Norman Mailers ganz privates Schloss Neuschwanstein

 

Persönliche Spurensuche zu seinem letzten Roman „Das Schloss im Wald”


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IGK-Verlag, 7100 Neusiedl, Österreich

Norman Mailers ganz privates Schloss Neuschwanstein

Persönliche Spurensuche zu seinem letzten Roman „Das Schloss im Wald”

© 2011 IGK-Verlag

Fotos: Hans Janitschek, Engel-fotolia.com


Vorwort

 

In Bezug auf interessante Begegnungen stehen Ehefrauen meistens im Schatten ihrer Männer. So auch ich. Ein Journalist, Buchautor und geschätzter Gesprächspartner für Belange der Kommunikation kann gar nicht so schnell schauen, wie ihm bisweilen Persönlichkeiten wie Juan Antonio Samaranch, Dr. Helmut Kohl, Hildegard Knef, Gary Kasparov, Donald Trump, Christiaan Barnard, Julius Hackethal, Marianne von Weizsäcker, Leni Riefenstahl oder Nancy und Ronald Reagan für einen Wimpernschlag der Geschichte gegenüberstehen. Mitunter darf die Frau an seiner Seite das miterleben.

Bei mir führte das dazu, dass ich für mich im Kopf eine bestimmte Sorte Männer identifizierte: Die wenigen, die mich auch ohne Mann allein in einem Aufzug wiedererkennen würden.

Einer von ihnen war Norman Mailer.

Wie es dazu kam, erzählt diese Geschichte.


Der Anruf

 

Eine Reise, die einen amerikanischen Intellektuellen ins Richard-Wagner-Festspielhaus nach Bayreuth und auf Goethes Spuren nach Weimar führt, ist schon sonderbar genug. Doch diese ersten Stationen werden vom folgenden Ziel sogar noch übertroffen: Schloss Neuschwanstein! Zwischen viertausend und fünftausend Touristen erstürmen

an einem gewöhnlichen Sommertag einen ganz bestimmten Hügel im südbayerischen Schwangau. Besucher vom Range eines Norman Mailer finden sich selten darunter.

Ich begegne ihm am Dienstag, den 25. Juli 2000, mit ziemlicher Unwissenheit. Was ist in meinem Kopf über diesen unvergleichlichen Menschen gespeichert? Dass er in früheren Jahren der wilde Mann der amerikanischen Nachkriegsliteratur war, provozierend, scharfzüngig, unbeherrscht, in Bezug auf Frauen offensichtlich ebenso wie im Umgang mit Whiskey Sour oder Drogen, zählt für mich jetzt, so unwahrscheinlich das klingen mag, weniger. Mehr als das stimmt mich neugierig und vor allem beruhigt mich etwas höchst Eigenartiges, wenn nicht gar Unglaubliches: Dieser vom Schicksal geformte und verwöhnte Norman Mailer, der Gott und die Welt kennt, den eine stattliche Fangemeinde verehrt und bewundert – dieser Mensch erkennt und anerkennt die wunderbaren Eigenschaften des besten Freundes meines Mannes und erwählt „unseren Hans“ zu seinem liebsten Reisebegleiter. Immerhin ist die Harmonie zwischen den beiden so groß und so belastbar, dass sie sich auf eine wochenlange Tour durch Deutschland begeben. Ich spreche von dem nur wenige Jahre jüngeren Amerika-Korrespondenten der großen Wiener Tageszeitung „Krone“, Hans Janitschek. Journalist, Weltverbesserer, Menschenfreund, Demokrat, Pazifist, ausgestattet mit grenzenloser investigativer Neugierde. Gesegnet auch mit scharfem Blick, geprägt von Mut, mit gelegentlich sozialistisch anmutenden Ansichten und praktischem Witz, der ihn zum Beispiel die Idee eines „Earth Day“ zum Wohle dieses geschundenen Planeten verwirklichen lässt unter der Patenschaft der begeisterten Sängerin Eartha Kitt. Neben seinen zahllosen Beiträgen für die Leserinnen und Leser der größten Zeitung Österreichs mit Bedeutung oft nur für einen einzigen Tag verfasste Hans Janitschek bereits eine Reihe Bücher, im Wesentlichen Biografien interessanter Zeitgenossen: darunter Arnold Schwarzenegger, der portugiesische Sozialistenführer Mario Soares (während dessen Verbannung auf einer Todesinsel) oder Hans Dichand, Gründer und Herausgeber der erwähnten „Krone“. Sein aktuellstes Projekt: ein Buch über die Österreicherin Hedy Lamarr, die erste Schauspielerin in einer Film-Nacktszene, bezeichnenderweise mit dem Titel „Ekstase“. Mit diesen Werken läuft er nicht Gefahr – sehr wichtig!, eine schriftstellerische Eifersucht Norman Mailers zu wecken. Nein. Keiner der beiden erhofft sich vom Gegenüber offensichtlich etwas anderes als gute Konversation, die optimale Voraussetzung für eine Beziehung unter Individualisten ersten Ranges.

Norman Mailer lebt mit seiner sechsten Frau Norris in Provincetown auf der Halbinsel Cape Cod im Staat Massachusetss, Hans Janitschek mit seiner zweiten Frau Friedl in der achtzehnten Etage eines Doorman House in der Fifth Avenue, direkt am Central Park in New York City.

Aus diesem Apartment mit atemberaubendem Blick über den Park auf das Dakota House, auf dessen Stufen John Lennon von einem Geisteskranken tödlich angeschossen wurde – von dort also kommt Anfang Juli 2000 der Anruf, mit dem alles beginnt.

Und eines meiner nachhaltigsten Erlebnisse nimmt seinen Lauf.

Hans fragt meinen Mann: „Imre, seid Ihr in der nächsten Zeit in Deutschland? Ich begleite Norman Mailer auf einer Reise nach Bayreuth und Weimar, und ich habe ihm schon so viel von Euch erzählt, dass er Euch unbedingt kennen lernen möchte.“

Das klingt ja fantastisch. Wir wissen aber beide, dass es der Wirklichkeit entspricht, wenn Hans uns das erzählt.

Bayreuth? Perfekt. Wir leben seit einiger Zeit in Ebersberg, südöstlich von München, wo mein Mann sich als Geschäftsführer eines ganz speziellen Medien-Management-Unter-nehmens bei der Lösung von Kommunikationsaufgaben einbringt (daher die vielen Kontakte zu großen Unternehmen und berühmten Personen). Wir erinnern Hans daran, dass wir keine dreihundert Kilometer entfernt angesiedelt sind, uns also nur zweieinhalb bis drei Autostunden von Richard Wagners Festspielstadt trennen. Sensationell. Wir dürfen Norman Mailer treffen!

 

Einige Wochen später fliegen die beiden über Frankfurt ein, steigen um in einen japanischen Mittelklasse-Leihwagen und erreichen tatsächlich ohne Zwischenfall ihr Hotel in Bayreuth. Wer wie mein Mann mit Hans den Linksverkehr in London und in der Hochsaison die Verhältnisse auf italienischen Landstraßen mit dem Ziel Venedig erleben und überleben durfte, wird das nicht als selbstverständlich erwarten.