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Vorwort

Eigentlich ist das Thema On-Board-Diagnose (OBD) gar nicht so neu, als dass ein Buch dazu als Ausnahme gelten könnte. Trotzdem gibt es nur relativ wenige Publikationen und Fachartikel, die sich mit dieser im Grunde für jeden ambitionierten Elektroniker und Gelegenheitsbastler am Auto interessanten Materie beschäftigen. Der Schwerpunkt liegt dann meist eher auf theoretischen Betrachtungen der Normen und Protokolle und weniger auf dem praktischen Einsatz. Dieser wird interessant, wenn es darum geht, einen Fehler im (eigenen) Auto aufzuspüren und gegebenenfalls selbst zu beheben.

Wer sich wirklich in die Materie vertiefen will, kann viel Zeit im Internet mit der Suche nach und dem Studium von spärlichen Informationen verbringen. Aber man stößt dort immer wieder auf ähnliche Hürden: Die meisten Beiträge befassen sich nur mit einem Schwerpunktthema und einem Fahrzeugmodell oder -hersteller. Viele Informationen sind auch schon überholt oder unvollständig, wenn nicht gar falsch. Einen verständlichen Gesamtüberblick zu bekommen ist aufwendig und zeitintensiv.

Mein ganz persönlicher Antrieb, mich seit Jahren mit OBD zu befassen, ist, Wartungsarbeiten am eigenen Pkw so weit wie möglich selbst durchführen. So kann ich Geld sparen und lerne auch mein Auto besser kennen, um mir im Fall einer Panne (es muss ja nicht immer den eigenen Wagen betreffen) zu helfen zu wissen. Den Einstieg fand ich über das legendäre »Jeffs Interface« (s. Kapitel 7.4). Schnell kam ein ELM-Interface hinzu, und zusammen mit meinem Interesse an Mikrocontroller-Technik kam es zu ersten Gehversuchen. Nachdem ich diese auf meiner privaten Homepage (http://www.blafusel.de) publizierte, zeigte sich, dass auch andere Autobesitzer Interesse an der Technik haben. Aus dem Hobby wurde langsam Passion und Beruf.

Mit dem vorliegenden Buch werde ich Ihnen das komplexe Thema der Fahrzeugdiagnose verständlich und schrittweise näherbringen. Sie werden bald in der Lage sein, selbst Hand an Ihr Auto anzulegen. Die Techniker, Elektroniker und Programmierer unter den Lesern sollen aber auch nicht zu kurz kommen. Auch dieser Gruppe werden Wissen und Anregungen geliefert.

Vielleicht treffen Sie sich mit anderen Lesern oder mir zum Gedankenaustausch in meinem Diskussionsforum.

Viel Spaß bei der Lektüre des Buchs!

Florian Schäffer, September 2012

Inhaltsverzeichnis

1   Einzug der Elektronik im Fahrzeug

1.1       Erste elektromechanische Bauteile

1.1.1    Das Relais

1.2      Benzineinspritzung mit D-Jetronic

1.3      ABS mit Halbleitern

1.4      Digitale Motorsteuerung

1.5      Steuergeräte

1.5.1    Exemplarischer Einsatz von Steuergeräten für mehr Komfort: der Scheibenwischer

2   Anfänge der Diagnosemöglichkeiten

2.1      Das Multimeter

2.1.1    Einfache Messungen mit dem Multimeter

2.1.2    Prüfen eines Relais

2.2      Erste Diagnoseanschlüsse

2.2.1    K- und L-Leitung

2.3      Vernetzung der Steuergeräte

2.3.1    CAN

2.3.2    LIN

2.3.3    FlexRay

2.3.4    MOST

2.3.5    Netzwerk-Seilschaften

2.4      Einführung von OBD

2.5      Mit Blinkcodes Fehler abfragen

2.5.1    Opel-Blinkcodes

2.5.2    VAG-Blinkcodes

2.5.3    Ford-Blinkcodes

2.5.4    Mitsubishi-Blinkcodes

2.5.5    Mazda-Blinkcodes

2.5.6    Volvo-Blinkcodes

2.5.7    GM-Blinkcodes

2.5.8    Kia-Blinkcodes

2.5.9    Honda-Blinkcodes

2.5.10  PSA/Peugeot/Citroën-Blinkcodes

2.5.11  Mercedes-Benz-Blinkcodes

2.5.12  Toyota-Blinkcodes

2.6      Zugriff der Werkstätten auf Steuergeräte

3   Einheitlicher Standard mit OBD II

3.1      Einführung von OBD II

3.2      Permanente Überwachung und Information

3.3      Standardisierte Fehlercodes

3.4      Genormte Diagnosebuchse

3.5      OBD-II-Diagnosefunktionen im Überblick

3.6      Unterschiedliche Diagnoseprotokolle

3.6.1    SAE J1850

3.6.2    ISO 9141 und 14230 (KW 2000)

3.6.3    ISO 11898 und ISO 15765 (CAN) sowie SAE J1930

3.7      OBD-II-gestützte Hauptuntersuchung in Deutschland

3.8      Grenzen von OBD II

3.9      Zukünftige Möglichkeiten der Fahrzeugdiagnose

3.9.1    UDS und ODX

4   Die OBD-II-Servicemodi

4.1      SID $01: Diagnosedaten

4.1.1    Abfrage der verfügbaren Parameter Identifier

4.1.2    Berechnung von Diagnosedatenwerten

4.1.3    Mehrdeutige Auslegung der Norm

4.1.4    Neu eingeführte PIDs

4.2      SID $02: Freeze-Frame-Daten

4.3      SID $03: Fehlercodes auslesen

4.4      SID $04: Fehlercode löschen

4.5      SID $05: Testwerte Lambdasonde

4.5.1    Aufgabe der Lambdasonde

4.5.2    Verfügbare Lambdasondendaten

4.5.3    Lambdasonde – Kommunikationsablauf

4.6      SID $06: Testwerte spezifischer Systeme

4.6.1    On-Board-Diagnose Monitor Identifier

4.6.2    Test Identifier und Einheiten/Skalierungs-Identifier

4.7      SID $07: Temporäre Fehler auslesen

4.8      SID $08: Test der On-Board-Systeme

4.9      SID $09: Fahrzeuginformationen

4.10     SID $0A: Emissionsrelevante dauerhafte Fehlercodes

5   Diagnosemöglichkeiten im Heimlabor

5.1      Simulatoren

5.2      Steuergeräte autark in Betrieb nehmen

5.3      Sensoren für das Steuergerät simulieren

6   Lösungen für die Diagnose nach OBD II

6.1      Funktionsweise des Diagnose-Interface

6.2      ELM-Protokoll-Chip

6.2.1    Diagnose-Software für ELM

6.2.2    Per Terminal-Zugriff mit einem ELM kommunizieren

6.3      Weitere Protokoll-Chips

6.3.1    mOByDic

6.3.2    STN1110

6.3.3    Diamex und OBD-Diag

6.3.4    Diamex DXM

6.4      Handheld-Geräte

6.5      Weitere OBD-II-Anwendungen

7   Interface für nicht genormte Anwendungen

7.1      Markenspezifische Diagnoselösungen

7.1.1    Alfa Romeo

7.1.2    BMW

7.1.3    Fiat

7.1.4    General Motors

7.1.5    Mercedes Benz

7.1.6    Mitsubishi, Subaru

7.1.7    Nissan

7.1.8    Opel

7.1.9    Porsche

7.1.10  Suzuki

7.1.11  VAG

7.1.12  Volvo

7.2      Standheizung

7.3      Universelle, markenübergreifende Diagnosegeräte

7.4      Serielles RS-232-Interface

7.4.1    ALDL-Diagnosekabel

7.5      USB-Interface

8   OBD-II-Diagnoseroutinen

8.1      Systemstatus und Readinesscode

8.2      Status Einspritzsystem

8.3      Motorlast

8.4      Kraftstoff-Einspritzkorrektur

8.5      Kraftstoffdruck

8.6      Absolutdruck – Ansaugrohr

8.7      Zündwinkel

8.8      Ansauglufttemperatur

8.9      Luftdurchfluss – Luftmassensensor

8.10     Zweitluftsystem

8.11     Nebenantrieb

9   CAN-OBD-II-Diagnoseprotokoll ISO 15765

9.1      Überblick über den CAN-Datenbus

9.2      Bit-Übertragungsschicht Physical Layer

9.3      Daten-Frames im Data Link Layer

9.4      Messwerte (PIDs) abfragen

9.5      Fehler auslesen und löschen

9.5.1    Segmentierung: Frame-Typen und PCI-Byte

9.5.2    Drei und mehr DTCs mit segmentierten Frames empfangen

9.6      Freeze-Frame-Daten ermitteln

9.7      Testwerte der Lambdasonde auslesen

Anhang A: Definition und Skalierung der Parameter Identifier (PID)

Anhang B: On-Board-Diagnose Monitor Identifier (OBDMID) für Service $06

Anhang C: Einheiten und Skalierungen für Service $06

Anhang D: InfoTypes für SID $09

Stichwortverzeichnis

1   Einzug der Elektronik im Fahrzeug

Bevor die Elektronik im Fahrzeug allgegenwärtig und nicht mehr wegzudenken war, bestand ein Auto hauptsächlich aus mechanischen Komponenten. Lediglich für die Zündkerzen eines Benzinmotors wurde eine einfache elektromechanische Zündverteilung benötigt. Mit dem Wunsch nach einer besseren Verbrennungssteuerung mit dem Ziel, den Verbrauch zu senken und den Ausstoß von schädlichen Abgasen zu reduzieren, hielten elektronische Bauteile immer mehr Einzug in die Kraftfahrzeugtechnik. Zusätzlich wurden immer mehr Komfortfunktionen im Fahrzeug eingebaut, die nur mithilfe von Elektronik realisiert werden können.

1.1   Erste elektromechanische Bauteile

Zu den ersten elektromechanischen Bauteilen, die in einem Fahrzeug notwendigerweise verbaut waren, gehört der Zündverteiler bei Ottomotoren. Dieser löst den Zündfunken aus und verteilt die Hochspannung aus der Zündspule an die Zündkerzen. Bis auf die Zündspule und den zugehörigen Kondensator handelte es sich dabei anfangs nur um mechanische Bauteile. Aufgrund des einfachen Aufbaus war es recht einfach möglich, z. B. den Zündzeitpunkt zu variieren. Hierzu musste lediglich das Verteilergehäuse ein wenig verdreht werden. Ohne anschließende genaue Kontrolle des eingestellten Zündzeitpunkts, der immer kurz vor dem oberen Totpunkt des Kolbens im Arbeitstakt liegen muss, kann die Leistung des Motors und auch die Zusammensetzung der Abgase negativ beeinflusst werden. In den Anfängen der Automobiltechnik waren Gedanken an schädliche Umwelteinflüsse aber sicher eher selten. Problematischer war da schon, dass der Zündzeitpunkt auch während der Fahrt verändert werden muss, damit in allen Drehzahlbereichen eine optimale Leistung erzielt wird. Hierfür wurden anfangs Unterdruckoder Fliehkraftversteller eingesetzt, die wiederum ebenso rein mechanisch arbeiten. Die Mechanik setzt Grenzen bei der Feinfühligkeit derartiger Systeme und unter wechselnden Umweltbedingungen wie extremen Umgebungstemperaturen oder durch ins System eindringende Feuchtigkeit kann es zu Störungen kommen.

Mit der Zeit zogen weitere elektrische Geräte ins Auto ein. Lampen und Blinker wurden eingebaut, elektrische Anlasser und Scheibenwischer brachten mehr Komfort, und für alles wurden Kabel, Steckverbindungen und Schalter benötigt. Trotzdem war der Anteil elektrischer Bauteile lange Zeit sehr überschaubar. Das gestaltete die Fehlersuche einfach, und die Teile waren so gebaut, dass sie mit einfachen Mitteln gewartet und repariert werden konnten.

1.1.1   Das Relais

Das bekannteste elektromechanische Bauteil aus der Frühzeit der Fahrzeugelektronik ist vermutlich das Relais, das in kaum geänderter Form bis heute in jedem Fahrzeug mehrfach verbaut ist. Ein Relais besteht aus einem Elektromagneten, einem beweglichen Anker und Schaltkontakten. Die Schaltkontakte können im Ruhezustand geöffnet oder geschlossen sein. In den meisten Relais sind gleich mehrere Kontakte verbaut. Das Relais dient dazu, mithilfe eines kleinen Schaltstroms einen großen Strom ein- und auszuschalten. Ein Nebeneffekt ist, dass die beiden Stromkreise galvanisch getrennt, also elektrisch nicht miteinander verbunden sind. Sobald an der Spule (dem Steuerkreis) eine ausreichende Spannung anliegt, durchfließt der Strom die Spule und erzeugt im Kern ein Magnetfeld. Dadurch wird der Anker bewegt, und die Schaltkontakte werden geschlossen und/oder geöffnet. Durch die geschlossenen Schalkontakte kann nun der (ggf. wesentlich höhere) Strom des Arbeitskreises fließen und so eine elektrische Last (z. B. einen Motor oder eine Lampe) versorgen.

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Bild 1.1: Das Innere eines Relais

Bild 1.1 zeigt ein einfaches Relais ohne weitere Elektronik. Fahrzeugrelais besitzen meist noch ein paar elektronische Komponenten im Inneren, die für die jeweilige Funktion benötigt werden oder einfach nur zum Schutz der angeschlossenen Schaltungen dienen. Beim gezeigten Modell zieht die Spule (A) an der Unterseite den Arm des Ankers (B) an, sobald an den beiden rechten Kontakten eine Spannung anliegt. Dadurch bewegt sich der Querriegel oben, und Schaltkontakt C wird geschlossen, während Schaltkontakt D geöffnet wird. Beide Schaltkontakte haben (im linken Bereich) unten einen eigenen und in der Mitte einen gemeinsamen Anschluss. Eine Rückholblattfeder am Anker sorgt dafür, dass der Anker in seine Ruhestellung zurückfällt, sobald die Spannung an den Steuerkontakten weggenommen wird. Dadurch ändern sich die Schaltzustände beider Kontakte wieder. Ein Kontakt wird als Schließer oder Arbeitskontakt bezeichnet, wenn er bei abgefallenem Anker/stromloser Erregerspule offen und bei angezogenem Anker/stromdurchflossener Spule geschlossen ist. Als Ruhekontakt oder Öffner wird ein Kontakt bezeichnet, wenn er bei angezogenem Zustand des Relais den Stromkreis unterbricht. Das gezeigte Modell wird als Wechsler oder 1xUm (ein Umschaltkontakt) bezeichnet.

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Bild 1.2: Schaltbild des Umschaltrelais (mit exemplarischen Kfz-typischen Anschlussbezeichnern)

Relais sind zwar sehr einfach und robust aufgebaut und für unkritische Anwendungen ausreichend, allerdings weisen sie ein paar erhebliche Nachteile auf, die sie für anspruchsvolle Schaltaufgaben in modernen Fahrzeugen unbrauchbar machen:

•   Die Schaltzeit beträgt einige Millisekunden. Für moderne Regelungen werden Schaltzeiten im Nanosekundenbereich benötigt.

•   Relais sind erschütterungsempfindlich. Relais für den Automobilbereich sind besonders robust gebaut.

•   Die Anzahl der Schaltvorgänge ist limitiert (je nach Typ ca. 250.000 bis 1.000.000).

•   Der Ausgang prellt. Das bedeutet, dass ein Kontakt nicht sofort geöffnet oder geschlossen ist, sondern dass kurzzeitig ein mehrfaches Schließen und Öffnen des Kontakts hervorgerufen wird.

1.2   Benzineinspritzung mit D-Jetronic

Die bisherige Technik stieß zunehmend an ihre Grenzen, als in Europa die Forderungen nach sparsameren Motoren laut wurden und sich im amerikanischen Bundesstaat Kalifornien strenge Abgasvorschriften durchsetzten. 1967 brachte Bosch deshalb mit der D-Jetronic das erste elektronisch gesteuerte Benzin-Einspritzsystem auf den Markt, das zuerst im Volkswagen-Modell 1600 LE/TLE eingesetzt wurde. Mit dieser neuen Technik konnten die Motorenentwickler erstmals das Kraftstoff-Luft-Gemisch genau dem jeweiligen Betriebszustand des Motors anpassen, somit den Kraftstoffverbrauch senken und den Schadstoffausstoß reduzieren. Gleichzeitig wurde die Leistungsfähigkeit von Benzinmotoren erhöht. Neu an dem Einspritzsystem waren neben der elektronischen Steuerung auch die Elektrokraftstoffpumpen und die elektromagnetischen Einspritzventile. Die ab 1967 in dem Clean Air Act der US-Behörden für Kalifornien geforderten Abgaswerte konnten in zahlreichen Automodellen damals nur über die D-Jetronic erreicht werden.

Das elektronische Steuergerät der D-Jetronic war in der Lage, über die Öffnungszeiten der Einspritzventile die Menge des in die Brennräume eingespritzten Kraftstoffs zu regeln. Neben Motortemperatur und Motordrehzahl stellte die angesaugte Luftmenge den wichtigsten Parameter für die Steuerungsfunktion der Elektronik dar. Diese Luftmenge konnte mithilfe eines Druckfühlers, auch MAP(Manifold Absolute Pressure)-Sensor genannt, aus dem Saugrohrdruck ermittelt werden. Aus dem Anfangsbuchstaben »D« (von »druckfühlergesteuert«) leitet sich auch die Bezeichnung D-Jetronic ab. Mit der Entwicklung der Jetronic ging auch die Entwicklung von Elektrokraftstoffpumpen einher, die einen konstanten Systemdruck an den Einspritzventilen aufbauen.

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Bild 1.3: Volkswagen 1600 LE/TLE von 1967 mit Bosch-D-Jetronic-Steuergerät für das elektronisch gesteuerte Benzin-Einspritzsystem (Foto: Bosch)

Die Steuergeräte der D-Jetronic bestehen aus zwei Platinen, die mit diskreten Bauteilen aufgebaut sind: eine Hauptplatine, die für alle Anwendungen gemeinsame Komponenten und Funktionen enthält, sowie eine für den jeweiligen Motor speziell entworfene Nebenplatine, mit der die Implementierung des volumetrischen Kennfelds für den Motor erfolgt. Dieses Kennfeld ist abhängig von der jeweiligen Motorkonstruktion und wurde vor Entwurf der Schaltung für die Nebenplatine auf einem Leistungsprüfstand durch Messläufe am Motor ermittelt. Das Kennfeld wird aber nur mit diskreten Bauteilen abgebildet. Von einem Datenspeicher, wie er heute in jedem Steuergerät vorhanden ist, und der sich leicht anpassen lässt, war man noch weit entfernt. Das führte zu einer fast unüberschaubaren Zahl von Varianten von Nebenplatinen, denn bei jeder Veränderung des Kennfeldes musste die Platine anders bestückt werden. Auch kontrollierte das Steuergerät lediglich die Benzineinspritzung – die Zündung war noch immer rein mechanisch aufgebaut. Trotzdem war die Jetronic sehr erfolgreich und wird im Prinzip noch heute im Billigsegment verbaut – wenn auch mit modernen Bauteilen und Mikrocontroller-Steuerung.

Für Werkstätten bedeutete die bisher ungewohnte neue Elektronik im Fahrzeug eine Umstellung bei den Fertigkeiten. War bisher das Blinker-Relais mehr oder weniger die einzige Komponente mit (wenigen) diskreten Elektronikbauteilen, konnte nun eine ganze Reihe von Bauteilen (wie auch die externen Sensoren und Stellglieder) einen Defekt verursachen. Zur Fehlersuche waren neue Kenntnisse über Widerstände, Kondensatoren und Transistoren erforderlich. Ohne entsprechendes Fachwissen konnte das Steuergerät nur als »Blackbox« angesehen werden, die auf unverständliche Weise für zahlreiche Fehler verantwortlich ist.

1.3   ABS mit Halbleitern

1978 ging mit dem von Bosch entwickelten und als ABS 2 bezeichneten Steuermodul das erste elektronisch gesteuerte Antiblockiersystem (ABS) in Serie. Mercedes-Benz und kurz darauf BMW boten es in ihren Fahrzeugen der Oberklasse optional an. Das ABS-Prinzip war nicht neu, denn in der Flugzeugtechnik gab es schon seit 1920 hydraulisch arbeitende Systeme, die allerdings für den Automobilbereich viel zu groß und aufwendig waren. 1969 stellte die US-Firma ITT ein von der deutschen Firma Teves entwickeltes elektronisch gesteuertes ABS vor. Citroën stand 1970 kurz vor der Markteinführung des von Telefunken-Bendix (Teldix) entwickelten ABS. Bereits ab 1971 bot der Chrysler-Konzern sein Luxusmodell Imperial gegen Aufpreis mit einem Sure Brake genannten elektronischen Antiblockiersystem von Bendix an. Dieses war bereits elektronisch gesteuert, steuerte aber nur die beiden Vorderräder einzeln und die Hinterradbremsen gemeinsam an. Nachdem Bosch die Patente und Lizenzen von Teldix übernommen hatte, war die Mercedes-Benz-S-Klasse W 116 im Jahr 1978 als erstes Fahrzeug optional mit einem an allen vier Rädern separat wirkenden ABS verfügbar.

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Bild 1.4: Geöffnetes Steuergerät ABS 2 und zugehöriges Hydraulikventil (Foto: Bosch)

Für die Auswertung der Sensorsignale und die Steuerung des Hydraulikventils kamen im Steuergerät zahlreiche integrierte Schaltkreise (IC – Integrated Circuit) und Mikrocontroller zum Einsatz. Der letzte Schritt vom einfachen Relais hin zum hoch integrierten Mikrocontroller wurde vollzogen: Die Aufgabe des Relais, einen großen Strom mithilfe eines kleineren zu steuern, konnte nun durch einen einzelnen Transistor erledigt werden. Je nach erforderlicher Strombelastbarkeit ist die Baugröße eines Transistors deutlich kleiner als die eines Relais. In einem IC können Tausende bis Millionen Transistoren untergebracht werden. Die bisher aufwendige diskrete Bestückung zur Definition der Steueraufgaben etc. kann als Programm-Code in einem Mikrocontroller abgelegt und jederzeit einfach geändert werden – ohne Modifikationen an der umgebenden Hardware.

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Bild 1.5: Typisches Kfz-Lastrelais, Leistungstransistor, Kfz-Relaisstecker, in dem sich nur Elektronik und gar kein Relais mehr befindet, Kleinsignaltransistor, EPROM mit Löschfenster, moderner Mikrocontroller

1.4   Digitale Motorsteuerung

Der letzte Evolutionsschritt wurde 1979 mit Einführung der Bosch Motronic im BMW 732i (E23) vollzogen. Das System fasste erstmals Benzineinspritzung und Zündsystem zu einer kennfeldgesteuerten elektronischen Motorsteuerung zusammen. Das Zündkennfeld wird in einem nicht-flüchtigen Speicher (früher ein EPROM – Erasable Programmable Read-Only Memory, heute zunehmend NVRAM – Non-Volatile Random-Access Memory) vom Fahrzeughersteller gespeichert. Es handelt sich dabei um eine Look-up-Tabelle, in der im Schnittbereich von Werten für Drehzahl und Motorlast (meist bezogen aus der Luftmasse, dem Saugrohrunterdruck oder dem Winkel der Drosselklappe) ein Wert für die Zündwinkeleinstellung zugeordnet ist. Während der Fahrt kann dann der Mikrocontroller im Steuergerät anhand der Eingangsgrößen Drehzahl und Motorlast zu jedem Zeitpunkt überprüfen, welche Einstellung für den Zündwinkel (bezogen auf den oberen Totpunkt = höchste Stellung des Kolbens im Zylinder) vorgenommen werden soll und diese ansteuern. Die optimalen Werte werden vom Fahrzeughersteller auf einem Motorprüfstand ermittelt, sodass der Ottomotor in jedem Last- und Drehzahlbereich bezüglich Verbrennung, Leistung und Abgasabgabe optimal arbeitet. Wird die Tabelle grafisch als Flächendiagramm dargestellt, ergibt sich ein charakteristisches Bild.

Tabelle 1.1: Fiktive Look-up-Tabelle für ein Kennfeld

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Bild 1.6: Charakteristisches Flächendiagramm des Kennfelds

Je höher die Auflösung für Drehzahl und Last ist, desto besser kann der Motor eingestellt werden. Aufgrund des (in den Anfangszeiten) knappen und teuren Speichers waren die Kennfelder eher grob. Um dennoch auch für Werte, die nicht in der Tabelle abgelegt sind, einen passenden Ansteuerungswert zu finden, können Zwischenwerte interpoliert werden. Aber auch hier gab es früher eher Beschränkungen, da die Prozessoren nicht mit Kommazahlen, sondern meist mit einer Festkommaarithmetik arbeiteten. Sie war platzsparender und lieferte schneller Rechenergebnisse. Heutige Motorsteuergeräte verfügen über kaum begrenzten Speicherplatz und leistungsfähige Prozessoren, um auch komplizierte Gleitkommaberechnungen schnell durchzuführen.

Genau genommen handelt es sich bei der Aufgabe, die ein Motorsteuergerät wahrnimmt, nicht um eine offene Steuerung, sondern um eine geschlossene Regelung. Der mit Sensoren gemessene IST-Zustand wird mit einem berechneten Soll-Zustand verglichen (Rückkopplung) und dann über Aktuatoren nachgeregelt.

Neben dem Vorteil des verbesserten Motormanagements war auch die Einführung von digital gespeicherten Kennfeldern praktisch. Modifikationen der Steuerung für unterschiedliche Motoren oder Fahrzeuge waren so ohne Änderungen an der Hardware in wenigen Minuten erledigt. Mit dem mehr oder weniger gleichen Steuergerät konnten Fahrzeuge unterschiedlicher Hersteller betrieben werden. Es musste lediglich ein anderer Kennfelddatensatz in den Speicher gespielt werden – entweder mithilfe eines Programmiergeräts, das die Daten im EPROM überschrieb, oder durch Austausch des ganzen EPROM. Auch beim heute so beliebten Chip- und Ecotuning wird nichts anderes gemacht: Die Kennfelder des Herstellers werden ausgelesen oder sind bekannt, und dann wird ein an die individuellen Wünsche angepasstes Kennfeld wieder im Steuergerät gespeichert.

Im deutschsprachigen Raum wird das Motorsteuergerät mit »MSG« abgekürzt. Im englischen Sprachgebrauch gibt es sowohl die ECU (Engine Control Unit) als auch das ECM (Engine Control Module). Beide Begriffe werden oft nebeneinander verwendet. Nicht selten (vor allem in den Normen) findet man die Abkürzung ECU aber als Bezeichnung für alle beliebigen Steuergeräte. In diesem Fall steht die Kurzform für »Electronic Control Unit«, und das Motorsteuergerät wird ECM genannt. In diesem Buch wird als ECU stets ein Motorsteuergerät bezeichnet.

Moderne Steuergeräte übernehmen viel mehr Aufgaben als die erste Generation der Motronic. Diese wurde zwar auch weiterentwickelt, erreichte aber nie die aktuelle Komplexität: Zum Zündwinkelkennfeld kam ein Gemischkennfeld, das auf den Betrieb mit einem Schalt- oder Automatikgetriebe abgestimmt war und den Treibstoffbedarf und die Abgasemission weiter reduzierte. Im nächsten Schritt wurde noch ein für die Warmlaufphase des Motors optimiertes Kennfeld hinzugefügt. Inzwischen sind zahlreiche weitere Aufgaben hinzugekommen, wie z. B.:

•   Steuerung der Benzineinspritzung und Zündung (verteilerlose Zündung)

•   Ansteuerung und Regelung der Drosselklappe anstatt des mechanischen Seilzugs

•   Regelung der Turboaufladung

•   Regelung der Leerlaufdrehzahl

•   Lambdaregelung

•   On-Board-Diagnose

•   Steuergeräte-Eigendiagnose

•   Elektronisch abgeregelte Höchstgeschwindigkeit

•   Notlaufprogramm

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Bild 1.7: 4-Zylinderzündspule für verteilerlose Zündung (Foto: BERU Systems)

Für die Regelungs- und Steueraufgaben verarbeitet das Motorsteuergerät Sensordaten, wie z. B.:

•   Angesaugter Luftmassenstrom

•   Winkel-/Drehzahlgeber von Kurbel- und Nockenwelle(n)

•   Winkelgeber der Drosselklappe

•   Barometrischer Umgebungsluftdruck

•   Signal der Lambdasonde(n)

•   Kraftstoffdrucksignal

•   Temperatur der Motorkühlflüssigkeit

•   Temperatur und Druck des Motoröls

•   Temperatur der angesaugten Luft

•   Signal des Klopfsensors

•   Gaspedalwinkel (Fahrerwunsch)

•   Bremssignal

•   Kupplungspedalschalter

•   Fahrgeschwindigkeits-Regelungssystem (Tempomat)

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Bild 1.8: Die derzeit aktuelle Version der Motronic (ME17/MED17) berechnet über 8.000-mal pro Minute die Einspritzund Zündparameter für jeden einzelnen Verbrennungsvorgang (Foto: Bosch)

Anhand der Eingangssignale und der im Speicher abgelegten Kennfelder oder Berechnungen des Prozessors werden dann Stellglieder betätigt, die zur Veränderung von unter anderem folgenden Bauteilen führen:

•   Zündzeitpunkt und Zündenergie

•   Einspritzzeitpunkt und Einspritzmenge

•   Drosselklappenstellung

•   Ladungsbewegungsklappen

•   Nockenwellenverstellung

•   Ventilhub

•   Abgasrückführventil

•   Tankentlüftungsventil

•   Kompressoransteuerung

•   Turbolader-Bypass-Kontrolle (Waste-Gate)

•   Kraftstoffpumpe

•   Generatorerregung

•   Lüftersteuerung

•   Katalysatorheizung

1.5   Steuergeräte

Zu dem ursprünglichen Motorsteuergerät und dem ABS kamen im Lauf der Weiterentwicklungen immer mehr Steuergeräte hinzu. Nur wenige neue Geräte übernehmen seitdem allerdings zusätzliche sicherheitsrelevante Aufgaben oder dienen der Optimierung des Motormanagements:

•   Airbags

•   Rückhaltesysteme/Gurtstraffer

•   Electronic Stability Program (ESP)

•   Getriebesteuerung

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Bild 1.9: Meilensteine in der Entwicklung der Fahrerassistenzsysteme in Deutschland (Quelle: FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH)

Die Mehrzahl der Komponenten hat ausschließlich Komfortfunktionen oder beinhaltet Fahrerassistenzsysteme. Hierzu zählen Funktionen wie:

•   Abstands- und Geschwindigkeitskontrolle

•   Spurhalteassistent

•   Schließfunktionen für Türen, Fenster, Heckklappe etc.

•   Klimaautomatik

•   Sitz- und Spiegelverstellung

•   Rückfahrkamera/Nachtsichtassistent

•   Stand-, Sitz- und Lenkradheizung

•   Einparkhilfe/-assistent

•   Multimedia

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Bild 1.10: 17 Steuergeräte in einer E-Klasse W210 von 1995 (Quelle: Daimler AG)

Ein Vergleich der Ausstattungen der letzten Jahrzehnte zeigt, wie stark die Zahl der Steuergeräte in Fahrzeugen zugenommen hat: 1995 waren in einer Mercedes-Benz-E-Klasse W210 etwa 17 Steuergeräte verbaut (je nach gewählter Ausstattung), in einer E-Klasse BR212 waren es 2011 bereits an die 67 Steuergeräte.

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Bild 1.11: 67 Steuergeräte in einer E-Klasse BR212 von 2011 (Quelle: Daimler AG)

1.5.1   Exemplarischer Einsatz von Steuergeräten für mehr Komfort: der Scheibenwischer

Zu den abgebildeten Steuergeräten kommen noch zahlreiche weitere hinzu, die einfache Aufgaben übernehmen, die früher durch einfache Schalter oder direkt angesteuerte Motoren erledigt wurden. Die Steuerung der Frontscheibenwischer bestand üblicherweise aus einem einfachen Schalter, der direkt (oder über ein Relais) den Wischermotor aktivierte. Die Kreisbewegung des Motors wurde durch ein rein mechanisches Gestänge in eine Wischbewegung umgesetzt. Inzwischen werden für einen vergleichbaren Vorgang mehrere Steuergeräte eingesetzt, wie Bild 1.12 zeigt.

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Bild 1.12: Scheibenwischersteuerung VW Touran 2003 (Quelle: Volkswagen AG)

Anstatt eines Getriebes befindet sich an jedem Wischerarm ein eigener Motorantrieb mit jeweils eigenem integriertem Steuergerät. Das Signal zum Wischen erhalten die beiden Wischersteuerungsgeräte vom zentralen Steuergerät fürs Bordnetz, das auch noch andere Aufgaben übernimmt und über den Zündschalter mit Strom versorgt wird. Über einen Schalter an der Motorhaube erkennt das Bordnetzsteuergerät, wenn die Motorhaube geöffnet ist, z. B. um die Wischer dann automatisch in eine Wartungsposition zu fahren oder eine Wischerbewegung allgemein zu verhindern. Der Befehl zum Scheibenwischen wird auch nicht mehr direkt per einfachem Schalter an das Steuergerät fürs Bordnetz übermittelt, sondern kommt vom Steuergerät für die Lenksäulenelektronik, an das der bekannte Wischerhebel mit Schalter angeschlossen ist. Zusätzlich wertet das Bordnetzsteuergerät Daten von den Steuergeräten Kombiinstrument (Außentemperatur) und Antrieb (Fahrgeschwindigkeit und -richtung) aus. Die Temperatur beeinflusst das Verhalten der Wischerbewegung am Anfang, um z. B. zu erkennen, ob die Wischerblätter an der Scheibe angefroren sind (und deshalb eine erhöhte Stromaufnahme im Wischermotor regulär sein kann) oder ob die Stromaufnahme doch auf eine Fehlfunktion wie die Blockade der Blätter hinweist. Anhand der Fahrgeschwindigkeit werden verschiedene Komfortfunktionen abgerufen:

•   Längere Pause beim Wischerintervall im Stand

•   Zeitspanne bis zum Nachwischen (»Tränenwischen«)

•   Geschwindigkeit der Wischerbewegung

•   Aktivierung des Heckwischers bei Einlegen des Rückwärtsgangs

Der zusätzliche Komfort und die Gewichtsreduzierung durch den Wegfall der Mechanik werden mit mehr Elektronik erkauft, die zum Einsatz kommt. Eine Reparatur ist dann nicht mehr mit einfachen Mitteln möglich. Schalter, Wischermotor und Gestänge waren robust und wiesen nur selten Störungen auf, die, wenn sie auftraten, leicht zu beheben waren. Durch die Vielzahl an notwendigen Signalen, Datenleitungen und Steuergräten ist eine Reparatur an der modernen Wischersteuerung aufwendig und teuer, und die Fehlersuche kann kompliziert sein.

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Bild 1.13: ADAC-Pannenstatistik 2011

Eine wichtige Aufgabe der Steuergeräte wurde zunehmend die Eigendiagnose. Damit ein Ausfall von Sensorwerten nicht zur Beschädigung des Motors oder anderer Bauteile führt und auch keine Gefahrensituation eintritt (beispielsweise Ausfall der Bremsen), muss das Steuergerät sich selbst und die angeschlossenen Baugruppen überwachen und bei einem Defekt in ein Notprogramm übergehen. Bei diesem werden fehlende Sensorsignale durch einen vorgegebenen Wert ersetzt. Zur Eigendiagnose gehören die nachfolgend aufgeführten Teilsysteme.

•   Selbst-Check: Mit dem Einschalten der Zündung wird überprüft, ob das Steuergerät selbst fehlerfrei arbeitet, ob zu einem früheren Zeitpunkt gespeicherte gravierende Fehler vorliegen und ob die Sensoren und Aktoren plausible Daten liefern.

•   Plausibilität: Die Messwerte eines jeden Sensors dürfen sich nur in einem bestimmten Bereich bewegen. Sind die Werte außerhalb des Bereichs, kann ein Fehler vorliegen. Auch dürfen sich Werte verschiedener Sensoren nicht widersprechen. Wenn nach einiger Fahrzeit z. B. die Öltemperatur Minusgrade betragen soll, während die Kühlwassertemperatur bei 90 °C liegt, stimmt etwas nicht.

•   Selbstheilung: Hier geht es um das Erkennen sporadisch auftretender Fehler, die nur einmal kurz auftreten (z. B. ein Kurzschluss nach einem Starkregen). Das Steuergerät erkennt den Fehler und auch, dass er nicht dauerhaft ist, sodass er nicht gespeichert werden muss.

•   Redundanz: Fällt ein Sensor aus und wird der Ausfall erkannt, kann der Messwert eines anderen Sensors benutzt werden, der eigentlich eine andere Aufgabe hat. So kann ein Notlauf mit einem starren Ersatzwert verhindert oder optimiert werden. Fällt beispielsweise der Sensor für die Drosselklappenstellung zur Ermittlung der Motorlast aus, kann die Stellung des Gaspedals als Ersatzwert genommen werden.

•   Adaption: Die gespeicherten Kennlinien bilden einen idealen Motor auf dem Prüfstand ab. Ein realer Motor liefert je nach Umgebungsbedingungen davon abweichende Werte. Erkennt das Steuergerät beispielsweise, dass bei einer bestimmten Last die Einspritzung gemäß des Kennfelds nicht zu einer idealen Verbrennung führt, weil der Treibstoff verunreinigt ist, werden die Einspritzparameter an die neuen Bedingungen angepasst.

•   Bereitstellen von Diagnosedaten: Messwerte und Fehlercodes können aus dem Gerät ausgelesen werden.

2   Anfänge der Diagnosemöglichkeiten

Je weiter die Ausstattung mit elektronischen Komponenten im Fahrzeugbau voranschritt, desto wichtiger wurde es, dem Techniker in der Werkstatt Möglichkeiten an die Hand zu geben, Störungen und Fehler im Bordnetz zu finden. Zum einen wurde es notwendig, die Techniker entsprechend zu qualifizieren, denn das Wissen um bisher rein mechanische Abläufe, musste zunehmend erweitert werden: zuerst nur um einfache elektrische Bauteile, aber zunehmend war es auch wichtig, komplexe Steuer- und Regelabläufe zu kennen. Mit dem Schritt zu komplexen Steuergeräten wurde die Qualifikation aber immer problematischer. Zwar kann noch das grundlegende technische Hintergrundwissen gelehrt werden, auf Mikrocontrollern basierende Steuergeräte können aber in der klassischen Autowerkstatt nicht mehr diagnostiziert oder gar repariert werden – auch wenn teilweise die Reparatur der ersten analogen Motronic-Steuergeräte noch gelehrt wird. Der Servicetechniker ist heute mehr oder weniger darauf angewiesen, dass das Steuergerät ihm mitteilt, wo ein Fehler vermutet wird. Handelt es sich um ein externes Bauteil (z. B. ein Sensor oder ein Stellglied), kann er es ggf. noch reparieren (wobei meist das Teil eher ausgetauscht wird). Wird ein Fehler im Steuergerät vermutet, bleibt nichts anderes übrig, als das ganze (oft sehr teure) Steuergerät auszutauschen. Während bei anderen Komponenten wie z. B. Lichtmaschine, Anlasser oder Motorblock die defekten Bauteile vom Hersteller oft wieder repariert und aufbereitet werden, ist das bei Steuergeräten weniger der Fall. Dabei könnte sich eine Reparatur durchaus lohnen, denn die neuralgischen Elemente sind weniger die Prozessoren, sondern einfache diskrete Bauteile und kalte Lötstellen oder ähnliche, einfach zu behebende Defekte.

2.1   Das Multimeter

Für die ersten elektrischen Bauteile genügten vor etwa 30 Jahren noch einfachste Prüfmittel. So erstaunt es nicht, dass man auch heute noch bei vielen Servicetechnikern eine klassische Prüflampe im Werkzeugkasten findet. Die einfache Bauform besteht lediglich aus einer Glimmlampe, die bei Anliegen einer Spannung zwischen ca. 6 V und 24 V an der Spitze und an der hinten hinausgeführten Anschlussleitung aufleuchtet. So kann schnell überprüft werden, ob ein Bauteil Spannung führt.

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Bild 2.1: Spannungsprüfer mit LEDs (Foto: Testboy GmbH)

Etwas fortgeschrittenere Prüflampen können darüber hinaus mit einer LED auch den ungefähren Spannungsbereich anzeigen. Zusätzlich kann die Polarität oder das Anliegen einer Wechselspannung signalisiert werden. Dazu ist nur eine einfache Schaltung mit zwei Dioden erforderlich1. Bei Wechselspannung leuchten beide LEDs für Plus und Minus auf, und bei einer anliegenden Gleichspannung zeigt die eine aufleuchtende LED, welche Polarität an der Prüfspitze anliegt.

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Bild 2.2: Signalisierung der Polarität an einer Prüflampe mit LEDs

Mit einem Spannungsprüfer lassen sich sehr leicht Sicherungen prüfen, ohne dass man sie einzeln aus dem Sicherungsträger abziehen muss. Da die meisten Sicherungen so eingebaut sind, dass sie permanent mit der Batterie verbunden sind, muss die Anschlussleitung des Spannungsprüfers nur mit Masse verbunden werden. Mit der Prüfspitze werden dann nacheinander die beiden blanken Prüfpunkte an den Oberseiten getestet. Wenn an einer Seite Spannung anliegt, muss auch an der anderen Seite Spannung anliegen – andernfalls ist die Sicherung defekt. Nur wenn an beiden Seiten keine Spannung anliegt, muss die Sicherung zusätzlich mit einem Durchgangsprüfer getestet werden. Leider besitzen die immer öfter verbauten Mini-Flachstecksicherungen (anders als die älteren Torpedo- und ATO-Sicherungen) oft an der Oberseite keine Prüfpunkte mehr, sodass bei ihnen ein Ausbau nicht umgangen werden kann.

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Bild 2.3: Torpedo- und ATO-Flachstecksicherung (mit offenen Prüfpunkten an der Oberseite)

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Bild 2.4: Sicherungsträger mit Standard- und Mini-Flachstecksicherungen bestückt

Ersetzen Sie niemals eine (defekte) Sicherung durch eine mit einem höheren Nennwert (Strombelastbarkeit), da dies u. a. zu Kabelbränden führen kann. Einen niedrigeren Nennwert können Sie hingegen gefahrlos ausprobieren.

2.1.1   Einfache Messungen mit dem Multimeter

Heute ist es üblich, die Fehlersuche damit zu beginnen, die Fehlerspeicher über die Diagnoseschnittstelle auszulesen (siehe Kapitel 6). Dennoch bleibt ein einfaches Multimeter, wie es schon für 10 Euro zu haben ist, immer noch unersetzlich und ein praktisches Hilfsmittel und ersetzt auch die historische Prüflampe. Empfehlenswert für den Kfz-Bereich ist ein digitales Multimeter, das neben Spannung und Strom auch noch weitere Werte messen kann:

•   Widerstand

•   Kapazität

•   Frequenz

•   Temperatur

Außerdem dient es als Durchgangsprüfer.

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Bild 2.5: Digitalmultimeter mit automatischer Bereichswahl und zusätzlichen Messbereichen für Widerstand, Kapazität, Frequenz und Temperatur

In die als COM bezeichnete Buchse für den Masseanschluss (beim in Bild 2.5 gezeigten Beispielgerät) wird die Prüfleitung für Masse gesteckt. Je nachdem, welcher Wert (in welchem Bereich) gemessen werden soll, wird die zweite Leitung in eine der anderen Buchsen gesteckt. Bei Strommessungen sollte stets mit dem höchsten Bereich begonnen werden (im Beispiel 10 A), wenn nicht hundertprozentig sichergestellt werden kann, dass ein kleinerer Strom fließt. Digitale Multimeter verfügen über einen Verpolungsschutz, sodass es egal ist, welche Messleitung an Plus oder Minus angeschlossen wird. Liegt eine »Verpolung« vor, bei der die Masseleitung an Plus anliegt, zeigen die Geräte im Display ein entsprechendes Symbol (z. B. ein Minuszeichen vor dem Messwert) – die eigentliche Messung funktioniert aber trotzdem. Bei Wechselspannungen wird dann beispielsweise eine Welle im Display gezeigt.

Moderne Glasfaserleitungen, wie sie vor allem zunehmend für Multimediageräte im Fahrzeug verbaut werden, können nicht mit einem Multimeter überprüft werden. Auch ist es für den Laien nicht möglich, derartige Leitungen zu reparieren, da Spezialequipment notwendig ist.

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Bild 2.6: