O. Z.


1.

»Quod felix faustumque sit!«
Die akademische Matrikel.

Es gibt eine Glückseligkeit, die noch kein Dichter recht besungen, keine noch so liebenswürdige Leserin je in dieser Welt erlebt hat, noch je erleben wird. Es ist dies ein Zustand der Glückseligkeit, welcher nur dem männlichen Geschlechte und selbst unter diesem nur den Auserwählten erreichbar ist. Es ist ein Lebensmoment, der unsere Gefühle, unsern Geist, unser ganzes Wesen ergreift. Thränen der Unschuldigen sind vergossen, schlaflose Nächte sind darüber hingegangen, in welchen die fromme Mutter und die zärtliche Schwester für diesen kritischen Augenblick des Lebens flehentlich Gott angerufen haben.

Glückseliger Augenblick, den kein Weib, und sei es auch noch so gut, noch so schön und geistreich, erleben kann – glückseliger Augenblick, Student zu werden, oder um mich des üblicheren Ausdrucks zu bedienen, das erste Examen bestanden zu haben.

Der Cadett, welcher Offizier, der Schüler, welcher akademischer Bürger, der Lehrjunge, welcher Geselle wird, sie Alle empfinden in höherem oder geringerem Grade dieses Hinweghüpfen über den Examenwall, hinein in den Tummelplatz der Philosophie. Alle streben wir nach einer größeren Bahn und eilen brausend weiter, dem Flusse gleich, der sich ins Meer verliert.

Zum ersten Male fühlt nun die jugendliche Seele so recht ihre Freiheit und fühlt sie folglich doppelt. Sie strebt nach Wirksamkeit, beginnt ihr eigenes Ich zu begreifen, das ja geprüft und nicht zu leicht befunden ist, und wird noch von all den ungetäuschten Träumen des Kindes umgaukelt. Nicht Liebesglück, nicht Begeisterung für Kunst und Wissenschaft elektrisirt so alle Nerven, wie das Bewußtsein: Nun bin ich Student!

Dieser Frühlingstag des Lebens, an welchem die Eisdecke der Schule gesprengt wird, der Baum der Hoffnungen Knospen treibt, die warme Frühlingssonne leuchtet, fällt bekanntlich bei uns in Dänemark in den Monat October, gerade, wenn die Natur ihres Laubes entkleidet wird, wenn die Abende beginnen dunkler zu werden und sich das Wintergewölk dichter zusammenzieht, recht als wollte es der Jugend zurufen: »Euer Frühling, der aus dem Examen hervorsprießt, ist nur ein Traum! Gerade nun werdet ihr erst recht den Ernst des Lebens kennen lernen!« Allein daran denkt die glückliche Jugend nicht, und wir wollen es ebenfalls nicht, wollen vielmehr mit den Fröhlichen fröhlich sein und ihren Kreis mit Vorliebe aufsuchen. In einem solchen nimmt unsere Erzählung ihren Anfang.

10.

Waren nicht jung die Erbsen und frisch und wie Zucker die Wurzeln?
Und was fehlte dem Schinken, der Gänsebrust und dem Hering?
Was dem gebratenen Lamm und dem kühlenden röthlich gesprengten
Kopfsalat? War der Essig nicht scharf und balsamisch das Nußöl? –
– Nicht die Butter wie Kern, nicht zart die rothen Radieschen? –
Was? –
Voß, Louise.

»Herr Zostrup muß des Kammerjunkers altes Schloß sehen. Morgen wollen wir hinüber!«

Louise konnte sie leider nicht begleiten, da hunderterlei kleine Pflichten sie zurückhielten. Vor allen Dingen nahm das Plätten sie vollauf in Anspruch.

»Das kann ja aber doch das Stubenmädchen thun!« meinte Sophie, »komm doch mit.«

»Wenn du aber erst deine Wäsche wirst sauber und niedlich in deinen Schubfächern liegen sehen,« versetzte Louise, »so wirst du mir schon vergeben, daß ich zu Hause blieb.«

»Ja, du bist ein seelengutes Mädchen,« sagte Sophie, »du verdientest, daß dich Jean Paul gekannt und in einem seiner Werke unsterblich gemacht hätte! Du verdientest das Glück, von einem solchen Dichter besungen zu werden!«

»Hältst du das wirklich für ein Glück, wenn sich die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf Jemanden richtet? Das muß ein beängstigendes, ein unglücklich machendes Gefühl sein! Nein, weit besser ist es doch, unbemerkt zu bleiben. Ueberbringe den lieben Nachbarn meine Grüße und laß dir meinen Claudius zurückgeben; sie haben ihn nun schon ein halbes Jahr bei sich gehabt!«

»Dann haben sie die volle Hälfte der Bibliothek meiner Schwester da behalten!« sagte Sophie lachend zu Otto. »Sie müssen nämlich wissen, daß sie nur zwei Bücher besitzt! »Mynsters Predigten!« und den »Wandsbecker Boten!«

Der Wagen fuhr endlich ab und lenkte in die große Kastanien-Allee ein.

»Auf jenem Hügel, dort unmittelbar am Saume des Waldes, habe ich mich einst als Elfenmädchen gezeigt,« sagte Sophie. »Ich war damals noch nicht eingesegnet. Wir hatten Bekannte bei uns auf Besuch, die in dem schönen Mondenscheine einen Spaziergang durch den Wald machten. Ich hüpfte mit zweien meiner Freundinnen auf den Hügel hinauf, dort reichten wir einander die Hände und begannen einen Ringeltanz. Schon am folgenden Tage erzählten zwei Leute aus der Gemeinde dem Pfarrer, daß drei weißgekleidete Elfenmädchen im Mondscheine auf den Hügel getanzt hätten. Diese Elfenmädchen waren wir, daß aber unsere Rücken hohl gewesen wären wie eine Backmulde, und der Hügel geglänzt hätte, als ob er von Silber wäre, das gehörte ihrer Erfindung an.«

»Und von dieser Eiche hier schoß ich als Knabe den ersten Vogel herab!« rief Wilhelm. »Es war eine Krähe, deren Begräbniß selbstverständlich außerordentlich prächtig war.«

»Ja, sie fand unter der Trauerweide meiner Schwester ihre Ruhestätte,« erzählte Sophie weiter. »Wir bestatteten sie in einem alten, mit Schleifen besetzten Hute, einem sogenannten Dreimaster. Das Grab war mit Mohnblättern und gelben Lilien verziert. Ich trug die Leiche, Wilhelm, der schon ein hochaufgeschossener Junge war, hielt die Leichenrede, und Louise streute Blumen.«

»Ja, ihr waret rechte Narren!« sagte die Mutter. »Aber seht einmal, wer dort kommt!«

»O, mein lieber Dickie, mein Zwerg von Kenilworth!« rief Sophie, als sich ein kleines buckliches Männchen mit dünnen Beinen und einem ältlichen Gesichte näherte. Es trug bäurische Kleidung und hatte auf dem Rücken ein Ränzel von Kalbsleder, das, weil die Haare nach außen gekehrt waren, noch immer nicht die rothe Farbe des Thieres verloren hatte. In diesem verwahrte es seine Geige.

»Heißt der Mann wirklich Dickie?« fragte Otto.

»Nein, es ist nur ein Scherz von Sophie!« versetzte Wilhelm. »Sie besitzt die Leidenschaft, alle ehrliche Menschenkinder in ein romantisches Licht zu setzen. Er heißt schlecht und recht: »Musikanti«! Sie müssen nämlich wissen, daß die Fühnen die Namen zu italienisiren pflegen. Sonst heißt er auch Peer Krüppel.«

»Sie werden ja seine Töne hören!« sagte Sophie. »Uebermorgen, wenn wir das Erntefest feiern, ist er Nummer Eins. Er kann Musikstücke, die Ihnen schwerlich bekannt sein werden. Er spielt Ihnen sowol den »Schustertanz,« als auch die »Kirschsuppe.« Solche Tänze haben unsere Leute hier zu Land.«

»Jetzt befinden wir uns nicht mehr auf meinem eigenen Grund und Boden, sondern fahren schon durch die Ländereien des Nachbars!« fiel die Mutter ein. »Sie werden einen wahrhaft alten Edelhof zu sehen bekommen.«

»Ich möchte wol wissen,« nahm Sophie das Wort, »wie Ihnen die Bewohner gefallen werden, Herr Zostrup! Den Kammerjunker, der ein vortrefflicher Landedelmann ist, kennen Sie schon. Seine Schwester hat dagegen ihre kleinen Eigenthümlichkeiten. Sie gehört zu jenen Leuten, die beständig, selbst bei dem besten Willen, ihrem Nächsten Unangenehmes sagen. Sie besitzt dazu ein seltenes Talent, wie Sie bald selbst erfahren werden. Indeß meint sie es wirklich nicht so schlimm und vermag sogar auf Scherze einzugehen. Danken Sie übrigens Gott, daß Sie nicht die Nacht daselbst zubringen, sonst würden Sie sich bald zu Ihrem Schaden davon überzeugen, was sie und die Mamsell anzustellen im Stande ist.«

»Auf die Mamsell lasse ich nichts kommen,« fiel Wilhelm ein, »sie ist meine besondere Freundin. Sie werden ihr Nähkästchen mit allen Merkwürdigkeiten sehen, die es enthält. Dies Kästchen spielt eine große Rolle. Sie nimmt es bei jedem Besuche mit, den sie abstattet. Um die Unterhaltung nicht stocken zu lassen, wird es hervorgeholt. Dann wird jedes Stück bewundert und macht die Runde. Wie viele niedliche Sächelchen sind darin enthalten: ein kleiner Schiebkarren, der das Nadelkissen trägt, ein silberner Fisch mit wohlriechendem Wasser, und die kleine Elle von Seidenband!«

»Und nun erst das Bernsteinherz,« fuhr Sophie fort, »sowie der kleine Napoleon von Gußeisen und der Offizier, der auf den Boden des Kästchens geklebt ist! Er soll, wie sie mir bei unserm letzten Beisammensein anvertraute, einen unserer guten Freunde in Odense vorstellen.«

»Sehen Sie nur, was für eine hübsche steinerne Einfriedigung der Kammerjunker hat aufführen lassen!« sagte plötzlich die Mutter. »Und wie schön die Kirschbäume stehen! Er ist ein höchst thätiger Mann!«

Der Wagen näherte sich dem Garten. Der alte französische Geschmack herrschte in ihm vor. Ueberall zeigten sich steife Alleen, Pyramiden von Buxbaum und weißangestrichene steinerne Figuren. Durch das grüne Laub guckten Satyren und Göttinnen hervor. Jetzt gewahrte Otto eine hohe Thurmspitze und bald lag das ganze alte Gehöft vor seinen Blicken da. Aus den breiten Schloßgräben, in denen die Weiden mit gesenkten Kronen und entblößten Wurzeln im warmen Sonnenscheine dastanden, war das Wasser abgeleitet. Eine Menge Tagelöhner waren in voller Beschäftigung, die Gräben vom Schlamm zu reinigen, der auf Schubkarren an beiden Seiten aufgefahren wurde.

Die Einfahrt führte sofort in den Haupthof; die Seitenflügel und Außengebäude lagen nach der entgegengesetzten Seite. Zahllose Hunde begleiteten bellend den Wagen; alle mögliche Racen waren vertreten, von dem großen dänischen Hunde an, den selbst die Pariser kennen, bis zu dem kleinen Mops des Verwalters hinab, der sich ebenfalls dieser Gesellschaft angeschlossen hatte. Der Windhund mit seinen ellenlangen Beinen sprang lustig neben dem Dachshunde mit seinen kurzen einher; alle Abstufungen konnte man sehen, und jede hatte ihr eigenes melodisches Gebell. Ein paar Pfauen, die ihre bunten Schweife stolz ausgebreitet hatten, erhoben gleichzeitig ihr widerwärtiges Geschrei. Der ganze Hof zeigte einen auffallenden Anstrich von Reinlichkeit; das Gras zwischen den Steinen war ausgejätet, jedes Fleckchen war gefegt und sämmtliche Gerätschaften waren in eine bestimmte Ordnung gestellt. Vor der Haupttreppe standen vier große Linden. Da ihre Kronen schon in ihrer Jugend zusammengebogen und regelmäßig beschnitten waren, so bildeten sie jetzt zwei große Ehrenpforten, die Frühling und Sommer hindurch grünten. Rechter Hand trug ein säulenartig behauener Balken einen hübsch angestrichenen Taubenschlag, welchen seine bunten Bewohner girrend umflatterten. Die Pfauentaube spreizte ihren Schweif mit den schreienden Pfauen um die Wette, und die Kropftaube richtete sich auf ihren langen Beinen in die Höhe und brüstete sich, als ob sie die Fremden mit der Miene eines vornehmen Mannes willkommen heißen wollte.

Nur das braunrothe Ziegeldach und die blinkenden Scheiben deuteten auf das Moderne hin. Das Gebäude selbst, von den steinernen Fenstergesimsen an bis auf den alterthümlichen Thurm, durch welchen man eintrat, verkündete dagegen das Antike. In der gewölbten Eingangshalle standen zwei mächtige Schränke; das massive Holz und das künstliche Schnitzwerk derselben zeugten von ihrem hohen Alter. Oberhalb der Thür waren die Geweihe einiger Zehnender angebracht.

Die Schwester des Kammerjunkers, Fräulein Jakoba, eine Dame in den Dreißigern, die weder fett noch mager war und durch eine eigentümliche Mischung von jovialem und mürrischem Wesen die Aufmerksamkeit sofort auf sich lenkte, trat ihnen entgegen. Sie schien sich über den Besuch zu freuen.

»Sie sind also doch zu uns herübergekommen!« sagte sie zu Wilhelm. »Ich glaubte, daß Sie mit Ihrem Examen genug zu thun hätten.«

Wilhelm lächelte und versicherte, daß man sich nach dem vielen anstrengenden Studiren auch einmal nach einer Aufheiterung sehnte.

»Sie werden auch was Rechtes studiren!« versetzte sie und wandte sich ungemein freundlich an Sophie. »O, mein Gott, liebes Fräulein!« rief sie, »wie hat doch die Sonne Ihre Nase verbrannt! Pfui, wie abscheulich das aussieht! Weshalb bedienen Sie sich denn beim Ausfahren keines Schleiers? Das sollten Sie doch thun, da Sie ja sonst ganz leidlich aussehen!«

Da ihr Otto fremd war, so entging er diesmal noch ähnlichen Anzüglichkeiten. Den ganzen Tag sollten sie hier zubringen, meinte Fräulein Jakoba; allein Mama sprach davon, um Mittag wieder zu Hause zu sein.

»Daraus kann nichts werden!« entgegnete Jakoba. »Ich habe Sie erwartet, und nun haben wir uns darauf eingerichtet und Essen gekocht. Umsonst wollen wir uns diese Umstände nicht gemacht haben. Die besonderen Gerichte sind Ihretwegen bereitet, und deshalb müssen Sie auch davon essen.« Dies alles sagte sie jedoch in einem so gutmüthigen Tone, daß sich selbst ein Fremder dadurch nicht beleidigt gefühlt hätte. Der Kammerjunker, erzählte sie, wäre draußen auf dem Felde, um nach seinem Flachse zu sehen, beabsichtigte indeß bald zurückzukehren. Junker Wilhelm könnte Herrn Zostrup mittlerweile umherführen, da er, wie sie meinte, ja doch nichts Anderes zu thun hätte.

Niemand durfte sich indeß in der Wohnstube aufhalten; darin, sagte sie, wäre es so düster; die Wände wären auch noch immer von Alters her mit dunklem Kalbsleder bekleidet, welches mit vergoldeten Blumen bedruckt wäre. Nein, sie sollten sich nach dem Saale begeben, der seit der letzten Anwesenheit der Frau Baronin eine moderne Einrichtung erhalten hätte. Und so war es wirklich. Der alte Kamin mit dem hölzernen Schnitzwerk hatte weichen müssen, und ein schöner Ofen von den feinsten Kacheln nahm jetzt seine Stelle ein. Pariser Tapeten deckten die Wände; alle Monumentalbauten dieser Stadt waren auf denselben dargestellt. Notre Dame, Saint Sulpice und die Tuilerien. Lange rothe Vorhänge, die über vergoldete Stäbe geworfen waren, hingen um die hohen Fenster. Jedes Stück der Einrichtung mußte bewundert werden.

»Mir gefällt die alterthümliche Wohnstube mit ihrem alten Kamin und den kalbsledernen Tapeten doch besser,« erklärte Sophie; »man glaubt sich förmlich in die Ritterzeit hineinversetzt!«

»Ja, Sie haben immer an einer gewissen Ueberspanntheit gelitten!« entgegnete Jakoba, milderte aber ihre Rede durch ein Lächeln und einen Händedruck. »Nein, der Saal hier regt die Phantasie mehr an. Ach!« rief sie plötzlich, »was für eine Unordnung! Da hat Tina ihr Nähkästchen auf das Fensterbrett gesetzt!«

»Wie? Ist das das berühmte Kästchen mit all den vielen Narrenspossen?« fragte Wilhelm und langte lächelnd nach ihm.

»Weder Narren noch Narrenspossen befinden sich darin,« entgegnete Jakoba. »Sehen Sie aber nur einmal in den Spiegel auf dem Deckel, so werden Sie vielleicht doch eins von Beiden darin erblicken!«

»Nur keine Grobheiten, mein Fräulein!« versetzte Wilhelm mit verstelltem Ernste. »Vergessen Sie nicht, daß ich akademischer Bürger bin.«

In diesem Augenblicke trat der Kammerjunker ein. Er trug denselben Reitanzug, in welchem wir seine Bekanntschaft machten. Er hatte sein Heu und seinen Hafer besucht, hatte nach den Leuten gesehen, welche mit der steinernen Einfriedigung beschäftigt waren, und dann auch noch die Plantage besichtigt. »Nun, Fräulein Sophie,« sagte er, »haben Sie wol bemerkt, wie ich um den Hof her aufräume? Es erfordert einen Aufwand von mehr als fünfzehnhundert Thalern, und doch sind es Frohnbauern, die das Ausschlämmen der Schloßgräben besorgen. Dafür erhalte ich aber auch einen delicaten Dünger, der so fett und lecker ist, daß mau seine Lust daran hat! – Aber, Jakoba, wo bleibt denn der Kaffee?«

»Laß sie doch nur erst zur Thür hereinkommen!« schalt Jakoba. »Sie werden doch wol schon vor ihrer Herfahrt etwas zu sich genommen haben! Ueberlaß mir die Frauengeschäfte und nimm du dich der Herren an, damit sie nicht herumstehen und sich langweilen!«

Der Kammerjunker führte die Freunde über die steinerne Wendeltreppe in den alten Thurm.

»Alles solid und gut!« sagte er. »So bauen wir jetzt nicht mehr. Die Schießscharten hier dicht unter der Dachtraufe sind schon zu meines seligen Vaters Zeit zugemauert. Sehen Sie sich nur einmal dieses Gebälk an!«

Der ganze Boden schien ein wahres Riesenskelett von Balken zu sein; einer kreuzte immer den andern. Auf jeder Bodenseite war eine gewölbte Kammer mit einem gemauerten Kamin angebracht. Wahrscheinlich hatten diese Gemächer als Wachtstuben gedient; von beiden zog sich zwischen den Balkenpalissaden und der breiten Mauer eine Art Wächtergang hin.

»Von hier aus,« meinte der Kammerjunker, »haben meine Ahnen die Annäherung des Feindes gut beobachten können. Wenn Sie durch mein Fernrohr sehen, haben Sie hier das ganze Land von Vissenberg bis zur Munkebobank, den Belt und die Svendborger Anhöhen vor sich. Blicken Sie nur einmal durch! Es ist gerade klare Luft, und wir können Langeland und Seeland wahrnehmen. Hier hätte man 1807 die englische Flotte gut betrachten können!«

Alle drei erstiegen die schmale Leiter, wobei sie an der großen Uhr vorüber kamen, deren Gewichte bei einem Falle die steinerne Treppe sprengen müßten, und bald saßen die Herren auf dem höchsten Punkte. Der Kammerjunker ließ sich das Fernrohr reichen, stellte es und rief:

»Habe ich es mir nicht gleich gedacht! Hat man nicht stets ein Auge auf sie, so treiben sie mit den Frauenzimmern ihre Kurzweil. Na wartet nur, ich sehe es schon! Da schäkern nun die Burschen, die an der Einfriedigung beschäftigt sind, mit den Mägden und faulenzen. Sie vermuthen nicht, daß ich hier im Thurm sitze und ihnen zusehe!«

»Das ist doch eine gefährliche Waffe, so ein Fernrohr!« sagte Wilhelm lachend. »Sie können Leute in Ocularinspection nehmen, wenn sie es am wenigsten erwarten. Glücklicherweise liegt unser Gehöft hinter dem Walde versteckt, so sind wir doch wenigstens sicher!«

»Durchaus nicht, mein Bester!« erwiderte jener. »Die Außenseite Ihres Gartens liegt noch in meinem Gesichtskreise. Sah ich nicht im vorigen Jahre ganz deutlich, wie Fräulein Sophie Ebereschen in ihr Körbchen pflückte? Und was machte sie da für Capriolen! Sicherlich dachte sie nicht, daß ich hier säße und ihre niedlichen Sprünge mit ansähe!«

Sie stiegen von dem Thurm hinab und schritten durch den sogenannten Rittersaal, dessen Decke von mächtigen, dicht neben einander liegenden Balken getragen wurde. An jedem Ende des Saales befand sich ein umfangreicher Kamin, über welchem das Familienwappen angebracht war. Jetzt diente der Saal als Kornboden. Man mußte über einen Haufen Korn klettern, um in den herrschaftlichen Stuhl der kleinen Kapelle zu gelangen, die schon längst nicht mehr zum Gottesdienste benutzt wurde.

»Hier ließe sich ein recht hübsches Kämmerchen einrichten!« bemerkte der Schloßherr, »allein wir haben ja genug, und deshalb lasse ich der Merkwürdigkeit wegen diesen Raum unverändert. Der Mond dort besitzt einen hohen Werth!« Bei diesen Worten zeigte er auf die gewölbte Decke hin, an der der Mond als eine runde weiße Scheibe abgebildet war. Ganz naiv hatte der Maler auch einen Mann mit einem Bündel Kohl hineingezeichnet, um dadurch an den Volksglauben über die Entstehung der schwarzen Flecke im Monde zu erinnern, nach welchem dies ein Mann sein soll, welchen der Herr dorthin versetzte, weil er seinem Nachbar Kohl gestohlen hatte – »Das große Bild, welches an der rechten Wand hängt,« fuhr er fort, »stellt Frau Ellen Meerschwein dar; ich kaufte es auf einem Edelhofe in einer öffentlichen Auction. Einer der Bauern bot darauf. Ich erkundigte mich, weshalb er denn eigentlich das colossale Bild zu besitzen wünschte, da er es ja nicht einmal durch seine Thür hindurchbringen könnte. Aber wissen Sie wol, was für eine Speculation er hatte? Sie war gar nicht so übel. Sehen Sie, die gemalte Leinwand läßt den Regen so hübsch abfließen. Deshalb wollte er sich aus dem Gemälde ein Paar Beinkleider machen lassen, um sie bei Regenwetter hinter dem Pfluge zu tragen, denn sie würden gewiß im Stande sein, den Regen abzuhalten. Ich glaubte aber doch verhindern zu müssen, daß das Portrait der hochachtbaren Frau Ellen Meerschwein in einen solchen Rahmen gespannt würde. Ich kaufte sie deshalb; nun hängt sie dort an der Wand und sieht ordentlich ganz vergnügt aus. Der Bauer erhielt dafür einen Ritter, vielleicht einen meiner eigenen Ahnen, der nun zu Beinkleider zerschnitten wurde. Sehen Sie, das hat man davon, wenn man sich malen läßt!«

»Aber der Schrank dort im Pfeiler?« fragte Otto.

»Das war jedenfalls einst der Aufbewahrungsort für Bibel und Gesangbuch. Jetzt hebe ich darin das auf, was ich die Leckerbissen des Canzleiraths Thomson, des Directors des nordischen Museums, nenne: alte Opfermesser, Keile und Ringe, die ich theils in dem Pferdesumpfe, theils bei Nachgrabungen oben in den Hügeln gefunden habe. Kaum eine Viertelelle unter dem Rasen fanden wir Topf an Topf. Um jeden war ein kleiner Steinwall errichtet, und ein flacher Stein lag darüber, den man aber mit Leichtigkeit entfernen konnte, um sich dann des Topfes mit den verbrannten Hühnenknochen und einem kleinen Knopfe oder einer Messerklinge zu bemächtigen. Die besten Sachen sind schon in dem Kopenhagener Museum ausgestellt, und kommt erst der Canzleirath, dann nimmt er auch, Gott soll mich strafen, noch den Rest mit. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, denn ich kann davon doch keinen Gebrauch machen.«

Nach dem Kaffee wurde der alte Garten besucht. Das Ausschlämmen wurde genauer in Augenschein genommen, in Milchkeller und Schweinestall hinein geguckt und die neue Dreschmaschine bewundert. Nun sollte aber auch noch das russische Dampfbad versucht werden, denn zu Ehren der Gäste war schon geheizt; indeß mußte es der Kammerjunker leider allein benutzen. Der Mittagstisch war bei seiner Rückkehr aus dem Bade bereits gedeckt. »Aber hier fehlt ja noch Allerlei!« rief er, verließ das Zimmer und kam gleich darauf mit zwei großen Blumensträußen in Biergläsern zurück, die er auf den Tisch stellte. »Die Tafel, an der Sie, Fräulein Sophie, speisen, muß mit Blumen geschmückt sein, wenn wir auch nicht Kränze zu legen verstehen, wie Sie!« Er setzte sich an das Ende des Tisches und wollte, wie er sich ausdrückte, die Rolle des Präsidenten Lars übernehmen. Sie hatten ja den Wandsbecker Boten ein halbes Jahr im Hause gehabt, und es mußte Fräulein Sophie deshalb angenehm berühren, wenn man Lectüre verrieth. Präsident Lars und die Blumen bedeuteten hier ungefähr eben so viel, als im Süden eine Serenade unter den Fenstern der Schönen.

Als gegen Abend der Wagen zur Heimfahrt schon vor der Thüre hielt, stand Otto noch immer und betrachtete einige alte Inschriften, die in den Thurm eingemauert waren.

»Sie können uns ein anderes Mal besuchen, um das zu studiren!« redete ihn Jakoba an, »jetzt aber müssen Sie sich ein wenig nützlich machen!« Mit diesen Worten reichte sie ihm die Mäntel der Damen.

Unter dem Versprechen eines Gegenbesuches und dem Abschiedsgebell der Hunde rollte der Wagen fort.

»Ich bin wirklich in das alte Schloß ganz verliebt!« sagte Sophie.

»Bei näherer Bekanntschaft gewinnt der Kammerjunker ungemein!« bekannte Otto offen.

Sie waren jetzt an dem äußersten Ende des Gartens angelangt. Ein Blumenregen ergoß sich über sie und den Wagen. Der Kammerjunker, Jakoba und die Mamsell hatten die Ausfahrt auf einem Richtwege früher erreicht und winkten ihnen noch ein Lebewohl zu, indem sie ihnen Hyazinthen und Levkoyen zuwarfen. Eine von Jakoba's geübter Hand geschleuderte Nelke traf Otto gerade ins Gesicht, und konnte er auf diesen Beweis ihrer besonderen Freundschaft stolz sein. »Leben Sie wohl! Leben Sie wohl!« erscholl es herüber und hinüber, und unter dem Geläute der Abendglocke, denn schon war die Sonne untergegangen, rollte der Wagen seinem Ziel entgegen.

11.

Tanzet und stampfet,
Daß die Schuhsohlen abfallen.
Dänisches Volkslied.

Am folgenden Tage sollte das erwähnte Erntefest gefeiert werden. Die Heuernte war die Ursache dieser Lustbarkeit.8

Auf dem innern Hofe sollte unter freiem Himmel drei Nachmittage hinter einander getanzt werden. Längs der Mauer wurden auf einige Holzklötze rohe Bohlen gelegt und dadurch Bänke gebildet. An den beiden Enden des Hofes standen zwei Tonnen des neulich gebrauten Bieres, welches einen größeren Zusatz von Malz als gewöhnlich erhalten hatte und dessen Stärke ja außerdem durch das Markstück und den magischen Tanz der Mägde um den Kessel herum wesentlich erhöht war. Eine große Kanne von Holz, die verschiedene Maß Branntwein faßte, stand auf einem Tische. Der gleichzeitig mit der Bewachung der Bleiche betraute Hirte versah an dem Schenktische das Amt eines Schaffners. Eine Brodfrau aus Nyborg erschien mit einem großen Vorrathe frischen Weißbrodes und schlug in dem Hofe ihren Verkaufstisch auf, denn nur für Trinkwaaren hatte die Herrschaft zu sorgen.

Paarweise traten nun die Gäste in den Hof. Die Männer trugen theils Jacken, theils lange Röcke, die bis an die Knöchel hinabreichten. Aus der Westentasche ragte ein kleiner Strauß voll Federnelken und Ambra hervor. Die Mädchen trugen ihr »Wohlgeruchslabsal«, wie sie ihre Sträuße nannten, in den zierlich zusammengefalteten Taschentüchern. Dem Zuge schritten zwei blutjunge Musikanten, in Frack und steifer Halsbinde, so wie der uns schon bekannte Peer Krüppel, mit dem Beinamen »Musikanti«, voraus. Sie spielten zwar Alle dasselbe Stück, aber jeder auf seine Weise. Gut und alt war es.

Nun wurde darum geloost, wer vor der Thür der Herrschaft und wer vor der des Verwalters tanzen sollte, und darauf loosten wieder beide Parteien um die Musikanten. Die Mädchen nahmen in einer Reihe auf den Bänken Platz, bis sie zum Tanze aufgefordert wurden. Die Galanterie entsprach dem Ballsaale, dem harten Steinpflaster. War doch nicht einmal das Gras ausgejätet worden; wenn sie indeß nur erst einen Tag getanzt hatten, war dieser Uebelstand beseitigt. »Nun, wie sitzest du da?« mit einer halbmürrischen Freundlichkeit gesagt, war die Aufforderung, und diese galt gleich für sieben Tänze. »Nur nicht traurig!«9 erscholl es, und nun drehte sich der größte Theil phlegmatisch im Kreise herum, wie im Schlafe oder bei einem aufgezwungenen Tanze; das Mädchen, die Augen unverwandt auf die eigenen Füße gerichtet, der Bursche den Kopf auf die eine Seite gelegt und die Augen in gerader Richtung auf das Kopftuch seiner Tänzerin. Ein Paar der Gewandtesten zeigten allerdings eine gewisse Lebhaftigkeit, die sich in einem so gewaltigen Stampfen auf das Steinpflaster äußerte, daß der Staub in die Höhe wirbelte. O, was war das für eine Freude! eine Freude, die sie schon seit Wochen beschäftigt hatte, sich aber noch immer nicht so recht herausarbeiten konnte. »Es kommt noch!« sagte Wilhelm, der mit seinen Schwestern und Otto an einem offenen Fenster Platz genommen hatte.

Die Alten hielten sich unterdessen an die Biertonnen und an den Branntwein. Letzter wurde sogar den Mädchen gereicht, und sie mußten wenigstens davon nippen. Wilhelm entdeckte bald die hübschesten derselben und machte sich das Vergnügen, diesen Rosen zuzuwerfen. Die Mädchen eilten auch sofort herbei, um die Blumen aufzusammeln, aber auch die Cavaliere machten Anspruch auf sie und waren natürlich die Stärkeren. Mit größter Unbefangenheit stießen sie deshalb ihre Damen bei Seite, und zwar so kräftig, daß sich einige derselben, statt Rosen zu bekommen, auf das Steinpflaster niedersetzten. Das war ein reizender Scherz! »Was bist du doch für ein armes Wesen! Da fiel sie dir gerade auf die Schulter und du konntest sie doch nicht festhalten!« sagte der erste Liebhaber zu seiner Dame und steckte die Rose ruhig in die Westentasche.

Alle tanzten, alle Mädchen wurden aufgefordert; sogar die Kinder hüpften draußen auf der Brücke nach ihrem eigenen Gesange umher. Nur eine Einzige stand verlassen: Sidsel mit den zusammengewachsenen Augenbrauen; sie lächelte, lachte laut, trotzdem erhielt sie keinen Tänzer. Da reichte Peer Krüppel einem der beiden jungen Burschen seine Geige und bat, ihm einen Tanz aufzuspielen, denn er wollte seine Beine auch etwas in Bewegung setzen. Die Mädchen zogen sich schnell zurück und schwatzten mit einander; aber Peer Krüppel schritt ruhig auf Sidsel zu, schlang die Arme um ihren Leib und wirbelte im schnellen Tanze mit ihr dahin. Als Sophie unwillkürlich darüber in ein lautes Gelächter ausbrach, richtete Sidsel ihren seltsamen Blick stechend und durchbohrend auf sie. Otto bemerkte es, und das Mädchen wurde ihm dadurch doppelt widerwärtig und abschreckend. Je dunkler es wurde, desto lebhafter ging es in der Versammlung zu; die beiden tanzenden Parteien schmolzen in eine zusammen. Als aber völlige Dunkelheit eingetreten war, die Biertonnen ihr letztes Glas hergegeben hatten, die Kanne wieder und wieder geleert war, zogen sie unter Gesang paarweise von dannen. Jetzt begann erst die Freude, die mächtige Wirkung des Bieres. Nun streiften sie im Walde umher und begleiteten, wie sie es nannten, einander nach Hause; allein das wurde eine Wanderung bis an den hellen Morgen.

Otto und Wilhelm waren in die Allee hinausgegangen, und von allen Seiten wurde ihnen für den lustigen Nachmittag ein dankbares »gute Nacht!« zugerufen.

»Nun wirkt der Zauber!« sagte Wilhelm, »des Bieres magische Kraft! Nun beginnt das Bacchanal! Reichen Sie dem hübschesten Mädchen die Hand, so gibt sie Ihnen gleich das Herz!«

»Schade,« erwiderte Otto, »daß die Mänaden des Nordens mit denen des Südens nur das Thierische gemein haben!«

»Sehen Sie nur, da geht die hübsche Schmiedtochter, dieselbe, der ich die schönste Rose zuwarf. Sie hat sich gleich zwei Liebhaber angeschafft, einen unter jedem Arm!«

»Ja, da geht sie!« rief plötzlich eine höhnische Frauenstimme dicht neben ihnen. Sidsel war es, die auf dem Fußtritte eines über einen Zaun führenden Steges saß und in der Dunkelheit, welche die Bäume und der Zaun noch erhöheten, fast gar nicht zu erkennen war.

»Hat Sie denn keinen Liebsten, Sidsel?« fragte Wilhelm.

»Hi, hi, hi!« entgegnete sie grinsend, »der Herr Baron und der andere Herr suchen wol auch nach einem Schätzchen! Bin ich hübsch genug dazu? Im Dunkeln sind alle Katzen grau!«

»Kommen Sie!« flüsterte Otto und zog Wilhelm von ihr fort. »Wie ein Unglücksvogel sitzt sie dort am Zaun!«

»Welch ein Unterschied,« bemerkte Wilhelm, während er seinem Freunde folgte, »welch ein erstaunlicher Unterschied zwischen diesem Unthiere, ja selbst zwischen den andern Mädchen und jener schönen Eva! Sicherlich ist sie in der nämlichen Armuth und in der nämlichen Umgebung geboren wie diese, und gleichwol verhalten sie sich wie Tag und Nacht. Was für eine Seele, was für ein angeborener Adel ist Eva nicht verliehen! Darin muß doch mehr als ein bloßes Naturspiel liegen.«

»Lassen Sie nur nicht die Natur ihr Spiel mit Ihnen treiben!« versetzte Otto lächelnd und erhob warnend die Hand. »Sie sprechen häufig von Eva!«

»Hier beruht es jedoch auf natürlicher Ideenverbindung,« erwiderte Wilhelm. »Der Contrast weckte wieder die Erinnerung in mir.«

Otto ging auf sein Zimmer; da der Mond hell hereinschien, öffnete er das Fenster. Gelächter und Gesang schallten vom nahen Walde zu ihm herüber. Es waren die jungen Burschen und Mädchen, deren jugendlicher Frohsinn sich auf ihrer Wanderung immer lebhafter äußerte. Still und gedankenvoll stand Otto an dem offenen Fenster. Vielleicht war es der Mond, der sein Antlitz so blaß erscheinen ließ. Woran dachte er? Etwa an die Abreise? Nur noch einen Tag wollte er hier, wo er sich so heimisch fühlte, weilen; allein seine Reise ging ja nach seiner wahren Heimat, zum Großvater, zu Rosalien und dem alten Pfarrer, die ihn Alle so lieb hatten. Lauschend und schweigend stand Otto da. Deutlicher trug der Wind den Gesang vom Walde herüber.

»Darin suchen sie ihre Freude, ihr Glück!« sagte er. »Auch ich hätte darin meine Freude, mein Glück finden sollen!« lag in dem Seufzer, den er leise ausstieß. Seine Lippen bewegten sich nicht, nur seine Gedanken redeten ihre stumme Sprache. »Ich hätte mit diesen auf gleicher Stufe stehen, meine Seele hätte an den Staub gefesselt sein sollen! Und doch, trotzdem wäre sie dieselbe geblieben, die mich jetzt erfüllt, die alle Welten umfassen möchte, wäre von demselben Gefühle des Stolzes durchdrungen gewesen, das mich zum Wirken und Handeln vorwärts treibt! Mein Schicksal schwankte, ob ich in die Genossenschaft jener zurückgestoßen oder zu dem Kreise erhoben werden sollte, den die Welt den höheren nennt. Das Nebelbild sank nicht in den Schlamm hinab, sondern stieg in die frische erquickende Luft empor. Und habe ich dadurch das wahre Glück erreicht?« Sein Auge starrte unbeweglich in die helle Scheibe des Mondes. Zwei heiße Thränen rollten über seine bleichen Wangen hinab. »Unendliche Allmacht! Ja, ich glaube an dich! Du lenkst alles! Auf dich will ich mein Vertrauen setzen!«

Ein wehmüthiges Lächeln glitt über seine Lippen; er trat in das Zimmer zurück, faltete seine Hände, betete, und seine Seele wurde still und ruhig.

  1. Wenn auch die Leibeigenschaft aufgehört hat, so ist der Bauer nicht ganz frei und kann es nicht sein. Für Haus wie Grund und Boden muß er einen Tribut entrichten, und dieser besteht in Frohnen. Es kann vorkommen, daß er um einer ihm von der Herrschaft aufgegebenen Arbeit willen seine eigene liegen lassen muß. Der Wagen, den er schon angespannt hat, um sein eigenes Getreide heimzubringen, muß, wenn es befohlen wird, auf das Feld des Gutsherrn fahren, um dort Dienste zu leisten. Er bezahlt damit eine Art Abgabe, und für ihre treue Entrichtung wird ihm ein Herbst- und ein Erntefest veranstaltet, bei welch letzterem er ein gewisses Maß Branntwein und so viel Bier erhält, als er zu trinken vermag. Der Tanz findet gewöhnlich mitten auf dem Hofe statt, und die Tanzenden müssen für die Musik selber sorgen.
  2. »Nur nicht traurig!« ... Eigentlich: Gräme dich nicht um der Grafen (Greverne) willen! Eine bei den fühnischen Bauern gäng und gäbe Redensart. Vielleicht wird unter Greverne das Wort Fedte grever, Speckgrieben verstanden, die beim Schlachten den Dienstleuten vorgesetzt werden und die man sich leicht überdrüssig essen kann. Davon hat man wol später diese Redensart auf alles übertragen, was irgend eine unbehagliche Empfindung hervorzubringen vermag.

12.

Die Reisenden rollen durch Wald und Flur,
Wie das Blatt, das der Sturmwind treibt.
Kaum läßt das Entschwundene eine Spur,
Nur ein Traum ist's, der uns bleibt.
B. S. Ingemann.

Als Otto den folgenden Tag, den letzten vor seiner Abreise, mit Wilhelm im Garten spazieren ging, gesellten sich Louise und Sophie, die einen Kranz von Eichenlaub in der Hand hielt, zu ihnen. Derselbe war für Otto, den sie ja jetzt verlieren sollte, bestimmt.

»Sophie wird wol morgen kaum so früh aufstehen,« ergriff Louise das Wort, »weshalb sie Ihnen schon heute ihren Kranz überreichen muß. Ich dagegen fehle, wie Sie wissen, nie am Kaffeetische und werde Ihnen erst dort meinen Strauß einhändigen.«

»Ich werde ihn sowol wie diesen Kranz aufbewahren, bis wir uns wiedersehen! Ich will sie als die Vignetten meines schönen Sommertraumes betrachten. Wenn ich nun wieder in Kopenhagen sitze, wenn der Regen herniederrauscht und nun der Winter mit seiner Kälte und trüben Witterung heranrückt, dann wird Fühnen mit seinen grünen Wäldern, mit seinen Blumen und seinem Sonnenscheine vor mir stehen. In meinem Herzen wird es sein, als ob es dort noch immer eben so ist, als seien Kranz und Strauß nur verwelkt, weil sie bei mir die Winterkälte umgibt!«

»In Kopenhagen treffen wir uns wieder!« sagte Sophie.

»Und ich werde Sie mit den Schwalben wiedersehen,« fiel Louise ein, »wenn meine Blumen knospen, wenn warmer Sonnenschein uns lacht. Nach meinem Urtheile gehören Sie dem Sommer, nicht dem kalten ruhigen Winter an!«

In der Frühe des nächsten Morgen erschien Sophie gleichwol am Kaffeetische. Es geschah Otto zu Ehren. Mama zeigte sich erst, als der Wagen schon vor der Thüre hielt. Wilhelm erbot sich, ihm das Geleit bis Odense zu geben. Es mußte also ein doppelter Abschied genommen werden, hier und dort.

»Immer bleiben wir Freunde, treue Freunde!« gelobte Wilhelm, als sie schieden.

»Treue Freunde!« wiederholte Otto, und fort rollte der Wagen, seinem Ziele, Middelfort, entgegen; so weit sollte Mama's eigener Wagen Otto, den sie Alle liebgewonnen hatten, bringen. Wilhelm war in Odense zurückgeblieben; sein Kutscher fuhr Otto, welcher mit demselben unterwegs ein Gespräch anknüpfte. Bei Vissenberg führte die Straße über die hohen waldbewachsenen Anhöhen, die den Namen der fühnischen Alpen erhalten haben. Die Sage weiß hier von Räubern zu erzählen, die in unterirdischen, unter der Landstraße fortlaufenden Gängen wohnten. Klingeln, welche in denselben aufgehängt waren, verkündeten durch ihr Geläut, sobald Jemand vorüberfuhr. Noch heutigen Tages werden die hiesigen Bewohner mit mißtrauischen Blicken angesehen. Vissenberg scheint eine Art Itri10 zwischen Kopenhagen und Hamburg zu bilden, Bei der dortigen Kirche lag ehemals ein Stein, auf welchem Knud der Heilige auf der Flucht vor den aufrührerischen Jütländern geruht haben soll. Dort, wo er gesessen hatte, zeigte der Stein die zurückgelassene Spur. Der harte Stein war weicher gewesen als die Herzen der Aufrührer.

Diese und ähnliche Sagen wußte der Kutscher zu erzählen; er stammte aus der dortigen Gegend, wenn auch nicht aus Vissenberg selbst, wo man erst vor einigen Jahren eine Falschmünzerbande ergriffen hatte. Jede Sage gewinnt an Interesse, wenn man sie an der Stätte hört, an welche sie sich knüpft. An dergleichen Erzählungen ist Fühnen namentlich reich.

Von jenem Hühnengrabe geht die Sage, zur Weihnachtszeit erhebe es sich auf vier rothen Pfählen, und man sehe dann im Innern den Tanz und die Lustbarkeit der Kobolde. Durch jenen Bauerhof soll jede Nacht eine glühende Kutsche mit kohlschwarzen Pferden fahren. Wo wir jetzt einen Teich sehen, in dem Schilf und Rohr wächst, stand einst eine Kirche, die sofort versank, als sie von Gottlosen entweiht wurde; noch heut zu Tage hört man um Mitternacht ihre Seufzer und Bußpsalmen.

Der ehrliche Kutscher mischte unter seine Erzählungen zwar auch einzelne Sagen, die anderen Gegenden der Insel angehörten, machte hier und da kleine Sprünge und putzte die Märlein auch wol mit seinen eigenen Gedanken aus, allein trotzdem hörte ihm Otto mit vielem Interesse zu. Endlich lenkte sich das Gespräch auch auf die Gutsherrschaft.

»Die ist allgemein beliebt!« gestand der Kutscher. »Sie können mir glauben, mein Herr, daß wir Alle große Stücke auf sie halten.«

»Und welche von den jungen Damen ist eigentlich die Beste?« fragte Otto.

»Ich dächte, mit Fräulein Louise würde jedem Manne am Besten gedient sein!« versetzte Jener.

»Indeß Fräulein Sophie ist doch weit hübscher!« wandte Otto ein.

»O ja, sie ist ebenfalls sehr gut, wenn sie nur nicht so gelehrt wäre! Sie kann Deutsch, ja, das kann sie! Auch richtige Komödie kann sie spielen! Ich durfte einmal mit den anderen Leuten oben in der großen Stube mit zusehen. Wir standen gleich hinter der Herrschaft; sie machte ihre Sache gar nicht so übel!«

Wie sehr die alten Sagen auch Otto interessirten, so schien es doch, als hörte er lieber das Geplauder des einfachen Mannes über die Familie, die ihm so lieb geworden war. Rede und Gedanken bewegten sich um die dortigen Verhältnisse. Wilhelm war und blieb ihm jedoch der liebste. Er erinnerte sich, mit welcher Sanftmuth ihm dieser die Hand zur Versöhnung gereicht, nachdem er selbst ihn von sich gestoßen hatte. Wie ein schöner kurzer Traum kamen ihm schon jetzt die fröhlichen Sommertage seines Besuches vor.

Otto fühlte sich plötzlich von dem Drange ergriffen, seine tiefe Dankbarkeit auszusprechen; selbst sein Stolz, dieser Grundzug seines Charakters, gebot es ihm. Wilhelms Anhänglichkeit, seinen Wunsch einer dauernden Freundschaft glaubte Otto nicht unbelohnt lassen zu dürfen. Aus diesem Grunde fügte er gewiß den wenigen Worten, welche er vor seiner Ueberfahrt über den kleinen Belt dem Kutscher mit zurückgab, noch die Nachschrift zu: »Wilhelm, wir wollen uns in Zukunft Du nennen; das ist vertraulicher.« – »Er ist der Erste, dem ich mein Du angetragen habe!« sagte Otto zu sich selbst, als der Brief abgesandt war. »Es wird ihn freuen; nun bin ich ihm doch auch einmal entgegengekommen; indeß, er verdient es auch!«

Wenige Augenblicke später verdroß es ihn schon wieder. »Ich bin ein eben so großer Narr als alle Uebrige!« schalt er und wünschte das Papier vernichten zu können. Er wurde an Bord gerufen. Der kleine Belt ist nicht breiter als ein Fluß. Bald befand er sich deshalb auf jütländischem Boden, die Peitsche knallte und die Räder drehten sich, dem Glücksrade gleich, auf und nieder, doch immer vorwärts der Heimat zu.

Spät Abends erreichte er die bestimmte Herberge. Von dem einsamen Zimmer aus flogen seine Gedanken in entgegengesetzter Richtung, bald nach den Sanddünen, zwischen denen das einsame Gut des Großvaters lag, bald nach dem lebhaften Edelhofe auf Fühnen, wo die neuen Freunde wohnten. Er hatte seinen Koffer geöffnet und den Kranz von Eichenblättern, sowie den ihn heute morgen erst überreichten Strauß, die beide oben auf lagen, herausgenommen.

Man pflegt zu behaupten, daß man Nachts von dem träume, was die Gedanken am meisten beschäftigt habe. Otto muß deshalb mit seinen Gedanken am meisten bei der Nordsee geweilt haben, denn von dieser und nicht von den jungen Damen träumte er die ganze Nacht.

  1. Itri, Fra Diavolo's Geburtsort, liegt im Neapolitanischen an der großen Heerstraße zwischen Rom und Neapel. Die Einwohner stehen nicht ohne Grund im Verdachte, daß Hauptelement zu den Räuberbanden in den pontinischen Sümpfen zu geben.

13.

Die Haidelerche singt nur Grabeslieder.
S. S. Blicher.

Die Halbinsel Jütland besitzt nicht nur die nämlichen Naturschönheiten, welche Seeland und Fühnen darbieten: herrliche Buchenwaldungen und duftende Kleefelder in der Nähe der salzigen Meeresflut; sie besitzt auch noch außerdem eine wilde öde Natur in den mit Haidekraut bewachsenen Wüsteneien und den sich weithin erstreckenden Sümpfen. Ost und West sind eben so verschieden, wie das grüne saftige Blatt und das weißlichgraue Seegras an dem Meeresufer. Von den Marselisborger Wäldern bis zu den Wäldern südlich vom Koldinger Fjord ist das Land reich und blühend: es ist die dänische Natur in ihrer Größe. Hier erhebt sich der »Himmelberg« mit seiner Wildniß von Gebüsch und Haidekraut, und von ihm aus breitet sich nach Westen hin vor den Blicken die reiche Landschaft mit Wäldern und Binnenseen aus.

Die Westküste dagegen trägt keinen Baum, keinen Strauch, nur weiße Sandbänke stellen sich dem einbrechenden Meere entgegen, das die todte traurige Küste mit Sandflug und scharfen Winden peitscht. Zwischen diesen Gegensätzen, welche die Ost- und die Westküste, gleich Hesperien und Sibirien, darbieten, zieht sich die große mit Haidekraut bewachsene Einöde hin, welche sich vom Lüneburger Sande bis nach Skagen erstreckt. Keine Einfriedigung läßt hier die Grenze der Besitzungen erkennen. In den sich kreuzenden Geleisen muß man die Nebenwege suchen. Verkrüppelte Eichen, mit weißlichgrünem Moos bis zu den äußersten Zweigen bedeckt, kriechen gleichsam über den Erdboden hin, als fürchteten sie sich vor Sturm und Meeresnebel. Wie Nomaden, wenn auch ohne Heerden, wandern hier die sogenannten Taterbanden umher, die ihre besondere Sprache und eigenen Sitten bewahrt haben. Plötzlich zeigt sich mitten in der öden Haide eine Kolonie, ein anderes fremdes Volk, deutsche Auswanderer, die durch Fleiß und Betriebsamkeit der mageren Gegend Fruchtbarkeit abzuzwingen suchen.

Von Veile aus beabsichtigte Otto den Weg über Viborg einzuschlagen, als den geradesten und kürzesten nach dem Gute seines Großvaters, das zwischen Nisumfjord und Lemvig lag.

Wie liebe Freunde der Kindheit begrüßte Otto die ersten Büschel Haidekraut. Hinter ihm lagen nun die schönen Buchenwälder, der Haidestrich begann, aber die Haide war ihm lieb. Gerade diese Natur war es, an welche sich fast alle seine theuren Erinnerungen knüpften.

Mehr und mehr erhob sich das Land; so weit das Auge reichte, reihte sich ein brauner Hügel an den andern. Häuser und Bauerhöfe wurden seltener, die Kirschgärten verwandelten sich in Kohlpflanzungen. Nur an einzelnen Flecken war das Haidekraut von niedrigem Grase verdrängt, welches sich moosartig, oder wie die grünen Wasserlinsen auf den Teichen, ausbreitete. Hier versammelten sich die Vögel zu Hunderten und flatterten zwitschernd empor, wenn der Wagen vorüberfuhr.

»Ihr verstehet das grüne Plätzchen auf der Haide zu finden und euch auf demselben glücklich zu fühlen!« seufzte Otto. »O, könnte ich euch darin ähnlich werden!« In größerer Ferne erhoben sich kahle Hügel, ohne Haidekraut, ohne Ackerland; braun und gelb leuchteten die steilen Abhänge herüber, die von der Ahlhaide überzogen waren. Dicht am Wege hütete ein kleiner Junge und ein niedliches Mädchen ihre Schafe. Der Knabe blies die Rohrflöte, und das Mädchen stimmte einen Choral an. Mit einem schöneren Liede glaubte sie den Reisenden nicht empfangen zu können, um sein Herz zur Mildthätigkeit zu bewegen.

Der Tag war warm und schön, am Abende stellte sich vom Meere der kalte Nebel ein, der jedoch im Innern des Landes an Stärke verliert.

»Ein Kuß zum Willkommen aus der Heimat!« sagte Otto. »Der Todeskuß des Meerweibes, auf Fühnen würde man sagen, des Elfenmädchens!«

Seit einigen Jahren übersiedelt man arme Kinder mit Vorliebe nach der Ahlhaide, um, statt Kopenhagens Gauner, ehrliche jütländische Bauern werden zu können. Einen solchen Burschen hatte Otto zum Kutscher erhalten. Er war völlig zufrieden, und doch wurde Otto durch seine Erzählung verstimmt. Lebenserinnerungen regten sich in seiner Brust. »Danke Gott!« sagte er, indem er dem Burschen ein ansehnliches Geschenk in die Hand drückte, »auf der Haide hast du Haus und Heimat; in Kopenhagen hättest du vielleicht auf der bloßen Erde dein Nachtlager aufschlagen können, und der anbrechende Tag hätte dir Hunger und Kälte gebracht!«

Je weiter Otto nach Westen gelangte, eine desto ernstere Stimmung bemächtigte sich seiner. Es war, als ob sich die öde Natur und der kalte Meeresnebel in seine Seele senkten. Die Bilder von dem fröhlichen Edelhofe auf Fühnen wurden von den Erinnerungen an die Heimat beim Großvater verdrängt. Seine Verstimmung nahm mit jedem Augenblicke zu. Erst, als er sich der Heimat bis auf eine Meile genähert hatte, verschwand seine Schwermuth bei dem Gedanken, daß er nun bald alle seine Lieben überraschen würde.

Er erblickte das rothe Dach des Wohnhauses auf dem Gute, sah die Weidenpflanzungen und hörte das Gebell des Kettenhundes. Auf dem mit Haidekraut bewachsenen Hügel unmittelbar vor dem Thore stand eine Schaar Kinder. Otto vermochte das langsame Fahren in den tiefen Geleisen nicht länger auszuhalten. Er sprang aus dem Wagen und lief mehr als er ging. Die Kinder auf dem Hügel wurden seiner gewahr und blickten alle nach der Richtung hin, aus welcher er kam.

Durch das lange Fahren und dadurch, daß er sich ganz seinen finsteren Gedanken hingegeben hatte, war sein kräftiger Körper völlig erschlafft, nun aber kehrte augenblicklich alle Spannkraft zurück; seine Wangen glühten und hörbar klopfte sein Herz.

Vom Hofe her ertönte Gesang; es war ein Choral. Otto schritt durch das Thor. Auf dem Hofe standen eine Menge Bauern mit entblößten Häuptern; vor der Thür des Wohnhauses hielt ein Wagen; einige Männer waren eben im Begriff, einen schwarzen Sarg auf denselben zu heben. In der Thür aber stand der alte Pfarrer und sprach mit einem andern schwarzgekleideten Manne.

»Herr Jesus! Wer ist denn gestorben?« waren Otto's erste Worte, und sein Antlitz ward todtenbleich.

»Otto!« riefen Alle.

»Otto!« rief auch erstaunt der alte Pfarrer, reichte ihm die Hand und sagte ernst: »Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt!«

»Laßt mich des Todten Antlitz schauen!« bat Otto. Keine Thräne trat ihm in die Augen, dazu waren Ueberraschung und Schmerz zu groß.

»Soll ich den Sargdeckel noch einmal abnehmen?« fragte der Mann, welcher ihn so eben erst festgeschraubt hatte.

»Laßt ihn in Frieden schlafen!« erwiderte der Pfarrer.

Otto starrte den schwarzen Sarg an, in welchem sein Großvater ruhte. Der Wagen setzte sich in Bewegung. Otto folgte mit dem Pfarrer hinter demselben, hörte diesen Erde auf den Sargdeckel werfen, hörte Worte, deren Sinn er nicht verstand, sah, wie die letzte Ecke des Sarges seinen Blicken entschwand. Alles erschien ihm wie ein Traum.

Sie kehrten nach dem Pfarrhause zurück; eine blasse Gestalt kam ihnen entgegen. Es war Rosalie, die alte Rosalie.