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Hans Joachim Teschner

Ostfriesland Saga

Der in Bernstein eingelegte Mops mit den goldenen Arschbäcklein





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Titel

 

Hans Joachim Teschner

 

Ostfriesland Saga

 

oder

 

Der in Bernstein eingelegte Mops

mit den goldenen Arschbäcklein

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ruhe! Ich höre jemanden schweigen.“

Häuptling Johann

Die großzügige Königin und der Vielfraß

Vor nicht langer Zeit lebte ein König mit Namen Ommo im Lande der Ostfriesen. Niemand aus seiner Umgebung vermutete allerdings in ihm einen König, und er selbst hielt sich für den 'Großtümlichen Schulz', obwohl er als Dorfschullehrer nahe Aurich seiner Tätigkeit freien Auslauf gewährte. Vermählt war er mit einer Königin, deren Großzügigkeit landauf landab streng gefürchtet war.

Eines Tages besann sich der König auf die ihm angeborene Galanterie, und er beschloß, seine Frau mit einen kulinarischen Abendessen zu verwöhnen. Der wässerige Steckrübeneintopf, den die Königin täglich auf den Tisch brachte, hatte möglicherweise sein Verlangen auf ein gemeinsames Festmahl zusätzlich geschärft. Wie dem auch sei, das hoheitliche Paar warf sich die Sonntagskleider über, setzte sich in den königsblauen Golf Turbo Diesel und kutschierte nach Hesel, wo der königliche Frikadellenbräter sein Domizil aufgeschlagen hatte. Mit einem majestätischen "Moin Moin" eröffnete der König den Austausch von Höflichkeiten und gegenseitiger Ehrerbietungen. Die Etikette des hohen Besuchs verlangte anschließend eine gewissenhafte Prüfung und Bewertung der Wetterlage, die übereinstimmend als Sauwetter apostrophiert wurde. Nachdem Bräter als auch Königspaar sich auf eine gemeinsame Sprachregelung hinsichtlich der Klimaverhältnisse geeinigt hatten, gab der König seine Bestellung auf: "Zwei Frikadellen mit Ketchup." Daraufhin knüpfte der Angeredete einen Tropfen siedendes Öl in sein Taschentuch, trat mit dem Gummistiefel dreimal auf eine tote Ratte und spuckte in die Friteuse. Denn so wollte es der Brauch, und es war ihm Genüge getan.

Augenblicklich gebar die Königin drei Töchter, deren eine schöner war als die andere und die dritte unvergleichlich. Das Herz der Königin wollte ob des Überflusses an Schönheit aus allen Dämmen brechen! Zum Dank versprach sie dem Frikadellenbräter drei Zahnstocher aus Plastik, einen Blechlöffel und zwei Tempotaschentücher.

Der königliche Frikadellenbräter erbleichte und fiel auf die Knie. "Weh mir!" jammerte er, "solches gemahnt mir zum Verderb! Aber höre, gute Frau: Noch bevor die Rouladen rollen und der Ruß aus Rohren fuselt, soll ein Fluch die Töchter ereilen, und ihr werdet reich belohnt mit Staunen und wiederholtem Wutgeschrei."

Und so geschah es. Kaum hatte der Turbodiesel sein Nageln entfacht, verwandelte sich die älteste Prinzessin in einen rasenden Handfeger, die zweitälteste in eine Schaufel und die unvergleichliche jüngste in einen schwarzen Schimmel.

Wie der König fluchte! "Dreizehn glühende Torfstücke über euch!" tobte er, "kochender Kalk soll euch brennen. Unter Paragraphen und zentnerschwerem Gestank sollt ihr begraben sein. Im Spiegel sollt ihr euch erkennen und darob verdorren vor Scham und Ekel."

Ommo hielt inne. Nein, eine weit größere Qual wünschte er seinen mißratenen Töchtern an den Hals. Siebzig Nächte brütete er, und er verwarf Gift, Galle und sackleinene Unterwäsche. Die Qualen sollten alles in den Schatten stellen, was selbst der Beelzebub sich je hätte ausdenken können. In der einundsiebzigsten Nacht wurde der König von einem Albtraum geschüttelt, der ihm fast das Leben nahm. Bewegungslos, wie gelähmt hatte er an einem Strand gelegen. Ein gräßlich deformierter Kerl, dessen Badehose wie angeschweißt an den Lenden klebte, hatte sich mit geöffneten Lippen über ihn gebeugt und einen vergammelten Todesodem in seinen Hals geblasen. Gerade wollte die Seele des Königs im Gestank seines Angesichts entweichen, da stieß die verworfene Kreatur ihre Zunge in den königlichen Gaumen, der bereits pelzig aufgeblüht war und sich anschickte, die gnadenreiche Erstickung einzuleiten. Des Königs Rettung, denn er bäumte sich auf und erwachte in einer Lache von Schweiß und Erbrochenem. Benommen erhob er sich; die Anspannung der letzten siebzig Tage hatte sich gelöst. Der Traum nämlich hatte die grauslichste aller Strafen offenbart! Ohne einen Funken Mitleid schleuderte Ommo seinen Bann auf die Prinzessinnen: "Sollte nicht vor der großen Zeugniskonferenz ein Prinz auftauchen, der euch wieder in die schönsten Töchter des Großtümlichen Schulzen verwandelt, werdet ihr euch bis an euer Lebensende in eine schaurige Schauergestalt verlieben, und sein Name wird lauten David Hasselhoff."

Dem Handfeger sträubten sich vor Panik die Borsten. Furiengleich raste er durch das Südbrookmerland und fegte die Kühe von den Weiden. Er schweifte durch das Kollrunger Moor, wischte die Birken von der Krume, und schließlich schob er ganz Emden in den Dollart, so daß die obdachlosen Emder ihre Stadt ein zweites Mal erbauen mußten. Die Schaufel wiederum stieß ein Geheul aus, das alle Glocken von Rotterdam bersten ließ. Verzweifelt belud sie sich mit Klinkersteinen, Klopapier und Würstchen, mit Maulwurfshaufen samt wühlenden Maulwürfen ohne Zahl und mit einem Container voll von illegalen Asylanten. Am schlimmsten aber traf es den schwarzen Schimmel. Erst begattete er sich selbst, dann galoppierte er wie von tausend Stechfliegen gepiesackt über die Autobahn nach Oldenburg. Wiehernd überholte er den wilden Porsche und den blinkenden BMW, worauf diese sich keilten. Blut trat aus, und der Vogel wurde gezeigt sowie der ausgestreckte Mittelfinger. In Oldenburg angekommen, äppelte die verpferdete Prinzessin einen solch saftigen Haufen in die Fußgängerzone, daß sechs Meter starke Eichen aus dem Dünger wuchsen und noch in Kiel der Gestank zu hören war. Erst hinter dem Rathaus hatte sich der geblähte Tierbauch vollständig entleert. Von der Last befreit, sprang der schwarze Schimmel mit einem gewaltigen Satz zurück nach Aurich, wo er frühgeburtlich ein Fohlen warf. Das Fohlen aber bestätigte alle Vorbehalte gegenüber einer inzestiösen Selbstbefruchtung: Es präsentierte sich in Gestalt eines in Bernstein eingelegten Mopses mit goldenen Arschbäcklein.

Der Fluch des Frikadellenbräters indes hatte die Lebenssäfte des Königs aufgesogen. Erschöpft fiel er in den Zustand der geistigen Abwesenheit, und ein Scheintod gab dem anderen die Türklinke in die Hand. Wie ein dichter und dichter gewobenes Spinnennetz überzog das nicht enden wollende Darben die Flure des Einfamilienhauses.

"Warte bis nach der Tagesschau", sprach die Königin eines Abends zu ihrem Gatten, der sich zu seinem neunhundertunddreiundzwanzigsten Scheintod vor dem Fernseher niedergelassen hatte, "es ist die Rede von der Ankunft eines Prinzen, der das Volk vor Ungemach und Hasselhoff befreien will."

Und tatsächlich: Unter Fanfarenstößen und Trommelschlag entstieg dem Fernseher ein Prinz, dessen Leibesfülle das Euroformat 16 : 9 dreimal sprengte; ein Dickwanst der Superlative, der vom Sprecher der Tagesschau als der vielfräßigste Vielfraß des Kontinents angekündigt worden war. Sein Bauch maß 14 Bruttoregistertonnen ohne Magen. Schon zum Frühstück verschlang er doppelstöckige Schweinehalden. Zusätzlich vernaschte er Torfberge und Güterzüge voll Schlamm, den Fußballplatz von Marienhafe und als Nachspeise die Neuapostolische Gemeinde. Weder den Blumenkorso von Wiesmoor verschmähte er noch den Shanty-Chor 'Friedeburger Jungs', und als Rachenputzer verleibte er sich den Autofriedhof von Norddeich ein. Seine Rülpser fällten die Tannen des Auricher Forstes, von seinem Schluckauf brachen die Deiche. Seinen Durst löschte er, indem er jeden Morgen das Lengener Meer aussoff, in das er zuvor einen Tanklastzug Heizöl gekippt hatte, damit es recht ordentlich die Speiseröhre schmiere.

Kein anderer als dieser Titan schien Manns genug, den Fluch des Frikadellenbräters zu brechen. Kein anderer wäre imstande, noch vor der großen Zeugniskonferenz die Schaufel, den rasenden Handfeger und den schwarzen Schimmel freizuküssen.

"Königlich belohnen will ich dich!" lockte die großzügige Königin den Vielfraß, und sie warf ihm einen Butterkeks in den Schlund, "wenn du meine Töchter zurückverwandelst in die schönsten Prinzessinnen Ostfrieslands."

Verdutzt schluckte der dickwänstige Dickwanst den Keks hinunter, doch dann malte er sich die üppigsten Belohnungen aus, die eine Königin wohl zu bieten hatte: drei Tonnen Rinderhack vielleicht, oder, noch besser, das Brockzeteler Meer, vollgefüllt mit roter Grütze, in der unter Gebirgen von Schlagsahne Vanilleeiskugeln sein Schleckermaul verwöhnen wollten. Oder gar eine Schlange von Pinkelwürsten, die in Greetsiel ihren Anfang nahm und sich an der Küste fortschlängelte bis nach Wilhelmshaven, wo in den Bäuchen der Tankschiffe der süßeste Most auf ihn wartete.

"Höre denn, Vielfraß!" säuselte die Königin, "drei mal drei sind neun. Der Pastor kalbt im Jahr des Kolkraben. Zacken fliegen auf beim vierten Elfmeter. Dies sei dein, so du Erfolg hast: für die Erlösung der Schaufel zwei Paar Wäscheklammern, für den rasenden Handfeger eine Quittung inklusive Mehrwertsteuer, für den schwarzen Schimmel drei Styroporkrümel."

Da senkte sich eine unheilvolle Stille über die Fehn und Moore. Und sie währte sieben Monde und das Rieseln der unsichtbaren Eieruhr. Keiner im weiten Land würde sich durch das maßlose Ansinnen der Königin je von dem Schock erholen. Welcher Teufel hatte sie geritten, dem vielfräßigsten aller Vielfraße eine derartige Beleidigung an den Kopf zu werfen? Welche Rache würde sich der dickwänstigste aller Dickwänste ausbedingen?

Doch noch war Ostfriesland nicht verloren. Denn der Vielfraß hatte, wie jede Woche, zwei Zentner zugenommen und stand kurz vor der Explosion. Hastig klappte er sein Taschenmesser auf und säbelte ein schubkarrengroßes Bratenstück aus seinem Bauch. Um einen guten Zentner erleichtert erhob er sich, die Königin zu strafen, doch der heißeste aller Heißhunger nötigte ihn, das Bratenstück roh aufzufressen, und hernach fiel er in einen tiefen Schlaf.

Wiederum vergingen sieben Monde und das Rieseln der Eieruhr. Längst schon war die große Zeugniskonferenz zelebriert worden. Die drei Töchter hatten sich unsterblich in David Hasselhoff verliebt, und der König starb seinen zweitausendsechshundertundsiebenundfünfzigsten Scheintod. Nebenan in der Waschküche hockte die Königin auf einem Melkschemel und wiegte in ihren Armen einen Schuhkarton. Darin hatte sie ihren verzauberten Enkel gebettet, den in Bernstein eingeschlossenen Mops mit den goldenen Arschbäcklein.

An einem regnerischen Oktobertag erwachte der Vielfraß.

"Ich finde nichts zum Beißen", krachten seine Zähne.

"Meine Säfte brodeln vor Ungeduld", grummelte sein Magen.

""Ich warte auf Nachschub", gluckerte sein Darm.

"Mir geht es noch viel schlimmer", überbot der Vielfraß das dreistimmige Lamento. Er stürzte sich auf den schwarzen Schimmel, der verzückt einem Popsong von David Hasselhoff lauschte, und verschlang ihn mit Haut und Hufen. Dann war die Schaufel an der Reihe. Sie lag im Kohlenkasten, über und über beladen mit Autogrammkarten der schaurigen Schauergestalt Hasselhoff. Mit einem knirschenden Biß zermalmte der Hungrige den Kohlenkasten samt Inhalt. Dem rasenden Handfeger aber hatte er ein besonderes Los zugedacht: Er wollte ihn sich zur Frau nehmen.

"Lieber will ich der Raserei abschwören", schluchzte die oder der Auserwählte, "lieber will ich Alaska vom Schnee räumen, lieber will ich aus meiner Seele den letzten Funken Anstand kehren, als meinem geliebten David Hasselhoff untreu zu werden."

Ein gurgelndes Lachen war die Antwort. Das Schicksal des Handfegers schien besiegelt. In diesem Moment der zureichenden Hoffnungslosigkeit drängte sich die Königin vor den Heiratswütigen. Als habe sie noch nicht genug Unheil angerichtet, ließ sie die Hüllen vornehmer Bescheidenheit fallen, und sie rundete freizügig die Summe der Versprechen auf: "Wenn du von meiner letzten Tochter abläßt", sirrte sie in einer dürren Tonart, "werde ich dir meine Briefmarkensammlung zeigen und nicht nur das."

Entgeistert wollte der Vielfraß ihr Einhalt gebieten, doch sie, von unendlich königlicher Gesinnung erfaßt, hob ihre Stimme, hob sie höher und höher, bis diese tirilierend in dieWolkendecke eintauchte.

Ein Grollen wucherte aus der Kehle des gemarterten Vielfraßes. Seine Kauzähne mahlten. Aus seinen Augen troff Schmalz und schlabberiger Schleim. Sein fauliger Odem wolkte ätzend über das Sofa.

Am Steiß des Vielfraßes kringelte ein fleischfarbener Schwanz!

"Schmutz!" brüllte die fette Sau, um sich gleich zu berichtigen: "Schmatz!" Sie packte die Königin und stopfte sie wie einen Priem hinter die Backenzähne. Der Appetithappen entfachte in ihr eine gierende Freßsucht. Wahllos begann sie hinunterzuschlingen, was ihr in den Weg kam: die Kaffeemaschine, eine Kristallvase, den rasenden Handfeger, die königlichen Frikadellen, den Bettvorleger und sogar die Tapeten und Steckdosen. Als nichts übrig blieb außer einem unverdaulichen Spiegel im Flur des Hauses schwankte Charlotte freßtrunken in den Kartoffelacker, wühlte sich in die Erde ein und mampfte sich bis Emden durch. Noch heute ist die Furche als Ems-Jade-Kanal zu befahren. Hinter Emden verlor sich die Spur des vielfräßigsten und dickwänstigsten Erdschweins von Ostfriesland, und wenn man den Alten glaubt, ist es in die Nordsee gesprungen, um diese auszusaufen. Beim dreißigsten Schluck soll die wuchernde Sau explodiert sein und einen gewaltigen Krater hinterlassen haben, die heutige Leybucht, an deren Flanke der sogenannte Schweinsrücken und der dahinterliegende Charlottenpolder an das Erdschwein Charlotte aus Neuharlingersiel erinnert.

Es blieb einzig dem Schuhkarton in der Waschküche vorbehalten, das Könighaus Ommo vor dem Untergang zu bewahren. Doch unzählige Türen sollten noch zugeschlagen werden, ehe sich ein Trupp heldenhafter Glücksritter auf den Weg machte, um den verzauberten Prinz mit den goldenen Arschbäcklein aus seinem Bernsteingefängnis zu befreien.