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Julia Onken

Im Garten der neuen
Freiheiten

Ein Reiseführer für
die späten Jahre

 

 

 

 

 

 

 

 

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C.H.Beck

Zum Buch

Reiserouten zu sich selbst

Während man sich in jungen Jahren erlauben kann, einfach in den Tag hineinzuleben, so ist es, wenn die Schatten länger werden, an der Zeit, sich mit den wirklich wichtigen Fragen auseinanderzusetzen: Wer bin ich? Wie wurde ich zu der Frau, die ich bin? Was könnte ich sein? Mit diesen Fragen sprengen wir das Denkgefängnis auf und entdecken einen Garten der neuen Freiheiten. Wenn wir unsere Identität nicht ausschließlich aus unserer körperlichen Attraktivität ableiten, sondern daraus, was wir innerlich zu erschließen vermögen, dann entsteht neuer Reichtum.

Weisheitslehrer wie Montaigne oder Martin Buber, aber auch die großen Religionen geben Inspiration und Impulse zu einer Beschäftigung mit sich selbst, die alles andere als egoistisch ist. Die neuen geistigen Landschaften, die sich so eröffnen, verbinden sich mit dem Erfahrungswissen, das in den späten Jahren unser Kapital ist. Die Männer altern, die Frauen verändern sich, hat Goethe gemeint. Julia Onken liefert uns den Schlüssel dazu.

Über die Autorin

Julia Onken ist diplomierte Psychologin, Psychotherapeutin, Leiterin des Frauenseminars Bodensee (gemeinsam mit ihrer Tochter Maya), Dozentin in der Erwachsenenbildung und Herausgeberin von «Generation Superior. Die Kunst des langen Lebens». Von ihr sind bei C.H.Beck u.a. lieferbar: Feuerzeichenfrau. Ein Bericht über die Wechseljahre (72014); Altweibersommer. Ein Bericht über die Zeit nach den Wechseljahren (32011), Eigentlich ist alles schief gelaufen. Mein Weg zum Glück (32011).

www.julia-onken.ch
www.generation-superior.ch

Inhalt

I
Die Entstehung der weiblichen Identität

Die Luft wird dünner

Gehypt wie getippt?

Alles hat seine Zeit

Wie wir wurden, was wir sind

Wenn der Vater das Problem ist

Der Einfluss familiärer Dynamik auf die späten Jahre

Maßeinheit Attraktivitätsquotient

II
Spieglein, Spieglein an der Wand …

Grundkapital Schönheit

Generation Botox

Schlagseite von Anfang an

Das Mädchen mit den Schwefelhölzern

Heut oder morgen oder den übernächsten Tag

III
Dem eigenen Bauplan auf der Spur

In welche Aktien ist zu investieren?

Wenn die Katze oder der Hund stirbt

Die Kunst der Selbsterkenntnis

Peterchens Mondfahrt oder Die Unendlichkeit der Nacht

Die Insel im hohen Norden

Ich und Du, Müllers Kuh, Müllers Esel … oder Alles wirkliche Leben ist Begegnung

Bin ich ein Falke, ein Sturm …?

IV
Der Horizont ist weiter, als wir sehen können

Die Sehnsucht stirbt zuletzt

Wenn die Forsythien blühn

Im Garten der neuen Freiheiten

Vom guten Einverständnis mit sich selbst

Vom Wunder, dass ich bin

Entwicklung bis zum letzten Atemzug

I
Die Entstehung der weiblichen Identität

 

 

Die Luft wird dünner

Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, kann ich mir ein leises Schmunzeln nicht verkneifen. Es kommt mir dann vor, als beobachtete ich eine jüngere Schwester, wie sie sich zwar durchaus ernsthaft und engagiert mit weiblichen Themen auseinandersetzt, stets im Glauben und mit der Überzeugung, die zentralen Aspekte des weiblichen Daseins zu untersuchen und zu beschreiben. Aus meiner heutigen Perspektive muss ich jedoch einräumen, dabei einiges übersehen zu haben. Da ich mich jeweils vor allem auf jene Altersphase konzentrierte, die ich gerade selbst zu überstehen hatte, gerieten andere Belange etwas in den Hintergrund.

Als ich mit vierzig Jahren unvorbereitet in die Wechseljahre hineinschlitterte und mir die damals zur Verfügung stehende Literatur keinerlei Orientierung zu geben vermochte, geriet ich in eine veritable Krise. Die vorwiegend männlichen Ratgeber waren für mich ungenießbar, mehr noch, anmaßend und kränkend. So war 1972 beim amerikanischen Sex-Spezialisten David Reuben über die Frauen in den Wechseljahren zu lesen: «Ihre Eierstöcke überlebt zu haben, bedeutet vielleicht wirklich, dass sie ihre Nützlichkeit als menschliches Wesen überlebt haben. Die restlichen Jahre sind für sie vielleicht nur ein Auf-der-Stelle-Treten, bis sie ihren Drüsen in die Vergangenheit nachfolgen.» Auch der Altmeister der Psychoanalyse, Sigmund Freud, wusste nicht sehr viel Gescheiteres von sich zu geben: «Es ist bekannt, dass die Frauen, nachdem sie ihre Genitalfunktion aufgegeben haben, ihren Charakter in eigentümlicher Weise verändern. Sie werden zänkisch, quälerisch, rechthaberisch, kleinlich und geizig.» Ich war nicht bereit, dies unwidersprochen hinzunehmen, und wusste intuitiv, dass diese Aussagen falsch waren. Die Jahre der hormonellen Umstellung wurden durchweg als Zeit der Abdankung propagiert; dabei weist ja der Begriff Wechseljahre deutlich darauf hin, dass es sich um einen Wechsel und weder um eine Krankheit noch um einen Defekt handelt.

In der ersten Etappe meiner Überlegungen landete ich bei der für mich wichtigen Erkenntnis: Wenn es die Wechseljahre gibt, dann haben sie einen Sinn. Es ging also nur darum, nach dem Sinn zu fahnden, die Sinnhaftigkeit herauszuarbeiten und somit den Schwachsinn möglichst rasch zu vergessen. Mein erstes Buch Feuerzeichenfrau schrieb ich beinahe wie in Trance, jeweils morgens zwischen 6.00 und 8.30 Uhr. Um 9 Uhr stand der erste Patient auf der Matte meiner Praxis. Nach dem Erscheinen des Buches erreichten mich zahlreiche Briefe (damals noch per Post), die mir zeigten, dass es viele Frauen gab, die genauso fühlten wie ich, die nicht bereit waren, die weibliche Daseinsform als einen Schöpfungsunfall hinzunehmen, der von menschlicher Intelligenz via Schulmedizin abgemildert oder gar korrigiert werden musste. Viele Frauen schrieben mir. «Ich denke wie du, aber ich hatte noch keine Worte dafür.»

Damals ging ich davon aus, dass mir die gewonnenen Erkenntnisse für den Rest des Lebens ausreichen würden, und ich war eigentlich rundum zufrieden. Ich hatte die Zeit des Wechsels als eine Zeit des Umbruchs begriffen und weigerte mich fortan, Wechseljahre als Krankheit zu sehen, die es zu bewirtschaften und medizinisch zu versorgen gilt. Vielmehr verstand ich sie als Auftakt einer neuen Lebensphase und einen schöpferischen Neubeginn.

Irgendwann näherte ich mich dem sechzigsten Geburtstag. Sechzig fühlt sich anders an als fünfundfünfzig, sechzig läutet definitiv die graue Zeit des Seniorendaseins ein, so dachte ich nicht ohne Beklemmung. Mit der Bezeichnung Seniorin wollte ich mich denn auch nicht abfinden. Als meine Bank – bei der ich seit meiner Jugend finanziell untergebracht bin – mein Konto in ein Seniorenkonto umbenannte, drohte ich, unverzüglich das Finanzinstitut zu wechseln (was für die Großbank weniger als einen geringfügigen Verlust bedeutet hätte), falls sie nicht bereit wären, dieses verhasste Wort zu streichen. Kurzum, ich tat mich schwer damit, meine Lebensphase mit einem Begriff stigmatisieren zu lassen, der nichts Gutes erahnen ließ und überhaupt nichts mit meiner Befindlichkeit zu tun hatte. Ganz im Gegenteil fühlte ich mich äußerst vital und so leistungsfreudig wie nie zuvor. Ich beobachtete Menschen gleichen Alters in meiner Umgebung und stellte fest, dass sie in ihrer Lebensführung von der Vorbereitung auf ein mausgraues Rentnerdasein weit entfernt waren. «Logisch», entgegnete ein besonders einfühlsamer Bekannter. «Wir können auch in der Natur beobachten, wie Tannenbäume kurz vor dem Absterben nochmals winzige Tannzäpfchen produzieren.» Wenn mich etwas besonders stark ärgert, reagiere ich eher selten mit Resignation, sondern rüste zum Gegenangriff Gut, dachte ich trotzig, dann eben auf zu den letzten Zäpfchen. Und so griff ich erneut zur Feder. Zuerst nahm ich meine Altersgruppe und mich genau unter die Lupe, um zu prüfen, ob dieses Aufbäumen tatsächlich die letzten Zuckungen sein sollten, räumte aber immerhin die Möglichkeit einer Selbsttäuschung ein. Ich begann mich in wissenschaftliche Literatur über das Alter zu vertiefen, las Studien, nahm Forschungsergebnisse zur Kenntnis und kam zu dem Schluss, nein, es müssen nicht Manifestationen von letzten, sich aufbäumenden Energiestößen sein, sondern die Transformation freigewordener Kräfte sorgt nochmals für einen Schub und öffnet den Blick für neue Dimensionen. Und nachdem ich noch gelesen hatte, dass der größte Teil kultureller und auch wirtschaftlicher Leistungen von Menschen jenseits der sechzig erbracht werden, war für mich die Sache klar, ich hatte mich nicht getäuscht. Dann schrieb ich das Buch Altweibersommer. Und wieder ging ich davon aus, alles, was ich zu sagen hatte, nun gesagt zu haben. Mit einem großen Geburtstagsfest auf dem See, an dem ich wohne, mit Hundertschaften von Frauen und einigen wenigen Männern feierte ich diesen Tag. Und somit war das Thema Alter für mich erledigt.

Dann aber, mit dem siebzigsten Geburtstag, geriet ich nochmals in eine ernsthafte Krise. Es gab kein Fest, es gab ja nichts zu feiern. Ich verkroch mich bei meiner Freundin in ihrem Landhaus in Frankreich, um dort im engsten Freundeskreis und in stiller Trauer (wie es oft auf Todesanzeigen steht) meiner eigenen Abdankung beizuwohnen. Es wollte dann aber doch keine richtige Trauerstimmung aufkommen. Meine Freunde – ebenfalls längst über siebzig – waren äußerst vergnügt und gaben sich den gebotenen kulinarischen Köstlichkeiten unbekümmert hin. Wieder zurück in der Schweiz, wurde ich jedoch vom Verkehrsamt aufgefordert, mich einer ärztlichen Untersuchung zu stellen, um abzuklären, ob ich aufgrund meines hohen Alters überhaupt noch in der Lage sei, ein Fahrzeug zu führen. Alle, die das siebzigste Altersjahr erreicht haben, müssen dort antraben und unter Beweis stellen, dass die Verkalkung noch keinen gravierenden Schaden angerichtet hat. Die Regierung der Schweiz nimmt es mit einer flächendeckenden Verkehrsgefahr, die von über Siebzigjährigen ausgehen könnte, sehr genau. Ich ging unbeschwert zum Termin, hatte ich mir doch inzwischen meine Lebensfreude wieder einigermaßen zurückerobert. Um die Zeit im Wartezimmer sinnvoll zu nutzen, nahm ich meinen Laptop mit, weil ich gerade dabei war, einen neuen Lehrgang für die Ausbildung von Schreibpädagoginnen zu entwickeln – eine so anspruchsvolle wie auch erfüllende Beschäftigung. Als die Reihe an mir war, stieg ich von den interessanten und vitalisierenden Denkprozessen auf das schlichte Niveau der Kommunikation ab, das mir der Arzt anbot. Er fragte freundlich und in betulicher Redeweise (etwas langsamer und lauter, wie man eben mit alten Leuten spricht), ob ich noch in der Lage sei, mich auf den am Boden aufgezeichneten geraden Strichen vorwärtszubewegen. Was soll das, dachte ich und gab zu bedenken: Ich komme soeben aus einer denkerischen Hochleistungsübung, und Sie wollen mich mit Kindergartenkram beschäftigen! Es folgte sodann ein Disput zwischen Patientin und Arzt über Sinn und Unsinn derartiger Untersuchungen, wobei sich der Arzt im Laufe unseres heftigen Disputs eher der zweiten Definition zugeneigt zeigte. Nachdem er mir die medizinische Unbedenklichkeitsbescheinigung über meine derzeitige Zurechnungsfähigkeit ausgestellt hatte, war der Ärger rasch verflogen. Und auch wieder vergessen.

Es dauerte nur wenige Tage, da wurde ich nochmals mit der Tatsache konfrontiert, dass sich das Leben mit siebzig mit einem Schlag gravierend verändern kann. Als ich nach einem Vortrag nachts nach Hause fuhr, prallte auf einer Autobahneinfahrt ein anderes Fahrzeug auf meines auf. Obwohl es ziemlich knallte, blieb ich gelassen. Ich war so weit wohlauf, mein Fahrzeug allerdings war stark demoliert, an eine Weiterfahrt nicht zu denken. Dem anderen Auto entstiegen vier sehr junge Männer, der Fahrer wohl erst um die zwanzig. Rasch war klar, dass auch sie keinen Schaden erlitten hatten. Es war eine laue Sommernacht, sternenklar der Himmel über mir, ich setzte mich auf einen vom Sonnentag gewärmten Stein am Straßenrand, sandte einen Dankesgruß gen Himmel und hing meinen Gedanken nach. Es würde nun einige Formalitäten zu erledigen geben, mein Mann würde mich mit seinem Auto abholen, meines würde zur Reparatur abtransportiert, es gab also keinen Grund zu großer Aufregung, alles war noch einmal gut gegangen. Die vier jungen Männer indessen, die sich in einiger Entfernung von mir befanden, diskutierten und gestikulierten hektisch miteinander, der eine oder andere telefonierte mit seinem Handy, und ich verstand die Welt nicht mehr. Was gab es da noch zu diskutieren? Die Rechtslage konnte doch klarer nicht sein! Doch nach einigen Minuten kam der Fahrer auf mich zu und sagte: «Sie wissen, dass Sie schuld sind, Sie hatten kein Licht!» Als ich dies heftig bestritt, zeigte er auf seine drei Mitfahrer und setzte mit Nachdruck die Worte hinzu: «Meine Kumpel werden das bezeugen.» Ich begriff blitzartig, da wollte man versuchen, mich zu beschuldigen und mir einen falschen Tatbestand unterzuschieben, schließlich bin ich alt und bei alten Leuten weiß man ja nie. Die meinen zwar, sie hätten das Licht eingeschaltet, aber vergessen gleich auch wieder alles. Der Polizist kam mir zu Hilfe, wies darauf hin, dass ich ja kurz zuvor die nahe Grenze passiert hatte, da werde alles aufgezeichnet, er hole sich ein Foto.

Die wenigen Minuten, die vergingen, bis er mit dem für mich entlastenden Beweisfoto zurück war, haben nochmals meine Welt auf den Kopf gestellt. Vor allem wurde mir eines klar: Die Bilder und Vorstellungen über Menschen jenseits der Pensionsgrenze sind ein Konglomerat von Horrorvisionen, die in zahlreichen Kränkungen gipfeln. Einmal mehr also höchste Zeit, gegen falsche Annahmen anzugehen, nach ihren Voraussetzungen und Hintergedanken zu fragen und sie richtigzustellen, wo immer das möglich ist. Wie heißt es doch beim Philosophen Kant? «Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.» Genau das ist stets meine Absicht, so auch in diesem Buch. Ich untersuche selbst die späten Jahre, spreche mit anderen Menschen in meinem Alter, ziehe die Fachliteratur zu Rate. Vor allem aber folge ich wieder meiner eigenen Gedankenspur, die mich bereits in den Wechseljahren davor bewahrt hat, der damals geltenden Meinung zu folgen. Und so werde ich schließlich meinen eigenen Weg finden.

Gehypt wie getippt?

Wer sich gezielt mit dem Thema Älterwerden auseinandersetzen will, begegnet einer kaum übersehbaren Vielfalt von Angeboten, die eher verwirren als Orientierung geben. Da ist einmal das weit verbreitete Bild, Alter habe vor allem etwas mit Krankheit, mit Versehrung, mit Abbau und Demenz zu tun. In dieser Hinsicht gibt es unzählige, völlig unterschiedliche Konzepte und Ratschläge, wie das Alter am besten zu bestehen oder gar zu überstehen sei. Zudem hat sich ein neuer lukrativer Markt entwickelt, der systematisch die Zielgruppe sechzig plus ins Visier nimmt und sie mit sämtlichen nur denkbaren Krankheiten bestückt, die eventuell zu erwarten sind, die aber – falls rechtzeitig dagegen angegangen wird – vermieden werden können. Von Apotheken, Drogerien und Vertreibern im Internet wird ein gespenstisches Sammelsurium von heilbringenden Produkten gegen das Alter – letztlich gegen die Vergänglichkeit – angepriesen. Die Industrie hat die neue Zielgruppe der Alten (vor allem des finanzstarken Teils von ihnen) entdeckt und zockt und melkt, lockt und verheißt, verspricht und verkündet, was das Zeug hält. Es ist das Gegenteil von Innehalten, von Selbstdenken, von der Bereitschaft, die Realität mit in die eigenen Überlegungen einzubeziehen. Die Ideologie ewiger Jugendlichkeit besetzt wirksam jede Hirnzelle und hat sich mit der Idee der uneingeschränkten Machbarkeit verbündet.

Auch hier kommen wir jedoch nicht darum herum, die unterschiedlichen Lebenssituationen von Mann und Frau zur Kenntnis zu nehmen. Was die Möglichkeit der Lebensgestaltung betrifft, gibt es in der Tat nach wie vor gravierende Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Um eine Ahnung davon zu bekommen, braucht man bloß einmal die Prominentenbücher der letzten Zeit Revue passieren zu lassen, die vom Altern handeln. Das hat mit der Qualität nichts zu tun; die Bücher sind in der Regel aus der Perspektive der eigenen Erlebnisse und Überlegungen geschrieben, vermitteln Denkanstöße und tragen dazu bei, neue Bilder von den späten Jahren zu zeichnen. Bereits bei der Wahl des Titels fällt jedoch auf, dass männliche und weibliche Autoren jeweils aus geschlechtsspezifischen Perspektiven heraus schreiben. Altern wie ein Gentleman heißt es zum Beispiel bei Sven Kunze, Wer nach vorne schaut, bleibt länger jung bei Henning Scherf oder Älterwerden ist nichts für Feiglinge bzw. Zielgerade beim im Alter von 87 Jahren verstorbenen Joachim Fuchsberger. Die Buchtitel appellieren ganz eindeutig an die Widerstandskraft des Mannes, der sich nicht unterkriegen lassen, sondern heldenhaft den Jahren, die da kommen werden, die Stirn bieten soll. Sven Kunze schreibt in seinem Buch: «Wer ins Alter kommt, benötigt den Abwehrmechanismus der Verdrängung mehr denn je. Die Vielzahl der drohenden Verluste und Beschädigungen, die in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen keinem von uns erspart bleiben, wäre bei ständiger Präsenz in unserem Bewusstsein schwer zu ertragen. Wir wissen zwar, was auf uns zukommen kann, und kennen die geringen Chancen, dem zu entrinnen, aber wir verdrängen gottlob die drohenden Gefahren stets aufs Neue.»

Bei Autorinnen werden hingegen andere Saiten angeschlagen. Ruth Maria Kubitschek beispielsweise spricht davon, dass es vor allem darum gehe, «anmutig älter zu werden». Erika Pluhar wirft einen poetischen Blick auf diese Zeit und titelt schlicht und deskriptiv Spätes Tagebuch. Mit dem Buch Wir wilden weisen Frauen schlägt die Autorin Renate Daimler eine Brücke vom Wilden, im Sinne unserer Urnatur, zur Weisheit. Schön, dass sie die menschliche Tugend der Weisheit auch in der weiblichen Natur gut aufgehoben sieht. Ingrid Riedel lädt in ihrem Buch Die innere Freiheit des Alterns Leserinnen und Leser zu einem Leben ohne Warum in der Gelassenheit des Alters ein. Autorinnen rufen nicht zum Kampf auf, es geht ihnen um den Versuch, sich mit der neuen Altersphase anzufreunden, die gesamte Lebensspanne in den Blick zu nehmen und aus dieser Haltung heraus einen Zugang zur Gestaltung der späten Jahre zu finden. Schon vor vielen Jahren schrieb Simone de Beauvoir in ihrem Buch Das Alter: «Wollen wir vermeiden, dass das Alter zur kritischen Parodie unserer früheren Existenz wird, so gibt es nur eine einzige Lösung, nämlich weiterhin Ziele zu verfolgen, die unserem Leben einen Sinn verleihen: das hingebungsvolle Tätigsein für Einzelne, für Gruppen oder für eine Sache, Sozialarbeit, politische, geistige oder schöpferische Arbeiten. Im Gegensatz zu den Empfehlungen der Moralisten muss man sich wünschen, auch noch im hohen Alter starke Leidenschaften zu haben, die es uns ersparen, dass wir uns nur mit uns selbst beschäftigen. Überleben behält einen Wert, solange man durch Liebe, Freundschaft oder Mitgefühl am Leben der anderen teilnimmt. Dann bleiben auch Gründe, zu handeln oder zu sprechen.»

Der Mann steht also auch in den späten Jahren seinen Mann, schreitet aktiv nach vorn, wenn es sein muss mit Mut, ja, mit Heldenpathos, flieht vor den Unbilden des Alters nicht wie ein Feigling, sondern bietet ihnen wie ein Gentleman die Stirn. Bei der Frau stehen andere Qualitäten im Vordergrund, da ist die Anmut, die es zu bewahren gilt, der späte Blick auf gelebtes Leben, da geht es um die Erhaltung von Leidenschaften, um Freundschaft, Liebe und Mitgefühl. Aber auch von der Zuwendung zu sich selbst ist die Rede, vom freundschaftlichen Umgang mit sich. Da zeigen sich andere Lebensdimensionen, die es zu erforschen gilt, und das ganze Unterfangen zielt in eine andere Richtung, der des Einverständnisses mit sich selbst, weit entfernt von jeder kämpferischen Attitüde. Die Reflexionen aus weiblicher Feder handeln dabei keineswegs nur davon, Pirouetten um sich selbst zu drehen, sondern zielen immer auch über die eigenen Grenzen hinaus, in einen größeren, weiteren und vertieften Lebenszusammenhang.

Wir wollen jedoch nicht das eine gegen das andere ausspielen, wie dies oft in Diskussionen um die Geschlechterdifferenz der Fall ist, sondern den Blick für die Phase des Älterwerdens so schärfen, dass die eigentlichen Probleme besser verstanden werden können.

Beiden Geschlechtern gemeinsam ist unzweifelhaft die Herausforderung, sich mit Veränderungen und Lebensübergängen auseinandersetzen zu müssen, ebenso die Aufgabe, die veränderten Gegebenheiten zu akzeptieren und schließlich zu meistern. Das sind zum Teil für Männer wie für Frauen sperrige Brocken, gewaltige Hürden, die es zu überwinden gilt, und nicht selten wird dies als etwas beinahe Unzumutbares empfunden.

Wenn ich hier den Blick vorwiegend auf die Lebenswirklichkeit der Frau richte, dann deshalb, weil ich weiß, wovon ich spreche. Auf der einen Seite erfahre ich selbst das Älterwerden an Leib und Seele, zudem bin ich ständig mit Frauen im Gespräch, begleite sie – gelegentlich auch durch unwegsames Gebiet, das ich meist aus eigenem Erleben kenne. Das heißt aber nicht, dass ich die Lernleistung, die das Älterwerden dem Manne abverlangt, geringer einschätze als das, was Frauen zu bewältigen haben. Aber der männliche Weg ist eben ein anderer; ich habe größten Respekt davor und maße mir deshalb nicht an, ihn zu qualifizieren. Wenn ich dennoch gelegentlich die männliche Seite einblende, dann stets aus der Perspektive und dem Erleben der Frau. Viele Kränkungen und Demütigungen, die Frauen im Alterungsprozess erleben, stehen mit der Partnerbeziehung oder dem Umgang mit dem anderen Geschlecht in direktem Zusammenhang.

Der männliche Lebensentwurf scheint auf den ersten Blick etwas milder gestaltet zu sein als der weibliche. Männer werden in der Gesellschaft kaum diskriminiert – im Gegensatz zu Frauen. Männer können ihre Berufskarriere in der Regel ohne Unterbrechung durchziehen, während sich Frauen mit Geburten, Kinderzeit, Wiedereinstieg und Teilzeitarbeit arrangieren müssen. Da inzwischen die Hälfte aller Ehen wieder geschieden werden, leben viele Alleinerziehende tatsächlich allein. Einen neuen Partner zu finden ist mit «Anhang» viel schwerer als für den Mann, der häufig spätestens zwei Monate nach einer Trennung wieder in einer neuen Beziehung ist. So können Männer auch ohne weiteres ein zweites oder drittes Mal ihre persönliche Lebenssituation neu vermessen und von vorne beginnen, sie gründen einfach nochmals eine neue Familie und zeugen erneut Kinder. Anders bei Frauen. Die biologische Situation macht der Frau definitiv einen Strich durch die Rechnung, da kann sie sich noch so oft vorbeten, man sei schließlich so alt, wie man sich fühle. Wenn eine Frau die Lebensmitte überschritten hat, gibt es kein Zurück, keinen Neuanfang, da geht es vor allem darum, Begonnenes auf irgendeine intelligente Weise weiterzuführen und so zu gestalten, dass es einigermaßen befriedigend wird.

Für viele Frauen steht eine Liebesbeziehung im Mittelpunkt ihres Erlebens, sie unternehmen alles, was in ihren Möglichkeiten steht, um dem Liebesglück die Türe offenzuhalten. So ist eine Frau nicht selten bereit, dafür auch beschwerliche Konstellationen in Kauf zu nehmen, sie verzichtet wie selbstverständlich auf Annehmlichkeiten, Entbehrungen gehören zum Tagesablauf, immer ist sie auf den Erhalt des «Liebesglücks» bedacht. Selbst wenn sie in der Partnerschaft gekränkt und erniedrigt werden, ziehen es dennoch viele Frauen vor, in eine Art Duldungsstarre zu verfallen, statt sich aus der Situation zu befreien. Eine Frau kann beruflich noch so erfolgreich sein, sie kann sogar eine beachtliche Karriere hinlegen, dennoch wird sie ihre Aktivitäten möglichst handlich um das Lebenszentrum Beziehung herumdrapieren und Störfelder kleinhalten. Wenn Frauen im Beruf erfolgreich, aber in der Liebesbeziehung unglücklich sind, überschattet dies den Erfolg empfindlich und überträgt sich auf das Lebensgefühl. Die meisten Frauen wollen lieben und rundum wieder geliebt werden. Wird dieser Anspruch einigermaßen erfüllt, ist ihr Leben so gut wie in Ordnung.

Und genau an dieser Schnittstelle liegt für die Frau das Problem. Für viele hängt ihr Wohlbefinden davon ab, ob sie geliebt, bewundert und wertgeschätzt werden: Ich werde begehrt, also bin ich. Diese Formel spannt sich wie ein Regenbogen über das weibliche Dasein, ist Lebenselixier und vitalisierendes Element. Mit dem Älterwerden schleicht sich allmählich ein neuer Modus ein, der zunächst kaum zur Kenntnis genommen wird: Die anerkennenden Blicke werden seltener, bis sie schließlich ganz ausbleiben und wir als irgendwie geschlechtslose Wesen im Niemandsland gestrandet sind. Es ist ein bitterer Weg, gepflastert mit zahlreichen Enttäuschungen und Kränkungen. Und auch in durchaus stabilen Partnerschaften wird der einst wohltuende Glanz in den Augen des Partners etwas matter, ein Glanz, der sich vielleicht in der Begegnung mit einer anderen Frau – einer jüngeren! – nochmals einstellt. Durchaus gutgemeinte Ermahnungen wie die, es komme schließlich auf die inneren Werte an, vermögen nicht wirklich zu trösten. Das Äußere verändert sich, der einst voll erblühte Zustand weicht allmählich dem des Verwelkens. Frauen jenseits der Lebensmitte werden kaum noch anhand ihrer körperlichen Attraktivität wahrgenommen, im Gegenteil, einige berichten vom kränkenden Zustand des Unsichtbarwerdens.

Die Empfehlung mancher Ratgeber, nochmals in schriller Inszenierung demonstrativ auf den Putz zu hauen, zu zeigen: «Hallo, schaut her, ich bin auch noch da!», ist eher ein Zeugnis von nicht zu überbietender Peinlichkeit als ein gangbarer Ausweg aus der Kränkung. Die Aufforderung von Autorinnen, die Gesellschaft solle schleunigst umdenken, älteren Frauen weiterhin erotische Attraktivität zugestehen und ihnen vor allem auch in der Medienlandschaft vermehrt Beachtung zollen, ist Ausdruck eines ziemlich naiven soziologischen Irrtums, Menschen per Diktat in ihren Einstellungen verändern zu können. Solche Impulse bleiben deshalb völlig wirkungslos.

Was aber ist zu tun, damit schließlich nicht die Falle der Hoffnungslosigkeit und Resignation zuschnappt? Wie den Fallstricken entkommen, die in allen Lebensbereichen ausgelegt sind und deren Anzahl sich mit zunehmendem Alter vermehrt? Wo sind die klugen Reisebegleiter, die uns an die Hand nehmen und uns freundschaftlich durch die unbekannte Landschaft der späten Jahre führen?

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich weiß es auch nicht. Aber ich bin davon überzeugt, dass es viele Hinweise gibt, die uns hilfreich und unterstützend davor bewahren, in eine Richtung zu gehen, wo wir im Eldorado von Schießbuden, dröhnend durcheinandergeratenen Rhythmen und wilder Leuchtreklamen landen.

«Vom Denken gehen die Dinge aus. Alles ist denkgeboren, denkgefügt.» Diese buddhistische Weisheit, die bereits 400 Jahre vor Jesus entstanden ist und inzwischen vielen Menschen bei der Bewältigung ihres Lebens wegweisend zur Seite stand, ist ein verlässlicher Wink. Es geht also darum, denkend sämtliche seelischen Landstriche zu erforschen, gründlich nachzudenken, zuweilen auch gegen den Strom der allgemeinen Meinung zu schwimmen, querzudenken, einen Gedanken von allen Seiten zu betrachten, sich Unangenehmes so lange vorzuknüpfen, bis es den darin verborgenen Sinn freigibt. Und weil Denken immer mit Sprache einhergeht, alles zu benennen, vor keinem Wort zurückzuschrecken und keine Dinge im Nebel des nicht Benannten zu belassen. Wer keine Sprache für innere Prozesse zur Verfügung hat, ist diesen letztlich hilflos ausgeliefert, er ist manipulierbar, aus dem Hinterhalt lenkbar und schließlich verführbar. Wer hingegen Worte für das findet, was im Innern erlebt wird, hat ein hervorragendes Instrument, um damit umzugehen und es zu gestalten. Nicht ohne Grund steht im Zentrum einer Psychotherapie immer die Anstrengung, präzise Worte für die Erlebnisinhalte zu finden, um schließlich über das Wort sich selbst zu begreifen. Ohne die exakte Benennung ist es nicht möglich, sich mit seinem inneren Prozess auseinanderzusetzen.

Nennen wir es also beim Namen: Für viele Frauen nach der Lebensmitte beginnt ein unbewusster Kampf gegen die Vergänglichkeit, genauer gesagt, gegen das Verblühen ihrer körperlichen Schönheit. Das eigentliche Problem daran ist, dass dieser Kampf permanente Anstrengung bedeutet und die Pforte zu einem guten Einvernehmen mit sich selbst verschließt. Sollte es denn nicht gerade in den fortgesetzten Jahren zu einem guten Einverständnis mit sich und dem eigenen Leben kommen? Damit die vielleicht noch zahlreich vor einem liegenden Jahre eine gute Zeit der Einkehr bei sich werden können, ein behagliches Wohnen bei sich selbst.

Da gibt es wohl nur eine Möglichkeit: sich auf die eigenen Denkprozesse einzulassen, zu beobachten, zu analysieren, zu benennen, Forscherin in eigener Sache zu werden, um zu verstehen und daraus ein eigenes Konzept zu entwickeln.

Ich werde einige mögliche Reiserouten beschreiben, die als Inspiration oder als Impulse zu verstehen sind. Jedenfalls führen sie aus dem endlosen Kreislauf von Täuschungen und Luftnummern heraus und inspirieren zur Suche nach dem eigenen Weg.

Alles hat seine Zeit

Bei allen Frauen ist das Nachlassen der körperlichen Schönheit eine Tragödie von besonderem Ausmaß. Wer kennt nicht dieses Gefühl: Wir sitzen ganz zufrieden beim Friseur, blättern genüsslich im Boulevardteil, lesen über Prominente die eine oder andere Klatschgeschichte, bis wir vielleicht ganz ungewollt einen Blick in den Spiegel werfen und dem Friseur, wie die Marschallin im Rosenkavalier, empört und entsetzt ins Gesicht schreien:

Hippolyte, heut haben Sie ein altes Weib aus mir gemacht!

Natürlich verhalten wird uns eher bedeckt, bezahlen für die Behandlung und verlassen tapfer den Salon. Dann versuchen wir uns abzulenken, vielleicht kaufen wir noch Schuhe, um den seelischen Schmerz zu mildern, vielleicht zerstreuen wir uns mit anderem, treffen Freunde, klatschen über dies und jenes – bis sich der Schmerz wieder beruhigt hat und verfliegt. Wir schwören uns, diesen Friseursalon, in welchem wir derart verschandelt wurden, nie mehr zu betreten. Aber nach weiteren Versuchen kann es sein, dass es uns allmählich dämmert – und wir beginnen nachzudenken.

Die Marschallin singt am Morgen, nachdem sie eine Nacht mit ihrem viel jüngeren Liebhaber verbracht hat, sehr treffend:

… mir ist zumut,

dass ich die Schwäche von allem Zeitlichen recht spüren muss,

bis in mein Herz hinein:

wie man nichts halten soll,

wie man nichts packen kann.

Wie alles zerläuft zwischen den Fingern,

wie alles sich auflöst, wonach wir greifen,

alles zergeht, wie Dunst und Traum.

Ihr Geliebter Octavian ist angesichts dieser Worte erschüttert, versteht nicht, die Marschallin erklärt: