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Reihe für zeitgenössische afrikanische Literatur
Herausgegeben von Indra Wussow

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NIQ MHLONGO

WAY BACK HOME

AUS DEM ENGLISCHEN
VON GUNTHER GELTINGER

AFRIKAWUNDERHORN

Titel der Originalausgabe:

Way Back Home (Erstveröffentlichung bei Kwela Books, Imprint von NB Publishers, Kapstadt, Südafrika 2013)

© 2013 N Mhlongo

© 2015 Verlag Das Wunderhorn GmbH

Rohrbacher Strasse 18

D-69115 Heidelberg

www.wunderhorn.de

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert werden oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Gesamtgestaltung: image sans serif, Berlin

Umschlagabbildung: © plainpicture

Foto Seite 2: © Lisa Skinner

ISBN 978-3-88423-507-2

»Ich hasse die Unschuld, ich hasse das Bravsein!
Ich will nicht, daß es noch irgendwo eine Tugend gibt.
Ich will, daß alle Leute bis ins Mark verderbt sind.«

George Orwell, 1984

»Weshalb dieses Buch schreiben? Keiner hat mich darum
gebeten. Am wenigsten diejenigen, an die es sich richtet.
Was dann? Dann antworte ich gelassen, dass es zu viele
Schwachköpfe auf der Welt gibt. Und da ich es sage,
muss es bewiesen werden.«

Frantz Fanon, Schwarze Haut, Weiße Masken

Ich, Kimathi Fezile Tito, erkläre hiermit feierlich, dass ich ein Soldat der Südafrikanischen Revolution bin. Als Freiwilliger habe ich mich dem Kampf für Gerechtigkeit verpflichtet. Ich stelle mich in den Dienst des Volks, der Bewegung und ihrer Verbündeten. Ich erhebe meine Waffen als Antwort auf die Wünsche des Volks. Ich verspreche, ihm zu jeder Zeit mit Disziplin und Hingabe zu dienen und die Integrität und Solidarität mit seiner Armee aufrechtzuerhalten. Sollte ich diese auf irgendeine Art und Weise verletzen, akzeptiere ich, mit allen Mitteln, einschließlich des Todes, bestraft zu werden. Auge um Auge, Zahn um Zahn, Leben für Leben.

13. August 1986, Angola

1. KAPITEL

Camp Amilcar Cabral, Provinz Kwanza Norte,

Angola, 1988

»Redest du jetzt endlich, oder was?«

Genosse Pilate tigerte im Vernehmungszimmer auf und ab. Das Kreuzverhör dauerte nun schon vier Stunden, langsam wurde er sauer.

Genosse Bambata kaute ängstlich an seinen Fingernägeln. Neben Genosse Idi auf dem Schreibtisch lagen ein Bogen Papier und ein Stift. Er müsste ihnen einfach nur erzählen, was sie wissen wollten. Doch er hatte nichts zu gestehen.

Wie ein hungriger Löwe machte Pilate plötzlich einen Satz nach vorne, riss Bambata vom Stuhl und schleuderte ihn gegen die Wand. Sein Hinterkopf knallte gegen den Beton. Er verlor die Orientierung und stürzte auf die Knie. Pilate trat ihm mit dem Stiefel ins Gesicht.

»Wer von euch hat Die Bewegung verraten?« brüllte Pilate auf Bambata herab, der einen Schwall Blut hustete.

»Ich schwöre es … i-ich weiß nichts.«

»Du wirst noch heute den Tag bereuen, an dem ich das erste Mal deinen Namen gehört habe!« Pilate zerrte Bambata hoch und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht.

Bambata taumelte rückwärts, Blut troff aus seiner Nase. Er drehte sich weg, um Pilate zu entkommen, doch da stand Idi schon hinter ihm und versetzte ihm einen Kinnhaken.

Bambata fiel rücklings um, schlug mit dem Kopf auf den Boden und verlor das Bewusstsein.

»Wir sind noch nicht fertig mit dir!«, sagte Pilate und folgte Idi zur Tür. »Wir kommen wieder. Und ich bin mir sicher, dann wirst du reden!«

Eine Stunde später kam Bambata wieder zu sich. Sein Mund war voll Blut, das linke Auge so geschwollen, dass er kaum sehen konnte. Er rollte sich auf die Seite und spuckte aus.

»Steh auf, Verräter!«, befahl Pilate. »Und zieh dich aus!«

»Was?« Verängstigt blickte Bambata zu Pilate hoch. Der stand über ihm, in der Hand ein Akazienzweig, der mit weißen Dornen bespickt war.

»Schneller!«, rief Pilate, als Bambata endlich auf seinen Füßen stand und widerwillig begann, die Kleider abzulegen. »Leg sie da hinten hin und komm rüber zum Tisch.«

»Comrades, warum tut ihr mir das an?«, fragte Bambata; ein heftiger Schluchzer entfuhr ihm, in seinen Augen standen Fassungslosigkeit und Angst.

»Schluss jetzt mit den blöden Fragen!«, bellte Pilate. Idi packte Bambata, stieß ihn zum Tisch und presste ihn gegen die Kante.

Pilate hob den Zweig in die Höhe und zielte nach Bambatas Schwanz. Reflexartig zog Bambata die Schultern hoch und versuchte, sich loszureißen, doch Idi war stärker.

Ein gellender Schrei schnitt durch den Raum, als Pilate den Akazienzweig herabsausen ließ. Es war einer dieser Schläge, die ein Mann erst im Grab vergisst.

Pilate funkelte Bambata an. »Wenn du nicht auspackst, verprügele ich dich damit, bis er dir abfällt!« Mit einem sadistischen Grinsen deutete er zwischen Bambatas Beine.

»Bitte nicht!«, heulte Bambata, als Pilate wieder mit dem Zweig ausholte. »Es … es war sie … Sie hat es getan!«

»Wer sie?« fragte Idi. »Hat sie auch einen Namen?«

»Lady Comrade … Mkabayi«, stammelte Bambata und nickte schwach.

»Was hat sie getan?«

»Sie … hat mir Informationen über die Buren gegeben. Und über die U-UNITA1

»Was noch?«

»Sie … sie … hat uns aufgehetzt. Gegen Die Be-Bewegung.«

»Schreib das auf!«, sagte Pilate und zeigte auf den Stift und das Papier, das im Luftzug des Akazienzweigs zu Boden gesegelt war. »Eine eidesstattliche Erklärung, in der du genau das aufschreibst, was sie gesagt hat. Wort für Wort.«

Bambata konnte nur noch resigniert nicken; die Schmerzen und die Vorstellung, seine unschuldige Genossin zu verraten, waren mehr, als er ertragen konnte.

»In einer Stunde sind wir wieder da. Dann ist die Erklärung fertig«, sagte Idi und ließ Bambata, der sich noch immer die Eier hielt, zu Boden sacken.

»Und denk dran«, fügte Pilate hinzu, als er die Tür des Verhörzimmers öffnete. »Deine Lady Mkabayi ist der dunkle Fleck in deinem Licht. Sie ist sehr gefährlich. Du hast ohne nachzudenken ihren Lügen geglaubt.« Er machte eine Pause und beobachtete Bambata, der nach dem Stift tastete und auf das Stück Papier am Boden zukroch. »Wer innehält, erhält von innen Halt.2 Veränderung passiert nicht einfach so, sie wird geschaffen, verstehst du? Von Leuten wie uns, die sich berufen fühlen. Denn wir lieben Die Bewegung!«

2. KAPITEL

»Halt die Fresse! Halt die Fresse!«

Kimathi erwachte schreiend aus seinem Alptraum. Es war Sonntagmorgen elf Uhr. Er lag ausgestreckt auf dem Schlafzimmerboden seiner Villa in Bassonia. Er rieb sich die Augen und sah, dass er noch immer Anzug, Krawatte und Schuhe trug. Ein leeres Whisky-Glas lag neben ihm auf dem Boden, wo er es offensichtlich in der Nacht zuvor hatte fallen lassen. Zum dritten Mal in Folge hatte er nun schon diesen Traum gehabt. Manche Details waren so beklemmend, dass er sich in letzter Zeit gefürchtet hatte, alleine zu Bett zu gehen. Scheiße! Egal wie stark du bist, die Erinnerung an das, was dir Angst macht, holt dich im Traum immer wieder ein, dachte er und setzte sich auf. Doch er konnte die Bilder aus dem Alptraum nur schwer in Zusammenhang bringen. All das war vor mehr als zwei Jahrzehnten passiert, damals im Exil, und er konnte sich kaum mehr an die Gesichter der Personen erinnern, geschweige denn daran, was mit ihnen geschehen war.

Kimathi stand auf und zog sich Krawatte, Jackett und Schuhe aus. Er schwankte, noch immer betrunken vom nächtlichen Besäufnis im Hyatt Regency Hotel in Rosebank. Er wusste nicht einmal mehr, wann er nach Hause gekommen war. Irgendwann um zwei oder drei morgens, dachte er, als ihm ein brennender Schwall Galle in die Kehle stieg. Mit der Hand auf dem Mund stolperte er ins Badezimmer, unter seinen Füßen spürte er die kalten Marmorfliesen. Vorm Waschbecken schloss er die Augen, würgte mehrmals und spuckte eine gelbliche und bitter schmeckende Flüssigkeit aus. Sein Kopf fühlte sich schwer und aufgedunsen an, wie kurz vorm Platzen. Gierig trank er Wasser direkt aus dem Hahn, doch das Hämmern in seinem Kopf hielt an. Als er sich haltsuchend auf das Becken stützte, fiel ihm ein, dass er seine Medikamente nicht genommen hatte. Laut Verschreibung sollte er zwei Tabletten morgens und drei am Abend nehmen.

Kimathi torkelte ins Schlafzimmer, öffnete die unterste Schublade, nahm zwei Pillen heraus, warf sie sich in den Mund und ging zurück ins Bad, um nachzuspülen. Die Kopfschmerzen wollten einfach nicht aufhören. Er schleppte sich zur Bar und goss sich einen doppelten Rémy Martin ein; das, hoffte er, würde den Kater schon verjagen. Er leerte das Glas in einem Zug, starrte einen Moment hinein und schüttete nach. Mit dem Cognac in der Hand öffnete er die Haustür und trat ins Freie.

Die klare, frische Morgenluft strömte in seine Lungen; Kimathi ließ sich in einen weißen Sessel neben dem Pool fallen, wo er, aus der Ferne betrachtet, wie ein Seehundbulle aussah, der sich auf einem der Felsen von Duiker Island räkelt. Er nahm einen Schluck aus dem Glas, stellte es ab und rieb sich die Hände. Als er sich zurücklehnte und die Beine übereinanderschlug, begann sein Hirn langsam zu arbeiten. Nicht mehr der Alptraum beschäftigte ihn jetzt, sondern das Treffen mit seinen Geschäftspartnern, das am nächsten Tag anstand. Auch Ludwe, der Generaldirektor des Ministeriums für öffentliches Bauen, würde dabei sein. Da wird Kohle fließen, grinste er in sich hinein und schlug sich triumphierend auf den Unterarm.

Das Geräusch eines Autos in der Einfahrt riss ihn aus seinen Gedanken. Er reckte den Kopf und sah den silbernen Golf V seiner Exfrau vorfahren. Anele kam mit ihrer gemeinsamen Tochter Zanu, die gerade sieben geworden war. Er hatte Anele seit zwei Monaten nicht gesehen, jetzt witterte er Streit. Sie waren seit zwei Jahren getrennt, Anele wohnte in Killarney, wo sie ein Apartment besaß.

Kimathi hob langsam sein Glas vom Boden auf. Er hatte noch nicht getrunken, da stand Anele schon vor ihm. Er betrachtete sie; ihm schien, sie hatte zugenommen. Sie trug ein schwarzes Kleid mit weißen Tupfern, eine verzierte cat’s-eye-Sonnenbrille, schwarze Wedges und ein goldenes Armband in Form eines Seesterns. In der linken Hand hielt sie eine Bibel; anscheinend kam sie gerade aus der Kirche. Kimathi machte keine Anstalten, sich zu erheben und sie zu umarmen oder ihr wenigstens die Hand zu schütteln.

»Du gehst seit zwei Monaten nicht ans Telefon!« Sie schien sofort zum Geschäftlichen übergehen zu wollen, mit diesem drängenden Unterton in der Stimme. »Also muss ich wohl selbst vorbeikommen. Es geht um Zanus Unterhalt.«

Kimathi nickte wortlos. Sein Blick hing an ihren roten Chandelier-Ohrringen, dann bemerkte er den geschmeidigen schwarzen Schwung des Eyeliners am Bogen ihrer Wimpern. Die Farbe ihres Nagellacks war vom gleichen Ton wie die ihrer Lippen – orange-rot. Sie sieht blendend aus, dachte er.

Er merkte, dass er sie sein Verlangen zu deutlich spüren ließ, wandte sich ab und blickte erst zu Zanu, dann hinauf zu den bunten Vögeln, die laut auf dem rot geziegelten Dach des Nachbarhauses tschilpten. Einige umkreisten ein Nest in dem Baum, der neben dem Haus wuchs.

»Ach so, Unterhalt?«, sagte er beiläufig, als würde ihn das Thema nicht interessieren. »Ende des Monats kann ich versuchen, dir etwas zu überweisen. Im Moment bin ich pleite.«

»Sie ist mit dem Schulgeld vier Monate im Rückstand! Und du lebst hier auf großem Fuß und säufst deinen teuren Whisky!« Wut schwang in ihrer Stimme, als sie das Glas in Kimathis Hand sah. »Wann zahlst du endlich für die Ausbildung deiner Tochter? Scheinbar kannst du es dir ja doch leisten! Warum verkaufst du nicht einfach deine teuren Fusel und schaffst das Geld ran, hä?«

»Ehrlich gesagt, ich bin total verkatert«, erwiderte Kimathi und nahm einen Schluck aus seinem Glas. »Kann das nicht warten, bis ich wieder nüchtern bin? Ich will anständig mit dir streiten!«

Anele starrte ihn an, als hätte er sie gerade aufgefordert, ein Glas seiner Spucke zu trinken. Zorn verzerrte ihr Gesicht, doch Kimathi tat, als würde er es nicht bemerken. Eine Weile standen sie schweigend, beide gefangen in schmerzhaften Erinnerungen.

»Warum tust du das?«, fragte Anele schließlich mit Abscheu in der Stimme. »Warum? Sag es!«

»Um dir diese Frage zu beantworten, erlaube mir zuerst eine andere«, holte Kimathi umständlich aus und starrte sie aus blutunterlaufenen Augen an. »Wer hat darauf bestanden, sie auf diese teure Schule zu schicken? Du natürlich«, und er zeigte mit dem Finger auf Anele, »denn du weißt ja immer alles besser. Ich habe dir gesagt, dass wir sie an einer günstigeren Schule anmelden müssen, nicht in Sandton. Ich habe dich gewarnt! Fünfundneunzigtausend im Jahr können wir uns einfach nicht leisten. Jetzt hast du den Beweis!«

»Das reicht!«, schnitt ihm Anele feindselig das Wort ab. »Ich sage es dir zum letzten Mal. Zanus Schulgeld macht fünftausendfünfzig im Monat oder sechzigtausendsechshundert im Jahr. Hör also auf, mir dauernd diese Zahl vorzurechnen! Oder gibt es da etwa noch ein anderes Kind, das dich fünfundneunzigtausend im Jahr kostet?«

»Was macht das für einen Unterschied?«, erwiderte Kimathi. »Ob es nun fünfundneunzig- oder sechzigtausend sind – du hast mir Zanu weggenommen. Warum sollte ich dich jetzt dafür bezahlen, dass du dir mit deinem Typen eine schöne Zeit machst? Vielleicht gibst du das Geld ja gar nicht für meine Tochter aus?« Die letzten Worte, kaum ausgesprochen, erschienen ihm töricht. Anele schnalzte angewidert mit der Zunge. »Weißt du was, Kimathi Fezile Tito? Kann sein, dass du im Exil eine Menge gelernt hast. Aber eines bestimmt nicht«, zischte sie, »ein Mensch zu sein!« Tränen schossen ihr in die Augen. »Du bist ein widerlicher Scheißdreck von einem Menschen!«

Zanu begann zu weinen – tiefe, verzweifelte Schluchzer schüttelten ihren kleinen Körper. Kimathi ging vor ihr in die Hocke. So, Auge in Auge mit ihrem Vater, starrte Zanu ihn einfach nur an, verstört und mit verschleiertem Blick.

»Es tut mir so leid, mein Liebling! Warten wir, bis Papa einen Fuß auf den Boden kriegt, mein Zuckerpüppchen. Dann wird alles gut«, sagte er und hüllte sie in seinen Cognacatem. »Im Moment mahlen die bürokratischen Mühlen noch etwas langsam für Papa, verstehst du? Aber das wird bald besser!«

Anele starrte angeekelt auf ihn herab. Als Kimathi den Nacken seiner Tochter zu streicheln begann, ballte sie die Hand zur Faust, ließ locker, verkrampfte wieder. Ein freudiges Strahlen hellte Zanus Gesicht auf, als Kimathi die Hand ausstreckte und ihre kleinen Finger umschloss.

»Das sagst du ihr jedes Mal!«, fuhr Anele dazwischen. »Glaubst du, sie versteht, was du da redest?« Anele kämpfte wieder mit den Tränen. »Ist dir eigentlich klar, wie viel Stress und Kummer du uns damit bereitest?«

»Papa, gestern war mein Geburtstag«, sagte Zanu traurig. »Warum hast du mir nicht gratuliert und einen Kuchen gekauft?«

»Entschuldige, mein Engel, ich war sehr beschäftigt.« Kimathi zog sie enger an sich heran. »Papa liebt dich jeden Tag, und an deinem Geburtstag ganz besonders! Ende des Monats schenke ich dir eine große Geburtstagsparty! Wir mieten eine Hüpfburg für dich und deine Freunde!«

Unwillkürlich zog Zanu sich aus seiner Umarmung zurück; ihre Augen durchforschten Kimathis Gesicht, als würde sie dort Spuren der Lüge suchen. Anele schüttelte den Kopf, ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Im Gegenzug versuchte Kimathi, Haltung zu bewahren, indem er seine Hosentaschen durchwühlte. Er zog einen Zweihundert-Rand-Schein hervor und drückte ihn seiner Tochter in die Hand. »Hier, kauf dir einen Geburtstagskuchen.«

Anele kommentierte die gönnerhafte Geste mit einem Zischen. »Du beleidigst die Intelligenz meiner Tochter!« Ein Ausdruck tiefer Verachtung stand nun in ihren Augen, die noch schmaler geworden waren. »So billig sind wir nicht.«

Sichtlich bemüht, ihre Wut zu beherrschen, packte Anele Zanu bei der Hand und zog sie zum Auto.

Kimathi grinste säuerlich. »Gegen Frust hilft am besten Vitamin P«, rief er ihr in herablassendem Tonfall hinterher. »Dein Körper scheidet eindeutig zu viel Salz aus. P wie Penis!«

Anele schnalzte wieder vor Ekel und verbiss sich ein Fluchen. Sie öffnete die Wagentür, schob Zanu hinein und bat sie zu warten. Kaum war das Kind sicher im Wagen verstaut, ging sie zu Kimathi zurück und baute sich vor ihm auf.

»Vielen Dank für den Tipp, Herr Doktor. Aber ich dulde es nicht, dass du so vor meiner Tochter sprichst. Tu das nie wieder, hörst du! Nie wieder, Kimathi!« Sie hielt inne und blickte ihn kalt an. »Geschiedene Frauen sind nicht automatisch einsame Frauen. Hättest du nicht gedacht, was? Sie haben einfach keine Lust mehr auf Typen wie dich, die ihre kleinen Mickerschwänze für Vitamin P halten.«

»Fahr zur Hölle!«

Anele schüttelte lachend den Kopf. »Hölle?«, sagte sie. »Wir sehen uns vor Gericht!«

»Ist das eine Drohung?«

»Ja«, erwiderte sie mit einer Schärfe, die ihm unverhohlen zu verstehen gab, dass es zwischen ihnen endgültig vorbei war.

Kimathi wollte etwas sagen, doch aus seiner Kehle kam kein Laut. Stattdessen sackte er zurück in den Sessel, geschlagen und erschlafft. Er fühlte sich schwach, einsam und hilflos. Er trank einen großen Schluck Cognac, schloss die Augen und schnaufte aus. Als er die Augen öffnete, waren die Kopfschmerzen wieder da. Er beobachtete Anele, die eilig über den Rasen davonging, und ballte die linke Hand zur Faust.

***

Sie hatten sich zum ersten Mal in den Union Buildings3 in Pretoria getroffen, zur Amtseinführung des Präsidenten Thabo Mbeki vor acht Jahren, im Juni 1999. Da war Anele erst zwanzig gewesen und wunderschön, den Abschluss der Benoni High School gerade in der Tasche. Er hatte zu der Zeit als Wirtschaftsberater im Präsidialamt gearbeitet, sie war Mitarbeiterin der Mzukwana Catering-Firma gewesen, die das Essen für die Gäste der Präsidentenwahl bereitstellte. Während sie im Speisesaal ihre Runden zog und verschiedene Gerichte auftischte, konnte er seinen Blick nicht von ihr lassen. Ihre Augen glühten in einem Gesicht, das von der hohen Stirn über die ausgeprägten Wangenknochen spitz auf das schmale Kinn zulief. Sie trug schwarze Hosen mit weitem Schlag, eine karamellfarbene Bluse, schwarze, mit Pailletten besetzte Schuhe, einen Blazer mit Schlangenhaut-Muster, eine Halskette aus Korallen und goldene Armreifen; er fand sie umwerfend. Auf eine Art erinnerte sie ihn an seine Mutter, Akila. Er hätte sie auf der Stelle und vor Jedermanns Augen küssen wollen, um den orange-roten Lippenstift zu schmecken. Stattdessen hatte er es gerade einmal geschafft, ihr seine Visitenkarte zuzustecken, die sie, wie sie später, als sie schon eine Weile zusammen waren, gestehen sollte, noch am selben Tag verloren hatte.

Die nächsten Tage hatte Kimathi damit verbracht, die Mzukwana Catering-Firma ausfindig zu machen. Endlich in Besitz ihrer Telefonnummer, hatte er versucht, Anele zu einem ersten Treffen zu bewegen. Sie lehnte ab, schob Ausreden vor, die Sache war ihr unangenehm. Tatsächlich willigte sie erst ein, mit ihm auszugehen, als Kimathi einen außergewöhnlichen Schritt wagte.

Es war der 25. Juni 1999, ein Freitag, den Anele in der Zeit, als sie noch zusammen waren, oft als den romantischsten Tag ihres Lebens bezeichnet hatte. Nachdem Kimathi sich von einigen seiner Arbeitskolleginnen Tipps in Sachen Liebesromanze hatte geben lassen, rief er beim Floristen Nkele an, der sein Geschäft an der Ecke Church und Beatrix Street in Pretoria hatte, und bestellte für Anele vierundzwanzig Blumensträuße, Lieferadresse: ihr Arbeitsplatz in der Proes Street. Sobald das erledigt war, telefonierte er mit Aneles Chefin, Ms. Smith, und informierte sie über die Lieferung, die über den Tag verteilt eintreffen sollte – vier Sträuße pro Stunde. Alle Frauen im Büro hätten sie darum beneidet, erinnerte Kimathi noch heute Aneles Worte. Jede ihrer Kolleginnen habe nun plötzlich Kimathi, den Romantiker, kennenlernen wollen. So zumindest hatte sie es ihm erzählt, als sie noch ein glückliches Paar waren.

Den fünfundzwanzigsten Strauß hatte Kimathi ihr dann persönlich gebracht – zum Büroschluss um punkt halb fünf. Sie war völlig überwältigt von seiner Geste. Er hatte sie auf dem Heimweg an der Rezeption abgefangen, und als er sie fragte, ob sie mit ihm zu Abend essen wolle – um punkt acht –, hatte sie keine Widerstände mehr gezeigt. Er führte sie ins Restaurant Baobab, das sich in der Menlyn Park Mall befand. Bei Kerzenschein erzählte sie ihm, dass Sisa, ihr aktueller Freund, ein Schlägertyp und Autoknacker war. Sie sei nicht glücklich mit ihm, Sisa nämlich hatte im Barcelona-Viertel des Daveyton-Townships angeblich so einige Frauen. Nach zwei weiteren Abendessen beschloss Anele, Sisa zu verlassen; ihre weiteren Treffen mit Kimathi hatten nun ernstere Absichten.

Die Trauung fand am 14. Februar 2000 statt. Stundenlang hatten sie mit ihrem Heiratsberater Mapaseka zusammengesessen und ihm ihren stilvollen Hochzeitstraum erläutert – mit Erfolg, denn jeder Dienstleister oder Lieferant, den Mapaseka vorgeschlagen hatte, übertraf beim Festakt ihre höchsten Erwartungen. Die Hochzeitsfeier fand in einer exklusiven Location auf dem Gelände der Cradle of Humankind4 statt.

Die Gäste kamen von weit her – aus Tansania, Angola, Sambia, Australien, England und sogar aus den USA, alle zusammen waren sie vierhundertfünfzig Gäste. Kimathi hatte Ludwe und Sechaba als Trauzeugen gewählt, Aneles Brautjungfern, Aya und Yolanda, kamen aus dem Daveyton-Township. Der Tag war erfüllt von Liebe, Freude und Gelächter. Sogar ein Ständchen hatte Kimathi Anele dargebracht – Always You von James Ingram, unter den großen alten Bäumen am Ufer des Flusses, der durch den Garten mäanderte. Es war ihr Lieblingssong, und unmittelbar danach hatte sie ihm zugeflüstert: »Du hast mein Herz gestohlen, Kimathi Fezile Tito, also nehme ich mir deinen Nachnamen. Als Rache.«

***

Eine schwarze Ameise biss Kimathi in die linke Hand und holte ihn unsanft zurück in die Wirklichkeit. Er zerquetschte das Insekt mit dem Finger. Es ist aus und vorbei, dachte er. Selbst den Diamantring, eines seiner teuren Geschenke, hatte Anele zuletzt verpfändet. Für Zanus Schulgebühren, hatte sie achselzuckend erwidert, als er sie danach fragte.

Kimathi blickte auf sein Glas Cognac, das am Boden stand; ein paar Ameisen waren darin ertrunken. Er schüttete den letzten Rest in den Garten, spürte Verlangen nach mehr, stand auf und ging zurück ins Haus. Vor der Bar bog er ab und öffnete instinktiv die Tür seines Schlafzimmers. Als er den Raum betrat, den er einst mit Anele geteilt hatte, zwang er sich seine Ex-Frau in einem Bild vor Augen, an das er noch immer gerne dachte. Er öffnete eine Schublade und fischte einen roten BH und den GString heraus, den sie dazu getragen hatte. Als sie aus dem Haus ausgezogen war, hatte er beides vor ihr versteckt – Souvenirs, die ihn an sie erinnern sollten. Er holte Aneles Lieblingsparfum aus dem Schminktisch hervor – Lancôme Trésor Midnight Rose – und sprühte es auf den BH und den G-String. Dann saugte er den Geruch ein und setzte sich aufs Bett, in den Händen die Unterwäsche. Gedankenversunken starrte er an die Wand. Vergiss es. Nostalgische Gefühle sind Selbstbetrug. Sie gehört nicht mehr dir. Du hast sie für immer verloren. Du musst weitermachen, Kumpel. Und sie muss es auch.

3. KAPITEL

Kimathi war ein echtes Kind des Exils, gezeugt in einem Akt liebloser Geilheit im Dorf Mazimbu Darajani, nahe Morogoro in Tansania, das auch als Dark City bekannt war. Sein Vater, Lunga Tito, stammte von den Xhosas ab und lebte in Dimbaza, einem Township zwanzig Kilometer außerhalb von King William’s Town. Seine Mutter war eine Swahili aus Kwa-Ngiriki. Kimathi sprach beide Sprachen fließend, Xhosa und Swahili. Seine Eltern hatten sich im Januar 1969 in Kwa-Ngiriki kennengelernt, während Lungas Exil in Tansania. Noch im gleichen Jahr, am 31. Oktober, wurde Kimathi geboren; sein Geburtstag fiel mit dem des Mau Mau-Führers Dedan Kimathi Waciuri zusammen, der für den Vater ein Idol im Kampf gegen den Kolonialismus war.

Kimathis Vater starb 1985; er hatte unter Depressionen gelitten und war als Kommissar des Camps in Morogoro entlassen worden. Berichten zufolge erschoss Genosse Lunga aus Verzweiflung sechs Kollegen, bevor er die Waffe gegen sich selbst richtete. Als Kommissar hatte er im Camp bei der Ausbildung neuer Rekruten stets eine kritische und korrekte Haltung vertreten. Dennoch war er von der Bewegung suspendiert worden, weil Gerüchte über ihn kursierten; angeblich hatte er zwei Rekrutinnen in sein Bett gelockt, gegen ein Paket mit Kleidern, Zahnpasta, Fleisch und Alkohol, Waren, die er aus der Logistikabteilung gestohlen haben sollte. In der Nacht vor seinem Selbstmord bat er Ludwe Khakhaza, einen jungen Genossen und Schüler seines Vertrauens, sich um seinen Sohn zu kümmern. Er flehte Ludwe an, Kimathi nach Dimbaza zu bringen, sobald der Widerstandskampf erfolgreich beendet war.

Nach Lungas Tod bezeichnete Die Bewegung das Verhalten des Genossen als verräterisch, Lunga galt als Deserteur. Man entzog ihm posthum die Anerkennung, die anderen Helden des Widerstandskampfs entgegengebracht wurde. Kimathis Mutter starb acht Monate später.

Ludwe löste das Ehrenwort ein, das er Lunga gegeben hatte. Er unterstützte Kimathi 1991 bei seinem Antrag auf einen südafrikanischen Pass und beim Gesuch auf ein amtliches Versprechen der Schadloshaltung, das für exilierte Freiheitskämpfer wie Kimathi ein unerlässliches Papier war, um legal nach Südafrika einreisen zu können. Anderenfalls hätte ihm strafrechtliche Verfolgung für Verbrechen gedroht, die den Mitgliedern der Bewegung angelastet wurden. Am 27. Juni des Jahres 1991 betrat Kimathi zum ersten Mal Südafrika.

Mit der Entschädigungszahlung, die er von der Bewegung erhalten hatte – weniger als dreitausend Rand –, mietete Kimathi eine Wohnung in Hillbrow. Er wusste wenig über Johannesburg und Südafrika. Bevor er in das Land kam, hatte er Bilder von Städten vor Augen gehabt, die auf Gold gebaut waren. So hatte ihm sein Vater Südafrika beschrieben, während einem ihrer zahllosen Spaziergänge an den Ufern des Ngerengere-Flusses unweit von Morogoro. Jenen besonderen Ausflug hatten sie unternommen, nachdem einer von Kimathis Klassenkameraden ihn abfällig einen »wakimbizi wa Africa kusini« genannt hatte, was auf Swahili »Flüchtling aus Südafrika« bedeutete.

»Ich möchte, dass du für dein Land Südafrika einstehst«, hatte ihn der Vater ermahnt, als Kimathi heulend von der Schule gekommen war. »Sag diesen Schwachköpfen aus Dark City, dass du kein wakimbizi bist, sondern ein Kämpfer gegen soziale Ungerechtigkeit! Und dass du aus einem Land kommst, wo die Städte auf Gold und Diamanten gebaut sind. Du bist ein Revolutionär!« Es war der Tag, an dem Lunga beschloss, seinen Sohn auf die Militärschule zu schicken.

Kimathis Leben in der Bewegung begann als Schüler des Solomon Mahlangu Freedom Colleges, kurz SOMAFCO genannt. 1984 wurde er Aktivist; zu dieser Zeit ging das Gerücht um, die Schule sei ins Visier der Buren geraten. Man beauftragte ihn und ein paar andere Jugendliche, die im Exil lebten, um den gesamten Campus herum Gräben zu ziehen. Ludwe führte dabei Aufsicht, und genau genommen war es an diesem Tag, dass Kimathi seinen späteren Genossen und Freund zum ersten Mal traf und von dessen Verbindung zu seinem Vater erfuhr.

4. KAPITEL

Eine Hand fest um das Lenkrad seines X5 geklammert, raste Kimathi über die Autobahn M1 Nord und summte laut zu Jonas Gwangwas Song Flowers of the Nation. Auf Höhe des Kasinos Gold Reef City zündete er sich seine Zigarre wieder an. Paffend beobachtete er die Rauchschwaden, die gegen die Windschutzscheibe stiegen. Zum Glück hatte er seine Spielsucht jetzt mehr unter Kontrolle als früher. Bei seinem letzten Kasinobesuch vor sechs Monaten hatte er fünfundzwanzigtausend Rand in einer Nacht verspielt.

Gegen viertel nach elf hielt Kimathi am »Sex-Supermarkt« der Oxford Road in Rosebank. Nachdem er zu Hause zahllose Cognacs gekippt hatte, war seine Geilheit unerträglich geworden. Jetzt kreisten seine Gedanken nur noch ums Ficken. An der Oxford Road kannte er ein paar preiswerte Mädchen, die spezialisiert darauf waren, einsame Männer wie ihn glücklich zu machen. Kimathi parkte den Wagen in der Nähe der Nelson-Mandela-Stiftung auf einer dunklen, von Bäumen gesäumten Straße. Er wollte neugierige Blicke vermeiden, die sein Auto wiedererkennen könnten. Die Straße schien gänzlich ausgestorben; lediglich ein einzelner Wagen parkte einige Meter entfernt in der Dunkelheit. Vielleicht, dachte er, sucht ja noch jemand wie ich nach dieser Art Leidenschaft, die ohne zärtliche Worte auskommt. Er erinnerte sich an den Satz, den Ludwe ihm während einer ihrer erotischen Eskapaden im Mafukuzela-Camp anvertraut hatte: Sex sei eines der wichtigsten Grundbedürfnisse des Lebens, weil eine Gesellschaft sich fortpflanzen müsse.

Um nicht aufzufallen, blendete Kimathi die Scheinwerfer seines X5 ab. Dann zündete er sich die halbgerauchte Zigarre wieder an, die er im Getränkehalter neben dem Schaltknüppel abgelegt hatte. Seine Laune stieg sprunghaft an, als er draußen drei Huren in Bikinis erblickte. Sie standen auf der anderen Straßenseite im Schein einer Laterne, die ihre stark geschminkten Gesichter leuchten ließ. Während er an der Zigarre saugte, checkte er ihre Körper nach den Vorzügen ab, die ihn scharf machten: großer Busen, breiter Arsch und dunkler Teint waren seine Obsession.

Er taxierte noch immer die Frauen, als aus dem toten Winkel zwei schwarze Transvestiten auftauchten und mit ihren falschen Fingernägeln ans Fenster klopften. Sie trugen Perücken und große Ohrringe, die leise gegeneinander klirrten, als sie sich herabbeugten und anzügliche Blicke in den Wagen warfen. Kimathi ließ die Zigarre sinken und grinste sie an, dann ließ er die Fensterscheibe ein Stück herunter und verdeckte bedauernd das Gesicht mit der Hand, was bedeuten sollte, dass er kein Interesse hatte. »Danke, Ihr Lieben, heute Nacht nicht«, seufzte er mit übertriebener Höflichkeit.

Im gleichen Moment fuhr das weiße Fahrzeug eines Sondereinsatzkommandos vorbei. Die Transen schlugen enttäuscht auf das Dach seines Wagens und zogen ab. Auf der anderen Straßenseite erblickte Kimathi eine Frau mit glänzenden Schenkeln. Sie trug einen sehr engen Minirock, ihren eher kleinen Kopf krönte ein blondes Locken-Haarteil, das ihm nur deshalb auffiel, weil eine andere Hure bei einem seiner letzten Dates von diesem neuen Style geschwärmt hatte.

Kimathi pfiff leise, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Prostituierte wandte den Kopf und stöckelte verführerisch heran. Ihr Rock war oberhalb des linken Schenkels geschlitzt. Beim Gehen schwang sie ihren Körper wie eine Samba-Tänzerin; war das wirklich ihr natürlicher Gang, fragte sich Kimathi, oder wollte sie ihn damit antörnen? Als sie sich dem Wagen näherte, das linke Bein fast gänzlich entblößt, erwachte in ihm die Lust. In seiner Vorstellung war sie ein reiner, rosafarbener, siebenundzwanzigkarätiger Diamant aus dem Großen Loch von Kimberly5. Sein vom Cognac benebeltes Hirn war überzeugt davon, dass die Qualitäten, die sie zu bieten hatte, auf der Oxford Road eher selten zu finden waren.

Er forderte sie mit einem Handzeichen auf, in seinen BMW zu steigen. Als sie die Wagentür öffnete, bemerkte er ihre gewaltigen künstlichen Wimpern und die Schichten von Make-up in ihrem Gesicht. Sie hatte alles, was er wollte: Brüste groß wie halbe Wassermelonen, und sie duftete nach Moschus. Das ist sie, dachte er, heute Nacht gehört sie mir.

»Alles klar, Süße?« Sein Mund kräuselte sich zu einem lasziven Lächeln, als sie ihre kleine braune Handtasche auf das Armaturenbrett stellte.

»Verdammt heiß und hungrig«, erwiderte sie. »Und selbst, Liebling?« Sie rieb ihn zwischen den Beinen, den Oberschenkel leicht ausgestellt, so dass der Rock hochrutschte.

Kimathi spürte, wie die Erregung ihn durchflutete. »Was kostet mich deine Begleitung heute Nacht?« Er atmete schnell, sein Blick klebte zwischen den Schenkeln der Hure.

»Hängt davon ab, wie viel Spaß du haben willst«, gab sie mit einem aufgesetzten Lächeln zurück. »Fünfhundert für Blasen und Ficken.«

Kimathi grinste und leckte sich die Lippen. Er sah die Narbe unter ihrem Bauchnabel, ein eindeutiges Zeichen, dass sie bereits ein Kind geboren hatte. Es war ihm egal.

»Scheiß Inflation in diesem Land«, flunkerte er.

»Oder wie die Amerikaner sagen«, stieg sie auf seinen Witz ein, »›Wir glauben an Gott, aber wir leben das Geschäft‹.«

»Irgendetwas an dir kommt mir bekannt vor«, lenkte Kimathi ab, nachdem er eine Weile ihr Gesicht betrachtet hatte.

»Tatsächlich?« Sie zuckte die Achseln und klickte mit ihren langen roten Fingernägeln.

»Ja. Deine Stimme. Sie erinnert mich an jemanden, den ich kenne.« Er blickte sie verschwörerisch an.

»Ist sie auch vom Fach?«, fragte sie und betrachtete sich im Rückspiegel. Dann kramte sie den Lipgloss aus ihrer Handtasche und zog die Lippen nach.

Kimathi schwieg. Seine Augen wanderten von ihrem Gesicht zu ihren Brüsten und weiter zwischen ihre leicht geöffneten Schenkel, als suchte er auf ihrem Körper den Grund dafür, warum er ausgerechnet sie so anziehend fand.

»Du vergisst schnell, meine Lieber. Ich bin Lakeisha aus Tansania, deine Nummer eins. Weißt du nicht mehr?« Sie zwinkerte ihm zu. »Letzte Woche«, grinste sie. »Wir haben’s Griechisch gemacht.«

Kimathi verbarg nachdenklich das Gesicht in seinen Händen, doch er konnte sich beim besten Willen nicht an sie erinnern. Prostituierte nahm er grundsätzlich nicht mit nach Hause, bevorzugte stattdessen einen noblen Ort in Saxonwold, ein großes bewachtes Anwesen, das einem weißen Geschäftsmann gehörte. Drei Stunden Parken kosteten dort nur hundert Rand, und wenn man mit dem Wagen einen ruhigen Platz gefunden hatte, störte niemand den Quicky hinter den beschlagenen Scheiben. Weil es wesentlich günstiger war als ein Hotelzimmer zu mieten, nannte Kimathi den Parkplatz liebevoll »Billighotel«.

»Klar doch! Lakeisha«, sagte er schließlich und nahm die Hände vom Gesicht. »Jetzt erinnere ich mich wieder!«

Kimathi schwieg wieder eine Weile, als müsste er erst einmal verarbeiten, was er gerade gesagt hatte. Dann, einem plötzlichen Impuls folgend, legte er ihr die linke Hand auf den Schenkel. Lakeisha bleckte die leicht vorstehenden Zähne, die ihre Schönheit beinahe ruinierten.

Sie streckte die rechte Hand aus, er spürte sie auf seinem Knie. Mit geschlossenen Augen und geöffnetem Mund sank sie in den Sitz zurück und spreizte die Schenkel. Ihre Hand wanderte in ihren Schoß, der Mittelfinger bewegte sich vor und zurück. Kimathi war sich nicht sicher, ob sie sich stimulierte oder nur so tat.

»Also was kostet der Spaß mit dir?«, fragte er noch einmal und saugte den Atem ein.

Lakeisha antwortete nicht gleich, spielte nur weiter mit sich, stöhnend und mit geschlossenen Augen. Er beobachtete sie und spürte zwischen seinen Schenkeln die Hitze pochen. Sie umschloss seinen Schwanz mit den Fingern und massierte ihn durch den Hosenstoff, er ließ es geschehen.

»Der normale Preis«, flüsterte Lakeisha ihm ins Ohr. »Oder tausend bei dir zu Hause.«

»Mach mir ein Angebot, Lakeisha.« Er ließ seine Hand auf ihrem Schenkel nach oben wandern. »Du weißt doch, ich bin dein bester Kunde, stimmt’s?«

»Ja«, sagte sie und knetete ihm die Eier. »Aber Geschäft ist Geschäft, Süßer.«

Kimathi spürte eine geradezu göttliche Kraft, die sich in seinen Venen ausbreitete. Er wollte sich auf sie wälzen, sie verschlingen. Überwältigt von seinem Verlangen, schob er ihr die Hand auf die Möse. Im Gegenzug griff Lakeisha nach seinem Portemonnaie, das er zwischen die Sitze gesteckt hatte. Er sagte nichts, als sie ein Bündel Scheine herauszog, es war ihm jetzt egal, wie viel sie nahm, seine Geilheit war stärker.

Kimathi war noch immer dabei, die Freuden zu genießen, die Huren einsamen Männern bescheren, als er hörte, wie irgendwo draußen ein Fenster zerbrach. Das Signal einer Autoalarmanlage ertönte, dann sah er zwei Typen an seinem Auto vorbeirennen. Sie verschwanden hinter den großen Bäumen. Sekunden später rasten zwei Fahrzeuge des Chubb-Sicherheitsdiensts heran und hielten vor dem Wagen, der ein paar Meter entfernt parkte. Kimathi überlegte kurz wegzufahren, doch er entschied sich dagegen. Er wollte nicht unnötiges Aufsehen erregen.

Er war gerade dabei, die Hure rauszuschmeißen, als es an sein Fenster klopfte. Eine Taschenlampe flammte auf und tauchte die Szene in grelles Licht. Lakeisha riss die Augen auf; draußen standen zwei Polizisten und glotzten auf das Bündel Scheine, das neben ihr lag. Als Kimathi die beiden sah, war er auf einen Streit gefasst; im Kopf legte er sich schon Worte für seinen offiziellen Protest zurecht. Er ließ das Fenster ein Stück herunter und fragte: »Was wollen Sie?«

»Steigen Sie bitte aus«, befahl der eine Polizist, der einen Kopf kürzer war als der andere. Sein Atem roch nach rohen Zwiebeln.

»Warum? Nehmen Sie mich fest, weil ich nach dem Weg gefragt habe?«

»Klar, nach dem Weg gefragt!«, höhnte der Polizist mit dem Zwiebelatem. »Mit den Fingern auf ihrer rasierten Muschi!«

»Das ist eine Unterstellung!« Kimathi versuchte, die Beherrschung nicht zu verlieren.

»Das können Sie dann dem Richter erzählen«, sagte der größere der beiden Polizisten. »Jetzt kommen Sie erst mal mit aufs Revier«.

»Das können Sie nicht machen«, protestierte Kimathi. »Ich rufe meinen Anwalt an.« Er nahm sein Handy vom Armaturenbrett und wog es in der rechten Hand. »Ich verklage eure Ärsche wegen Rufmord!«

Noch bevor er wählen konnte, öffnete der größere Polizist die Wagentür. »Haben Sie getrunken?«, bohrte er nach. Sein Blick wanderte missfällig zwischen Kimathi und Lakeisha hin und her.

»Nein!«, entgegnete Kimathi, seine Gesichtszüge spannten sich vor Wut. »Sehe ich etwa so aus?«

»Sie müssen mit aufs Revier kommen«, sagte der Lange. »Für einen Alkoholtest.« Seine Gehässigkeit bereitete ihm sichtlich Vergnügen.

»Warum?«, fragte Kimathi und zog die Stirn in Falten. »Ich glaube, meine Herren, dass Sie da gerade meine Persönlichkeitsrechte verletzen. Und das verstößt gegen die Verfassung dieses Landes.«

»Folgen Sie uns in den Bus und setzen Sie sich hinten rein«, sagte der mit dem Zwiebelatem. »Ich fahre Ihren Wagen.«

»Nichts da!«, rief Kimathi, die Wut erstickte jetzt fast seine Worte. »Oder nehmen Sie etwa auch mein Auto fest? Ich fahre selbst!«

»Nicht wenn Sie getrunken haben«, sagte der Lange.

»Ich habe nicht getrunken!«, insistierte Kimathi.

»Jetzt haben wir schon drei Gründe, Sie festzunehmen«, erwiderte der Kurze mit dem Zwiebelatem. »Erstens, Haftverweigerung; zweitens, Einmischung in polizeiliche Angelegenheiten; drittens, Sex mit einer Prostituierten. Was ist eigentlich damit?« »Wissen Sie, wer ich bin?« fragte Kimathi. »Ich kenne Leute in hohen Positionen. Ich werde den Polizeipräsidenten anrufen, und Sie verlieren beide Ihre Jobs.«

»Machen Sie das ruhig«, sagte der große Polizist. »Wir sind hier nicht in Holland. In Südafrika ist Prostitution immer noch illegal.«

»Wer sagt, dass ich sie gekauft habe?«, erwiderte Kimathi beleidigt. »Ich habe sie lediglich nach dem Weg gefragt.«

»Klar, mit offenem Hosenstall!« Der Kurze mit dem Zwiebelatem grinste sarkastisch. Dann zerrte er Kimathi aus dem Auto.

»Verpisst euch, ihr Schwachköpfe! Dafür werdet ihr zahlen!«, drohte Kimathi, während die Polizisten ihn gewaltsam in den Polizeibus bugsierten. Beide sagten jetzt nichts mehr. Der mit dem Zwiebelatem machte lediglich eine abfällige Handbewegung, und der Lange schaute Kimathi mit einem Blick an, der etwas sagte wie: Verarsch uns nicht! Dann stieg er zu Lakeisha in den BMW.

Auf dem Weg zum Polizeirevier von Hillbrow wurde Kimathi plötzlich das ganze Ausmaß der Situation bewusst; panisch quollen seine Augen hervor. Seine Geilheit war einer viel drängenderen Not gewichen – ihm stand eine Nacht in einer Polizeizelle bevor. Schon sah er die peinlichen Schlagzeilen in den Zeitungen, die jegliche Chance für ihn zunichte machen würden, die staatliche Ausschreibung zu gewinnen, für die er sich bewerben wollte. Das letzte Mal war sein Ruf auf dem Spiel gestanden, als er noch im Präsidialamt gearbeitet und eine weibliche Kollegin ihn der sexuellen Belästigung bezichtigt hatte. Obwohl die Klage aus Mangel an Beweisen abgewiesen worden war, hatte die Sache viel Schaden angerichtet, vor allem in seiner Beziehung mit Anele.

5. KAPITEL

Es war Ludwe, der im Februar 1992 Kimathi wieder mit seiner Familie vereinte, sechs Monate nach seiner Rückkehr aus Angola. Für Kimathi war es der glücklichste Tag in seinem bisherigen Leben. Sein Vater Lunga hatte ihm viel über seine Tante Yoli erzählt, nun kam der große Moment, sie endlich zu treffen. Kimathi hatte zwei alte Fotos seines Vaters mitgebracht. Sie waren am SOMAFCO-College aufgenommen worden und stammten aus der Zeit, als Lunga noch Kommissar bei der Bewegung war. Auf beiden trug Lunga zweifarbige Schuhe von Florsheim, beigebraune Schlaghosen und ein Blumenhemd, aus dem seine haarige Brust prangte. Schwere Dreadlocks fielen ihm auf die Schultern.

Yoli war außer sich vor Freude, ihren Neffen Kimathi kennenzulernen. »Lebendiger Gott!«, rief sie, »dein Vater hat uns im August 1968 verlassen. Er ist einfach verschwunden.« Die Tante lächelte, als sie die Fotos betrachtete. »Ein einziges Mal hat er uns geschrieben. In seinem Brief stand, dass er ins Exil gegangen sei. Aber er hat uns nicht verraten, wohin.« Sie hielt inne und stieß durch ihre schmal gewordenen Lippen den Atem aus. »Ich glaube nicht, dass er noch lebt.«

Yoli schaute Kimathi lange an, ihr Blick flehte nach einer Antwort. Schließlich ergriff Ludwe das Wort, genau wie sie es vereinbart hatten – wenn es um Lungas Tod ging, sollte Ludwe das Gespräch übernehmen.

»Er starb an seinen Schusswunden. 1985 in Tansania«, sagte Ludwe, um einen kummervollen Tonfall bemüht. »Er war eine Vaterfigur für mich. Ich ging 1977 ins Exil nach Tansania, mit zwanzig. Da war Genosse Lunga schon als Veteran bekannt, ein mgwenya. Er hat sich darum gekümmert, dass ich Kleidung und etwas zu essen bekam. Er war mein Lehrer.«

»Haben die Buren ihn erschossen?«

»Ja«, erwiderte Ludwe und wischte sich eine imaginäre Träne aus dem linken Auge. »Bevor er starb, bat er mich, seinen Sohn zu dir zurückzubringen. Er hat so viel von dir erzählt.«

»Und deine Mutter lebt noch?«, wandte sich Yoli an Kimathi.

»Nein. Sie starb 1986«, antwortete er.

Yoli spuckte auf den Boden, um ihr Bedauern auszudrücken.

»Was für ein Jammer! Wie hieß sie?«

»Akila.«

»Waren sie verheiratet?«

»Nein, nie«, sagte Kimathi mit einem verbitterten Lächeln.

Yoli wischte sich über die Nase, dann drückte sie gedankenverloren darauf herum. Sie schloss fest die Augen, öffnete sie wieder und blickte Kimathi aufmerksam an. »Mach dir keine Sorgen. Hier ist dein Zuhause. Ich bin jetzt deine Mutter und deine Tante.«

»Danke«, sagte Kimathi und biss sich auf die Lippen.

»Wann bist du geboren?«

»Im Oktober 1969.«

»Und wie kommt es, dass du so gut Xhosa sprichst?«

»Mein Vater hat es mir beigebracht. Außerdem gab es in Tansania viele Südafrikaner.«

»Hast du auch einen Xhosa-Namen?«

»Ich heiße Fezile.«

Yoli verbarg ihre Überraschung hinter einem zufriedenen Lächeln. »Das ist der Name deines Großvaters«, sagte sie und nickte beipflichtend. »Morgen besuchen wir das Grab deiner Großmutter.«

»Danke«, erwiderte Kimathi. »Und Großvater lebt noch?«

»Leider konnten wir deinen Großvater nicht beerdigen. Aber morgen schlachten wir eine Ziege, und ich werde dich deinem Stiefbruder vorstellen.«

Kimathi wirkte plötzlich verwirrt.

»Oh, hat mein Bruder dir nicht erzählt, dass er noch einen Sohn hat?«, fragte sie schnell. »Er ging damals noch zur High School. Als er 1968 im August fortging, war seine Schulfreundin Bulewa im sechsten Monat schwanger. Sie war auch eine Freundin von mir gewesen. Beide Familien wollten sich treffen, um den Schadensersatz zu verhandeln, als mein Bruder plötzlich verschwand. Im November des gleichen Jahres wurde Nakho geboren.«

»Und wo lebt er jetzt?«, fragte Kimathi.

»In Dikeni. Seine Mutter kommt von dort.« Yoli schwieg eine Weile. »Meine Tochter Unathi hat bei ihnen gewohnt, als sie in Fort Hare studierte. Ich werde ihn später anrufen.«

»Ich möchte ihn unbedingt treffen«.