[40|41]Julika Griem

Bleibt alles im Spiel?

Ludische Motive und Strategien in Felicitas Hoppes Prosa

Spiele der Kritik

Nach der Lektüre von Felicitas Hoppes Quasi-Biografie »Hoppe« (2012)1 retteten sich viele Kritiker ins Spiel. Damit wanderte ein von der Autorin selbst angebotenes Konzept unhinterfragt in die Rezensionen ein: Bemüht wurden das »Spiel mit Wahrheit und Fiktion«,2 ein »keckes Versteckspiel«3 und »Spielchen mit (…) dem Leser«4; gelobt wurde »das wahre Spiel«, das »niemals Spielerei« sei,5 sondern »das Spiel so weit treibt, bis das Reale als Riss im Textgewebe erscheint«.6

In diesen Zitaten überlagern sich Hoppes Rede von Spielen und Konzept-Metaphern, mit deren Hilfe Kritiker die Prosa dieser Autorin zu bändigen versuchen.7 Mit solchen Metaphern verfehlt man allerdings die formale Spezifik von Felicitas Hoppes ludischen Motiven und Strategien. Die inflationäre Bestätigung der spielerischen Qualität von Hoppes Schreiben verdeckt die funktionale Bandbreite ihrer Spielformen: Von Beginn an spielen ihre Figuren zum Beispiel Karten und Glücksspiele (»Picknick der Friseure«), Tischtennis und »Ich sehe was, was du nicht siehst« (»Pigafetta«), Karten und Brettspiele (»Paradiese, Übersee«), Würfel und Wettspiele (»Verbrecher und Versager«), Fußball und Ritterspiele, Party- und Gesellschaftsspiele (»Johanna«). Hoppe lässt ihre Figuren und Erzähler außerdem neue Spiele erfinden und erlaubt ihnen, in metaphorischer Weise auf Aspekte des Spielens zu rekurrieren: In »Johanna« gilt es, Mützen zu verteilen und Könige zu erkennen; aber auch die Wissenschaft erscheint als Spiel. Wie sich diese unterschiedlichen Spiele zu dem verhalten, was in der Kritik immer wieder als die ludische Dimension von Felicitas Hoppes literarischem Diskurs angesprochen wird, ist mit einer vereinheitlichenden Rede vom Spiel nicht zu erfassen.

Die singularische Beschwörung des Spiels stellt zudem ein Problem dar, weil spezifische normative Setzungen mitschwingen. Das Spiel hat sich gerade in der Literaturkritik und -theorie seit Schillers Briefen »Über die ästhetische Erziehung des Menschen« (1795) als eine absolute Metapher eingebürgert, mit der weniger Formen analysiert als Vorstellungen der Freiheit und Innovation von und durch Kunst beschworen werden: Wo ›Spiel‹ ausgemacht wird, stehen häufig Vorstellungen von befreiendem Probehandeln [41|42]und entlastender Kompensation im Raum.8 An diesem Punkt hilft es nicht weiter, einen der Köder zu schlucken, die Felicitas Hoppe ausgelegt hat. So berichtete die Autorin 2012 in einem kurzen Fernseh-Interview, dass sie nach 20 Jahren Johan Huizingas anthropologischen Klassiker »Homo ludens« (1938/39) wieder zur Hand genommen habe, weil »all das, was wir als große Leistungen bewundern, im Spiel entsteht«.9 Huizinga bietet in seiner Studie allerdings kaum Anhaltspunkte zum Zusammenhang von Spielen und Erzählen; er konzentriert sich auf Aspekte lyrischer und dramatischer Sprache.10 Zudem greift er eine normative Bestimmung des Spielens auf, die Elemente der Schiller’schen Tradition aktiviert: Aus der Perspektive der ludischen Anthropologie gilt es, das positiv besetzte Spiel nicht nur von Zweckbindung und Instrumentalisierung, sondern auch von Routinisierung und Institutionalisierung frei zu halten. In dieser Reinform verspricht Huizingas ›echtes Spiel‹ ebenfalls, sich von den Regeln des Alltags und seiner Machtförmigkeit absetzen zu können. Viele der Spiele, die Felicitas Hoppes Figuren schon in ihren frühen Erzählungen spielen,11 erinnern uns aber daran, dass manche Spiele grausam enden können und dass man nicht allein Machtspiele aufgrund unterschiedlicher Regeln auf unterschiedliche Weise gewinnen und verlieren kann.

Die zitierte Interview-Äußerung sollte daher nicht zum Anlass genommen werden, Felicitas Hoppe ›mit‹ Huizinga zu lesen – die epitextuellen Selbstauskünfte auch dieser Autorin sind mit Vorsicht zu genießen. Das Interview bestätigt lediglich, was auf der Hand liegt: Spielen und Spiele sind Hoppe so wichtig, dass sie eine der im Text von »Hoppe« auftretenden fiktiven Kritikerinnen einen Aufsatz mit dem Titel »Wir sind, was wir spielen« (62) überschreiben lässt, die Selbstbeschreibung also als simulierte Fremdbeschreibung wiederholt. Auch solche doppelbödigen exegetischen Angebote verweisen darauf, dass eine Lektüre Hoppes ›mit‹ Huizinga eine Verlegenheitslösung darstellte, weil ihre Texte solche Anwendungen sowohl unterlaufen als auch überbieten: Indem Hoppe die konkreten Spiele ihrer Figuren wörtlich nimmt (vgl. 245), problematisiert sie die poetologische Allegorisierbarkeit der erzählten Spiele; indem in »Hoppe« das Leben und Schreiben einer Autorin in einem Modus explizierter und multiplizierter Spielformen erzählt wird, eignet sich dieser Text die Denkfigur des Spiels auf eine Weise an, die literaturwissenschaftliche Deutungsroutinen vereinnahmt und vorführt.12

Es gilt damit, Hoppes Spielfiguren so zu beschreiben, dass das Verhältnis der erzählten Spiele zu den Verfahren eines möglicherweise spielerischen Erzählens näher bestimmt werden kann. Dabei muss berücksichtigt werden, wie Felicitas Hoppes »Hoppe« alle zuvor erzählten Spiele in einer ludisch überdeterminierten Autor- und Künstlerfigur zusammenführt, mit der die traditionelle Rede von der Kunst als Spiel in eine Parodie hermeneutischer [42|43]Standardsituationen umzuschlagen scheint. Wie auch immer bisher versucht wurde, die Hockey, Cricket, Schach, Karten, Poker, Skat, Klavier und noch vieles andere spielende Protagonistin in »Hoppe« als homo ludens zu beschreiben, ihre Autorfiktion schien uns bisher um mindestens ein weiteres Spiel voraus zu sein. Was steht aber eigentlich auf dem Spiel, wenn wir uns auf diesen Wettlauf einlassen?

Hoppes Spiele

»Wie man das Weltmeer trainiert« (97)

In »Hoppe« kommt es überdeutlich zur Sprache: Sports- und Kampfgeist scheinen für die Autorin eine entscheidende Rolle zu spielen (vgl. 37, 56, 93, 116, 302); schon in ihren früheren Texten wird nicht nur gewürfelt und gewettet, sondern auch um die Wette gerannt, geschwommen und gereist. Um diese kompetitive Dimension zu erhellen, bietet es sich an, einen weiteren Spieltheoretiker zu konsultieren. Roger Caillois hat Huizingas Thesen unter anderem durch ein ausdifferenziertes System von verschiedenen Spieltypen weitergeführt: Er unterscheidet zwischen agon oder Wettkampf, alea oder Glücksspiel, mimicry oder Rollenspiel sowie ilinx oder Rausch.13 Wäre man an dieser Stelle wiederum an einer Anwendung interessiert, würde man mit Caillois’ Variationen bei Felicitas Hoppe schnell fündig: Von Beginn an wird in ihrem Werk gezecht und gewürfelt, und auch innerhalb der kulminierenden Spiel-Semantik von »Hoppe« reist die Protagonistin nach Las Vegas (269 ff.) und betrinkt sich aus Abschiedsschmerz mit Gin (323).

Auch Caillois’ feinkörnigere Terminologie ist aber so breit anwendbar, dass sie, wie Jochen Venus angemerkt hat, das komplexe Verhältnis von Spielen und Erzählen nicht genauer zu beleuchten vermag.14 Bezieht man sie auf einen Roman, der sich im hier eröffneten Kontext als Vorgänger von »Hoppe« lesen lässt, zeigt sich allenfalls, wie ganz unterschiedliche Autoren jene Formen des Spielens narrativ funktionalisieren, die sich bei Caillois zu ergänzen scheinen. Die Rede ist von Jules Verne, der in seiner »Tour du monde en quatre-vingts jours« von 1872 Caillois’ vier Spieltypen durch die idealtypisch besetzten Protagonisten Phileas Fogg und Passepartout antizipieren lässt: Fogg inszeniert seine Weltreise als Wettkampf gegen die Zeit und er vertreibt sich die Reisezeit im Wesentlichen mit Whist. Während der schweigsame Engländer für die Kalkulierbarkeit des Weltumrundungsprojekts steht, verkörpert sein französischer Diener Passepartout den unvorhersehbaren Einbruch des Zufalls. Als ehemaliger Artist und neugieriger Tourist steht er zudem für die spielerischen Optionen des Maskenspiels und des Rausches, wenn er sich zum Beispiel landestypisch verkleidet oder in Opiumhöhlen ablenken lässt.

[43|44]Die ebenfalls um die Welt reisende Felicitas in »Hoppe« lässt sich in mancher Hinsicht als Nachfahrin Passepartouts beschreiben: Auch sie liebt Artisten und Kunststücke, wird von Neugier vorangetrieben, schreckt nicht vor kulinarischen Erstkontakten mit Einheimischen zurück und sorgt sich, ähnlich wie der fürsorgliche Pariser Diener bei Jules Verne, um das Wohl ihrer jeweiligen Reisegemeinschaften. Obwohl die Protagonistin von »Hoppe« damit auch die ludische Disposition Passepartouts teilt, unterscheiden sich Jules Vernes und Felicitas Hoppes erzählte Reisen dennoch maßgeblich. Diese Unterschiede betreffen das Ganze der jeweiligen Romane ebenso wie die signifikanten Details der erzählten Welt: Wo Verne den weltumspannenden Fahrplan namens »Bradshaw« einsetzt, um seine Reise ebenso engmaschig wie spannungsvoll zu choreografieren, muss die Lebensreise von Felicitas in »Hoppe« aus lückenhaften Dokumenten von Freunden, Familienmitgliedern und der Protagonistin selbst rekonstruiert werden. Wo Verne das Ganze des Empires und seine auf hegemoniale Weltumspannung ausgerichtete Ideologie voraussetzt und thematisiert, lesen wir in »Hoppe«, aber auch schon in »Pigafetta«, »Paradiese, Übersee«, »Verbrecher und Versager« und »Johanna« von verschiedenen Welten, deren institutionelle, politische und wirtschaftliche Existenzbedingungen nur sehr punktuell, und auf häufig diskrepante Weise evoziert werden.

»Ein dunkles Hin und Her von Bewegungen und Finten« (19, 63)

Felicitas Hoppes Texte handeln immer vom Reisen und versetzen damit ihre Figuren innerhalb der diegetischen Welten in Bewegung. Als ›beweglich‹ ist aber auch ihre Schreibweise bezeichnet worden. Sybille Krämers Überlegungen zu Caillois’ vier Spieltypen bieten eine Möglichkeit, Aspekte des Ludischen als Bewegungsphänomen näher zu erfassen. Krämer erinnert daran, dass bereits die Wortgeschichte des westgermanischen ›spil‹ eine ›lebhafte Bewegung‹ nahe legt. In Anlehnung an Caillois’ weitere Unterscheidung zwischen ›paidia‹ und ›ludus‹, also zwischen anarchisch improvisierenden auf der einen und regelbewusst kontrollierten Spielen auf der anderen Seite fasst Krämer Spielen als eine zwischen zwei Polen oszillierende Dynamik. Diese Bestimmung hat den Vorteil, die Schiller’schen Setzungen von Zweckfreiheit und Entpragmatisierung modal zu reformulieren: »Es geht um eine Bewegung, die nicht in einem ›Aktionstunnel‹ gefangen ist, zu der vielmehr ein Spielraum gehört, die durch den Fluxus eines Hin und Her, eine irrlichternde Ungerichtetheit, ein schwebendes Flackern ausgezeichnet ist«.15

Ganz im Sinne der Unterscheidung zwischen ›paidia‹ und ›ludus‹, zwischen ›play‹ und ›game‹ spielen Felicitas Hoppes Figuren sowohl im transitiven als auch im intransitiven Sinne. Nicht nur in den Sport-Episoden von »Hoppe«, sondern auch in »Johanna« wird einerseits immer wieder auf die Bedeutung von Spielregeln verwiesen.16 Andererseits finden sich verallgemeinernde [44|45]Aussagen, die sich als poetologische Allegorien anzubieten scheinen. So in »Paradiese, Übersee«: »In Wahrheit war der Handschuh aber nur liegen geblieben auf der Straße zwischen Straßburg und Kalkutta, wie eine Karte, die vorübergehend verschwindet und trotzdem im Spiel bleibt, denn nichts, hätte der Pauschalist diktieren müssen, gesetzt den Fall, er wäre aufrichtig gewesen, nichts kann wirklich in Vergessenheit geraten. Alles bleibt im Spiel.«17 (Hervorh. d. Verf.).

Es ist kein Zufall, dass sich die hier metaphorisch evozierte Spielkarte in einem Raum »zwischen« Straßburg und Kalkutta befindet. Felicitas Hoppes Erzählen hat Zwischenräume und liminale Orte wie Balkons und den Zoll, Hecken und Türschwellen von Beginn an aufgesucht. Als narratives Verfahren bevorzugt sie zudem den Modus der Metalepse, des häufig eingesetzten Rahmenbruchs oder auch des Springens zwischen Erzählkontexten, Ebenen und Skalierungsgrößen – eine Erzählweise, die realistisch gesinnten Lesern beträchtliche Aufmerksamkeit und Frustrationstoleranz abverlangt.18 In »Hoppe« wird diese Erzählstrategie im Bildfeld des Hockeys konkretisiert und zugleich poetologisch aufgeladen: Felicitas’ Neigung, über das Spielfeld hinaus zu drängen (vgl. 239), korrespondiert mit ihrer Angewohnheit, in ihren Briefen »über die Ränder hinaus« zu schreiben (324).

In der überdeterminierten Semantik von »Hoppe« werden die Bewegungseffekte der metaleptisch verfahrenden Hoppe’schen Prosa in die vielstimmig montierte Charakterstudie der Autorin überführt. Hier mündet, in verdichteten Spielpassagen, das sprunghafte Erzählen19 des Gesamtwerks in die physische und geistige Bewegungsenergie eines multiperspektivisch verschlüsselten Porträts der Autorin: »Ständiger Richtungswechsel, überraschende Angriffe, manchmal schräg von der Seite, manchmal von hinten, dauernde Unberechenbarkeit« (248). Felicitas Hoppes Selbstbeschreibung in »Hoppe« kommt nicht allein in der Wortwahl des »dunklen Hin und Her« (das sich zunächst einmal auf Felicitas’ Erfindung des sogenannten Leuchtpucks bezieht) jener Ungerichtetheit und Unberechenbarkeit, jenem Pendeln und Flackern sehr nahe, die für Sybille Krämer das Spiel zu einer anthropologischen »Perspektive« und zu einem »Modell des Welt- und Selbstverhältnisses« machen.20 Wirft aber der Leuchtpuck tatsächlich Licht auf ein freies Spiel von Erzählkräften und -perspektiven?

»Freie Maskenwahl für alle« (97)

Wenn die junge Felicitas in einem ihrer Reisespiele »freie Maskenwahl für alle« verspricht, lässt die Autorin von »Hoppe« ein weiteres Mal den Freiheitsanspruch prominenter Spieltheorien aufblitzen. Tatsächlich herrscht aber in Felicitas Hoppes Prosa weniger Wahlfreiheit als ein Geist sorgfältig abgewogener Verfahrensentscheidungen. Eine zentrale Rolle spielen zeitlich und räumlich mobile, häufig zwischen der ersten Person Singular und Plural [45|46]wechselnde und daher schwer greifbare Erzählinstanzen. Gute Beispiele für die Freiheiten, die sich Hoppes schillernde Erzählerfiguren herausnehmen dürfen, finden sich in den epochenübergreifenden Gedankensprüngen der Erzählerin in »Johanna« oder in den historische Distanzen gezielt ignorierenden Porträts der »Verbrecher und Versager«: »Aber was sind schon Grenzen! Aufstehn und Gehn ist das Lieblingsspiel, das Junghuhn und ich schon seit Jahren spielen und das immer einer von uns verliert.«21

In der durchgearbeiteten Prosa Felicitas Hoppes herrscht allerdings nirgendwo ludisches Chaos. Die raumzeitlichen Erzählsprünge, die Rahmen- und Illusionsbrüche, die diese Autorin ihren Lesern zumutet, werden durch eine lexikalisch entschlackte und rhythmisch komponierte Sprache abgefedert. Im Roman »Johanna«, wo die Erzählung ständig zwischen vergangenen und gegenwärtigen Schauplätzen wechselt, ist am deutlichsten zu erkennen, wie Hoppe ihre Erzählwelten stabilisiert: In diesem Text wimmelt es von parallelisierten Wortpaaren, Alliterationen und Binnenreimen. Folgendes muss die Erzählerin, die sich in ihrer Prüfungsvorbereitung zwischen »Mützen« und »Schützen«, »Helmen« und »Hauben« zu verlieren droht,22 von ihrem Professor hören: »Tatsächlich, Sie sollten Romane schreiben, mir scheint, Sie haben das Zeug dazu, Einbildungs- und Empfindungskraft. Sinn für die Szene, für Pomp und Posaune. Für Reiter und Ross.«23

An »Johanna« ist gut zu beobachten, wie Felicitas Hoppe immer wieder offene und geschlossene, regelsprengende und regelkonforme Spielformen aufeinander zutreibt. Hier treffen sich nicht nur eine spielerisch erweiterte Erzählwelt und eine auf prägnante Mittel reduzierte Erzählsprache, sondern das Kostümfest und das historische Seminar. Die Reibung, die diesen Roman vorantreibt, entsteht in der Konfrontation dieser zwei Spielvarianten und ihrer Sozialformen: Auf dem Kostümfest tummeln sich heutige und gestrige Figuren und die Erzählerin verliebt sich über die »Schwelle« zur Nachbarswohnung hinweg; an der Universität sorgen die »Angstkonferenzen« dafür,24 dass Grenzen zwischen Forschung und Spekulation erhalten bleiben.

In »Hoppe« nimmt Felicitas Hoppe die Wissenschaft noch einmal ins Visier; nun allerdings im Gewand des »eiskalten Ritterspiels« (22) im kanadischen Eishockey-Ring. Und in weiteren Kostümierungen, die das Verhältnis zwischen Schriftstellerin und Wissenschaft umkehren. Musste sich die Erzählerin in »Johanna« noch nach den Regeln des Wissenschaftsspiels belehren lassen, werden in »Hoppe« den Literaturkritikern und -wissenschaftlern Masken aufgesetzt, die sie gerade nicht wählen können: Während Figuren namens »Kai Rost« und »Yasemine Brückner« in fiktiven Beiträgen Jargons der Gegenwartsliteraturforschung vortragen dürfen, schreibt sich Hoppe die Möglichkeit zu, in einem »Spiel mit Namen« und »Spuren« (256) von wechselnd benannten Positionen aus zu sprechen, wobei die mit [46|47]dem Kürzel »fh« benannte Persona eine privilegierte Position der Quellenkommentierung erhält. Diese Konstellation gewährt der vervielfältigten Autorfigur und Erzählinstanz Kontrolle über die multiperspektivische Erzählung von Leben und Werk. Vor dem Hintergrund der in »Hoppe« erzählten Lebensreise zur Autorschaft erscheint auch die bereits zitierte Maxime »Alles bleibt im Spiel« als eine Hoppe-typische Sentenz, die aleatorische Beweglichkeit und kombinatorische Kontrolle verbindet. Wie sich diese Kombination in »Hoppe« als Werkherrschaft realisiert, soll im Folgenden abschließend erläutert werden.

»Spiele mit Scheinalternativen« (121)

Dass es in »Hoppe« auch um die Kontrolle über Leben, Schreiben und Werk geht, bezeugt die Dominanz der Spielvarianten des Wettkampfs und des Maskenspiels: In »Hoppe« räumt Felicitas Hoppe diesen beiden appolinischen Spielformen sehr viel mehr Raum ein als den dionysischen Optionen des Rausches und des Glücksspiels. Auf dem Spiel steht für die junge Heldin mit mimicry und agon, Bühne und Arena, Musik und Sport (vgl. 70, 191), Gould und Gretzky ihr Verwandlungs- und Bewegungsdrang und seine ästhetische Kontrolle durch »Formgebung und Symmetrie« (167) – ob in Form von kunstvollen Kompositionen oder von Torschüssen.

Wir erfahren aber auch, dass Felicitas einen Hang zu »provozierenden Scheinalternativen« (56) hat. Diese Auskunft lässt die bisher erörterten Bewegungseffekte und Kontrollmöglichkeiten in einem anderen Licht erscheinen. Wenn nämlich auch transitive Spiele und intransitives Spielen in der überdeterminierten Semantik von »Hoppe« nur »Scheinalternativen« darstellen, wird aus Bewegung Wiederholung und aus Kontrolle Schließung. Konkreter gesprochen: In der Dichte und Redundanz ludischer Leitmotive in »Hoppe« zeigt sich auch Felicitas Hoppes Einsatz von Kontinuität und Selbstzitat, und dieser Einsatz erhält in diesem Roman eine werkpolitische Funktionalität.

Um zusammenzufassen: Felicitas Hoppe kontrolliert die Bewegungsenergie der erzählten Spiele und ihrer Dynamik von Überlistung und Überbietung durch kontinuierlich eingesetzte Erzählverfahren wie zum Beispiel Metalepsen und eine konsistente Leitmotivik. Es ist diese Strategie kontrollierter Bewegung, die jenen Hoppe-typischen ›Sound‹ und jenes »erzählerische Universum« hervorgebracht hat,25 welche der Autorin im Erscheinungsjahr von »Hoppe« den Büchnerpreis für ihr Gesamtwerk bescherten. Die Quasi-Autobiografie »Hoppe« erhebt indessen nicht allein Anspruch auf ein erkennbares und preiswürdiges Werk, sondern sie expliziert die »Effekte von Einheitlichkeit und Homogenität«, die Steffen Martus – ein begeisterter Rezensent von »Hoppe« – als Elemente einer werkkonstituierenden Ganzheitswahrnehmung ausgemacht hat.26 Mit der Lebensreise der [47|48]listenreich verfremdeten Felicitas überführt Hoppe die kontrollierte Bewegung ihres Schreibens in eine Figuration, die durch Mehrstimmigkeit auktoriale Identität problematisiert, aber gleichzeitig durch Autoreferentialität Werkidentität stiftet. Diese zeigt sich sowohl in Teilen als auch im Ganzen von »Hoppe«. Mit den werkbegleitenden Leitmotiven des runden Tisches und des Rucksacks verbinden sich zwei unterschiedliche Formen von Schließung: Am runden Tisch versammelt sich jene familiäre Gruppenkonstellation, die in sehr vielen Texten Felicitas Hoppes im Handlungszentrum steht;27 im Rucksack verbirgt sich das hermeneutische Versprechen, das die Autorin in ihren Augsburger Vorlesungen auch im Bildfeld der »Schatzsuche« thematisiert hat.28 Beide Motive werden in »Hoppe« in eine ludische Semantik integriert, in der die eskalierend aufgebotenen erzählten Spiele und Spielvergleiche den totalisierenden Deutungsanspruch verabsolutierter Spiel-Metaphern bis an die Grenze der Parodie treiben.

Jenseits des Spiels?

Einen Hang und Drang zum Ganzen hatte Felicitas Hoppe schon der Erzählerin und Geistesverwandten Johannas zugeschrieben: »Und das ist kein Spiel, jetzt geht es ums Ganze.«29 In »Hoppe« integriert die Autorin ihre sorgfältig orchestrierten Widersprüche und Überraschungseffekte mithilfe einer inklusiven ludischen Denkfigur. Diese erlaubt es der jungen Heldin, sich selbst in der Disziplin des »Blind Cricket« zu bewähren. Sie wirft aber auch die Frage auf, was das ludische System »Hoppe« in seiner werkpolitischen Funktionalität nicht beschreiben kann. Explizit aufgehoben sind im »Spiel mit Scheinalternativen«, in der simulierten Verschränkung von Selbst- und Fremdbeschreibung, der »Hoppeernst« (255) wie auch Felicitas’ »Spielverderbertum« (182, 259). Angedeutet wird aber, dass sich sowohl »Drama« (138) als auch »Entspannung« (77, 183) nicht mithilfe der spielerischen Bewegungsfigur modellieren lassen. Auf längere Sicht bleibt zu beobachten, ob Felicitas Hoppe die Regeln ihres Spiels so verändern wird, dass auch jene Dimensionen erzählbar werden, die bisher dezidiert ausgeschlossen blieben: das Innen der Psychologie wie das Außen der Gesellschaft; jene zwei Disziplinen literarischen Kampfsports, die auch in »Hoppe«, einem Betriebsroman ohne Betrieb, noch jenseits des Spielfelds liegen.

1 Felicitas Hoppe: »Hoppe. Roman«, Frankfurt / M. 2012; Zitate aus dem Roman werden im Fließtext unter Angabe der Seitenzahl nachgewiesen. — 2 »Felicitas Hoppe: Spiel mit Wahrheit und Fiktion«, focus.de, 15.5.2012, URL: http://www.focus.de/kultur/buecher/literatur-felicitas-hoppe-spiel-mit-wahrheit-und-fiktion_aid_753043.html (letzter Zugriff: 5.3.2015). — 3 Gabriele von Arnim: »Keckes Versteckspiel«, Deutschlandradio Kultur, 14.3.2012, URL: http://www.deutschlandradiokultur.de/keckes-versteckspiel.950.de.html?dram:article_id=141129 (letzter Zugriff: 5.3.2015). — 4 Volker Hage: »Wer sucht, der erfindet«, in: Der Spiegel 21 (2012), S. 133. — 5 Ankündigungstext vom Literaturhaus München, URL: http://www.literaturhaus-muenchen.de/veranstaltung/items/2383/vars/literaturfest-2012-felicitas-hoppe.html (letzter Zugriff: 5.3.2015). — 6 Richard Kämmerlings: »Büchner-Preis an Felicitas Hoppe, Ritterschlag«, welt.de, 15.5.2012, URL: http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article106318523/Buechner-Preis-an-Felicitas-Hoppeein-Ritterschlag.html (letzter Zugriff: 5.3.2015). In zwei unterschiedlich akzentuierten Rezensionen verließen sich auch Ijoma Mangold und Steffen Martus auf Spiel-Metaphern: Während Letzterer seiner Begeisterung mit dem Hoppe-Zitat »Das eiskalte Ritterspiel« Ausdruck verlieh (»Berliner Zeitung«, 3.5.2012), kritisierte Mangold den jüngsten Text der frischgebackenen Büchner-Preisträgerin unter dem Titel »Das Ich ist ein Spiel mit Worten« auch als »Sprachspiel«, das literaturpolitisches und poetologisches »Dampfablassen« mit »erhobenem Zeigefinger« betreibe (»Die Zeit«, 24.5.2012). — 7 Frank Thomas Grub: »Suchbewegungen – Felicitas Hoppe im Spiegel der Literaturkritik«, in: Stefan Neuhaus / Martin Hellström (Hg.): »Felicitas Hoppe im Kontext der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur«, Innsbruck 2008, S. 69–88. — 8 Vgl. dazu Stefan Matuschek: »Literarische Spieltheorie von Petrarca bis zu den Brüdern Schlegel«, Heidelberg 1998, Thomas Anz / Heinrich Kaulen (Hg.): »Literatur als Spiel. Evolutionsbiologische, ästhetische und pädagogische Konzepte«, Berlin, New York 2009, sowie Jochen Venus: »Teamspirit. Zur Morphologie der Gruppenfigur«, in: Rainer Leschke / Ders. (Hg.): »Spielformen im Spielfilm. Zur Medienmorphologie des Kinos nach der Postmoderne«, Bielefeld 2007, S. 300–327, hier S. 300. Ein Echo der idealistischen Mobilisierung befreienden Spielens klingt auch noch in postmodernen Bestimmungen ›spielerisch‹ verfahrender Erzähltexte nach, mit denen Felicitas Hoppes Texte ebenfalls einem vorgegebenen Spiel-Verständnis angepasst und damit auch zu einem Durchlauferhitzer der jeweiligen theoretischen Gewährspositionen werden. Eine analytische Differenzierung der diegetischen und diskursiven Spielformen ihres Schreibens ist mit solchen Anwendungen von Theorie-Optionen noch nicht geleistet. Vgl. als Beispiel Stefan Neuhaus: »Das Subversive des Spiels. Überlegungen zur Literatur der Postmoderne«, in: Thomas Anz / Heinrich Kaulen (Hg.): »Literatur als Spiel. Evolutionsbiologische, ästhetische und pädagogische Konzepte«, Berlin, New York 2009, S. 371–390. — 9 »Felicitas Hoppe empfiehlt Ernst Augustin und Johan Huizinga«, Bayerischer Rundfunk, 2.4.2012, 00:00:43–00:00:47, URL: http://www.br.de/mediathek/video/sendungen/lesezeichen/lesezeichen-empfehlung132.html (letzter Zugriff: 5.3.2015). — 10 Johan Huizinga: »Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel«, 20. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2006. — 1112131415161718192021vgl.22232425http://www.fischerverlage.de/berichte/hoppe_georg_buechner_preis262728vgl.29