cover

Jason Starr

Ein wirklich

netter Typ

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Hans M. Herzog

 

 

 

 

 

 

 

 

Titel der 2000 bei

No Exit Press, London,

erschienenen Originalausgabe: ›Fake I.D.‹

Copyright © 2000 by Jason Starr

Die deutsche Erstausgabe erschien

2002 im Diogenes Verlag

Umschlagfoto von Ernst-Hermann Ruth

Copyright © Ernst-Hermann Ruth,

BFF, DGPH

 

 

Für Sandy

 

 

Alle deutschen Rechte vorbehalten

Copyright © 2012

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 23433 6 (3. Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60244 9

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

[5] 1

Die Tore der Jai-Alai-Halle in Milford blieben noch eine Stunde geschlossen, doch ich fuhr nicht zu irgendeinem Imbiß, nur um die Zeit totzuschlagen, sondern blieb lieber in meinem Wagen sitzen und las die Racing Form.

Als ich gerade anfing, mich mit den Favoriten für die ersten beiden Rennen auf dem Aqueduct Race Track zu beschäftigen, klopfte jemand auf der Beifahrerseite ans Fenster. Ich schaute hoch und sah einen kleinen dicken Mann, der mich anlächelte. Zuerst hatte ich keine Ahnung, wer das war, dann kam er mir irgendwie bekannt vor. Er hatte dunkle Augenbrauen und einen riesigen Leberfleck auf dem Kinn. Die Augen waren blutunterlaufen, als wäre er betrunken, aber vielleicht lag es auch daran, daß er wegen des kalten Windes die Augen zusammenkniff. Er hatte eine dieser schwarzen Wollmützen auf, die so ziemlich jeden wie einen Geisteskranken aussehen lassen.

Ich ließ den Motor an und öffnete das Fenster einen Spaltbreit. Ein kalter Luftstoß wehte ins Wageninnere.

»Wie geht’s denn so?« fragte der Typ.

Ich konnte ihn immer noch nicht einordnen. Er sah aus wie fünfundvierzig, vielleicht auch fünfzig – mindestens zehn Jahre älter als ich.

[6] »Ganz gut soweit«, sagte ich.

»Du erinnerst dich nicht an mich, oder?«

»Das Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor, aber…«

»Du heißt Danny, stimmt’s?«

»Tommy«, sagte ich.

»Ich wußte doch, daß es irgendwas mit Ypsilon am Ende war. Kennst du mich noch? Du weißt schon: Pete. Pete aus Yonkers.«

Jetzt fiel es mir wieder ein. Vor ein paar Jahren hatte ich mehrmals wöchentlich die Rennbahn in Yonkers aufgesucht und auf Traber gesetzt. Pete war dort Stammgast gewesen.

»Jetzt weiß ich’s wieder«, sagte ich. »Ich hab nur ein Weilchen gebraucht, um dein Gesicht unterzubringen. Wie läuft’s denn so?«

»Könnte besser sein«, sagte er. »Bin seit gestern abend frisch aus Vegas zurück. Hab ein bißchen was gewonnen, nicht die Welt. Hätte auf die Kaimaninseln fliegen sollen. Schon von den Wettbüchern gehört, die sie da unten haben?«

»Mit den acht Prozent Rückzahlung.«

»Verdammt, schier unglaublich. Die zahlen einem auf sämtliche Einsätze acht Prozent zurück. Wer mit hohem Einsatz spielt, kann sich gar nicht erlauben, nicht auf die Kaimans zu fliegen. Na gut, is vielleicht empfehlenswert, in einige dieser Schuppen ’ne Knarre mitzunehmen, verstehste? Aber was will man denn, wenn man auf Pferde wettet: sich nobel amüsieren oder acht Prozent Rückzahlung auf alle Einsätze?«

»Ich würde die acht Prozent nehmen«, sagte ich.

»Verdammt richtig«, sagte Pete. »Das würde jeder echte [7] Spieler machen.« Er wandte sich ab und spuckte. Weil das Fenster offenstand, wurde es kalt im Wagen.

»Schon mal in Vegas gewesen?« fragte Pete.

Ich schüttelte den Kopf.

»Machst du Witze? Man muß in Vegas gewesen sein, Alter. Aber Glücksspiel im Kasino steht auf ’m ganz anderen Blatt. Wenn man in einem Kasino spielt, dann muß es nobel zugehen. Hör auf mich, geh bloß nicht ins Bally’s, falls du mal nach Vegas kommst. Wenn du unbedingt zu Bally’s willst, fahr runter nach Atlantic City und spiel an diesen Mickymaus-Tischen, die sie da haben. Wenn du mal ein Wochenende in ’nem echten Luxusschuppen verbringen willst, mußt du ins Caesar’s Palace. Verdammt, da behandeln sie dich echt wie einen König. Und damit meine ich den Service, nicht die Shows. Wenn du Shows sehen willst, schalt die Glotze ein. Fährst du nach A.C.?«

»Gelegentlich«, sagte ich.

»Ich bin fast jedes Wochenende in A.C.«, sagte Pete. »Wo hältste dich da auf?«

»Überall«, sagte ich.

»Ist ’ne echte Umstellung, nach A.C. zu fahren, wenn man mal in Vegas war«, sagte Pete. »Als würde man sich wieder in ’nen Chevy setzen, nachdem man einen Porsche gefahren hat.« Er hustete. »Ey, was dagegen, wenn ich mich zu dir in den Wagen setze? Hier draußen frier ich mir echt die Eier ab.«

Eigentlich wollte ich nein sagen, mir irgendeine Ausrede ausdenken, mir fiel aber keine gute ein. Außerdem mußte ich noch etwas Zeit totschlagen und hatte nichts Besseres vor. Ich beugte mich über den Sitz, hob den [8] Türgriff an und sagte: »Du mußt ziehen.« Pete zog mit aller Kraft, trotzdem ging die Tür nicht auf. Es war ein richtiges Wunder, daß mich dieser Scheißwagen bis nach Connecticut gebracht hatte. Es war ein neunundachtziger Olds, aber dermaßen verbeult, daß man schon Mike Tyson sein mußte, um in die Gurke rein- und wieder rauszukommen.

»Fester«, sagte ich.

Pete probierte es noch ein paarmal, bis die Tür endlich aufging. Er setzte sich neben mich, und ich wurde fast ohnmächtig. Ich hatte selbst gelegentlich Körpergeruch, vor allem wenn ich mich in einem Tanktop im Fitneßstudio abgerackert hatte, aber Pete stank gen Himmel. Ich öffnete das Fenster etwas weiter, damit ein wenig frische kalte Luft hereinkam, aber das half nichts.

»Wo war ich gerade?« sagte Pete. »Genau… A.C. Meistens steig ich in der Nähe vom Sands ab. Ein Bekannter von mir organisiert Betriebsausflüge aus Brooklyn – durch ihn krieg ich die Zimmer billiger. Wenn wir mal am selben Wochenende runterfahren, kann ich dich vielleicht in meinem Zimmer unterbringen. In den Zimmern stehen zwei Betten, und das andere bleibt einfach unbenutzt. Mein Bett bleibt auch unbenutzt. Wer benutzt schon sein Bett, wenn er in Vegas oder A.C. ist? Außer man schiebt ’ne Nummer, klar, aber keiner schläft in seinem Bett. Im Zimmer stellt man bloß zwei Nächte lang sein Gepäck ab.«

»Ich will ja nicht unhöflich sein«, sagte ich, »aber ich wollte mir gerade das Programm von Aqueduct durchsehen…«

»Ach ja?« sagte Pete, der den Wink nicht verstand. »Irgendwas dabei?«

[9] »Eigentlich nicht«, sagte ich, »aber ich hatte halt gehofft, mich ein bißchen konzentrieren zu können.«

»No problema«, sagte Pete. »Ich werd dich nicht mehr stören.«

Er lehnte sich zurück und nahm ein Taschentuch aus seiner Jeans. Nachdem er ein wenig hineingehustet hatte, steckte er es weg. Der Gestank im Wagen wurde immer schlimmer.

Ein Weilchen schaute Pete noch aus dem Beifahrerfenster und atmete tief durch, dann wandte er sich wieder mir zu. »Also, womit verdienst du so dein Geld?«

»Ich bin Schauspieler«, sagte ich.

»Tatsächlich?« Er klang überrascht oder beeindruckt, was von beiden, war mir nicht klar. »In etwas mitgespielt, was ich kenne?«

»Wohl kaum«, sagte ich.

»Na los. Nenn mir was.«

»Nur hier und da in ein paar Kleinigkeiten«, sagte ich.

»Die Schauspielerei ist bestimmt ein hartes Geschäft«, sagte Pete, »jedenfalls wenn man damit seinen Lebensunterhalt verdienen will. Was machst du sonst noch so?«

»Was soll das heißen?«

»Daß ich annehme, daß du deinen Lebensunterhalt nicht mit Schauspielerei bestreitest.«

»Wieso nimmst du das an?«

»Nichts für ungut… ist nicht bös gemeint. Bestimmt bist du ein prima Schauspieler. Dein Äußeres stimmt jedenfalls, das steht fest. Bist ein großer, gutaussehender Bursche. Aber hast du einen… wie sagt man noch gleich – einen ›Brotberuf‹?«

[10] »Ich arbeite in einer Bar«, sagte ich.

»Ach ja? Kenne ich die zufällig?«

»O’Reilley’s.« Und ich fuhr fort: »An der First Avenue.«

»In der City«, sagte er, als klänge ihm das zu angeberisch. »Und was genau machst du da?«

»Ich bin Rausschmeißer«, sagte ich.

»Echt?« Er musterte mich kurz. »Du wohnst also in der City?«

»Ich hab eine kleine Wohnung in der Nähe der Bar.«

»Ach ja? Dann verdienst du also bei dem Job ein paar Dollar?«

Allmählich wurde ich echt sauer. Was erlaubte sich dieser Typ eigentlich, mich nach meinem Lohn auszu-fragen?

»Ich kann nicht klagen«, sagte ich.

»Wie oft arbeitest du, so fünf, sechs Abende die Woche?«

Ich rackerte mich an sechs Abenden in der Woche ab wie ein Bekloppter.

»Warum willst du das alles wissen?«

»Die reine Neugier«, sagte er. »Glaub mir, ich will dir damit nicht zu nahe treten.«

»Mein Lohn geht nur mich etwas an.«

»Glaub mir, das weiß ich auch. Was du verdienst, ist mir wirklich egal. Ich frage nur, weil ich Geschäftsmann bin, und meine Freunde sind auch Geschäftsleute, und ich dachte, falls du bei dir zu Hause ein wenig Bargeld herumliegen hast…«

»Ich verleihe kein Geld«, sagte ich.

Er lachte laut. Aus dem Lachen wurde ein heftiges Husten.

[11] »Entschuldige mal«, sagte er, als er wieder durchatmen konnte. »Sehe ich etwa so aus, als bräuchte ich dein Geld?«

Ja, dachte ich.

»Ich wollte nur etwas über deine finanziellen Verhältnisse erfahren, weil sich für mich kürzlich eine Anlagemöglichkeit aufgetan hat, für die sich jemand wie du durchaus interessieren könnte.«

»Wie ich schon sagte, ich verleihe kein Geld.«

»Hier geht’s nicht ums Verleihen, sondern ums Investieren. Ich erklär das mal eben.« Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und fuhr dann fort: »Also, ich kenne da jemanden… Alan Schwartz. Ein Jude. Jedenfalls arbeitet Schwartz an der Wall Street und gründet gerade eine Besitzergemeinschaft. Nicht eins dieser großen Syndikate, denen Derbypferde gehören, sondern nur ein paar Typen, die etwas Geld zusammenkratzen, um ein Pferd, vielleicht zwei Pferde zu kaufen. Geplant war, fünf Typen zu finden – die ein Faible für Pferderennen haben –, und die gehen auf die Rennbahn und kaufen einen Youngster. Zuerst hab ich dem Mann nicht getraut… schließlich bin ich nicht blöd. Aber dann hab ich das Ganze überprüft, und alles ist reell. Sie haben einen Trainer gefunden und so weiter. Schon mal von Bill Tucker gehört?«

Ich nickte.

»Ich habe Bill vor ein paar Wochen kennengelernt«, sagte Pete. »Angenehmer, bodenständiger Südstaatler, grundsolide. Jedenfalls berät er uns, welches Pferd wir kaufen sollen, und dann sehen wir weiter. Wer weiß? Vielleicht haben wir bald einen zweiten John Henry.«

Ich wußte zwar über John Henry Bescheid – das Pferd [12] war für zwanzig Riesen gekauft worden und hatte später Millionen erlaufen –, doch ich saß einfach nur da und blickte ins Leere.

»Jedenfalls«, fuhr Pete fort, »hab ich dich nur deshalb gefragt, wieviel Geld zu verdienst. Nicht weil ich neugierig wäre, sondern weil wir zur Zeit vier Interessenten sind und noch einen fünften suchen. Jeder von uns steu-ert zehn Riesen bei. Ich weiß ja weder, ob du den Betrag aufbringen kannst, noch, ob du überhaupt Mitbesitzer eines Pferdes sein willst, dachte mir aber, man kann ja mal fragen.«

Für mich hörte sich das nach einem großen Betrugsmanöver an. Einen Fremden auf einem Parkplatz fragen, ob er sich einer Besitzergemeinschaft für Rennpferde anschließen will? Pete war zweifellos ein Gauner, der mich um mein Geld erleichtern wollte, und ich war nicht der Mann, der sich übers Ohr hauen ließ.

»Tut mir leid«, sagte ich. »Kein Interesse.«

»Ich hab ja nur gefragt«, sagte Pete. »Dachte mir ein Pferderennfreund wie du würde sich so was bestimmt nicht entgehen lassen, aber wir finden garantiert einen anderen. – He, wenn du mal nach Brooklyn kommst, mach unbedingt in einem meiner Läden halt. Bei mir kriegst du Schauspielerrabatt.«

»In einem deiner Läden?«

»Hab ich dir das nicht erzählt? Mir gehören ein paar Schuhgeschäfte in Brooklyn. Kennst du den Kings Highway?«

»Ich bin in Brooklyn aufgewachsen.«

»Kein Witz? Ich hab zwar einen leichten Dialekt [13] rausgehört, der klang für mich aber eher nach Staten Island oder Jersey. Wo kommst du her?«

»Canarsie.«

»Willst du mich veralbern? Ich stamme aus Coney Island, bin in der Nähe der Neptune Avenue aufgewachsen. Jetzt wohne ich in Manhattan Beach. Hab ein großes Haus, direkt am Meer. Also, ich besitze zwei Läden in Brooklyn. Das Hauptgeschäft ist am Kings Highway. Es heißt Logan’s, benannt nach mir – Pete Logan.«

Als Schüler hatte ich mal ein Paar Schuhe bei Logan’s gekauft, und jetzt erinnerte ich mich auch an Pete. Ich sah ihn vor mir, wie er vor zwanzig Jahren hinter der Ladenkasse stand, vielleicht hatte er mich auch beim Kauf beraten.

»Jedenfalls«, sagte er, »wenn du das nächstemal in der Gegend bist, schau einfach mal in einem meiner Läden vorbei. Wenn ich nicht da bin, brauchst du dich nur auf mich zu berufen, und schon kriegst du den Rabatt. War nett, dich mal wieder zu treffen.«

Ich sah Pete nach, als er über den Parkplatz ging und in einen glänzenden schwarzen Mercedes stieg. Dem Typ gehörten also ein paar Schuhgeschäfte, und er fuhr einen Benz, was aber noch lange nicht hieß, daß er kein Betrüger war.

Ich versuchte, meine Racing Form zu lesen, konnte mich aber nicht konzentrieren. Es lag an dem Gestank. Mein verdammter Wagen roch, als wäre jemand drin gestorben.

[14] 2

Natürlich konnte ich beim Jai-Alai keinen Blumentopf gewinnen. Dieser Sport war dermaßen manipuliert, daß ich mir jedesmal wie ein Volltrottel vorkam, sobald der Kassierer meine Wettscheine ausdruckte. Als ich zwei Spiele hintereinander verloren hatte, zerriß ich mein Programm und verzog mich in den Bereich hinter der Schlagmauer, um mir die Liveübertragungen von Pferde- und Hunderennen anzusehen und zu wetten.

Wenn ich nicht gerade ein Vorsprechen hatte – also mittlerweile fast immer – und nicht in der Bar arbeitete, hielt ich mich gewöhnlich in einem OTB-Wettbüro oder im großen Inside-Track-Wettladen an der Fifty-third Street auf. Heute fand ich es ganz angenehm, zur Abwechslung mal woanders zu wetten, aber so wie es lief, würde ich in etwa einer Stunde wieder auf der Autobahn sein und in die Stadt zurückfahren.

Ich hatte keinen Hunger, mußte aber in irgendwas meine Zähne reinhauen, um meinen aufgestauten Frust rauszulassen, deshalb stellte ich mich an, um einen Hamburger zu kaufen. Als ich mich einen Moment später umdrehte, stand Pete am Tresen und quetschte gerade Ketchup auf seinen Hot dog. Ich machte auf dem Absatz kehrt und ging zu der Stelle, wo die Hunderennen übertragen [15] wurden. Ich wußte, daß ich ihm nicht ewig aus dem Weg gehen konnte. Die Halle war nicht sehr groß, und großzügig gerechnet waren heute vielleicht dreihundert Leute da.

Ich hab noch nie bei Hunderennen gewonnen, schlug aber trotzdem das Programm der Hunderennbahn Plainfield auf. Ich setzte fünfzig auf Sieg der Nummer fünf, um anschließend mit anzusehen, wie die Fünf in der ersten Kurve von einem anderen Hund distanziert wurde. Fluchend zerriß ich den Wettschein, ging wieder zurück zum Imbiß und sah, daß Pete verschwunden war. Gott sei’s gelobt und gepfiffen. Nachdem ich zwei Hamburger verdrückt hatte, zählte ich mein Geld. Ich hatte zweihundertsechzehn Dollar im Portemonnaie, brauchte aber mindestens zwanzig für Benzin und Mautgebühren. Ich beschloß, hundert auf das Pferd zu setzen, das mir beim zweiten Rennen in Aqueduct gefiel, das restliche Geld mußte für den ganzen Tag reichen.

Ich ging zum Pinkeln aufs Klo. Gerade stand ich am Waschbecken, spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht und sah geradeaus in den Spiegel, als ich hinter mir Pete hereinkommen sah. In dem gleißend hellen Neonlicht sah der Leberfleck auf seinem Kinn größer aus, und die daraus wachsenden Haare wirkten dunkler. Die Wollmütze hatte er abgesetzt. Seine graumelierten dunklen Haare waren kraus und ungepflegt.

»Wie läuft’s denn so?« fragte er.

»Ganz gut«, sagte ich.

»Ich hab dich vorher schon gesucht«, sagte er. »Weil ich dich nirgends gefunden habe, dachte ich, du wärst abgehauen.«

[16] Ich nahm ein Papiertaschentuch und wischte mir damit über das Gesicht.

»Ich bin noch da«, sagte ich.

»Das sehe ich«, sagte er. »Was geht ab? Schon ein paar Sieger getippt?«

Ich wollte ihm nicht auf die Nase binden, daß ich kurz vor der Pleite stand.

»Hab ein paar Treffer gelandet«, sagte ich.

»Wünschte, ich könnte dasselbe behaupten«, sagte Pete.

»Irgendwann erwischst du bestimmt eine Glückssträhne.«

»Wo sitzt du denn?« fragte Pete. »Vielleicht komme ich mal vorbei und sag hallo.«

»Ich schlendere einfach viel herum«, sagte ich. »Hab keinen festen Sitzplatz.«

Ich merkte, daß er diesen Wink verstanden hatte.

»Egal«, sagte er. »Vielleicht laufen wir uns später noch mal über den Weg.«

Im Spiegel sah ich Pete nach, als er die Toilette verließ.

Ich wettete in dem Aqueduct-Rennen, setzte hundert für Sieg auf Pferd Nummer zehn, und dann noch mal fünfzig auf die Zweierwette, mit dem Zehner als Sieger. Die Nummer zehn kam gut aus der Startmaschine, fiel dann zurück, kam zwar spät noch einmal, verlor aber mit einem Kopf. Ich brüllte den Bildschirm an und trat so fest gegen einen Mülleimer, daß ein Typ von der Security zu mir sagte, wenn ich das noch mal machte, müsse er mich rausschmeißen.

Jetzt hatte ich nur noch sechsundsechzig Dollar, das Geld für Benzin und Maut mit eingerechnet. Das reichte [17] hinten und vorne nicht, deshalb reihte ich mich in die Schlange vor dem Geldautomaten ein, um von meiner Visakarte Geld abzuheben. Vor mir standen vier Typen. Sie sahen abartig aus in ihren speckigen Jeans, Turnschuhen und alten Winterjacken. Dann dachte ich: War ich vielleicht was Besseres? Stand ich nicht in derselben Schlange und wartete darauf, von meiner Kreditkarte Geld abzuheben? Noch vor ein paar Minuten hatte ich wahrscheinlich sogar noch mehr nach Verlierer ausgesehen, als ich gegen den Mülleimer getreten und wie ein Wahnsinniger herumgebrüllt hatte.

Ich hatte nur noch vierundsechzig Dollar auf der Karte, hob also glatte sechzig ab, weil ich dachte, das würde noch ein paar Rennen reichen. Kein Zweifel möglich – heute würde ich keinen Blumentopf gewinnen. In ein paar Stunden saß ich wieder zu Hause in meinem Wohnzimmer und sah fern. Später, um sechs Uhr, wurde ich auf der Arbeit erwartet… noch so ein spannender Abend auf dem Barhocker, Ausweise kontrollieren.

Als ich das dritte Aqueduct-Rennen verloren hatte, warf ich einen Blick auf das Restprogramm. Jetzt hieß die Frage nicht mehr, ob, sondern, wie ich verlieren würde… und dann schaute ich von meiner Racing Form hoch auf den Bildschirm. Der Sieger des Aqueduct-Rennens befand sich im Zielauslauf. Der Jockey war vom Pferd abgestiegen und stand zwischen zwei Typen mit Anzug, wahrscheinlich dem Trainer und dem Besitzer. Rechts neben dem Typ stand eine gutaussehende Blondine in einem weißen Kleid und mit Stöckelschuhen.

Jeder Rennfan träumt davon, irgendwann mal ein Pferd [18] zu besitzen, so wie jeder Amateur-Baseballspieler davon träumt, Profi zu werden. Ich stellte mir immer vor, daß mir in Hollywood Park, Kalifornien, ein ganzer Reitstall gehören würde, sobald ich als Schauspieler groß herausgekommen war. Viele berühmte Schauspieler hatten Rennpferde, und ich träumte immer davon, wie ich mit meiner Freundin – entweder ein Model oder eine Schauspielerin, mit der ich gerade zusammen war – die Rennbahn aufsuchte, in einer Besitzerloge saß und meinen Pferden beim Gewinnen zusah.

Aber so, wie es zur Zeit lief, hatte ich schlechtere Chancen, als Schauspieler erfolgreich zu sein, als im Lotto zu gewinnen. Mein Manager schickte mich kaum noch zum Vorsprechen, was ich ihm nicht verdenken konnte. Er mußte schließlich auch essen, und ich war in den letzten neun Jahren mindestens fünfhundertmal vorsprechen gewesen, hatte aber nur zwei Rollen bekommen: als zweite Besetzung in irgendeinem Off-Broadway-Theaterstück, das nach sechs Vorstellungen abgesetzt wurde, und eine kleine Nebenrolle in einem Kung-Fu-Streifen, der direkt in die Videotheken wanderte. Manchmal war ich als Statist beschäftigt, und früher hatte ich ein wenig als Model für Modekataloge gearbeitet, aber in letzter Zeit überhaupt keine Arbeit mehr bekommen. Es war immer das gleiche – wenn ich mal zum Vorsprechen für »große dunkelhaarige Männer mit blauen Augen« ging, warteten da schon hundert Schauspieler, die genauso aussahen wie ich. Man kam sich vor wie in einem Spiegelsaal… ich schaute mich um und sah mich überall selbst.

Vor sechs Jahren hätte ich beinahe meine große Chance [19] bekommen. Ich machte Probeaufnahmen für eine Liebeskomödie mit Melanie Griffith. Der Regisseur, ein gewisser Simon Devaux, war von mir begeistert. Ich besuchte Devaux in seinem Penthouse an der West Side, wo er mir sagte, daß ich ihn an den jungen Brando erinnere. Er fuhr fort, wenn dieser Film in die Kinos käme, würde ich einer der begehrtesten Stars in Hollywood sein und könnte dann meine Honorare selbst festsetzen.

Am Tag bevor ich an die Westküste fliegen sollte, um die Produzenten und Melanie kennenzulernen, rief mich mein Manager an und sagte, er habe eine schlechte Nachricht für mich. Ich dachte, mein Flug sei ausgefallen, aber er sagte nein, viel schlimmer – Simon Devaux sei tot. Er war auf der Fahrt von L.A. nach San Francisco bei Big Sur von einem Steilfelsen in die Tiefe gerast. Mir kam das Ganze vor wie ein schlechter Scherz. Da war ich so kurz vor dem Durchbruch, und plötzlich platzte dieser Traum wie eine Seifenblase. Mein Manager sagte, ich solle mir keine Sorgen machen, ich bekäme mit Sicherheit andere Angebote, aber das war bisher nicht passiert, und es fiel mir zusehends schwerer, nicht die Hoffnung zu verlieren.

Ich hatte keine Ahnung, was ich mit meinem restlichen Leben anfangen sollte, falls mir nicht der Durchbruch als Schauspieler gelang. Ich war zwar zwei Jahre auf dem Brooklyn College gewesen, sah mich aber nicht noch einmal ein neues Studium beginnen, nicht mit zweiunddreißig. Eins stand jedenfalls fest, ewig würde ich nicht als Rausschmeißer arbeiten. Falls ich mit vierzig immer noch jeden Abend auf einem Barhocker saß, würde ich mir eine Knarre in den Mund stecken und abdrücken. Ich brauchte [20] einen Ausweichplan… etwas, was ich machen konnte, sollte meine Laufbahn als Schauspieler endgültig zu Bruch gehen.

Ich begab mich zum Vorderende der Halle, ging zur Haupttribüne. Ein paarmal schlenderte ich durch den Gang und suchte auf den Sitzen nach Pete, fand ihn aber nicht. Ich beschleunigte meine Schritte, schaute in jede Richtung. Ich durchsuchte das ganze Gebäude – die Toiletten, den Monitorraum, den Eß- und Trinkbereich. Als ich gerade nach draußen gehen und auf dem Parkplatz seinen Wagen suchen wollte, sah ich, wie er sich von einem der Wettfenster entfernte. Ich trabte hinter ihm her und erwischte ihn, als er gerade die Tribüne betreten wollte.

Ich rief seinen Namen, und er drehte sich um. Er schien nicht sehr begeistert, mich zu sehen.

»Ich hab dich überall gesucht«, sagte ich. »Ich dachte schon, du wärst abgehauen.«

»Warum hast du mich denn gesucht?« fragte er.

»Wollte bloß hallo sagen«, erklärte ich. »Und mich für vorhin entschuldigen. Ich war ein echtes Arschloch.«

Man dämpfte die Beleuchtung auf der Haupttribüne, und die übliche laute Trompetenmusik ertönte, als die Jai-Alai-Spieler zum nächsten Match auf das Spielfeld marschierten.

»Ich will das Spiel nicht verpassen«, sagte Pete.

»Ich seh’s mir mit dir an«, sagte ich. »Wo sitzt du denn?«

»Mein Platz ist reserviert – ganz vorne.«

»Der Platzanweiser wird mir schon nicht den Kopf abreißen, wenn ich mich für ein Spiel zu dir setze«, sagte ich. »Wie viele Zuschauer sind heute da, vielleicht fünfzig?«

[21] Ich merkte, daß Pete immer noch sauer war, dennoch bedeutete er mir mit einer Kopfbewegung, ich solle mich zu ihm setzen.

Wir nahmen in der Mitte Platz, in der vierten Reihe. Die angehobene Spielfläche lag in Augenhöhe, und durch das Netz, das die Spieler vom Tribünenbereich trennte, hatten wir eine ausgezeichnete Sicht. Pete stank zwar immer noch, doch aus irgendeinem Grund störte mich das nicht mehr.

»Auf wen setzt du?« fragte ich.

»Auf den mit den bunten Klamotten«, sagte Pete.

»Ich feure ihn an«, sagte ich.

Die Eins schlug auf. Die Zwei retournierte mit einem schwachen Schlag, so daß die Nummer eins zu einem leichten Chula kam.

»Einen hast du«, sagte ich, doch Pete sah mich nicht an.

Die Eins nahm der Drei einen Punkt ab, verlor aber gegen die Vier, als er einen leichten Schlag glatt ins Netz schlug. Wie üblich kam einem das Spiel komplett manipuliert vor, und schon fingen die ersten Zuschauer an zu buhen.

»In der nächsten Runde bist du dran«, sagte ich.

Während wir zusahen, wie Nummer vier gegen fünf spielte, fuhr ich fort: »Ich hab inzwischen über das nachgedacht, was du mir vorhin – draußen im Wagen – erzählt hast, was meine Beteiligung an einem Rennpferd angeht. Vielleicht könntest du mir etwas mehr darüber erzählen.«

»Ich dachte, du wärst nicht interessiert«, sagte Pete. Er klang wieder sauer, was aber diesmal wohl nichts mit mir zu tun hatte. Wahrscheinlich ärgerte er sich immer noch, weil Nummer eins den leichten Wurf verhauen hatte.

[22] »Tja, ich hab ein wenig gründlicher überlegt«, sagte ich, »und mir gedacht, vielleicht wäre es ganz lustig, wenn mir der Teil eines Rennpferds gehörte.«

Die Fünf versiebte einen leichten Wurf, so daß Nummer vier seinen zweiten Punkt bekam. Sämtliche Zuschauer buhten.

»Es muß einfach besser sein als das hier«, fuhr ich fort, »wo man sein Geld diesen Gangstern in den Rachen wirft.«

Pete grinste. Ich merkte, daß er mir mein Benehmen auf der Toilette voll und ganz verziehen hatte.

»Das Problem liegt darin«, sagte Pete, »daß die Sache hoch riskant ist. Natürlich hofft man darauf, ein bißchen Geld zu verdienen, aber wahrscheinlich schmeißen wir nur zehn Riesen pro Nase zum Fenster raus. Ich hab dich überhaupt nur gefragt, ob du mit an Bord kommen wolltest, weil ich nicht wußte, was du beruflich machst. Hätte ja sein können, daß du ein wenig Geld übrig oder – wie nennen es die Börsenmakler? – Risikokapital hast. Aber wenn dich das finanziell überfordert…«

»Geld ist kein Problem«, log ich. »Ich wollte nur noch ein paar Details erfahren. Was im Vertrag steht und dergleichen.«

»Ich hab selbst nicht alle Einzelheiten parat«, sagte Pete. »Aber wenn du dich dafür interessierst, kann dir Alan Schwartz, unser jüdischer Freund, sämtliche Informationen geben. Er hat ein Infoheft erstellt, eine Art Broschüre. Da steht drin, wie alles funktioniert. Aber ich muß hundertprozentig wissen, daß du mitmachst, Alan ist nämlich eine große Nummer an der Wall Street, und ich will ihm nicht die Zeit stehlen.«

[23] »Ich muß noch mal drüber nachdenken«, sagte ich. »Wie wär’s, wenn ich dir in ein, zwei Tagen endgültig Bescheid gebe?«

»Je früher, desto besser«, sagte Pete. »Bis Ende dieser Woche wollen wir komplett sein. Keine Ahnung, vielleicht hat Alan schon jemanden gefunden.«

Die Nummer vier machte einen tollen Spielzug, er lief die Seitenwand hoch, um den Ball zu erwischen, dann erzielte er mit einem Rückhandwurf einen Chula. Ein paar Leute jubelten ihm zu.

»Klug von dir, daß du bei diesem Quatsch nicht mitmachst«, sagte Pete zu mir. »Ich muß bescheuert sein, daß ich mein Geld diesen verfluchten Banditos in den Rachen schmeiße.«

»Nur eins läßt mir keine Ruhe«, sagte ich, ohne auf das Spiel zu achten. »Krieg das aber jetzt nicht in den falschen Hals.«

»Schieß los«, sagte Pete.

»Dir gehören Logan’s Schuhgeschäfte, du mußt also einen ganzen Batzen Geld haben. Warum kaufst du dir nicht allein ein Pferd? Oder, wenn du kein ganzes Pferd haben willst, warum kaufst du nicht einfach für noch mal zehn Riesen das zweite Fünftel? Warum müßt ihr unbedingt noch einen Mitbesitzer finden?«

Pete lächelte, als dächte er an irgendeinen alten Witz, und sagte dann: »Soll das ein Scherz sein? Wie gern würde ich ein eigenes Pferd haben, wenn’s nach mir geht, gehört mir irgendwann mal ein ganzer Rennstall. Aber man kann sich nicht einfach Hals über Kopf ins Pferdegeschäft stürzen. Man muß wissen, wie das funktioniert, man braucht [24] Kontakte. Darum hab ich mir überlegt, daß ich mich an dieser Besitzergemeinschaft beteilige. Alan Schwartz kennt die Trainer, er hat Ahnung. Ich dachte mir, er zeigt mir, was Sache ist, dann ziehe ich los und kaufe mir meine eigenen Pferde. Aber ich kann die restlichen zehn Riesen nicht übernehmen – was ich wirklich gern tun würde –, weil Alan möchte, daß wir gleichberechtigte Besitzer sind, daß jedem zwanzig Prozent gehören. Er befürchtet, wenn einem einzigen vierzig Prozent des Pferds gehören, trifft er sämtliche Entscheidungen, und recht hat er. Aber bei fünf Leuten stimmen wir über alles ab, und die Mehrheit entscheidet.«

Pete sah seine Wettscheine durch und zerriß einen nach dem anderen.

»Mir reicht’s«, sagte er. »Für einen Nachmittag hab ich diesen Ärschen genug von meinem Geld gegeben.«

»Du haust ab?«

»Vielleicht mach ich auf der Rückfahrt nach Brooklyn in Yonkers halt«, sagte er. »Mal sehen, wie’s läuft.«

Fast hätte ich Pete gefragt, ob er bei den Trabern Gesellschaft brauche, doch dann fiel mir ein, daß ich praktisch pleite war und nicht mal mehr auf meinen Kreditkarten Geld hatte. Darum fragte ich statt dessen: »Wie nehme ich Kontakt zu dir auf, wenn ich mich entschieden habe?«

Pete kramte in seiner Hosentasche herum und holte eine dicke Brieftasche heraus. Aus einem der Fächer zog er eine Visitenkarte und reichte sie mir. »Das ist meine Karte, aber du mußt nicht mit mir reden, sondern mit Alan. Ich gebe dir seine Dienstnummer. Wenn er nicht da ist, hinterlaß eine Nachricht auf seiner Mailbox und sag ihm, du [25] hättest seine Telefonnummer von mir. Aber ruf ihn nur an, wenn es dir wirklich Ernst ist. Alan ist ein vielbeschäftigter Mensch… er mag keine Sperenzchen.«

Ich warf einen Blick auf die Vorderseite der Visitenkarte und sah einen kleinen Schuh – das Logo von Logan’s Schuhläden –, darunter standen zwei Adressen in Brooklyn. PETE LOGAN, BESITZER, stand in Großbuchstaben am oberen Kartenrand. Auf der Rückseite der Karte hatte er eine Telefonnummer und ›Alan Schwartz‹ geschrieben, den Namen doppelt unterstrichen.

Ich schüttelte Petes verschwitzte Hand und sah ihm nach, als er den Gang hinauf Richtung Ausgang marschierte. Ich verjubelte mein restliches Geld bei ein paar Hunderennen und war nur wenige Minuten später wieder auf der Autobahn.

Ich fuhr auf der rechten Spur, etwa fünfundsechzig Stundenkilometer schnell. Ich nahm Petes Karte und steckte sie aufs Armaturenbrett. Sie sah wie eine echte Visitenkarte aus, aber konnte nicht jeder ein paar Visitenkarten drucken lassen, auf denen stand, daß einem Logan’s Schuhläden in Brooklyn gehörten? Das Ganze klang verdammt nach der alten »Mach ihn heiß, versetz ihm dann einen Dämpfer«-Nummer. Erzähl einem, er könne etwas bekommen, beispielsweise den Besitzanteil an einem Pferd, und wenn er es haben will, sag ihm, vielleicht könne er es doch nicht kriegen, woraufhin er es nur noch dringender haben will. Warum hätte Pete sonst sagen sollen, daß sie vielleicht »schon jemanden gefunden« haben? Auf dem Parkplatz hatte es noch so geklungen, als liege die Entscheidung allein bei mir, und auf einmal war das nicht mehr so.

[26] Ich stellte das Autoradio auf WFAN und hörte zu, wie sich Mike und der Mad Dog über die Chancen der Jets in den Playoffs unterhielten. Vor mir fuhr ein Auto mit Wohnwagen auf meine Spur, schnitt mich brutal.

»Wichser!« brüllte ich und trat das Bremspedal voll durch. Die Visitenkarte auf dem Armaturenbrett verrutschte, fiel beinahe in den Heizungsschlitz.

Ich nahm die Karte vom Armaturenbrett und steckte sie in mein Portemonnaie, sicher war sicher.

[27] 3

Ich bewohnte ein Einzimmerapartment in einem Haus ohne Lift an der Sixty-fourth Street zwischen First und York. Frank, mein Boss bei der Arbeit, hatte mich bei einem seiner Freunde untergebracht, einem Griechen namens Costas, dem ein paar Häuser in der Gegend gehörten. Weil es in dem Gebäude keinen Hausmeister gab, hatten Costas und ich eine Abmachung getroffen: Ich bekam einen Mietnachlaß und kümmerte mich dafür um das Mietshaus. Nichts Ausgefallenes… ich mußte den Müll raustragen, tropfende Abflüsse reparieren, Klebefallen und Schabenköder auslegen. Manchmal ging es mir mächtig auf die Eier, aber die Miete war so billig – vierhundertachtzig im Monat in einer Gegend, wo für Studios leicht zwölfhundert bezahlt wurden –, daß ich das in Kauf nahm.

Das einzige Problem bestand darin, daß man das Apartment für einen Zwerg gebaut hatte: knapp dreiundzwanzig Quadratmeter, und zwar die ganze Bude. Man kam sich vor wie in einer Gefängniszelle, mit einer kleinen Küchenecke, einer Tür zu einem winzigen Bad in der anderen Ecke sowie einer Klappcouch in der Ecke links von der Eingangstür. Immer herrschte das totale Chaos – überall lagen dreckige Wäsche, Zeitungen, Werbung und sonstiger Müll herum. In der Spüle stapelte sich schmutziges Geschirr, [28] und ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letztemal ein Stück Besteck abgewaschen hatte. Ich bemühte mich zwar, für Sauberkeit zu sorgen, aber in einem so kleinen Apartment war das ein Ding der Unmöglichkeit. Da ich überhaupt kein Händchen für Inneneinrichtung hatte, probierte ich es erst gar nicht. Weil ich nicht wußte, was ich mit der einen Wand anfangen sollte, schlug ich Nägel rein und hängte ein paar alte Basecaps dran. An einer anderen Wand hing ein großes Plakat von Robert DeNiro in Wie ein wilder Stier. Neben dem Poster hing mein neuestes, zwanzig mal fünfundzwanzig Zentimeter großes Porträtfoto – ich lächelte und hatte den Kragen meiner Lederjacke hochgeschlagen wie Travolta in Schmiere. Im Kühlschrank lag nie etwas Eßbares, und kochen konnte ich sowieso nicht. Entweder aß ich in der Kneipe, oder ich ließ mir was bringen.

Das Apartment mochte zwar klein sein, aber es war ein Palast, verglichen mit einigen der Unterkünfte, in denen ich vorher gewohnt hatte. Als ich nach dem Studium nach New York zog, arbeitete ich in der Küche eines chinesischen Restaurants an der Lower East Side. Mit vier Chinesen teilte ich mir ein kleines, heruntergekommenes Apartment über dem Restaurant. Ich schlief auf einer Matte auf dem Fußboden, und als ich eines Nachts aufwachte, lief gerade eine Rattenfamilie über mich hinweg. Meine anderen Wohnungen waren nicht viel besser… kakerlakenverseuchte Dreckslöcher ohne Heizung oder fließend Wasser, die das Gesundheitsamt bestimmt als unbewohnbar hätte sperren müssen. Als ich noch jünger war, hatte mich nie groß gestört, wo ich wohnte, weil ich wußte, daß es nur eine [29] Übergangslösung war, daß ich irgendwann den Durchbruch als Schauspieler schaffen und im nachhinein die Phase, als es mir noch nicht so gut ging, als ›die gute alte Zeit‹ verklären würde. Ich würde mich von Fernsehmagazinen interviewen lassen, dabei die Geschichte mit den Ratten einflechten, und alle würden lachen, als wäre das urkomisch. Doch in letzter Zeit war ich es leid, mich abzustrampeln. Ich wollte in einem hübschen Apartment wohnen und Geld auf der Bank haben, und zwar möglichst bald.

Ich zog mich aus, ließe alle meine Klamotten auf den Boden fallen. Ich war halb verhungert, aber auch fast pleite, wie mir plötzlich einfiel. Von meinem Benzin- und Mautgeld hatte ich noch drei Dollar und ein paar Münzen übrig. In meinen Jacken- und Hosentaschen fand ich noch ein bißchen Kleingeld, darunter einen zerknüllten Dollarschein, und unter den Couchkissen entdeckte ich achtundsechzig Cent. Da mir keine Stelle mehr einfiel, wo ich hätte suchen können, zählte ich das gesamte gefundene Geld – fünf Dollar und sechzehn Cent. Damit konnte man bei Pizza Park an der First Avenue nicht mal ein belegtes Baguette bestellen, außer man wollte dem Boten sein Trinkgeld vorenthalten.

Ich überlegte, ob ich mal eben um die Ecke gehen, ein paar Pizzastücke und ’ne Coke kaufen und das Ganze Abendessen nennen sollte, entschied aber, daß es sich nicht lohnte, wenn ich mir den Hintern abfror. Da hielt ich lieber noch ein paar Stunden durch, bis ich zur Arbeit ging.

Während ich vor der Glotze saß und mich durch die Sender zappte, ohne darauf zu achten, was gerade lief, kam ich zu dem Schluß, ich müsse verrückt sein, Petes [30] Taxi DriverScarface.