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Nr. 2707

 

Messingträumer

 

Mit der KRUSENSTERN im Taranis-System – ein Fürsprecher des Atopischen Tribunals erscheint

 

Wim Vandemaan

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

»So viel ist klar«

An Bord der TRELAWNY

Ein Vorschlag und ein Sozialartist

»Ich freue mich auf meine Gäste.«

Ein neuer Mensch

Oh, Danny boy

Die Kolonie der Messingträumer

Showtime

Im Traum des großen Spielers

Perkon

Im Hotel

Nacht an Bord der KRUSENSTERN

Kommentar

Leserkontaktseite

Risszeichnung NAUTILUS I

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine aufregende, wechselvolle Geschichte erlebt: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – haben nicht nur seit Jahrtausenden die eigene Galaxis erkundet, sie sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen – und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Im Jahr 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das nach alter Zeitrechnung dem Anfang des sechsten Jahrtausends entspricht, gehört die Erde zur Liga Freier Terraner. Tausende von Sonnensystemen, auf deren Welten Menschen siedeln, haben sich zu diesem Sternenstaat zusammengeschlossen.

Doch ausgerechnet der Mond, der nächste Himmelskörper, ist den Terranern fremd geworden. Seit einigen Jahren hat er sich in ein abweisendes Feld gehüllt, seine Oberfläche ist merkwürdig verunstaltet. Wer zu ihm vordringen möchte, riskiert sein Leben. Dort herrschen die Onryonen, die im Namen des Atopischen Tribunals die Auslieferung Perry Rhodans und Imperator Bostichs fordern.

Perry Rhodan flieht an Bord der KRUSENSTERN, eines ausgedienten Fragmentraumers, der sich im Privatbesitz eines exzentrischen Milliardärs befindet. Sein Weg führt ihn in andere Sternsysteme. Dort warten die MESSINGTRÄUMER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der von den Atopen gesuchte Terraner besucht das Taranis-System.

Farye Sepheroa – Die Pilotin der KRUSENSTERN stellt wenige Fragen.

Freeman Zennor – Der Rheaner erhält einen besonderen Auftrag.

Dhayqe – Der Tesqire spricht für das Atopische Tribunal.

Announ da Zoltral – Die Arkonidin hilft einem Mitglied der Familie.

»So viel ist klar«

An Bord der KRUSENSTERN

 

25. Juni 1514 NGZ, 20.00 Uhr Terrania-Standardzeit:

Perry Rhodan hörte die Schreie. Er stand für einen Moment still und lauschte.

Die meisten Schreie klangen schrill wie Alarm; andere flöteten, tschilpten und keckerten vor sich hin. Manche Rufe hatten etwas geradezu Verlockendes: mal ein Trillern, mal ein an- und abschwellendes Pfeifen oder eine Melodie, deren Verlauf völlig unberechenbar blieb.

Rhodan fragte sich, welche dieser Vogelschreie ihm gelten mochten und welche nur Verständigungen der Tiere untereinander waren: Warnungen und Versuche, das eigene Territorium zu behaupten, Lockrufe nach Paarungspartnern.

Das Tor hinter ihm hatte sich längst geschlossen. Anders als auf den Gängen roch es dort nicht nach Raumschiff, sondern nach Regen. Er sog den Duft ein; sehr angenehm.

Es war kühl, als wäre es in diesem Raum bereits mehr Abend geworden als im Rest des Schiffes. Eine Brise strich durch die Baumkronen.

Ein weißer Wellensittich flog, als ob er auf einer unsichtbaren Welle glitte, herbei und ließ sich nur eine Armlänge über Rhodan auf einem nachwippenden Zweig nieder. Das Tier musterte Rhodan aus schwarzen Augen, die, obwohl winzig klein, inmitten des weißen Gefieders abgründig wirkten.

»Oxford«, hörte Rhodan eine Stimme sagen. Er blickte nach unten.

Ein Dodo schaute zu ihm herauf. Hatten Vögel ein Gesicht, das Menschen lesen konnten? Wenn ja und wenn Rhodan richtig las, hatte der behäbig wirkende Vogel eine ernste, geradezu strenge Miene aufgesetzt.

»Oxford«, wiederholte der Dodo.

»Ah«, sagte Rhodan und war sich bewusst, dass er schon einmal geistreichere Kommentare abgegeben hatte.

Der weiße Wellensittich flatterte von seinem Zweig auf, umschwirrte Rhodan einmal und ließ sich dann wieder auf dem Zweig nieder.

Der Dodo auf dem Boden beobachtete Perry Rhodan, wie ihm schien, grimmig.

Der Vogel sagte: »Ich bin Oxford. Ist das klar?«

»Bist du ein Roboter?«, fragte Rhodan.

»Nein. Ich bin ein Dodo. Und du? Bist du ein Roboter?«

Rhodan lächelte und ging vor dem Tier in die Hocke. »Wer weiß«, sagte er.

Die Dronte reichte ihm, wenn er stand, bis zur Hüfte. Nun waren sie annähernd auf gleicher Augenhöhe.

Der weiße Wellensittich flatterte wieder auf. Diesmal ließ er sich auf Rhodans linker Schulter nieder. Durch den dünnen Stoff der Kombination spürte Rhodan das leichte Gewicht des Tiers und seine Krallen, die Halt suchten.

»Das ist Philipp«, stellte der Dodo den anderen Vogel vor.

Rhodan schaute nach links und versuchte den Wellensittich zu betrachten, aber er saß zu nah an seiner Wange. »Hallo, Philipp«, sagte er.

»Er spricht nicht«, sagte der Dodo. »Er ist bloß ein einfältiger Vogel.«

Rhodan hielt die Hand an die Schulter, und der Sittich stieg auf seinen Finger. Das Tier legte den Kopf schräg.

»Du bist ein regeneriertes Tier?«, fragte Rhodan den Dodo. Die terranischen Gen-Rekonstrukteure hatten etliche ausgestorbene Arten wieder zum Leben erweckt – wie lautete doch der Schlachtruf der Re-Genetiker? Wir heben das gesunkene Schwesterschiff der Arche Noah.

»Ja. Regeneriert. Das ist klar«, bestätigte Oxford.

»Und darüber hinaus genetisch optimiert«, murmelte Rhodan.

Wahrscheinlich eine von Viccor Bughassidows Spielereien. Hin und wieder machte das Schiff des Magnaten, die KRUSENSTERN, den Eindruck, eine gigantische Spieluhr zu sein. Das Kuriositätenkabinett eines großen Jungen, der sich erlauben konnte, alle Träume Wirklichkeit werden zu lassen.

»Das ist Faryes Garten«, sagte der Dodo.

Perry Rhodan sah sich um. Die Anlage war perfekt. Er konnte nicht sagen, welche Felsen stofflich, welche Bäume wirklich lebendig waren und welche nur holografische Vorspiegelungen.

Philipp, der leise Knacklaute von sich gab, war jedenfalls echt.

Und Oxford? Rhodan streckte die Hand in Richtung der Dronte aus. Dodos hatten auf Inseln im Indischen Ozean gelebt, auf Mauritius und anderen Eilanden, deren Namen er vergessen hatte. Sie hatten keine natürlichen Feinde gehabt und waren auch Menschen gegenüber arglos und zutraulich gewesen. Zu ihrem Verderben. Rhodan streckte die Hand aus, um das Tier zu streicheln.

Der Dodo wich mit einem ansatzlosen Hopser zurück. »Anfassen verboten«, beschied er Rhodan.

»Hab keine Angst«, sagte Rhodan.

»Ich war ausgerottet«, sagte der Dodo empört. »Man hat mich gefressen.«

»Ich weiß«, sagte Rhodan. »Aber dafür kann ich nichts. Das war vor meiner Zeit. Ich habe niemals Dodos gegessen.«

»Mangel an Gelegenheit«, bemerkte Oxford misstrauisch.

Rhodan seufzte und richtete sich wieder auf. Irgendwo in diesem Garten musste sich der eigentliche Wohn- und Schlafbereich seiner Enkelin befinden. Oder schlief sie im Freien dieser Anlage?

»Führst du mich zu ihr?«, bat Rhodan.

»Wieso?«

Gute Frage. »Nur so.«

Der weiße Wellensittich – Philipp – ließ ein melodisches Zwitschern hören. Oxford drehte sich um, wedelte auffordernd mit den nutzlosen Flügeln und marschierte los. Rhodan folgte ihm. Der Boden war erdig, weich und federte bei jedem Schritt.

Oxford glitt erstaunlich behände durch das Unterholz. Der Pfad wurde schmaler. Philipp drückte sich an Rhodans Wange.

Sie kamen an einer Vogeltränke vorbei: Eine stilisierte Muschelhälfte, wohl aus Marmor, ruhte auf einer schmalen Säule. Das Wasser stand bis zum Rand der Muschel. An diesem Rand saß eine handspannengroße Figur aus Ton, die einer Nixe nachgebildet war. Der Fischschwanz der Nixe hing im Wasser. Die Figur war kunterbunt bemalt. Ihr rot geschminkter Mund lachte; das lange Haar leuchtete smaragdgrün. Sie wirkte einfach gestaltet, wie von Kinderhand, was Rhodan auf unbestimmte Art rührte.

Sie gingen weiter und gelangten an einen Teich.

»Wir sind da«, sagte Oxford.

Farye schwamm in dem Gewässer, das zehn Meter durchmessen mochte. Die junge Frau bewegte sich mit langsamen, ruhigen Zügen, fast ohne Wellen zu werfen. Sie entfernte sich von dem Ufer, an dem Rhodan stand.

»Farye!«, krähte der Dodo.

Die Pilotin der KRUSENSTERN hielt inne und richtete sich auf. Das Wasser reichte ihr nur bis knapp über die Hüfte. Sie drehte sich suchend um. Ihr Oberkörper war unbekleidet.

Rhodan winkte.

Farye schob sich durch das Wasser zum Ufer, aber nicht auf Rhodan zu. Sie stieg an Land. Sie war nackt. Sie beugte sich zu Boden und wühlte in einem Haufen von Kleidungsstücken. Dann streifte sie sich ein blaues, fast knielanges Hemd über und knöpfte es zu. Ohne Eile näherte sie sich Rhodan und dem Dodo.

»Du hast Freundschaft geschlossen?«, fragte sie, während sie Oxford behutsam den Kopf tätschelte. Oxford gurrte. Sie streckte den rechten Arm aus; Philipp wechselte von Rhodans Schulter auf ihre Hand.

Sie war 26 Jahre alt, dabei mädchenhaft schlank. Das Wasser hatte ihr halblanges braunes Haar zu dicken Strähnen verbunden. Ihre Schläfen lagen frei, sodass Rhodan die fingerkuppengroßen, flachen, kaum sichtbaren Einbuchtungen sehen konnte. An jener Stelle hatten die Vortex-Augen von Faryes Großmutter gelegen. Faryes Großmutter, die eine Tochter oder einen Sohn gehabt hatte, die Mutter – oder der Vater – Faryes. Ein Kind, das auch Rhodans Kind war.

Er hatte von diesem Kind nichts gewusst. Er wusste nicht einmal, ob Farye wusste, dass sie – und wie eng sie – verwandt waren. Er wusste ferner nicht, ob Viccor Bughassidow es wusste, der Eigentümer dieses Schiffes, das er den Posbis abgekauft hatte.

Er wusste gar nichts.

Aber diese Ahnungslosigkeit machte ihn weder unruhig noch zornig. Sie war fast angenehm, eine Spannung, die er als Kind gekannt hatte, wenn er die Umrisse der Weihnachtsgeschenke unter dem Baum gesehen, aber das Geheimnis noch nicht gelüftet hatte.

»Wir erreichen das Taranis-System in einer halben Stunde«, sagte er.

Sie hob verblüfft die Augenbrauen. »Ist das interne Kommunikationssystem ausgefallen, dass man dich als Boten schickt?«

Er lachte leise. »Geht es dir gut?«

»Du meinst, ob es mir gut geht, nachdem ich ins All geschleudert wurde und das Boot mit dem Balg explodierte?«

»So etwas erlebt man nicht alle Tage«, sagte Rhodan.

»Nein«, sagte sie, obwohl er das Gefühl hatte, dass ihr etwas ganz anderes auf der Zunge gelegen hatte.

»Du bist ja gewissermaßen auf Rhea zu Hause«, sagte er. Rhodan wusste, dass seine Enkelin die CD, die Conrad-Deringhouse-Akademie auf Rhea, besucht hatte, eine altehrwürdige Einrichtung der Solaren Flotte. Bughassidow hatte sie vor drei Jahren von der Flotte abgeworben und als Pilotin der KRUSENSTERN engagiert.

Attilar Leccore, der Leiter des Terranischen Liga-Dienstes, hatte ihm diese Hintergründe erzählt.

»Ja«, sagte Farye. Sie sah Rhodan an und schien doch zugleich in sich selbst versunken zu sein, tief unter die Oberfläche ihres Gesprächs. Geistesabwesend teilte sie sich die Strähnen am Scheitel und strich sich die Haare so in die Stirn, dass die Echos der Vortex-Augen verdeckt wurden.

Rhodan versuchte sich an das Gesicht ihrer Großmutter zu erinnern, an die Tefroderin Caadil Kulée amya Kertéebal. Es misslang. Im Jahr 1458 NGZ war Rhodan mit ihr auf Airmid gewesen. Dort waren sie – die einzigen Menschen in der Stadt der tausend Welten – einander vertraut geworden.

Dort hatte er sie töten müssen, um sie zu retten; sie war reanimiert und geheilt worden.

Danach hatten sie einander nur noch selten gesehen. Davon, dass sie von ihm schwanger und Mutter geworden war, hatte sie Rhodan nichts berichtet.

Vertrautheit entstand; Vertrautheit erlosch.

Aber es war merkwürdig, wie ein Mensch, den man überhaupt nicht gekannt hatte, plötzlich eine Lücke reißen konnte wie dieses ihm unbekannte Kind.

Die Aufmerksamkeit kehrte zurück in Faryes Augen. Sie fragte: »Du wirst auf Rhea vom Schiff gehen und von dort zurück nach Terra?«

Er hatte lange darüber nachgedacht. »Nein«, sagte er. »Werde ich zunächst nicht. Ich könnte zu einer Gefahr für das ganze Solsystem werden.«

Sie lachte ein merkwürdig dunkles Lachen, das ihn stärker an Caadil erinnerte als ihr Gesicht. »Das wäre nicht das erste Mal, oder?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich will zuerst mehr über das Tribunal erfahren. Ich hoffe, solange ich nicht auf Terra bin, ist das Solsystem nicht in akuter Gefahr. Günstigstenfalls halten mich die Onryonen für tot. Wahrscheinlich glauben sie, ich säße auf Luna fest und sie könnten mich bald in die Hände bekommen. Auch wenn ich erst vorgehabt habe, die Aufmerksamkeit von Luna und dessen Widerständlern abziehen zu können, scheint mir das in der derzeitigen Situation nicht klug. Ich muss hoffen, dass es ihnen gut geht – so gut das eben möglich ist. Sollen die Onryonen oder die Atopischen Richter, wenn es sie denn gibt, mich getrost noch auf Luna vermuten.« Er grinste. »Oder anderswo.«

»Anderswo. An Orten, die damit in Gefahr zu bringen dem Polyport-Präfekten stattdessen beliebt. Im Taranis-System.« Farye sah ihn einen Moment so an, dass Rhodan glaubte, sie habe jemanden in ihm erkannt. »Dennoch – eines Tages wirst du dich diesem Atopischen Tribunal stellen, nicht wahr?«

»Atopisch«, sagte Rhodan. »Wir wissen nicht einmal, was damit gemeint sein könnte. Wörtlich übersetzt bedeutet es Ortlosigkeit. Es kann etwas bezeichnen, was nicht zuzuordnen ist, oder etwas, das fassungslos macht und sprachlos.« Er lachte trocken auf. »Aber niemand weiß, wie die Richter selbst den Begriff verstehen. Wenn es diese Richter überhaupt gibt und sie nicht nur Legenden sind, Mythen in den Köpfen der Onryonen.«

»Was du herausfinden wirst.« Sie lächelte. »Spätestens sobald du dich ihnen stellst.«

Rhodan nickte. »Eines Tages. So oder so.«

Er suchte in ihrem Blick nach dem Anflug einer Besorgnis um ihn. Aber darin lag nichts als eine unverhohlene, kindliche Neugier.

»Was meinst du? Soll ich mich stellen?«

Sie unterdrückte ein Lachen. »Das fragt der Unsterbliche eine unerfahrene Pilotin?«

»Das fragt er sich selbst«, sagte er.

»Und was antwortet er sich?«

»Dass er vorläufig keinen Grund dafür sieht. Und dass er sich der Willkür, nur weil sie Gewalt hat, nicht beugen wird.«

»Das ist ja klar!«, warf der Dodo ein.

 

*

 

»Bist du je auf Rhea gewesen?«, fragte Viccor Bughassidow.

Marian Yonder, der Kommandant der KRUSENSTERN, überließ das Orbitalmanöver der Positronik des alten Schiffes.

Alt traf es in diesem Fall wirklich: Als die KRUSENSTERN – damals natürlich unter einem anderen Namen – zum ersten Mal zu den Sternen geflogen war, vor etwa elftausend Jahren, hatte eben das Mittelmeer den Bosporus überflutet, und der Meeresspiegel des Schwarzen Meers war um einhundert Meter gestiegen – ein Ereignis, dessen nachfolgende Generationen als Sintflut gedachten. Ein vorsintflutliches Schiff. In Mesopotamien waren die ersten Buntkeramiken entstanden. In Europa hatte die Kupferzeit begonnen. Und die Maschinenzivilisation der Posbis war bereits schneller als das Licht durch die Milchstraße gereist.

»Natürlich bin ich auf Rhea gewesen«, sagte Rhodan. »Einige Male sogar. Zum Beispiel zur Einweihung der CD.«

»Vor zweitausend Jahren«, murmelte Bughassidow. »Ist ja ein zeitlicher Katzensprung.«

Rhodan zuckte die Achseln.

Der mächtige Stahlwürfel, der eine Kantenlänge von zweieinhalb Kilometern aufwies, schwenkte in den Orbit um Rhea ein. Im Holo spielte sich das lichte Spektakel ab: Dass Taranis, eine Sonne des Typs G5V, geringfügig kühler war als Sol, sah man ihr nicht an. Wohl aber war deutlich, dass sich in diesem Sonnensystem mehr als zwölfmal so viel Staub in Sonnennähe befand als im Solsystem.

Die Staubscheibe um Taranis sorgte mit ihren Asteroiden und Kometen dafür, dass die Planeten mehr Einschlägen ausgesetzt waren als Terra und ihre planetaren Schwestern.

Viel Arbeit für die Raumgärtner des Systems, die die anfliegenden Feld- und Metallbrocken auf einen verträglicheren Kurs brachten. Wenn es sich lohnte, wurden die Irrläufer den Verwertungsfabriken zugeführt, die an den Lagrangepunkten der Planetenbahnen schwebten und Metalle abbauten, Platin, Paladium und – wenn auch nur selten – Hyperkristalle.

Die Familie Bughassidow war seit zahllosen Generationen auch in diesem interplanetarischen Minengeschäft tätig.

»Taranis. Eine verschleierte Schönheit«, sagte Viccor Bughassidow, als stellte er eine alte Freundin vor.

»Hm«, sagte Rhodan. Seine Aufmerksamkeit galt längst Rhea. Die ersten beiden Planeten von Taranis waren wenig gastlich: Caduceus, die innerste Welt, erinnerte an Merkur; Egret, die Nummer zwei, war eine Art Mars.

Die Terraner – oder Rheaner –, die sich auf Egret aufhielten, lebten in mobilen Städten und widmeten sich dem Rohstoffabbau. Walking Diggers nannten sie ihre Schürfstädte. Nicht wenige von ihnen gehörten ebenfalls den Bughassidows.

Die Terraner waren nicht wegen Egret und nicht wegen Caduceus ins Taranis-System eingewandert, sondern der blauen Kugel wegen, die sich wie ein mundgeblasener, gläserner Globus eben über die Wölbung von Iapetos ins Sonnenlicht schob.

Gegen den Gasgiganten Iapetos mit seinen 280.000 Kilometern Durchmesser hätte der solare Jupiter wie ein kleiner Bruder ausgesehen.

Iapetos war mit seinen 98 Monden ein System für sich. Rhea war der größte unter diesen Trabanten – und mit seinen 12.368 Kilometern Durchmesser nur unbedeutend kleiner als die Erde. Und er war der bei Weitem menschenfreundlichste Begleiter des Gasgiganten.

Die Stimme der Positronik klang auf: »Raumüberwachung Rhea bietet eine stabile Orbitalposition an. Höhe der Parkposition 550 Kilometer; rheanischer Referenzpunkt New Trerice auf Great Kernow.«

»Gut«, sagte Viccor Bughassidow. »Aber wir drehen noch eine Runde. Schließlich« – er grinste kurz in Richtung Rhodan – »haben sich seit dem letzten Besuch unseres Gastes die Kontinente deutlich verschoben.«

Rhodan lächelte zurück. Er gönnte Bughassidow die Show. Ein leises Zischen; die Tür zur Zentrale glitt auf. Farye betrat den Raum, nun mit einer Jeans und einem dunkelblauen Rollkragenpullover bekleidet. Anstelle von Schuhen trug sie eine transparente Laufschicht. Sie nickte Rhodan, Yonder und Bughassidow kurz zu und nahm im Pilotensitz Platz, ohne sich die Kontrollfunktionen übertragen zu lassen.

Im Panoramaholo sah Rhodan einen Kontinent im Licht von Taranis liegen, smaragdgrün und von dunkelblauen Adern durchzogen. In der Mitte schien ein tiefblaues Herz zu schlagen.

»Das ist Quatermaina«, erklärte Viccor Bughassidow. »Ein Naturschutzgebiet. Von Menschen unberührt. Der große See dort ist der Rither-See. Sehr tief.«

»Und völlig unberührt«, warf Rhodan ein.

»Absolut.«

»Wie oft taucht und forscht jemand wie Viccor Bughassidow in diesem völlig unberührten Gewässer?«

Leises Lachen. »Selten.«

Zwei weitere Kontinente kamen in Sicht, Blostonia und Selousia, dann schwenkte die KRUSENSTERN auf die Seite von Rhea ein, die unabänderlich Iapetos zugewandt war.

Der Mond umkreiste seinen Planeten binnen dreißig Tagen in einer gebundenen Rotation. Die Tage und Nächte waren lang und häufig stürmisch.

Rheas Ozeane dagegen waren seicht und warm. Aufgrund der Gezeitenwirkung des Gasriesen wies Rhea eine starke seismische, tektonische und vulkanische Tätigkeit auf; die Auswirkungen der Vulkanausbrüche wurden durch technische Sicherheitseinrichtungen weitgehend gezähmt, sodass keine Gefahr für die Bewohner des planetengroßen Mondes bestand.

Der große Kontinent, der die nördliche Hemisphäre beherrschte, lag in einer von Millionen Lichtern erleuchteten Finsternis. »Great Kernow«, sagte Bughassidow. »Und die große Stadt westlich vom Pentreath-Gebirge ist New Trerice. Die größeren Städte im Osten heißen Bangor, City of Gabriel und New Truro. Aber die meisten Rheaner leben in New Trerice. 50 Millionen. Überwiegend Terraner.«

»Überwiegend. Und außerdem?«

»Ein paar Tausend Cheborparner, die ja immer dabei sind, wenn es gilt, andächtig den Ausbruch von Vulkanen zu bestaunen. Akonen, natürlich. Besonders in der City of Gabriel. Und auf Blostonia haben wir eine kleine, feine, fidele Arkonidenkolonie.«

»Was verstehen wir in diesem Fall unter fidel?«

Bughassidows Lächeln gefror. »Lassen wir die Arkoniden beiseite.« Er wandte sich der Pilotin zu. »Ist die Parkposition in Ordnung, die wir einnehmen sollen?«

Farye warf einen kurzen Blick auf einen Monitor. »Beinahe lotrecht über SPP.«

Bughassidow bemerkte Rhodans fragenden Blick und übersetzte: »Über Space Port Penrhyn.« Er gab Farye einen kurzen Wink. »Wir bedanken uns für das Angebot, schwenken aber ein wenig zur Seite!«, kommandierte er. »Wir platzieren uns – lotrecht – über unserem Anwesen.« Er zwinkerte Rhodan verschwörerisch zu. »Ich weiß meine Fahrzeuge gerne in der Nähe geparkt.«