Über Kjersti Annesdatter Skomsvold

Foto: Finn Ståle Felberg

Kjersti Annesdatter Skomsvold, geboren 1979 in Oslo, wurde für ihren Debütroman Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich (Hoffmann und Campe 2011) mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Neben ihren Romanen veröffentlichte sie Lyrik und autobiographische Prosa. Sie gilt als wichtigste junge Stimme der norwegischen Literatur.

Nachts gehe ich in der dunklen Wohnung umher, sehe aus dem Fenster, mal ist der Mond da, mal nicht. Ich setze mich auf den guten Stuhl, ein Auge auf das Bild von Samuel gerichtet, eins auf das Bild von Ferdinand, und ich denke, dass ich ein Sonnenstrahl sein will, dass ich zusammen mit Samuel und einem Kind glücklich werden könnte. Aber Worte wie glücklich möchte ich gar nicht gebrauchen, weil sie den Wunsch sofort in etwas Muffinartiges verwandeln. Ich versuche zu schlafen, den Rücken gerade und senkrecht, was besser ist, als im Bett zu liegen, so waagerecht, dass ich meine, ich würde nach hinten kippen, die Beine in der Luft, sodass Gott meine Fußsohlen sehen kann. Ich bleibe sitzen, wachgehalten von Verbitterung und Enttäuschung. Worüber? Das Leben. Bisher war es so, als ginge man ohne Eimer zu einem ausgetrockneten Brunnen, auch wenn das wohl eine unverschämte Lüge ist. Das Leben ist nichts für mich, denn ich mag Menschen und Tiere nicht besonders, zumindest, wenn ich nachdenke; Gedanken verzerren und verschieben alles. Genauso wenig mag ich es, behutsamen Schrittes, beinahe kokett, durchs Erwachsenendasein zu gehen, das ja im Preis inbegriffen ist. Nach und nach entdeckt man dann, dass man eine Fremde geworden ist; morgens stehe ich auf und will etwas anderes. In mir keimt der brennende Wunsch, mich von der Mathematik ab- und zur Liebe hinzuwenden, aber ich habe noch niemandem von diesen Gefühlen erzählt, wenn ich den Mund öffnete, würde ich sagen, ich sei nicht in der Lage, auch nur irgendetwas zu fühlen. Wenn ich den Mund öffnete, würde die Welt von einer akuten Depression befallen werden. Die Sonne geht auf, und ich beschließe, in den Laden zu gehen, zwischen den Regalen mit den Konserven suche ich nach einem Kind, obwohl ich weiß, dass es vergebens ist, und ich bewege unmerklich die Lippen, sage: Jetzt gehe ich nach Hause. Ich schaue mich um, murmle dann: Und damit basta. Wer kein Leben hat, muss sich eine Illusion schaffen. In meinen Tagträumen bin ich treulos, ich habe verquere Träume, ich träume, die grauenhafte Schule zu betrügen, an der ich arbeite und wo niemand mich wirklich kennt, ich träume, größenwahnsinnig zu werden. Ach, Napoleon zu sein, denke ich, vergiftet oder nicht, dieser kleine Ehrenmann, der sich selbst zum Herrscher Europas ausrief! Ich träume auch nachts, wenn ich endlich schlafe, auf dem Stuhl sitzend, während die Sterne über den Dächern leuchten, und da träume ich, dass eines meiner Beine einem anderen gehört, und wünsche mir, Samuel würde mein Bein als das seine bezeichnen. Wir sagen einander die schönsten Worte auf Irisch, Worte, die man jemandem ins Ohr flüstert, ehe man ihm das Leben nimmt. Codladh sámh.

 

Ich habe von Fällen gehört, bei denen das Kind vor der großen Liebe kommt, aber ich glaube nicht, dass es bei mir so kommen wird. Außer ich nehme allen Mut zusammen und vollziehe den Beischlaf mit meinem toten Ferdinand. Oder ich mache es wie der Albatros, dieser Vogel, der nur ganz selten landet, dazwischen können Jahre vergehen, und wenn es soweit ist, drückt der Albatros seine Vogeldaumen, damit in genau demselben Moment ein weiterer Albatros landet, im Idealfall vom anderen Geschlecht, und dann lassen sie sich beide vergewaltigen, ehe sie weiterfliegen, in der Gewissheit, dass eine nächste Generation folgt, dass ein Geschlecht geht und ein Geschlecht kommt.

Soll ich also ein Kind bekommen? Ich gehöre nicht zu denen, die Entscheidungen treffen, ohne die Alternativen wie Albatrosse vor den Augen vorbeischweben zu lassen, bevor ich bei dem lande, was ich tun werde. Und mitunter landen Albatrosse nie. Es sollte noch ein anderes Herz schlagen als mein eigenes, hier, in diesem kleinen Lusthaus von Einzimmerwohnung, in dem ich wie ein Affe im Käfig lebe, gefangen und frei zugleich. Ich bin wieder nach Norwegen gezogen, während Ferdinand in Frankreich geblieben ist, unter der Erde, und Samuel quicklebendig, aber außer Reichweite, im fernen Irland. Wir sind wie ein gleichschenkliges Dreieck, eine Triangel, das macht mich weniger unmusikalisch. Ich brauche die Gesellschaft anderer als mir, ich brauche jemanden nahe bei mir, sonst bin ich in Gedanken nur bei mir! Und so werde ich nie zufrieden. Zufrieden sollte ich ohnehin nie sein, dann hätte ich verloren, so lauten die Spielregeln.

Ich möchte mich an etwas anderes binden als an die Mathematik, wie um zu sagen, schaut her, ich habe ein lebendiges Wesen an meiner Seite, und ehe ich michs versehe, werde ich hören, wie es das erste Wort sagt, und ich werde keine Kontrolle darüber haben, was das für ein Wort sein wird! Es kann alles Mögliche sein! Und ich werde es aufnehmen, mich um das Wort kümmern. Ich werde mir wünschen, dass das Kind nichts Schlimmes erlebt, auch wenn ich weiß, dass ich mich selbst nicht ausstehen könnte, hätte ich nicht so viel Schlimmes erlebt. Dabei denke ich vor allem an die Lungenkrankheit, von der ich bereue, sie mir zugezogen zu haben, auch wenn ich das Wort bereuen nicht ganz verstehe, man macht doch alles so gut man kann, mit dem, was einem gegeben ist. Es wird eine Erleichterung sein, wenn ich mich statt um meinen eigenen Körper um den des Kindes sorgen kann. Was meinen eigenen Leib betrifft, habe ich allzu viele Faktoren und Symptome im Blick, wieder und wieder habe ich die kleinen Spinnen gezählt, die in meinem Lungengewebe umherkrabbeln, wenn ich wollte, könnte ich eine präzise Statistik führen, eine ganz neue Wissenschaft erfinden, um dafür zu sorgen, dass die Dinge so optimal wie möglich verlaufen, während ich, das Kind betreffend, lediglich Zugang zu den nötigsten Informationen haben möchte, um zu entscheiden, ob ich ihm lieber Fischklöße mit Reis oder noch ein paar Tage Trockenfutter zu essen gebe. Kinder zu bekommen, erfordert Mut.

Man kann Kinder, oder jedenfalls Tiere, beim Züchter kaufen. Ich bekam den Tipp, man könne bei einem Mann Eier erwerben, Albatrosse legen nur ein Ei, deshalb sind die Eier irrsinnig wertvoll. Ich muss mir einen Brutkasten besorgen, aber das ist kein Problem, ich habe da meine Kontakte. Ein Anruf genügt, und schon kommt ein Lieferwagen und bringt mir das Paket bis vor die Tür. Es ist so groß wie ein Kochtopf, und ich stelle den Brutkasten mitten ins Zimmer, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Bis das Ei, oder besser gesagt das Kind, schlüpft, können Monate vergehen, und währenddessen möchte ich bäuchlings auf dem Boden liegen, das Kinn auf die Hände gestützt, und Schürfwunden an den Ellbogen bekommen und dieses Wunder betrachten. Es ist keinesfalls ein Wunder, sondern der Lauf der Natur. Ab und zu werde ich das Ei aus dem Brutkasten nehmen, es in meine Achselhöhle stecken und ins dunkle Bad schleichen. Dort werde ich das Ei hervorholen und meine Taschenlampe darauf richten. Ich möchte etwas Überraschendes zu Gesicht bekommen, ein Miniaturherz, das schlägt, ein weiches Gehirn, das Form annimmt. Das Kind wird geboren werden, oder auch nicht, vielleicht bleibt es Eiweiß, und ergo wird es auch nicht sterben, das wäre das Beste. Selbst wo kein Herz schlägt, müssen Blätter fallen, und diese Fehlgeburt ist, genau wie alle anderen, ein Tropfen im großen Meer der Welt. Ich werde mich an den Gedanken gewöhnt und mit der Trauer versöhnt haben, wenn sich der Wurm eines schönen Tages aus dem Ei kämpft; es ist das Ei, das den Wurm ausspuckt. Ich bin sicher, die Zeit ist gekommen, ich habe nie gezweifelt, dass der Augenblick kommen würde, abgesehen von jenen Tagen, an denen ich dachte, er wäre längst da. Aber hier geht es nicht um das Kind, das Kind wurde noch nicht empfangen, also muss es um die Liebe gehen. Ich habe schon einmal erlebt, was Liebe sein kann.

 

Ferdinand und ich gingen durch den Schnee, der Schnee ging durch uns, wir kamen vom Fest. Seine dünnen Beine in der dunklen Hose, sein Haar über dem Kragen des hübschen Mantels, selbst in der Dämmerung hätte ich sein charakteristisches Profil aus mehreren Metern Entfernung erkannt, und wäre er weiter entfernt, würde mein Körper von ihm angezogen, durch die Straßen, um die Hausecken, über Hügelkämme und Landesgrenzen, eine Epidemie, und dann würden sich meine Arme um seinen Hals schlingen und nie wieder loslassen. Jetzt ging er direkt neben mir, er lief oft schnell, wie ein Gehetzter, dabei bin ich selbst keine Trödelliese, doch unsere Schatten hatten nie genug Zeit, sich einen gemeinsamen Eindruck zu verschaffen. Ich trug dünne Strümpfe unterm Mantel, aber ich merkte kaum, dass ich fror, ich redete im selben Tempo, wie wir die Beine bewegten, als würden die Worte aus meinem Mund hinausrennen und versuchen, die Schritte einzuholen. Um uns hing der Zigarrenrauch schwer wie ein Tiefdruckgebiet vor einer Gewitterfront. Ich merkte, dass Ferdinand mir zuhörte, er war irgendwie immer da, die Herzenstür offen, und ließ meine Worte herein, bereit, nahezu alles aufzunehmen. Ich übte mich im Schreiben, indem ich ihm erzählte, woran ich dachte, er hatte gesagt, dass ich mich der Literatur widmen solle, um meine eigenen Dämonen zu bezwingen, er hatte etwas in mir erkannt, das sowohl Zuckerbrot als auch Peitsche sein konnte. Mhm, sagte er, wenn er die Worte auffing, und dann stellte ich mir vor, ich hätte einen Satz gesagt, den ich in ein richtiges Buch schreiben könnte. Um ihn zu testen, wollte ich etwas sagen, das ich aus einem anderen Werk gestohlen hatte, ich blieb abrupt stehen, nahm seinen Arm und flüsterte:

Die Macht der Toten besteht darin, dass wir glauben, sie würden uns jederzeit sehen.

Ich sah zu Ferdinand auf.

Mhm, sagte er.

Wir lagen auf der Bettdecke im fremden Zimmer, ich behielt meinen Mantel an, und Ferdinand hatte sich in seinen gehüllt, der Verhütung wegen, obwohl wir beide wussten, dass es zu spät war, wir hatten uns längst ineinander verloren, in einem Versuch, uns selbst oder den anderen zu finden. Diese Liebe war eine Missgeburt, eine mögliche Unmöglichkeit oder umgekehrt, aus Gründen, die wir nicht verstanden und die uns, hätten wir sie verstanden, beide nur noch kränker gemacht hätten. Wir wurden von der Medizin des anderen angesteckt, obwohl Ferdinands Krankheit im Gemüt saß und meine in der Lunge. Ich spürte seine Bartstoppeln an meinen Fingerkuppen, seine Fingerkuppen auf meinem Gesicht, er hatte schmale Finger, verfeinert, als hätte er als Kind ein klassisches Saiteninstrument gespielt. Unsere Blicke trafen sich und setzten ihren Weg fort, an uns vorbei in etwas Ewiges; man kann Einsicht in die unglaublichsten Dinge gewinnen, wenn man einem anderen Menschen in die Augen sieht. Ich dachte daran, dass in einem Spiegel alles spiegelverkehrt ist, warum hatte bisher niemand einen Spiegelspiegel erfunden, der mich richtig herum zeigte, so wie er mich sah? Ich überlegte, ob die Veränderung, die ich in mir spürte, außen sichtbar war, alles, was er mit meinem Inneren tat, musste doch in irgendeiner Weise zum Vorschein kommen? Nicht auszudenken, wenn ich Ferdinand nie getroffen hätte, dann wäre ich für immer falsch gesehen worden, wäre nie die geworden, die ich sein sollte, und als mir dieser Gedanke kam, wollte ich ihn schlagen.

Er nahm meine Hand, hielt sie fest, als hätte er eine Vorahnung.

Ich erinnere mich nicht, was ich zu meiner Entschuldigung hervorbrachte, weiß nur noch, dass er diesmal nicht »mhm« sagte. Er strich mir lediglich sanft über das Haar. Dann Stille.

Aber du hast mich doch trotzdem gern?, fragte ich schließlich.

Mit allem, was dazugehört, antwortete Ferdinand.

Er lächelte, und mir fiel auf, wie unglaublich traurig er dabei aussah. Er war unterwegs zu etwas, das ich mir nicht vorzustellen wagte, und von dem ich wünschte, es läge jenseits meiner Phantasie. Ich hatte lange versucht, ihn hochzuziehen, wie er mich hochzog, seit wir uns das erste Mal getroffen hatten, er wusste, was nötig war, um das Unmögliche zu schaffen: einen Roman zu schreiben. Stolz hatte er mir dieses Geschenk entgegengehalten, wie eine zerbrochene, geklebte Vase, bei der man den Kitt in den Rissen sehen kann, und ich fand es reizend, dass er so tat, als wäre sein Geschenk perfekt. Auch ich tat so und schenkte ihm mein Herz zum Dank, obwohl ich wusste, dass er es ebenfalls brechen würde.

Den Roman hatte ich nie geschrieben, stattdessen schrieb ich ein Lehrbuch der Mathematik, das erschien mir sicherer, denn es bestand keine Gefahr, an der Mathematik zugrunde zu gehen. Ferdinand dagegen steuerte zielstrebig auf den Abgrund zu, und allmählich schien es mir, als würde Ferdinand immer schwerer, und es war schwieriger, ihn oben zu halten; je stärker, aber auch zerbrechlicher ich selbst wurde, desto klarer wurde mir, wie wenig ich von der Welt verstand, als würde die Fallhöhe immer größer, als stünde alles nebeneinander auf Messers Schneide, stille Meere und aufgepeitschte Wellen, Sieg und Verderben.

Ferdinand?, fragte ich mit bebender Stimme.

Er kam näher, sein Atem an meinem Ohr, ich schloss die Augen und spürte seine Lippen auf meinen, ein Ziehen in Brust und Bauch und zwischen den Beinen. Mein Körper wurde ein anderer Körper, es war mein Körper und doch nicht, und ich wollte dieser andere Körper sein.

 

Vor Ferdinand hatte ich keine Ahnung, wie gnadenlos die Liebe ist. In einem Moment der Gnade gegenüber mir selbst begreife ich, dass ich besser ein Kind mit einer noch lebenden Person bekommen sollte; also muss ich Samuel finden. Ein neuer Versuch von Liebe, ein anderer diesmal.

 

Alle sind von Kopf bis Fuß weiß gekleidet, wie eine Sekte, und sie bewegen sich seltsam wenig, wenn man bedenkt, dass es trotz allem ein Sport ist, den sie da betreiben. Auch das Teetrinken gehört zum Spiel, das tagelang dauern kann, weshalb ich nur das Ende sehen wollte. Vielleicht hatte ich auch einen anderen zweifelhaften Grund. Die Erde hat sich dem Frühling zugeneigt, es ist einer dieser leuchtenden Abende. Ich bin mit dem Flugzeug gekommen, hoch über den Bergen, und jetzt sitze ich mitten auf einem weiten Rasen. Erst habe ich die Beine untergeschlagen, dann strecke ich sie, als würde ich eine Art Sitzgymnastik betreiben, ich zeige Samuel, dass er nicht der Einzige ist, dem daran liegt, in Form zu bleiben.

Ich habe versucht, mir Samuel nur noch als binäre Zahlen vorzustellen, seit wir uns hier in Irland auf einer Konferenz kennenlernten. Ferdinand war erst kurz zuvor gestorben, und obwohl ich lange gefürchtet hatte, ihn zu verlieren, ging es schnell; als er seinen letzten Atemzug getan hatte, war es, als hätte sich ein Albatros in die Lüfte geschwungen, und seither habe ich oft versucht, mir Samuel als Einsen und Nullen vorzustellen, allerdings ohne Erfolg. Ich hatte Angst, er würde zu real werden, sodass ich riskieren müsste, auch ihn zu verlieren. Während der großen internationalen Konferenz über Mathematik hatte Samuel meinen Vortrag besucht, aber ich wusste nicht, dass er dort gewesen war, im Publikum, dass er mich gesehen und mir somit etwas voraus hatte. Am nächsten Morgen, beim Frühstück in dem Hotel, in dem wir wohnten, wusste ich es besser.

Jetzt ist er ein lebendiges Geschöpf aus Fleisch und Blut, wie er dort mit seinem Kricketschläger in den Fäusten steht, hochkonzentriert, bereit, jederzeit loszurennen. Das war gelogen, Samuel stand einfach nur kerzengerade am Ende des Platzes, als würde er darauf warten, dass ihm ein Meteorit auf den Kopf fiele, und ich muss daran denken, wie ich mich als Kind inmitten eines Spiels mit anderen manchmal unerträglich einsam gefühlt hatte, so einsam, dass es einen Sinn ergab. Samuel ist nicht mehr blutjung und sicherlich schnell erschöpft. Als er mich erblickt, wedle ich mit der Hand, eine merkwürdige Geste, als würde ich einem Kleinkind zuwinken. Ich bin erleichtert, als Samuel mit beiden Händen zurückwinkt, vielleicht investiert er mehr Gefühle als ich. Das wäre eine Sensation. Im Hintergrund versinkt gerade die Sonne, und Samuel kommt auf mich zu, ich erröte, als glaubte ich, er wolle mich zum Tanz auffordern.

Hallo.

Hallo.

Gewinnt ihr?

Wir gewinnen.

Samuel bleibt stehen, als würde er Menschen nicht besonders mögen; andere Menschen als mich. All das unerträglich Peinliche, das geschieht, wenn man sich einander nähert, halten wir aus, weil es uns näher zusammenbringt. Ich strecke meine Beine, um zu zeigen, dass meine Knie ordnungsgemäß funktionieren, und da geht er zurück auf das Spielfeld.

Nach langem Hin und Her ist das Spiel endlich vorbei, ich rede mir ein, dass es ein Unentschieden war, will keinen enttäuschen. Es gibt niemanden, den ich nachahmen könnte, also stehe ich zögernd auf, klopfe mir das Gras vom Hosenboden, habe vor, einfach meines Wegs zu gehen, bevor jemand bemerkt, dass ich kein Ziel habe. Aber dann kommt Samuel mit so hastigen Schritten auf mich zu, wie man am Bahnhof dem Zug nachlaufen würde, weil man den Regenschirm oder das Kind auf der Hutablage vergessen hat.

Komm, sagt Samuel, und ich denke, wie entscheidend ein so kurzes Wort sein kann.

Hinein in die Garderobe, die voller fremder, weißgekleideter Männer ist, sie sehen mich an, als wäre ich zu ihrer Belustigung da. Samuel sagt, er gehe zum Duschen nach unten. Verwirrt sehe ich ihn an, will er mich zum Besten halten? Soll ich allein mit dem Ku-Klux-Clan hier bleiben und noch dazu in Gedanken bei Samuel, der eine Etage tiefer nackt steht? Ich kann seinen Körper vor mir sehen, die männlichen Arme, den weichen Bauch, die zarte Haut, selbst, was er zwischen den Beinen hat, erscheint mir ansprechend. Als ich die Augen wieder aufschlage, ist Samuel verschwunden, und ich rede mit seinen Mannschaftskameraden, doch ohne das richtige Publikum ist die Mathematik fast ein bisschen nichtssagend, die Männer nicken und gähnen an den falschen Stellen, und ich kann mir selbst auch nicht ganz folgen. Ich denke nur daran, dass Samuel splitterfasernackt ist, direkt unter meinen Füßen womöglich, und wenn ich die Arme durch den Boden stecken würde, könnte ich ihm das Shampoo ins Haar einmassieren. Ich finde, er hat außergewöhnlich schönes Haar, beinahe amerikanisch. Meins ist eher gelb.

Wollen wir gehen?, fragt Samuel mit sauberen Ohren.

Er riecht nach Seife, einen Geruch wiederzuerkennen, macht mich oft traurig, wie damals als Kind, wenn ich an den Kleidern meiner Mutter roch. Wir stapfen auf die Straße hinaus, wie die Leute schon seit Jahrhunderten stapfen, aber wir fühlen uns trotzdem einzigartig, und ich merke, wie sich Samuels Gemütslage ändert, als wir an einem Hund vorbeigehen, umso mehr, als dieser Hund gleichzeitig an einem Polizisten vorbeigeht. Ich erzähle, dass ich mir Samuel und die anderen Spieler in ihren weißen Anzügen als Patienten vorgestellt habe, die aus einer Psychiatrie entflohen sind, und dass ich wünschte, ich wäre der Mann in der Bude gewesen, der die Punkte im Blick hatte. Ich hätte der Mann sein können, sagt Samuel, hätte nicht so weit weg sitzen müssen, hinter dem Baum versteckt. Aber ich entgegne, auch das sei nett gewesen, denn Bäume erinnerten mich an ihn, und außerdem hätte ich so den blutigen Sonnenuntergang im Blick gehabt.

Ich frage Samuel, ob er wisse, dass einige Menschen, eine Art Urvolk vermutlich, glaubten, der Himmel wäre vom Blut gefärbt, und die Sonne würde erst wieder aufgehen, wenn sie einen Mitmenschen opferten. Samuel sagt ja, denn er habe diesen Film auch gesehen, und ich gräme mich, weil ich geglaubt hatte, etwas ganz Einzigartiges zu erzählen.