Betrachtungen über die Liebe

Männer – Frauen und ...

Betrachtungen über die Liebe

 

Übertragen und bearbeitet von Georg Schwarz

1928

E. P. Tal & Co. / Verlag
Leipzig Wien

 

Alle Rechte vorbehalten

Entwurf des Einbands von Gustav Axel Bergmann

Druck der Manzschen Buchdruckerei, Wien IX

Vorwort

Ich habe die folgenden kurzen oder längeren Betrachtungen, zwischen denen ich mir selbst und dem Leser die ermüdenden Übergänge ersparte, im Laufe mehrerer Jahre aufgezeichnet. Man setzt sich nicht eines schönen Tages an seinen Tisch, um ein Buch über die Liebe zu schreiben! Diese zusammenhanglosen Seiten, von Begegnungen und Beobachtungen, die das Leben mir bot, diktiert, fallen mir heute wieder in die Hand und ich glaube, daß sie Leserinnen und Leser, wie ich sie mir wünsche, eine Stunde lang beschäftigen können, ohne sie zu langweilen.

Ich zögerte nicht, häufig das ›Ich‹ zu gebrauchen, von dem man – ich weiß nicht, warum – behauptet, daß es verwerflich sei. Schon Stendhal, in seinem Vorwort zu De l'Amour entschuldigte sich wegen der Notwendigkeit, von sich selbst sprechen zu müssen. Diese Schwierigkeit läßt sich nicht vermeiden.

Und wenn man es überdenkt, ist es vielleicht bescheidener ›Ich‹ zu sagen, statt Urteile, die bloß persönliche Meinungen bilden, als allgemeine Wahrheiten hinzustellen.

*

Einen Einwurf wird man mir machen: »Wie konnten Sie dem, was man Ihnen erzählte, Glauben schenken? Wissen Sie denn nicht, daß jeder sich verstellt, um sich im vorteilhaftesten Lichte zu zeigen?

Es ist richtig, es gibt niemanden, der vollkommen aufrichtig wäre. Doch es gibt Stunden, in denen jeder, manchmal gegen seinen Willen, zum Bekennen der Wahrheit gedrängt wird.

Selbst die Frauen, die so viel Kunst darauf verwenden, sich zu schminken, haben Augenblicke der Offenheit. Diese entzückenden großen Kinder haben ein unwiderstehliches Bedürfnis, von sich zu sprechen. Es ist aber unendlich schwierig, stets und folgerichtig zu lügen. Wer ihnen mit Liebe und ein wenig Scharfsinn zuzuhören versteht, für den bleibt schließlich kein Schleier ungelüftet.

*

Wer sich entschließt, ein Buch über die Liebe zu veröffentlichen, muß die Frauen gewinnen.

Was aber habe ich getan, um sie auf meine Seite zu bringen?

Jetzt, da ich es überlege, erschrecke ich, denn ich habe von ihnen wie von uns Männern mit einer naiven und gefährlichen Aufrichtigkeit gesprochen und habe ihnen keines jener Zuckerplätzchen geboten, wie sie unsere beliebten literarischen Zuckerbäcker, um ihnen zu gefallen, so gut zu zu bereiten verstehen.

Man wird aber zugeben, daß in meiner Offenheit höhere Achtung liegt, als in den unwürdigen Schmeicheleien, die man ihnen sonst bietet. Ich bin der Meinung – habe ich unrecht? – daß die Frauen sich aus jenen, die ihnen schmeicheln, nicht viel machen, und daß sie den, der sich vor ihnen immer demütigt, verachten.

Zu meiner Verteidigung sage ich nur dies: Wer übertrifft die Frauen an Mut? Sind sie nicht kühner als wir? Vielleicht also werden sie mir verzeihen, daß ich freimütig von ihnen gesprochen habe, als – mutiger Mann.

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Dies ist das Buch eines Mannes.

Und doch ist dies kein Grund, daß es den Frauen mißfalle.

Von der Eifersucht

Kennt jemand, der geliebt wird, vollkommene Ruhe? Und wenn er der Gegenwart sicher ist, gibt es keine Vergangenheit, die ganz nahe rückt, und keine Zukunft?

Es gibt Männer, die von Frauen nicht betrogen werden. Und doch können sie Eifersucht fühlen. Die Frau, die sie lieben, hat anderen vor ihnen gehört; wie quälend ist der Gedanke für einen Liebenden!

*

Diese Art Eifersucht zeigt die gleichen Merkmale wie jene Eifersucht, die sich auf die Gegenwart bezieht. Die Krise kann oft nur Augenblicke dauern. Dann fühlt man sie, als durchbohrte einen ein Messer. Oder sie dauert Stunden, und man geht gebrochen aus ihr hervor. Dann erstarrt man wohl, alles wird einem gleichgültig. Die totgehetzte, erschöpfte Phantasie findet keine Kraft mehr zu neuen Bildern ... Und in einem Augenblick, in dem man meist am wenigsten darauf gefaßt ist, erweckt plötzlich ein Wort, eine Bewegung – oft weiß man gar nicht, was – das alte Leid, und alles beginnt von neuem.

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Im allgemeinen soll ein Geliebter der Frau zumindest einen Mann verzeihen. Meist ist es der Gatte, den man am leichtesten entschuldigt. Er hat sie wohl vor dir besessen, doch infolge so besonderer Umstände, daß die Persönlichkeit der Frau dadurch fast unberührt scheint. Unzählige Gründe vermag man sich auszudenken, die sie zur Ehe bestimmten, und die doch mit Liebe nicht das Geringste zu tun haben: Familienpolitik, Versorgung, gesellschaftliche Stellung. Und du malst dir unschwer aus, daß sie ihren Mann nur geduldet hat, daß sie ihm nichts von sich gab. Den Gatten macht man der Frau nicht zum Vorwurf.

Setzt man aber den Fall, daß sich die Frau, statt dem Gatten, jungfräulich einem Geliebten schenkte, dann zerfällt das ganze Kartenhaus. Könntest du diesen Gedanken ertragen?

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Dem Eifersüchtigen gibt alles Vorwand zur Eifersucht. Vergeblich ist es, ihn zu beruhigen, ihm die vollkommene Unsinnigkeit seiner Verdächtigungen nachzuweisen. Sein krankes Hirn erfindet im gleichen Augenblick hundert neue Gründe, um die zu beschuldigen, die er liebt.

Kann man sagen, daß es Fälle gibt, in denen Eifersucht berechtigt ist, und andere, in denen sie Wahnsinn ist? Wertlos ist solche Einteilung für den Eifersüchtigen selbst; unbestreitbar an der Eifersucht ist einzig und allein die Qual, die sie dem verursacht, der sie fühlt.

Eifersucht ist ein chronisches Leiden, mit – je nach den Umständen – mehr oder minder heftigen akuten Anfällen; man ist eifersüchtig wie man herzkrank, gichtisch oder tuberkulös ist.

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Es gibt Menschen, die Gefühle der Liebe nur durch Eifersucht empfinden. Erst wenn sie nicht mehr geliebt werden, entdecken sie, daß sie selbst lieben; bis zu dem Augenblick, in dem sie zu leiden beginnen, sind sie gleichgültig. So kennen sie nur die schmerzliche Seite der Liebe.

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Oft auch ist Eifersucht das Gefühl eines schwachen, schutzlosen Wesens, das sich verzweifelt an seinen Besitz klammert. Wenn es ihn verlieren soll, sieht es eine grauenhafte Leere vor sich, die es nicht ausfüllen könnte.

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Gewappnet gegen die Eifersucht ist ein Mann, der eine Frau, die ihn betrügt, sogleich durch zwei oder drei andere ersetzen könnte, die bereit sind, ihn zu lieben, und die auch er vielleicht lieben könnte.

Ein Don Juan kennt keine Eifersucht.

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Die Beichte einer Frau: »Als ich bemerkte, daß sich das Benehmen meines Freundes gegen mich änderte, ertrug ich klaglos seine Wortkargheit, seine Kälte. Ich nahm an, daß er eine andere liebe. Solange er bei mir war, fühlte ich mich kaum unglücklich. Doch sobald er mich verließ, quälten mich Unruhe und Schmerz. Ich ertrug es kaum, daß er im gleichen Zimmer, in dem ich war, mit einer anderen Frau sprach. Ich suchte die Worte zu erraten und alles, was nicht gesagt wurde; ich spähte nach seinen Blicken, ob sie Verlangen oder Versprechen ausdrückten. Es war eine qualvolle Zeit. Später erfuhr ich, welche Frau ihn erfüllte. Ich war immer noch glücklich, wenn er mich besuchte. Nie habe ich ihm Vorwürfe gemacht, aber sein Fernsein tötete mich ...«

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Es gibt stumme Eifersüchtige und es gibt Eifersüchtige, die losbrechen. Wir ziehen entschieden die schweigsamen vor. Ist dein Leben vergiftet, so ist es doch unnötig, auch das deines Gefährten zu vergiften.

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Eifersucht ist das beste Gegenmittel gegen die Liebe. Durch Eifersucht wird sie bestimmt getötet – bei dem andern.

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Wie sehr du auch mit Eifersuchtsszenen gepeinigt wirst, es wird dir doch niemals gelingen, das Geständnis zu erreichen, daß Eifersucht im Spiele sei. Man verleugnet seine Eifersucht wie eine peinliche Krankheit.

Doch nicht alle sind imstande, ihre Auswirkungen zu bemeistern; man führt sie aber dann auf andere Ursachen zurück. – »Was du tust, ist mir ganz gleichgültig, da ich dich nicht mehr liebe, aber ich will nicht, daß du mich lächerlich machst.« – Oder: »Du benimmst dich in einer Weise, die für mich verletzend ist ...«

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Warum hat man Othello zum typischen Eifersüchtigen gestempelt? Othello ist gar nicht eifersüchtig; er ist einfach und gläubig. Aus sich selbst wäre er niemals auf den Gedanken verfallen, Desdemona zu verdächtigen. Othello ist eigentlich der richtige Typus des Vertrauensseligen.

Ein Eifersüchtiger benimmt sich ganz anders. Jede Kleinigkeit wird ihm zum Beweis, alles legt er nach seinem Wahn aus.

Vom Auseinandergehen

Der ewige Dialog:

»Du liebst mich nicht mehr? Du bist ein Elender. Ich habe an dich geglaubt, habe dich erhört, ich habe alles geopfert. Ehe du kamst, war ich eine anständige Frau, jetzt fühle ich nur Abscheu vor mir ... Und du willst mich verlassen!«

»Hing es von meinem Willen ab, dich zu lieben? Ist es mein Wunsch, dich nicht mehr zu lieben? Wie sonderbar beurteilst du die Liebe. Meinst du denn, sie müsse ewig währen, wie jene Flamme, die auf den Altären brennt und von Männern genährt wird, die keine Männer sind? – Ich liebe dich nicht mehr ... Es ist wahr. Doch bin ich nicht ebenso zu beklagen wie du? Noch gestern galt mir deine Schönheit, deine Zärtlichkeit unendlich viel, und heute blicke ich ohne Erregung auf dich. Du bist für mich gestorben. Glaubst du, ich fühle nicht auch, was ich alles verloren habe? – Du hast mich erhört, weil du nicht widerstehen konntest – oh, nicht mir, dir selbst konntest du nicht widerstehen, dem geheimen, gebietenden Zwang, der dich in meine Arme trieb. – Ich gehe ... Wohin? Ich weiß es nicht. Werde ich eine Frau finden, die ich so lieben kann, wie ich dich geliebt habe? Einmal vielleicht, vielleicht in einem Jahr, vielleicht in einem Monat? – Bis dahin bleibe ich allein. Bis zu dem Tage werde ich allein bleiben, an dem ich einer Frau begegne, deren Blick, deren Haltung, ein trauriger und leidenschaftlicher Zug um die Mundwinkel vielleicht, mich fesseln ... Und wieder werde ich jene schönen, befreienden Stunden erleben, die nur die keimende Liebe schenkt, wieder werde ich ihr das Beste, das Tiefste, das Geheimste meiner selbst erschließen ...«

»Du tötest mich!«

»Und sechs Monate oder ein Jahr später werde ich sie verlassen, wie ich dich heute verlasse, weil wir einander alles gegeben haben werden, was menschliche Wesen an Freuden und Leiden einander zu geben vermögen, weil wir in uns selbst nichts mehr finden werden, um es mit dem andern zu teilen. Und an einem Tage wie heute werde ich wieder fortgehen mit dem Gefühl eines leeren Herzens, das bitter wie der Tod ist.«

»Und sie wird bleiben – mit einem Herzen, das voll sein wird, voll Verzweiflung.«

*

Gibt es eine Kette, die schwerer zu sprengen ist als jene, die langsam, glühend, Sinnlichkeit um zwei Körper geschmiedet hat?

*

Gewisse Männer sind Künstler in der Art des Auseinandergehens. Schon im Augenblick ihrer Ankunft bereiten sie ihren Abschied vor. Diese Methode hat den Nachteil, daß jede spontane Regung getötet wird und nichts dem göttlichen Zufall überlassen bleibt. Wie stellt man es an, um mit möglichst geringen Unannehmlichkeiten einen Bruch zu vollziehen? Soll man die Frau zu überzeugen suchen, daß sie einen nicht mehr liebe? Das ist schwierig. Es gibt Frauen, die anhänglich sind.