war. Das habe ich gespürt.« Rika strich über Cosmas Gesicht, so zart, dass Cosma es kaum wahrnahm. Dennoch schloss sie die Augen.

Die Berührung war genau das, was sie sich die ganze Zeit gewünscht hatte, und dennoch wäre sie immer noch gern weggelaufen, um nicht wieder in irgendwelche Abhängigkeiten zu geraten. Sie konnte sich nicht mehr wehren. Rikas Atem streichelte ihre Wangen, ihre Lippen suchten Cosmas Mund.

Sie riss die Augen auf, wollte ihre Lippen verschließen, Rika wegstoßen, ihr empört die Tür weisen, aber statt dessen öffnete sie sie und ließ sich küssen. Sie schloss die Augen erneut und versank in Rikas Kuss. Ihre Lippen bereiteten ihr unsägliches Vergnügen, bevor sie ihren Mund verließ und langsam an ihrem Hals hinunter auf ihre Schulter wanderte. Cosma seufzte. Ein süßes Sehnen durchzog ihren Körper.

»Du bist so schön«, flüsterte Rika, »so wunderschön.«

Cosma legte den Kopf zurück und genoss Rikas Berührungen. Ihre Lippen wanderten weiter zu Cosmas Dekolleté, und Cosma spürte die Reaktion in sich. Nach außen bekam sie eine Gänsehaut. Sie seufzte erneut.

Rika zog sie näher zu sich heran. Ihre Hände glitten an Cosmas Rücken hinab und fuhren an ihren Seiten wieder hinauf, bis sie ihre Brüste berührte.

Cosma biss sich auf die Lippen, um nicht zu stöhnen. So leicht wollte sie es ihr nicht machen. In ihr tobte bereits ein Feuersturm. Ihre Brustwarzen drückten sich durch den Stoff des Kleides. Rika fuhr mit ihren Händen darüber, und nun konnte Cosma es nicht mehr unterdrücken. Sie stöhnte leise auf.

»Süße«, flüsterte Rika. Sie glitt an ihr hinab und versuchte, ihr Kleid hochzuschieben.

»Nicht«, protestierte Cosma erschreckt. »Nicht so. Bitte.«

Rika lachte. »Ist dir das Kleid zu schade?« fragte sie. Sie kam wieder nach oben. »Es ist ohnehin zu eng. Es geht nicht«, flüsterte sie. Sie glitt mit ihren Händen wieder auf Cosmas Rücken und suchte den Reißverschluss, zog ihn auf.

Das Kleid löste sich sofort von Cosmas Oberkörper. Unten saß es noch eng wie eine zweite Haut.

»Mein Gott!« flüsterte Rika, als das Kleid lose auf Cosmas Taille fiel und ihren BH freigab.