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E t a p p e Eins

SÜDAFRIKA BIS NAMIBIA / 1977 – 1992

-Saldanha-

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Die Straßen die vom Overberg, östlich des Kaps der guten Hoffnung, in Richtung Nordwesten führen durch einige der reizvollsten Gegenden unserer Erde. Gleichzeitig sind sie wahre Benzinfresser. Jedes Dorf liegt eingebettet in sein eigenes Tal: Jetzt im Winter erstrecken sich die Weinreben gerade noch rötlich-gelb über ein Großteil der Landschaft, während die Wiesen vom neuerlichem Regen so grün erstrahlen, dass es fast wehtut, sie anzuschauen. Und all dies wäre nie möglich gewesen ohne die schroffen Berge, die hier hintereinander die Landschaft prägen, für Niederschlag sorgen und denen es für mich vor allem zu überwinden gilt.

Um hier vom Dorf zu Dorf zu gelangen, muss man jedesmal einen steilen Pass auf jener sich windenden, wenngleich aufregenden Straßen erklimmen. Hält man einmal inne, muss man den Pionieren, die sich hier vor Jahrhunderten mit nichts als Ochsenwaggons und Pferden vorgeprescht haben, vom Herzen bewundern. Diese Menschen verbrachten oft ihr Leben damit, das nächste und hoffentlich fruchtbare Tal in dieser einstigen Wildnis zu erschließen. Oft nur 10 Kilometer entfernt. Heute fährt man gedankenlos durch, wenn man nicht gar schlafend im Flugzeug nichts von alledem mitbekommt.

SÜDAFRIKA

Wahlspruch: !ke e: !xarra !ke

(Xam für: Verschiedene Völker vereint)

Staatsoberhaupt und Regierungschef

Präsident Jacob Zuma

Fläche 1.219.912 km²

Einwohnerzahl 49.991.300 (2010)

Bevölkerungsdichte 41 Einwohner pro km²

Bruttoinlandsprodukt Total (nominal) $ 408,0 Milliarden (29.)

Total (PPP) $ 555,1 Milliarden (25.)

BIP/Einw. (nominal) $ 8.066 (71.)

BIP/Einw. (PPP) $ 10.973 (79.)

Human Development Index 0,683 (129.)

Währung: Rand

Unabhängigkeit 31. Mai 1910

Zeitzone UTC+2

Kfz-Kennzeichen ZA

Internet-TLD .za

Telefonvorwahl +27

(Alle Länderinformations-Tabellen laut www.Wikipedia.de)

Ek sal vir meneer een ding sê: die lewe is nie ´n speletjie nie“, so mein heutiger Kleurling hitchhiker, ein Lebenskünstler namens Boetie. Er versuchte nur seine Liebste hier in Sandanha an der Westküste zu erreichen, auch wenn er mit 27 wohl sonst noch nichts erreicht hat. Das Leben ist sicher kein Spiel sondern immer noch eine Reise, egal, wie weit sie physisch führt. Diese Reise ist nun mal auch das Ziel.

„Niks is ooit verniet nie“, gab er auch von sich, bereits leicht betrunken vom billigen Obstwein. Auch damit hat er sicher irgendwie recht: nichts ist wirklich gratis, andererseits ist auch nicht alles umsonst.

Ich versuche gerade eine Reise der etwas ungewöhnlicheren Art in meine Lebensreise einzubauen: Ich werde das südliche Afrika per Auto erkunden, mit dem Budget eines Mittelmeerurlaubs ab Deutschland. Ausgerüstet mit nur einem Zelt, ein Fahrrad und allem, was sonst dazugehört und auf mein kleines Bakkie: Pick-up passt. Ja, geplant sind 8.000 Kilometer im Auto und dass noch allein ist nicht gerade umweltfreundlich!

Doch: 1. Werde ich so viele einzelne Anhalter wie möglich mitnehmen – es ist schließlich Afrika! 2. Habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, so sparsam wie möglich zu fahren. Derzeit schafft mein Fort „Bantam“ stolze 16 Kilometer pro Liter. 3. Schließlich habe ich mich in den letzten 16 Jahren fast ausschließlich per Fahrrad und Bahn fortbewegt.

In Afrika geht das natürlich nicht! Hier gibt es nur Bahnen für die ganz Armen und die ganz Reichen (Bloutrein). Radfahren, um außerhalb einer Großstadt zuverlässig von A nach B zu kommen ist reizvoll, doch allenfalls ein riskantes Unternehmen: Autos und Trucks nutzen hier gerne auch den Seitenstreifen, um Schnellere vorbeizulassen und ein Abstand von 1,5m zur Radfahrer hat sich bislang kaum durchgesetzt.

Nein, ich bin gerade erst seit ein paar Monaten wieder in meiner Heimat Südafrika, nachdem ich die letzten 16 Jahre im schönen und aufregenden Köln am Rhein verbracht habe.

Es war das dritte Mal auf meiner Lebensreise, dass ich ausgewandert bin: einmal ungewollt weil ich gerade 2 Jahre alt war, dann mit 18 voller Hoffnung auf ein besseres, aufregenderes Dasein und diesmal mit der Erkenntnis, dass ich für mein eigenes Glück verantwortlich bin und dafür kein bestimmtes Land brauche. Südafrika ist einfach reizvoller und wärmer!

Bereits sehr früh an diesem nebligen Tag verabschiedete ich mich, hörte mir noch einmal die gutgemeinten Ratschläge der Familie und Freunden an und brach auf. Die erste meiner selbstgebrannten CDs spielte „Where the streets have no name“ von U2. Ich fand dies geradezu perfekt passend und kam ordentlich in Reisestimmung.

Nun musste ich mich bis zum Mittag mit dem Einkauf der nötigsten Lebensmittel und übrigen Gebrauchsgegenstände beschäftigen. Ohnehin: was würde ich alles brauchen und was sollte ich mir täglich kochen? Fürs Essen gehen war kein Platz im Budget. Die Zeit würde es mir zeigen. Auf etwas umständlichen Wegen begab ich mich dann zur Lagune Saldanhas und Langebaans, wo ich nach guten dreihundert Kilometer zum ersten Mal ausspannen sollte. Ich war global noch genauso weit weg von Kapstadt als zum Tagesbeginn: nur zirka 100 Kilometer!

Kurz nach Sonnuntergang, als ich mein spärliches Zelt aufgestellt hatte und zum ersten Mal einen Kaffee auf einem Gasbrenner bereitet hatte (mmh lecker instant!), schaute ich auf die großen Schiffe im Hafen von Saldanha: Meist Erz-, Öl- und Containerschiffe, dessen Lichter bereits orange schienen und die sicher ab morgen wieder in aller Welt hinausfahren werden.

* * *

Einst fand ich meine Seebeinen auf einen ähnlichen Kahn: mit anderthalb Jahren nahmen mich meine Eltern mit auf einer Reise, die mein Leben prägen sollte. Damals konnte man noch für kleines Geld als Passagier auf einem Frachtschiff die Welt umsegeln, doch wir wollten nur von Venedig über Bombay und Colombo auf die Seychellen. In Holland beziehungsweise im Schwarzwald war es meinem Vater nämlich bei weitem zu kalt und ungemütlich!

Er wuchs im tropischen Indonesien auf: Im Krieg entkamen er und seiner Familie dadurch den Holocaust, obgleich auch knapp den Tod, da die Japaner alle Kolonisten für 3 Jahre ins Konzentrations- und/oder Arbeitslager steckten. Nach der Unabhängigkeit waren Europäer dann ohnehin nicht mehr willkommen. Er lernte nach weiten Reisen meine Mutter, ein damals 17-Jähriges deutsches Mädchen mit holländischer Adoptivmutter, in Amsterdam kennen. Bald hockte er anderthalb Jahren lang, während ich zur Welt kam, auf einem miserabel beheizten Bauernhaus nähe Freiburg. Nein, so konnte es nicht weiter gehen, man hatte Fernweh nach wärmeren Gegenden und so stachen wir ins Meer.

Die Seychellen waren alles, was man sich so drunter vorstellt, nur war kein vernünftiger Arbeitgeber in Sicht. Wir wohnten großenteils im Freien, bedienten uns vom Meer und Kokosnüssen, backten Brot in einem selbstgebauten Lehmofen und fühlten uns ein wenig wie die Robinsons. Ich erinnere mich noch vage daran, dass meine Eltern mich beim Schwimmen im klaren warmen Wasser unter Palmen davor warnten, ja nicht auf die Seeigel zu treten. Und dass ich zum 2. Geburtstag von allen Dingen eine kleine blaue Gießkanne bekam. Wir hielten es letztendlich nur 9 Monate aus, bis dahin war für mich auch schon ein Schwesterchen unterwegs.

„…das erinnert mich an meiner Zeit am Limpopo, da musste ich mein eigenes Haus bauen / war mein Bakkie einmal hoffnungslos im Schlamm versunken / waren die Gottesanbeter so groß wie Ratten…“, und vielem mehr würde mein Vater auch heute noch in etwa zum Gespräch beitragen, wenn es um das wilde Frontierleben in Afrika geht. Nachdem er im wahrsten Sinne als Steuermann auf Frachtschiffen die Welt bereist hatte und es seine gleichzeitige erste Ehe (wohl aus dem Grund) nicht mehr gab, landete er Anfang der 70’er im hohen Norden Südafrikas. Dort versuchte er sich mit Erfolg als Farm-Manager. Die Arbeitserlaubnis war 1980 noch gültig und so kamen wir hierher.

In Franschhoek, das einst beschauliche und immer noch sehr schöne Weinbaudorf der Französischen Hugenotten am Kap, heuerte mein Vater erneut als Farm-Manager an. Dort lebten wir in ein kleines schnuckliges Haus umgeben von Obsthainen, Blumenbeete, Eichen und Trauerweiden. Unter jenen Bäumen verbrachte ich meine schönsten Stunden - allein der Duft dieser Gegend ruft so viele schöne Erinnerungen in mich wach, dass ich letztendlich nicht anders konnte als wieder ganz in der Nähe zu landen.

Das heutige Franschhoek ist geprägt von anmutigen Weingütern mit wohlklingenden französischen Namen, doch vor allem vom Tourismus: die Hauptstraße ist voller Restaurants, Cafés und teuren Boutiquen. Die Seitenstraßen sind mittlerweile asphaltiert und Häuser wurden auf jedem freien Winkel errichtet. Als ich in den Kindergarten ging, war dies noch ein Raum neben der Tankstelle: Dort erschrak sich meine Mutter eines Tages zur Tod weil man gerade eine (für mich dreifach) riesige Grube für einen neuen Benzintank aushob. Dorthin und zur ersten Schulklasse durfte ich selbstständig auf dem Fahrrad auf noch nicht geteerten Straßen fahren und unterwegs Brombeeren essen!

Die Hauptroute ins Dorf führte über den Bergrivier, voller weiße Kieseln, und die uralte Brücke hatte nur eine Spur. An Wochenenden gingen wir öfter in die Kieferplantagen, die meine Eltern wohl etwas an Europa erinnerten, um uns Pilze und Wildblumen anzuschauen. An der Hauptstraße im Dorf ist heute noch ein kleiner Brunnen, wo ich hin und wieder auch meine Münzen hineinwerfen durfte und einen Wunsch frei hatte. Ich hätte mir wohl gewünscht, nie von dort wegzuziehen.

Beinahe wäre ich dort aber auch beerdigt: ich entwickelte mit knapp 3 Jahren eine seltene, zumal dort nicht identifizierbare Tropenkrankheit (wohl ein Mitbringsel aus den Seychellen). Nachdem ich völlig dehydriert ins weit entfernte Krankenhaus gebracht wurde, wo ich wochenlang unter strengste Beobachtung stand, kam ich knapp mit dem Leben davon. Vermutlich lässt sich daher auch heute noch mein Magen von nichts beeindrucken!

In Franschhoek kamen auch meine beiden Geschwister zur Welt: wir sind jeweils 3 Jahre auseinander. Damals war es für meine Eltern noch eine Qual, mit einem alten „Datsun“ Pickup, der nicht immer starten wollte, ins nächstgelegene Krankenhaus zu fahren. Im Winter kann es am Kap, vor allem in den bergigen Regionen, nämlich bitter kalt und regnerisch werden (die Bergspitzen sind dann auch ganz un-afrikanisch schneebedeckt). So schaut es auch derzeit schon wieder aus, daher wählte ich gerade diese zeit um Richtung Norden aufzubrechen – sozusagen der Sonne hinterher.


-Garies-

Das Grüne, das winterlich kühle, das verschachtelt bergige Land vom Westkap ändert sich in nördlicher Richtung bereits Nähe Saldanha: Es öffnet sich, die Berge werden niedriger, die Felder größer und auch weiter auseinander. Man erkennt deutlich, dass es hier nicht soviel regnet. Namibia ist noch 600 Kilometer entfernt doch schweben hier bereits die ersten Rolbosse durch die Gegend. Ich fühlte mich genauso leicht und vom Wind getragen wie in Bles Bridges‘ „Ruiter van die windjie“. „…Ewig op jou ruggie will ek ry…“. Hier sieht man Arbeiter, die diese Wüstenpflanzen, zeugen eines dürren Sommers, inmitten grüner Wiesen wie ungute Geister verbrennen. Als ob sie nicht zum derzeitigen grünen Erscheinungsbild passen würden.

In Saldanha war es gestern ganz schön eisig und ich musste um 5:30 Uhr schon aufstehen um mich mit ein wenig Joggen warm zu kriegen. Eine lange, immerhin warme Dusche im kargen „Ablusieblok“ (ein Gebäude mit zig WCs, Duschen und Badewannen sowie Waschtruhen und Wäscheleinen draußen) half mir dann auch, die Zeit bis es um 9:30 Uhr endlich hell wurde, zu überstehen.

Auf typisch afrikanischer Art konnte ich schnell die Hilfe zweier Arbeiter zum Anschieben meines Autos in Anspruch nehmen und sie lachten noch dabei. Ich war abends beim Schreiben auf dem Laptop, der leider einen schwachen Akku hat, dämlich genug um dabei meine wohl etwas betagte Autobatterie komplett leer zu kriegen. Doch nun ging es weiter!

An der Lagune Saldanhas und Langebaans sowie etwas landeinwärts bei Velddrif, kann man aus der sicheren Entfernung zahlreiche Zwergflamingos, Wildgänse und, mit etwas Glück, auch Pelikane im seichten Wasser und auf Salzwiesen beobachten. Die Lagune erstreckt sich mit seinem riesigen weißen Strand über ca. 15 Kilometer: trotz weitläufiger Bebauung, davon die schönsten Häuser im Urlaubsort Langebaan, ist ein Großteil der Landschaft geschützt. Somit ein wahres Paradies für Vögel aller Art und deren menschlichen Freunden.

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Bei Piketberg, ein höher gelegenes, schmuckes Dorf, trifft man auf der Cape Namibia route: Die N7. Nicht, wie man sich in Europa eine Autobahn vorstellt – tatsächlich sind die wenigsten Hauptstraßen hier derart ausgebaut, außer in der Nähe der Ballungszentren. Der Verkehr ist hier angenehmerweise erheblich ruhiger als in Europa! Die N7 ist hier lediglich eine zweispurige Straße, die noch einige niedrige Pässe überwindet um dann oft zehnfache Kilometer weit gerade aus zu verlaufen.

Die nette afrikanische Angewohnheit, schnellere Verkehrsteilnehmer vorbeizulassen bzw. von langsameren vorbeigelassen zu werden durch, wie erwähnt, Fahren am „gelben“ Straßenrand kann man hier vergessen, denn dieser ist nicht mehr befestigt und es besteht große Gefahr durch Steinschlag, sollte man es doch versuchen. Nicht desto trotz kann man auf den langen, geraden Strecken problemlos überholen und Stress kommt beim Fahren gar nicht erst auf.

Ungefähr alle 50 Kilometer kann man beobachten, wie die Gegend karger und trockner wird: die Berge, die den Plateaurand im Osten formen, sind nur niedrig und weiter auseinander. Ohnehin ist die Westküste eine dürre Region bis hin zu den ur-Wüsten: die Kalahari und der Namib. Der Boden ist bereits hier, weit südlich dieser Gegenden, nur spärlich bewachsen. Der Landbau beschränkt sich auf wenigen angepassten Gewächsen und Schafe. Eine Ebene nennt sich etwa Knersvlakte (wie das Knirschen der zahlreichen Kiesel).

Nach Piketberg erreich man das passend benannte Citrusdal, wo diese Früchte die Sonne genießen aber auch nur durch kanalisierte Bewässerung aus dem Olifantsrivier überleben können. Übrigens muss Südafrika, zweitgrößter Produzent nach Spanien, neuerdings seine Citrusfrüchte verstärkt nach Asien exportieren, da die Wirtschaftskrise in Europa den Menschen wohl eher lokale Äpfel kaufen lässt…

Die bedeutenden Dörfer sind nun schon jeweils 100 Kilometer auseinander. Nach einer solchen Strecke, unterhalb eines riesigen Staudammes, erreicht man Clanwilliam. Der rustikale Ort mit seiner prächtigen Kirche und einer Hauptstraße aus Betonplatten ist ein Zentrum der Rooibostee-Industrie. Rooibos ist Südafrikas Nationalgetränk und wird spätestens seit 2010 auch gerne in Europa getrunken. Darüber, dass man dort Rooibos mit Vanille und Ähnlichem verkuppelt, kann jeder Südafrikaner jedoch nur den Kopf schütteln. Am besten trinkt man es nämlich pur, mit Honig oder etwas Milch.

Der Rooibos ist wie der Name sagt, ein Busch der im trocknen Zustand rötlich gefärbten Blätter produziert und ähnelt der klassischen Teepflanze in keinster Weise. Es ist eher eine Art Fynbos. Noch ein bisschen Naturkunde: Fynbos – feiner Busch – besteht aus abertausenden Arten, die hier im Kapland jedes freie Stückchen Natur für sich in Anspruch nehmen. Manche haben tatsächlich sehr feine Blätter und Blumen, manche, wie die Proteas, werden große Sträucher und können die wunderschönsten Blüten hervorbringen. Jede Pflanze ist perfekt an sein eigenes kleines Mikroklima angepasst und somit sieht man die gleiche Art oft nur in ganz kleinen Grüppchen und an wenigen Orten. Zusammen – und darauf sind wir Südafrikaner stolz – formen sie das sechste Pflanzenreich und sind ursprünglich nur hier zu finden.

Inmitten von kärglichen Dornbäumen sitze ich, mein Ziel erheblich näher, nun im Namaqualändischen Garies. Von Augustus bis Oktober erblüht das Namaqualand, nach gutem Regen, in einem bunten Teppich aus verschiedensten Feldblumen. Außerhalb dieser Zeit verirrt sich hier leider kein Tourist und somit habe ich den Campingplatz heute für mich ganz alleine!

Zum Glück gibt es Strom, aber die Beleuchtung ist so platziert, dass ich im Dunkeln sitze. Doch im Dunkeln geschehen oft die schönsten Dinge: ich durfte mein zusammengewürfeltes, wenngleich sehr schmackhaftes Mahl unter klarem Sternenhimmel genießen. Nirgendwo erstrahlen die Sterne wie in der fast unbewohnten Halbwüste! Noch ein Vorteil: wo ich gestern zusammengekauert im Auto schreiben musste, kann ich heute weitgehend im Freien an der Ladeklappe auf mein Camping-Hocker sitzen, denn es wird hier abends nur langsam kühler.

* * *

Meinem Vater, dem Tropenmensch, zog es der Kälte wegen nach 4 Jahren auch wieder in den Nordosten des Subkontinents. Inmitten meines ersten Schuljahres unternahmen wir daher den eigenen großen Trek ins subtropische Laefeld, wo auch der berühmte Kruger Nationalpark liegt. Ein ganz kleines Nest Nähe des Touristenortes Hoedspruit (Üb: Hutbach) sollte unsere neue Heimat werden, während mein Vater wieder als Farm-Manager arbeitete.

Diese Farm namens Fleur-de-Lys war sogar nach damaligen Standards ein wahres Wunder der Vielfalt! Eigentlich sollte es eine Citrusfarm sein und auf einige Hektar baute man auch Orangen und Grapefruit an. Man konnte sich wegen der billigen Arbeitskraft (Apartheid!!) sogar eine eigene Wäscherei und Packanlage dafür leisten. Doch auch dies: einige Hektar subtropische Mangos und Litschis! Eine eigene Rinderzucht und Milchkühe! Einen riesigen Gemüsegarten! Und viele Hektar Tabak, getrocknet im eigenen Wärmehaus und höchstpersönlich für die hiesige Zigarettenindustrie verpackt und verschifft. Man kann sich kaum vorstellen, welch ein Reichtum diese Farm für uns Kinder bereithielt. Überall durften wir hineinschauen, -riechen und schmecken und kamen uns vor wie im Paradies.

Es gab auch ein Paar ängstliche Momente: Einmal stand ich an einem Wasserkanal und wurde derart von eine blitzschnell heranschwimmende Kobra – giftig!! – überrascht, dass ich bald 10 Meter weit sprang und platt auf dem Arsch im Staub landete. Nochmal davongekommen, und was Schlangen angeht, hatte ich toi, toi, toi bisher immer Glück. Meist wird man jedoch nicht, wie ich damals, gleich attackiert sondern sieht höchstens den Schwanz des Tieres bevor es schnellstens verschwindet. Die Kobra war an dem Tag wohl noch verwirrter als ich es war.

Einige Male machte ich mir fast in die Hose, wenn einer der Brahman-Ochsen sich vor mir auftat. Diese prächtigen, grauweißen Biester maßen gute 2 Meter bis zum Fettspeicher am Nacken. Sie konnten den Erzählungen nach über genauso hohe Zäune springen wenn wütend und waren allzu leicht anzustacheln. Sie sahen schon rot wenn weit und breit kein rot in Sicht war (denn wir durften laut Vater keine roten Kleider tragen!).

Dann waren da die Chimara-Bäume, eine Art subtropischer Kiefer, die im Wind ein so traurig-schauriges Geheul von sich gaben, dass ich immer so schnell wie möglich dem Sandweg an der sie standen entlangeilte.

Ich war normalerweise kein ängstliches Kind: wegen meiner roten Haare musste ich schon früh lernen, mich zu behaupten oder zu wehren. Von Kindsbein an hatte ich daher ein großes Maul und konnte, wenn nötig, die widerlichsten Schimpfworte von mir geben damit mein Gegenüber vor Ehrfurcht, Neid und Bewunderung die Klappe halten sollte. Oder so. Bloß sich nicht schlagen, davor hatte ich sogar Angst aber zeigte es nicht!

Die Afrikaner können generell ein faules Mundwerk haben wenn sie unter sich sind. Da ich in ausschließlich Afrikaans sprechenden Schulen ging, entwickelte ich mich nicht anders, wenn nicht gar schlimmer. Nachdem ich im Kindergarten am ersten Tag nicht mal wusste, was „Maatjies“: ihr Freundchen, bedeuten sollte, wurde ich schnell vom heimischen Niederländisch auf Afrikaans umprogrammiert. Und lernte dazu alledem, was meine Eltern mir eigentlich nicht beibringen wollten. Wenn Afrikaner, zumal auch kleine Kinder, dem was sie sagen also Nachdruck geben möchten, kann schon mal jeden Satz mit einem Schimpfwort anfangen, enden und so weiter. Sogar meine Lehrerin der ersten Klasse tat dies ohne Scham und gab sogar ordentlich mit dem Bambusstock Nachdruck dazu.

Afrikaans hat ohnehin die doppelte Verneinung: aus „moenie vir my lieg nie“: lüge mich nicht an kann schnell mal „jisses, moenie vir my so fokken lieg nie, jou bliksem!“ werden. Zwei lustige Sätze, auch später, waren für mich „jisses, moenie die Here se naam so misbruik nie!“ oder „fokkit, hoekom flippen vloek jy so, dammit!“. Damit nimmt man sich selbst gerne mal auf dem Korn, wenn man merkt, dass mal wieder keinen vernünftigen Satz dem eigenen Mund und denen der Freunde verlässt. Ansonsten ist Afrikaans eine sehr melodische, ja sogar etwas naiv anmutende Sprache und ich spreche es noch heute fließend und sehr gern.

Als ich einmal in einem zarten Alter in der Schule unschuldiger weise zum Besten gab, das Schimpfwort „jisses“ hätte mir die Mutter einer Freundin beigebracht – unbeabsichtigt natürlich – war aber auch der Teufel los! Meine Mutter, die nie ein unartiges Wort sagen würde, musste mich mit Tränen in den Augen abholen und danach bald zum Schulpsychiater schicken. Dadurch, dass sich aus den Rorschach-Bildern, IQ-Tests und so weiter für mich ein gutes Bild ergab, entschließ man sich mich forthin zu fördern statt in einer Klapsmühle zu stecken. Puh. Ich wusste bis zum 12. Lebensjahr nicht, dass ich leicht überdurchschnittlich begabt sein sollte.

Ich fragte mich nur immer weshalb die anderen Kinder sich immerzu so schwer taten, und fing wohl aus lauter Langeweile an zu schimpfen. Die Angewohnheit kostete mir viele rote Striemen auf dem Arsch: Bis 1994 wurde das Schlagen von Schulkindern hier allgemein praktiziert und mit Stolz von den Opfern ertragen.

Das Paradies Fleur-de-Lys bekam Mitte der 80’er auch schon so seine Löcher. Ein Farm-Manager war nicht mehr vonnöten und so versuchte mein Vater sein Glück als Maler. Er war erstaunlich talentiert und produzierte bald auf selbst hergestellter Leinwand hunderte Bilder der afrikanischen Savanne und Tierwelt. Doch seinen fotogetreuen Stil passte nicht in den Zeitgeist und so verkaufte er nur wenige Exemplare, etwa an japanische Touristen.

Es war Zeit für meine Mutter um dazu zu verdienen. Das hiesige Umweltamt „Fauna en Flora“ hatte eine Einstiegsstelle und so waren wir Kinder bald zum ersten Mal allein zuhause! Was stellen da kleine Kinder so an? Noch einmal sprang ich circa 10 Meter weit, als ich auf mich allein gestellt mit einigen Elektrogeräten herumhantierte und dabei versehentlich die Finger an beiden Kontakten hielt.

Jisses, ich dachte mein kleiner Bruder würde mich mit aller Macht im Arsch treten aber der hatte anderes vor: Die Sehnsucht nach Mutti trieb den 3-jährigen zu Fuß in Richtung Umweltamt, 5 Kilometer entfernt. Auf halbem Wege fand man ihn am Straßenrand… hört sich furchtbar an aber nichts war dem zähen Burschen passiert. Meine Eltern und ich hatten den größeren Schock, doch da mussten wir durch. Wäre ich schon älter, hätte ich ihn selbst aufgespürt. Im Sinne der Hollies: „He ain't heavy, he's my brother“...


-Noordoewer-

Ab Garies, in Richtung Springbok und Richtersfeld, fuhr ich heute geradezu in den Wolken hinein. Wie stellt man sich eine Landschaft vor, wenn man es bislang nur als zweidimensionale Darstellung im Atlas gesehen hat? Wohl etwas besser, wenn der Atlas auch die Höhenlinien zeigt, doch ich hatte ganz vergessen, dass man hier wieder zum Plateau hinauffährt.

Schier endlos scheint sich die Straße immer weiter nach oben zu winden und mit dem kleinen Motor und einem steifen Gegenwind ist das Vorankommen langsam, doch gibt es umso mehr zu sehen. Ein feiner Mist oder Nieselregen benetzte das Hochland und gab es die Erscheinung eines schottischen Moores. Bei näherem Hinsehen bemerkte man jedoch die widerstandsfähigen afrikanischen Sukkulenten und Fynbos, die spärlich die Landschaft bekleiden. Von Landbau kaum mehr eine Spur.

Die Hügel, Koppies genannt, sind hier oft glatte Kuppel aus grau-braunem Granit, die scheinbar seit millionen Jahren unverändert daliegen. Hier gibt es schließlisch auch kaum Erosion: Es fallen im Jahr sporadisch nur 80-160 Millimeter Regen und wie ich heute sah, geschieht dies nicht in Schauern sondern ganz, ganz sanft. In einem Monat werden die zahlreichen Blumen ihre kurze Pracht entfalten und Horden der Touristen hierher locken. Doch auch (gerade) so herrscht hier bestimmt eine gewisse Magie.

Auf dem Zenit dieses Hochlandes liegt, in Koppies eingebettet und von Sandfarbenen Häusern geprägt, das Städtchen Springbok. Dieser geschäftige Ort scheint fast allen Menschen der Gegend Heim zu sein oder zumindest an Freitagen und Samstagen anzulocken. Die meist braunfarbige Bevölkerung zeigt sich fast noch mehr als anderswo stoisch in ihrer Armut.

Die Großen, neuen Trucks mit Anhängern und Bullbars aus blitzendem Chrom gehören nur den weißen, meist Afrikaner Touristen, die hier auf dem Weg ins 4x4 und Safari-Abenteuerland Namibia noch eine gemütliche Mittagspause in eines der beiden Restaurants einlegen. Man ist mit allem ausgerüstet, was die Outdoor-Industrie bietet. Nach außen hin deutlich zu sehen sind vor allem die zahlreichen Benzinkanister, Jerrycans, die man an jeder freien Stelle der Gefährten fest angeschlossen hat. Mit Sack und Pack, Kind und Kegel und viel Geld begibt man sich ins Abenteuer, aber bitte ohne Risiko! Ich habe es wie gesagt lieber etwas einfacher – wo ist denn sonst der sprichwörtliche Witz und das wirkliche Abenteuer?

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Als einzigen an diesem Tag, anscheinend, mache ich mich auf dem Weg ins 15 Kilometer entfernt, abseits der N7 gelegene Goegab Nature Reserve. Auf 15.000 Hektar hat man hier ganz erfolgreich und fast zum Anfassen die typische Pflanzen-und auch Tiervielfalt der Region bewahrt. Auf einem überschaubaren Rundweg kann man auch ohne 4x4 die Natur bestaunen. Man fährt zwischen Koppies und ausgedehnten Ebenen an lauter noch ausgedörrten Büschchen vorbei, dessen Äste sich dennoch in den verschiedensten Farben zeigen.

Hier und dort steht ein Kokerboom, die wie eine Art Aloe die über Jahrhunderte zum Baum hinaufgewachsen ist und sich nun mit hellgelben, zäpfchenförmigen Blüten krönt. Man findet hier noch zahlreich die majestätischen Gemsbok (Oryx), Antilopen mit einer auffällig weiß-schwarz-braune Zeichnung und meterlange, gerade spitze Hörner. Diese scheinen sich hingegen an der Rinde oder Füße der Kokerbome irgendwie gütlich zu tun oder darunter Feuchtigkeit zu finden, denn diese sind oft auffällig angenagt.

Die andere, auf dem ersten Blick ähnliche Gewächse: die bizarren, hohen Elephantenfüße die man in höheren Lagen findet auch Halfmens: Halbmensch genannt. Sie sind laut Khoikhoi-Sagen diejenigen ihrer Vorfahren, die nach eines Konfliktes mit einem anderen Stamm, auf der Flucht gen Süden waren. Als sie sich noch einmal sehnsüchtig umdrehten, erstarren sie zu Bäumen.

Goegab war gerade heute, als es nahezu menschenleer war und die Hügel fast in den niedrigen Wolken verschwanden, ein absolut magischer Ort obwohl keine einzige Feldblume in Sicht war. Auch die dort heimischen Zebras ließen sich nicht blicken und langsam vermute ich, dass es sie nicht mehr außerhalb von Zoos gibt, denn ich habe seit jeher keine in Afrikanischen Wildparks gesehen.

Ab Springbok wird das graubraune Plateau immer flacher und ausgedehnter – die Koppies liegen nun viel weiter auseinander. Die Straße kann daher oft über 10 Kilometer weit schnurstracks geradeaus über den leicht gewellten Ebenen verlaufen. Nun stehen die Sträucher schon viele Meter auseinander und die Landschaft wird zunehmend sandiger. Steigt man aus dem Auto hört man hier schon nichts als Stille. Auf halben Weg Richtung Vioolsdrif, wo der Oranjerivier den Grenzfluss zwischen Südafrika und Namibia formt, wird die riesige Ebene endlich leicht abfällig und man fährt wie mit Rückenwind. Dennoch scheint die schnurgerade Strecke kein Ende zu nehmen und ich bekomme einen Vorgeschmack davon, was mich wohl in Namibia erwarten wird.

Kurz vor der Grenze ist die Wolkendecke dann schlagartig zu Ende und nochmals ändert sich die Landschaft: Die vielen, völlig kargen Hügel bestehen nun aus haufenweise dunkelbraune, eckige Felsbrocken oder bizarr gefalteten Formationen vulkanischen Ursprungs. Die steil abfallende Straße windet sich über ein Feld aus hellem Sand.

Ich bin schon nervös, wie immer wenn ich, als völlig unbescholtener Bürger, mit den Autoritäten zu tun bekommen werde. Dann tut sich das grüne Tal des Oranjeriviers vor mir auf, mit einer großen Brücke über dem breiten Strom und dies- und jenseits jeweils einen großen Grenzposten.

NAMIBIA

Wahlspruch : Unity, Liberty, Justice

(engl. für „Einheit, Freiheit, Gerechtigkeit”)

Staatsoberhaupt: Präsident Hifikepunye Lucas Pohamba

Fläche 824.116 km²

Einwohnerzahl 2.104.900 (2011)

Bevölkerungsdichte 2,55 Einwohner pro km²

Bruttoinlandsprodukt nominal (2007) 7.400 Mio. US$ (125.)

Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner 3.584 US$ (95.)

Human Development Index 0,625 (120. )

Währung: Namibia-Dollar

Unabhängigkeit von Südafrika am 21. März 1990

Zeitzone UTC+1

Kfz-Kennzeichen NAM

Internet-TLD .na

Telefonvorwahl +264

„Dis maklik – u parkeer, gaan na die eerste kantoor vir immigrasie, dan na die tweede een vir douane en dan die derde vir polisie“, sagte mir der hilfreiche Torwächter, „daar’s altyd `n eerste keer“, fügte er hinzu, als ich erwähnte, dass ich zum ersten Mal hier sei, und händigte mir ein Passierschein aus. Typisch afrikanisch: alles ganz offiziell und drei verschiedene Büros zum Anstehen. Auf der südafrikanischen Seite verlief dies alles auch ganz flott und problemlos, bis auf das ich meine Ladefläche zur flüchtigen Drogenkontrolle öffnen musste. Immigration, Zoll und Polizei schauten sich alle meinen Pass an und setzten jeweils ihren Stempel.

Jenseits des Flusses – endlich in Namibia! – sah es wie erwartet jedoch anders aus. Wie ich bereits im letzten Jahr am Flughafen von Windhoek im Transitbereich erlebte, verstehen es die Namibier ihre recht engen Räumlichkeiten mit langen Menschenschlangen zu füllen. Zunächst soll man natürlich ein ausführliches Formular ausfüllen. Ohne angeben zu können, wo man physisch verbleiben wird, wird man gar nicht erst ins Land gelassen. Als Camper, der noch nicht wusste wo der nächste Zeltplatz liegt, wurde ich vom Beamten barsch darauf hingewiesen. Es irritierte mich sehr und so musste ich notgedrungen die Adresse eines Hotels in Keetmanshoop angeben. Broschüren der hiesigen Herbergen lagen praktischerweise griffbereit.

Als nächstes stellt man sich am Büro des Kfz-Amtes an um noch ein ausführliches Formular auszufüllen mir Seriennummer des Autos und so weiter. Für jedes Fahrzeug und für jeden Anhänger zahlt man hier eine Gebühr und so kommen für die gut organisierten Safarigruppen schnell hundert Euro zusammen. Für mein Bakkie waren es zum Glück nur knappe zwanzig. Hat man nichts zu verzollen, kann man Stunden später, von weiteren Polizeibeamten befragt, das Tor nach Namibia passieren. Ich kam übrigens noch mit einer Verwarnung davon, weil ich den vorgeschriebenen ZA-KFZ-Kennzeichen-Aufkleber nicht hatte. Ich musste es daraufhin schnellstens kaufen gehen.

Nun war es fast dunkel und die Namibier zeigten sich von ihrer wirklich freundlichen Seite: Man erklärte mir genau, wo sich ein schönes Campingterrain, direkt am Oranje, befindet, nur 13 Kilometer von der Grenze entfernt. Ein Mäusesprung für namibische Verhältnisse. Der Platz liegt sogar auf dem Weg zu meinem nächsten Ziel und ist sehr ordentlich, geräumig (ich habe etwa 400 Quadratmeter für mich alleine mit Schilf-überdachtem Grillplatz) und vor allem gut besucht.

Hier treffe ich die Afrikaner wieder, die nun am jeweiligen Lagerfeuer lekker kuier: Im Kreis sitzend über Gott und die Welt reden und sich insgeheim fragen, was dieser ausländisch aussehender Mensch da am Computer schafft. Versteht mich nicht falsch. Ich habe sie eigentlich sehr gern, denn im Grunde sind es herzensgute Menschen die halt eben in ihr eigenes Universum leben.

* * *

Da das Haus auf Feur-De-Lys nun auch nicht mehr zur Verfügung stand zogen wir in ein Haus vom Umweltamt. Dazu sollte man erwähnen, dass viele Arbeitgeber in der Apartheid-Ära den weißen Arbeitnehmern für kleines Geld, wenn nicht gar umsonst, ein gemütliches Haus zur Verfügung stellten. Darüber, wo die schwarzen Arbeiter wohnen mussten, sollte ich ein anderes Buch schreiben. Es war jedenfalls nicht zu vergleichen. Die folgenden fast drei Jahre brachten mich der Natur noch näher denn das Haus war nun mitten im Busch und sogar einige Kilometer vom kleinen Dorf entfernt. Das beherbergte nur ein Laden, ein Postamt, ein Rangierbahnhof und später eine kleine Maismühle sowie 50 Menschen.

Mitte der Achtziger wütete noch der Angolakrieg und zeitweise auch in Südafrika in der Nähe der Luftwaffenstützpunkte herrschte höchste Sicherheitsstufe. Daher wurde unser Schulbus des Öfteren durch einen gepanzerten Truppentransporter namens Kasper ersetzt. Dieses Fahrzeug war so geformt, dass es sogar die berüchtigten Landminen widerstehen würde (von denen es bei uns zum Glück keine gab; jedoch umso mehr in Angola und auch ganz unweit in Mozambique). Wir mussten zusammengepfercht im hohen, engen Gefährt sitzen und hatten es im Winter nicht gerade warm! Doch war es auch ein Riesenspaß und ein besonderes Gefühl, so umsorgt zu werden.

Nachdem wir mittags die circa dreißig Kilometer von der Schule am Hang des imposanten Mariepskop zurückgelegt hatten, konnten wir nach Lust und Laune den Busch unsicher machen. Immer auf der Hut für Bobbejane die hier oft mannshoch auf den Hinterbeinen stehen konnten und ziemlich aggressiv sein konnten.

Gleich am Haus war ein kleines Bächlein wo wir zwischen Felsen Verstecken spielen konnten und etwas weiter schlängelte sich ein recht ansehnlicher Fluss durch die Hügel. Dieser war, für die Region ungewöhnlicher weise, von überaus gefährlichen Krokodilen, Nilpferden und der Infektionskrankheit Bilharziose nahezu befreit. So hatten wir oft unseren Spaß beim Schwimmen im seichten, klaren Wasser.

Die eine oder andere Schlange gab es natürlich – diese schwimmen viel lieber als man annehmen mag – und einmal hatte sich sogar ein kleines Nilpferd unter der sehr niedrigen Brücke gleich unterhalb unseres Hauses festgesetzt. Es musste leider aus seiner Misere befreit werden. Man redete Jahre später noch davon.

Ein sicheres Highlight war für uns die enorm hohe Bahnbrücke, die mit neun riesigen, römisch anmutenden Bögen den Fluss überspann. Gerne kletterten wir an der Seite hinauf und sahen mitten auf der Brücke zu, wie ein Schotterstein viele Sekunden brauchte bis es schließlich ins Wasser platschte. Natürlich war es strengstens verboten, diese Brücke wegen seine schieren Höhe und niedriger Brüstung zu betreten! Doch was stellt man ansonsten schon als Kind in so einem abgelegenen Ort an? Ich machte es mir zur Hobby, die sonnengebleichten Schädel der verendeten Tieren zu säubern und im Garten aufzustellen: Gnu, Giraffe, Impala, Blauaffe, Pavian, Warzenschwein. Alles lief dort irgendwo herum und wurde irgendwann mal zu Skeletten reduziert.

Einmal lief ich nonchalant im dichten Busch herum, als ich den Rumpf eines sandfarbenen Tieres sah – ein Löwe!! - dachte ich panikartig, denn alles war möglich. Ich erstarrte schweißgebadet und musste schließlich doch einen Ton von mir gegeben haben oder der Wind hatte sich gedreht. Das formidable Tier drehte sich um und es war nur – ein Kudu. Den gewundenen Hörnern schüttelnd als ob es mich für meine Angst auslachte, stapfte es anmutig davon.

Die gefährlichsten Mitbewohner des Busches waren mithin die Ameisen und Termiten, die dort groß wie die Breite eines Daumes werden konnten und einen ordentlichen Biss hatten. Vor allem die schwarzen Ameisen verstanden es, millionenfach an heißen Tagen jede freie Bodenfläche, vor allem in unserem Garten, vollständig mit zu bedecken. Wagte man es über sie hinweg zu laufen, hatte man ganz schnell auch Ameisen in der Hose! „Het jy miere in jou broek?“ ist daher ein beliebtes afrikanisches Sprichwort für wenn jemand sehr ungeduldig zu sein scheint.

Meine Schwester, genauso wie ich rothaarig und immer schon ein zartes Wesen, wurde von den Ameisen oft schlimm zugesetzt. Sie war zudem allergisch, so dass sie am ganzen Körper oft große feuerrote Bissflecken hatte. Auch auf dem Schulhof trieben die miere auch ihr Unwesen und machten aus hitzefaulen Kids im Handumkehr die wendigsten Akrobaten oder die schnellsten Sprinter. Sport spielte für mich in der Schule übrigens keine Rolle: ich war fit und ausgeglichen genug von meinen ausgedehnten Streifgängen im Busch.

Ich war andererseits immer schon fest auf dem Fahrrad verankert: Meine Mutter gab mir die Passion dafür schon durch die Nabelschnur, als sie im neunten Monat der Schwangerschaft noch durch den Schwarzwald zum Einkaufen radelte. Klar, dass ich die Strecke zum Indisch geführten Laden und zu meinen beiden Kameraden im Dörfchen, über Stock und Stein auf meinem BMX zurücklegte. Auch zum wöchentlichen Milch holen auf Fleur-De-Lys, als es dort noch welche zu holen gab. Welch Freiheit, so fast nicht erdgebunden zu sein! Ich liebe es immer noch.

Einmal rettete mir das Rad sicher mein Leben, denn ein Pofadder – eine gemeine fette, sehr gut camouflierte und träge Natter - hatte sich genau in meinem Weg zum Sonnen hingelegt. Diese Buschbewohner bewegen sich kein Stück bis sie sich bedroht fühlen. Dann können sie in eine Viertelsekunde zubeißen und das Gift lässt das Fleisch geradezu am Leib verfaulen. Diesmal biss die Pofadder jedoch nur Luft als ich mit dem Rad drüberfuhr. Drei Meter weiter musste ich erst einmal aschfahl nach Luft schnappen, währen die Schlange sich langsam davonmachte, offenbar völlig unversehrt.

Noch eine dort zahlreich zu findende Schlange ist die schwarze Mamba – so genannt weil ihr Schlund von innen pechschwarz gefärbt ist. Der Biss dieser grauen und bis 2 Meter langen, blitzschnellen Tieren endet nicht selten tödlich. Die immer seltener werdenden Reptilien fliehen viel eher als dass man sie je zu Gesicht bekommt. Doch man tötet sie wenn es dazu kommt lieber umgehend, denn allzu gern nisten sie sich in heimischen Gärten ein.

In dieser Zeit hatte sich meine Mutter zu ihrem Schutz vor den wilden Tieren und Eingeborenen(!) eine 9-Millimeter-Pistole zugelegt. Ein schweres Kaliber für eine Frau, würde man denken, doch sie konnte nach einiger Übung meisterhaft damit umgehen. Sie hatte indes eines Tages in den Gaten ganz nah am Haus eine Mamba im Visier ihre 9-Millimeter: Es brauchte sieben Schüsse direkt in den Körper und Kopf, bis das zähe Biest erledigt war.

In Afrika geht’s oft nur ums Überleben. Einmal war ich auch Zeuge eines Kampfes zwischen eine mittelgroße Mamba und einen Chamäleon. Aus sicherer Entfernung schaute ich zu und setzte anfangs gleich auf der Schlange, doch so schnell gab sich das Chamäleon nicht geschlagen. Es brauchte fast zehn Minuten, bis sich die Mamba endlich in das sich windende, um sich beißende und nun ganz schwarz statt grün gefärbte Tier festbeißen konnte.

Dann hatte der Angreifer offenbar genug und schlich davon – nur in die falsche Richtung! Einige Schwarze die in der Nähe im Garten arbeiteten, sahen und töteten ihn mit einem Spaten und banden ihn dann als Glücksbringer an der vorderen Stoßstange ihres Autos. Es dauerte weitere dreißig Minuten, bis schließlich das Chamäleon wieder blass grün wurde, schlaff vom Strauch fiel und verendete. Welch zähes, nicht zu unterschätzendes Tier!