cover
cover

VORWORT

von Reinhold Messner

Was ist es, was mich an Shackleton so fasziniert? Er ist so etwas wie ein Vorbild für mich, das, was die Amerikaner einen »Hero« nennen. Dabei ist er mit all seinen Vorhaben gescheitert! Trotzdem: Shackletons Endurance-Expedition, ein Schiffbruch ohnegleichen und die Rettung dazu, ist das kühnste Abenteuer des 20. Jahrhunderts.

350 Tonnen Holz und Stahl und Last schoben sich von der Insel South Georgia weiter nach Süden, immer weiter weg vom Krieg in Europa, von alten Gewohnheiten, von daheim. Es war 1915, mitten im antarktischen Packeis, als Shackletons Schiff Endurance in den Eispressungen barst und sank. 27 Mann – verstört und enttäuscht – blieben mit ihm auf dem Treibeis verschollen. Mit ein paar Rettungsbooten, einer hungrigen Hundemeute und einem Haufen Schrott. Mit dem Vorwärts war es vorbei!

Nie sah ein Heimweg trostloser aus.

Shackleton war wieder einmal gescheitert. Sein Traum aber, mit einer Hundeschlittenreise quer über den antarktischen Kontinent seinem toten Rivalen Scott und allen Briten vorzuführen, wer der für die Eishölle geborene Held war, hatte sich jäh in eine sinnvolle Aufgabe gewandelt: sich und seine Männer über das südliche Polarmeer nach Hause zu retten.

Endurance bedeutet Widerstandskraft, Ausdauer, Standhaftigkeit, Eigenschaften, die den Initiator der Expedition auszeichneten. Als hätte »Shack«, wie die Mannschaft ihren »Boss« liebevoll nannte, seinem Schiff seine Seele geliehen.

Die Mannschaft, junge Männer aus Oxford und Cambridge, hätte ursprünglich am Schelfeisrand geteilt werden sollen. Die eine Gruppe sollte dort eine Basis schaffen und mit fünf ausgewählten Männern wollte Shackleton dann die »schwierigste Landreise auf Erden« wagen, über den Südpol bis ins Rossmeer, wo das Schiff Aurora lag, von Neuseeland gekommen.

Inzwischen war die Expedition im Eis gefangen. In Nebel und Kälte und Schneesturm trieben zwei Dutzend Männer, ihre beiden Führer Shackleton und Wild, der Kapitän Worsley und Frank Hurley als Fotograf auf Eisschollen auf das Ende der Welt zu.

Monatelang schrien sie sich Mut zu, überzeugt davon, mit Gott und »Shack« Chaos und Treibeis zu meistern. Frank Hurley fotografierte dabei die äußerste Verlorenheit von Menschen im friedlichen Glanz der Eisberge und Eiskristalle.

Wie lange konnten sie hoffen, warten, treiben? Sie hatten ihren Alltag: regelmäßige Mahlzeiten, jeder seine Aufgabe, Gespräche. So vertrieb einer dem anderen die Angst, und alle vergaßen, wie hilflos sie waren.

Das Erste, was »Shack« zu ersetzen hatte, war das Symbol, das mit der Endurance gesunken war. Er tat es mit einem Ziel! 350 Meilen nordnordwestlich lag Paulet Island, wo der Schwede Otto Nordenskjöld 1902 eine kleine Hütte und Proviant zurückgelassen hatte. Dorthin mussten sie kommen. Vorerst! Trotzdem, der verlorene Haufen ergab ein trauriges Bild: Ausrüstung im Schnee verstreut, winselnde Hunde, über allem ein bleigrauer, tief liegender Himmel.

Alle schufteten fürs Überleben, aber mit Menschenhand allein schafften sie es nicht. »Aussichtslos«, tröstete der »Boss«. So entschieden sie sich zu bleiben, wo sie waren. Auf altem, dickem Eis richteten sie ihr Lager ein, das berühmte »Ocean Camp«.

In den Zelten krochen die besten Freunde zusammen; jeder baute mit Eisblöcken an oder um; alle hofften, dass die Drift sie langsam weiter nach Norden treiben würde. Das offene Wasser nur konnte ihre Rettung sein.

In Schüben kamen Einsamkeit und Kleinmut über die Mannschaft. Kein Zeichen von Zivilisation mehr, das Eismeer ohne Ende, die Heimat weiter weg denn je.

Innerhalb sechs Wochen driftete das »Ocean Camp« 120 Meilen weit. Die Verpflegung, angereichert mit Seehund- und Pinguinfleisch, war wieder gut, die Stimmung in der Mannschaft auch. Shackleton ließ nun die Hunde nach und nach erschießen, denn Hundepemmikan sollte für die Mannschaft aufgespart werden.

Seit 16 Monaten war die Mannschaft im südlichen Polarmeer unterwegs, seit 16 Monaten war keiner mehr auf Land gestanden, seit 16 Monaten hatte keiner einen Felsen, einen Berg, eine Insel gesehen.

Am 17. März 1916 lag Paulet Island 60 Meilen weiter im Westen als die Expedition. Das Wetter war winterlich, und immerzu diese Hilflosigkeit! Die Drift wurde stärker, trieb das Eis mit dem Camp aber einmal dahin, einmal dorthin.

Am 8. April riss die Eisscholle. Die Wachen, die Tag und Nacht patrouillierten, um bei Gefahr rechtzeitig zu warnen, schlugen plötzlich Alarm. Die Männer, immer angezogen, auch im Schlafsack, sprangen auf, zogen die kleinen Boote von der Eisscholle, die vom Camp wegdriftete.

Am 9. April trieb der starke Südwind die Eisflächen weiter auseinander. Das Lager musste abgebrochen werden. Die drei Boote, beladen mit dem Lebenswichtigen, wurden ins Wasser gelassen.

Nach 159 Tagen Hilflosigkeit auf den Eisschollen begann jetzt der Überlebenskampf zwischen den Eisbergen. Auch im nächtlichen Schneetreiben wirbelte das Eismeer die Boote dahin. Das Wasser gefror auf den Männern, der Sturm riss sie um, die See trieb sie hoch. Die Welt war jetzt ein Wirbel aus schaukelnden Eisbergen, Wasser, Wind, Kälte und Schmerz.

Noch einmal rettete sich die Expedition auf eine Eisscholle. Sogar ein Feuer konnte angezündet werden. Rast! Ein Hauch von Wärme. Nass bis auf die Haut, die Kleider eisesstarr, standen die Männer da, betend, vor Schrecken und Kälte schlotternd, aber immer bereit weiterzusegeln.

Wieder riss das Eis, und wieder trieben die Boote dahin, mit Männern, die sich aneinander klammerten, sich Hoffnung zuflüsterten. Die Grenze der Belastbarkeit war längst erreicht.

Jetzt lag Elephant Island 100 Meilen im Norden von ihnen. Also dorthin! Ein letzter Eisgürtel wurde passiert und der offene Ozean erreicht. Diese Anstrengung! Dieser Hunger! Diese Unterkühlung! Dieser Durst! Die Männer hatten weder Eis noch Süßwasser an Bord. Dazu waren sie seit Tagen ohne Schlaf und die meisten mit Frostbeulen geplagt. Während die sterbenden Bootsinsassen auf Elephant Island zutrieben, die fernen Eisgipfel anstarrten, wollten einige weinen. Sie konnten auch das nicht mehr. Die Lippen waren aufgerissen, die Zungen geschwollen, die Rachen blutende Wunden.

Plötzlich drehte die Strömung. Sie mussten rudern. Wie lange sollten sie es schaffen? Die Verzweiflung wuchs schneller als die Müdigkeit. Und dann kam die Lähmung.

Wieder drehte der Wind. Zum Glück. Das war die Rettung! Als dann plötzlich Mondlicht durch die Wolkendecke brach, lagen Meer, Berge und Gletscher phantomgleich vor ihnen. Als hätte es eine Eishölle nie gegeben.

An der Nordküste der Insel bauten sie ihr Lager auf. Kein Ende, kein Komfort. Sie nannten es Cape Wild.

Auf Elephant Island konnten sie nicht bleiben, und weil niemand sonst auf der Erde wusste, wo sie waren, galt es, selbst Rettung zu holen.

»Shack« war also entschlossen, mit fünf seiner besten Männer nach Südgeorgien zu segeln, 750 Seemeilen weit über die gefährlichsten Gewässer der Erde. Er musste um einen Eisbrecher der Walfänger bitten und zurückkommen. Frank Wild blieb mit den anderen zurück als ihr »Chef«.

Am 24. April, Ostermontag, stach Shackleton mit der James Caird, dem größten der drei Rettungsboote, in See. Der Abschied ging schnell.

Werden sie sich Wiedersehen? Nach 16 Tagen erreichten »Shack« und seine Männer wie durch ein Wunder die Felsenküste von Südgeorgien. Der schlimmste Hurrikan, den sie je in ihrem Leben erlebt hatten, ließ sie nicht anlegen. Mit ihrem sieben Meter langen Boot drohten sie, erfrierend, verhungernd, jede Hoffnung ausgelöscht, zwischen Eistrümmern und Felsen zu zerschellen.

Als sie ihr Boot endlich an Land zogen, in der König Haakon Bay auf South Georgia, wussten sie nicht, wo sie waren. Hilfe war noch weit. Shackleton saß mit seinen Männern auf der falschen Seite der Insel. Zwischen ihnen und der Menschheit lag das Inlandeis, unvermessene Berge und Gletscher, die als unbegehbar galten. Der Weg über das Meer, außen herum, war ausgeschlossen, weil die stürmische See zu gefährlich und das Boot beschädigt war. Nur der Marsch über die Berge versprach Rettung.

Nachdem sich die sechs Männer ein paar Tage lang in einer winzigen Höhle erholt hatten, wagten »Shack«, Crean und Worsley den Marsch über die Berge; ohne spezielle Ausrüstung, ohne viel Proviant, ohne Karte. 36 Kilometer weit marschierten sie durch die eisige Winternacht, über Pässe, Gletscherspalten und Eishänge. Und sie kamen an, auf der anderen Seite der Insel – trotz Nebel, Nacht und ohne Rast. »Shack« kam an, weil er ankommen musste. Das Leben von 25 Menschen hing auch ab von seinem Ankommen und Überleben!

In der Stromness-Walfangstation heuerte »Shack« ein Boot an und sie holten ihre drei Freunde in der König Haakon Bay ab. Dann, ohne Zeit zu verlieren, lief die »Southern Sky« aus, ein Eisbrecher unter Kapitän Thour, der Kurs auf Elephant Island nahm. Aber 70 Meilen vor dem Ziel musste das Rettungsschiff beidrehen. Packeis! Shackleton ließ sich zu den Falklandinseln bringen und nahm mit mehreren Regierungen Südamerikas Kontakt auf, um eine zweite Rettungsfahrt zu organisieren.

Was war mit den Gestrandeten auf Elephant Island? Wann würde der »Boss« zurück sein? Die maroden Männer um Frank Wild hatten inzwischen gehofft, gewartet und gebetet. Untätig blieben sie nicht. Nachdem die umgestülpten Boote zu doppelstöckigen Behausungen umfunktioniert worden waren, die Nahrungsmittel rationiert, die Wunden geheilt, sorgte Wild für Humor und eine Aufgabe für jeden. So nährte er die Hoffnung.

Als auch nach zwei Monaten keine Hilfe kam, wurde das Leben in den engen umgestülpten Booten unerträglich. Der 100 Meter lange und zehn Meter breite Küstenstreifen erschien enger als jeder Gefängnishof. Die Schlafsäcke blieben immerzu nass, die Kleider waren fettig, die Gesichter rußig. Pinguin- und Seehundfett nährten ein ewiges Licht in den Booten, die zum Boden hin mit Zeltplanen verhängt waren, so dass ein wenig Wärme drinnen blieb. Auch konnten so Zündhölzer gespart werden.

Das Leben ging trotzdem weiter. Nicht menschenwürdig, nicht hoffnungslos. Dem Hunger – manchmal bis zum Delirium – folgte Apathie. Dann kam doch noch ein Seehund aus dem Wässer oder Pinguine im Gänsemarsch.

Mit der Erkenntnis, dass Hilfe erst im Frühling kommen würde, ertrugen die Gestrandeten den Winter. Die Kost – Pinguinsteaks und Seehundfleisch – machte sie schwammig, appetitlos, müde. Trotzdem kreisten ihre Gespräche immerzu ums Essen. Sie träumten von warmen Stränden und Dschungellandschaften. Alle, ohne Ausnahme, schworen, sollten sie je befreit werden, nie wieder ins Eismeer zurückzukehren. Nie wieder. Es war genug!

Als es nach Mittwinter wärmer wurde, begannen die Gletscher neben ihnen zu kalben. Tausende Tonnen Eis stürzten ins Wasser, Lawinen donnerten von den Bergen. Diese Schlaflosigkeit! Die Nächte wurden unerträglich. Man begann über eine zweite Rettungsmission nachzudenken. Vielleicht war Shackleton gescheitert, tot, und niemand wusste von ihrem Verbleib. Wild aber war sicher: »Der Boss wird kommen!« Und wenn es Jahre dauerte.

Und wenn er doch nicht wiederkam, niemand kam? Wie lange konnten sie überleben mit Seehund- und Pinguinfleisch?

Beim zweiten Versuch, seine Mannschaft zu retten, war »Shack« mit einem Stahlschiff aus Uruguay bis 20 Meilen an Cape Wild herangekommen. Dichter Nebel zwang ihn zurück. Der »Boss« reiste bis Punta Arenas, sammelte Geld bei dort lebenden Briten und sandte den Schoner »Emma« aus, um die Seinen zu retten. Aber das Eis stand 100 Meilen nördlich von Elephant Island, also wieder retour. Nein. Shackleton gab nicht auf. Er wusste nur zu gut, wie sich seine 22 Mann in ihrem Gefängnis aus Eis, Enge und Krankheit fühlten. Eine dringliche Anfrage bei der chilenischen Regierung war erfolgreich, um das kleine Stahlschiff »Yelcho« zu bekommen.

Am 25. April lief es in Punta Arenas aus – es war der vierte Rettungsversuch.

Am 30. August 1916, am 137. Tag des Wartens, kam in Cape Wild ein Schiff in Sicht. Dann trieb der Wind das Eis wieder vor sich her, ein Blizzard drohte. Die »Yelcho« fuhr, so weit die Riffe es erlaubten. Dann ließ man ein Beiboot ins Wasser und ruderte nach Cape Wild. In Rufweite angekommen, rief »Shack«: »Seid ihr alle wohlauf?« – »Alles in Ordnung, Boss«, brüllte Wild zurück, und alle wischten sich die Tränen von den Wangen. Einen Augenblick lang erhellte ein Sonnenstrahl die düstere Welt.

Wild kontrollierte das Beladen der Boote und sie fuhren hinaus auf die See. Auf der »Yelcho« war alle Trauer gleich wie verflogen. Drei Tage später waren alle in Punta Arenas, die Eisberge weit, weit weg.

Shackleton war gescheitert. Seine Leute aber hatte er alle zurückgebracht. Ein Wunder? Nicht nur. Sein absoluter Glaube an die Vorsehung, sein Selbstvertrauen und das Vertrauen in seine Männer, mehr noch das Vertrauen der Mannschaft zu ihrem »Boss« sind das Geheimnis jener Endurance-Expedition, die zu den kühnsten Abenteuern der Menschheitsgeschichte gehört.

August 2000

Reinhold Messner

Sir Ernest Shackleton

VORWORT

von Ernest Shackleton

Nach der Eroberung des Südpols durch Amundsen, der der britischen Expedition unter Scott nur wenige Tage zuvorkam, bot die Antarktis ihren Entdeckern nur noch eine große Herausforderung: die Durchquerung des antarktischen Kontinents von Küste zu Küste.

Unmittelbar nachdem ich von Amundsens Erfolg gehört hatte, begann ich mit den Vorbereitungen für eine letzte große Fahrt. Es sollte eine britische Expedition sein, die sich die erste Durchquerung des einzigen noch unerforschten Kontinents auf die Fahnen schreiben konnte.

Wir erreichten unser Ziel nicht. Die folgenden Seiten enthalten vielmehr die Geschichte unseres Versuchs. Doch auch wenn dieses Buch vom Fehlschlagen des eigentlichen Unternehmens berichten muss, so erzählt es dennoch von atemberaubenden Abenteuern und einzigartigen Eindrücken. Vor allem aber zeugt es von der unbeugsamen Entschlossenheit, unerschütterlichen Treue und großartigen Opferbereitschaft meiner Männer und enthält Passagen, die meiner Überzeugung nach jeden fesseln werden, der sich für die Geschichte der Eroberung des weißen Kontinents interessiert.

Die Kämpfe, Enttäuschungen und mit eisernem Durchhaltevermögen gemeisterten Entbehrungen der kleinen Gruppe von Briten, die fast zwei Jahre lang in der Einöde des Polareises verschollen waren, liefern einen Stoff, der einzigartig in der Geschichte der Entdeckung der Antarktis ist.

Durch den Verlust der Endurance und die Katastrophe, die der Aurora zustieß, sind wichtige Dokumente, die sich vor allem auf die Organisation und Vorbereitung der Expedition bezogen, verloren gegangen. Ich füge an dieser Stelle einen Auszug aus dem Programm ein, mit dem ich das Interesse der Öffentlichkeit an der Expedition zu wecken hoffte.

Die transkontinentale Expeditionsgruppe

Die erste Durchquerung der Antarktis von Küste zu Küste über den Pol wird, abgesehen von ihrer historischen Bedeutung, auch von ungeheurem wissenschaftlichem Wert sein.

Die zurückzulegende Entfernung beträgt ungefähr 2900 Kilometer, wobei die erste Hälfte der Strecke vom Weddellmeer zum Pol durch unerforschtes Gebiet führt. Jeder Schritt wird ein Fortschritt für die geografische Wissenschaft sein. Wir werden erfahren, ob die große Kette des Viktoria-Gebirges, das sich vom Rossmeer bis zum Pol erstreckt, über den ganzen Kontinent reicht und damit (abgesehen von der Unterbrechung durch den Ozean) das Bindeglied zu den Anden Südamerikas darstellt, und ob die Hochfläche um den Pol langsam zum Weddellmeer hin abfällt.

Während der ganzen Reise werden ständig magnetische Messungen durchgeführt, die meteorologischen Gegebenheiten werden genau beobachtet, und die Eisformationen und geologische Zusammensetzung der Gebirge sollen erforscht werden.

Wissenschaftliche Arbeit der anderen Expeditionsgruppen

Während die Transkontinentalgruppe unter britischer Flagge die ausgedehnteste Polarexpedition unternimmt, die je gewagt wurde, werden auch die anderen Gruppen mit wichtigen wissenschaftlichen Aufgaben beschäftigt sein. Zwei mit Schlitten ausgestattete Gruppen werden vom Basislager am Weddellmeer aus operieren. Die eine wird westwärts zum Graham-Land aufbrechen, Gesteinsproben sammeln und somit den Nachweis ermöglichen, ob es eine Verbindung zwischen den Bergen in dieser Region und denen auf der anderen Seite des Pols gibt.

Eine weitere Gruppe wird ostwärts zum Enderby-Land fahren, und eine dritte, die im Basislager bleibt, wird die Fauna zu Land und zu Wasser und die meteorologischen Gegebenheiten erforschen.

Vom Rossmeer-Basislager auf der anderen Seite des Pols wird eine andere Gruppe südwärts vorstoßen und möglicherweise die Ankunft der Transkontinentalgruppe auf dem Gipfel des Beardmore-Gletschers in der Nähe des Mount Buckley erwarten, einer Region, die für die Geologen von höchstem Interesse ist.

Beide Schiffe der Expedition werden voll für die wissenschaftliche Arbeit ausgerüstet. Das Schiff im Weddellmeer wird versuchen, die noch unbekannte Küstenlinie von Graham-Land entlangzufahren.

Auf diese Weise werden die verschiedenen Gruppen an Land und die beiden Schiffe so umfassend und flächendeckend geographische und andere wissenschaftliche Erkenntnisse sammeln wie noch keine Polarexpedition zuvor.

Zum ersten Mal wird das Weddellmeer Ausgangspunkt für Erkundungsfahrten sein und sämtliche Expeditionsgruppen werden weite Bereiche bisher unbekannten Landes erschließen. Da das ganze Gebiet südlich des Pols britisches Territorium ist, ist es völlig berechtigt, dass diese Arbeit unter dem britischen Hoheitszeichen erfolgt.

Die Durchquerung des Kontinents

Das im Weddellmeer kreuzende Schiff mit allen Expeditionsmitgliedern, die von dieser Basis aus operieren, wird im Oktober 1914 in Buenos Aires in See stechen und versuchen, im November am 78. Breitengrad Süd einzutreffen.

Wenn es so weit ist, wird die Transkontinentalgruppe umgehend zu ihrer 2900 Kilometer langen Reise aufbrechen, in der Hoffnung, den Marsch über den Pol in fünf Monaten zu schaffen und das Rossmeer zu erreichen. Sollte das Schiff zu spät für die Jahreszeit am Zielort anlegen, wird die Expeditionsgruppe Winterquartiere beziehen und so früh wie möglich im neuen Jahr auf brechen.

Die Transkontinentalgruppe wird von Sir Ernest Shackleton geleitet und soll aus sechs Männern bestehen. Die Ausrüstung wird alles enthalten, was die Erfahrung des Expeditionsleiters und der ihm zur Seite stehenden Experten ratsam erscheinen lässt. Wenn diese Gruppe die Polregion erreicht hat, nachdem sie 1290 Kilometer durch unbekanntes Gebiet zurückgelegt hat, wird sie sich nach Norden zum Gipfel des Beardmore-Gletschers durchschlagen und dort hoffentlich auf die entgegenkommende Gruppe vom Rossmeer stoßen. Beide Gruppen werden dann gemeinsam zum Basislager am Rossmeer zurückkehren.

Insgesamt 14 Mann werden von der Endurance am Weddellmeer abgesetzt. Sechs werden sich auf den Transkontinentalweg machen, drei werden nach Westen, drei nach Osten aufbrechen, und zwei werden im Basislager Zurückbleiben.

Die Aurora wird sechs Mann ins Rossmeer-Basislager bringen. Sie werden Vorratslager auf der Route der Transkontinentalgruppe anlegen und nach Süden marschieren, um diese gegebenenfalls zu unterstützen.

Sollte die Transkontinentalgruppe ihre Durchquerung in der ersten Jahreszeit schaffen, wäre etwa im April 1915 mit ihrer Rückkehr zu rechnen. Die anderen Gruppen würden im April 1916 zurückkehren.

Die Expeditionsschiffe

Zwei Schiffe wurden ausgewählt.

Die Endurance, die die Transkontinentalgruppe ins Weddellmeer bringen und danach eine unbekannte Küstenlinie erforschen wird, ist ein neues Schiff, das unter Überwachung eines Komitees von Polarforschern speziell für die Arbeit im Polarmeer gebaut wurde. Um länger auf See bleiben zu können, wird sie neben Kohle auch Öl als Treibstoff mitführen. Die Endurance ist ein 350-Tonner und hat die Expedition inklusive Ausrüstung 14 000 Pfund gekostet.

Die Aurora, die die Rossmeer-Gruppe aufnehmen wird, wurde von Dr. Mawson erworben. Sie gleicht in jeder Hinsicht der Terra Nova von Kapitän Scotts letzter Expedition. Zur Zeit liegt sie in Hobart in Tasmanien, wo die Rossmeer-Gruppe im nächsten Oktober an Bord gehen wird.

Die Vorbereitungen begannen Mitte des Jahres 1913. Die erste öffentliche Ankündigung der Expedition erschien jedoch erst am 13. Januar 1914. Sie löste eine Flut von Bewerbungen von Männern aus allen Gesellschaftsschichten aus, die allesamt begierig waren, dieses Abenteuer mitzuerleben. Insgesamt erhielt ich an die 5000 Zuschriften, aus denen ich 56 Männer auswählte.

Im März bewahrheiteten sich meine schlimmsten Befürchtungen – die Hoffnung auf die fest zugesagte finanzielle Unterstützung zerschlug sich. So stand ich mit der Tatsache da, Verträge für Schiff und Ladung unterzeichnet und eine Besatzung angeheuert zu haben und nicht über die finanziellen Mittel zu verfügen, diesen Verpflichtungen nachzukommen.

Sofort machte ich mich auf die Suche nach neuen Geldgebern und stieß allerorts auf großzügiges Entgegenkommen. Es ist unmöglich, alle zu nennen, die meinem Ansinnen nachkamen, doch ich möchte mich insbesondere für eine Spende in Höhe von 24 000 Pfund des verstorbenen Sir James Caird und eine weitere in Höhe von 10 000 Pfund von der britischen Regierung bedanken. Auch Mr Dudley Docker, Miss Elizabeth Dawson Lampton, Dame Janet Stancomb Wills und der Royal Geographical Society danke ich für ihre Großzügigkeit. Das einzige und höchste Privileg, das ein Forscher in Anerkennung der Hilfe, die er erhalten hat, verleihen kann, besteht darin, die neu entdeckten Landstriche nach den Personen zu benennen, die die Expedition ermöglicht haben. Ich hatte die Ehre, dem neuen Land die Namen der oben Genannten und anderer großzügiger Spender für die Expedition zu geben.

Die Ausrüstung und Planung der Expedition nahmen weiter Gestalt an und Ende Juli war alles bereit. Doch genau zu diesem Zeitpunkt verdüsterten plötzlich die Wolken des Krieges den Himmel über Europa.

Es war vereinbart worden, dass die Endurance nach Cows segeln sollte. Dort wollte Seine Majestät persönlich das Schiff inspizieren. Ich erhielt jedoch Nachricht, dass der König sich nicht in der Lage sah, nach Cows zu kommen.

Am Freitag, dem 1. August des Jahres 1914, stachen wir in London in See und ankerten den ganzen Samstag vor Southend. Von Stunde zu Stunde mehr beunruhigt über die allenthalben kursierenden Kriegsgerüchte, nahm ich am Sonntagnachmittag das Schiff nach Margate und ging am Montag früh an Land, wo ich in der Morgenzeitung den Befehl zur allgemeinen Mobilmachung las.

Sofort kehrte ich zum Schiff zurück und ließ die gesamte Mannschaft antreten. Ich teilte den Leuten mit, dass ich der Admiralität telegrafisch das Schiff, die Ladung und, wenn sie damit einverstanden wären, auch ihre und meine Dienste im Falle eines Krieges anbieten wolle. Wir ersuchten lediglich darum, die Expeditionsteilnehmer, falls es zum Krieg kommen würde, als eine Einheit einzusetzen, da wir genügend ausgebildete und erfahrene Männer an Bord hatten, um einen Zerstörer zu bemannen. Nach einer Stunde drahtete die Admiralität lakonisch zurück: »Fahrt!« Kurz darauf schickte uns Mr Winston Churchill ein Kabel, in dem er sich für unser Angebot bedankte und uns mitteilte, die Verantwortlichen wünschten, dass die Expedition nach Plan weiterverlaufe.

Die Endurance befolgte diese unzweideutige Anweisung und segelte nach Plymouth. Am Dienstag ließ mich der König zu sich rufen und überreichte mir den Union Jack für die Expedition. Um Mitternacht desselben Tages wurde der Krieg erklärt.

Am folgenden Samstag, dem 8. August, stach die Endurance von Plymouth aus auf unmittelbare Anordnung der Admiralität in See.

Ich gehe deshalb so ausführlich auf diese Phase der Expedition ein, weil gewisse Stimmen laut wurden, die kritisierten, dass die Expedition das Land ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt verließ. Gerade im Blick auf diese Kritik hegt mir daran, deutlich zu machen, dass unsere Vorbereitungen bereits ein ganzes Jahr in Anspruch genommen hatten, dass hohe Summen in das Unternehmen investiert worden waren und wir andererseits sofort angeboten hatten, die Expedition aufzugeben, ohne mit den Geldgebern auch nur Kontakt aufgenommen zu haben. Außerdem konnten sich zu dieser Zeit nur die wenigsten Menschen vorstellen, dass der Krieg vier Jahre dauern und zu einem Weltkrieg werden sollte.

Unsere Expedition wagte sich immerhin an eine äußerst gefahrvolle und mühsame Aufgabe, bei der man grundsätzlich mit dem Verlust von Menschenleben rechnen musste. Als wir am Ende zurückkehrten, nahmen praktisch alle Expeditionsmitglieder, welche die beträchtlichen Gefahren der Antarktis unbeschadet überstanden hatten, ihren Platz auf dem Schlachtfeld ein, wo viele von ihnen ihr Leben ließen.

Die Fahrt nach Buenos Aires verlief ohne Zwischenfalle, und am 26. Oktober stachen wir von dort nach South Georgia in See, dem südlichsten Außenposten des Empire. Hier waren wir einen Monat lang mit allerletzten Vorbereitungen beschäftigt.

Neben zahlreichen Privatleuten und Gesellschaften möchte ich der Regierung von Neuseeland, der Regierung von Australien sowie den Regierungen von Uruguay und Chile für ihre Hilfe danken. Sie haben unmittelbar zur Rettung meiner Kameraden beigetragen.

Ernest Shackleton

I

AUFBRUCH INS WEDDELLMEER

wrack

Ich hatte den Tag der Abreise von South Georgia auf den 5. Dezember 1914 festgesetzt. Im Rahmen der letzten Vorbereitungen ging ich auch nochmals die Pläne für die Fahrt in die verschiedenen Winterquartiere durch. Welches Willkommen würde uns das Weddellmeer wohl bereiten?

Auf Anraten der Kapitäne der Walfänger von South Georgia, die großzügig ihre Erfahrungen an mich Weitergaben, hatte ich beschlossen, zunächst Kurs auf South Sandwich Islands zu nehmen, Ultima Thule zu umrunden und bis zum 15. Meridian West nach Osten zu segeln, um dann nach Süden vorzustoßen. Die Walfänger warnten mich vor den Gefahren einer Durchquerung des Eises rund um South Sandwich Islands und waren überzeugt, unsere Expedition werde sich durch schweres Packeis kämpfen müssen, um das Weddellmeer zu erreichen. Die beste Zeit für die Fahrt ins Weddellmeer war wahrscheinlich Ende Februar. Der Warnungen der Walfänger eingedenk beschloss ich, eine zusätzliche Deckladung Kohle an Bord zu nehmen, denn wenn wir uns den Weg nach Coats-Land mühsam bahnen mussten, würden wir allen Kraftstoff brauchen, den wir aufnehmen konnten.

Endlich brach der Tag der Abfahrt an. Am 5. Dezember um 8.45 Uhr gab ich Befehl, den Anker zu lichten. Das Knarren der Ankerwinde löste unsere letzte Verbindung zur Zivilisation. Der Morgen war grau, der Himmel bedeckt, doch die Herzen an Bord der Endurance schlugen in freudiger Erwartung. Die langen Tage der Vorbereitungen waren vorüber. Das Abenteuer lag vor uns!

Die ersten Eisberge werden gesichtet.

(Richard Kossow)

Im Laufe des Tages frischte der Wind auf, und alle Rahsegel wurden gesetzt, während das Focksegel gerefft blieb, um dem Ausguck klare Sicht voraus zu verschaffen. Wir wollten nicht Gefahr laufen, mit einem jener kleinen, trügerischen Eisberge, die dicht unter der Wasseroberfläche treiben, zu kollidieren. Am 6. Dezember machten wir gute Fahrt auf südöstlichem Kurs, doch der 7. Dezember brachte den ersten Rückschlag. Um 6 Uhr morgens wurde die See, die am Tag zuvor tiefgrün gewesen war, plötzlich tiefblau.

Am frühen Nachmittag kamen Sanders Island und Candlemas in Sicht. Zahlreiche, meist tafelförmige Eisberge tauchten im Westen der Inseln auf. Das Vorhandensein so vieler Eisberge war äußerst ungewöhnlich, und kurz darauf, nachdem wir die Inseln passiert hatten, stießen wir auf Treibeis. Die Segel wurden eingeholt und wir fuhren langsam unter Dampf weiter. Gegen 20 Uhr dehnte sich vor der Endurance ein etwa 750 Meter breiter Gürtel schweren Packeises nach Norden und Süden. Jenseits des Eisgürtels war das Wasser frei, doch das Packeis vor uns schien unpassierbar. Das war beunruhigend. Mittags hatten wir uns auf 57° 26’ S befunden, und ich hatte nicht erwartet, so weit im Norden bereits auf Packeis zu stoßen.

In der Nacht wurde die Situation bedrohlich. Wir stießen in das Packeis vor, in der Hoffnung, jenseits davon offenes Wasser zu erreichen, und befanden uns plötzlich auf einer vom Eis eng umschlossenen, ständig kleiner werdenden Wasserfläche. Worsley und ich waren die ganze Nacht an Deck und wichen den Packeisbrocken aus, doch es verstrichen einige angstvolle Stunden, bis wir das Eis endlich umfahren hatten und wieder Segel setzen konnten.

Dieser erste Zusammenstoß mit dem Packeis war beängstigend gewesen. Eisstücke und Eisberge aller Größen hoben und senkten sich in der starken südwestlichen Dünung und rieben sich aneinander. Trotz all unserer Vorsicht rammte die Endurance achtem einige riesige Eisblöcke, doch die Maschinen wurden rechtzeitig gestoppt, und es entstand kein Schaden.

Am 9. Dezember stießen wir erneut auf Packeis, und nachdem wir es umrundet hatten, steuerten wir S 40° O und erreichten am Mittag des 10. Dezember 58° 28’ S, 20° 28’ W. Am folgenden Tag begegnete uns lose treibendes Packeis, das keine großen Schwierigkeiten bot. Worsley, Wild und ich übernahmen zusammen mit drei Offizieren drei Wachen, während wir uns durch das Eis hindurcharbeiteten, so dass die ganze Zeit zwei Offiziere an Deck waren. Unser Schiffszimmermann hatte einen knapp zwei Meter hohen hölzernen Signalmasten auf der Brücke aufgerichtet, damit der Navigationsoffizier dem Mann am Ruder die Richtung und die genaue Ruderführung durchgeben konnte. Diese Maßnahme sparte Zeit und enthob uns der Mühe, uns gegenseitig Anweisungen zuzuschreien.

Das Deck der Endurance nach heftigem Schneefall

(Scott Polar Research Institute)

Am 12. und 13. Dezember machten wir gute Fahrt, doch am 14. wurden die Bedingungen wieder schwieriger, weil das Packeis dichter war als an den vorangegangenen Tagen. Auch sorgfältigstes Navigieren konnte nicht verhindern, dass wir gelegentlich Eisstücke rammten, die zu dick waren, um zerhackt oder mit Eishaken beiseite geschoben zu werden. Obwohl die Schiffsschraube mehrmals getroffen wurde, entstand kein Schaden. Am Nachmittag des 14. kam ein südwestlicher Wind auf und gegen 20 Uhr drehten wir vor einer Eisscholle bei, da es unmöglich war weiterzufahren, ohne eine ernstliche Beschädigung des Ruders oder der Schraube zu riskieren.

Die Endurance blieb die nächsten 24 Stunden in Position, bis der Sturm endlich abflaute. Das Packeis erstreckte sich nun in alle Richtungen bis zum Horizont. Es war von unzähligen schmalen Kanälen durchzogen. Bis Mitternacht schafften wir fünf Meilen in südlicher Richtung und fuhren bis 4 Uhr morgens am 17. Dezember weiter. Dann wurde das Eis wieder problematischer. Mächtige Schollen sechs Monate alten Eises lagen dicht an dicht. Einige bildeten eine über eine Quadratmeile große, gleichmäßige Eisfläche.

Am Morgen des 18. Dezember arbeitete sich die Endurance durch dünnere Eisschichten zwischen riesigen Eisschollen hindurch. Kurz vor Mittag wurde ein weiteres Vordringen durch schweres Packeis verhindert und wir warfen einen Eisanker auf die Scholle und drosselten die Maschinen.

Ich war auf schlechte Bedingungen im Weddellmeer gehisst gewesen, hatte jedoch im Dezember und Januar auf lockereres Packeis gehofft, auch wenn man nicht mit offenem Wasser rechnen durfte. Was wir stattdessen antrafen, war ziemlich dickes Packeis von der hartnäckigsten Sorte.

Man könnte Packeis als ein gigantisches, unendliches, von der Natur entworfenes Puzzlespiel beschreiben. Im losen Packeis sind die Puzzleteilchen etwas auseinander gerutscht und in Unordnung geraten. An vielen Stellen wurden sie aber auch wieder zusammengedrückt. Wenn das Packeis dichter wird, werden die zusammenhängenden Flächen größer und die einzelnen Teile stärker gegeneinander gepresst, bis eine geschlossene Packeisdecke entsteht. Dabei wird das ganze Puzzlespiel so fest ineinander verkeilt, dass es mit der entsprechenden Vorsicht zu Fuß überquert werden kann. Wo die Teile nicht so gut zusammenpassen, ist natürlich offenes Wasser, das jedoch innerhalb weniger Stunden überfriert, nachdem es dicke Wolken »Frostdampf« abgegeben hat. Dem neu entstehenden Druck folgend, bildet dieses junge Eis Flöße. Es wird dadurch doppelt so dick wie zuvor und weist eine toffeeartige Konsistenz auf.

Den ganzen Winter über verändert sich das dahintreibende Packeis ständig. Es wächst durch Überfrieren, verdickt sich durch die Floßbildung und wirft sich durch den Druck. Wenn es schließlich gegen eine Küste, etwa die Westküste des Weddellmeeres, getrieben wird, baut sich ein ungeheurer Druck auf. Ein Inferno von Eisblöcken, Graten und Wällen entsteht, das sich unter Umständen über 240 oder 320 Kilometer ins offene Meer hinein erstreckt.

Ich gebe diese Erläuterungen, um die Beschaffenheit des Eises, durch das wir uns über Hunderte von Meilen hindurchkämpfen mussten, anschaulich zu machen.

Die Lage wurde am 19. Dezember nicht besser und nach nur zwei Stunden Fahrt wurde die Endurance erneut von riesigen Eisschollen aufgehalten. Weil zudem ein schwerer Sturm wütete, blieben war auch am folgenden Tag an einer Eisscholle vertäut. Die Expeditionsteilnehmer und die Mannschaft nutzten die Pause für ein spannendes Fußballspiel auf der flachen Oberfläche der Eisscholle, an der unser Schiff festgemacht hatte.

Die Mannschaft vergnügt sich bei einem Fußballspiel.

(Scott Polar Research Institute)

Am Montag, dem 21. Dezember, war wunderschönes Wetter und wir machten uns früh auf den Weg durch das Packeis. Es gab Scharen von Sturmvögeln verschiedener Arten, Pinguine und Robben begleiteten uns, und wir sichteten vier kleine Blauwale. Gegen Mittag bogen wir in eine lange Wasserrinne Richtung Süden und fuhren an neun eindrucksvollen Eisbergen vorbei. Einer, ein wahrer Riese, war geformt wie der Fels von Gibraltar, jedoch mit steileren Klippen. Ein anderer wies einen natürlichen Hafen auf, in dem die Aquitania Platz gehabt hätte. Hurley holte seine Filmkamera, um den grandiosen Anblick festzuhalten. Den Nachmittag über fanden wir immer wieder passierbare Wasserrinnen, doch um Mitternacht wurde das Schiff von kleineren, massiven Eisbrocken aufgehalten, die dicht gedrängt vor einem großen, geschlossenen Eisfeld lagen. Der Ausblick vom Mastkorb war wenig ermutigend. Die riesige Scholle war mindestens 24 Kilometer lang und 16 Kilometer breit. Ich hatte im Rossmeer noch nie eine geschlossene Eisfläche von solchen Ausmaßen gesehen.

Wir warteten mit gedrosselten Maschinen auf eine Gelegenheit weiterzufahren. Im Laufe des Abends des 22. Dezember öffneten sich einige Wasserstraßen und wir kamen wieder ein Stück in Richtung Süden voran. So kämpften wir uns schrittweise bis zum 1. Weihnachtsfeiertag vorwärts, bis wir von einer weiteren Schlechtwetterfront aufgehalten wurden. Wir ließen uns die Stimmung jedoch nicht verderben und labten uns an einem ausgezeichneten Festmahl. Am Abend machten alle Mann beim Liedersingen mit.

Am 26. und 27. Dezember war das Wetter weiterhin schlecht. Endlich, am Abend des 29., wurde der heftige Sturm, der viereinhalb Tage getobt hatte, von einer sanften südlichen Brise abgelöst. Als das neue Jahr heraufdämmerte, hatten wir unser kleines Schiff immerhin 480 Meilen durch loses und kompaktes Packeis manövriert. Wir bewegten uns Richtung Süd 10° O und hatten meiner Schätzung nach insgesamt über 700 Meilen zurückgelegt.

Die ersten 100 Meilen hatten durch loses Packeis geführt. Das schwerste Hindernis für unser Vorankommen waren hier die Südweststürme. Die letzten 250 Meilen liefen durch dicht geschlossenes Packeis, das mit schmalen Wasserrinnen und Strecken offenen Wassers wechselte.

II

NEULAND

wrack

Der Zustand des Packeises besserte sich am Abend des Neujahrstages, und wir kamen rasch voran, bis sich von Osten her ein mäßiger Wind mit beständigem Schneefall einstellte. Am Morgen des 2. Januar gerieten wir in dickes, altes Packeis. Unsere neue Position war 69° 49’ S, 15° 42’ W. Wir hatten in den vergangenen 24 Stunden also erfreulicherweise 124 Meilen S 3° W zurückgelegt.

Die gute Fahrt, die wir gemacht hatten, ließ mich hoffen, dass wir am folgenden Tag Land sichten würden. Doch wir wurden von dem schweren Packeis und vom Sturm aufgehalten. Ich war begierig, endlich auf festen Boden zu kommen, vor allem der Hunde wegen. Zu Beginn unserer Reise hatten sie einen hervorragenden Eindruck gemacht, doch jetzt kamen sie immer mehr herunter, weil sie einfach zu wenig Bewegung hatten.

Die Schwierigkeiten blieben uns weiter treu. Am 4. Januar waren wir 50 Stunden lang durch ein Gebiet von 20 Quadratmeilen gekreuzt, ständig neuen Hindernissen ausweichend und verzweifelt auf der Suche nach einer Öffnung Richtung Süden, Südosten oder Südwesten, doch alle Wasserrinnen verliefen nach Norden, Nordost oder Nordwest. Es war, als ob die Geister der Antarktis uns den Rückweg weisen wollten, einen Weg, den wir auf keinen Fall einzuschlagen gedachten.

Unser Ziel war es, gleichzeitig in östlicher und südlicher Richtung voranzukommen, um vielleicht das Land jenseits der äußersten Südspitze von Ross und östlich von Coats-Land zu erreichen.

Nach vielen Wochen auf Deck waren die Hunde froh, endlich einmal das Schiff verlassen zu dürfen.

(Scott Polar Research Institute)

Doch solides Packeis versperrte den Weg nach Süden. Immerhin ergriff ich am 6. die Gelegenheit, die Hunde zu trainieren, während das Schiff längsseits einer Eisscholle lag. Die Tiere waren völlig aus dem Häuschen. Einige von ihnen schafften es wahrhaftig, ins Wasser zu springen, und ihre Maulkörbe hinderten sie nicht daran, sich sofort in hitzige Gefechte zu stürzen. Als wir am folgenden Tag wieder etwas Fahrt gewannen, tauchten Killerwale auf, und ich musste strikte Anweisung geben, dass niemand das Schiff verließ. Die Biester haben nämlich die Angewohnheit, eine ruhende Robbe zu orten, indem sie über den Rand einer Eisscholle spähen. Dann spalten sie das Eis von unten mit der Schwanzflosse und verschaffen sich so eine Mahlzeit. Sie würden wohl kaum einen Unterschied zwischen einer Robbe und einem Menschen machen.

Am 8. und 9. war uns das Glück hold, und die Fahrt Richtung Süden, durch blaues Wasser, den Weg klar vorgezeichnet, während unser Schiff Meile um Meile hinter sich ließ, war ein beglückendes Erlebnis nach der mühsamen Spurensuche durch das Eislabyrinth. Doch wie andere gute Dinge auch sollte unsere kurze Zeit ungehinderter Vorwärtsbewegung nur zu rasch enden. Um 13 Uhr des 10. Januar stieß die Endurance erneut auf Eis.

Unsere Position um die Mittagszeit war 72° 02’ S, 16° 07’ W. Wir befanden uns nun in der Nähe der Küste, die Dr. W. S. Bruce, Leiter der Scotia-Expedition im Jahre 1904, entdeckt und Coats-Land genannt hatte. Dr. Bruce war bei 72° 18’ S, 10° W auf eine Eisbarriere gestoßen. In seinem Bericht war von steilen Wällen aus Schnee und Eis und von Wasserfallen die Rede, die tosend über die Eisbarriere herabstürzten – klare Anzeichen für die unmittelbare Nähe von Festland. Hier, von einem so südlich wie möglich gelegenen Punkt aus, sollte nach meinem Plan unser Marsch über den antarktischen Kontinent beginnen. Alle Mann spähten nun eifrig gespannt nach der Küste aus, die Dr. Bruce beschrieben hatte, und gegen 17 Uhr meldete der Ausguck tatsächlich Land in südsüdöstlicher Richtung. Es schien sich um eine Insel oder Halbinsel mit einem Sund auf der Südseite zu handeln. Wir durchquerten zu dieser Zeit dickes, lockeres Packeis und kurz vor Mitternacht fuhren wir in eine offene Meeresrinne in der besagten Barriere ein. Die Barriere selbst erhob sich etwa 23 Meter, mit Eis-Hippen von etwa 13 Meter Höhe. Die Scotia musste diese Stelle passiert haben, als sie am 6. März 1904 zum südlichsten Punkt der Bruce’schen Expedition vordrang.

Trübe Witterung mit bedecktem Himmel behinderte an den folgenden Tagen unser Vorankommen. Am 12. hatten wir jedoch immerhin die von der Scotia angelaufene Stelle hinter uns gelassen. Das unter einer dicken Eisdecke begrabene Land, an dessen Saum wir nun entlangfuhren, war Neuland! Am 13. um 16 Uhr, immer noch in südwestlicher Richtung an der Barriere entlangfahrend, erreichten wir einen Vorsprung, hinter dem die Küstenlinie abrupt in südöstlicher Richtung zurückwich. Unser Weg war von schwerem Packeis blockiert, und da wir keine Öffnung finden konnten, vertäuten wir das Schiff an einer Eisscholle und drosselten die Maschinen.

Am Tag zuvor waren einige junge Kaiserpinguine gefangen und an Bord gebracht worden. Zwei von ihnen lebten noch, als die Endurance an der Eisscholle lag. Prompt hüpften sie auf das Eis hinunter, drehten sich um, verbeugten sich dankbar dreimal und zogen sich dann vornehm auf die andere Seite der Eisscholle zurück. Die Manieren und Bewegungen dieser Vögel wirken auf komische Weise menschlich. Ich war wieder in großer Sorge um die Hunde. Einige von ihnen schienen zu kränkeln und einer der Hunde musste am 12. sogar erschossen werden.

Am 14. kamen wir keinen Meter voran, doch am folgenden Tag verbesserten sich die Bedingungen, und am Abend glitt die Endurance