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Das Buch

1222: Alena verdient ihren Lebensunterhalt für sich und ihre zurückgebliebene Tochter als Schreiberin am Quedlinburger Domstift. Ihren Mangel an Anmut nehmen die vornehmen Domfrauen gerne in Kauf, denn die junge Baumeisterwitwe hat ein fabelhaftes Gedächtnis für Zahlen und Verträge und sorgt so dafür, dass das Stift die ihm zustehenden Gelder erhält.

Alenas geruhsames Leben als Domschreiberin findet ein jähes Ende, als der holländische Baumeister Maarten in der Stadt auftaucht. Er verfolgt die verrückte Idee, den Sumpf vor der Stiftsburg mit einer kühnen Brücke zu überspannen – und dies will Alena mit allen Mitteln verhindern. Darin ist sie scheinbar nicht die Einzige, denn bald wird ein Anschlag auf Maartens Baumeisterhütte verübt. Gleichzeitig erschüttern merkwürdige Vorgänge das Stift: Eine Domschülerin stürzt sich von der Mauer, obszöne Zeichnungen tauchen auf und stiften peinliche Verwirrung und die Pröpstin fällt einem grausigen Anschlag zum Opfer. Alena geht den Zusammenhängen zwischen den Ereignissen im Stift und dem Bau der Brücke auf den Grund und stößt plötzlich auf ungeahnte Verbindungen …

Die Autorin

Helga Glaesener, 1955 geboren, hat Mathematik studiert, ist Mutter von fünf Kindern und lebt heute in Aurich, Ostfriesland. Ihre bisherigen Romane fanden ein begeistertes Publikum und wurden große Erfolge.

Von Helga Glaesener sind in unserem Hause bereits erschienen:

Der falsche Schwur

Im Kreis des Mael Duin

Der indische Baum

Die Rechenkünstlerin

Die Safranhändlerin

Safran für Venedig

Der schwarze Skarabäus

Der singende Stein

Der Stein des Luzifer

Wer Asche hütet

Der Weihnachtswolf

Wespensommer

Wölfe im Olivenhain

Helga Glaesener

Du süße sanfte Mörderin

Roman

List Taschenbuch

Amicus certus in re incerta cernitur

Für Kathrin, mit Dank

Siracusa, im Jahre 1220

Der Dämon hatte einen Hundekopf mit Hauern wie ein Eber. Seine Haut war grün geschuppt, und die Wirbelsäule hatte sich durch seinen Nacken gebohrt, wo sie als starres Gewächs über seinen Hinterkopf in die Stirn wuchs. Dort, wo sein Hintern hätte sein sollen – er war nackt, wie alle Dämonen –, starrte ein zweites Gesicht, über dessen Stirn sich Wülste wölbten und aus dessen Maul Würmer züngelten.

Erasmus litt.

Der Dämon war lebendig geworden, und der nagelgespickte Morgenstern, den er schwang, bohrte sich in Erasmus’ Hüfte, wo er mit jedem Schlag einen heftigen Schmerz auslöste. Erasmus war nicht verrückt. Er wusste, dass der Dämon von dem Tafelbild in der Blasiikirche stammte und dass er selbst sich im Paradies befand. In der Latomia del Paradiso. Dem Steinbruch des verdammenswerten da Kosta, der sich nicht scheute, die Hölle, die er seinen Gefangenen geschaffen hatte, ein Paradies zu nennen.

Als er sich bewegte, steigerte sich der Schmerz ins Rasende, aber Erasmus wusste, dass es der einzige Weg war, den Dämon zu vertreiben. Er brauchte einen klaren Kopf, und wer wollte denken, wenn ihm die Qualen des Fegefeuers vor den Augen standen?

Die Nacht neigte sich dem Ende zu. Der Eingang der Höhle, in die man sie abends trieb, um sie leichter überwachen zu können, hob sich wie ein Kegel von der Finsternis ab. Bald würden die Aufseher kommen. Vorsichtig drehte Erasmus sich auf die Seite. Ihm wurde übel, als er den fauligen Geruch einatmete, den die Wunde an seiner Hüfte ausströmte. Sie war brandig geworden. Er hatte die weiche, zerfließende graugrüne Masse studiert, wo sein Fleisch wie bei einem vorgezogenen Tod verweste, und weil er die Zeichen kannte, wusste er, dass er bald sterben würde.

Er hatte seinen Schlafplatz mit Bedacht gewählt. Neben ihm lag der Flame, der Baumeister, der mit ihm in Pisa das Unglücksschiff bestiegen hatte, das von da Kosta gekapert worden war. Seine Haare, einst von rotblonder Farbe, jetzt so grau wie der Staub der Steine, die sie schlugen, hingen ihm ins Gesicht. An seinen ruhigen Atemzügen hörte Erasmus, dass er schlief – was in ihm einen giftigen Anflug von Neid weckte.

Der Flame hatte Kraft. Er war bereits im Paradiso gewesen, als Erasmus noch in den Kellergewölben des Palazzo gehaust hatte, in dem Alaman da Kosta die Wohlhabenden unter seinen Gefangenen hielt. Aber die sechs Monate, die der Baumeister ihm im Steinbruch voraus hatte, schienen an dem Mann vorübergegangen zu sein. Und das war der Grund, warum Erasmus ihn erwählt hatte. Er brauchte jemanden, der am Leben blieb. So lang, bis Dittmar das Geld schickte.

»Baumeister …«, krächzte Erasmus. Ihm wurde bewusst, dass er nicht einmal den Namen des Mannes kannte, dem er sein Schicksal anvertrauen wollte. Er stützte sich auf den Arm, eine Bewegung, bei der der Dämon vor Wonne heulte. »Du, he …«

Der Flame schlief weiter, aber der Junge, der an seiner anderen Seite lag, hob den Kopf. Das Zwielicht des neuen Tages hatte ihren Schlafplatz erreicht. Erasmus konnte die tief liegenden Augen und das spitze Kinn erkennen, das ihm Widerwillen einflößte, weil es so haarlos und mager wie der Kiefer eines Skelettes hervorstach. Der Junge hatte Glück gehabt. Er war schwach wie ein Mädchen, schlug die Hacke wie ein Mädchen und wäre sicher wie ein Mädchen zugrunde gegangen, wenn der Flame ihm nicht geholfen hätte, die vorgeschriebene Anzahl Steine zu schlagen. Geholfen gegen … ja, gegen was?

Erasmus dachte nicht gern darüber nach. Waren die Lieder, die der Bartlose abends für den Flamen sang, die Gegenleistung? Der Junge hatte eine schöne Stimme – eine Mädchenstimme, aber doch wohlklingend –, und die Schlafhöhle ließ die Töne hallen wie in einer Kirche. Vielleicht half der Flame ihm wegen des Gesangs. Vielleicht aber auch wegen anderer, gottloser Dinge, von denen gelegentlich gewispert wurde.

Erasmus schwitzte vor Schmerz. Der Dämon brachte sich in Erinnerung. Er feixte ihn aus den Felsen an. Die schlaffen Brüste baumelten an seinem Bauch wie Hautlappen. Es war schwierig, das Trugbild zu verscheuchen, und bald, in einem Zeitraum, den man in Tagen oder Stunden messen konnte, würde aus den Fieberphantasien Wirklichkeit geworden sein.

»Ich habe gesündigt!«, krächzte Erasmus heiser. Er schob seine Hand auf die Brust des Flamen und rüttelte ihn.

Der Junge fuhr auf und umklammerte sein Handgelenk. »Lass das!« Sein Griff war so hart wie seine Stimme.

»Er wird sterben!«

»Jeder hier wird sterben.« Das Lachen klang gehässig.

»Aber er könnte gerettet werden!« Erasmus wich vor dem Rattengesicht zurück, das ihn belauerte. »Er könnte gerettet werden, wenn er mir einen Dienst erweist. Er …« Warum sprach er mit dem Jungen, der nicht wie ein Junge aussah, sondern wie die Fleischwerdung der schrecklichsten aller Sünden? »Er könnte gerettet werden.«

Entmutigt ließ er sich zurück auf den Boden fallen. Es war vergeblich. Der Dämon hatte sich wieder in die Schatten der Felsnischen zurückgezogen, aber er schlief nicht, er lauerte und wartete seine Zeit ab.

»Wie kann er gerettet werden?«

Der Junge kroch um den Schlafenden herum. Seine Sünde war die Gier. Sie funkelte aus den lästerlichen Augen.

Erasmus fühlte, dass ihm keine Wahl blieb. Er zog die Wachstafel, die er sich für ein Versprechen auf die Zukunft von einem der Aufseher erkauft hatte, aus dem Hosenbund. »Ich habe eine Anweisung geschrieben. Für da Kosta. Ich muss nur noch seinen Namen eintragen. Morgen, übermorgen … wenn das Gold kommt, um das ich meine Kinder gebeten habe …« Vierhundertfünfzig Mark Silber. So viel hatte da Kosta für seine Freilassung verlangt. Dittmar würde sich winden, aber Agnes, die Süße mit dem Herzen voller Liebe, würde darauf bestehen, dass er es auf den Weg brachte. Erasmus fühlte seine Augen nass werden, als er an Agnes dachte. Er räusperte sich dumpf. »Der Baumeister kann mit dem Lösegeld freigekauft werden, das meine Familie für mich schickt.«

»Zu welchem Preis?«

»Wecke ihn.«

Der Junge zögerte, und Erasmus nahm die Qual auf sich, sich erneut hochzustemmen. Er schüttelte die magere, nackte Schulter des Flamen. Der Morgen hatte Einzug gehalten. In der Ferne klangen Stimmen. Man kam, sie aus der Höhle zu treiben.

Der Baumeister beendete seinen Schlaf ohne Übergang und war, wie es schien, im selben Moment hellwach.

»Bau mir eine Kirche«, wisperte Erasmus in das staubige Haar. Er sah den Dämon aus der Nische kriechen, und diesmal meinte er sogar, seinen modrigen Atem zu riechen. »Ich habe gesündigt. Eine Kirche aus Stein. Mit meinem Namen beim heiligen Altar …«

Der Baumeister schüttelte seine Hand ab und erhob sich. Er streifte dabei den Dämon, ohne etwas davon zu merken. »Ich baue keine Kirchen.«

Hilflos stierte Erasmus ihn an.

»Er baut – Brücken«, flüsterte der Junge.

Brücken. Brücken also. Der Dämon wuchs bis an die Höhlendecke und warf seinen Schatten auf das Kind, das mit ihm verschmolz. Brücken also baute der Mann. Und es war gar nicht der Junge, der das gesagt hatte. Wie sollte ein genuesischer Lustknabe etwas von … von der Brücke wissen, von dieser dreimal verfluchten Brücke …

»Warte!« Erasmus sah, dass der Baumeister gehen wollte. Er umklammerte sein Bein. Wegen der Brücke also quälte ihn der Dämon. Er kannte jede seiner Sünden. Aber Gott in seiner Güte hatte einen Brückenbauer geschickt. »Dann bau mir eine Brücke.«

Der Baumeister wollte fort. Er liebte es nicht, von den Aufsehern an die Arbeit geprügelt zu werden. Er war stolz, und für diese Sünde würde ihn sein eigenes Fegefeuer erwarten. Unter Qualen hielt Erasmus ihn fest.

»Bau mir eine Brücke, Mann. Als Preis für deine Freiheit. Eine Steinbrücke. Über den Sumpf hinter dem Markt von Quedlinburg.«

1. KAPITEL

Die warmen Schafslederschuhe, der Mantel, die Kladde mit den Kopien der Stiftsurkunden … Alena zögerte. Es war einer von diesen Tagen. Irgendetwas würde schief gehen. Sie spürte das wie einen schlechten Geruch. Etwas würde schief gehen. Beunruhigt sah sie sich in ihrem Zimmer um.

Durch das kleine Fenster hörte sie die Pröpstin Bertrade, die im Hof mit den Stalljungen schalt und ihnen Langsamkeit und Faulheit vorwarf. Sie wurde dabei nicht laut. Ihre weinerliche Stimme sickerte dahin wie ein klebriger Strom von Worten. Ein Strom von Worten, der seine Quelle in einem klebrigen Strom von ewig gleichen Gedanken hatte, und manchmal konnte dieser Stumpfsinn einen verrückt machen.

Alena warf einen raschen Blick durch die Fensteröffnung. Die Pröpstin saß bereits auf ihrem Schimmel. Sie war umgeben von zwei Stallburschen und dem uralten, gelbgesichtigen Stallmeister, der in unerschütterlicher Demut zu jedem ihrer Worte nickte. Es war Ende März. Die Frühlingssonne hatte den Hof der Stiftsburg in gleißendes Licht getaucht und warf leuchtende Kringel an die Wände des Kanonissenhauses und auf die Bleidächer des Doms, der mit seinen beiden Türmen die Burggebäude überragte. Auf dem Rand des Hofbrunnens hatte sich ein Zeisig niedergelassen, der piepsend über die Steine hopste. Es herrschte eine Stimmung, die zur Fröhlichkeit einlud. Aber Bertrade schien dagegen immun. Wahrscheinlich ärgerte sie sich, weil sie keine Lust hatte, sich mit dem Quedlinburger Stadtvorsteher anzulegen, und sicher auch, weil sie warten musste. Alena hörte, wie sie gereizt ihren Namen rief.

Also. Schuhe, Mantel, Kladde. Etwas fehlte. Alena sah sich eilig in ihrem Zimmerchen um, was keinen Aufwand erforderte, denn es war ein Zwergenkämmerchen, in dem ihr Bett, eine Truhe und ein Tisch mit Schemel allen Platz ausfüllten.

Der Hase. Lisabeth hatte ihren bemalten Holzhasen auf der Bettdecke liegen lassen. Ohne Häschen würde sie den Vormittag mit Heulen zubringen, und womöglich würde Maia sie dann in den Ziegenstall sperren, was zwar verständlich wäre, was Lisabeth aber trotzdem nicht gut vertrug.

Alena nahm das Spielzeug, klemmte es zwischen Kladdendeckel und Arm und hastete aus der Tür. Ihr Zimmer lag im Nordflügel des Quedlinburger Frauenstifts, abgeschieden von allen anderen Bewohnern des Stifts. Auf ihrem Flur befand sich nur noch der pompöse Kapitelsaal, in dem die Stiftsfrauen ihre wöchentlichen Versammlungen abhielten, und ganz am Ende, der Treppe gegenüber, eine Rumpelkammer. Die Tatsache, dass ihr Zimmer so ruhig lag und außerdem durch den Küchenkamin mitgeheizt wurde, machte es zu einem begehrenswerten Plätzchen – viel zu gut für ein hergelaufenes Weib, das Schreibarbeiten erledigen sollte, dachte Alena, ja, da hatte Bertrade Recht.

Sie nahm an, dass Sophie, die Äbtissin des Stifts, ihr den warmen Raum wegen Lisabeth zugewiesen hatte. Als sie vor zwei Jahren, am Tag nach Ämilius’ Tod, bei den Frauen des Quedlinburger Domstifts um Arbeit gefragt hatte, war Lisabeth ein sterbenskrankes Würmchen mit blauem Gesicht und schwarzen Lippen gewesen, dem man kaum zugetraut hätte, den ersten Tag zu überleben. Aber Lisabeth hatte sich als zäh erwiesen. Wärme und Essen für die stillende Mutter – gutes Essen, das ihnen von den Kanonissen zugesteckt wurde, die den Säugling wie eine Kuriosität bestaunten –, das hatte sie am Leben erhalten.

Alena vermied den Weg über den Hof und nahm die hintere Treppe, die in das Torhaus führte, denn von dort konnte sie ungesehen in den Garten kommen. Nur keinen Ärger. Auch nicht mit einer Pröpstin, die nichts als jammern konnte. Irgendwann würde Bertrade die nächste Äbtissin sein.

Sie gelangte ans Tor und huschte an den Unterkünften der Ritter vorbei zum Garten. Die alte Maia kam ihr mit einer Hacke entgegen, den Rücken so gebeugt, als wäre er sein Lebtag auf das Ende der Hacke zugewachsen. Mürrisch nahm sie Alena den Hasen ab. Lisabeths Geschrei schallte über die Gartenmauer.

»Bis zur Mittagshore«, knurrte Maia. »Dein Balg bringt mich um den Verstand.«

»Bis spätestens zur Mittagshore«, versicherte Alena. Keine Schwierigkeit. Bertrade war zu fromm, um das Gebet zu versäumen. Bis mittags würde die Angelegenheit mit dem Stadtvorsteher erledigt sein.

»Mir fallen die Ohren ab«, brummelte Maia. »Ich kenne kein Kind, das so brüllt.«

»Sie hört damit auf, wenn sie ihren Hasen hat. Sperr sie nicht in den Ziegenstall.«

»Sie hat nach mir geschlagen.«

Bertrade musste die Stimmen der Frauen gehört haben. Es gab Getrappel auf dem gepflasterten Weg, der unter dem Tor hindurchführte.

»Bis zur Mittagshore«, versicherte Alena hastig und eilte zum Stall, um sich eines der Pferde geben zu lassen. Ihr tat der Magen weh. Sie hätte etwas essen sollen.

Lisabeth hatte ihr Geschrei zum Glück eingestellt. Die Stiftsfrauen waren geduldig, aber das Gebrüll zerrte an den Nerven, und irgendwann würden sie sich fragen, ob sich Kinderlärm mit ihrer frommen Berufung, für das Seelenheil der verstorbenen Kaiser zu beten, vertrug.

»Ich wünschte, man könnte mir erklären, warum der Stadtvorsteher sich nicht hierherauf bemüht, wenn es etwas zu besprechen gibt«, klagte Bertrade, während Alena den Trittstein neben der Stalltür erkletterte, um das Pferd zu besteigen, und der Ritter, der sie begleiten sollte, sich in den Sattel schwang. Das Haar der Pröpstin wehte weißblond in zarten Strähnen unter ihrem Spitzenschleier hervor. Sie beugte sich gegen den Wind und hielt mit ihren dünnen Fingern den gefütterten Samtmantel, als könne der nächste Windstoß ihn ihr entreißen. Jedem, dachte Alena in ungerechter Abneigung, soll klar sein, dass sie mit diesen lästigen Besuchen über ihre Kräfte beansprucht wird.

Sie mussten trotzdem in die Stadt hinab, weil Dittmar, der Quedlinburger Stadtvorsteher, nämlich schon zweimal von der Äbtissin zur Audienz befohlen worden war und weil er sich jedesmal mit Ausflüchten entschuldigt hatte und weil die Domfrauen es sich nicht leisten konnten, ihn damit durchkommen zu lassen. Quedlinburg war der größte separate Zinszahler des Stifts. Wenn es Quedlinburg gelang, sich vor Zahlungen zu drücken, würde jeder Hanswurst es ebenfalls versuchen.

Der Frühling schlich sich mit seinem Glanz in jeden Winkel. Auch das Zimmer des Stadtvorstehers war von Licht und dem Duft warmer Frühlingsluft erfüllt. Seine Fenster gingen nach Süden hinaus, und da die Märzsonne tief stand, reichten die hellen, weißen Streifen, die sie auf die Bodendielen warf, bis zur gegenüberliegenden Wand.

Bertrade thronte mit Lippen, schmaler als ein Tintenstrich, auf dem lederbespannten Stuhl, den der Stadtvorsteher ihr bereitgestellt hatte. Sie hatte den Stuhl etwas abseits gerückt, sodass Alena dem Vertreter der Stadt allein gegenübersaß. Wahrscheinlich hasste Bertrade die Äbtissin dafür, dass sie sie zu diesem Besuch nötigte.

Dittmar hatte es sich auf der anderen Seite seines wuchtigen Eichentisches bequem gemacht. Seine Hände ruhten gefaltet auf dem Bauch. »Die Weinberge sind bebaut«, sagte er, »und das seit vier Jahren, und niemand hat bisher daran Anstoß genommen.«

Er musterte Alena so finster, als wäre sie eine Küchenschabe in seinem Vorratskeller. Dittmar sah gut aus, trotz seiner vierzig Jahre. Sein Haar war voll und schwarz, ohne den geringsten grauen Schimmer, und er hatte sich die schlanke Figur bewahrt. Die Augen blickten skeptisch wie eh und je. In seinem neuen Amt als Stadtvorsteher hatte Dittmar sich als Geizkragen erwiesen, mit einer gehörigen Portion Sturheit, aber auch mit Scharfblick. Das waren die Eigenschaften, die ihn als Kürschner reich gemacht hatten, und nun setzte er sie für Quedlinburg ein. Es muss mehr als gut um ihn stehen, dachte Alena. Die Leuchter an den Wänden, klotzige Dinger, jeder eine Elle hoch, waren mit Gold überzogen, und die Eichendecke mit zahllosen kunstvoll geschnitzten Blättern übersät, die ein Dutzend Handwerker einen Sommer lang in Arbeit gehalten haben mussten.

Alena riss sich von der Pracht des Raumes los.

»Das Gebiet am Radelberg stand bis zum Tod Kaiser Ottos dem Stift als Weidefläche zur Verfügung«, sagte sie. »Von Äbtissin Agnes für zwanzig Mark Silber bei den Töchtern Bertholds von Hoym eingelöst. Wollt Ihr den Text sehen? Gut, ist auch überflüssig. Der Vertrag wurde 1199 beurkundet, mit Siegel und allem, was dazugehört. Spätere Vereinbarungen, die die alte abgelöst hätten, gibt es nicht. Kommt, Dittmar – Ihr maust in fremden Gärten.«

Der Kürschner weigerte sich zu lächeln.

»Außerdem ist die Stadt mit dem Weinzins in Verzug. Die Hälfte jedes achtzehnten Eimers war vereinbart, den Eimer zu vierundachtzig Kannen bemessen. Davon sind kaum ein Drittel im Keller des Stifts eingegangen.« Alena sah aus den Augenwinkeln, wie Bertrade angewidert die Augen verdrehte.

Dittmar bemerkte es auch. »Nach dem Vertrag sollte der Weinzins aufgeteilt werden…«

»Gewiss. Und zwar zwischen dem Vogt und dem Stift. Deshalb sagte ich ja auch: die Hälfte.«

»Und welchem Vogt wünscht Ihr, dass wir liefern sollen?«, fragte Dittmar mit überlegtem Spott. »Graf Hoyer von Falkenstein oder Eurem … Caesarius?«

Dem Mistkerl Caesarius, das war endlich einmal ein Punkt, in dem sie übereinstimmten. Caesarius galt als das übelste Subjekt, das je in der Stiftsburg Unterschlupf gefunden hatte. Kaiser Otto hatte ihn dort einquartiert, als er sein Land gegen den Sizilianer Friedrich verteidigen musste, und nachdem es Caesarius gelungen war, die Burg für die Welfen zu halten, hatte er sich bei den Kanonissen als Stiftshauptmann festgesetzt und gleichzeitig das Amt des Vogts für sich beansprucht. Die Äbtissin hatte es geduldet, denn sein Ruf hielt ihr neidische Nachbarn vom Leib. Aber bei den Bauern aus der Umgebung war er als Raufbold und Brandstifter gefürchtet und beim Adel wegen seiner Hinterlist verhasst. Selbst Leute, die den Stiftsfrauen wohlgesonnen waren, fanden, dass Sophie ihn nach dem Friedensschluss hätte davonjagen müssen.

»Wem habt Ihr geliefert?«, fragte Alena.

»Ich müsste nachsehen.«

»Dann tut es – oder lasst es sein. Die Äbtissin wartet auf die achtundzwanzig Kannen für das Stift, und der Rest ist nicht unsere Sache.« Sie war plötzlich über die Maßen gereizt. Bertrade mit ihrem Was-für-eine-erniedrigende-Schacherei-Gesicht hätte zu Hause bleiben sollen. »Wollt Ihr die entsprechenden Urkunden einsehen?«

»Ich zweifle nicht, dass Ihr jedes Kritzelchen im Kopf habt«, entgegnete Dittmar spitz. Zur Hölle mit ihm.

Alena stand auf.

Es gab einen Knecht in Dittmars Haus, der keine andere Funktion zu haben schien, als die Tür aufzureißen, wenn jemand den Raum verlassen wollte. Bertrade schwebte mit erleichterter Miene an ihm vorbei und ging zur Treppe.

»Du hast einmal zu uns hier unten in die Stadt gehört, Alena«, sagte Dittmar. Er stand so plötzlich neben ihr, als hätte ihn ein Augenzwinkern an ihre Seite befördert.

»Das ist lange her.«

»Und nun raffst du für die Krähen vom Stift …«

»Für die gottgeweihten Jungfrauen. Wie klug von dir zu flüstern, Dittmar. Die Pröpstin könnte dich mit einem Fingerschnippen von deinem lukrativen Stuhl verbannen. Den Stiftsherrinnen gehört die Stadt und fast jeder Fußbreit Land drum herum. Aber sie sind unter die Räuber gefallen. Und Quedlinburg ist dabei, sich den plündernden Scharen anzuschließen. Wenn du dir diesen Umstand gelegentlich vor Augen führen und außerdem deinen Geiz bezwingen könntest, würden wir beide ein friedlicheres Leben führen.«

Dittmar schüttelte den Kopf. Er wollte sie noch immer nicht gehen lassen. Er stand nicht so frech im Weg wie beispielsweise ein Caesarius, aber Alena spürte, dass ihm etwas auf der Zunge lag. Fragend blickte sie ihn an.

»Ich habe Nachricht bekommen. Von … über meinen Vater. Er ist in seiner Gefangenschaft verstorben.«

»Ach …« Ach war reine Verblüffung. Der Zorn hinkte hinterher wie der Bettler dem Almosengeber. Aber er kam, und zwar so überwältigend, dass ihr die Tränen in die Augen schossen. »Dann richte ihm aus, solltest du ihn in deinen Gebeten erreichen, dass ihm Ämilius’ Witwe ein langes und heißes Fegefeuer wünscht!«

Bertrade war der Tag verdorben. Mürrisch trieb sie ihr Pferd an. Vorbei an der Marktkirche, die einer Baustelle glich, weil die Quedlinburger in ihrem Hochmut dem Gotteshaus neue, modernere Türme geben wollten. Dann über den schlammigen Marktplatz mit den Schragentischen, wo die Händler einander überbrüllten. Und weiter zu Sankt Blasii, dem alten Stadtkirchlein, das in seiner Schlichtheit den Ansprüchen einer demütigen Gemeinde durchaus hätte genügen können. Aber leider hatten die Leute in der Stadt ja vergessen …

Schluss, dachte Alena streng. Es tat nicht gut, Bertrades Gedanken zu denken. Sie blickte zum Burgberg hinauf, wo über den Domtürmen die Sonne stand. Vom Wind wurde Glockengeläut herübergetragen. Sie hatten sich doch länger aufgehalten als gedacht. Die Zeit des Mittagsgebets stand bevor, und Maia würde warten. Und Lisabeth in feuchten Kleidern sitzen. Hoffentlich nur das. Der Weg stieg an, und der Ritter, der zu ihrer Begleitung abgestellt worden war und das sicher für eine öde Beschäftigung hielt, bequemte sich, zu ihnen aufzuschließen. Sie erreichten die Häuser der Ritter. Früher hatten die Männer alle zum Stift gehört, aber seit Caesarius die Burg schützte, war ein Teil von ihnen in den Dienst der Stadt getreten und ein anderer zu Graf Hoyer gewechselt, dem Mann, dem Caesarius das Amt des Stiftsvogts streitig machte. Und nun wirkte die Hohe Straße nicht mehr wie Stiftsdomäne, sondern als wäre sie bereits Bestandteil der Stadt, und das Hohe Tor, das am Ende der Straße zur Stadt hinausführte, sah aus wie ein Bollwerk.

Bertrade verhielt ihr Pferd. Sie schien plötzlich unschlüssig. Ohne Erklärung änderte sie die Richtung und bog nach rechts ab, wo ein Trampelpfad sich an der Stadtmauer mit dem Wassergraben entlangzog.

»Nicht zum Stift hinauf?«, fragte Alena.

Die Pröpstin würdigte sie keiner Antwort, und als Alena ihr einen verstohlenen Blick zuwarf, sah sie, dass ihr blasses Gesicht mit roten Flecken übersät war. Heilige Madonna. Die Pröpstin war erbost. Regelrecht wütend. Da konnte man nur hoffen, dass dem Sieg über Dittmar – wenn er überhaupt stattgefunden hatte – nicht ein Unglück folgte.

Dem Ritter, der die Aufgabe hatte, die Pröpstin zu schützen, gefiel die neue Richtung nicht. Er war ein älterer, müder Mann. Ein Ritt über freies Land hieß nicht, den Drachen herauszufordern, aber die Kriege der vergangenen Jahre hatte viel entwurzeltes Volk zurückgelassen, das sich von Raub und Totschlag ernährte. Wissen konnte man nie. Und die Pröpstin war eine hochedle Dame, die man keinem Risiko aussetzen durfte. Unglücklich blickte er Alena an.

»Wohin soll es gehen, Herrin?«, fragte sie.

Bertrade zügelte ihren Schimmel. Sie winkte den erstaunten Ritter vorbei und wartete auf ihre Begleiterin. Ihre dünnen Lippen bebten, und das Beben übertrug sich auf die schlaffen Wangen ihres ehemals so hübschen Gesichts. »Ihr wisst es nicht besser!«, stieß sie hervor.

»Was?«

»Ihr …« Bertrade stotterte vor Erregung. »Ihr … schreibt und lest, als hättet Ihr eine Erziehung genossen. Ihr redet Lateinisch. Das macht vergessen, dass Ihr aus dem … Gossenschmutz stammt.«

Nun, nicht direkt aus dem Gossenschmutz – aber nahe daran. Und? dachte Alena steif. Was nun?

»Ich … es … Nein, es steht mir nicht zu, Euren Stand zu verachten. Natürlich schlägt in Eurer Brust ein Krämerherz.« Die Worte kamen scharf wie Galle. »Aber Ihr vertretet das Stift … Und Ihr tut das mit einem Mangel an Liebreiz … an Anmut … an Sanftheit. Man muss sich schämen.« Der Busen unter dem blauen Samt wogte. In den Augen der Pröpstin glänzten Tränen. Sie kämpfte gegen ihre Gefühle. »Wir reiten nach Sankt Wiperti!«

Brüsk trieb sie ihr Pferd an. Der Knecht, der gewartet und zweifellos alles mit angehört hatte, folgte ihr verlegen. Alena blickte zur Burg hinauf. Die Glocken des Doms hatten aufgehört zu läuten, aber Maia würde trotzdem weiter auf Lisabeth achten. Das Leben war hart für jedermann. Lisabeth würde sich gedulden müssen. Und Bertrade …

Sie verscheuchte ihre furchtsamen Gedanken. Äbtissin Sophie wusste, wie nützlich die Schreiberin ihrem Stift war, und im Moment kam es nur darauf an.

Vor ihnen lag der Munzeberg mit dem Marienkloster und den Festungshöhlen, die Hoyer von Falkenstein während des Krieges gegen den Kaiser in den Bauch des Berges hatte schlagen lassen. Bertrade bog vor dem Berg ab. Sicher wollte sie zum Stiftskaplan, um ihm ihr Leid zu klagen. Er war der Mann für so etwas. Immer geduldig, immer den Frauen, die für ihn und die anderen Kanoniker sorgten, zugeneigt. Sicher würde er Mitgefühl mit einer Pröpstin haben, die gezwungen wurde, wie ein Marktweib um das Gut des Stifts zu feilschen. Bertrade hielt sich an die Straße, die dem Mühlengraben folgte, und wenig später tauchten die Mauern von Sankt Wiperti auf.

Plötzlich zügelte der Knecht sein Pferd. Er lauschte und hob den Arm. »Reiter. Von vorn.«

»Was für Reiter?«, fragte Bertrade beunruhigt.

Die Männer kamen ihnen entgegen und schnitten ihnen den Weg ab. Trotzdem kein Grund zur Sorge, dachte Alena. Niemand würde in Sicht- und Rufweite des Klosters einen Überfall wagen. Außerdem waren sie nur zu zweit und anständig gekleidet. Der vordere trug einen weichen, rostfarbenen Reisemantel, den er mit einer Tassel über der Brust zusammenhielt, eine braune Hose mit breiten Wadenbändern und einen kurzen, dunkelgrünen Rock. An seinem Sattel baumelte ein Schwert. Ein Kaufmann, dachte Alena, revidierte ihre Meinung aber sofort. Seiner Kleidung fehlte es an Schmuck und … ja, an Eleganz. Außerdem war seine Frisur unmöglich. Das rötliche Haar hing als wildes Gezaus um seinen Kopf. Dennoch, als er näher kam, sah Alena, dass sein Mantel mit Grauwerk gefüttert war. Wohlhabend musste er also doch sein. Sie konnte ihn nicht einordnen und schlug sich die Überlegungen aus dem Sinn. Sein Begleiter, der wesentlich schlichtere Kleidung trug, war jedenfalls sein Diener.

Als die beiden sie erreicht hatten, hob der Rothaarige den Arm und zeigte an ihnen vorbei zur Stadt. »Ist das Quedlinburg?« Er sprach korrekt, aber sein Dialekt war fremd, weicher als das, was im Stiftsgebiet gesprochen wurde. Und er war müde. Die Fältchen um seine Augenwinkel wirkten wie eingemeißelt. Zweifellos war er weit gereist.

»Ist es, ja«, erwiderte Alena, weil Bertrade schwieg.

Der Fremde fuhr sich mit den Fingern ins Stirnhaar. Er konnte nichts für das Durcheinander auf seinem Kopf. Sein Haaransatz war eine Parade von Wirbeln, von denen jeder in eine andere Richtung strebte. Stumm, die Hand noch immer im Haar, betrachtete er den Teil der Stadtmauer, der sichtbar war, und dann den Berg mit der Burg und dem Dom.

»Ihr befindet Euch im Gebiet des Quedlinburger Domstifts. Die Stadt hat für ehrbare Besucher am Marktplatz eine Herberge errichtet, in der Ihr die Nacht verbringen könnt«, bequemte die Pröpstin sich zu sagen, ob aus Herablassung oder Neugierde wegen des unverkennbar kostbaren Mantels, war nicht auszumachen. Und ließ sich auch in weiterem Gespräch nicht klären, denn aus Richtung des Harzwaldes, aus der auch die Fremden gekommen waren, wurde plötzlich Gelächter laut. Saufgegröle, dachte Alena. Es klang nach Wichtigtuerei und Streitsucht.

Der Rothaarige blieb in die Betrachtung der Stadt versunken, als wäre er unfähig, sich auf mehr als ein Ding zu konzentrieren. Aber sein Diener, ein junger Mann, schwarzhaarig und dunkelhäutig wie die Spanier, fuhr nervös herum. Dort, wo die Klostermauer einen Winkel schlug, stob eine Staubwolke auf. Ein halbes Dutzend Reiter galoppierte mit wehenden Mänteln um die Ecke.

Bertrade lächelte, wobei ihre schmalen Lippen sich wanden wie Plattwürmer. »Ihr braucht Euch nicht zu sorgen, meine Herren. Ich kenne diese Leute. Es sind Ritter unseres Stifts.«

Genau. Und angeführt wurden sie von Caesarius, unschwer zu erkennen an dem schwarzen, gestutzten Bart, der Mund und Kinn einrahmte wie ein Oval. Sein Busenfreund Burchard, breitschultrig und mit einer wehenden blonden Mähne, war bei ihm, und die anderen gehörten ebenfalls zur Stiftsbesatzung. Ihre Bewegungen waren schwammig. Einer schaukelte im Sattel und war offensichtlich sturzbetrunken. Sie wurden aufmerksam und verlangsamten ihr Tempo. Alena sah aus den Augenwinkeln, wie der Ritter, der die Pröpstin beschützen sollte, sich im Nacken kratzte. Offenbar versuchte er abzuschätzen, wie weit die Ankömmlinge noch in der Lage waren zu begreifen, wen sie vor sich hatten.

Caesarius’ Meute ritt weiter, bis sie auf ein paar Dutzend Schritt heran war. Einer der Männer brach in albernes Gelächter aus.

Jetzt endlich drehte auch der Fremde sich zu ihnen um. Die Ärmel seines Rockes waren eng geschnitten, und Alena sah, dass sich darunter beachtliche Muskeln spannten. Kein Schwächling also. Aber er war müde. Seine Bewegungen wirkten langsam und unkoordiniert. Und das war gut so, möglicherweise würde es ihn von törichtem Gehabe abhalten.

Caesarius brachte sein Pferd zum Stehen. Er flüsterte mit Burchard, der mit der Zunge über die Lippen fuhr und breit grinste. Kurzes Getuschel: Die Männer schlossen zu einer Reihe auf, mit der sie die ganze Straße in Anspruch nahmen.

Nein, nichts Böses. Sie wollten nur ein bisschen den Herrn herauskehren. Und sich mit den Fremden prügeln, wenn es sich ergab. Bertrade erkannten sie nicht – oder gaben das zumindest vor. Alena lenkte ihr Pferd an den Wegrand ins Unkraut. »Es lohnt nicht«, sagte sie halblaut.

Die Ritter gaben den Pferden die Sporen. Der südländische Junge schaute auf seinen bewaffneten Herrn. Er trug selbst nichts, sich zu wehren, nur einen Sack, in dem etwas Unförmiges schaukelte. Sie sah seine Augen flackern, und er schien ungeheuer erleichtert, als der Rothaarige ihm winkte, den Weg freizugeben. Bertrades Ritter zögerte. »Herrin?«

Die Pröpstin konnte nicht glauben, was sie sah.

Caesarius brüllte etwas Unflätiges. Im nächsten Moment war er mit seinen Leuten heran. Sie preschten links und rechts an Bertrade vorbei, so knapp, dass sie ihren Mantel streiften. Erschrocken stieg ihr Schimmel auf die Hinterbeine. Staub wirbelte auf und versperrte ihnen die Sicht. Ihr ganzes kleines Grüppchen versank in Staub.

»Man muss vernünftig sein«, sagte Alena, als sie sich ausgehustet hatte und die Stiftsritter in der Kurve hinter dem Burgberg verschwunden waren. Bertrade bemühte sich, ihr Pferd zu beruhigen. Ihr standen Tränen in den Augen. Der Stiftskaplan würde sich noch eine Menge mehr anhören müssen als ihren Zorn über Alena. Aber er hatte keinen Einfluss. Er unterstand Sophies Weisung, und Sophie schützte ihren Hauptmann und ihre Schreiberin.

»Hinter dem Berg rechts?«, fragte der Rothaarige.

»Was?«

»Muss man um die Burg herum, um in die Stadt zu kommen?« Der Mann hatte Augen wie Obsidian, ein poliertes Grau mit blaugrünen Einsprengseln. Augen, dachte Alena, die Grenzen setzen, aussperren.

Sie nickte. Nachdenklich sah sie den Männern nach, die langsam davontrabten. Sie waren unverletzt geblieben – und damit besser dran als viele andere, die Caesarius im Weg gestanden hatten. Und doch. Im Hinblick auf die muskelbepackten Arme bedauerte Alena einen winzigen Moment, dass die Stiftsrüpel sich so billig hatten behaupten können.

»Man kann nichts machen. Es war einer von diesen Tagen«, sagte Alena und hielt Lisabeth fest, die sich ihr aus den Armen winden wollte, weil es beim Herauskämmen des Ziegenstrohs an den Haaren ziepte.

Lisabeth heulte und würde das vermutlich bis zum Einschlafen tun, weil der Ziegenstall sie geängstigt hatte und weil in ihrem Köpfchen kein Verstand war, mit dem sie hätte begreifen können, dass sie nur folgsam sein musste, um dem Ziegenstall zu entgehen.

Alena gab es auf, in dem verhedderten Haar für Ordnung zu sorgen. Ämilius hatte Locken gehabt, ihr eigenes Haar war ebenfalls kraus, und die arme Lisabeth hatte beides geerbt, sodass ihr kleines Gesicht in einem Ball feinster brauner Kringel und Löckchen verschwand. Niemand konnte so etwas bändigen. Sie zog das Kind an sich. Lisabeth rieb die Nase an ihrem Bauch und, welch ein Segen, ihr Schreien verstummte, während sie sich heftig in den mütterlichen Schoß grub, bis sie wie ein Igel darin ruhte. Alena kraulte ihren Nacken und lauschte ihrem Atem. Sie entspannte sich.

»Weißt du, Käferchen«, murmelte sie, »dass der Mann, dessentwegen wir hier leben müssen, gestorben ist? Ich habe das von Dittmar gehört. Und es ist schade, dass du nichts davon begreifst. Für uns ist heute ein Tag der Gerechtigkeit.«

Was hatte Dittmar erwartet, als er ihr vom Tod seines Vaters erzählte? Ihr Zugeständnis, dass nun alles vorbei sei? Erledigt und vergessen? Aber in Wahrheit war überhaupt nichts vorbei. Lisabeth lag hier in ihrem Schoß und konnte kein Wort sprechen und nicht laufen und nichts von dem tun, was zweijährige Kinder für gewöhnlich fertig brachten. Und das war Erasmus’ Schuld. »Dittmar kann nichts dafür«, erklärte Alena dem Lockenschopf. »Er ist geizig, aber er hätte niemals zugestimmt, jemanden umzubringen. Nicht für den Brückenzoll am Sumpf und nicht einmal für den Zoll des ganzen Reiches. Das kam von seinem Vater.«

Lisabeth drehte sich, sie wand sich so lange, bis sie hinauf in Alenas Gesicht schauen konnte. Zärtlich drückte Alena ihr einen Kuss auf die Stirn. »Du möchtest das wissen? Gut. Sie sind gekommen, als dein Vater in der Bauhütte arbeitete, das war nachts, da hatte er die meiste Ruhe. Er wollte eine Schablone für den Brückenbogen sägen und dann heimkommen. Aber gegen die Männer, die ihn überfielen, konnte er nicht an. Es müssen mehrere gewesen sein. Ich habe das Winkeleisen gefunden, Käferchen, mit dem er gearbeitet hatte, und es war voller Blut, und der ganze Sand auf dem Boden der Bauhütte war aufgewühlt. Und alles, was er sich ausgedacht hatte, die Zeichnungen und Schablonen, alles war verschwunden.«

Lisabeth lächelte. Ihr Mund war auf der linken Seite gelähmt, ihr Gesicht glich einer Koboldsgrimasse. Auch daran trug Erasmus Schuld. Alena streichelte die taube Stelle.

»Sie haben deinen Vater in den Sumpf geworfen. Davon bin ich überzeugt. Und ich habe es auch in der Stadt gesagt. Dass Erasmus ihn umgebracht hat. Aber sie wollten nicht einmal glauben, dass er tot ist. Trotz des Winkeleisens. Sie sagten, er wäre irgendwo hingegangen. Als hätte dein Vater uns verlassen können.«

Behutsam nahm Alena Lisabeths Hände, die nach ihrem Kinn griffen, und umhüllte sie mit ihrer eigenen.

»Ich bin die ganze Nacht in den Sümpfen gewesen, um ihn zu suchen. Und wegen der Aufregung und der Angst bist du zu früh aus meinem Bauch gekrochen. In einem Bett aus Moos, das so nass wie ein Schwamm war, mit Eulengekrächze als Beistand, und so schwarz wie eine Sumpfratte. Und nun sage mir einen Grund, warum wir Erasmus nicht die Qualen der Hölle mit dem Fegefeuer gönnen sollten.«

Alena ließ Lisabeth auf das Deckbett rollen, erhob sich, kniete vor der Truhe nieder und begann darin zu wühlen, bis sie den Spiegel fand, der unter ihren Kleidern lag. Sie setzte sich damit auf das Bett und drehte ihn, sodass sie ihr Gesicht im flackernden Licht der Unschlittlampe erkennen konnte.

»Nein, lass …« Sie hielt Lisabeth fest, die nach dem blinkenden Spielzeug griff. Das Licht war schlecht, und der Spiegel zerkratzt. Außerdem war er schmutzig. Alena rieb ihn am Ärmel blank. Nachdenklich betrachtete sie das Gesicht, das ihr entgegenstarrte. Dunkle Haut, dunkle Haare, dichte Augenbrauen. Eine erste senkrechte Falte, die zwischen den Augen eine Zacke schlug wie ein Sprung im Glas. Zu früh, eigentlich, für Falten.

»Lass, Lisabeth.«

Augen, die sich schwarz und abschätzend ins Spiegelblei gruben. Alena zog den Schleier vom Kopf. Sie versuchte, ihre Locken mit den Händen zu ordnen, um dem Gesicht im Spiegel die Strenge zu nehmen. Lisabeth half und wuselte mit den Fingern auf ihrem Kopf. Ein hübsches, kleines Durcheinander fabrizierten sie. Alena nahm Lisabeth in den Arm und starrte erneut auf das Bild. Ein Mund ohne Schönheit oder Hässlichkeit. Eine Nase wie bei jedermann. Immerhin zart gewellte, weiche Locken.

Aber was halfen die Locken gegen die Strenge der Augen.

»Sie hat Recht«, sagte Alena. Lisabeth versuchte den Spiegel zu erwischen und diesmal gab sie ihn ihr. »Unsere Pröpstin hat scharfe Augen, wer hätte das gedacht. Kein Liebreiz, keine Anmut, keine Sanftheit. Macht uns das traurig, Käferchen?«

Lisabeth jedenfalls nicht. Sie lachte, weil sie endlich in Händen hielt, was sie die ganze Zeit hatte haben wollen.

Alena verstaute Kind und Spiegel unter der Bettdecke, blies das Licht aus, streifte die Kleider ab und kroch zu dem warmen Körperchen. Sie kam sich mit ihrem eigenen Gesicht fremd vor. »Das war nicht immer so. Und auch dafür verdamm ich dich, Erasmus«, murmelte sie in das Kinderhaar.

2. KAPITEL

Zuerst hörte Alena Pferdegetrappel, dann die unwirsche Frage um Einlass. Offenbar waren die Ankömmlinge unerwünscht. Der Torwächter wollte sie abweisen. Die Stimme, die ihm antwortete, klang tief und heiser vor Ungeduld. Eine weibliche Stimme kam dazu. Agnethe, die Pförtnerin. Sie versuchte zu beschwichtigen. Der Mann, der in die Burg wollte, fuhr sie an wie ein Rüpel. Jemand warf etwas Ruhiges, Vernünftiges ein. Dittmar. Dittmar befand sich auch unter den Leuten am Tor.

Alena fand das erst nach angestrengtem Horchen heraus, denn der Zwinger, durch den die Burg betreten wurde, lag unterhalb der Rückseite ihres Zimmers, und es führte nur eine winzige Schießscharte durch die Mauer. Was Dittmar sagte, ging im Stimmengewirr unter. Er war zu höflich. Sein Begleiter, aufs Äußerste gereizt, überschrie ihn.

Ach Dittmar, warum ausgerechnet heute? Alena stützte die Ellbogen auf und drückte die Handballen gegen die Augen. Sophie hatte von ihr eine Aufstellung über den Stiftsbesitz in Thüringen gewünscht, und die war schwer zu erstellen, weil weder Bertrade noch ihre beiden Vorgängerinnen Listen geführt hatten. Es gab Urkunden, die sich auf Urkunden bezogen, von denen kein Buchstabe mehr existierte. Angaben über Verkäufe, die einmal stattgefunden haben mussten, aber niemals ordentlich niedergeschrieben worden waren. Geschenke unter Freunden. Alles schwammig. Alena war sicher, dass zumindest der Untervogt des Gutes Liebstedt das Stift betrog.

Wie unbequem, einen Besitz betreuen zu müssen, der sich über das halbe Reichsgebiet erstreckte. Klöster bekamen ihre Schenkungen meist aus dem Umkreis. Das Quedlinburger Stift hatte Töchter aus sämtlichen bedeutenden deutschen Adelsfamilien in seiner Obhut gehabt, früher, in seiner glanzvollen Zeit, als es noch von Kaisertöchtern und verwitweten Königinnen geleitet worden war. Das rächte sich nun. Verfluchtes Thüringen. Man müsste reisen können. Selbst nach dem Rechten sehen. Und vielleicht sollte sie Sophie das einmal vorschlagen. Aus Liebstedt müsste ein erklecklicher Zins in Form von Mohn, Hirse und Erbsen kommen. Genug, um die dringendsten Verpflichtungen, zumindest aber die Gnadengaben an die stiftseigenen Hospitäler zu finanzieren. Wenn es denn gelang, ihn einzutreiben.

Die aufgebrachte Stimme störte beim Denken. So viel Wut. Alena kannte den Sprecher, aber sie konnte sich nicht besinnen, wer es war, bis sie aus Agnethes Antwort die Worte »Herr Graf …« heraushörte. Graf Hoyer von Falkenstein, richtig.

Agnethe schien nachzugeben, denn Alena hörte Hoyer ein kräftiges »Na bitte!« brüllen. Die Pferde erklommen den Zwinger. Der Gesprächslärm wurde leiser. Wenn Dittmar zusammen mit Hoyer von Falkenstein kam, dann hieß das … ja, was? Dass Dittmar hoffte, um die Rückgabe der Weinberge herumzukommen, wenn er den alten Streit um die Stiftsvogtschaft wieder aufwärmte?

Hoyer hatte das Amt des Stiftsvogts von seinem Vater übernommen – und gleich mit der ersten Siegelung begonnen, das Stift zu plündern. Er hatte massenweise Privilegien des Stifts verkauft und Ländereien des Stifts gegen Bezahlung zu Lehen vergeben. Er hatte mit jedem Vertrag und jeder Urkunde ungeniert in die eigene Tasche gewirtschaftet. Proteste hatten nichts genutzt, und irgendwann war Sophie der Geduldsfaden gerissen. Sie hatte Hoyer als Stiftsvogt entlassen und stattdessen Caesarius in das Amt gesetzt.

Und das, dachte Alena, hätte sie besser nicht getan. Caesarius hasste Hoyer – war also gegen Sophie loyal. Aber das war auch seine einzige Tugend. Als Sophie sich entschloss, ihm die Domburg anzuvertrauen, hatte sie sich vom Adel der Umgebung isoliert. Und den Streit, der inzwischen um die Vogtei entbrannt war, würde wohl nur der Kaiser lösen können – wenn er sich denn bequemte, einen Gedanken an das ehemals so mächtige Frauenstift zu verschwenden.

Im Hof klang Gelächter auf. Die Domicellae, die ihr Stundengebet für das Seelenheil der im Dom begrabenen Kaiser verrichtet hatten, liefen zum Dormitorium, um die langweilige schwarzweiße Gebetstracht mit den bunten Seidenkleidern zu vertauschen. Den Rest des Vormittags würden die Mädchen beim Unterricht verbringen – lateinische Sprache, Liturgie, Chorgesang, Kirchengeschichte und so praktische Dinge wie Spinnen und Sticken. Sie waren beschäftigt, und somit würde Sophie Muße haben, sich mit Hoyer zu beschäftigen. Der Graf hatte den Zeitpunkt gut abgepasst.

Alena schob die Pergamentblätter von sich und trat zum Fenster. Der Tag war nicht so sonnig wie die vorherigen, über den Harzbergen hing Nebel. Die Mädchen waren in dem rosenumrankten Tor des Kanonissentrakts verschwunden. Und Hoyer schien in den äußeren Hof eingeritten zu sein, denn sie hörte die devote Stimme des Stallmeisters, die wie von einer Klinge zerschnitten abbrach. Im nächsten Moment kam der Graf mit Dittmar in den Innenhof.

Dittmar machte keine schlechte Figur im Sattel, aber gegen Hoyer wirkte er wie ein Äffchen. Der Graf schwang sich mit einer einzigen Drehung seiner Hüfte aus dem Sattel. Sein schwarzsilbernes Haar flog ihm in den Nacken, als er zu den Fenstern hinaufsah, hinter denen er die Äbtissin vermutete. Ungeduldig fuhr er Agnethe an, die ihm nachgeeilt war.

»Wie ich bereits sagte: Sie ist in einer Sitzung.« Die Pförtnerin keuchte, ihr mächtiger Busen bebte, sie war zu schnell gelaufen.

»Dann sagt ihr, sie soll die Sitzung unterbrechen. Oder … nein, lasst!«

Alena ging zu ihrem Tisch und suchte rasch die Kladde durch, in der noch immer die Kopien über die Urkunden vom Radelberg und die städtischen Abgaben lagen. Denn das war wohl der Grund für das Kommen der beiden Männer, oder? Sie zögerte. War es aufdringlich, ungefragt in den Kapitelsaal zu gehen? Sie hatte Sophie die Einzelheiten über die Besitzverhältnisse am Radelberg erklärt, aber die Äbtissin hatte keinen Kopf für solche Details. Sicher würde sie froh sein, jemanden zur Seite zu haben, den sie fragen konnte.

Alena wurde kaum beachtet, als sie den Kapitelsaal betrat. Zögernd blieb sie stehen. Der lange Raum mit den Holzsäulen, den Wandmalereien und der rotgefärbten Balkendecke wurde von einem breiten, feststehenden Tisch beherrscht, an dem das Stiftskapitel tagte. Etwa die Hälfte der Stühle war unbesetzt, was bedeutete, dass die Kanonissen über Dinge beraten hatten, die nicht für sämtliche Frauen von Interesse waren. Hoyer hatte sich am Fenster postiert, sodass seine Gestalt vom Licht beleuchtet wurde, während Sophie in ihrem dunklen Gebetsmantel fast mit dem Schwarz des Kamins verschmolz.

»Und mehr ist es nicht?«, brüllte er in der Art, wie Männer brüllen, wenn sie vor Frauen stehen, die sie einschüchtern wollen.

»Oh doch, es ist bedeutend mehr!« Sophie brüllte nicht. Ihr Stimme war leise und scharf wie ein Dorn. Sie trat aus dem Schatten zum Tisch, auf dem sie sich abstützte, weil sie die Hüfte schmerzte. »Es ist eine – Unverschämtheit! Caesarius mag in der Stadt gewesen sein. Er mag die Tische der Händler umgestürzt haben – das kann sein oder auch nicht. Ich werde es untersuchen. Aber es ist eine Unverschämtheit, dass gerade Ihr Euch darüber zum Richter aufspielt. Vor noch nicht einmal einem halben Jahr …«

»So ist es immer!« Hoyers Stimme troff vor Hohn. »Der Äbtissin liebstes Kind verwüstet die Stadt, aber … nichts! Denn vor einem Jahr, vor fünf Jahren, vor hundert Jahren hat es ebenfalls Leute gegeben …«

»Eure Leute, Hoyer!«

»Und einer Eurer Leute, Sophie – denn auch die Stadt gehört dem Stift, und die Leute, die dort wohnen, verdienten Eure Anteilnahme wenigstens ebenso wie das … unmanierliche Vieh, dem Ihr gestattet, hier zu hausen –, einer Eurer Leute ist verwundet. Hat ein zerschmettertes Knie und wird nie wieder gehen können, wenn er nicht am Wundfieber krepiert.«

»Ich bin gerührt – Ihr entdeckt Euer Herz für das Volk. Für gerade die Menschen, die vor Euren Brandstiftern in meine Stadt fliehen mussten, weil sie den Krieg nicht mehr ertragen konnten, mit dem Ihr das Land überzogen habt.«

»Den Krieg der beiden Kaiser. Macht Euch nicht lächerlich! Das ist vorbei. Und Ihr standet auf der falschen Seite und könnt es nicht einmal jetzt zugeben!«

Sophie hatte Schmerzen. Ihr langes, ovales Gesicht mit den Kerben um die Mundwinkel war starr. Ihre Augen funkelten vor Wut, aber nicht einmal die Wut konnte darüber hinwegtäuschen, dass sie eine kranke Frau war. »Meinen Stock«, schnappte sie, und Wigburg, die Scholastika, stand auf und brachte ihr den Äbtissinnenstab mit dem goldenen Knauf und dem mit ziseliertem Gold beschlagenen Schaft.

»Ich habe Euch angehört. Ihr könnt wieder gehen!« Sie pochte mit dem Stock auf die Holzdielen.

»Herrin, in der Stadt ist ist Unrecht geschehen.« Diesmal war es Dittmar, der sich zu Wort meldete. Er räusperte sich, um seine Stimme fester klingen zu lassen, was ihm einen hämischen Blick des Grafen eintrug. »Die Stadt hat nichts getan, nicht das Geringste, was Eurem Hauptmann Ursache gegeben hätte … was Caesarius hätte verärgern können. Die Stadt hat ein Recht auf ihren Frieden.«

»Das haben wir alle. Und können es trotzdem nicht einklagen!« Da die ungebetenen Gäste keine Anstalten machten, sich zu entfernen, wandte Sophie sich zur Tür.

»Wir haben einen Kaiser!« Hoyer bellte die Worte heraus wie eine Drohung. Unhöflich drängte er sich an Sophie vorbei. Dittmar folgte ihm, nicht ohne Alena, die er endlich bemerkte, einen bitteren Blick zuzuwerfen.

»Jawohl, wir haben einen Kaiser«, nahm Sophie die Worte des Grafen auf, nachdem Alena hinter ihm die Tür geschlossen hatte. »Wir haben einen Kaiser, der in Sizilien lebt, der seine eigene Sprache wie ein Fremder spricht und sich ein Königreich unter den Heiden aufrichtet, während er seine Heimat von einem Kind regieren lässt.«

empörend