Das wohlhabende Ehepaar Kelly wird brutal ermordet. Kurz darauf entdeckt man am Meeresufer die Leiche ihres Sohnes Michael. Als die Polizei auch noch auf einen Abschiedsbrief stößt, in dem Michael die Tat gesteht, wird die Akte schnell geschlossen. Aber irgendetwas scheint an der Sache faul zu sein, schon bald gibt es weitere Opfer. Duffy muss ins wenig geliebte englische Nachbarland reisen und in den elitären Kreisen von Oxford ermitteln. Stets an seiner Seite: die MI5-Agentin Kate – wertvolle Informantin und geheime Schwachstelle des katholischen Bullen. Und während sie ihm ein verlockendes Angebot macht, das sein ganzes Leben verändern könnte, gerät Duffy immer tiefer hinein in einen Fall, der ihm mächtige Gegner beschert. Zu mächtig vielleicht …

Adrian McKinty, geboren 1968 in Belfast, zählt zu den wichtigsten nordirischen Krimiautoren. Nach einem Philosophiestudium an der Oxford University zog es ihn nach New York und Denver, wo er u. a. als Barkeeper und Rugby-Coach arbeitete. Heute lebt der preisgekrönte Autor und Journalist mit seiner Familie in Melbourne, Australien.

www.adrianmckinty.com

Peter Torberg arbeitet seit 1990 als Übersetzer und hat u. a. Werke von Garry Disher, David Peace, Mark Billingham und Daniel Woodrell ins Deutsche übertragen.

Weitere Titel der Sean-Duffy-Serie im suhrkamp taschenbuch: Die verlorenen Schwestern (st 4595), Die Sirenen von Belfast (st 4612), Der katholische Bulle (st 4523).

Außerdem im suhrkamp taschenbuch erschienen:

Ein letzter Job (st 4430), Der sichere Tod (st 4343), Todestag (st 4277) sowie Der schnelle Tod (st 4232).

ADRIAN MCKINTY

GUN STREET GIRL

Roman

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Suhrkamp

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel

Gun Street Girl

bei Serpent’s Tail, London.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 4655.

© Suhrkamp Verlag Berlin 2015

© 2015 Adrian McKinty

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Umschlagabbildung: Mark Owen / Trevillion Images; John Harrison / Arcangel Images

Umschlaggestaltung: cornelia niere, münchen

eISBN 978-3-518-74266-2

www.suhrkamp.de

Now the rain’s like gravel on an old tin roof,

And the Burlington Northern’s pulling out of the world,

A head full of bourbon and a dream in the straw,

And a Gun Street girl was the cause of it all …

Tom Waits, Gun Street Girl (1985)

Noch weiß ich nicht, welches dein Almosen ist,

doch meines ist entsetzlich. Dir bleiben die Tage

und die Nächte …

Jorge Luis Borges, Blaue Tiger (1983)

1
DER DUNKLE SCHIRM

Ssssssssssssssssssssssssssssss…

Stille.

Sssssssssssssssssssss…

Stille.

»Ich krieg nichts rein, Sir.«

»Versuchen Sie es weiter.«

»Ja, Sir.«

Mitternacht.

Mitternacht, alle Agenten schlafen, und am Strand teilen sich unzufriedene, durchgefrorene Polizisten Zigaretten, schauen durch Ferngläser auf den schwarzen Atlantik hinaus und hoffen darauf, einen ersten Blick auf die Positionslichter eines Schiffs zu erhaschen, das die Witzbolde bei Special Branch Totenschiff getauft haben.

Ssssssssssssssssssss…

Nieselregen.

Rauschen.

Oszillierende Klangwellen. Ein Brocken Holländisch. Ein DJ von Radio France Internationale verkündet atemlos aufgeregt der Welt: »EuroDisney sera construit à Paris«.

Wir befinden uns an einem Strand bei Derry an der wilden Nordküste Irlands. Es ist November 1985. Reagan ist Präsident, Thatcher Premierministerin, Gorbatschow hat kürzlich in der UdSSR die Zügel übernommen. Das Nr.1-Album ist Sades Promise, und Jennifer Rushs Liebesschnulze »The Power Of Love« ist nun schon entmutigend lang an der Spitze der Hitparaden …

Sssssssss, und endlich findet der junge Constable, der den Kurzwellenempfänger bedient, die Funkfrequenz der Our Lady of Knock.

»Hab sie! Sie nähern sich, Sir!«, verkündet der Constable.

Ja, darauf haben wir gewartet. Das Wetter ist perfekt, der Mond steht hoch, es ist Ebbe. »Aye, jetzt haben wir die Mistkerle«, murmelt einer der Männer von Special Branch.

Ich sage nichts. Ich bin nur aus reiner Höflichkeit hinzugezogen worden, weil einer meiner Informanten den Hinweis zu diesem komplizierten internationalen Einsatz gegeben hatte. Es ist nicht meine Aufgabe, etwas zu sagen oder Ratschläge zu geben. Stattdessen klopfe ich auf meinen Revolver und blättere durch mein Notizbuch zu der Stelle, wo ich eine Ansichtskarte von Guido Renis Der Erzengel Michael besiegt den Satan eingeklebt habe. Ich schlage heimlich ein Kreuz, bitte um den treuen Schutz des hl. Michael, des Schutzheiligen der Polizisten. Ich bin mir nicht sicher, ob ich an die Existenz des Erzengels Michael glaube, Schutzpatron der Bullen, aber ich bin nun mal Angehöriger der Royal Ulster Constabulary, der Polizeitruppe mit der höchsten Todesrate in der westlichen Welt, da nimmt man jede Hilfe, die man kriegen kann. Ich schlage das Notizbuch zu und zünde einem böse dreinblickenden Schlägertypen eine Zigarette an, der behauptet, er sei von Interpol, der aber eher aussieht wie ein Spion vom MI5 mit dem Auftrag, die irischen Kartoffelfresser im Auge zu behalten und dafür zu sorgen, dass sie nicht die ganze Aktion verpfuschen.

Der Typ murmelt ein Dankeschön und reicht mir einen Flachmann, der einen sehr guten Gin enthält, wie sich herausstellt.

»Cheers«, sage ich, nehme einen Schluck und reiche den Flachmann zurück.

»Chin, chin«, sagt er. Also doch – MI5.

Eine leichte Brise schiebt die Wolken vom Mond weg.

Irgendwo auf dem Parkplatz bellt ein Hund.

Die Polizisten warten. Die Spione warten. Die Männer auf dem Schiff warten. Alle gemeinsam purzeln wir in die Zukunft.

Wir beobachten die Wellen und die schwarze Unendlichkeit, in der sich irgendwo vor Malin Head Himmel und See treffen. Endlich ruft gegen halb eins jemand: »Da! Ich sehe sie!«, und man befiehlt uns, den Strand zu verlassen. Die meisten verstecken sich hinter den Dünen; ein paar der klügeren Offiziere stehlen sich bis zu den Land Rovern zurück, um sich an Spirituskochern und heißem Whisky aufzuwärmen. Ich finde mich mit zwei Frauen in Regenmänteln, die von der Geheimdienstabteilung der Special Branch zu sein scheinen, hinter einer Sandbank wieder.

»Das ist so aufregend, nicht?«, fragt die Brünette.

»Ja.«

»Und wer sind Sie?«, fragt mich ihre Freundin in einem lustigen County-Cork-Akzent, der so klingt, als würde ein Esel in einen Brunnen fallen.

Ich sage es ihr, doch kaum kommt mir das Wort »Inspector« über die Lippen, hat sie auch schon jedes Interesse verloren, wie ich sehe. Hier schleichen heute Nacht Assistant Chief Constables und Chief Superintendents herum, da bin ich ganz weit unten in der Nahrungskette.

»Wurde ja auch Zeit!«, sagte jemand; wir schauen zu, wie die Our Lady of Knock in den Kanal manövriert. Ein merkwürdig aussehendes Schiff. Ein kleiner Frachter vielleicht, oder ein Trawler ohne Ausleger und Ketten. Es wirkt nicht sonderlich seetüchtig, doch irgendwie hat es die ganzen dreitausend Meilen über den Atlantik geschafft.

Etwa zweihundert Meter vom Ufer entfernt, lässt das Schiff den Anker fallen, und nach einigem unprofessionellem Herumgeeiere wird ein Zodiac zu Wasser gelassen. Fünf Mann steigen in das Schnellboot, und schon schießt es zügig in Richtung Strand. Sobald sie das trockene Ufer erreichen, fällt die Geschichte in die Zuständigkeit der RUC, auch wenn alle fünf Waffenschmuggler Amerikaner sind und das Schiff aus Boston gekommen ist.

Das kleine Boot springt über das Wasser und kümmert sich nicht weiter um Felsen und verborgene Riffe, von denen es an diesem Küstenabschnitt viele gibt. Es weicht ihnen auf wundersame Weise aus und schießt die Brandung entlang auf den Strand zu. Die Männer klettern heraus und sehen sich nach umherstreifenden Hundehaltern, Liebespärchen oder anderen Augenzeugen um. Sie entdecken niemanden, rufen: »Ja!«, und »Cool!« Einer geht in die Knie, ahmt den Heiligen Vater nach und küsst den Sand. Das nennt man Hingabe – die Rollbahn am Dublin Airport ist das eine, aber dieser kiesige, schmierige Strand in Windrichtung einer der Hauptkläranlagen von Derry ist etwas ganz anderes.

Sie öffnen eine Flasche und reichen sie herum. Einer von ihnen trägt ein John-Lennon-Sweatshirt. Junge Männer, die übers Meer gekommen sind, um uns den Tod in Form von Granatwerfern und Maschinengewehren zu bringen.

»Amis, hm? Die glauben wohl auch, sie könnten machen, was sie wollen, nein?«, meint eine der Beamtinnen von Special Branch.

Ich widerstehe der Versuchung, dick aufzutragen. Diese irisch-amerikanischen Waffenschmuggler sind zwar zweifellos naiv und unwissend, aber ich verstehe, warum sie so handeln. Patriotismus ist eine nur schwer auszurottende Krankheit, und Langeweile plagt uns alle …

Die Männer am Strand schauen auf die Uhren und fragen sich, was als Nächstes kommt. Sie erwarten einen Lastwagenfahrer namens Nick McCready und seinen Sohn Joe, die sich allerdings beide bereits in Gewahrsam befinden.

Einer der Männer entzündet eine Leuchtfackel und schwenkt sie über seinem Kopf.

»Was haben die denn jetzt vor? Feuerwerk?«, grummelt jemand hinter mir.

»Und was haben wir jetzt vor?«, frage ich laut genug, dass der Assistant Chief Constable mich hören kann. Ehrlich mal, wie lange sollen wir hier denn noch warten? Sind die Waffen im Boot, dann haben wir sie, sind sie es nicht, dann nicht, aber so oder so ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, die Männer zu verhaften.

»Ruhe in den Reihen!«, mahnt jemand.

Wenn ich den Befehl hätte, dann würde ich unsere Anwesenheit mit einer Flüstertüte und Scheinwerfern verkünden und in aller Ruhe die Situation erklären: Sie sind umzingelt, Ihr Schiff kommt aus dem Lough nicht mehr heraus, kommen Sie bitte ruhig und mit erhobenen Händen

Aber ich habe den Befehl nicht, also findet das Ganze auch nicht so statt. Da es sich hier um einen gemeinsamen Einsatz von RUC, Gardai, FBI, MI5 und Interpol handelt, kann es nur in einem Debakel enden … ein hochrangiger uniformierter Polizist marschiert auf die Männer am Strand zu wie Alec Guinness in der Anfangsszene von Die Brücke am Kwai.

»Was zum Teufel macht der da?«, sage ich bei mir.

Die Schmuggler haben ihn noch nicht bemerkt; zur Freude der anderen zeichnet der Kerl mit der Fackel Achten in die Luft.

Der uniformierte Beamte erreicht den Kamm einer Düne. »Also gut, Jungs, das Spiel ist aus!«, verkündet er mit lauter Columbo-Stimme.

Also gut, Jungs, das Spiel ist aus?

Die Amerikaner zücken sofort ihre Waffen und rennen zum Schlauchboot. Einer von ihnen schießt aufs Geratewohl auf den Uniformierten, der sich zu Boden wirft. Wahrscheinlich denkt er jetzt: Also wirklich, Jungs, das ist unsportlich.

»Hände hoch!«, ruft ein anderer Bulle etwas zu spät durch ein Megafon.

Die Amerikaner feuern aus einem beeindruckenden Arsenal aus Schrotflinten und Sturmgewehren blind in die Nacht. Einige der Polizisten erwidern das Feuer. Die Nacht wird mit weißen Fackeln, rotem Mündungsfeuer und orangefarbenen Leuchtspurbögen erhellt.

Ja, die Grenze ins Reich des internationalen Schlamassels ist wahrhaftig überschritten.

»Legen Sie die Waffen nieder!«, ruft der Bulle mit dem Megafon verzweifelt.

Ein Scharfschütze der Polizei bringt einen der Yankees mit einem Schuss in die Schulter zu Fall, doch die Schmuggler geben immer noch nicht auf. Sie sind verwirrt, seekrank, erschöpft. Sie haben keine Ahnung, wer auf sie schießt oder warum. Zwei von ihnen schieben das Schlauchboot wieder in die Wellen hinaus. Es ist ihnen nicht klar, dass sie zehn zu eins in Unterzahl sind und dass sie vom Special Boat Service geschnappt werden, falls sie es durch ein Wunder tatsächlich bis zur Our Lady of Knock schaffen sollten.

Die Brandung bringt das Schlauchboot zum Kentern.

»Hier spricht die Polizei, Sie sind umzingelt, stellen Sie sofort das Feuer ein!«, befiehlt man den Männern durchs Megafon. Doch Blut ist vergossen worden, und sie antworten mit einer Salve aus ihren Automatikwaffen. Ich zünde mir wieder eine Zigarette an und mache mich auf den Weg zum Parkplatz.

Ich gehe an den Land Rovern vorbei und steige in meinen Wagen. Ich drehe den Schlüssel im Zündschloss, brummend erwacht der Motor. In Radio 3 läuft Berlioz. Ich schalte auf Radio 1 um, dort läuft eine Ballade von Feargal Sharkey – Feargal Sharkeys erfolgreiche Solokarriere verrät einem alles, was man über die gegenwärtige Musikszene wissen muss. Ich schalte das Radio aus und das Licht ein.

Eine Munitionskiste explodiert mit einem ohrenbetäubend lauten Knall in einem Feuerball, den ich von hier aus sehen kann. Ich lehne die Stirn aufs Lenkrad und seufze schwer.

Ein blutjunger Constable, der auf dem Parkplatz für Sicherheit sorgen soll, klopft an die Scheibe der Fahrerseite. »He, wo wollen Sie denn hin?«

Ich kurble das Fenster runter. »Nach Hause«, teile ich ihm mit.

»Wer hat Ihnen das erlaubt?«

»Niemand hat mir befohlen, hier zu bleiben, also fahre ich.«

»Sie können doch nicht einfach so verschwinden!«

»Genau das werden Sie erleben.«

»Aber … aber …«

»Gehen Sie aus dem Weg, Junge.«

»Aber wollen Sie denn nicht wissen, wie es ausgeht?«, fragt er atemlos.

»Absurdes Drama ist nicht so mein Ding«, antworte ich, kurble das Fenster hoch und verlasse den Parkplatz. Im Rückspiegel schüttele ich den Kopf. Das war eine dumme Bemerkung. Denn hier draußen, am Rand des untergehenden British Empire, ist absurdes Drama die einzige Form des narrativen Diskurses, die überhaupt noch irgendeinen Sinn ergibt.

2
EIN PROBLEM MIT MR DWYER

Feuerwerk hinter mir. Dunkelheit vor mir. Wenn das keine Metapher für die Irland-Frage ist, dann weiß ich auch nicht.

Als ich den Autobahnzubringer hinter mir hatte, bretterte ich die A6 entlang bis zum Ende der Schnellstraße bei Glengormley. Von dort war es nur ein kurzer Sprung zur A2 nach Carrickfergus. Die Nacht war kalt und feucht, was sowohl die Terroristen als auch die British Army mit ihren willkürlichen Straßensperren entmutigte, also war die Fahrt recht schnell zu bewältigen, und glücklicherweise brachte ich mich auf den Motorway-Abschnitten bei Tempo 180 nicht um.

Kurz nach ein Uhr 20 war ich wieder in der Coronation Road in Victoria Estate, Carrickfergus.

In den Straßen der Mittelschicht war um Mitternacht alles still, doch hier draußen in den Sozialsiedlungen konnte es zu jeder beliebigen Stunde ein geselliges Beisammensein geben. Der craic fand zwei Türen weiter statt, ein paar Jungs tranken Harp Lager, aßen Fish and Chips und spielten Dinah Washington auf einem tragbaren Plattenspieler mit langem Kabel, der vor Bobby Camerons Haus stand. Bobby hatte offenkundig den Besitzer/Betreiber eines Imbisswagens entführt und ihn gezwungen, seine Kumpel und ihn zu verköstigen. Bobby war der örtliche paramilitärische Kommandant, der eine kleine Schutzgelderpressung unterhielt und mit Drogen und unverzollten Zigaretten handelte. In den vergangenen Jahren hatte er hier in der Gegend kein sonderliches Ansehen genossen, doch das hatte sich in letzter Zeit geändert, nachdem er mit Unterstützung der Glasgow Orange Order ein Mädchen aus Carrickfergus aus den Klauen der Unification Church aus Schottland zurückgeholt und ihr die Flausen ausgetrieben hatte. Bei dem Zwischenfall war der Moonie-Tempel bis auf die Grundmauern abgebrannt, und ein halbes Dutzend Moonie-Wachleute hatten Schüsse in die Kniescheiben abbekommen. »Haltet euch von Schottland und Nordirland fern!«, lautete die Botschaft, die das verkrüppelte Personal mit nach Korea heimnahm. Für Bobby war das ein großer Sieg, und nun hörte man manchmal die Leute flüstern: »Wenn du was erledigt haben willst, dann geh nicht zur Polizei, geh zu Bobby Cameron«, und so etwas war Musik in den Ohren der Paras.

Unsere Blicke kreuzten sich. Bobby sah ein wenig so aus wie Brian Clough, der Trainer von Nottingham Forest, aber nach einer 0 : 3-Niederlage gegen Notts County.

»Du bist ein gesuchter Mann, Duffy«, sagte Bobby.

»Ach ja?«

»Hast du denn deinen Funk nicht an?«

»Nein.«

»Wir haben mitgehört. Die suchen nach dir, Duffy. Miss Marple ist grad nicht erreichbar, also warum nicht den unerschrockenen Inspector Duffy holen, hm?«

»Danke für den Tipp«, sagte ich und schloss den Wagen ab.

»Möchtest du Fisch?«, fragte Bobby. »Ich geb einen aus.«

Ich ging zum Imbisswagen und sah den Fahrer an, einen älteren Herrn, der etwas Trauriges an sich hatte. »Ich bin Polizist. Werden Sie hier gegen Ihren Willen festgehalten oder hat man Sie gezwungen, hier zu sein?«

»Nein, nein, überhaupt nicht«, antwortete er schnell. »Ich tu Bobby nur einen Gefallen.«

Ich wusste nicht, ob ich ihm das abnehmen sollte, aber zumindest wirkte er nicht so, als fürchtete er um sein Leben, und das war ja immerhin schon was. »In dem Fall nehme ich eine Portion Wurst und Fritten.«

Die anderen Essensgäste machten Platz, damit ich an die Durchreiche kam. Eine ziemliche Sammlung an Ganoven und Tunichtguten, und wenn die aus meinem Leben mal einen BBC-Film machen, dann wird der Regisseur sich auf diese kleine Szene stürzen, um seine hässlichsten und durchgeknalltesten Komparsen einzusetzen.

Der entführte Imbissmann gab mir das Essen in Zeitungspapier, ich bedankte mich und hielt ihm ein Pfund hin.

»Geht aufs Haus«, sagte er und wies auf Bobby.

Ich aß ein paar Fritten. »Wie war’s in Schottland?«, fragte ich Bobby.

»Du hast davon gehört?«

»Ich hab was Interessantes für dich. Reverend Moon ist als Presbyterianer aufgewachsen. Die Moonies sind im Prinzip radikale koreanische Presbyterianer.«

Bobby schüttelte den Kopf. »Um zwei Uhr in der Früh werd ich mit dir keine theologische Debatte führen, Duffy, vor allem nicht, wenn du noch eine anstrengende Nacht vor dir hast, aber nur so viel: Das Problem mit euch Katholiken ist, ihr kapiert den Protestantismus nicht.«

»Nein?«

»Anders als deine Kirche, die streng hierarchisch ist – Papst, Kardinal, Bischof, Priester, Kirchgänger –, ist unsere eine Demokratie. Unsere Pastoren, unsere Moderatoren, unsere Kirchenältesten und Kirchgänger sind alle gleich. Das ist der Grund, warum Reverend Moon, wie du ihn nennst, niemals Presbyterianer sein kann, weil er sich über seine Herde erhebt.«

Die Jesuiten hatten mir die gegenreformatorische Dialektik derart eingebläut, dass ich selbst zu dieser unchristlichen Stunde ein halbes Dutzend Argumente gegen Luther, Calvin und die anderen Häretiker hätte aufbringen können, doch dazu war ich einfach zu müde. »Vielleicht hast du recht. Wir sehen uns«, sagte ich und ging ins Haus.

Ich machte meinen Pieper an und trug das Telefon ins Wohnzimmer. Wenn sie wirklich nach mir suchten, dann würden sie es so lange versuchen, bis sie mich hatten.

Ich holte mir Eis, mixte mir ein Pint Wodka Gimlet und legte das bislang beste Album des Jahres 1985 auf: die lang hinausgezögerte Veröffentlichung von Sam Cookes Live At The Harlem Square Club.

Ich trank das halbe Glas und drehte voll auf bei »Bring It On Home to Me«, das sich zu den Schwingungen einer altmodischen Erweckungsversammlung hochschraubte. Als ich genug getröstet war, rief ich auf dem Revier an. »Duffy«, sagte ich zu Linda in der Zentrale.

»Gott sei Dank, Inspector! Chief Inspector McArthur sucht nach Ihnen.«

»Ich bin heute Nacht gar nicht im Dienst. Sergeant McCrabban ist dran.«

»Chief Inspector McArthur hat dezidiert nach Ihnen gefragt. Er hat ausdrücklich darauf bestanden. Wo waren Sie?«

»Ich war in Derry, bin gerade erst nach Hause gekommen. Ich bin erledigt. Ich muss wirklich ins Bett, Linda Schätzchen.«

»Tut mir leid, Sean, aber der Chief Inspector rauft sich die Haare aus. Er hat einen richtigen Schlamassel an der Backe. Er hat ausdrücklich nach Ihnen verlangt.«

»Wo ist er?«

»Ähm, im, also, im Eagles Nest Inn, Knockagh Road …«, sagte sie mit mehr als nur einer Spur Verlegenheit in der Stimme.

»McArthur ist in diesem Augenblick dort?«

»Soweit ich weiß.«

»Und er steckt in irgendwelchen Schwierigkeiten?«

»Ich, ähm, ich bin nicht mit den Einzelheiten vertraut, Sean.«

»Also gut, wenn er wieder anruft, sag ihm, ich bin unterwegs.«

»Wissen Sie, wo das ist?«

»Ähm, ja, ich war schon mal dort … rein beruflich.«

»Natürlich.«

Ich schlang noch ein paar Fritten herunter, zog mir eine Lederjacke zu Jeans und Pullover an und ging wieder hinaus. Bobby und seine Gefolgsleute spielten Petanque mit zerdrückten Bierdosen, und am anderen Straßenende führte Mickey Burke seine alte, zahnlose Löwin an der Leine spazieren; er hatte mir versprochen, das zu unterlassen.

»Ah, haben sie dich gefunden, Duffy!«, bemerkte Bobby triumphierend.

Ich hob einen Finger und bedeutete Bobby, ich würde mich gleich um ihn kümmern. »Mickey, was habe ich dir gesagt!«

»Ich lass sie doch nur ein bisschen an die frische Luft, Inspector Duffy«, entschuldigte sich Mickey.

»Bring sie wieder rein! Das haben wir doch schon alles durchdiskutiert!«

»Sie hat doch keine Zähne mehr, sie ist harmlos und …«

»Bring sie wieder rein!«

Mickey scheuchte das ausgewachsene Tier wieder ins Haus zurück.

»Es sollte ein Gesetz gegen die Haltung von Löwen in Sozialwohnungen geben«, meinte Bobby, der nun aussah wie Brian Clough, der eine tote Schmeißfliege in seiner Monster-Munch-Chipstüte gefunden hat.

»Ja, das sollte es«, pflichtete ich ihm bei und sah unter dem BMW nach einer Sprengladung mit Quecksilberzünder nach.

»Hat doch keinen Sinn, Duffy. Wir waren die ganze Zeit hier. Niemand hat eine Bombe unter deinem Auto versteckt.«

»Woher weiß ich, dass du nicht eine versteckt hast?«, erwiderte ich und suchte weiter.

»Du bist mein Lieblingsbulle, Duffy, ich würd dich doch nicht umbringen.«

Ich kümmerte mich nicht weiter um ihn, bis ich fertig war, dann stieg ich ein.

»Und außerdem, wenn ich dich umbringen wollte, wärst du schon lange tot, Mann«, fügte Bobby hinzu.

»Unmittelbar gefolgt von dir, Kumpel, dafür hab ich schon gesorgt«, sagte ich und zwinkerte.

Ich verließ Victoria Estate und fuhr die Greenisland Road entlang zum Eagles Nest Inn, das auf halbem Weg den Knockagh Mountain hinauf lag.

Die Nebenstraße wurde zu einer Privatstraße, die sich durch lichten Wald und kurz darauf durch eine gepflegte Parklandschaft schlängelte, bevor sie vor einem Haus im schottischen Baroniestil des 17. Jahrhunderts mit Blick auf den Belfast Lough endete. Das Haus war in den Siebzigern in ein Hotel und dann in ein Spa umgebaut worden, nun war es ein erstklassiges Bordell. Das Ganze war natürlich vollkommen illegal, aber die Besitzer bestachen derart hohe Tiere, dass man schon einen Sherpa brauchte, um nur in deren Nähe zu kommen. Polizeiliche Ermittlungen hier draußen würden einen in ziemlich ernste Schwierigkeiten bringen: Interne Ermittlungen, Special Branch, der örtliche Abgeordnete, Untersuchungen auf Regierungsebene …

Ich stellte den BMW neben zwei Mercedes Benz und einem Rolls-Royce ab.

Am Eingang empfing mich ein strahlender junger Mann in einem Dreiteiler, dessen Namensschild ihn als Patrick auswies, was ich ihm natürlich unbesehen abkaufte.

»Sie sind nicht zufällig Inspector Duffy?«, fragte er in einem englischen Butlerakzent, der ebenso falsch klang wie sein Name.

»Doch.«

»Wenn Sie mir bitte folgen«, sagte er.

Er führte mich auf eine Weise durch das Gebäude, die ich nur als eine Form von makellos kaschierter Panik deuten konnte.

Ich folgte ihm eine breite Eichentreppe hinauf in den ersten Stock. An den Wänden hingen Gemälde von Pferden, Jagdszenen und dergleichen, Originale oder Nachahmungen von Stubbs und John Frederick Herring. Kronleuchter illuminierten den Gang, aus versteckten Lautsprechern plätscherte seichte Klassik. Eine kalte, unerotische Umgebung, doch wahrscheinlich nahm man an, dass der begüterte Kunde es genau so haben wollte. Zum Teufel, vielleicht wollten sie es ja wirklich so haben. Vielleicht hatte die Dame des Hauses einen Fragebogen verschickt. Oben an der Treppe warteten mehrere Rausschmeißertypen auf uns. Sie wiesen auf eine offene Tür, wir betraten Zimmer 202 und hatten ein wirklich hübsches Diorama vor uns.

Auf dem Fußboden hockte ein halbnackter junger Mann mit einer bluttriefenden Wunde am Kopf. Er weinte. Ein kahlköpfiger Herr im Bademantel und ein anderer, erheblich jüngerer in Jeans und Sweatshirt kümmerten sich um ihn. In einem Sessel an einem Schreibtisch saß eine junge Frau mit Baskenmütze. Neben ihr saß eine ältere Frau mit einer grellroten Perücke. Auf der Bettkante hockte ein mürrisch dreinblickender Chief Inspector McArthur. Hinter der Szene bot eine geöffnete Balkontür einen Ausblick auf einen ausgefallenen, beleuchteten Springbrunnen und einen gepflegten Rasen.

Peter McArthur war mein neuer Chef, wobei neu hier das Stichwort war, da er den Posten als Leiter des Reviers Carrickfergus erst vor etwa sechs Wochen angetreten hatte. Auf dem Papier war er der Überflieger: Cambridge University, Hendon Police College, Chief Inspector mit gerade mal 31, in persona aber war er weit weniger eindrucksvoll. Lange Nase, fliehendes Kinn, eine verträumte, weiche Unschärfe in seinen mädchenhaften braunen Augen. Schotte, aber eher der schrullige New-Town-Edinburgh-Typ, nicht Raubein aus Glasgow. »Gott sei Dank, Duffy, wo in Gottes Namen haben Sie nur gesteckt?«

»Derry. Einsatz der Special Branch.«

»Ich kann nicht zulassen, dass Sie in Derry herumpoussieren. Sehen Sie denn nicht, dass wir hier in Riesenschwierigkeiten stecken?«

»Es gibt auf dem Revier jede Menge Constables.«

»Aufpassen, Feind hört mit. Das ist eine recht delikate Angelegenheit, finden Sie nicht?«

»Ich weiß noch nicht mal, um welche Angelegenheit es geht, Sir.«

Der Mann im Sweatshirt stand auf und sah mich an. »Und wer ist das?«, fragte er mit angenehmem amerikanischem Akzent.

»Inspector Sean Duffy. Leiter der Kriminalpolizei auf unserem Revier. Sie können ihm vertrauen.«

Der Mann machte ein zweifelndes Gesicht.

Ich sah den Chief Inspector stirnrunzelnd an. Was zum Teufel geht hier vor sich, Chef?

Bei dem Versuch angedeuteter Vertraulichkeit senkte McArthur die Stimme. »Hören Sie, Duffy, Sie sind schon länger hier als ich, was machen wir jetzt? Ich möchte die Sache nicht nach oben weiterreichen. Noch nicht. Da muss man doch keine Riesensache draus machen, oder?«

Er schwitzte in seinem schicken braunen Anzug mit der blutroten Krawatte und schaute besorgt. McArthur war nur drei Kalenderjahre jünger als ich, aber er rauchte nicht, mied Sonne und Alkohol, deshalb sah er aus wie zwanzig. Wenn er jetzt schon überfordert war, dann wollte ich nicht wissen, wie dieser Trottel bei einem echten Notfall reagierte.

Ich setzte mich auf die Bettkante. »Vielleicht könnten Sie mich über die Situation in Kenntnis setzen, Sir?«

»Ach, das mach ich schon, keine Bange«, sagte die junge Frau mit einem West-Belfast-Ton, der an eine Kettensäge erinnerte.

»Also gut. Was ist passiert, Herzchen?«, fragte ich sie.

»Der Herr und ich wollten zur Sache kommen. Und dann meinte er, ich soll ein wenig … Brennstoff nehmen, wie er das nannte. Ich sagte nein. Er meinte, ich soll mich nicht so anstellen, davon blieben wir die ganze Nacht drauf. Ich sagte nein. Da wird er ganz stinkig und schreit und brüllt rum, und ich sage nur, in Ordnung, ich ruf den Sicherheitsdienst. Er flippt aus und versucht mich zu erwürgen, da habe ich den Lampenschirm genommen und ihm damit einen übergebraten.«

»Gut gemacht«, meinte ich.

»Dann habe ich sofort Carrickfergus RUC angerufen, in meinem Etablissement kann ich solchen Unfug nicht zulassen«, sagte die Frau mit der roten Perücke. Also tatsächlich die Dame des Hauses. Eine Mrs Dunwoody, falls ich mich recht erinnerte.

»Wo ist der Stoff?«, fragte ich.

Chief Inspector McArthur reichte mir einen großen Beutel mit weißem Pulver. Genug Brennstoff, um eine ganze Armee zu befeuern. Ich nahm eine Probe. Erstklassiges Koks, unverschnitten. Wahrscheinlich pharmazeutisches Kokain aus Deutschland, ein glattes Vermögen wert. Ich verschloss den Beutel und steckte ihn in die Jackentasche.

»Haben Sie das Kokain gewogen?«, fragte ich den Chief Inspector.

»Nein.«

Ausgezeichnet. »Dann mache ich das auf dem Revier und trage es als Beweisstück ein.«

»Kokain?«

»O ja. Beste Qualität. Und eine große Menge dazu. Wenn wir wollten, könnten wir ihm die Absicht zum Drogenhandel vorwerfen. Nicht, dass das nötig wäre. Der Besitz einer solchen Menge bringt mindestens sechs Monate.«

Chief Inspector McArthur schüttelte den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher, ob Sie hier das ganze Bild im Auge haben, Duffy … Wissen Sie, wer das ist?«

»Nein.«

»Schauspieler. Berühmt. Amerikaner.«

Ich besah mir den halbnackten Kerl. Er kam mir vage bekannt vor. Kräftiges Kinn, strahlende Augen. Vielleicht hatte ich ihn in irgendeinem Film gesehen. Die Geschichte mit den Tränen nahm eine andere Dimension an. Gespielt. Der Chief Inspector nickte mir fragend zu, ob ich ihn verstanden hätte. Aye, hatte ich. Selbst in so abgelegenen Gegenden wie Nordirland war Ruhm die wichtigste Währung. Wir würden diesen Burschen nicht unter Anklage stellen. Wir würden nicht den Zorn der Anzugträger und die langen Schnäbel der Medienkrähen über unsere kleine Gemeinde bringen. Andererseits stand Mrs Dunwoody, oder ihr Arbeitgeber, unter direktem Schutz, und sie verlangte Gerechtigkeit …

»Schauspieler? Waren Sie in Der tödliche Schwarm?«, fragte Mrs Dunwoody.

»Nein«, antwortete der Kerl.

»Sicher? Sie kommen mir so bekannt vor.«

»Ich habe in dem Film nicht mitgespielt!«

»Wie heißen Sie?«, fragte ich den Schauspieler.

»David Dwyer«, antwortete er. Ah ja, ich kannte ihn. In der Zeitung hatte ich etwas über ihn gelesen. Er hatte einen Fotografen angegriffen und eine seiner Ex-Frauen geschlagen, aber in Hollywood hatte das wohl im Vergleich zu seinen Millionen-Dollar-Rollen nichts zu sagen.

»Was tun Sie in Irland, Mr Dwyer?«

»Ich recherchiere für einen Film«, antwortete er und verschliff die Wörter ein wenig. So betrunken war er allerdings nicht, das konnte ich sehen. Einen Augenblick fragte ich mich, ob er wohl jemals aufhörte, eine Rolle zu spielen. Allein in seinem Zimmer vielleicht, wenn ihm sonst niemand zusah.

»Also, Mr Dwyer, ich nehme an, Ihnen ist klar, dass man Sie wegen Kokainbesitzes und tätlichen Angriffs anklagen wird?«

»Ich habe dieses Zeug noch nie gesehen!«

»Na, na, Mr Dwyer, wir wissen doch, dass das nicht wahr ist, hm?«, erwiderte ich, und das polizeiliche Wir führte mich so richtig in meine Rolle ein.

»Und was ist mit der Schlampe da? Sie war es, die mich angegriffen hat!«, kreischte er und sah in einem unnachgiebigen Schnitt/Gegenschnitt erst mich und dann den Chief Inspector an.

»Sie hat Sie angegriffen, und irgendjemand hat Ihnen das Kokain untergeschoben, ist das Ihre tragische Geschichte, Sir? Zum Glück ist mein Sergeant nicht dabei, der ist nah am Wasser gebaut, bei der Geschichte hätte er sich die Augen ausgeheult.«

»Aber es ist wahr!«, beharrte er.

»Die junge Dame, Sir, hat aus reiner Notwehr gehandelt, und glauben Sie mir, alle irischen Geschworenen werden das ebenfalls so sehen.«

Der Kahlkopf im Bademantel stand auf und wandte sich an den Chief Inspector. »Ich bin hier fertig, okay? Keine inneren Verletzungen, die Blutung ist gestoppt, er muss genäht werden. Am Morgen ist er wieder wie neu.«

»Danke, Doktor …?«, fragte McArthur.

»Es wäre mir lieber, mein Name kommt dabei nicht ins Spiel, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

»Sie sollten besser wieder zu Ihrer Freundin gehen, Doktor. Hier geht’s nach Stunden«, sagte ich.

»Nein! Das geht aufs Haus, sagen Sie das bitte Samantha«, betonte die Dame des Hauses.

Der Doktor lächelt leicht und tritt ab …

»Ich hab keine Ahnung, was ihr Kerle hier für ein Ding abzieht, aber ihr wollt euch besser nicht mit mir anlegen, glaubt mir. Ich könnte euch zehn Mal kaufen!«, knurrte Dwyer und stand auf. Er war ziemlich klein, strahlte aber eine ungeheure Körperlichkeit aus. Keine Ahnung, ob er jemals auf der Bühne gearbeitet hatte, aber wenn, dann hatte er den Raum wohl ausgefüllt. Er bohrte mir einen Finger ins Jackett. »Wenn Irland endlich von solchen Arschlöchern wie euch befreit ist, dann wirst du als Erster an die Wand gestellt, das weißt du, oder?«

Ich nahm den Finger und bog ihn nach hinten. Er wimmerte, seine Knie gaben nach. Ich zwang ihn mit mehr Aggressivität zurück auf den Boden, als nötig gewesen wäre, um ihm klarzumachen, wer genau im Raum das Sagen hatte.

Der Chief Inspector sah mich alarmiert an. Ich schüttelte den Kopf, damit er den Mund hielt. »Sie sind mir ja ein ganz gefährlicher Bursche, Mr Dwyer, aber der Chief Inspector und ich sind hier im Augenblick Ihre einzigen Freunde. Wir sind die einzige Hürde zwischen Ihnen und ein paar Jahren in einem nordirischen Gefängnis«, erklärte ich ihm und ließ den Finger los. Er schnappte nach Luft und rollte sich in Embryonalstellung zusammen.

Der Mann im Sweatshirt half Dwyer auf, damit der sich bequemer setzen konnte, und lächelte entschuldigend.

»Ich bin Thomas, Mr Dwyers Assistent, und ich kann Ihnen versichern, dass wir niemanden beleidigen wollten. Bitte sagen Sie uns, was wir tun können, um diese Untersuchung zu beschleunigen und die Situation so bald und so gütlich wie möglich beizulegen«, sagte er.

Ich sah den Chief Inspector an, der zuckte mit den Schultern. Es lag allein bei mir.

Ich zündete mir eine Marlboro an.

»Die junge Dame hat einen ziemlichen Schock erlitten und wird zweifellos einen Urlaub machen wollen, um darüber hinwegzukommen. Ich würde meinen, ein Barscheck, über, sagen wir, zweitausend …«

»Fünftausend!«, unterbrach sie mich.

»… fünftausend Pfund wird die Unkosten decken. Und die Dame des Hauses wird die beschädigte …«

»Antike«, betonte sie.

»… antike Lampe ersetzen müssen, wobei ich denke, dass zweitausend Pfund genügen werden?«

Mrs Dunwoody nickte. Zwei Riesen waren mehr als ausreichend.

»Wir erwarten von Ihnen, dass Sie den Zuständigkeitsbereich unverzüglich verlassen, und möchten unterstreichen, dass es in Ihrem eigenen Interesse liegt, nicht wieder herzukommen.«

Thomas lächelte respektvoll und war erfreut, dass sein Chef so glimpflich davonkam. »Herzlichen Dank, die Herren Polizisten, Mr Dwyer weiß Ihre Mühen sehr zu schätzen«, sagte er.

»Ich möchte, dass er sich für unsere Mühen bedankt. Und ich möchte, dass er sich bei der jungen Dame für den Schrecken entschuldigt, den er ihr eingejagt hat.«

»Den Teufel werd ich!«, murmelte Dwyer.

Ich packte den Scheißer am Kragen und lupfte ihn auf die Füße. »O doch, Sonnyboy! Der letzte kleine Mistkerl, der mir so gekommen ist wie du, pisst heute noch Blut durch einen Katheter. Kapiert?«

»Kapiert. Kapiert. Entspann dich, Mann. Ich hab’s kapiert.«

Dwyer entschuldigte sich.

Thomas stellte Schecks aus.

Die Dame des Hauses und die junge Frau bedankten sich bei mir.

Der Chief Inspector brachte mich in die Halle hinaus und fragte, ob ich mit der Berühmtheit nicht vielleicht ein wenig zu harsch umgesprungen sei. Ich ging nicht weiter darauf ein. Er fragte mich, ob das mit dem Katheter denn stimme. Nein, antwortete ich. Er wirkte erleichtert, deshalb erzählte ich ihm nicht, dass ich den letzten Kerl, der mir frech gekommen war, niedergeschossen und tot in einem Dorf nördlich von Brighton zurückgelassen hatte, kurz bevor ich bei dem Bombenattentat auf das Grand Hotel in Brighton mit dem halben Tory-Kabinett in die Luft flog …

»Wann immer Sie sich einsam fühlen und Gesellschaft suchen, wissen Sie ja, wo Sie hinkommen können. Geht aufs Haus. Wir haben Mädchen für jeden Geschmack«, betonte Mrs Dunwoody.

»Schon in Ordnung, ich …«

»Vielleicht bevorzugen Sie in Ihrem Fall aber Jungs, junge Männer meine ich, attraktive junge Männer.«

Ich sah ihr in die Augen. Woher wusste sie von dieser irren, völlig untypischen Einmal-Erfahrung vor all den Jahren? Woher kannten Puffmütter überhaupt deine innersten Geheimnisse?

»Ähm, nein danke«, sagte ich.

Sie hakte sich unter und brachte mich nach draußen.

»Hier findet sich alles Mögliche«, grübelte sie.

»Da wette ich.«

»Letzte Woche war ein Herr hier, der wollte, dass Veronica ihm Dartpfeile auf den blanken Hintern warf.«

»Tatsächlich?«

»Ich hab’s ihr nicht erlaubt. Sie ist Linkshänderin. Die fliegen doch sonst wohin, nein? In meine guten Gemälde.«

Ich schloss den BMW auf und stieg ein.

Mrs Dunwoody lächelte. »Kommen Sie vorbei, wenn Sie einsam sind, und wenn Sie nur reden wollen, wir haben ein paar wirklich gute Zuhörerinnen«, beharrte sie.

Ich nickte, schloss die Tür und fuhr am Wasser entlang nach Carrickfergus zurück.

Alles an der großen normannischen Burg schrie förmlich nach englischer Macht, so wie sie das schon in den letzten achthundert Jahren so wirkungsvoll getan hatte. Ich fuhr auf den Parkplatz. Keine neugierigen Blicke. An dem einen Pier ein Kohleschiff aus Lettland, am anderen das Lotsenschiff. Ich nahm einen Beweisbeutel, zog den Beutel mit dem pharmazeutisch reinen Koks aus der Tasche, schüttete etwa die Hälfte um, versiegelte den Beutel und legte ihn ins Handschuhfach.

Ich fuhr die halbe Meile von der Burg zum Revier.

Menschenleer, bis auf Sergeant Dalglish, der es sich am elektrischen Kamin bequem gemacht hatte und ein Buch las.

»Wer ist da?«, fragte er.

»Na, zumindest nicht der Geist der Weihnacht, falls du dir darüber Sorgen machen solltest.«

»Ah, Duffy. Der Chief Inspector sucht nach Ihnen.«

»Er hat mich gefunden.«

»Ist ziemlich einsam hier, Duffy, wollen Sie noch bleiben und reden? Ich arbeite mich gerade durch Paulus’ Zweiten Brief an die Korinther. Sehr faszinierend. Nehmen Sie sich einen Stuhl.«

»Ähm, nein danke, Mann, ich glaub, ich erschieß mich lieber. Bin schon weg. Und denken Sie bitte dran, dass DS McCrabban heute Nacht Dienst hat, nicht ich, okay?«

»Okay.«

»Wenn ich diesen Bericht geschrieben habe, möchte ich erst morgen wieder gestört werden.«

»Entspannen Sie sich, Duffy, keiner wird Sie belästigen. Gehen Sie heim und machen Sie einen Schönheitsschlaf, sieht ganz so aus, als könnten Sie ihn brauchen.«

Ich tippte einen kurzen Bericht, den der Chief Inspector unterschreiben sollte. Unter ›Tätigkeit des Beamten‹ schrieb ich, dass Mr Dwyer mit einer Verwarnung davongekommen sei. Ich ging in die Asservatenkammer, wog das Kokain, vermerkte 87,9 Gramm auf dem Beutel und schloss ihn in den Nachtsafe.

Draußen. BMW. 145 km/h, zwei Minuten bis in die Coronation Road. Ich stellte den Wagen ab, schnappte mir meine Hälfte von dem Koks und stieg aus. Meine Timex sagte drei Uhr 55. Leichter Nieselregen. Keine Autos. Keine Fußgänger.

113 Coronation Road. Ich holte mir eine Taschenlampe, ging in den Gartenschuppen und versteckte das Koks in einer Nagelkiste neben einem Batzen Schmiere, die so alt und ranzig war, dass selbst der beste Spürhund sich nicht in die Nähe getraut hätte.

Zurück im Haus, zog ich mich schnell im Flur aus und ging nackt die Treppe hinauf.

Ich zündete den Kerosinofen an und machte das Licht aus.

Eine Stunde lang warf ich mich hin und her, dann gab ich schließlich auf. Ich ging nach unten. Wodka Gimlet. Sam Cooke auf der Stereoanlage. Sam The Man Cooke, dessen rohe maskuline Kraft so intensiv war, dass er während des Medleys aus »It’s All Right/For Sentimental Reasons« das halbe Publikum zum Orgasmus zu bringen schien.

Als die Platte zu Ende war, ließ ich mich von der Stille umspülen. Ich drückte mir das eisgekühlte Pintglas an die Stirn, lag auf dem Sofa im bleichen Sternenlicht, im Schein anderer Tage …

Das Haus war still.

Die Straße war still.

Meine Augenlider waren schwer.

Regen fiel.

Das Telefon klingelte.

3
MURDER WAS THE CASE THAT THEY GAVE ME

Ich ging dran. »Ich hoffe, es ist wichtig.«

»Sean, bist du das?«, fragte Detective Sergeant McCrabban.

»Jeder andere hätte dir schon längst gesagt, dass du abzischen sollst. Natürlich bin ich das. Weißt du, wie spät es ist, Crabbie?«

»Ähm, etwa sechs Uhr?«

»Aye, sechs Uhr, und ich war noch nicht mal im Bett.«

»Tut mir wirklich leid, Sean, aber wir haben hier einen schwierigen Fall.«

»Was für einen schwierigen Fall?«

»Einen Doppelmord in Whitehead.«

»Écoutez, geschätzter Herr Kollege. Ist das nicht der Grund, warum man dich vom einfachen Plattfuß zum Detective Sergeant ernannt hat? Damit du dich um Doppelmorde in Whitehead kümmerst, ohne mich in meiner sogenannten freien Nacht anzurufen?«

»Der Mord ist nicht das Problem, Sean.«

»Okay, ich spiele mit, was ist das Problem?«

»Es geht um einen Zuständigkeitsstreit.«

»Mal was Neues. Weiter.«

»Larne RUC behauptet, das sei ihr Fall, weil die Straße zum Haus auf ihrem Gebiet liegt. Das Haus selbst aber liegt auf dem Gebiet von Carrickfergus RUC. Es ist unser Fall, Sean.«

»Himmel, Crabbie, wenn sie ihn so unbedingt haben wollen, dann sollen sie ihn eben haben!«

»Ehepaar, mit Kopfschüssen ermordet, der Mann ist ein Typ namens Ray Kelly, gut betucht.«

Ich seufzte. »Du willst also nicht, dass Larne den Fall kriegt, weil es sich um einen reichen toten Kerl handelt?«

»Also, Sean, erstens, das ist unser Fall, Larne hat überhaupt kein Recht, dort zu sein. Zweitens, es ist ein interessanter Fall: ein toter Millionär und seine Gattin in einer Monsterriesenvilla in Whitehead.«

»Und was hat das alles mit mir zu tun?«

»Ich brauche dich, Sean, ich bin Detective Sergeant, du Inspector, ich kann Larne RUC nicht allein fernhalten. Ich schulde dir einen Gefallen, Mann.«

Ich stöhnte in den Hörer. »Also gut, Crabbie, ich komme, ich hab eh nicht geschlafen.«

»Du solltest dich vielleicht in Schale werfen. Hier rennt ein von sich eingenommener Chief Inspector Kennedy von Larne RUC herum.«

»Anschrift?«

»64 New Island Road, Whitehead, gleich unterhalb des Leuchtturms. Soll ich dir einen Constable schicken?«

»Ich werd’s schon finden.«

»Darf ich fragen, wie dein Trip nach Derry letzte Nacht gelaufen ist?«

»Die Waffenschmuggler?«

»Aye.«

»Geradezu eine Glanzleistung an Zusammenarbeit zwischen RUC, Garda und Interpol.«

»Ach, herrje. So schlimm?«

»So schlimm. Bis gleich, Crabbie. Halte die Stellung, und lass die Landeier aus Larne nicht mit ihren dreckigen Stiefeln an unserem Tatort herumtrampeln.«

»Mach ich nicht.«

Crabbie legte auf, ich stellte den Wasserkessel auf den Herd und drückte an der Stereoanlage auf die Voreinstellung für Radio 1. Ich suchte im Schrank über der Spüle nach der RUC-Landkarte für East Antrim, fand sie und breitete sie auf dem Küchentisch aus. Der Kessel schaltete sich klickend aus, und ich brühte mir eine Tasse Tee. Dann schnappte ich mir ein paar McVities-Schokokekse und besah mir die Landkarte.

Mir fiel auf, dass die Grenze zwischen Carrickfergus RUC und Larne RUC direkt durch die Gemeinde Whitehead lief, doch 64 New Island Road, auf der Blackhead-Klippe, lag gerade diesseits der Grenze auf unserem Gebiet. Ich würde wohl ein wenig brüllen und schreien müssen, aber Crabbie hatte recht; wenn wir den Fall unbedingt wollten, dann war er unserer.

Auf Radio 1 lief »Ever Fallen In Love With Someone« von den Buzzcocks. Ich goss mir einen Schluck Lagavulin in den Tee und zündete mir eine Marlboro an.

Tee, Kippe, McVities, Lagavulin: Frühstück für verfluchte Helden.

»Also gut, Duffy«, meinte eine krächzende Stimme, die ein wenig nach meiner eigenen klang, »jetzt wird’s ernst.« Ich suchte mir einen Pullover und eine Jeans raus, die noch nicht zu abgewetzt aussahen. Ich schnürte meine Doc Martens zu, schnappte meinen Dienstrevolver und einen schwarzen Regenmantel und trat hinaus auf die Coronation Road.

Ich schaute unter dem BMW nach Sprengsätzen und stieg ein.

Ich schaltete Radio 1 ein und The Cure setzten mit ihrer schwungvollen, aber irgendwie irritierenden Melodie von »Close To Me« ein. Ich fuhr die Coronation Road entlang, bog rechts in die Victoria Road und fuhr zum Fuß des Hügels, wo das Plateau von Antrim auf das Meer trifft. Zu dieser Uhrzeit gab es keinen Verkehr; ich hielt an der Kreuzung. Rechts wurde Carrickfergus Castle von Scheinwerfern beleuchtet, hinter der Burg war Belfast unterhalb des Black Mountain ein nasser Film aus Licht und Schatten.

Ich bog nach links ab, und da auf der Straße keinerlei anderen Fahrzeuge unterwegs waren, gab ich dem 6-Zylinder-M30-Motor meines BMW ordentlich was zu tun.

Auf dem Tacho bewegte sich die Nadel jenseits der 160, ich schoss an den verlassenen Fabrikgebäuden in Kilroot vorbei, und bevor Robert Smith zu dem Satz »Wish I’d stayed asleep today« kam, war ich schon weit auf das irische Land hinaus.

In unter vier Minuten war ich in Whitehead angelangt, über die weite Schleife der A2, den Bla Hole, wo ich für einen überraschenden Augenblick den gesamten Nordkanal und ein gutes Stück der Küste Westschottlands sehen konnte.

Die Straße machte eine Linkskurve, auf der Beifahrerseite lagen Felder voller Schafe, und auf meiner Seite sah ich einen Hauch von Sonne am östlichen Horizont …

Rosig.

Blau.

»Close To Me« ging zu Ende, und da um diese Uhrzeit sowieso niemand zuhörte, legte der DJ die Maxiversion von »Blue Monday« auf, die mich locker bis zu meinem Ziel begleiten würde.

An der Cable Road bog ich rechts ab.

Whitehead, County Antrim.

Stellen Sie sich das Vernazza der Cinque Terre an der italienischen Riviera vor.

Nein, Augenblick, stellen Sie es sich nicht vor. Ist überhaupt nicht vergleichbar, wir reden hier schließlich von Nordirland. Also gut, stellen Sie es sich ein wenig so vor. Ein Städtchen unter einer Klippe, eine Ortschaft mit bunt angestrichenen Häusern am Meer.

Ich zog die Karte hervor und entdeckte die New Island Road.

Der Tatort war nicht schwer zu finden.

Sergeant McCrabban hatte zwei Dienst-Land-Rover von Carrickfergus dabei, Larne RUC war mit ihren eigenen Land Rovern aufgetaucht, dazu kamen noch zwei Land Rover von der Spurensicherung aus Belfast. Dann noch ein paar Fahrzeuge der örtlichen Medien, ein Dutzend Gaffer aus der Gegend und der Ü-Wagen von BBC Radio Ulster.

Das Haus selbst war eine Narretei, eine verkleinerte Kopie des Dunluce Castle, das ein paar Meilen weiter nördlich spektakulär ins Meer gestürzt war. Es gab einen zentralen Bergfried aus massiven grauen Steinen, mit Türmchen und Strebebögen, hohen Bogenfenstern und einer flachen, gemauerten Zinne. Dazu kamen mehrere Nebengebäude und ein Gästehaus, alles umschlossen von einer mächtigen Steinmauer.

Die dreißig Meter hohe Klippe schützte den Besitz im Osten, Süden und Norden, ein Angreifer musste also über die Mauer im Westen klettern, wenn er eindringen wollte, oder sich einen Weg durch die massiven Eisentore bahnen.

Ich stellte den BMW hinter den Ü-Wagen der BBC und ging durch die riesigen schmiedeeisernen Pforten, wo Crabbie auf mich wartete.

»Guten Morgen, Sergeant McCrabban«, sagte ich fröhlich.

»Guten Morgen, Sean.«

»Himmel, das ist ein ganz schöner Haufen Steine«, sagte ich. »Diese Leute müssen ja wirklich ziemlich betucht gewesen sein.«

»Jetzt verstehst du, warum Larne RUC den Fall haben will, oder? Das ist die Art Fall, die den Zeitungen gefällt, die Art, auf der Karrieren aufgebaut werden.«

»Oder beendet«, sagte ich mit bedeutend tieferem Tonfall.

»Aye, aber die meisten haben eben nicht so ein Glück wie du, Sean«, meinte Crabbie.

»Was hast du gesagt, war dieser Bursche? Buchmacher?«

»Er hat eine ganze Kette von Wettbüros.«

»Wer hat den Mord gemeldet?«

»Mrs McCawly, die Haushälterin.«

»Wie ist sie hereingekommen?«

»Sie hat einen Zugangscode für das Tor.«

»Wann war sie hier?«

»Pünktlich um fünf.«

»Ein bisschen früh für eine Putzfrau, nein?«

»Sie arbeitete von fünf bis acht jeden Tag. Mrs Kelly hatte das Haus in der Früh gern piccobello.«

»Hat sie der Staubsauger nicht geweckt?«

»Na ja, heute sicher nicht.«

»Also, Mrs McCawly kommt um fünf und findet Mr und Mrs Kelly erschossen vor?«

»Ja.«

»Stand das Tor offen, als sie kam?«

»Nein.«

»Wie ist der Mörder hereingekommen? Man braucht ja einen Belagerungsturm, um über die Mauer zu kommen.«

»Oder eine Leiter.«

»Ja, stimmt schon, aber welcher Killer, der was auf sich hält, fährt mit einer Drei-Meter-Leiter herum?«

»Einer, der sich gut vorbereitet?«, erwiderte Crabbie mit der Seelenruhe eines klassischen englischen Butlers.

»Du glaubst also, es handelt sich um einen Auftragsmord?«

»Nein, ganz im Gegenteil.«

Crabbie ging mir langsam auf die Nerven. »Schauen wir uns mal den Tatort an, hm?«

Er führte mich durchs Tor hinein über einen Schotterweg in die mit Holzpaneelen getäfelte Eingangshalle und schließlich in einen großen offenen Wohnraum mit Blick auf den Nordkanal. Es wimmelte nur so von Bullen und anderen Herumlungernden, einige davon drehten sich um, als ich den Raum betrat. Ich kümmerte mich nicht weiter um sie.

Die Sonne war aufgegangen, und Schottland war so nah, dass man den Rauch aus den Schornsteinen in den Dörfern