Buchcover

Hans Hyan

Leichte Mädchen, schwere Jungen

Illustriert von
Erich Godal

Saga

Chansonetten-Schule.

Jn der „Fürstenkrone“ war heute wieder mal ein ganz unheimlicher Radau. Die im Souterrain belegene Kneipe hallte wider von dem Brüllen und Gröhlen der angezechten Jünglinge, die mit ihren Biergläsern klapperten und das schrille Stimmchen der kleinen Chansonette oben auf dem Podium übertäubten.

Die Mimi sang gerade. Es war eine kleine, fast winzige Person, an der aber alles rund war. Die Augen und die Wangen und besonders die Bäckchen unter dem kurzen grünen Seidenrock, der pralle Waden und in schmutzigen, viel zu weiten Atlasschuhen steckende Füßchen sehen ließ. Ihre Stimme glich einer elektrischen Glocke von mäßiger Stromstärke in Musik übertragen.

„Ich laß’ mich nicht verfüh!—ren,

Dazu bin ich zu schlau,

Ich kenne die Manie!—ren

Der Männer zu genau!“

Das Publikum johlte. „Jawoll, die kennt se!“ — „Aber se kennen ihr ooch!“ — „Mensch, is det ’ne Pflaume!“ — „Wat meenste, wenn die Hochberg heeren wirde!“ ... —

Die kleine Mimi nahm ihr grünes Seidenröckchen mit den Spitzenvolants von Jandorf zusammen, machte eine nur ganz kleine, unanständige Gebärde, was ihr mehr Beifall eintrug, wie ihr Lied, und setzte sich wieder als siebente und letzte in der Reihe ihrer Kolleginnen.

Die nächste, die sang, war ziemlich groß und nicht ohne eine gewisse Grazie, offenbar eine Jüdin. Sie sang mit der verschleierten Stimme der Orientalin, in der das Geschlecht bebt, und wenn auch die Worte des Liedes, welches sie vortrug, dumm und zotig waren, so war es doch nicht unangenehm, ihre Stimme zu hören. Und jedesmal, wenn sie den Refrain sang:

„Das geht doch wirklich über’n Spaß.“

Ich bin noch Jungfrau, glauben Sie mir das ...“

ging eine Bewegung durch die Zuschauer. Nicht als ob es ihr wirklich jemand geglaubt hätte, sondern im Gegenteil, gerade weil man es ihr nicht glaubte.

Dann stand die erste auf in der Reihe. Sie war groß, kräftig und die Töne, die aus ihrem vollen, tief dekolletierten Busen drangen, stießen den Zigarrendampf zurück, der in breiten Schwaden unter der Kellerdecke heranschwebte und die Milchglasglocken der Gasflammen in bläuliche Schleier hüllte. Die Sängerin hieß Melitta und, ihrer ganzen Art nach mehr für kräftige Sachen geeignet, schmetterte sie eine Lobhymne auf die bombenschmeißende Artillerie hinaus, zu der man sich unwillkürlich die Begleitung eines Bombardons dachte. Als sie schließlich ausbrach in die glückseligen Worte:

„Ja, bei jenen habe ich längst kapituliert,

Denn sie haben mir mein Herz gerührt!!!“

da brach ein donnerndes Beifallklatschen los. Einige Einjährige in Zivil, oder am Ende waren es auch Offiziere, schrieen „Bravo!“ und „bis!“ und ruhten nicht eher, als bis die entzückte Melitta ihr Lied da capo sang. Dann stellte sich einer dieser Herren auf den Stuhl, ein Hüne, der sich bücken mußte, um nicht mit seinem Schädel den Kalk von der Decke zu stoßen, und erklärte Fräulein Melitta für die erste Gesangskünstlerin ihrer Zeit, und daß er und seine Freunde jedem die Karbonaden entzweitreten würden, der sich erlaubte, daran zu zweifeln. Darauf bestellte er mit lauter Stimme beim Kellner eine Brauselimonade für die Sängerin und setzte hinzu, daß es ein grauenhafter Irrtum sein würde, ihn für betrunken zu halten. Er und seine Freunde seien zwar schon von heute früh an unterwegs und kein noch so begabter Adam Riese könne die Anzahl der von ihnen konsumierten Getränke ausrechnen, aber nichtsdestoweniger seien sie sämtlich tadellos nüchtern. Gleich darauf fiel er vom Stuhl, seine Freunde hoben ihn auf, setzten ihn hin und brachten ihn durch einige Kognaks wieder zu sich.

Unterdessen war hinter dem Kattunvorhang, der sich an der rechten Seite des Podiums befand, eine Dame hervorgetreten im dunkelroten Seidenkleide, das trotz eifriger Bearbeitung mit Benzin und ähnlichen Reinigungsmitteln eigentlich nur ein großer Bier- und Fettfleck war.

Frau Amalie Rickert, Inhaberin der Chansonettenschule, sang selber nicht mehr mit, sie präsidierte nur. Schon ihre zweihundert Pfund gewährleisteten ihr eine gewisse Würde, und die höhnenden Zurufe aus dem Auditorium prallten machtlos ab an diesem Fettpanzer. Früher selber Chansonette und von einer beinahe ebenso dicken Chansonettenmutter ausgesogen, hatte sie ihr Metier vorzüglich begriffen. Das erste Jahr arbeiteten ihr die kleinen Mädchen rein für den Preis der Annonce, durch welche sie ihrer habhaft wurde. Dabei war Frau Rickert außerordentlich moralisch und duldete in ihrer Wohnung nie irgendwelche Herrenbesuche. Was die „Jöhren“ draußen machten, ging sie nichts an ... Uebrigens nahm sie auch keine unter sechzehn Jahren in ihre Schule auf, sie hatte da früher verschiedentliche Unannehmlichkeiten gehabt.

Inzwischen sang Antonie.

An’onie war wie ein junger Spatz, eckig und sozusagen noch voller Flaumfedern. Wenn sie wirklich nicht ihren Taufschein gefälscht hatte und in der Tat schon sechzehn Jahre alt war, so war doch die Magerkeit und Unentwickeltheit ihrer stöckerigen Gliedmaßen durchaus geeignet, selbst den verwöhntesten Geschmack à la Sternberg zu befriedigen. Aber sie war hier auch die einzige, die Talent besaß. Sie sang ein Lied von einem jungen Hahn, der, von seinem älteren Kollegen immer weggebissen, nie Gelegenheit findet, seinen Liebeshunger zu stillen. Und wie sie das gaak ... gaak ... gaak ...!“ einer koketten Henne nachmachte, und dann den ganzen sehnsüchtigen Liebesjammer des jungen Sporenträgers in ihrem „Kikirikiki“ herausbrachte, das war zwerchfellerschütternd.

Die Idioten dort unten im blauen Qualm lachten auch darüber, weil sie eben mußten. Allerdings waren sie der Meinung, daß sie die Künstlerin auf der Bühne, für deren humoristisches Talent den meisten von ihnen natürlich jeder Maßstab fehlte, verlachten.

Und so empfand es Antonie, die ein vollkommener Neuling auf den Brettern war. Und was hier wohl noch nie geschehen war, die Kleine brach in helle Tränen aus.

Einen größeren Spaß hätte sie ihrem Publikum gar nicht bereiten können. Alles wälzte sich vor Lachen.

„Se heult!“ schrie einer, „se will bei ihre Tante! ... Hat woll nen Floh, wat? ... Olle Tränenweide! ... Na, wat se weent, det braucht se nich zu pinkeln!“, entschied ein dicker Student.

Unterdessen war Antonie von ihrer Pflegemama, der Dicken im Rotseidenen, ins Schlepptau genommen und durch den Vorhang hinausbugsiert worden.

Aber trotzdem zur selben Zeit die blonde Julie, ein schweres, anscheinend etwas wassersüchtiges Mädchen, im Gesang behauptete, daß eine Frühlingsnacht und ein Kuß von ihres Liebsten Munde im Mondenschein ihr lieber wären, als alle Schätze der Welt, und obwohl die blasse Blonde sich augenscheinlich anstrengte, das Geräusch hinter dem Vorhang mit ihrem Gesang zu übertönen, so blieb das Weinen der kleinen Künstlerin da hinten doch immer vernehmbar. Jetzt hörte man ein klatschendes Geräusch, das sich mehrmals wiederholte, ein lautes Schluchzen folgte, und gleich darauf stürzte Antonie wieder auf das Podium. Ihre gelbseidene Taille war zerrissen und die Watte, welche den Busen vortäuschen sollte, quoll reichlich hervor. Aus ihren kleinen blauen Schweineritzen, denn mehr waren die Augen nicht, floß eine unaufhörliche Tränenflut, und das Kartoffelnäschen war rot und geschwollen vom Künstlerelend.

Gleich hinter ihr kam aber Madame Rickert und wollte sie, die dicken Fleischerarme mit zärtlicher Gewalt um Antoniens mageren Körper schlingend, wieder hinausführen.

Doch da kam sie beim Publikum schlecht an.

„Hier bleiben!“ schrie alles, und „Wat macht se denn mit det arme Meechen?!“ Einer faßte die Sache humoristisch auf und gröhlte: „Ach, das arme Me—echen! ...“

Aber da geschah wieder etwas seltsames. Dieser kleine Spatz, dem die Watte aus der zerrissenen Brust quoll, rannte, sich von der dicken Chansonettenmutter losreißend, bis an den äußersten Rand der mit rotem Kattun bedeckten Podiumbretter und schrie, die nackten mageren Aermchen heftig vorauswerfend, ins Publikum hinab:

„Det is ne Jemeinheit! ... Un ick bleibe nich mehr hier! Erst soll man Jehalt kriejen und Jott weeß wat, un denn jiebts nich mal satt zu essen! ... Alles schluckt die Olle! ...“

Sie wandte sich halb um zu ihren Kolleginnen. „Wenn Ihr Euch schon nich schämt un arbeet’ for son Hundelohn, ick will den Schmerbauch da nich noch länger futtern mit meine Arbeet. Ick singe nich mehr!!“

Damit sprang sie vom Podium ins Publikum hinunter und verschwand, von einer ganzen Schar von Jünglingen, die ihr Mäntel und Paletots anboten, begeistert in Empfang genommen, auf der Kellertreppe.

Der Wirt des Lokals und Madame Rickert, die ihr dicht auf den Fersen waren, wollten sie zurückholen, das war ein Fehler! Denn plötzlich bemächtigte sich der Gäste eine ungeheure Wut, es kam zu einer fürchterlichen Prügelei, bei der kein Stück Glas und Porzellan in dem Lokal heil blieb, und die „Fürstenkrone“ wurde polizeilich geschlossen.

Loin du Bal.

Das Fest hatte seinen Höhepunkt erreicht ... Erich Fehlenbrand atmete befriedigt auf. Noch um zwölf Uhr war er recht zweifelhaft gewesen, ob seine rastlose Mühe, diese einen ganzen Monat täglich von früh bis zum Abend währende Arbeit, nicht schließlich doch ohne Lohn bleiben würde. Aber um Mitternacht drängten sich plötzlich die Masken im Treppenhause, wo sie von Ungeheuern mit riesigen Fledermausflügeln und seltsamen Köpfen in Empfang genommen und wo die Frauen, wenn sie schön waren, plötzlich von ihren Männern und Begleitern getrennt und hinaufgetragen wurden in „Nirwana’s Reich“ ... Der indische Charakter dieses Balles gab Anlaß zu einer Prachtentfaltung im Kostüm, die einzig war und die ganz von selbst einen Humor, eine Laune heraufzauberte, welche selbst den Grämlichsten in ihren Strudel riß.

Um ein Uhr erhob die Musik, die hier und dort in den Sälen, in Palmen- und Lorbeerhainen versteckt, die Räume mit ihren zarten, süßen Weisen erfüllte, sich zu lautem Trompetengeschmetter, und der Kaiser von Nirwana mit seiner jungen Gemahlin betrat an der Spitze eines unendlich erscheinenden Zuges von in allen Farben leuchtenden Masken den Kuppelsaal. Dort bestiegen die Majestäten einen blumengeschmückten Elefanten, und der Zug ging weiter durch alle Säle, überall Jubel entfesselnd, umtost und umschrien von den Gästen, die aus nüchternen Menschen plötzlich zu ekstatischen Dienern eines tollen Mysteriums geworden schienen ...

Erich Fehlenbrand, dessen Malerauge in diesem Farbenrausch, dieser Orgie trunkener und entzückter Stimmungen schwelgte, hatte sich an den Säulenpfeiler hinter der Galerietreppe gelehnt, als eine leise Hand seinen Arm berührte.

„Gnädige Frau!“ sagte er sich umdrehend und erst wie im Schreck zusammenzuckend, der sich dann in ein Gefühl großer Freude löste.

„Sie haben sich so sehr angestrengt,“ sagte sie, „Sie müssen doch recht müde sein!“

Er sah sie nur an ... ja, bis zu diesem Augenblick war er wirklich müde gewesen, todmüde! ... In der vergangenen Nacht hatte er mit seinen Freunden begonnen, die Säle zu dekorieren und auszumalen Und so war er jetzt mehr als fünfundzwanzig Stunden auf den Beinen unter einer Last von Arbeit, von hundert Seiten zugleich in Anspruch genommen, sich mit den Arbeitern, mit dem Wirt, mit den Kellnern herumbalgend, dabei immer voll Scherz und Munterkeit, bis alles fix und fertig stand. Dann, wie er in das kleine, ihm reservierte Kabinett ging, das im zweiten Stock lag, sich umzuziehen, da sank er auf das Kanapee mit der Empfindung, seine Kräfte würden nicht ausreichen, alles bis zu Ende zu führen ... Und nun, da sie ihn ansah, spürte er nichts mehr von seiner Mattigkeit, das Blut ging brausend in seinen Adern, die Augen, diese fast schwarzen Künstleraugen, die schon so manch’ Einer gefährlich geworden waren, strahlten, und alle seine Muskeln spannten sich im Fieber einer wiederaufbrechenden Leidenschaft ...

„Belohnen Sie mich und trinken Sie ein Glas Sekt mit mir!“ sagte er.

Sie nickte. „Wo aber?“

„Hier ... da ... wo Sie wollen ...“

Sie saßen am Tisch, allein und durch die Treppe gedeckt vor den Tanzenden.

„Wo ist Ihr Mann?“ fragte er aus seiner Bewegung heraus, die ihm fast die Sprache raubte.

Sie lachte darüber und beide bekamen einen roten Kopf.

„Er amüsiert sich!“ sagte sie endlich, „wo soviel Damen sind! ...“

„Aber Sie amüsieren sich nicht?“

„Doch! ... wer sagt Ihnen denn das ... ich danke Ihnen.“

Er ergriff rasch ihre Hand.

„Nein, bitte nicht ... ich weiß schon ... habe es ja heute schon Gott weiß wie oft gehört ... von Ihnen möchte ich aber ... Sie brauchen mich nur anschauen, Frau Dina, mehr will ich gar nicht ...“

„Das wird nicht sehr kurzweilig sein!“ scherzte sie. Und doch sah sie ihn an, und seine Augen brannten in ihrem Blick, und er sah, wie hoch und stürmisch ihr Busen ging.

„Wissen Sie, wie lange wir uns jetzt kennen?“ fragte er.

Sie nickte lächelnd.

„Acht Jahre.“

„Damals waren Sie achtzehn ...“

„Ja, — und heute bin ich sechsundzwanzig ... eine alte Frau, was?“

Er schüttelte seinen braunlockigen Kopf.

„Für mich sind Sie immer noch achtzehn ...“ Er faßte nach ihrer Hand und drückte die weißen Finger, die rosige Stellen bekamen unter seinem Griff.

„Du! Du!“ flüsterte er leidenschaftlich, „soll es denn nie wahr werden? ...“

Und plötzlich erhob er sich und sagte in einem seltsam befehlenden Ton: „Wir wollen gehn.“

Unter seinem Bann stehend, ihn anschauend voller Angst und doch hingerissen von ihrer Liebe zu ihm, ging sie neben ihm her, zwischen den Tischen und Stühlen, die an den Wänden des Saales standen, und zwischen den Tanzenden hindurch, die eben in den seltsamen Figuren des Jazz ihre Glieder verrenkten.

So durch Lust und Fröhlichkeit verdeckt, verließ das Paar den großen Saal unbemerkt.

Der Maler eilte die Treppe hinauf, ohne sich umzusehn. Er wußte, sie folgte ihm. Und sie, die leichenblaß geworden war, lief hinter ihm her, leichtfüßig, schlank, umweht von der Surahseide, die in bunten Farben um sie floß und, an Hals und Armen mit Perlen bestreut, wie ein glitzernder Nebelschleier ihr nachwehte ... Ihr Gesicht mit den wundervollen Augenbogen und der geraden feinen Nase, darunter der Mund keusch wie bei einem Mädchen schimmerte, ihr stolzes Antlitz sah mit seinen meertiefen Augen starr vor sich hin; die Lippen glühten in seiner Blässe, die noch gespenstischer erschien in der weißen Flut der elektrischen Lampen.

Er ging geradenwegs nach dem kleinen Kabinett und antwortete nicht, als sie schaudernd fragte:

„Wohin?“

Und hinter ihr schloß sich die Tür. Aber wie seine Hand sich ausstreckte, um die Lampe zu verlöschen, da baten ihn ihre flehend erhobenen Arme, daß er davon abließ.

Er lachte bitter, setzte sich neben einen Tisch auf die Chaiselongue und sah mit traurigen Augen zu ihr auf.

Sie aber blickte von ihm zu den Kleidern, die auf Stühlen und am Boden lagen, und fragte: „Wird hier auch nicht jemand hereinkommen?“

Er schüttelte den Kopf: „Die ersten paar Stunden sicher nicht, Dina!“

Da ging sie, widerstrebend noch, aber sichtbar getrieben von einem Gefühl, das übermächtig schien, hin zu ihm, nahm seinen Kopf in ihre Hände und küßte seine Augen.

Und seine Arme breiteten sich aus, er umschlang sie, seine Lippen suchten die ihren, und, ermattet von diesem achtjährigen Widerstand, einem Gatten zuliebe, der die Größe dieser Aufopferung nicht würdigte, sank sie in die Arme des Geliebten.

In demselben Augenblicke klopfte es.

Sie standen nebeneinander wie aufgejagte Hirsche, die eine Sekunde nach dem Feinde äugen, um dann in rasender Flucht davonzuspringen.

Und wie sie den Mund öffnen wollte, legte seine Hand sich auf diese brennenden Lippen, er raunte: „Pst ... ich steige aus dem Fenster —“

Es klopfte wieder. —

„Sage jetzt, du wirst sofort aufmachen, du ordnest bloß etwas an deiner Toilette. —“

„Aber, Mensch, so mach’ doch auf!“ klang es von draußen herein, „wir sind’s ja! ... Du bist doch drin!“ Und ein paar andere Stimmen, an denen er ein paar junge Malerinnen erkannte, setzten neckend hinzu: „Sie werden doch nicht etwa Heimlichkeiten haben, Herr Fehlenbrand?“

Indem sagte die junge Frau, die am ganzen Leibe bebte, laut: „Ich bitte, meine Herrschaften, noch einen Augenblick! ... Ich bin hier hineingeraten, weil ich nicht wußte, wem das Zimmer gehört ... ich mache nur etwas an meiner Toilette ..“

„O bitte, bitte, bitte!“ scholl es durch die Tür, „wir warten gerne!“

Und sie warteten wirklich. Es war ganz klar, daß niemand von der Tür fortging.

Der Maler faßte die junge Frau um, die ihn mit ihren kleinen Fäusten von sich wegdrücken wollte, und küßte sie lange, lange. Dann öffnete er behutsam das Fenster, hob das eine seiner schlanken Beine hinaus und ließ, sobald er die Mauerkante gefaßt hatte, das andere folgen. Dann zog er das Fenster heran und stand draußen, in der tiefsten Dunkelheit, zwischen Himmel und Erde. Mit den Händen hielt er sich am Fensterkreuz fest. Aber in der Angst um die geliebte Frau, der vielleicht seine Finger zu Verrätern werden konnte, versuchte er das Aeußerste und tastete mit dem Fuße in die Finsternis hinab. Da unten schien eine Art von Staket zu sein, zu Blumenranken vielleicht.

Er ließ eine Hand los, bog sich mit aller Anstrengung hinab und verfolgte die Latte, die bis an die Seite des Fensters ging, unter dem er stand. Ein Zusammenziehen aller seiner Muskeln, ein Anhalten des Atems, dann war er hinabgeglitten und stand auf einem Blumenbrett der ersten Etage, unter sich den lichtlosen Hof, der wie der offne Rachen eines Ungeheuers heraufgähnte. Er wollte noch weiter abwärts, aber da hörte das Staket auf ... und springen? ... es konnten zehn bis zwölf Meter in die Tiefe sein, und wer weiß, ob der Hof nicht voller Gerätschaften lag ... So stand er und stand in seinem Frack mit der Ballweste, unter der er nur das Oberhemd trug, und dabei fror es draußen.

Vor ihm war ein erleuchtetes Fenster der ersten Etage, hinter dem Schatten dahinglitten. Kurz entschlossen klopfte Erich. Man öffnete, und wie zwei Kellner vor ihm standen, steckte er in jede Hand einen Zwanzigmarkschein.

Dann, ohne das verschmitzte Lachen der Befrackten zu sehen, eilte er hierauf in die zweite Etage auf das kleine Kabinett zu, das jetzt voller Menschen war. Dinas Gatte kam ihm entgegen.

„Aber wo sind Sie denn, lieber Freund? Es soll photographiert werden!“

„Ja,“ sagte sie und sah ihn mit einem entzückten Lächeln an, „und wenn Sie wollen, tanzen wir beide zusammen.“

Und wie er sie hinabführte in den Ballsaal, da drückte sie seinen Arm zärtlich und flüsterte: „Du Geliebter!“