Buchcover

Viveca Lärn

Mimi in der ersten Klasse

Deutsch von Angelika Kutsch

Zeichnungen von Eva Eriksson

Saga

16. August

Heute ist etwas sehr Komisches passiert. Darum fange ich ein neues Tagebuch an. Es ist gelb. Eigentlich wollte ich warten, bis ich in die Schule komme. Das ist in drei Tagen. Leider kann ich unmöglich warten.

Heute bin ich Schreibmaschinen-Besitzerin geworden. Eine Schreibmaschinen-Besitzerin ist eine Person, die eine Schreibmaschine besitzt, und genau das tu ich. Ich ging die Straße entlang und dachte über etwas Wichtiges nach. Ich dachte darüber nach, daß ich Roberta nie mehr meine Tintenfarbstifte leihen werde. Sie vergißt nämlich immer, die Kappen wieder draufzuschrauben.

Roberta ist neun Jahre alt, und ich kenne sie neun Tage. Sie ist neu zugezogen. Eines Tages, als es regnete, hatte sie sich ausgeschlossen. Da hat sie bei uns geklingelt und gefragt, ob sie ein Butterbrot haben könnte.

»Das ist ein Ding«, hat meine Mama gesagt.

Aber als ich so die Straße entlangging, entdeckte ich einen Container. Einen wunderbaren vollen Container. Sofort bin ich raufgeklettert. Es war herrlich da oben, bis ein alter Mann schrie, ich solle abhauen, und zwar sofort. Als er gegangen war, habe ich viele interessante Sachen gefunden: eine zusammengedrückte Thermoskanne (blau), eine Zeitung mit Schmiere (gelb), ein halbes Moped (grün). Und das Beste: eine rosa Schreibmaschine.


Darauf steht Brigitte. Ich kann nämlich lesen, aber das können viele, die in die erste Klasse kommen.

Mama hat Brigitte mit Dschungelöl saubergemacht, damit ich nicht die Pest kriege.

Ein Buchstabe fehlt auf meiner Schreibmaschine. Von diesem gestreiften Tier, bei dem der Buchstabe vorkommt, kann ich also nicht schreiben. Aber es gibt ja so viele andere nette Tiere. Gelbe Meerschweinchen zum Beispiel.

Jetzt fragt sich der eine oder andere vielleicht, wie ich denn mein gelbes Tagebuch in die Schreibmaschine kriege. Ja, das könnt ihr euch gerne fragen!

17. August

Erstkläßler sind Nuckelflaschen auf krummen Beinen, sagt Roberta. Sie hat mir einen Haufen schrecklicher Sachen von der Schule erzählt. Man muß sein ganzes Mittagessen innerhalb von zwanzig Minuten aufessen. Man muß Schuhe tragen, die heißen Mokassins, und man muß laut sprechen. Man muß sich ganz allein die Nase putzen. Wenn man zum Klo muß, soll man erst die Hand heben.

»Geht es dadurch vorbei, daß man muß?« fragte ich Roberta.

Sie stöhnte nur. Früher hat Roberta mit ihrer Mama und ihrem Papa und ihrem kleinen Bruder Fridolf in einem eigenen großen Haus auf der anderen Seite vom Marktplatz gewohnt. Aber jetzt wohnen Roberta und ihre Mama im selben Eingang wie ich. Ihr kleiner Bruder und ihr Papa wohnen woanders. Roberta hat braune Haare und kleine grüne Augen, und sie weiß alles über die Schule.

»Arme Mimi«, hat sie gesagt, »daß du jetzt in die erste Klasse kommst! Es ist wirklich Pech, du kriegst Frau Karlsson als Lehrerin. Sie hat kein Kinn, und die ist so streng, daß du nicht mal den Kopf auch nur so bewegen darfst.«

Und dann bewegte Roberta ihren Kopf nur ein bißchen, daß man es kaum merkte.

»Was macht Frau Karlsson, wenn man den Kopf bewegt?« fragte ich.

»Wenn du wüßtest«, sagte Roberta und riß ihre grünen Augen auf.


Aber ich weiß es nicht, und ich erfahre es auch nicht.

Manchmal ist Roberta sehr nett. Sie und ihre Mama haben mich heute zum Baden mitgenommen. Roberta hat mir ihren alten Schwimmring geliehen. Ich kann ja nur schwimmen, wenn ich mit einem Fuß Grund habe.

18. August

Meine Mama sagt, ich soll mich gar nicht darum kümmern, was Roberta über die Schule sagt, denn in der Schule macht alles Spaß.

»Ho, ho, ho!« Da lachte mein Papa. »Warum bist du denn mitten im Schuljahr abgegangen und per Anhalter nach Rom gefahren?«

»In der ersten klasse macht alles Spaß«, sagte meine Mama und guckte ihn wütend an.

Dann setzte sie sich auf den Balkon und nahm ein Fußbad. Ich setzte mich daneben und zählte Autos. Da kam aus der Küche ein herrlicher Duft nach Lasagne, und wir stürzten hinein, daß das Wasser aus dem Fußbad überschwappte. Zu spät.

»Ich dachte, ihr habt schon gegessen«, sagte Papa.

Lasagne ist sein heimliches Laster. Also gingen Mama und ich zum Schnellimbiß, und ich kriegte mein Lieblingsgericht: Käseburger mit rosa Krabbensalat.

»Das darf aber nicht zur Gewohnheit werden«, sagte meine Mama.

»Das darf aber nicht zur Gewohnheit werden«, sagte mein Papa.

Sie haben immer Angst, daß Sachen, die Spaß machen, zur Gewohnheit werden.

»In der Schule mußt du dich an Gewohnheiten gewöhnen«, sagte Roberta. »Jeden Tag Leber!«

Warum sagt sie das bloß. Sie weiß doch, daß ich keine Leber mag! Ich mag Käseburger, Krabbensalat, Tintenfisch, Popcorn, Muscheln, Lasagne, Radieschen, Dickmilch und Kinder-Punsch.

Morgen fängt die Schule an.