So spielt das Herz

Robyn Carr

Happy New Year in Virgin River

 

Linda Lael Miller

Traumfrau gesucht

 

Sherryl Woods

Verlockende Träume

 

RaeAnne Thayne

Hell leuchtet der Liebesstern

 

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgaben:

Midnight Confessions

Copyright © 2010 by Robyn Carr

erschienen bei: Harlequin Books, Toronto

Only Forever

Copyright © 1989 by Linda Lael Miller

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Tea and Destiny

Copyright © 1990 by Sherryl Woods

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Light the Stars

Copyright © 2006 by RaeAnne Thayne

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Harlequin S.A., Schweiz;

Thinkstock / Iakov Kalinin; pecher und soiron; Köln

ISBN eBook 978-3-95649-512-0

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Robyn Carr

Happy New Year in Virgin River

Roman

Aus dem Amerikanischen
von Barbara Alberter

1. KAPITEL

Sunny Archer dachte ernsthaft daran, ihren Namen zu ändern.

„Komm mit, Sunny“, drängte ihr Onkel Nathaniel. „Im Ort gibt es eine Party und wir wollen doch mal sehen, ob wir dich nicht wieder in eine etwas sonnigere Stimmung versetzen können!“

Eine Party im Ort? fragte sie sich. In Virgin River? In einem Sechshundertseelendorf? „Ach, ich glaube, da passe ich lieber …“

„Also wirklich, Sonnenschein, du musst etwas flexibler werden! Ein bisschen optimistischer! Du kannst doch deine Wunden nicht ewig lecken.“

Im Alter von zwei oder vielleicht auch vierzehn Jahren mochte es ja ganz niedlich gewesen sein, wenn jemand sagte: „Sunny ist heute aber gar nicht sonnig!“

Nur, heute war der 31. Dezember. Sie war nach Virgin River gekommen, um ein paar ruhige Tage bei ihrem Onkel Nate und seiner Verlobten Annie zu verbringen, ein Versuch, der Tatsache zu entfliehen, dass ihr Herz einfach nicht heilen wollte. Und als würde der Schmerz allein nicht reichen, war ihr Herz obendrein auch noch kalt und hart geworden. Sie schaute auf ihre Uhr. Es war vier Uhr nachmittags. Genau jetzt vor einem Jahr hatte sie sich frisieren und schminken lassen, um anschließend in ein Hochzeitskleid von Vera Wang zu schlüpfen. Aufgeregt und mit roten Wangen hatte sie nicht den Schimmer einer Ahnung gehabt, dass ihr Verlobter Glen sich derweil volllaufen ließ und sich bereit machte, um sein Leben zu rennen.

„Ich bin wirklich nicht in der Stimmung für eine Silvesterparty, Onkel Nate.“

„Ach Süße, ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass du allein zu Hause sitzt, Trübsal bläst und traurig bist.“

Und mich wie die größte Versagerin fühle, weil ich am Hochzeitstag vor dem Altar sitzen gelassen wurde? fragte sie sich. Aber genau das war geschehen. Wie sollte sie sich da anders fühlen?

„Nate“, flüsterte Annie, „das ist vielleicht wirklich ein schlechter Abend, darauf zu drängen, dass sie mal ausgeht …“

„Ach, glaubst du?“, erwiderte Sunny bissig, wobei ihr selbst auffiel, dass sie nie so reizbar und sarkastisch gewesen war, bevor sie sich in der Rolle der verlassenen Braut wiedergefunden hatte. „Hört zu, ihr beiden, geht bitte. Feiert wie die Rockstars. Ich habe meine eigenen Pläne.“

„Wirklich?“, stießen beide hoffnungsvoll aus.

„Ja, wirklich. Ich plane nämlich eine zeremonielle Verbrennung des Kalenders vom letzten Jahr. Am besten, ich verbrenne auch gleich die der drei Jahre davor, denn das umfasst die Zeit und Energie, die ich in diesen Mistkerl investiert habe.“

Nate und Annie verschlug es einen Augenblick die Sprache, während sie zweifelnde Blicke miteinander austauschten. Als Nate sich wieder gefangen hatte, sagte er: „Also gut! Dann bleiben wir hier und helfen dir bei der zeremoniellen Verbrennung. Hinterher machen wir uns Popcorn, spielen ein bisschen Monopoly, denken uns ein paar gute Vorsätze aus oder so, und dann läuten wir ein sehr viel besseres neues Jahr ein, als es das alte war.“

So kam es, dass Sunny, der absolut nicht danach war, sich entgegenkommend zu zeigen, am Ende doch mitfuhr und zur großen Virgin-River-Silvesterparty in Jacks Bar ging. Das aber auch nur, weil sie nicht zulassen konnte, dass ihr Onkel Nate und die liebenswerte, witzige Annie zu Hause blieben, um ihr dabei zuzusehen, wie sie schmollte und jammerte.

In Sunnys Familie war es seit Langem Tradition, zu den Jensen-Stallungen rauszufahren, wenn man ein wenig Erholung brauchte und wieder Kraft schöpfen musste. Sunny, ihre Cousins und ihre einzige Cousine hatten unzählige Ferien dort verbracht. Auf den Weiden und Wegen hatten sie die frische saubere Luft eingeatmet und sich hinterher jedes Mal wie neu gefühlt. Es war die Idee ihrer Mutter gewesen, dass Sunny auf eine nachweihnachtliche Wiederbelebung nach Virgin River fahren sollte. Sunnys Mom war eine von Nates älteren drei Schwestern, und Sunnys Großvater war der eigentliche Besitzer des Anwesens und frühere Tierarzt der Jensen-Klinik mit angeschlossenen Stallungen. Heute war Onkel Nate der Tierarzt, und Grandpa hatte sich zur Ruhe gesetzt und lebte in Arizona.

Sunny war das einzige Kind ihrer Mutter und fünfundzwanzig Jahre alt. Sie hatte eine Cousine, Mary … die es vor Kurzem geschafft hatte, ihren Bräutigam in die Kirche zu lotsen. Und da Onkel Nate mit seinen fünfunddreißig nur zehn Jahre älter war als sie, waren sowohl Sunny als auch ihre Cousine in der Vergangenheit unglücklich in ihn verliebt gewesen. Nate indes, der mit drei älteren Schwestern aufgewachsen war, hatte immer geglaubt, mit Frauen gestraft zu sein.

Jedenfalls bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr. Dann wurde er ein wenig onkelhafter, geduldiger und entwickelte sogar einen ziemlich ausgeprägten Beschützerinstinkt. Vor einem Jahr hatte Nathaniel am Silvesterabend in der Kirche gesessen und, wie alle anderen auch, darauf gewartet, dass der Bräutigam auftauchte und die Trauung begann.

Für Sunny war das vergangene Jahr in einem einzigen Chaos aus Wut und Schmerz verlaufen. Ihr noch recht neues, aber florierendes Unternehmen als selbstständige Fotografin war dank ihrer ausgezeichneten Website und über Mundpropaganda durchgestartet, und anstatt nach ihrer persönlichen Katastrophe erst einmal eine Pause einzulegen, hatte sie sich gleich wieder in die Arbeit gestürzt. Schließlich hatte sie Fototermine, die vorher vereinbart worden waren. Das Verheerende war nur, dass sie sich auf Verlobungen, Hochzeiten, Jubiläen, Bauch- und Babyaufnahmen spezialisiert hatte, fünf Phasen im Leben eines Paares, die es wert waren, für die Nachwelt festgehalten zu werden. Somit war sie nicht nur emotional aus dem Gleichgewicht geraten, sondern auch ihre Arbeit wurde in Mitleidenschaft gezogen. Und obwohl sie sich nicht konzentrieren konnte und entweder gar nicht oder nur wenig schlief und es kaum schaffte, sich aus dem Bett zu quälen, machte sie weiter, so gut es ging. Das Einzige, was sich seitdem in ihrem Leben geändert hatte, war, dass sie aus der Stadtwohnung, die sie mit Glen geteilt hatte, ausgezogen und zurück zu ihren Eltern gekehrt war, wo sie bleiben wollte, bis sie sich etwas Eigenes leisten könnte. Ihr Arbeitsraum befand sich ohnehin im Keller ihrer Eltern, daher war es nur ein kleiner geografischer Wechsel.

Das Jahr, das sie nun wieder bei ihren Eltern lebte, war für sie eine Offenbarung. Sunny erkannte, dass bei den meisten jungen Frauen in ihrem Alter die treibende Kraft hinter dem Wunsch nach Unabhängigkeit und Privatsphäre darin bestand, dass sie sich in einer Beziehung befanden. Da Sunny fest entschlossen war, die Fehler ihrer Vergangenheit nicht zu wiederholen, indem sie einen neuen Mann in ihr Leben ließ, gab es keinen Grund, den Komfort, die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit, die ihr das Elternhaus boten, aufzugeben.

In dieser Zeit hatte sie es mit Aufnahmen von Sonnenaufgängen, Sonnenuntergängen, Landschaften, Meeresaufnahmen und Haustieren versucht. Es funktionierte nicht. Die Fotos waren flach und uninteressant. Als wäre es nicht schlimm genug, dass ihr Herz gebrochen war, hatte sie nun auch ihr Mut verlassen. Es war, als hätte ihre Begabung sie im Stich gelassen. Hochzeiten hatten sie inspiriert und sie war brillant, wenn es um Paare ging – Porträts, Diashows, Videos. Sie fing das Versprechen in ihren Augen ein, das Potenzial ihres Lebens. Die dicken schwangeren Bäuche der Frauen konnte sie in einem romantischen Licht erscheinen lassen, und was die Babys anging, war sie eine wahre Anne Geddes! Doch nun war sie das nur noch als Zuschauerin, die nichts davon selbst erleben würde, deshalb hatte sich alles für sie geändert. Und nicht nur das, bei jeder Aufnahme, die sie machte, spürte sie einen weiteren Stich im Herzen.

Als sie Annie davon erzählte, meinte diese: „Schätzchen, du bist noch so jung! Erst fünfundzwanzig! Unendlich viele Möglichkeiten liegen vor dir, du musst dich ihnen nur öffnen!“

„Ich rege mich nicht auf, weil ich es nicht ins Cheerleaderteam geschafft habe, Annie. Mein Verlobter hat mich am Hochzeitstag sitzen lassen. Und da spielt mein Alter überhaupt keine Rolle“, erwiderte Sunny daraufhin.

Eine hübsche Decke aus frischem weißem Schnee hatte sich auf den Ort gelegt, der neun Meter hohe Weihnachtsbaum strahlte, und noch immer fielen glitzernde zarte Flocken zu Boden. Die Veranda vor Jacks Bar war mit Girlanden und Lichtern geschmückt und sah einladend aus. Dem Schornstein entstiegen anheimelnde Rauchkringel und hinter den Fenstern erstrahlte warmes Licht.

Als Nate, Annie und Sunny um acht die Bar betraten, stellten sie fest, dass sich die Leute aus dem Dorf darin drängten. Jack, der Besitzer, und Preacher, der Koch, standen hinter dem Tresen. Ein festlich geschmückter Tisch entlang der gesamten Wand war überhäuft mit Speisen aller Art und wurde von Annie noch um eine große Platte mit ihren speziellen Mayonnaise-Eiern und einem Lachsauflauf bereichert, den sie mit Dill bestreut und mit Crackern verziert hatte.

„Hey, sieht aus, als wäre der ganze Ort hier“, bemerkte Nate.

„Zum großen Teil, ja“, bestätigte Jack. „Doch ich hoffe, du siehst hier niemanden, den du um zwölf küssen willst, denn die meisten dieser Leute werden nicht so lange durchhalten. Aber wir haben eine ordentliche Truppe, die den harten Kern darstellen und bis dahin die Stellung halten wird. Sie sind gerade damit beschäftigt, die ganzen Kinder hinten in Preachers Haus unterzubringen. Das wird der reinste Schlafsaal, und wir haben eine Babysitterin engagiert, die auf sie aufpasst. Die zwei von Vanessa und Paul werden bei Preachers kleiner Dana einquartiert, meine Kids schlafen in Preachers Zimmer, und das Kleine von Brie und Mike borgt sich mal Christophers Zimmer, denn der hat vor, bis Mitternacht zusammen mit der Babysitterin wach zu bleiben.“ Jack lächelte und fügte hinzu: „Oh, und um das klarzustellen, die Babysitterin ist hier für alle kleinen Kinder, nicht für Chris. Der ist jetzt acht und schon ein richtiger Mann.“

„Jack, Preach … darf ich euch meine Nichte Sunny vorstellen. Sunny, das sind Jack und Preacher, die beiden, die den Laden hier schmeißen.“

Sunny bedachte sie mit einem matten Lächeln, nickte und murmelte etwas wie: „Freut mich.“

„Schwingt euch auf die Hocker, ihr drei. Sowie ihr euren Beitrag zu unseren guten Vorsätzen für das neue Jahr geleistet habt, werdet ihr auch bedient“, sagte Jack. „Heute besteht der Eintrittspreis in einem Beitrag zum Buffet und einem guten Vorsatz.“

Sunny setzte sich auf den Barhocker und hängte den Riemen ihrer großen Tasche an die Rückenlehne. Jack beugte sich über den Tresen, um die große lederne Schultertasche besser sehen zu können. Dann sah er sie fragend an. „Wolltest du nach der Party gleich eine lange Reise antreten?“

Sie lachte kurz. „Meine Kameraausrüstung. Die habe ich immer dabei. Ich weiß ja nie, wann ich sie brauchen kann.“

„Also du kannst dich gerne hier bei der ersten alljährlichen Silvesterparty austoben“, meinte Jack und schob ihr einen Zettel nebst Stift zu.

Sunny beugte sich darüber, als wolle sie es sich gut überlegen. Wenn sie jetzt gesagt hätte, dass sie das alles nur so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte, hätte sie damit nur das unleidige Thema angeschnitten, warum sie jetzt und für alle Zeiten von allen Feiertagen die Silvesterabende am meisten hasste.

„Lass dir etwas Gutes einfallen, Sunny“, meinte Jack. „Halt es allgemein und unterschreib es nicht. Es ist anonym. Gleich nach Mitternacht wird es eine Überraschung geben.“

Sunny warf einen Blick auf ihre Uhr. Oh Gott, dachte sie. Geht das jetzt noch mindestens vier Stunden so weiter? Das schaffe ich nie! Auf ihren Zettel schrieb sie: „Gib die Männer auf.“

Drew Foley war im zweiten Jahr seiner Facharztausbildung zum Orthopäden an der Uniklinik in L. A. Irgendwie hatte er es geschafft, sich zehn Tage Urlaub zu nehmen, um mit seinen beiden Schwestern Marcie und Erin, ihren Männern Ian und Aiden sowie seinem neuen Neffen Weihnachten in Chico zu feiern. Auch die letzten drei Jahre hatte er Weihnachten bei seiner Familie verbracht, allerdings in Begleitung seiner Exverlobten Penny. Das schien nun sehr lange her zu sein.

Wenn Assistenzärzte in der orthopädischen Chirurgie einmal ein paar freie Tage haben, sind das keineswegs wirklich freie Tage. Es sind lediglich Tage, an denen sie weder im Operationssaal auf der Station oder im Seminar anwesend sein müssen, mithin auch keine Berichte schreiben oder sich von den Ober- und Chefärzten verbal niedermachen lassen müssen. In der Theorie haben sie jedoch meist sehr viel nachzuholen, und auch Drew hatte sich über Weihnachten die ganze Zeit in Büchern vergraben, trotz der Ablenkung durch die Familie um ihn herum. Neuerdings gehörte dazu auch Marcies Baby, das wirklich anfing, sich bemerkbar zu machen. Anschließend blieben ihm nur noch ein paar Tage, bevor er wieder nach Südkalifornien aufbrechen musste, deshalb hatte er sich in die familieneigene abgelegene Hütte auf dem Bergzug bei Virgin River zurückgezogen, damit er ungestört lernen konnte. Ein paar Tage hatte er sich voll darauf konzentriert und war angesichts des neuen Wissens, das er gewonnen hatte, von sich selbst beeindruckt. Seiner Meinung nach hatte er sich damit ein oder zwei Bier am Silvesterabend verdient, und am Neujahrstag durften es dann auch noch ein paar Stunden Football sein. Am zweiten Januar musste er schon wieder nach Chico zurückfahren, wo er in Erins Haus noch einen weiteren Abend mit der Familie verbringen wollte, um sich dann abermals in die Höhle des Löwen, die UCLA Medical, zu begeben.

Er holte seine Jacke. Es war Silvester, und er hatte genug Zeit allein verbracht. Auf dem Weg nach Fortuna, wo er sein Bier bekommen würde, wollte er mal im Dorf vorbeischauen, einfach um zu sehen, was sich dort tat. Er wäre überrascht, wenn die einzige Bar im Ort geöffnet hätte, denn Jacks Bar-Restaurant blieb an Feiertagen normalerweise nicht lange auf. Tatsächlich war es in Virgin River auch an normalen Tagen so, dass Jack schon vor neun den Laden schloss. Allenfalls wenn Jäger und Angler in der Gegend waren, arbeiteten sie gelegentlich bis zehn Uhr durch. Es war ein Ort, in dem überwiegend Farmer, Rancher, Lohnarbeiter und Besitzer kleiner Geschäfte wohnten, und die blieben abends nie lange auf den Beinen, weil sie weder ihre Felder noch ihre Tiere warten lassen konnten.

Doch im Ort angekommen, stellte Drew überrascht fest, dass die Bar vor Gästen nur so brummte. Er lächelte, denn so blieb ihm eine anstrengende Fahrt durch die Berge erspart und er konnte dennoch sein Bier unter Menschen trinken. Als er den überfüllten Gastraum betrat, hörte er, wie jemand seinen Namen rief: „Hey! Doc Foley! Seit wann bist du denn im Ort?“

Das war das Beste an dieser Bar. In den letzten zwei Jahren war er vielleicht ein halbes Dutzend Mal hier gewesen, aber Jack vergaß niemanden. Dasselbe traf übrigens auch auf die meisten von Jacks Freunden und seine Familie zu.

Er reichte Jack über den Tresen hinweg die Hand. „Wie geht’s dir, Jack?“

„Ich hatte ja keine Ahnung, dass du hier oben bist!“, meinte Jack. „Hast du deine Familie mitgebracht?“

„Nee, mit der Familie habe ich Weihnachten gefeiert, und dann bin ich hier raufgekommen, um noch etwas zu lernen, bevor ich meine Ausbildung zum Facharzt wieder aufnehme. Ich dachte, ich geh den Mädels und besonders dem Baby lieber aus dem Weg, wenn ich wirklich vorhabe, mich darauf zu konzen-trieren.“

„Wie geht’s dem Kleinen?“, fragte Jack.

Drew grinste. „Er hat rote Haare und ist laut. Ich fürchte, er ist das genaue Ebenbild seiner Mom. Ian sollte sich vorsehen. Sehr gut vorsehen.“

Jack schmunzelte. „Du erinnerst dich an meine Frau Mel?“

„Selbstverständlich“, sagte Drew und wandte sich der berühmten Hebamme des Orts zu, die ihm einen Kuss auf die Wange gab. „Wie geht es dir?“, erkundigte er sich.

„Mir ist es noch nie besser gegangen. Ich wünschte, wir hätten gewusst, dass du hier bist, Drew. Ich hätte dich auf jeden Fall angerufen und eingeladen.“

Drew schaute sich in der Bar um. „Wer hätte auch ahnen sollen, dass sich Silvester hier das ganze Dorf versammelt. Sind alle gekommen?“

„Der Großteil“, antwortete Jack. „Du kannst aber davon ausgehen, dass sich das ziemlich bald ändern wird. Die meisten werden gegen neun schon wieder aufbrechen. Sie müssen früh raus. Doch ich werde bis Mitternacht durchhalten“, versicherte er Drew. „Ich wette, die Dorfbewohner, die bereit sind, für einen Kuss um Mitternacht aufzubleiben, wird man an einer Hand abzählen können.“

Und das war der Moment, als Drew sie entdeckte. Genau in dem Augenblick, in dem Jack „Kuss um Mitternacht“ sagte, fiel sein Blick auf eine junge Frau, der er nur allzu gerne den Gefallen tun würde, wenn die Uhr zwölf schlug. Sie hatte sich in eine Ecke beim Kamin zurückgezogen, drehte ein Glas Weißwein in der Hand und ihre goldblonden Haare fielen ihr über die Schultern. Sie schien ein wenig abseits von dem Tisch neben ihr zu sitzen, an dem sich drei Frauen miteinander unterhielten. Er beobachtete, wie eine der Frauen sich zu ihr beugte und versuchte, sie in das Gespräch einzubeziehen, aber sie nickte nur, trank einen Schluck, lächelte höflich und blieb weiter distanziert. War sie mit ihrem Mann hier? Mit ihrem Freund? Wer immer sie sein mochte, sie wirkte etwas unglücklich. Nur allzu gern würde Drew dafür sorgen, dass sich das änderte.

„Drew“, unterbrach Jack seine Gedanken. „Darf ich dir unseren Tierarzt vorstellen. Nate Jensen.“

Drew reichte ihm die Hand, konnte den Blick jedoch nicht von der jungen Frau abwenden. „Freut mich, Sie kennenzu-lernen“, sagte er, dachte dabei allerdings daran, wie lange es jetzt her war, dass allein der Anblick einer schönen Frau ihn so umhaute und er geradezu magisch von ihr angezogen wurde. Zu lange! Wow, sie war eine Granate. Nates Hand hatte er kaum losgelassen und seine Antwort nicht einmal verstanden, weil ihm die Ohren klingelten, als er Jack auch schon fragte: „Wer ist die Blondine da drüben?“

„Das ist meine Nichte“, beantwortete sein neuer Bekannter die Frage. „Sunny.“

„Verheiratet? Verlobt? In Begleitung? Nonne? Oder was sonst?“

Nate schmunzelte. „Sie ist völlig ungebunden. Aber …“

„Bin gleich wieder da“, fiel Drew ihm ins Wort. „Verteidigt mein Bier mit eurem Leben!“ Und schon war er weg und steuerte die Ecke beim Kamin an.

„Aber …“, versuchte Nate es noch einmal.

Drew ließ sich nicht aufhalten. Er war wie ferngesteuert. Als er dann vor ihr stand und sie zu ihm aufschaute, überraschte es ihn nicht im Geringsten, dass sie die schönsten blauen Augen hatte, die er sich nur vorstellen konnte. Er reichte ihr die Hand. „Hi. Ich bin Drew. Gerade habe ich Ihren Onkel kennengelernt.“ Sie schwieg und schüttelte ihm nicht einmal die Hand. „Und Sie sind Sunny. Sunny Jensen?“

Ihre Augen verengten sich, und fast ohne den Mund zu bewegen, korrigierte sie: „Archer.“

Drew gab es auf, darauf zu warten, dass sie seine Hand ergriff, und zog sie zurück. „Nun, Sunny Archer, darf ich mich zu Ihnen setzen?“

„Versuchen Sie, mich anzumachen?“, fragte sie ihn direkt. Er grinste „Ich bin ein sehr optimistischer Mensch.“

„Dann will ich Ihnen etwas Zeit und Mühe ersparen. Ich bin nicht zu haben.“

Einen Moment lang verschlug es ihm die Sprache. Nicht, dass Drew daran gewöhnt wäre, bei den Frauen viel Erfolg zu haben, da war er zugegebenermaßen etwas aus der Übung. Doch diese hier hatte ihn einfach magisch angezogen. Er war überrascht und konnte sich nicht erklären, warum sie ihn so abblitzen ließ, bevor er überhaupt Gelegenheit hatte, seinen Annäherungsversuch zu verbocken. „Tschuldigung“, murmelte er lahm. „Ihr Onkel hatte mir erzählt, Sie seien ungebunden.“

„Ungebunden und nicht zu haben.“ Sie hob ihr Glas und lächelte leicht. „Frohes neues Jahr.“

Ohne noch etwas dazu zu sagen, sah er sie nur einen Moment lang an, dann trat er den Rückzug zum Tresen an.

Jack und Nate hatten ihn beobachtet und schienen auf ihn zu warten. Jack schob ihm das Bier hin. „Wie ist es gelaufen?“

Drew trank einen großen Schluck. „Ich muss wirklich voll aus der Übung sein“, antwortete er. „Wahrscheinlich hätte ich mir das vorher etwas besser überlegen sollen …“

„Wie bitte? Lässt die Facharztausbildung keine Zeit für Mädels?“, fragte Jack mit einem Grinsen auf dem Gesicht.

„Eine Trennung“, erklärte Drew, „und die wiederum hat dazu geführt, dass ich mich für eine Weile mal ganz von den Frauen verabschiedet hatte.“

Nate stützte sich mit einem Ellbogen auf den Tresen. „Ach wirklich? Eine Trennung im Bösen?“

„Haben Sie schon mal eine gute erlebt?“, fragte Drew zurück. Dann aber lächelte er, zog eine Augenbraue hoch und fügte hinzu: „Nee, so schlimm war es eigentlich gar nicht. Wahrscheinlich hat sie mir sogar das Leben gerettet. Wir waren verlobt, allerdings wäre es besser gewesen, wenn wir es hätten sein lassen. Am Schluss hat sie mir gesagt, was ich längst hätte wissen sollen: Wenn wir heiraten, wird es in einer Katastrophe enden.“

„Schlecht zusammengepasst?“

„Genau, kann man so sagen. Ich hätte es kommen sehen müssen, aber ich war viel zu sehr damit beschäftigt, Titanimplantate in Oberschenkelknochen einzusetzen, um solchen Kleinigkeiten Aufmerksamkeit zu schenken. Selbst schuld! Aber was ist denn mit Sunny Archer los?“

„Nun“, meinte Nate. „Ich glaube, ihr habt viel gemeinsam.“

„Oh-oh. Eine Trennung im Bösen?“

„Sagen wir einfach: Haben Sie schon mal eine gute erlebt?“

„Hätte ich mir denken können. Sie hat mir keine Chance gegeben. Und ich dachte schon, ich hätte es vermasselt.“

„Wirst du es auf eine zweite Runde ankommen lassen?“, fragte Jack.

Drew dachte einen Moment darüber nach. „Ich weiß nicht“, antwortete er achselzuckend. „Vielleicht sollte ich damit warten, bis sie ein bisschen mehr Wein intus hat.“

Nate schlug Drew kräftig auf die Schulter. „Sie sprechen von meiner Nichte, Junge. Ich werde Sie im Auge behalten.“

„Tut mir leid, schlechter Scherz. Doch ich würde es niemals ausnutzen, deswegen müssen Sie sich keine Sorgen machen“, beteuerte Drew. „Aber wenn sie mich noch einmal so abblitzen lässt, besteht die Gefahr, dass ich ernsthafte Komplexe be-komme.“

2. KAPITEL

Drew ließ sich Zeit mit seinem Bier und lachte mit Jack und Nate bei einem Teller Hähnchenflügel, aber das Thema Trennungen ließ ihn an Penny denken. Es gab Zeiten, da vermisste er sie oder zumindest das, was er in ihrer Beziehung gesehen hatte.

Kennengelernt hatten sie sich, als er noch Student an der Medizinischen Hochschule war. Penny war die Cousine eines Kommilitonen, und der hatte sie miteinander bekannt gemacht. Ihr erstes Date war reibungslos verlaufen, und die nächsten sieben Dates in ebenso vielen Wochen sogar noch besser. Ehe Drew sich versah, verabredete er sich nur noch mit Penny. Es gab so viel, das sie verband, sie gefielen einander immer besser. Sie war examinierte Krankenschwester, und er studierte Medizin. Sie war hübsch, sehr humorvoll, hatte Verständnis für seine Arbeit, so wie er für ihre, und im Nu hatten sie sich in einer Komfortzone eingerichtet, die ihnen beiden das Leben leichter machte. Dass sie obendrein noch guten Sex miteinander hatten, schadete auch nicht. Alles schien zu passen.

Von Anfang an hatte Penny ihre Beziehung in die Hand genommen, sodass Drew nicht viel darüber nachdenken musste. Und das war ihm nur recht. Er war ein viel beschäftigter Mann; er hatte kaum Zeit zu flirten oder um eine Frau zu werben. Penny war bestens in der Lage, ihn über ihre Tagesordnung auf dem Laufenden zu halten, und er passte sich ihr nur zu gerne an. So sagte sie zum Beispiel: „Bald ist Valentinstag. Ich nehme doch an, dass wir da etwas Besonderes unternehmen?“

Klingeling – das konnte er sich leicht zusammenreimen. „Un-bedingt“, sagte er dann, reservierte einen Tisch und kaufte ein Geschenk. Penny fand ihn brillant und hielt ihn für sensibel, und in seiner Welt war alles in Ordnung.

Alles lief wie geschmiert, bis er sie bat, ihn nach Südkalifornien zu begleiten, um dort mit ihm zusammenzuleben. Seine Facharztausbildung in der orthopädischen Chirurgie begann, und Penny war zwei Jahre lang die einzige Frau für ihn gewesen. Er hielt es für die natürliche Entwicklung der Dinge. „Nicht ohne Verlobungsring“, hatte sie gesagt, also hatte er einen besorgt. Es erschien ihm nur vernünftig zu sein.

Aber der Weggang aus Chico hatte alles verändert. Für Penny war es nicht gut gelaufen. Sie war aus ihrem Element gerissen, weit weg von ihrem Job, ihren Freunden und ihrer Familie. Und Drew war viel zu gestresst und überarbeitet, um ihr dabei zu helfen, den Wechsel zu verarbeiten. Sie fühlte sich einsam, brauchte Aufmerksamkeit, Zeit und Zuspruch. Und er wollte ihr das alles auch geben, aber es war, als wolle man Wasser aus einem Stein pressen. Es dauerte nicht lange, da bestand die einzige Form ihrer Kommunikation nur noch in Auseinandersetzungen, um nicht zu sagen Streitereien. Nach einem solchen Streit folgten Tage, in denen sie nicht miteinander sprachen, oder Nächte, in denen Penny in ihr Kissen weinte und sich nicht von ihm trösten lassen wollte, wenn er sich überhaupt einmal lange genug wach halten konnte, um es ihr anzubieten.

Drew schüttelte die Erinnerungen ab und wandte sich an Nate. „Also erzählen Sie mir doch von Sunny, die man, wenn ich das so sagen darf, lieber Stormy nennen sollte …“

„Also mal vorab – im Augenblick scheint es ganz und gar nicht gut anzukommen, wenn man über ihren Namen Witze macht“, erwiderte Nate.

„Aha“, sagte Drew, wurde jedoch plötzlich von einem Blitz abgelenkt und erkannte, dass es niemand anders war, als das stürmische Sonnenscheinchen höchstpersönlich, das mit seiner Kamera ein Paar dabei fotografierte, wie es sich gerade zuprostete. „Was hat es mit der Kamera auf sich?“, fragte er.

„Sie ist tatsächlich Fotografin. Eine gute Fotografin“, erklärte Nate. „Sie hatte angefangen, am College Wirtschaft zu studieren, hat das Studium dann aber geschmissen, bevor sie einundzwanzig war, und ihr eigenes Unternehmen aufgebaut. Ihre Mutter, also meine Schwester Susan, bekam damals deswegen fast einen Herzanfall. Aber es hat sich gezeigt, dass Sunny genau wusste, was sie tat. Die Leute stehen Schlange, um sie zu engagieren.“

„Wirklich?“, fragte Drew fasziniert. „Sie wirkt noch ziemlich jung …“

„Sie ist sehr jung, aber schon auf der Highschool hat sie fantastische Fotos geschossen, vielleicht sogar noch früher.“

„Wo?“

„Sie lebt in L. A., Long Beach, um genau zu sein.“

Long Beach, dachte Drew. Das war ja gleich um die Ecke! Aber natürlich war das völlig irrelevant, wenn sie nicht einmal mit ihm sprechen wollte, deshalb behielt er es lieber für sich.

„Kann es sein, dass sie ein bisschen auf Künstler macht?“, fragte er.

Nate lachte. „Nein, überhaupt nicht. Sie ist sehr praktisch veranlagt. Aber in letzter Zeit hat sie auch mal ein paar neue Sachen ausprobiert wie Aufnahmen von den Pferden, Bergen und Tälern, Straßen und Gebäuden, Sonnenauf- und Sonnenuntergängen, Wolken und so weiter.“ Nate schaute zu Sunny hinüber, die eifrig damit beschäftigt war, Fotos von einem glücklichen Paar zu schießen. „Irgendwie ist es schön zu sehen, dass sie wieder Aufnahmen von Menschen macht.“

Drew beobachtete, wie Sunny sich konzentrierte, das Paar mit einer Hand dirigierte, während sie in der anderen die Kamera hielt. Ihre Miene hatte sich deutlich aufgehellt; ihr Lächeln war lebendig, und was immer sie gerade sagte, veranlasste ihre Objekte, zu lachen, woraufhin die Kamera mehrfach aufblitzte. Sunny war so angeregt, dass sie gleich noch fünf oder sechs weitere Aufnahmen schoss. Dann zog sie eine Visitenkarte aus der Tasche ihrer Jeans und reichte sie dem Paar. Sie war wirklich umwerfend schön, wenn sie ihm nicht gerade eine Abfuhr erteilte. Dann zog sie sich wieder an ihren Platz beim Kamin zurück und legte die Kamera aus der Hand. Drew fiel auf, dass ihr Gesicht wieder diesen ernsten Ausdruck annahm, sowie sie aufgehört hatte zu fotografieren. Und schon wurde ihm durch einige Partygäste die Sicht auf sie verstellt.

Er wollte eine dieser Visitenkarten haben.

„Hey, Kumpel, du hast noch gar nicht deinen guten Vorsatz aufgeschrieben“, sagte Jack und reichte ihm Stift und Zettel. „Das ist heute der Eintrittspreis.“

„Normalerweise habe ich mit guten Vorsätzen nichts am Hut“, antwortete Drew. „Na ja, außer jeden Morgen, wenn ich mir vornehme, unter dem Radarschirm der Oberärzte zu fliegen.“

„Warum das?“, fragte Jack.

Manchmal vergaß Drew, dass nur wenige Menschen wussten, wie das Leben eines jungen Assistenzarztes aussah. „Weil sie Soziopathen sind und eine richtig gemeine Ader haben.“

„Aha“, sagte Jack, als würde er ihm das abnehmen. „Vielleicht ist das ja dein Vorsatz fürs neue Jahr – Soziopathen ausweichen? Wenn du einen aufgeschrieben hast, kommt der hier in den Pott.“

„Und dann?“, fragte Drew.

„Wenn du später gehen willst, kannst du einen Zettel ziehen. Vielleicht erwischst du ja einen besseren als den, den du geschrieben hast. Dann hast du etwas Neues, wonach du streben kannst.“

Drew lachte. „Keine Ahnung. Das ist ja völlig verrückt. Was ist denn, wenn auf dem Zettel, den ich ziehe, steht, dass ich mit dem Motorrad durch die USA fahren soll?“

Jack sah sich um. „Nee“, meinte er. „Da besteht hier keine Gefahr. Du könntest allerdings einen erwischen, auf dem steht, dass du deine jährliche Mammografie nicht vergessen sollst. Nun mach schon“, sagte er und tippte auf das Stück Papier, das vor ihm auf dem Tresen lag.

Drew lachte und schrieb. Dann strich er es wieder durch, und indem er an die zwar missmutige, aber schöne Frau drüben in der Ecke dachte, schrieb er: „Fang das neue Jahr damit an, einem anderen Mann eine Chance zu geben.“ Dann faltete er den Zettel zusammen, schob ihn in die Hosentasche und bat um einen neuen. Bei seinem zweiten Versuch schrieb er: „Lass nicht zu, dass alte Verletzungen dir neue Möglichkeiten verbauen.“

Um sich Mut zu machen, trank er einen kräftigen Schluck Bier. „Entschuldigt mich einen Augenblick“, sagte er dann. Und schon war er wieder unterwegs zur anderen Seite des Raumes.

Als er vor Sunny stand, setzte er sein gewinnendstes Lächeln auf und sagte: „Sie sind also Fotografin.“

Mit ausdruckslosem Gesicht blickte sie zu ihm auf. „Ja“, antwortete sie.

„Das Fotografieren macht Ihnen Spaß?“, fragte er weiter. Wieder entstand diese vielsagende Pause, bevor sie antwortete: „Ja.“

„Was gefällt Ihnen am besten daran?“

Sie dachten einen Moment lang nach. „Die Ruhe.“

Er musste sich fragen, warum um alles in der Welt er so an ihr interessiert war. Sie war schön, aber von Schönheit allein hatte Drew sich noch nie angezogen gefühlt. Er kannte viele umwerfend schöne Frauen, die jedoch in anderen Bereichen seinen Erwartungen nicht entsprachen, und das ließ sein Interesse sofort verlöschen. Um ihn wirklich neugierig zu machen, musste eine Frau ihn zum Lachen bringen, sie musste klug sein, freundlich, lebhaft und von anderen Dingen bewegt sein als von ihrem Äußeren. Vor allem musste sie positiv sein. Bislang hatte diese Frau hier, diese Sunny, außer ihrem Aussehen nichts, das ihn ansprach, und das reichte ihm nicht. „Die Ruhe“, wiederholte er. „Sonst noch etwas?“

„Ja. Dazu brauche ich keine anderen Leute. Das kann ich ganz alleine machen.“

„Es ist pure Neugier, aber sind Sie immer so unzugänglich oder nur auf Silvesterpartys?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Eigentlich meistens.“

„Verstehe. Noch eine letzte Frage: Werden Sie mich fotografieren?“

„Aus welchem Anlass?“

Ihm fiel partout nichts ein. „Ein Passfoto?“, antwortete er schließlich.

„Tut mir leid. Passfotos mache ich nicht.“

Er lächelte sie an. „Also, Sunny, sie haben Glück. Mehr fällt mir jetzt wirklich nicht mehr ein. Ich werde tun, was Sie sich offensichtlich wünschen, und lasse Sie jetzt in Ruhe.“

Oh, ich bin so eine Zicke, dachte Sunny, während sie zusah, wie Drew sich durch die Menge schob, um wieder zum Tresen zu gelangen. Als er sich auf den Hocker neben ihren Onkel setzte, wäre sie am liebsten im Boden versunken, so peinlich war ihr das. Sie war vernarrt in ihren Onkel Nate und wusste, dass er sich um sie sorgte und es schwer für ihn gewesen war, mit ansehen zu müssen, wie sie an dem Tag, der der schönste ihres Lebens hätte sein sollen, leiden musste. Und sicherlich war es unerträglich für ihn, zu sehen, dass sie nach so langer Zeit noch immer damit zu kämpfen hatte. Aber auch wenn sie wusste, dass Nate nichts als Mitgefühl für sie empfand, war ihr klar, dass ihm angesichts ihrer Bitterkeit, die man schon fast als feindselige Grundhaltung bezeichnen konnte, nach einem Jahr allmählich die Geduld ausging.

Damit stand er im Übrigen nicht allein. Auch ihre Freundinnen versuchten sie zu ermutigen, den Liebeskummer loszulassen und mal einen Schritt nach vorne zu machen. Wenn sie sich auf keine Dates mehr einlassen wollte, gut, aber die ganze Zeit so sauer durch die Gegend zu laufen belastete nicht nur die Freundschaft, es schadete auch dem Geschäft. Und sehr oft bekam sie zu hören, dass sie ja erst fünfundzwanzig sei! Sunny war sich nicht ganz sicher, ob damit gemeint war, dass fünfundzwanzig so jung sei, dass es den großen Fehler entschuldigte, den sie sich mit Glen erlaubt hatte, oder ob es bedeuten sollte, dass sie noch Jahrzehnte Zeit hätte, um den Richtigen zu finden!

Und Annie hatte sich kurz nach ihrer Ankunft in Virgin River zu ihr gesetzt und gesagt: „Diese Wut wird dir nicht helfen, deinem Leben eine positive Wendung zu geben, Sunny. Du bist nicht die Einzige, die sitzen gelassen wurde. Ich musste damals feststellen, dass der Mann, den ich heiraten wollte, gleich drei Vollzeitfreundinnen beschäftigt hatte, mit denen er zusammenlebte. Jede von uns war in Wirklichkeit natürlich nur eine Teilzeitkraft.“

„Wie hat er das denn geschafft?“ Sunny war völlig baff und neugierig.

„Offensichtlich hat er seinen Kalender sehr sorgsam geführt. Er war Verkäufer und ist viel gereist. Wenn ich dachte, dass er landwirtschaftliche Geräte verkauft, war er in Wirklichkeit bei einer seiner anderen Freundinnen.“

„Oh mein Gott! Du hättest ihn bestimmt am liebsten umgebracht!“

„Natürlich. Irgendwie hatte ich darauf gehofft, dass mein Vater oder einer meiner Brüder das für mich erledigen wird, aber das haben sie nicht, und dann war ich auch schon darüber hinweg. Sicher, ich wurde nicht wie du vor dem Altar sitzen gelassen – in einem sehr teuren Hochzeitskleid, das bezahlt war und nicht zurückgegeben werden konnte. Die Demütigung und den Schmerz kann ich mir nicht mal vorstellen. Aber ich war sehr wütend. Heute bin ich nur noch dankbar dafür, dass ich es geschafft habe, darüber hinwegzukommen, denn sonst hätte ich Nate niemals eine Chance gegeben. Und dein Onkel Nate ist das Beste, das mir je begegnet ist.“

Sunny wollte Annie sagen, dass der Schmerz und die Demütigung nicht mal das Schlimmste waren. Viel mehr machte ihr zu schaffen, dass Freunde und Familienangehörige sie bedauerten, weil sie verlassen wurde. Was mochte mit ihr nicht stimmen, dass er so etwas tun konnte?

Wenn sie darüber nachdachte, fielen ihr die Gründe ein: Ihre Nase war zu lang, ihre Stirn viel zu hoch, ihr Busen zu klein, die Füße zu groß, ihre Hüften zu breit, sie hatte das College nicht abgeschlossen und fotografierte, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dabei spielte es keine Rolle, dass sie gute Bilder machte. Es war einfach nicht sonderlich beeindruckend. Manchmal geriet sie auf die Schiene: „Wenn ich ein Supermodel mit einem fantastischen Körper wäre, hätte er mich nie verlassen.“ Ihr Kopf sagte ihr, dass das Blödsinn war, es hielt sie jedoch nicht davon ab, viel zu viele Mängel an sich zu entdecken.

Anstatt nun mit Annie darüber zu reden, fragte Sunny: „Hast du es gewusst? Also ich meine, hat es jemals einen Hinweis gegeben, dass etwas nicht in Ordnung war?“

Annie schüttelte den Kopf. „Erst hinterher. Da ist mir dann aufgefallen, dass er nie ein Wochenende mit mir verbracht hatte. Und ich war damals viel zu vertrauensselig, um mich überhaupt einmal zu fragen, warum er mich nie gebeten hatte, ihn mal auf eine seiner Geschäftsreisen zu begleiten, oder warum er mich nie mitgenommen hat, wenn er in einer der umliegenden Städte geschäftlich übernachten musste. Ja, nachdem alles vorüber war, hatte ich sehr viele Fragen. Aber während der Zeit?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich wusste nicht, dass etwas nicht in Ordnung war.“

„Ging mir genauso.“

„Wahrscheinlich wollte ich es einfach nicht wissen“, fügte Annie hinzu. „Ich gehe Konflikten lieber aus dem Weg.“

Dazu sagte Sunny nichts. Sie wusste nur allzu gut, wie sie selbst weggeschaut hatte, und das schmerzte genauso sehr wie die harte Wahrheit.

„Also eine Sache gab es schon“, verbesserte sich Annie. „Nachdem alles vorüber war, habe ich mich gefragt, ob ich nicht viel verzweifelter darum bemüht gewesen wäre, jeden Moment mit ihm zu verbringen, wenn ich ihn wirklich geliebt hätte. Versteh mich richtig, Nate wird ziemlich oft mitten in der Nacht rausgerufen, und ich mache deswegen kein Theater. Aber wir beklagen uns beide, wenn wir nicht genug Zeit miteinander verbringen können. Wir brauchen uns gegenseitig sehr. Bei Ed war das nie so. Es ging mir absolut gut, wenn er nicht bei mir war. Das hätte mich stutzig machen sollen, nehme ich an.“

Das hilft mir nicht weiter, dachte Sunny. Glen hatte sich ständig darüber beklagt, dass sie von freitags bis sonntags durchgehend mit Fototerminen ausgebucht war. Es hatte Zeiten gegeben, in denen sie an den Wochenenden Sechzehnstundentage eingelegt hatte, um drei Trauungen nebst Hochzeitsempfängen sowie eine Taufe abzulichten. Dazwischen hatte sie zusätzlich noch die eine oder andere Diashow von Verlobungen eingeschoben, ein paar Babyfotos gemacht oder was immer sie sonst noch für Leute tun konnte, die während der Woche arbeiteten und denen nur das Wochenende zur Verfügung stand. Von montags bis donnerstags war es dann eine wahnsinnige Schufterei, die Fotos zu bearbeiten und die Druckfahnen zu erstellen.

Glen war Streifenpolizist bei der California Highway Patrol, und er machte lieber Spätschichten, um am Wochenende freizuhaben. Und genau dann hatte Sunny nie Zeit für ihn.

Sunny dachte an ihre diesbezüglichen Auseinandersetzungen. Moment mal! Hier lag der Schlüssel, den sie damals übersehen hatte. Glen hatte bereits ein paar Dienstjahre bei der CHP auf dem Buckel, warum also sollte er Spätschichten machen, um am Wochenende freizuhaben, wenn er doch wusste, dass sie die ganze Zeit mit ihren Klienten beschäftigt sein würde? Sie war ziemlich stolz darauf, es in kürzester Zeit geschafft zu haben, sich eine gute Klientel aufzubauen und für eine Frau in ihrem Alter unglaublich gut zu verdienen. Vor allem die Hochzeiten waren immer sehr lukrativ. Um aber diesen Erfolg haben und halten zu können, musste sie ihre Wochenenden opfern.

Warum also? Für ihn wäre es ein Leichtes gewesen, dafür zu sorgen, dass sein Dienstplan so umgestellt wurde, dass er seine freien Tage dienstags bis donnerstags nehmen konnte. Das waren die Tage, an denen sie am wenigsten zu tun hatte. Genau, wenn er sich an diesen Tagen freigenommen und an den anderen Tagen regelmäßig die Frühschicht gearbeitet hätte, hätten sie jeden Abend zusammen einschlafen können. Glen hatte damals argumentiert, dass es seiner inneren Uhr nicht entsprach, er sei kein Morgenmensch. Und er ging gern am Wochenende aus. Angeblich traf er sich mit „den Jungs“. Den Jungs? Wenig wahrscheinlich …

Nachdem er sie in der Kirche sitzen ließ, hatten seine beiden Trauzeugen ihr gestanden, dass er so seine Zweifel daran gehabt hatte, sich für immer und alle Zeiten zu binden. Wie es aussah, hatte er ihnen gegenüber seine wirklichen Bedenken angesprochen, während er mit ihr nur über die Zeremonie gestritten hatte: Wir brauchen diesen ganzen Zirkus doch gar nicht! Wir könnten nach Aruba fliegen, dort heiraten, dann eine Woche Segelurlaub machen, tauchen gehen … Davon, dass er Angst davor hatte, sich zu binden, hatte er kein Wort fallen lassen. Es ging immer nur um die Hochzeit, ein Fest, das Sunny und ihre Mom mit dem größten Vergnügen bis in alle Einzelheiten geplant hatten. Deshalb hatte sie ihm auch nur gesagt: „Versuche einfach, dir nicht so viele Gedanken zu machen. Du wirst ja deine Woche auf Aruba bekommen, wenn wir in die Flitterwochen fliegen. Komm nur pünktlich zur Kirche, sag, was du zu sagen hast, und eh du dich versiehst, werden wir tauchen, in der Sonne liegen und segeln.“

Frustriert schüttelte Sunny den Kopf. Was brachte es, wenn sie sich das jetzt zusammenreimte? Sie nahm ihren Mantel und die Kamera und trat durch die Tür ins Freie. Noch immer schneite es leicht. Rückwärtsgehend entfernte sie sich von dem Weihnachtsbaum, während sie ihre Fotos von ihm schoss. Zuerst zoomte sie auf ein paar der militärischen Abzeichen, die sie hier als Baumschmuck verwendeten, fing Schneeflocken ein, die vor goldenen Kugeln und weißen Lichtern glitzerten, nahm Einzelteile des Baums auf, bis sie schließlich weit genug entfernt war, um ihn ganz ins Bild zu bekommen. Wenn die Fotos so rauskamen, wie sie es sich erhoffte, könnte sie vielleicht nächstes Jahr zu Weihnachten etwas daraus machen … Werbung, Weihnachtskarten oder Ähnliches.

Dann drehte sie sich um und machte ein paar gute Aufnahmen von der Veranda vor der Bar, auf denen zu sehen war, wie der Schnee sich auf Geländer, Treppe und Dach legte. Es folgten ein paar Fotos von der Straße mit all den Häusern in Festtagsbeleuchtung. Dann wieder die Barveranda, diesmal mit einem Mann, der am Geländer lehnte und die Arme über der Brust verschränkt hielt … ein sehr gut aussehender Mann.

Sie ließ die Kamera sinken und ging auf Drew zu. Es war nicht zu leugnen, er war ein sehr gut aussehender Mann – groß und gut gebaut, hellbraune Haare, glänzend braune Augen, und wenn sie sich recht erinnerte, begnadet mit einem Lächeln, das überaus sexy war. Er blieb auf der Veranda stehen und sie sah zu ihm hoch.

„Okay, also gut, ich entschuldige mich. Normalerweise ist es nicht meine Art, so unhöflich zu sein. So ‚unnahbar‘, wie man sagt. Mein Verlobter hat mich verlassen, okay? Und ich lecke noch meine Wunden, wie Onkel Nathaniel es ausdrücken würde. Momentan bin ich einfach nicht in der Lage, auf die Annäherung eines Mannes einzugehen. Ich habe eine Todesangst davor, dass ich ihn am Ende noch gernhaben könnte, deshalb gehe ich lieber gleich allen männlichen Wesen aus dem Weg.“ Achselzuckend fügte sie noch hinzu: „Das wär’s im Wesentlichen. Eigentlich war ich immer sehr freundlich und kontaktfreudig. Jetzt bin ich vor allem auf der Hut.“

„Entschuldigung angenommen. Und ich habe auch eine schlimme Trennung hinter mir, aber das ist schon eine Weile her. Seitdem ist viel Wasser den Fluss runter, wie man so sagt.“

„Sie wurden verlassen?“

Er nickte. „Und ich weiß genau, wie Sie sich fühlen müssen. Also fangen wir noch mal von vorne an. Was halten Sie davon? Ich bin Drew Foley.“

Sie ging noch einen Schritt weiter auf die Veranda zu. „Sunny Archer. Aber wann? Ich meine, wie lange ist das jetzt her, dass Sie verlassen wurden?“

„Ungefähr neun Monate, glaube ich.“

„Ungefähr?“, fragte sie. Wenn er sich nicht mal an das Datum erinnern konnte, dürfte es ihn wohl kaum so getroffen haben, wie es bei ihr der Fall war. „Ich meine … war es trau-matisch?“

„Irgendwie schon. Wir waren verlobt und hatten zusammengewohnt. Aber wir haben uns ständig gestritten. Schließlich hat sie mir dann gesagt, sie sei nicht bereit, ein solches Leben zu führen, und dass unsere Wege sich trennen würden. Meine Idee war die Trennung jedenfalls nicht.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich dachte, wir könnten es wieder hinbekommen, und wollte es versuchen. Aber das wollte sie nicht.“

„Haben Sie es gewusst? Ich meine, haben Sie es kommen sehen?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich hätte es kommen sehen müssen, aber letztlich hat es mich mit voller Breitseite erwischt.“

„Wie kann das sein? Sie hätten es kommen sehen müssen, und dann hat es Sie so überrascht?“

Er holte tief Luft, sah hoch in den leise rieselnden Schnee und richtete den Blick dann wieder auf sie. „Es ging uns beiden nicht gut. Aber bevor wir zusammengezogen sind, haben wir uns wunderbar vertragen. Ich bin Assistenzarzt und meine Arbeitszeiten waren … und sind nach wie vor einfach grauenhaft. Manchmal habe ich sechsunddreißig Stunden Rufbereitschaft und gerade mal genug Zeit, um etwas zu schlafen. Sie brauchte mehr von mir als das. Sie …“ Er senkte den Blick. „Mir gefällt es nicht, von sie oder ihr zu sprechen. Penny hatte eine schwere Zeit. Sie musste ihr ganzes Leben umkrempeln, um mit mir zusammenzuleben. Sie musste sich einen neuen Job suchen, neue Freunde finden, und ich war nie für sie da. Ich hätte es kommen sehen müssen, aber ich habe es nicht getan. Es war alles meine Schuld, aber ich konnte nicht dagegen an.“

„Woher kommen Sie?“, fragte sie ihn.

„Aus Chico. Ungefähr vier Stunden von hier entfernt.“

„Wow“, entfuhr es ihr. „Wir haben tatsächlich einiges, das uns verbindet.“

„Wirklich?“

„Aber Sie sind darüber hinweg. Wie haben Sie das geschafft?“

Er schob die Hände vorn in die Hosentaschen. „Vor drei Monaten hat sie mich zu ihrer Verlobungsfeier eingeladen. Wieder ein Assistenzarzt. Als ich das letzte Mal hingesehen habe, war er in derselben Tretmühle wie ich. Ich nehme an, er wird wohl besser ohne Schlaf auskommen als ich.“

„Nicht möglich“, sagte sie und trat einen kleinen Schritt von der Veranda zurück.

„Doch möglich.“

„Sie nehmen doch nicht etwa an …?“

„Dass sie es mit ihm getrieben hat, als sie es mit mir hätte treiben sollen?“, formulierte er die Frage für sie. „Es ist mir in den Sinn gekommen. Aber ich will nicht daran denken. Ich will es nicht einmal wissen. Einmal ganz abgesehen von alledem, sie war offensichtlich nicht die Richtige für mich. Das weiß ich jetzt, und das bedeutet, dass es wirklich meine Schuld war. Ich hatte mich aus Trägheit mit ihr liiert, nicht weil ich wahnsinnig in sie verliebt war. Sunny, unterm Strich ist es einfach so: Penny und ich? … Wir sind beide gerade noch mal so davongekommen. Wir waren nicht füreinander geschaffen.“

Sunny war sprachlos. Mit großen Augen und offenem Mund schaute sie ihn staunend an und wünschte, sie könnte mit ihrer eigenen Situation so leicht fertig werden wie er. „Mannomann“, stieß sie schließlich kopfschüttelnd aus. „Ich nehme an, man braucht viel Selbstvertrauen, um Mediziner sein zu können und auch sonst.“

„Ach was, nun führen Sie nicht alles auf das Studium zurück. Möglich wäre schließlich auch, dass ich so etwas besitze wie gesunden Menschenverstand.“ Er wollte zu ihr gehen und trat von der Veranda auf die Treppe, aber sein Absatz rutschte von der Stufe, sodass er nach unten segelte. Während seine Beine noch in der Luft hingen, blitzte die Kamera mehrfach schnell hintereinander auf, und als er flach auf dem Rücken lag, folgten weitere Blitze.

Sunny stand mit der Kamera in der Hand über ihm und sah zu ihm hinunter. „Alles in Ordnung?“

Er verengte die Augen, brauchte jedoch noch einen Moment, um wieder zu Atem zu kommen. „Sie wissen aber schon, dass ich gelähmt sein könnte. Ich hoffe, es war nur eine Halluzination, oder haben Sie mich tatsächlich fotografiert, als ich gefallen bin?“

„Nun, auffangen konnte ich Sie nicht.“ Und dann lächelte sie.